Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 95. Band, (Jahrgang 1879)

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Mayr. 
herrschenden Systeme anzupassen suchten; desgleichen war es 
keine exceptionelle Schandthat der Regierung, dass sie die ihr 
günstige Historie sich gefallen Hess und protegirte. Gleich 
wohl bietet ein derartiges Verhältniss zwischen den herrschenden 
Gewalten und der Wissenschaft ein beinahe untrügliches In- 
dicium, dass die letztere den ersteren sich und die Wahr 
heit zum Opfer bringt. Zwar überreden sich die Menschen 
gerne, dass dies nicht der Fall sei; häufig verstehen sie 
auch das Verlangen nach Wahrheit gar nicht: Wahrheit und 
Interesse decken sich für die im Weltlebcn befangenen Geister 
bis zur Ununterscheidbarkeit. Es ist nur den auserwählten 
Geistern auserwählter Zeiten Vorbehalten, über den Bann 
kreis der Interessen hinauszublicken und damit den Muth 
zu verbinden, das, was sie gesehen, auch zu bekennen. Eine 
solche auserlesene Zeit war das Jahrhundert Ludwig XIV. 
keineswegs, wenngleich es innerhalb seiner Grenzen voll Pathos 
und ethischen Schwunges war. Das erhebende Schauspiel 
einer nur dem Gebote des Wahren und Guten hingegebenen 
Wissenschaft wurde den Menschen erst im Zeitalter der 
Aufklärung zu Theil. Hoffen wir, dass es sich nie wieder 
vergisst. 
Unter Ludwig XIV. waren natürlich die Geistlichen, als 
die Vermittler beider Welten, diejenigen, welche das dem 
Ganzen entsprechende Geschichtssystem in Pflege und Aus 
bildung nahmen. Die ludovicianisclie Hof- und Staats-Geschicht 
schreibung ist durchaus hoch gestimmt, loyal, christlich, wohl 
redend, vornehm. Wir finden einen Universalhistoriker, wie 
Bossuet, dessen Discours das grösste Meisterwerk classicistischer 
Prosa und in vieler Hinsicht das Vorbild Montesquieu’s, Vol- 
taire’s u. A. darstellt. Besonders enthält der dritte Abschnitt 
geistvolle Analysen und Reflexionen, die unübertroffen da 
stehen. 1 Wir finden einen Nationalhistoriker, wie den Jesuiten 
Daniel, einen namentlich von Voltaire viel geschmähten Mann, 
von dessen französischer Geschichte heute, im Zeitalter der 
Republik, in der wissenschaftlichsten historischen Zeitschrift des 
Landes gesagt wird, dass sie nicht nur alle Vorgängerinnen, 
sondern auch die meisten ihrer Nachfolgerinnen weit über- 
1 Lobrede bei Nisard, Histoire de la littdrature fran?aise XII, 294 ff.
	        
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