SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
SIEBENUNDNEUNZIGSTER BAND.
WIEN, 1881.
IN COMMISSION BEI CARL GEROLD’S SOHN
BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
SIEBENUNDNEUNZIGSTER BAND.
JAHRGANG 1880. — HEFT IV—VI.
(Mit 3 Tafeln und 35 Abbildungen im Texte.)
AVIEN, 1881.
IN COMMISSION BEI CARL GEROLD’S SOHN
BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
300122
Druck von Adolf Holzliausen,
k. k. Hof- und Universitäts-Buchdrucker in Wien.
I N H A L T.
Seite
XIV. Sitzung vom 2. Juni 1880 1
XV. Sitzung vom 9. Juni 1880 5
Kaltenbrunner: Beiträge zur Geschichte der Gregoriani
schen Kalenderreform. I. Die Commission unter Gregor XIII.
nach Handschriften der Vaticanischen Bibliothek. ... 7
Löwenfeld: Papsturkunden in Italien 55
, Sauer: Ueber die Ramlerischc Bearbeitung der Gedichte
E. C. v. Kleists 69
XVI. Sitzung vom IG. Juni 1880 192
XVII. Sitzung vom 30. Juni 1880 «... 105
t Heinzel: Beschreibung der isländischen Saga 107
XVIII. Sitzung vom 7. Juli 1880 309
Toischer: Ueber die Alexandreis Ulrichs von Escheubach . 311
XIX. Sitzung vom 14. Juli 1880 409
Pfizmaier: Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui 411
Hoernes: Alterthümer derHercegovina. (Mit34Abbildungen.) 491
L am bei: Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
(Mit 1 Tafel.) 613
XX. Sitzung vom 6. October 1880 . 625
Pfizmaier: Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui 627
XXI. Sitzung vom 13. October 1880 707
XXII. Sitzung’ vom 20. October 1880 ‘09
Bü ding er: Die ueuentdeckten Inschriften über Cyrus, eine
kritische Untersuchung 711
XXIII. Sitzung vom 3. November 1880 726
XXIV. Sitzung vom 10. November 1880 729
Zingerle: Zu den Persius-Scholien 731
Petschenig: Zur Kritik und Würdigung der Passio sancto-
rum quatuor coronatorum 761
Seite
XXV. Sitzung: vom 17. November 1880 780
Schönbach: Mittheilungen ans altdeutschen Handschriften.
Drittes Stück: Neue Fragmente des Gedichtes über die
Zerstörung von Accon 783
XXVI. Sitzung vom 1. December 1880 793
Ilöfler: Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Ge*
schichte. IV. . . 797
XXVHI. Sitzung vom 15. December 1880 913
I Büdingen Apollinaris Sidonius als Politiker, eine universal
historische Studie 915
'Müller D. H.: Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach
dem Iklil des Hamdani. II. (Mit 2 Tafeln und 1 Abbildung
im Texte) . 955
XIV. SITZUNG VOM 2. JUNI 1880.
Für die akademische Bibliothek wurden, von Zuschriften
begleitet, folgende Schriftwerke eingesendet:
1. ,Die geographische Erforschung des afrikanischen Con-
tinentes von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage' (2. Auf
lage) von Herrn Gymnasialprofessor Dr. Ph. Paulitschke
in Znaim.
2. ,Topographie von Niederösterreich', II. Band, 7. Heft,
von Herrn Hofrath M. A. Becker in Wien.
3. ,Panorama des Leopoldsberg, des Hermannskogel bei
Wien und des Hochschwab' vom österreichischen Touristenclub.
4. ,Religion und Politik 1 von Herrn L. R. Landau in
Budapest.
Der Obmann der Weisthümer-Commission legt den er
schienenen vierten Band der Oesterreichischen Weisthümer,
enthaltend die tirolischen Taidinge aus dem Vinstgau, be
arbeitet von Dr. J. V. Zingerle und D. Th. von Inama-
Sternegg, vor.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft.
1
2
Herr Leonhard Böhm, emerit. Bürgermeister in Ungarisch-
Weisskirchen, überschickt eine Abhandlung unter dem Titel:
Beschreibung der am linken Donau-Ufer von Pancsova bis
Orsova befindlichen Alterthümer' und ersucht um Veröffent
lichung derselben in den akademischen Schriften.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
zugewiesen. -
Mit dem Ansuchen um ihre Aufnahme in das ,Archiv für
österreichische Geschichte' werden folgende Abhandlungen vor
gelegt :
1. ,Beiträge zur Geschichte der landesfürstlichen Rüst-
und Kunstkammer, sowie des landesfürstlichen Zeughauses in
Graz' von Herrn Dr. F. Pichler, a. o. Professor an der Grazer
Universität.
2. ,Die Vereinigung der serbischen Metropolien von Bel
grad und Karlowitz im Jahre 1731.' Nach archivalischen
Quellen dargestellt von Dr. J. Id. Schwicker, k. ung. Gym
nasialprofessor in Budapest.
3. ,Beiträge zur Geschichte des Erzbisthums Salzburg. II.‘
Ueber ein Formelbuch aus der Zeit des Erzbischofs Friedrich III.
(1315—1338) von Herrn Dr. F. M. Mayer, Docenten an der
Grazer Universität.
Vorstehende drei Abhandlungen werden der historischen
Commission übergeben.
Von dem w. M. Herrn Hofrath Sickel wird eine Ab
handlung : ,Pabsturkunden in Italien, ein Nachtrag' von Herrn
Dr. Löwenfeld in Paris, vorgelegt.
. Die Abhandlung wird einer Commission übergeben.
Das w. M. Herr Professor Dr. Heinzei legt eine text
kritische Untersuchung des Herrn Dr. A. Sauer in Lemberg
3
,Ueber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. von
Kleist' vor, mit dem Ersuchen des Verfassers um ihre Ver
öffentlichung in den Sitzungsberichten.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
überwiesen.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academy, the Connecticut of Arts and Sciences. Transactions. Vol. V, Part I.
New Haven, 1880; 8«.
Becker, M. A.: Topographie von Niederösterreich. 4. Heft. Wien, 1880; 4°.
Benedictiner-Orden: Wissenschaftliche Studien und Mittheilungen. I. Heft.
Maurus Kinter. Brünn, 1880; 8°.
Bern, Universität: Akademische Schriften vom Jahre 1879. 48 Stücke Folio,
4° und 8».
Erlangen, Universität: Akademische Schriften aus dem Jahre 1879. 39 Stücke
8° und 4°.
