Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 88. Band, (Jahrgang 1877)

Friedrich Christoph Schlosser. 
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noch nicht der leiseste Versuch einer Verständigung gemacht 
worden ist und es den Anschein hat, als ob ein literarisches 
Bedürfniss für eine solche gar nicht vorhanden wäre? Ist es 
nicht ein Beweis der fortdauernden Zerfahrenheit der wissen 
schaftlichen Bestrebungen und Zielpunkte, wenn hier Schlosser, 
dort der gleichaltrige Niebuhr hundert Jahre nach ihrer Geburt 
einen gesicherten Standplatz in der Wissenschaft entbehren? 
Von Schlosser konnte versichert werden, dass er den ersten 
Anforderungen, welche an einen Historiker zu stellen wären, 
nicht genügt und dass er nichts für die Ermittlung der Wahr 
heit zu leisten vermocht hätte. 1 Und wenn Gervinus glaubte, 
er könnte den Deutschen umgekehrt in der Schlosser’schen Ge 
schichtschreibung ein Normalmaass für alle zukünftige Histo 
rik aufdrängen, so blieb dies — man muss sagen glücklicher 
weise — ein fast vereinzelter Versuch, ein kühnes Abenteuer. 
Ein schönes und verständiges Wort war es aber, welches 
Löbell sagte, nachdem er der leidenschaftlichsten Verurtheilung 
selbst die Zügel schiessen lassen: ,Die Perioden des falschen 
Ruhmes und der unbegründeten Geringschätzung müssen ab 
gelaufen sein, um der rechten Kritik Raum zu verschaffen. So 
wird auch die Anerkennung des Verdienstes, welches sieh 
Schlosser um die historischen Studien in Deutschland wirklich 
erworben hat, in seinen rechten Grenzen erst dann Statt finden, 
wenn die übertriebenen Vorstellungen von seiner Bedeutung 
windet sicli mühsam von den ästhetisirenden Gesichtspunkten Humboldt’s 
los und steckt überall in der apriorischen Philosophie, die er aber ver 
wirft, tief drin. Im Jahre 1844 hat Wuttke in dem ,Grenzboten 1 
Nr. 18 einen wenig unterrichtenden Artikel über Schlosser geschrieben, 
zu dessen Verurtheilung damals auch Buchhändlerspeculationen in ab 
scheulichster Weise mitwirkten. 
1 Als nach dem Tode Schlosser’s Gervinus seinen Nekrolog, Leipzig 1862, 
veröffentlichte, in welchem ohne tieferes Eingehen auf die Principien- 
fragen eine weit über ein billiges Maass binausgehende Vergleichung 
zwischen Schlosser und Ranke in der Art geliefert wurde, als hätte die 
heutige Geschichtschreibung nichts Anderes zu thun, als in den Bahnen 
Schlosser’s fortzuwandeln, antwortete Löbell, leider anonym, wodurch 
die Gehässigkeit des Streites noch mehr hervortrat. Briefe über den 
Nekrolog F. Chr. Schlosser’s von G. G. Gervinus. Die bezeichnete Ver 
urtheilung besonders im neunten Brief S. 33 ff. Einen ruhigeren Artikel 
lieferte dagegen Haym im Preuss. Jahrb. IX. 4. 1862 April.
	        
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