Abhandlungen aus dem Gebiete der slavisclien Geschichte. IV.
911
immer massgebender hervortrat. Man hatte bemei'kt, dass
die Erwerbung Brandenburgs durch Kaiser Karl das Vor
rücken der Polen nach Niederdeutschland aufgehalten habe;
man calculirte später in Böhmen, ob man nicht den Markgrafen
von Brandenburg zum Könige machen solle, und meinte, es
würden dann auch Preussen und die Lausitz an Böhmen ge
langen und letzteres ein Ansehen gewinnen wie zu Kaiser
Karls IV. Zeiten. Als die früheren grossen Centren der slavi-
schen Geschichte, die das Leben der Peripherie bedingt hatten,
einstürzten, das romäische Kaiserreich nicht minder und unter
dem Schutze der Osmanen die Gräcisirung der slavischen
Kirche begann, das magyarische Centrum sich den neuen
Verhältnissen nicht gewachsen zeigte, nahm die Aera wechseln
der politischer Combinationen und vorübergehender Staaten
vereinigungen, dieser Meteore, die da kamen und gingen, eine
andere Richtung. In Deutschland verfolgte das Haus Ilolien-
zollern mit wunderbarer Consequenz seinen Plan, sich im
Innern auszubreiten; das Haus Habsburg sich zur europäischen
Hauptmacht zu erschwingen, im Osten Ungarn und Böhmen
sich eigen zu machen und darauf die Kaiserkrone zu stützen.
Die im XV. Jahrhundert begonnenen Staatenverbindungen
setzen sich dann im XVI. in eigenthümlicher Weise fort, und
zwar erscheinen jetzt auf einmal Polen und Schweden durch
das gleiche Regentenhaus mit einander verbunden (1587).
Wie gewöhnlich wollten auch jetzt die Slaven nicht das Ein
fachste und Natürlichste. Die Polen verschmähten die Ver
bindung mit Oesterreich, als der Erzherzog Maximilian bereits
von einer Partei zum Könige von Polen gewählt worden war,
und freuten sich der glänzenden Zukunft, die ihnen die Ver
einigung der Kronen von Polen und Schweden durch Sig
mund III. verhiess. Da trat der ganze protestantische Hass
des einen Zweiges des Hauses Wasa gegen den katholischen
dazwischen, Sigmund wurde als König von Schweden entthront
(1602), die Einsetzung des Dimitri Rurik als Czar von Russ
land misslang, und nun befand sich das katholische Polen, inner
lich von Factiouen zerrüttet, wie zwischen zwei Mühlsteinen,
der russisch-schismatischen Macht im Osten, der schwedisch
protestantischen im Norden, die im Wasa Gustav Adolf, im
Wittelsbacher Karl XII. ihre kriegerische Verkörperung erlangte.