Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 142. Band, (Jahrgang 1900)

Lehre vom Error qualitatis redundans in personam und vom Error conditionis. 29 
geben konnte, denn sonst hätte die Lex Yisigothorum nicht 
zulassen können, dass mit Zustimmung des Herrn die Freie 
in der Ehe mit dem Unfreien hleiht. Dass nach deutscher 
Rechtsanschauung in der Unfreiheit ein unabwendbares Ge 
schick, aber nichts gelegen war, dessen sich der Unfreie zu 
schämen hatte, ergibt sich auch aus den mannigfachen Zwi 
schenstufen, die vom völlig Unfreien zum Vollfreien führten, 
und daraus, dass der Unfreie zu hohen Aemtern und Würden 
gelangen konnte. Es standen endlich selbst Frau und Kinder 
zu ihren Gewalthabern in einem Verhältnisse, das dem Eigen- 
thume mindestens sehr nahe kam. 
Das Capitulare von Vermerie nach 758, c. 6 (Capitularia I, 
p. 40) handelt in seiner echten Fassung nicht blos vom error 
conditionis, sondern vielmehr von der nach der Eheschliessung 
eingetretenen Verknechtung. Auch da traf den freien Theil 
von Rechtswegen der Verlust der Freiheit, falls er es nicht 
vorzog, von der Ehe zurückzutreten. Dieses Recht zur Auf 
lösung der Ehe stand ihm selbst dann zu, wenn sich der an 
dere Gatte mit seiner Zustimmung aus Noth selbst in die 
Knechtschaft verkauft hatte, nur mussten dann beide Gatten 
Busse thun. Die fränkische Kirche anerkannte somit den 
Grundsatz, dass eine noch so unverschuldete Verungleichung 1 
der Ehe das Recht zum Rücktritte gibt. Umgekehrt kann auch 
nicht Verschulden, etwa Selbsterniedrigung des freien Theiles, 
der Grund und die Ursache gewesen sein, jenes Recht zu ver 
lieren. Anders verhält es sich mit der Freien, die ihren eigenen 
Sclaven heiratet. Während die Freie, die mit einem fremden 
Sclaven eine Ehe eingeht, in die Gewalt eines fremden Herrn, 
aber eines Freien, kommt, macht jene einen Unfreien, dessen 
Herrin sie wäre, selbst zu ihrem Herrn. Sie stellt dadurch 
die ganze Rechtsordnung auf den Kopf. 
Im Decretum Gratiani hat der error conditionis eine grund 
verschiedene Bedeutung gewonnen. Der Vorläufer Gratians 
1 Diese entstand auch durch Freilassung eines unfreien Gatten; dann trat 
dasselbe Verhältniss ein, wie wenn die ungleiche Ehe mit Zustimmung 
des Herrn eingegangen wurde; Rücktritt war ausgeschlossen. So be 
stimmt ausdrücklich ein Capitel: Si servüm et ancillam... non solvendum 
in Bonizo VIII, 27 und in Summa sent. VII, 14 (Migne 176, col. 166), 
wo es einem Mainzer Concil zugeschrieben ist.
	        
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