Voltaire-Studien. to selben Phasen der Entwicklung durchgemacht. Eine Ausnahme bildet China. Es stellt nicht den durchschnittlichen, sondern den idealen Typus dar; es ist das Musterland, welches von Anbeginn in einem Zustande religiöser Verfassung lebt, den die anderen Länder selten erreicht haben. Voltaire hat die Chinesen in der Weltgeschichte eingebürgert; den Essai eröffnet er mit ihnen, ein Brauch, der bis auf den heutigen Tag in den soge nannten Weltgeschichten fortdauert. Leider sind die idealen Chinesen Voltaire’s nicht die Chinesen der Wirklichkeit, der Geschichte und Ethnologie. 1 Nach Voltaire’s Schilderung zeichnet sich die Religion der Chinesen durch ihre Einfachheit und Erhabenheit aus. Sie ist frei von allem Dogmatismus und Aberglauben; deshalb gibt es in ihr keinen Streit, keine Intoleranz, keinen Fanatismus. 2 Sie besteht aus blosser Moral, wie sie die Weisen aller Zeiten und Völker gelehrt haben. Sie verehrt nur Ein höchstes Wesen, den Herrn der physischen und moralischen Welt. 3 Ihrer sittlichen Auffassung des Familienlebens entspringt ein pietätvoller Cultus der Ahnen. Der Lehrer, eigentlich Wiederhersteller, dieser Reli gion, die zugleich Staatsreligion ist, war Confucius, ein Mann, der weder den Inspirirten, noch den Propheten spielte, keinerlei Mysterium, nicht einmal die Fortdauer nach dem Tode, sondern blosse Sittenlehre verkündigte. Duldsam wie sie war, wehrte die Religion des Confucius nicht dem Eindringen des Foismus und des Bonzenthums. Dem neuen Glauben, dem Buddhismus, einem Gemisch von Aberglauben und Unsinn, fiel der Pöbel an heim, den die Bonzen für ihre Zwecke ausbeuteten; der alten Religion blieben die herrschenden und gelehrten Classen treu. 1 lieber die chinesische Religion siehe Phil, de l’hist., 18 — Essai, 1—2 — Art. Chine, Catecbisme chinois — Entretiens chinois (1768) — Frag ments sur l’histoire generale (1773) — Lettres ehinoises (1776) — ferner Siecle de Louis XIV, c. 39, und Essai, c. 195, sowie die Relation du bannissement des Jesuites de la Chine (1768). 2 II n’y a eu qu’une seule religion daus le monde qui n’ait pas ete souillee par le fanatisme, c’est celle des lettres de la Chine. (Art. Fanatisme, S. II.) 3 II est constant que tous les peuples polices en adorant un seul Dieu venererent des dieux secondaires. Exceptons-en les seuls Chinois, qui, doues d’une sagesse superieure, ne iirent jamais partager ä personne la moindre ecoulement de la Divinite. (Canonisation de St-Cucufin, 1767 (1769?).