Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 95. Band, (Jahrgang 1879)

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Mayr. 
mit anderen Beantwortungen der Frage vertraut gemacht, und 
die neuere Philosophie fügte auch ihrerseits selbstständige 
Lösungsversuche hinzu. Im Ganzen kamen die Philosophen 
auf das alte ,primos in orbe fecit deos timor' zurück. Sie be 
mühten sich jedenfalls, das Problem aus den Höhen der Meta 
physik auf den festeren Boden der Empirie und Psychologie 
zu verpflanzen. So sagt auch Voltaire: ,Pour savoir, comment 
tous ces cultes ou ces superstitions s’etablirent, il me semble 
qu’il faut suivre la marche de l’esprit humain abandonne a 
lui-memeh 1 Jedoch der psychologische Weg hat seine Gefahren. 
Fast unmerklich schiebt der Forscher den Seelen primitiver, 
überhaupt fremdartiger Menschen Ideen, Gefühle, Begehrungen 
unter, die ihnen ebenso ferne liegen, als sie ihm selbst ge 
läufig sind. Voltaire’s heller Geist war sich der Gefahr wohl 
bewusst; seine ausgebreiteten Kenntnisse bewahrten ihn vor 
einem Abwege, den jemand leichter geht, welcher aus Un 
wissenheit seine Umgebung mit all ihren specifischen Merkmalen 
für die Menschheit schlechthin nimmt. 2 Es ist nun überaus 
merkwürdig, dass Voltaire den Urmenschen sich, ganz in mo 
derner Weise, nach Analogie des Wilden und des Kindes 
construirt; selbst der ihm aus unmittelbarer Anschauung be 
kannte französische Bauer muss ihm zum Verständnisse des 
Urmenschen herhalten. 3 Die Geistes- und Gemüthszustände, 
Idole. — Gegen den Vonvurf der Teufelsanbetung: ,Ces reproches absurdes 
sont intolerables . . II est temps que nous quittions l’indigne usage de 
calomnier toutes les sectes et d'insulter toutes les nations. (Essai, c. I.) 
1 Phil, de l’hist., V. 
2 So sagt Voltaire z. ß. er halte Sonne und Mond nicht für die ursprüng 
lichen Gottheiten. Culturlose Menschen ,ne sont frappes ni de la beaute 
ni de l’utilite de l’astre qui anime la nature . . ils n’y pensent pas, ils 
y sont trop accoutumes. On n’adore, on n’invoque, on ne peut apaiser 
que ce qu’on craint; tous les enfants voient le ciel avec indifförence; 
mais que le tonnerre gronde, ils tremblent 1 . (Art. Religion, S. III.) 
Dass die Verehrung des Lingam bei den Indern nicht auf wollüstige 
Ueppigkeit deute, erörtert er Essai, 143; Fragments liistoriques sur l’Inde, 
29. — Les oreilles du Comte de Chesterfield (1775), c. 0. 
3 Tous les peuples furent pendant des siicles ce que sont aujourd’hui les 
habitants des plusieurs cotes meridionales de l’Afrique. (Phil, de l’hist., 
V.) — Examinons ce qui se passe dans les enfants . . Les premiers 
hoinines ont sans doute agi de meine. (Art. Religion, S. III.) — Cf. Phil, 
de l’hist., VII, XX.
	        
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