Ignaz ßeidtel. Zur Geschichte der Feudal-Verfassung etc. 92S
Zur Geschichte der Feudal- Verfassung in den deutschen
Provinzen der österreichischen Monarchie unter der Re
gierung Kaiser Joseph's II.
Von dem c. M., Hrn. Obcrlandesgcriclitsrath Beidtel.
Kaiser Joseph II. war bei seiner Vorliebe für alle neueren Ideen
kein Freund des Feudalsystems. Er erwartete von seinem Erlöschen
eine Erweiterung der Regentengewalt, eine glücklichere Stellung der
grossen Volksmassen und das Aufhören der schroffen Provinzialver-
schiedenheifen. Unter seiner Regierung (1780—1790) geschahen da
her entscheidende Schritte, um in Beziehung auf die Herrschaftsbesitzer
und ihre Unterthanen das Feudalsystem zur Auflösung zu bringen.
Schon im ersten Jahre seiner Regierung (1. September 1781)
ergingen zwei wichtige Patente für die böhmisch - österreichischen
1 rovinzen, nämlich das sogenannte Unterthans- und das sogenannte
Strafpatent.
Das Unterthanspatent war ein weitläufiges und wohl erwogenes
Gesetz. Seine wichtigeren Restimmungen setzten fest dass, wenn der
Unterthan an seine Herrschaft eine Forderung stellen wolle, er sich
zuerst bei dieser melden und eine gewisse Zeit auf die schriftliche
Antwort warten soll. Erfolgte diese nicht oder wäre sie unbefriedigend,
so sollte sich der Bauer mit seiner Forderung an das Kreisamt wen
den, und dieses nach sorgfältiger Erhebung der Umstände, wofern
ein Grund zur Beschwerde da sei, einen Vergleich versuchen, wenn
aber keiner zu Stande kommt, sollte das Kreisamt, wenn der Gegen
stand den administrativen Wirkungskreis berühre, mit Vorbehalt der
höheren Berufung entscheiden; dagegen wenn der Gegenstand zur
Competenz der Justizstellen gehöre, dem Fiscalamte die sämmtlichen
Behelfe des Unterthans mittheilen, damit dieses bei seiner Gerichts
instanz den Process gegen die Herrschaft beginne und ordnungsmässig
fortführe, es wäre denn, dass es mit Darlegung der Gründe, aus
denen es im Rechtswege nicht aufkommen könne, durch seine Ober
behörde von der Vertretung losgezählt würde.
Offenbar war es durch dieses Gesetz dem Bauer leicht gemacht,
mit Forderungen gegen seine Herrschaft aufzutreten.
Der Bauer wurde, selbst wenn er Unrecht hatte, sehr schonend
behandelt und da die Processführung für ihn ohne Kosten war, der