Gesellschaft, fürstlich Jablonowski’sche, zu Leipzig: Preisschriften. Nr. XIV
der historisch-nationalökonomischen Section. XXII. Dr. A. Brückner, Die
slavischen Ansiedelungen in der Altmark und im Magdeburgischen. Leipzig,
1879; 4».
— k. k. geographische, in Wien: Mittheilungen. Band XXIII. (N. F. XIII),
Nr. 4. Wien, 1880; 8“.
— Oberlausitzische, der Wissenschaften: Neues Lausitzisches Magazin.
XXV. Band, 2. Heft. Görlitz, 1879; 8 U .
Institution, the royal of Great Britain: Proceedings. Vol. IX. Parts 1 und 2,
Nrs. 70 und 71. London, 1879; 8°.
Landau, L. R.: Religion und Politik, nebst Nachtrag zur Sammlung kleiner
Schriften. Budapest, Leipzig, 1880; 8°.
Mittheilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter
mann. XXVI. Band, 1880, V. Gotha; 4°. — Ergänzungsheft Nr. 61.
Gotha; 4°.
Paulitschke, Philipp: Die geographische Erforschung des afrikanischen
Continents von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage. Wien, 1880; 8°.
,Revue politique et littdraire 1 et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger“. IX e Aunee, 2 e Serie. Nos. 46—48. Paris, 1880; 4°.
1*
4
Society, the American Oriental: Journal. X. Volume, Number 2. New Haven,
1880; 8°.
— the royal geographical: Proceedings and monthly Record of Geograpliy.
Vol. II, Nr. 5. Mai, 1880. London; 8°.
Touristenclub, österr.: Panorama vom Leopoldsberg bei Wien von C. Haas.
Wien. — Panorama vom Hermannskogel bei Wien von C. Haas. Wien.
— Panorama vom Hochschwab von Markus Pernhart. Wien.
Verein für Erdkunde zu Dresden. XVI. Jahresbericht. Wissenschaftlicher
Th eil. Dresden, 1879; 8°.
— militär-wissenschaftlicher: Organ. XX. Band, 6. und 7. Heft. 1880. Wien; 8 U .
XV. SITZUNG VOM 9. JUNI 1880.
Der Classe wird der Jahrgang 1879 der ,Uebersichten
über Production, Verkehr und Handel in der Weltwirtschaft'
von dem Herrn Regierungsrath und Professor Dr. F. X. von
Neumann-Spallart vorgelegt.
Herr Eduard Wertheimer, Professor an der Hermann
städter Rechtsakademie, übersendet die ,Correspondance des
Grafen Vergennes mit Ludwig XVI/ und ersucht um Auf
nahme derselben in die Schriften der Akademie.
Die Vorlage wird der historischen Commission zugewiesen.
Herr Johann Langer, k. k. Militär-Registraturs-Official
im Reichskriegsministerium, legt eine Abhandlung unter dem
Titel: ,Nordalbaniens und der Herzegowina Unterwerfungs-
Anerbieten an Oesterreich 1737—1739, nach officiellen Acten
der k. k. Archive verfasst' vor, und ersucht um Veröffent
lichung derselben in den akademischen Schriften.
Die Abhandlung geht gleichfalls an die historische Com
mission.
6
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Accademia, R. dei Lincei: Atti. Anno CCLXXVI. 1878—1879. Serie 3 ft .
Meinorie della Classe di scienze morali, storiehe e filologiche. Vol. III.
Roma, 1879; 4°.
Genootschap, Bataviaasch van Knusten en Wetenseliappen: Notulen van
de Algemeene en Bestuurs-Vergaderingen. Deel XVI. 1878. Nr. 3 en 4.
Batavia, 1879; 8°. — Deel XVII. 1879. Nr. 1. Batavia, 1879; 8.
Genootschap, Bataviaasch van Künsten en Wetenschappen: Tijdschrift
voor Indische Taal-, Land- en Volkenkunde. Deel. XXV. aflevering 2
und 3. Batavia,’s Hage, 1879; 8°. — Verhandelingen: Deel XL. Batavia,
1879; 4“.
Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Alterthums-und Volkskunde
von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften: Zeit
schrift. V. Bandes 1. Heft. Freiburg i. B., 1880; 8°.
— gelehrte esthnische zu Dorpat: Verhandlungen. X. Band, 2. Heft. Dorpat,
1880; 8°. — Sitzungsberichte 1879. Dorpat, 1880; 8°.
Helsingfors, Universität; Akademische Schriften pro 1878—1879; 8 Stücke
8° und 4°.
Instituut, koninklijk voor de Taal-, Land-'en Volkenkunde van Nederlandsch-
Indie: Bijdragen. IV. Volgreeks; 3. Deel. 1° und 2° Stuk. ’S Gravenhage,
1879; 8°. ■— Reizen naar Nederlandsch Nieuw-Guinea in de Jaren 1871,
1872, 1875—1876; door P. J. B. C. Robide van der Act. ’S Graven
hage, 1879; 4».
Jena, Universität: Akademische Schriften pro 1878—1879. 42 Stücke 8°und 4°.
Littre, E.: Etudes et Glanures pour faire suite ä l’histoire de la langue
francjaise. Paris, 1880; 8°.
,Revue politique et litteraire“ et ,Revue seientifique de la France et de
l’Etranger 1 . IX 0 Armee, 2 e Serie, Nr. 49. Paris, 1880; 4°.
Societä italiana di Antropologia, Etnologia e Psicologia comparata: Archivio
per l’Antropologia ea Etnologia. Vol. X. Fascicolo 1°. Firenze, 1880; 8°.
Society, the Cambridge philosophical: Transactions. Vol. XII. Part. 3.
Cambridge, 1879; 4°. — Proceedings. Vol. III. Parts 3—6. Cambridge,
1878—1879; 8».
Kaltenbrunner. Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalendcrreform. 7
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen
Kalenderreform.
I. Die Commission unter Gregor XIIL nach Handschriften
der Vaticanischen Bibliothek.
Von
Dr. F. Kaltenbrunner,
Privatdocent an der Universität Graz.
