Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 90. Band, (Jahrgang 1878)

lieber den fünffüssigen lambus vor Lessing’s Nathan. 
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Dieser grosse Geist und grosse Dichter war Gottsched 
nicht: er hat aber theoretisch die reimlosen Verse und speciell 
die reimlosen iambischen Verse immer vertreten und auch einige 
Versuche in denselben hinterlassen. 
In der Critischeu Dichtkunst (S. 315) führt er unter den 
Vorth eilen der ungereimten Verse auch den an, dass wir in 
Schauspielen dann bald glücklicher werden würden, als wir noch 
zur Zeit sind. Er meint, ,Tragödien und Comödien können und 
sollen von rechtswegen in einer leichten Art von Versen ge 
schrieben sein, damit sie von der gemeinen Sprache nicht merk 
lich unterschieden, und doch einigermassen zierlicher als der 
tägliche Umgang der Leute sein mögen'. Ein Seitenhieb gegen 
die Oper fällt ab, auch klingen ihm die Reime zu studiert und 
erinnern ihn ohne Unterlass, dass er nur in der Comödie sei; 
dann lobt er die Engländer: ,In diesem Stücke haben die heu 
tigen Engländer auch vor den Franzosen den Vorzug, indem 
sie nach dem Exempel der Alten in vielen ihrer besten Tra 
gödien nur ungereimte Verse brauchen, da hingegen diese lauter 
reimende Helden aufs Theatrum stellen 1 . ,Sollte ich es einmal 
wagen' — so schliesst er — ,ein Trauerspiel zu machen, so 
will ich es versuchen, inwieweit man hierinn wider den Strom 
schwimmen könne'. Ganz ähnlich sind die Worte, welche er 
in der Grundlegung einer deutschen Sprachkunst (3. Auflage 
1752 S. 617) gebraucht; besonders weist er hier auf die Ver 
wendung dieser Verse im Lustspiele hin und wünscht, dass 
bald ein glücklicher Dichter diesen neuen Lorbeerkranz sich 
erwerben möge. In einer Anmerkung fügt er aber hinzu: ,Die 
ganze Schwierigkeit ist nur, die Comoedianten zu bereden, dass 
sie reimlose Stücke aufführen. Da sie aber auch prosaische 
Lustspiele auswendig lernen können: so würde sichs auch mit 
reimlosen Versen wohl tliun lassen'. 
In allen diesen angeführten Stellen hat Gottsched ebenso 
sehr oder vielleicht noch mehr den reimlosen Alexandriner als 
den fünffüssigen lambus im Auge. Wenigstens ist die in der letzt 
erwähnten Anmerkung genannte Uebersetzung des Agamemnon 
von Thomson eine 1750 zu Göttingen erschienene in reimlosen 
Alexandrinern. In den Critischen Beiträgen (1. Band 1730 
S. 99 f.) wiederholt er seine Ansicht, dass im Trauerspiele und 
überhaupt in den theatralischen Gedichten das verdriessliche
	        
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