Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 142. Band, (Jahrgang 1900)

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II. Abhandlung: Th an er. 
Die zweite Frage 1 betrifft den Fall, dass die Frau den 
ihr persönlich bekannten Petrus heiratet in der irrigen 
Meinung, es sei ein Freier; er ist von dem oben dargelegten 
der Quaest. 1 wesentlich verschieden. Die Quaest. 1 führt zur 
Formel: Volo Johannem ergo hunc; hier dagegen ist die Frage 
aufgeworfen, ob man sagen dürfe: Volo hunc ergo servum. In 
dieser Formulierung der Frage wäre eigentlich schon die Ant 
wort gegeben. 
In dem Vortrage über die Persönlichkeit in der Ehe 
schliessung behauptete ich S. 37, dass wir in der Beantwortung 
der Frage einen der Compromisse zwischen Idealismus und 
Realismus zu sehen haben, die die Kirche öfters eingegangen 
ist, um ihrer Machtstellung nichts zu vergeben. 
Den error conditionis kennt auch das deutsche Recht: 
Lex Visigoth. III 2, 7; IX 1, 14 (ed. K. Zeumer, Hannover 
1894), Lex Fris. tit. 6, darin liegt also der Gegensatz nicht, 
der von der Kirche auszugleichen gewesen wäre. Allein das 
deutsche Recht geht bei Ehen zwischen Freien und Unfreien 
vom Verhältniss des Unfreien zum Herrn aus. Da der Unfreie 
im Eigenthume des Herrn steht, kann der Freie mit dem Un 
genossen keine Ehe, wenigstens keine vollgiltige Ehe 2 eingehen; 
er muss dem Gatten in die Unfreiheit folgen, weil sonst das 
Recht des Herrn beeinträchtigt wäre und weder die Freie 
noch die Unfreie zwei Herren dienen kann. Nur wenn der 
Dominus einverstanden ist, kann der freie Theil und seine 
Nachkommenschaft die Freiheit behalten. Auf diesem Stand 
punkte stehen im Wesentlichen auch die fränkischen Concilien 
(Capitularien) von Compiegne und Vermerie und die Dingol- 
finger Synode (Decreta Tassilonis c. 18). Es war nicht die 
macula servilis der Grund, warum es keine ungleichen Ehen 
1 Ueber den error conditionis vgl. Freisen, Geschichte des canon. Ehe 
rechtes, §.27. 
2 Wenn die Ehe nach deutschem Beeilt, wie Freisen S. 110 meint, ein 
natürliches Verhältniss ist und nicht ein Eechtsverhältniss, so ist es nur 
ein Wortstreit, ob man die Verbindung- zweier Unfreien Ehe nennen 
will oder nicht. Meines Erachtens sieht das deutsche Beeilt darin eine 
Verbindung, die Mann und Weib gegenseitig dieselben Eechte und 
Pflichten zuweist wie andere Ehe. Das Verkaufsrecht des Herrn konnte 
aber wie eine Vis major störend in das Eheleben eingreifen, und die 
Kinder gehörten gleich den Eltern dem Herrn.
	        
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