Unter allgemeiner Zustimmung der katholischen Fürsten,
freudig begrüsst und gutgeheissen von zahlreichen Universi
täten und Gelehrten, unternahm Papst Gregor XIII. die Reform
des Kalenders nach reiflicher Ueberlegung und nach langen
Arbeiten der von ihm niedergesetzten Commission. Dies spricht
sowohl die Bulle ,Inter gravissimas' vom 24. Februar 1581/2
aus, als auch das grosse Werk, welches über die Reform
21 Jahre nachher der Hauptarbeiter der Commission, Christof
Clavius, zu ihrer Vertheidigung und Verherrlichung veröffentlicht
hat. Gerade bei der Ausführlichkeit des Werkes des Clavius,
bei der fast ermüdenden Weitschweifigkeit, mit der er jeden
einzelnen Punkt der Reform erörtert und vertheidigt, muss es
aber auffallen, dass er der Thätigkeit der Commission und der,
wie der Papst und er selbst sagt, zahlreich eingelaufenen Gut
achten weder hier, noch in seinen früheren, lediglich der Ver
theidigung gewidmeten und daher polemisch gehaltenen Schriften
ihrem Inhalte nach Erwähnung macht; es muss dies um so
mehr auffallen, als ihm ja die Zustimmung so vieler in allen
Theilen Europas zerstreuter Gelehrten mit ein gutes Mittel erst
zur Vertheidigung, dann zur Verherrlichung des Werkes hätte
abgeben können. Und das Gleiche gilt auch von den Commis
sionsarbeiten; an ihnen nahmen Männer von bedeutendem Rufe
Theil: auch ihre Autorität hätte den Clavius unterstützen können,
8
Kaltenbrunner.
und doch verschweigt er sie, so dass bis jetzt nur aus andern
Quellen einzelne Namen derselben bekannt wurden, dass bis
jetzt die vollständige Zusammensetzung der Commission ver
borgen war. Mag bei der Verschweigung der Arbeiten der
selben vielleicht der Umstand massgebend gewesen sein, dass
nach langen Jahren erst Clavius literarisch auftrat, zu einer
Zeit, wo seine Collegen von der Commission entweder von
Koni oder vom Leben geschieden waren und die Entwürfe
und die innerhalb derselben geltend gemachten gegenteiligen
Ansichten durch die Publication des Werkes gegenstandslos
geworden waren, so fordert es doch eingehende Prüfung,
warum die zustimmenden Erklärungen der katholischen Ge
lehrten nicht angeführt worden sind. Ein Grund ist allerdings
darin zu suchen, dass dieselben zur Zeit, als Clavius schrieb,
nicht in seinen Händen waren; aber dafür waren, wie ich gleich
unten bei Besprechung meiner Quellen darthun werde, höchst
wahrscheinlich die Acten der Commission in seinem Besitz,
und in ihnen mussten sich, wenn auch nicht Abschriften, so
doch Excerpte und Beurteilungen der Gutachten finden, ausser
man wollte annehmen, dass die Einläufe von der Commission
ganz unberücksichtigt ad acta gelegt worden seien. Da aber
dies doch sehr unwahrscheinlich ist, so muss man den Grund
ihrer Verschweigung darin suchen, dass sie absichtlich über
gangen worden, sei es, weil sie zu unbedeutend waren, sei es,
weil sie der Ausführung des Reformwerkes überhaupt oder
der geplanten Weise desselben Opposition machten.
Als es mir im vorigen Jahre durch die Munificenz der
hohen kaiserlichen Akademie möglich war, in Rom anderer
wissenschaftlicher Zwecke halber zu verweilen, konnte ich es
mir nicht versagen, nach dieser Richtung hin Forschungen an
zustellen, die eine Zeit lang ziemlich erfolglos, dafür aber
später vom Glücke begünstigt waren. Der Katalog der Vati-
canischen Bibliothek bot einzig unter dem Schlagworte ,Re
formatio Calendarik den Cod. Vatic. 3685, der sich als ein
Bericht der Commission an Gregor XIII. erwies. Bald darauf
entdeckte ich in der Biblioteca Casanatense (Minerva) den
Codex X. VI. 1, welcher den Titel führt: ,Epistolae principum
ad Gregorium XIII. de reformatione Kalendarii'. Er stellte sich
als die Abschrift einer Anzahl von Briefen und überdies von
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
9
Gutachten, die in dieser Angelegenheit an Gregor XIII. ein
gelaufen waren, dar. Aber er führte auf noch weitere Spuren;
zunächst erfuhr ich aus einer Vorsteckblattnotiz, dass das
Original des Codex sich in der Vaticana als Cod. Vatic. 5645
findet; ferner ist dem Codex nach dem gleich unten zu be
sprechenden einleitenden Briefe, der uns über das Zustande
kommen der Sammlung belehrt, ein Index beigegeben, welcher
neben den im Codex vorkommenden Schriftstücken noch eine
grössere Anzahl solcher verzeichnet, die sich nicht in ihm finden;
zu diesen nicht als Gruppe zusammengestellten, sondern zer
streut auftretenden Titeln sind von anderer Hand Nummern
beigeschrieben, die sich nach ihrer Sammlung als von 7047
bis 7058 fortlaufende Zahlen erwiesen. Die Notiz im Codex
erwies sicli als wahr, der Cod. Vatic. 5645 ist sein Original,
und auch die naheliegende Vermuthung, dass mit dem eben
besprochenen Nummernverweis ebenfalls Codices Vaticani ge
meint seien, war zutreffend, und so hatte ich in dem Cod.
Vatic. 5645 und der Serie Codd. Vatic. 7047—7058 sämmtliche
Einläufe an die Curie gefunden, und konnte sie, soweit sich
dies mit meinen sonstigen Arbeiten vereinen liess, ausbeuten.
Aus zwei Gruppen setzt sich also mein Material für diese
Abhandlung, mit der ich den ersten Nachtrag zu meinen von
der Gelehrtenwelt freundlich aufgenommenen Arbeiten über die
Kalenderreform gebe, zusammen: aus dem Cod. Vatic. 3685,
der uns über die Arbeiten der Commission Aufschluss gibt,
und aus der eben besprochenen Serie, welche die eingelaufenen
Gutachten enthält und uns über die oben aufgeworfene Frage
nach dem Grunde ihrer Verheimlichung und über ihren Ein
fluss auf das Kalenderwerk aufklären soll. Die beiden Gruppen
haben verschiedenes Schicksal gehabt; während der Commis
sionsbericht von Anfang an in den sicheren Mauern des Vati-
cans geborgen war — sein Einband trägt das Wappen des Papstes
Gregor XIII., respective der Boncampagni 1 — kamen die Gut
achten erst im Jahre 1595 in die Bibliothek. Sie waren näm
lich früher in den Händen des Cardinal Sirlet, dem sie als
Präsidenten der Kalendercommission von Gregor XIII. wohl
1 Das Wappen bei Ciaeonius Vitae et gesta Summorum Pontificum p. 1189.
und 1217.
