Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 88. Band, (Jahrgang 1877)

Friedrich Christoph Schlosser. 
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der Vergangenheit gleichmässig sichergestellt ist. Wie wenn 
der einzelne Mensch von der verzweifelnden Befürchtung be 
fallen würde, dass ihm sein eigenes Gedächtniss nichts als 
Lüge und Täuschungen vorspiegelt, so müsste einer Nation 
wahrlich ihre eigene Geschichte verhasst werden, wenn ihr 
dieselbe nur als ein Chaos widersprechendster Auffassungen 
entgegenträte, in welchem kein einziger sicherer Punkt der 
Ueberlieferung wäre. Wenn wir nun aber auch durch gewisse 
grosse Marksteine der Entwicklung sowohl in der allgemeinen wie 
speciell in der deutschen Geschichte vor einer solchen äussersten 
Verwirrung und Verzweiflung an geschichtlicher Wahrheit 
wenigstens der Hauptsache nach bewahrt zu sein scheinen, so 
muss man es doch gestehen, dass wir auch heute eigentlich kein 
durchgreifendes Princip, keine anerkannte historiographische 
Richtung, ja nicht einmal einen historischen Stil von einiger 
Gleiehmässigkeit, und was das Bedenklichste zu sein scheint, 
von Jahr zu Jahr weniger Neigung besitzen, uns über Dinge 
dieser Art zu verständigen oder auch nur ernsthafter zu unter 
halten. 
Unter den zahlreichen Kunstanstalten von Paris findet 
sich eine speciell für die Contiuuität der französischen Malerei 
höchst merkwürdige Sammlung, in welcher die Preisbilder der 
französischen Akademie in Rom seit dem Jahre 1721 aufbewahrt 
werden, eine Reihe von Gemälden, welche bei der grössten 
Mannigfaltigkeit eine wunderbare Gleichheit der künstlerischen 
Tradition erkennen lassen; man würde jedes für sich sofort als 
Bild der französischen Schule erkennen. Ich weiss nicht, ob 
man diesen selben Charakter nicht auch in der französischen 
Geschichtschreibung nachzuweisen vermöchte; soviel aber ist 
gewiss, dass unsere deutsche Geschichtsliteratur das gerade 
Gegentheil einer solchen nationalen Tradition darbietet: die 
höchste Individualisirung in Betreff der politischen und histo 
rischen Auffassung, der wissenschaftlichen Aufgaben, des Stils 
und der Darstellung. Jeder deutsche Geschichtschreiber steht 
äusserst vereinzelt und einsam wie ein besonderes Problem da, 
und es gehört fast immer zu den grössten Schwierigkeiten, 
seine Stellung in dem grösseren Zusammenhänge der Wissen 
schaft zu bezeichnen, die Beziehungen aufzufinden, die er zu 
anderen Geschichtschreibern vor und nach ihm, zu anderen
	        
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