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II. Abhandlung: Th an er.
in der Frage der Unfreiheit war Ivo von Chartres. Darauf
hingewiesen zu haben, hat A. Esmein das Verdienst. Bevor
ich auf das Decret Gratians eingehe, sind also die Ansichten
Ivo’s zu erörtern, umsomehr als ich darin in einigen Stücken
von Esmein abweiche. 1
Ivo von Chartres vertrat, den Worten des Apostels Paulus
folgend, die Idee der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Er wurde vom Bischof von Orleans um Rath angegangen, wie
er sich die Anwendung derselben auf die ungleiche Ehe denke.
Ivo sah sich den decreta patrum und leges saeculi gegenüber
vor eine unlösbare Frage gestellt, denn die Gleichheit in der
Ehe war nur auf zwei Wegen herzustellen: entweder durch
Wegnahme der Freiheit, oder durch Beseitigung der Unfreiheit.
Den ersten Weg hat zu Gunsten der Herrengewalt das natio
nale Recht eingeschlagen, für Ivo war er natürlich verschlossen;
zu dem zweiten, Aufhebung der Leibeigenschaft, fehlte dem
Bischöfe die Macht. Er hätte also die Lösung der Frage ab
lehnen und es dem Gewohnheitsrechte überlassen sollen, Wandel
zu schaffen, denn es gab schon damals Gegenden, in denen
wenigstens der freie Theil seine Freiheit bewahrte. Aber Ivo
war zu sehr Theoretiker, um sich abschrecken zu lassen. Er
setzte sich zuerst für die Freiheit in der Weise ein, dass er
ihr die Ehe opferte; damit der Freie dem Unfreien nicht zu
folgen brauche, schuf er für ihn eine Ehe, die keine mehr war.
Als dies vom Bischof von Evreux beanstandet wurde, suchte
er dem freien Theile die Freiheit wenigstens dann zu retten,
wenn die ungleiche Ehe unbeabsichtigt, in Folge Betruges,
eingegangen worden war; in diesem Falle opferte er gleichfalls
der Freiheit die Ehe, und so vollständig, dass er sie für nichtig
erklärte. Damit war Ivo, was die praktische Seite der An
gelegenheit betraf, nach kühnem Fluge auf dem Standpunkte
der decreta patrum et leges saeculi, d. i. des fränkischen
Reichskirchenrechtes vom 8. Jahrhundert angelangt; indem er
die Rückgewinnung der Freiheit auf den Fall des Betruges
1 Ich bin der Ansicht, dass der französische Bischof nicht sowohl für die
Unauflöslichkeit der Ehe, als in favorem libersatis gesprochen hat. Ivo
von Chartres und Abälard konnten sich die Hand reichen, jener als
Wortführer der persönlichen Freiheit, dieser als Vertlieidiger der freien
Vernunft.