10
Kaltenbrunner.
nicht erst gesammelt, sondern einzeln nach ihrem Einlauf über
geben worden waren. Von Sirlet gingen sie, wahrscheinlich erst
nach seinem Tode im Jahre 1585, in den Besitz des Bischofs von
Siponte, Flamminius Parisius, über, der sie im Jahre 1595 an
Clemens VIII. mit einem dem Codex 5645 vorgesteckten uns
seine Geschicke enthüllenden Widmungsbrief einschickte, mit
der Bitte, sie der Bibliothek einzuverleiben, da er sie für
würdig halte, dass sie unter den ,Chirographa‘ des päpst
lichen Stuhles auf bewahrt werden. Wahrscheinlich aber wollte
sich Flamminius seines Schatzes nicht völlig entäussern, sondern
liess, ehe er ihn überschickte, die Schreiben der Fürsten, sowie
eine Anzahl kürzerer Gutachten abschreiben und in den Codex
vereinigen, der jetzt in der Casanatense aufbewahrt wird. Es
muss dies geschehen sein, ehe er den Cod. Vatic. 5645 zu
sammenstellte, denn wenn. sich auch der Inhalt der beiden voll
kommen deckt, so ist doch die Anordnung der Schriftstücke
innerhalb derselben eine verschiedene. Flamminius hat also
nach Ausscheidung einer Anzahl von grösseren in Einer Hand
schrift zusammen nicht unterzubringenden Schriften die übrig
gebliebenen kleineren Briefe und Gutachten abschreiben lassen,
daraus seinen Codex gebildet und erst nachher die Anordnung
des zu überschickenden, nun als Cod. Vatic. 5645 aufbewahrten
vorgenommen. Ob er auch die ersteren Schriften, welche jetzt
in der Serie Codd. Vatic. 7047—7058 sich befinden, ebenfalls
in Abschriften zurückbehalten hat, ist nicht zu ermitteln, jeden
falls finden sie sich nicht in der Casanatense; und ebensowenig
ist der Grund mehr zu erkennen, warum die locale Trennung
zwischen dem Hauptcodex und den übrigen in der Bibliothek
vorgenommen wurde; ihr gemeinsames Einlaufen beweist zur
Genüge der Iudex im Cod. Casanatensis, welcher, wie schon
gesagt, auch die letzteren verzeichnet.
Die mir als Quellen dienenden Codices enthalten nur
Schriften, die an Gregor XIII. eingolaufen waren, und wie man
wohl annehmen darf, alle; wenigstens machen sich keine
empfindlichen Lücken bemerkbar. Nur eine Ausnahme ist zu
verzeichnen, und diese betrifft die den Anstoss zum Kalender
werke gebende Schrift des Aloisio Lilio. Sie findet sich nicht
auf der Vaticana, und wie ich meine, aus folgendem Grunde:
sie war natürlich Bearbeitungsobject der Commission und ging
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
11
wahrscheinlich nach Publication des Kalenders in die Hände
des Clavius und des Antonio Lilio über, denn diese hatten,
wie wir später sehen werden, noch die Aufgabe zu lösen, eine
ausführliche Begründung des neuen Kalenders abzufassen.
Diese verzögerte sich anfangs aus nicht näher einzusehenden
Ursachen, dann aber wegen der Polemik, in die sich Clavius
mit Maestlin und Scaliger einliess, um 21 Jahre; Antonio Lilio
war inzwischen gestorben und vielleicht wanderte schon da
mals das Work seines Bruders mit seinem Nachlasse an den uns
jetzt unbekannten Ort; vielleicht blieb es noch weiter in den
Händen des Clavius, bis es nach seinem Hinscheiden sammt
den übrigen, wohl alle internen Schriftstücke der Commission
umfassenden Papieren uns ebenfalls unbekannte Wege ging.
— Auf der Vaticana findet sich von Clavius nur ein dürftiger
Computus ecclesiasticus, wahrlich ein ärmliches Denkmal der
grossen Arbeitskraft des Mannes!
Die Commission.
Gemäss dem Decrete des Tridentiner Concils vom 4. De-
cember 1563 war von Pius V. die neue Ausgabe des Breviers
veranstaltet und in derselben auch eine provisorische Reform
des Kalenders vorgenommen worden. Die letztere ging geräusch
los vor sich und fand keine Beachtung; mit Recht, denn sie
war nicht angethan, auch nur annähernd den lang gehegten
Wünschen zu entsprechen. 1 Schon der nächste Nachfolger des
genannten Papstes, Gregor XIII., ging daher daran, auch diesen
Tlieil des Decrets endgiltig zu vollziehen; zunächst gab er dem
in Rom weilenden Mathematiker Carolus Octavianus Laurus
den Auftrag, seine Ansichten über die Kalenderreform darzu
legen. Die Arbeit wurde von diesem im Jahre 1575 vollendet,
tand aber keine weitere Beachtung, als dass sie in der Biblio
thek aufgestellt wurde. 2 Glücklicher war bald darauf Dr. Antonio
1 Ihre Kritik in meiner ,Polemik über die Gregorianische Kalenderreform*.
Sitzungsberichte LXXXVII. p. 488.
2 Meine früher geäusserte Ansicht, dass erst durch die Ueberreichung des
Lilio’schen Werkes Gregor XIII. zur Ausführung der Reform bewogen
und vorher Niemand von ihm hiezu angeregt worden sei, wird durch den
Cod. Yatic. 5643, der des C. O. Laurus ,Calendarii, temporum et sacrarum
12
Kalten brnnner,
Lilio, welcher das Werk seines verstorbenen Bruders Aloisio
dem Papste überreichte; denn dieses wurde von Gregor XIII.
einer Commission überwiesen, die zunächst zu prüfen hatte,
ob der Entwurf tauglich sei, die Grundlage des neuen Kalen
ders zu bilden.
