Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 95. Band, (Jahrgang 1879)

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Mayr. 
Wir berühren damit ein Thema, welches zu Voltaire’s 
Tagen den Reiz der Neuheit besass. Wie weit Montesquieu, 
der es in Schwung brachte, hiebei seinen Vorgängern ver 
pflichtet war, ist denn doch am Ende eine sein' untergeordnete 
Frage. Das wussten schon die Gelehrten des achtzehnten Jahr 
hunderts, welche Wichtigkeit das Altertluim den Einwirkungen 
des Klimas beigelegt hat; auch das Andenken des halb ver 
schollenen Bodin wurde bei der Gelegenheit wieder aufgefrischt. 1 
Thatsache ist, dass erst seit Montesquieu besagtes Thema in 
der Socialwissenschaft dauernde Pflege gefunden hat. An Montes 
quieu knüpfen auch die Erörterungen Voltaire’s unmittelbar 
an. Wie immer, tritt er allen Extravaganzen und Paradoxien 
entgegen. 
Ohne Zweifel hat nach Voltaire’s Ansicht das Klima Ein 
fluss auf Geist und Sitten der Menschen, aber einen vielmal 
geringeren, als Staat und Religion. Läge Alles am Klima, wie 
wäre es dann möglich, dass die Aegypter, von deren kriege 
rischem Wesen die Geschichte erzählt, heute weichlich und feige 
geworden sind? Warum gibt es dann in Hellas keinen Ana- 
kreon, Aristoteles oder Zeuxis mehr? Warum hat Rom statt 
seiner Ciceros und Catos heute nur mehr mundtodte Bürger 
und verthierte Bettler, deren höchstes Glück darin besteht, Pro- 
cessionen anzugaffen? Der Himmel Londons ist so neblig, wie 
zu Cäsars Zeiten, und doch welcher Unterschied der Verhält 
nisse! Das Klima beeinflusst ohne Zweifel die Religionen, was 
die Ceremonien und Gebräuche anbelangt: das Dogma, der 
Glaube, überhaupt das Geistige an den Religionen ist vom 
Klima unabhängig. Die Veränderungen, die da stattfinden, 
werden von anderen Ursachen hervorgerufen, von der Erziehung, 
vom Wechsel der Meinungen, der Regierungsformen u. s. w. 2 
Es gibt auch kein Land der Erde, wo Vermögen und Rechte 
der Bürger von Wärme oder Kälte abhängig wären. Das Klima 
1 D’auteur de l’esprit des lois, Sans citer personne, poussa cette idee plus 
loin que Dubos, Chardin et Kodin (auch Fontanelle und Diodor von 
Sieilien nennt er früher). Unc certaine partie de la nation l’en crut 
l'inventeur et lni en fait un crime. (Art. Climat.) 
2 Art. Climat. — Coinmentaire sur l’esprit des lois (1777). Du climat. — 
Ueber die wechselseitige Angemessenheit von Klima,. Flora, Fauna und 
Bevölkerung vgl. Histoire de Jenni, c. 9.
	        
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