Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 72. Band, (Jahrgang 1872)

Des Beatus Rhenanus literarische Thätigheil. 
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dagegen, was Erasmus hätte werden, was er hätte thun können 
und was er wirklich that. Durch den Kaiser hätte er Alles 
werden, durch die Fürsten in Pracht und Glanz leben können, 
doch habe er es vorgezogen, rastlos der Wissenschaft zu dienen 
und so sei durch seine Bemühungen, wie die Sonne aus den 
Wolken geht, die •— Philologie emporgestiegen. — Der Schluss 
der Biographie wendet sich wieder an den Kaiser und fordert 
ihn auf, seiner Pflicht eingedenk und wie seine Vorgänger 
wie schon der zweite 1 Kaiser Borns Octauian u. A. der Wissen 
schaft ein Gönner zu sein, der Wissenschaft, ohne die eine 
schauderhafte Finsterniss Alles bedecken würde und die Men 
schen von den Bestien (a brutis animantibus) nicht zu unter 
scheiden wären. 
Hat nun auch diese Biographie das nicht gehalten, was 
wir uns von dem genauesten Freunde des Erasmus, was wir 
uns von dem Verfasser der deutschen Geschichte erwarteten, 
so dürfen wir doch deshalb nicht unbillig werden. Die Kunst 
der Biographik ist schwierig und nicht Jedem gegeben. Sie 
erfordert eine grosse Geschicklichkeit im Charakterisiren und 
Gruppiren, tiefes psychologisches Verständniss, geschärften Blick 
für alle Eigenthümlichkeiten und Besonderheiten, Virtuosität 
im Auffinden dos Bezeichnenden und im Ausscheiden des Un 
wichtigen. — Alles das ist nicht die Sache jener Zeiten, jener 
Männer. Begränzt ist der Kreis ihrer Muster, an die sie sich 
in Form und Darstellung anschliessen. So entstehen jene 
biographischen Persönlichkeiten ohne Hintergrund, ohne Körper. 
Reich behängt mit dem Flitterschmucke panegyrischer Super 
lative schreiten sie Alle einher, Einer dem Andern gleichend. 
— Dadurch entsteht jene trostlose Uniformität, bei der die 
individuelle Besonderheit sich verbirgt oder gänzlich ver 
schwindet. 
Aber namentlich bei Rhenanus dürfen wir nicht unbillig 
werden; jetzt am Schlüsse meiner Aufsätze liegt mir daran, 
den erfreulichen Eindruck, den dieses Mannes Leben und 
Wirken gemacht, nicht zu stören. Fragen wir uns lieber: 
worin lag des seltenen Mannes Bedeutung? Ich meine nicht 
zu irren, wenn ich sie in der aller Tendenz entbehrenden, 
1 Als Erster wird Julius Cäsar angesetzt, ein Fehler, den — irre ich nicht — 
auch Wimpfeling macht.
	        
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