Die Zusammensetzung dieser Commission ist eine sehr
mannigfache. Als Präsident erscheint der bekannte Cardinal
Wilhelm Sirlet, welcher schon vorher als Bibliothekar die
Herausgabe des neuen Breviers geleitet hatte; als sein juridi
scher Beirath mag der Auditor der Rota, Seraph. Olivarius, an
gesehen werden, und auch Vicentius Laureus, der bald darauf
den Purpur errang, wird als solcher, sowie für die einschlägigen
theologischen Fragen in Verwendung gekommen sein. Dazu ge
sellen sich nun die Astronomen: Antonio Lilio, der nicht blos als
Bruder, sondern auch als Fachmann hiefür berufen schien; 1
wird uns doch gesagt, dass er an der Abfassung des Werkes
festivitatum Restitutio et Correctio jussu Gregorii papae XIII. 4 enthält,
erschüttert. Auch im Widmungsschreiben und mehrmals im Contexte
wird des von Gregor erhaltenen Auftrags gedacht. Warum die Arbeit
keine Beachtung fand, entzieht sich unseren Blicken; sie ist nicht so
schlecht, als dass sie nicht ebenfalls der Prüfung würdig gewesen wäre;
die Correctur des Sonnenjahres wird genau so vorgeschlagen, wie sie
nachher durchgeführt wurde, dagegen ist die des Mondeyclus allerdings
schwerfällig und nicht auf alle hiebei in Betracht kommende Fragen Ant
wort gebend. Der Umstand, dass sich die Schrift nicht in den Indices
der Codd. Casanat. X. VI. 1 und Vatic. 5645 angeführt findet, beweist,
dass die Commission mit ihr nichts zu thun hatte, wie sich denn auch
bei den von ihr durchgeführten Aenderungen des Lilio’schen Entwurfes
keinerlei Benützung derselben nachweisen lässt. Ihre nahe locale Stellung
zum Cod. Vatic. 5645 ist allerdings auffallend, und nur diesem Umstande
verdanke ich ihren Fund, indem ich nämlich die Nachbarn desselben
einer (sonst von keinem weiteren Erfolge gekrönten) Durchsicht unterzog.
Aber man darf dem sicherlich kein allzugrosses Gewicht beilegen, wenn
man die weite Trennung der eng zusammengehörigen, von Flamminius
Parisius der Bibliothek übergebenen Handschriften berücksichtigt. —
Wenn anders Laurus nach Vollendung seines Werkes sicli noch einige
Jahre des Lebens erfreuen konnte, so müssen ganz besondere Umstände
für diese Iguorirung obgewaltet haben; denn es wäre doch auffallend,
dass ein in Rom weilender Mathematiker, der über die Reform schon
geschrieben hatte, also jedenfalls in den hiebei in Betracht kommenden
Fragen unterrichtet war, nicht der Commission beigezogen wurde.
1 Alexander Piccolominaeus erzählt in seinem später zu besprechenden
Gutachten, er habe, während die beiden Brüder das Werk ausarbeiteten,
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
13
desselben wesentlichen Antheil genommen habe; Ignazio Dantes,
der zu Bologna den berühmten Gnomon in der Petronius-
kathedrale errichtet hatte und jetzt seit längerer Zeit zur An
fertigung geographischer Karten im Vatican weilte, und Christof
Clavius, der seine Befähigung zu dem ihm übertragenen Amte
durch seine späteren Schriften hinlänglich bewies. Auch Petrus
Ciaconus ist Mathematiker gewesen, dagegen wird wohl die
Beiziehung des Patriarchen von Antiochien nur als eine formelle
anzusehen sein, um Zustimmung und Giltigkeit auch für den
Orient zu bekunden; wie denn auch der Umstand, dass in
der Commission neben den Italienern je ein Deutschex - , Fran
zose und Spanier sass, vielleicht nicht auf blossen Zufall, son
dern auf das Bestreben zurückzuführen ist, ihr ein universelles
Gepräge zu geben. Ausser diesen Männern muss der Com
mission von Anfang an ein Mönch aus Monte-Cassino, Theofilus
Martins mit Namen, angehört haben, welcher aus Gründen,
die wir gleich sehen werden, nicht in ihrer Eingabe im Cod.
Yatic. 3685 unterschrieben erscheint.
Die erste Arbeit der Commission war die Prüfung des
Werkes Lilio’s, die sehr bald zu einem günstigen Resultate
geführt haben muss, denn schon Ende des Jahres 1577 wurde
dasselbe in einen Auszug gebracht und als solcher, dem Willen
des Papstes gemäss, an die katholischen Fürsten und Univex - -
sitäten versandt. 1 Mit Ausnahme des Vorschlags, dass die
Reform im Jahre 1582 ins Werk gesetzt werden sollte und
der diesem Beschlüsse entsprechenden Anordnungen im Com-
pendium, hat die Commission hiebei nichts Selbstthätiges ge
leistet; selbst Fragen, die von Lilio noch offen gelassen worden
waren, wie die Art der Auslassung der 10 Tage, sind nicht
beantwortet, und noch auffälliger ist das Schwanken darüber,
ob die Alphonsiuischen Tafeln, welche Lilio benützt hatte,
oder die Prutenischen als Basis des astronomischen Theils der
Correctur dienen sollten. Der überhaupt sehr dürftige Auszug
wurde in einen Brief an die ,periti MathematicF eingeflochten,
in welchem denselben die nöthigen Erklärungen und sehr
im persönlichen Verkehre mit Antonio seine Bedenken gegen ihren
Epacteneyclus geäussert.
1 Das ,Compendium novae rationis restituendi Calendarii 1 bei Clavius’
,Romani Calendarii a Gregorio XIII. restituti Explicatio“. Rom, 1603. p. 3.
14
Kaltenbrunner.
dehnbare Anseinanderset,zungen der allgemeinen Gesichtspunkte,
die zur Approbation des Lilio’sehen Werkes bewogen hatten,
gegeben werden.
