Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 95. Band, (Jahrgang 1879)

Voltaire-Studien. 
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selben Phasen der Entwicklung durchgemacht. Eine Ausnahme 
bildet China. Es stellt nicht den durchschnittlichen, sondern 
den idealen Typus dar; es ist das Musterland, welches von 
Anbeginn in einem Zustande religiöser Verfassung lebt, den die 
anderen Länder selten erreicht haben. Voltaire hat die Chinesen 
in der Weltgeschichte eingebürgert; den Essai eröffnet er mit 
ihnen, ein Brauch, der bis auf den heutigen Tag in den soge 
nannten Weltgeschichten fortdauert. Leider sind die idealen 
Chinesen Voltaire’s nicht die Chinesen der Wirklichkeit, der 
Geschichte und Ethnologie. 1 
Nach Voltaire’s Schilderung zeichnet sich die Religion der 
Chinesen durch ihre Einfachheit und Erhabenheit aus. Sie ist 
frei von allem Dogmatismus und Aberglauben; deshalb gibt es 
in ihr keinen Streit, keine Intoleranz, keinen Fanatismus. 2 Sie 
besteht aus blosser Moral, wie sie die Weisen aller Zeiten und 
Völker gelehrt haben. Sie verehrt nur Ein höchstes Wesen, den 
Herrn der physischen und moralischen Welt. 3 Ihrer sittlichen 
Auffassung des Familienlebens entspringt ein pietätvoller Cultus 
der Ahnen. Der Lehrer, eigentlich Wiederhersteller, dieser Reli 
gion, die zugleich Staatsreligion ist, war Confucius, ein Mann, 
der weder den Inspirirten, noch den Propheten spielte, keinerlei 
Mysterium, nicht einmal die Fortdauer nach dem Tode, sondern 
blosse Sittenlehre verkündigte. Duldsam wie sie war, wehrte 
die Religion des Confucius nicht dem Eindringen des Foismus 
und des Bonzenthums. Dem neuen Glauben, dem Buddhismus, 
einem Gemisch von Aberglauben und Unsinn, fiel der Pöbel an 
heim, den die Bonzen für ihre Zwecke ausbeuteten; der alten 
Religion blieben die herrschenden und gelehrten Classen treu. 
1 lieber die chinesische Religion siehe Phil, de l’hist., 18 — Essai, 1—2 — 
Art. Chine, Catecbisme chinois — Entretiens chinois (1768) — Frag 
ments sur l’histoire generale (1773) — Lettres ehinoises (1776) — ferner 
Siecle de Louis XIV, c. 39, und Essai, c. 195, sowie die Relation du 
bannissement des Jesuites de la Chine (1768). 
2 II n’y a eu qu’une seule religion daus le monde qui n’ait pas ete souillee par 
le fanatisme, c’est celle des lettres de la Chine. (Art. Fanatisme, S. II.) 
3 II est constant que tous les peuples polices en adorant un seul Dieu 
venererent des dieux secondaires. Exceptons-en les seuls Chinois, qui, 
doues d’une sagesse superieure, ne iirent jamais partager ä personne la 
moindre ecoulement de la Divinite. (Canonisation de St-Cucufin, 1767 
(1769?).
	        
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