Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 95. Band, (Jahrgang 1879)

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Mayr. 
vorausgesetzt dass dem Fanatismus kein Spielraum gewährt 
werde. 1 Denn unter den beiden Uebeln, Fanatismus oder 
Atheismus, ist das erstere das schlimmere. Gerade aus den 
Wirren des religiösen Meinungskampfes entstand ehedem der 
Atheismus. Die wahre Philosophie, die Moral, das Interesse 
der Gesellschaft haben ihn wieder verschwinden lassen. 2 
Voltaire vertheidigt demnach die Religion gegen den 
religionslosen Atheismus, sowie er seine natürliche Religion 
gegen die künstlichen (,artificielle‘), die positiven oder hi 
storischen Religionen zeitlebens verfochten hat. Eine Religion 
in seinem Sinne, eine Religion, die minder schlecht wäre, 
als alle bestehenden, müsste auf folgende Punkte Gewicht 
legen: sie müsste die Anbetung eines einigen, höchsten Wesens, 
Schöpfers und Erhalters, Vergelters und Rächers lehren; an 
die Stelle aller bestreitbaren Dogmen die unbestreitbare Moral 
setzen; sich alles eitlen Ceremoniells entschlagen; die Nächsten 
liebe um Gottes willen und die echte Toleranz zum Grundsatz 
erheben; daneben könnte sie erhabene Ceremonien ausüben, 
welche die Masse frappiren, ohne die Weisen und Ungläubigen 
zu irritiren, sowie auch ihren Dienern einen ausreichenden 
Unterhalt sichern, ohne sie dem Wohlleben oder Müssiggange 
anheimzugeben. 3 Gegen eine solche Religion hatte Voltaire 
geur, soit profondement gravee dans les esprits (Atlieisme, IV). Philosophez 
tant qu’il vous plaira entre vous . . Si vous avez une bourgade i gou- 
verner, il faut qu’elle ait nne religion. (Art. Religion, I.) 
1 II est indubitable que, dans une ville policee, il est infiniment plus utile 
d’avoir une religion, mime mauvaise, que de n’en avoir point du tout. 
(Art. Atheisme, S. IV.) 
2 Essai, 136. 
3 Art. Religion, I und III, 5 mo question: Apres notre sainte religion, qui 
sans doute est la seule bonne, quelle serait la moins mauvaise? Ne 
serait-ce pas la plus simple? ne serait-ce pas celle qui enseignerait 
beaucoup de morale et tres-peu de dogmes? eelle qui tendrait ii rendre 
les honimes justes, saus les rendre absurdes? . . Ne serait-ce point celle 
qui ne soutiendrait pas sa creance par des bourreaux, et qui n’inonderait 
pas la terre de sang pour des sophismes inintelligibles? celle dans la- 
quelle une equivoque, un jeu des mots et deux ou trois chartes supposees 
ne feraient pas un souverain et un dien d’un pretre souvent ineestueux, 
homicide et empoisonneur ? celle qui ne soumettrait pas les rois ä ce
	        
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