Jedoch war diese Approbation in der Commission nicht
ohne Widerstand vor sich gegangen; der schon erwähnte Mönch
Tlieofilus nämlich machte dem Epactencyclus zu Gunsten des
alten Numerus aureus lebhafte Opposition; vielleicht ist es aber
gerade diesen seinen Einwendungen zuzuschreiben, dass der
Cyclus nach Verschickung des Compendiums einer durchgrei
fenden Revision unterzogen wurde. Zu gleicher Zeit aber ar
beitete auch Theofilus seine Ansichten über die Reform aus 1
und kommt, indem er das Compendium und den alten Cyclus
miteinander vergleicht, zum Schlüsse, dass der letztere beizu
behalten, jedoch mit den nöthigen Correcturen zu versehen
sein werde. Das Hauptmotiv für diese Behauptung ist die Ehr
furcht vor dem Concil von Nicaea, dem auch er, wie so viele
Andere, die Einfügung der Numeri aurei in den Kalender zu
schreibt; dieser Ehrfurcht glaubt er Genüge zu thun, indem
er die Vertheilung der Numeri aurei zu den Monatstagen an
sich ganz unberührt lässt; neben dieser ,ordo principalis' aber
sollen ,ordines secundarii‘ aufgestellt werden, welche je nach
den nöthigen Verschiebungen durch die Correcturen des Sonnen
jahres und des Mondcyelus für den ,ordo principalis' einzutreten
haben. Theofilus fand mit Recht bei den anderen Commissions
mitgliedern mit seinem unbeholfenen Modus keinen Anklang,
aber auch der Epactencyclus kam, nachdem er einmal einer
eingehenden Prüfung unterzogen wurde, noch nicht zur Ruhe;
er wurde, wie Theofilus erzählt, dreimal umgearbeitet, und erst
die dritte Redaction erhielt die endgiltige Approbation von
Allen mit Ausnahme des Theofilus, welcher nun seinen Wider
stand bis zur Secession ausgedehnt haben muss. Wahrscheinlich
zur Rechtfertigung dieses Schrittes arbeitete er einen zweiten
1 Tractatus de reformatione Kalendarii. Cod. Vatic. 5645. fol. 84. Er kann
erst gegen Ende 1578 abgefasst sein, denn es geschieht in ihm schon
Erwähnung des später zu besprechenden Werkes von A. Piccolominaeus,
das im März 1578 vollendet und nach Rom eingeschickt wurde; ob es
handschriftlich oder schon gedruckt dem Theofilus vorlag, lässt sich nicht
ermitteln.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
15
Tractat aus, 1 in dem er uns von diesen Vorfällen Kunde gibt
und bei Vergleichung der neuesten Redaction des Epacten
cyclus mit seinem ,Nicaenischen Cyclus' zu den gleichen Re
sultaten wie früher gelangt. Eine Menge Fehler werden der
ersteren nachgewiesen, die allerdings vorhanden waren, aber
in noch viel höherem Masse dem alten Cyclus anhafteten;
Pietätlosigkeit und Neuerungssucht wird den Commissions
mitgliedern nun in recht verbitterter Stimmung vorgeworfen;
aber Theofilus unterordnet sich doch den Beschlüssen derselben,
für die er nur keine Verantwortung übernehmen will, insoferne,
als er es nicht unternimmt, an die Instanz des Papstes zu
appelliren und Abwehr der Neuerang von ihm zu verlangen.
Sicher aber hat er seine beiden Schriften Gregor XIII. über
reicht, sonst wäre ihr Vorkommen im Cod. Vatic. 5645 kaum
zu erklären. Nur aus ihnen auch haben wir Kunde von dieser
Spaltung in der Commission; mit keinem Worte erwähnt der
selben Clavius, und wir können auch gar nicht erkennen, ob
die Stellen, wo er von den Vortheilen des Epactencyclus gegen
über dem alten spricht, den Einwendungen des Theoiilus gelten
oder den Angriffen solcher, welche wie dieser in ihren Gut
achten und polemischen Schriften ähnliche Ansichten ausge
sprochen hatten. Aber auch im Berichte des Cod. Vatic. 3685,
mit welchem die Commission ihr schliessliches Gutachten ab
gibt, wird der früheren Differenzen nicht gedacht; es lag
namentlich in dem Passus, wo unter den Gründen für das
Scheitern der Reform am Lateranensischen Concil die Oppo
sition gegen jede durchgreifende Neuerung, erwähnt wird, nahe,
auf das ähnliche, jetzt aber glücklich überwundene Hinderniss
hinzu weisen; aber auch dies geschieht nicht — mit vollstän
diger Ignorirung wird der Mönch bestraft.
Wir haben uns nun den schon erwähnten, durch die Com
mission vorgenommenen Umarbeitungen des Epactencyclus zu
zuwenden, welche zwischen der Aussendung des Compendiums
und der Abfassung des Berichtes vom September 1580 liegen
müssen, denn in diesem wird von der Fertigstellung des Cyclus
in ganz bestimmten Worten gesprochen. Dass der Lilio’sche
’ Brevis narratio controversiae habitae in congregatione Kalendarii
aliquali explicatione propriae sententiae. Cod. Vatic. 5645. fol. 75.
cum
16
Kalten!) runner.
Entwurf Verbesserungen unterzogen wurde, sagt uns Clavius, 1
und eine Vergleichung des Cyclus im Compendium und im
publicirten Kalender belehrt uns auch über die Art und Weise,
wie dies geschah. 2 Neu dagegen ist die Nachricht des Theo-
filus, dass die Veränderungen, die sich uns aus der Ver
gleichung den beiden Cyclen ergeben, nicht auf einmal gemacht
wurden, sondern dass zwischen ihnen zwei wieder fallen ge
lassene Entwürfe liegen, dass also der publicirte Cyclus nicht
die ei'ste, sondern die dritte Redaction des Lilio’schen sei. Ich
habe in der ,Polemik über die Gregorianische Kalenderreform'
die Aenderungen schon angeführt und begründet, «.kann also
,auf die dortige Darlegung verweisen. 3 Sicher wurden zwei
gemacht, deren eine darin bestand, dass die Commission sämmt-
liche Epactenzahlen um 1 niederer stellte als Lilio und dadurch
erreichte, dass alle Neumonde um einen Tag später eintraten als
bei diesem, die andere aber die durch das Alterniren von
hohlen und vollen Mondmonaten nothwendig gewordene Zu
sammenschreibung zweier Epacten zu einem und demselben
Monatstag sammt der durch alte computistische Regeln als ge
boten erscheinenden Unterscheidung der höheren der zusammen
geschriebenen in 2 Epacten von den Zahlen XXX(O), XXIX
auf XXV, XXIV verlegte. Ob auch der 300.000jährige Cyclus,
der nach Lilio die gleichen Epactenreihen mit den beiden
Aequationen in derselben Reihenfolge wiederkehren liess, schon
von der Commission fallen gelassen wurde oder erst später
von Clavius, ist nicht bestimmt festzustellen; in den Canones
des publicirten Kalenders wird allerdings seiner nicht erwähnt,
bei ihrer Dürftigkeit darf aber dem kein allzugrosses Gewicht
beigelegt werden.
