Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 9. Band, (Jahrgang 1852)

Ignaz ßeidtel. Zur Geschichte der Feudal-Verfassung etc. 92S 
Zur Geschichte der Feudal- Verfassung in den deutschen 
Provinzen der österreichischen Monarchie unter der Re 
gierung Kaiser Joseph's II. 
Von dem c. M., Hrn. Obcrlandesgcriclitsrath Beidtel. 
Kaiser Joseph II. war bei seiner Vorliebe für alle neueren Ideen 
kein Freund des Feudalsystems. Er erwartete von seinem Erlöschen 
eine Erweiterung der Regentengewalt, eine glücklichere Stellung der 
grossen Volksmassen und das Aufhören der schroffen Provinzialver- 
schiedenheifen. Unter seiner Regierung (1780—1790) geschahen da 
her entscheidende Schritte, um in Beziehung auf die Herrschaftsbesitzer 
und ihre Unterthanen das Feudalsystem zur Auflösung zu bringen. 
Schon im ersten Jahre seiner Regierung (1. September 1781) 
ergingen zwei wichtige Patente für die böhmisch - österreichischen 
1 rovinzen, nämlich das sogenannte Unterthans- und das sogenannte 
Strafpatent. 
Das Unterthanspatent war ein weitläufiges und wohl erwogenes 
Gesetz. Seine wichtigeren Restimmungen setzten fest dass, wenn der 
Unterthan an seine Herrschaft eine Forderung stellen wolle, er sich 
zuerst bei dieser melden und eine gewisse Zeit auf die schriftliche 
Antwort warten soll. Erfolgte diese nicht oder wäre sie unbefriedigend, 
so sollte sich der Bauer mit seiner Forderung an das Kreisamt wen 
den, und dieses nach sorgfältiger Erhebung der Umstände, wofern 
ein Grund zur Beschwerde da sei, einen Vergleich versuchen, wenn 
aber keiner zu Stande kommt, sollte das Kreisamt, wenn der Gegen 
stand den administrativen Wirkungskreis berühre, mit Vorbehalt der 
höheren Berufung entscheiden; dagegen wenn der Gegenstand zur 
Competenz der Justizstellen gehöre, dem Fiscalamte die sämmtlichen 
Behelfe des Unterthans mittheilen, damit dieses bei seiner Gerichts 
instanz den Process gegen die Herrschaft beginne und ordnungsmässig 
fortführe, es wäre denn, dass es mit Darlegung der Gründe, aus 
denen es im Rechtswege nicht aufkommen könne, durch seine Ober 
behörde von der Vertretung losgezählt würde. 
Offenbar war es durch dieses Gesetz dem Bauer leicht gemacht, 
mit Forderungen gegen seine Herrschaft aufzutreten. 
Der Bauer wurde, selbst wenn er Unrecht hatte, sehr schonend 
behandelt und da die Processführung für ihn ohne Kosten war, der
	        
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