10 Mayr. herrschenden Systeme anzupassen suchten; desgleichen war es keine exceptionelle Schandthat der Regierung, dass sie die ihr günstige Historie sich gefallen Hess und protegirte. Gleich wohl bietet ein derartiges Verhältniss zwischen den herrschenden Gewalten und der Wissenschaft ein beinahe untrügliches In- dicium, dass die letztere den ersteren sich und die Wahr heit zum Opfer bringt. Zwar überreden sich die Menschen gerne, dass dies nicht der Fall sei; häufig verstehen sie auch das Verlangen nach Wahrheit gar nicht: Wahrheit und Interesse decken sich für die im Weltlebcn befangenen Geister bis zur Ununterscheidbarkeit. Es ist nur den auserwählten Geistern auserwählter Zeiten Vorbehalten, über den Bann kreis der Interessen hinauszublicken und damit den Muth zu verbinden, das, was sie gesehen, auch zu bekennen. Eine solche auserlesene Zeit war das Jahrhundert Ludwig XIV. keineswegs, wenngleich es innerhalb seiner Grenzen voll Pathos und ethischen Schwunges war. Das erhebende Schauspiel einer nur dem Gebote des Wahren und Guten hingegebenen Wissenschaft wurde den Menschen erst im Zeitalter der Aufklärung zu Theil. Hoffen wir, dass es sich nie wieder vergisst. Unter Ludwig XIV. waren natürlich die Geistlichen, als die Vermittler beider Welten, diejenigen, welche das dem Ganzen entsprechende Geschichtssystem in Pflege und Aus bildung nahmen. Die ludovicianisclie Hof- und Staats-Geschicht schreibung ist durchaus hoch gestimmt, loyal, christlich, wohl redend, vornehm. Wir finden einen Universalhistoriker, wie Bossuet, dessen Discours das grösste Meisterwerk classicistischer Prosa und in vieler Hinsicht das Vorbild Montesquieu’s, Vol- taire’s u. A. darstellt. Besonders enthält der dritte Abschnitt geistvolle Analysen und Reflexionen, die unübertroffen da stehen. 1 Wir finden einen Nationalhistoriker, wie den Jesuiten Daniel, einen namentlich von Voltaire viel geschmähten Mann, von dessen französischer Geschichte heute, im Zeitalter der Republik, in der wissenschaftlichsten historischen Zeitschrift des Landes gesagt wird, dass sie nicht nur alle Vorgängerinnen, sondern auch die meisten ihrer Nachfolgerinnen weit über- 1 Lobrede bei Nisard, Histoire de la littdrature fran?aise XII, 294 ff.