Es gilt nun, die zwei Aenderungen auf die drei Redac
tionen zu vertheilen. Bei dem tiefen Schweigen, in das sich
Clavius hüllt, sind wir wieder auf Theofilus angewiesen, der
1 Clavius ad Lectorem seiner Explicatio.
2 Man vergleiche die Tabulae aequationes des Lilio’schen und Gregoriani
schen Kalenders in Clavius’ Explicatio p. 11 und 20, und die immer
währenden Kalender der Beiden ebenda p. 5 und 40. Der von Ideler,
Handbuch II. 308, gegebene ist ungenau.
3 A. a. O. p. 499. Clavius begründet die erste Aenderung in der Explicatio,
cap. XI und XII; die letztere cap. X (p. 120).
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
17
uns aber aucli nur eine ganz schwache Handhabe bietet. Er
beklagt sich nämlich in seiner ,Narrätio‘, die nach der letzten
Redaction abgefasst ist, über die neue Schwierigkeit der rothen
und schwarzen Epacten in derselben. Damit kann nur die im
Gregorianischen Kalender auftretende Theilung der Epacte XXV
in 25 und XXV gemeint sein; wenn also Theofilus davon als
jüngste Neuerung spricht, so muss man wohl annehmen, dass
die ganze vorher als zweite angeführte Aenderung jetzt erst
gemacht wurde; Lilio hatte die Epacte XXX = 0 unterschieden
in w und * ; ihm war also in Folge der nicht zu verwechseln
den Zeichen ein Farbenunterschied überflüssig. Für die Aus
einanderhaltung der beiden Arten der Epacte XXV konnte
man aber zu diesem von Theofilus angeführten Mittel greifen,
wie man denn auch in den Canones des Gregorianischen Ka
lenders dasselbe neben der in diesem selbst angewandten Unter
scheidung durch Zahlzeichen und Ziffer als zulässig und ver
wendbar hingestellt hat. Die Aenderung wurde von der Com
mission vollzogen, um möglichst wenig volle Ostermonate zu
erhalten, was im alten Kalender überhaupt nicht eintreffen
konnte und aus diesem Grunde im neuen möglichst vermieden
werden sollte; zur Erkenntniss aber, dass der Lilio’sche Ka
lender sich in dieser Beziehung weit von der alten Norm ent
ferne (es sind nämlich unter den 80 möglichen Ostermonaten
7 volle), konnte man erst gelangen, als man damit beschäftigt
war, die Ostertafel auf viele Jahre hinaus zu berechnen; und
auch dies spricht für eine spätere Zeit.
Weist man also diese Aenderung der letzten Redaction
zu, so bleibt für die beiden früheren nur noch die als erste
angeführte, also die Herabsetzung sämmtlicher Epacten um 1
übrig. Lilio hatte seinen Berechnungen die Alphonsinischen
Tafeln zu Grunde gelegt; wahrscheinlich controlirte man die
durch seinen Cyclus sich ergebenden Vollmonde (denn diese
kamen vor Allem des Osterfestes wegen in Betracht) mit den
Prutenischen Tafeln, 1 und fand, dass häufig die sich aus dem
Lilio’schen Cyclus ergebenden Vollmonde früher eintraten als
1 Die Berücksichtigung und Benützung der Prutenischen Tafeln von Seite
der Commission wird schon im Compendium und dann wieder in den
Canoues ausgesprochen. Clavius benützte dann in seiner Explicatio auch
die Ephemeriden des J. A. Maginus, die von 1580—1630 berechnet sind.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCV1I. Bd. I. Hft. 2
18
K a l.t e n,b je u nne,r.
die auf astronomischem Wege zu berechnenden. Man hatte nun
allerdings; schon im Compendium die jUnmöglichkeit ; ausge
sprochen, dass irgend .eine cyclische Rechnung mit der astro
nomischen in vollen Einklang gebracht werden könne, aber
die y eb,en gemachte Wahrnehmung barg eine Gefahr, ; die in
den Augen der gar sehr dogmatisch gesinnten Commission
möglichst vermieden werden.sollte, nämlich die, dass der Ostfflv
tag auf den wirklichen Vollmondstag fallen und man so in den
Irrthum der von der Kirche verdammten Quartodecimaner
gerathen könnte. So schien von den beiden einmal nicht zu
vermeidenden Fehlern des Osteransatzes der geringere, weil
dogmatisch ungefährliche, der zu sein, dass Ostern auch später
als 7 Tage nach dem wirklichen Vqllmondstage, also nach der
luna XXII angesetzt werden konnte. Wahrscheinlich hat man
das bald erkannt und ist nach einer vielleicht den Cyclus com-
pUcirter machenden und daher fallen gelassenen Aenderung
in der zweiten Redaction auf den radicalen Ausweg der Ver
rückung der Epacten verfallen.
Nach der endgültigen Redaction des Epactencyclus sah
die Commission sich im September des Jahres 1580 in die
Lage versetzt, dem Papste Bericht zu erstatten und die baldige
Vornahme der Reform zu ei'bitten.
Dieser Hauptabschnitt ihrer Thätigkeit macht es uns
möglich, zu untersuchen, was von ihr schon gethan war und
was ihr noch zu thun übrig blieb, denn sicher können wir
annehmen, dass der Bericht, den ich im Anhänge mittheile,
alle bisher gemachten Arbeiten umfasst. Man hatte ausser den
schon erwähnten Aenderungen des Lilio’schen Epactencyclus
auch die Ostertage auf 3000 Jahre vorgerechnet; keine geringe
Arbeit, denn wenn auch Lilio schon eine solche Tafel ange
fertigt hatte, so war sie durch die Verschiebung der Epacten
ganz unbrauchbar geworden. Man hatte überdies alle Briefe
und Gutachten von Fürsten und Gelehrten, welche eingelaufen
waren, gelesen und hatte sie fast alle zustimmend gefunden;
und schliesslich war man auch schon über den Modus der
Auslassung der 10 Tage zur Correctur des Sonnenjahres schlüssig
geworden: man hatte sich trotz der vielen und von sehr mass
gebender Seite geltend gemachten Bedenken für die Ausschei
dung derselben auf einmal entschieden und nicht, wie im
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
19
Compendium daneben auch vorgeschlagen worden war, für die
Sjstirung der Schaltung in den nächsten 40 Jahren. Damit
glaubte die Commission die Arbeit so weit gefördert zu haben,
dass sie von dem im Compendium gestellten Termine des
Jahres 1582 abgehen und schon das Vorjahr als ,annus correc 7
tionis'. vprschlagen, zu können meinte. / Sie selbst bezeichnet
als noch zu lösende Aufgaben die Construction eines Kalenders
für das Cprrectionsjahr und ferner die Aufstellung einer In
struction für Jene, zu welchen/wegen ihrer grossen Entfernung
der neue Kalender nicht zur rechten Zeit gelangen konnte;
man hatte damit die entfernten Amerikaner im Auge, sollte
aber bald sehen, dass dieser Anhang praktische Bedeutung
auch für näher; gelegene Länder, erhielt. Uebei'dies sollte noch
der Epacfencyclus in das Martyrologinm eingefügt werden.
Diese Aufgaben stellte sich die Commission selbst, aber,
es gab npch viel mehr zu thun, und wir werden gleich sehen,
dass .sie, sich argen Illusionen über die Vollendung des Werkes
hingab. Zunächst musste eine Begründung des neuen Kalen
ders verfasst 'werden, denn ohne eine solche, konnte man ihn,
ja doch.nicht in die Welt senden; eine ,declaratio‘ wird auch
im Berichte ins Auge gefasst,, war aber, sicherlich noch nicht,
fertig, ja die ganze Beschaffenheit der sie vertretenden Canones.
zeigt, dass sie gar sehr, überhastet wurde. Mehrmals wird in
diesen hingewiesen auf den ,Liber novae rationis restitnendi
Kalendarik, als die eingehende Begründung enthaltend. Der
selbe ist aber niemals erschienen. Freilich könnte man meinen,
dass es im ursprünglichen Plane, lag, denselben erst nach der
Publicatio.n des Kalenders auszuarbeiten; aber .abgesehen davon,
dass ein gleichzeitiges Erscheinen im eigenen und fremden
Interesse lag, so sprechen auch positive .Gründe, gegen diese,
Annahme: einmal sind die Canones, oder sagen wir überhaupt:
der im Jahre 1582 publicirte Kalender, unvollständig; während
die Commission selbst sagt, ,sie habe eine Ostertafel auf 3000;
Jahre .fertig gebracht, bringt dieser die./Feste nur bis . zum
Jahre 1631;, die: grosse, Ostertafel, .welche doch von daD/Camu
mission als wesentlicher Bestandteil des Reformwerkes ange
geben wird, sollte also im ,Liber‘ Platz finden. Ferner wird
im Canon 2 hingewiesen auf. eine.,Tabula epactarum expa,nsa
perpetuaf die im ,Liber 1 , stehe, Ihre Aufstellung ,ist aber.,eine
2*
20
K altenbrutirter.
ganz unerlässliche Bedingung für die Perpetuität des Kalenders,
welche iu der Bulle ,Inter gravissinnis-' ausgesprochen wird;
selbst in dem sonst so kurz gehaltenen Compendium fand die
von Lilio construirte Tabula Aufnahme, dieselbe musste aber
von der. Commission nach den von ihr vorgenommenen Aen-
derungen am Epactencyclus neu redigirt werden; im Canon 2
wird allerdings die Möglichkeit gegeben, bis zum Jahre 4900
Mondalterbestimmungen zu machen, aber es muss dies in sehr
complicirter und schwerfälliger Weise geschehen, die sich eben
aus dem Fehlen der sehr bequem eingerichteten Tabula expansa,
für welche Lilio das Muster aufgestellt hatte, erklärt. Dass
man sie nicht schon zur Zeit der Eingabe vom September 1580
construirt hatte, lässt sich ebenso wenig annehmen, als dass
die Commission fälschlich von der Construction der grossen
Ostertafel gesprochen hätte. Diese Bestandtheile des ,Liber'
waren sicherlich fertig, aber seine Redaction machte eben grosse
Schwierigkeiten. Offenbar aus diesem Grunde wurde der Com
mission auch ein neues Mitglied in der Person des Antonio
Querengo beigegeben; derselbe, ein Freund Tasso’s, selbst
Dichter und schon längere Zeit in der päpstlichen Kanzlei be
dienstet, sollte mit seiner ,destrezza ed eleganza di stile' die
Commission bei der ,perfettione del nuovo libro della riforma
dell’ anno' unterstützen; 1 liest man die Canones, so wird man
finden, dass an ihnen weder ein Poet, noch ein gewandter
Stilist mitgearbeitet habe oder auch nur Gelegenheit gehabt
hätte, sein Talent zur Geltung zu bringen; wir haben also
auch hier an den Liber novae rationis restituendi Kalendarii
zu denken. Dieser sollte also zugleich mit dem Kalender heraus
gegeben werden; man kam aber damit nicht zu Stande und
die armseligen Canones mussten seine Stelle vertreten, ein
Punkt, der mit Recht von Gegnern der Reform aufgegriffen
wurde, zumal da der Kalender durch sie auch nicht annähernd
jene Begründung erhielt, die man erwarten und verlangen
konnte. Sehr zu verwundern ist es hiebei, dass die Commission
nicht wenigstens ihre im Berichte niedergelegten ,Hypothesen'
1 Abschrift eines Briefes ohne Datum und Unterschrift, der von einem
Commissionsmitglied (mit Ausschluss von Sirlet, Clavius und Lilio) an
Gregor XIII. gerichtet ist. Cod. Vatic. 5645. fol. 182.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
21
dem Kalender beidrucken liess; sie hätten manchen Einwen
dungen die Spitze abgebrochen, die später in der Polemik
gegen das cyclische Wesen erhoben wurden; vor Allem aber
wären die höhnenden Bemerkungen und Witzeleien unmöglich
oder wenigstens ganz unberechtigt geworden, welche über die
in der Bulle ausgesprochene ,Perpetuität' des neuen Kalenders
gemacht wurden. Aus dem Commissionsberichte erfahren wir
auch, dass zugleich mit dem Kalender das Martyrologium neu
herausgegeben werden sollte; auch dies geschah nicht und erst
Sixtus V. holte das im Jahre 1586 nach. 1
Man sieht also, dass die Commission allzu optimistisch
war, als sie die Reform im Jahre 1581 vorgenotnmen haben
wollte. Clavius und Lilio, denen die Redaction des ,Liber - ' über
tragen worden war, kamen trotz Querengo’s Mithilfe nicht zu
Stande, und dazu trat noch ,eine längere Krankheit des Car
dinal Sirlet, welche die Arbeiten empfindlich hemmte 2 und
namentlich störend für die Ausarbeitung des Kalenderfragments
gewesen sein muss, da man bei ihr der Beihilfe des Heraus
gebers des neuen Breviers kaum entbehren konnte. So wurde
denn auf den ursprünglichen Plan zurückgegangen, das Jahr 1582
zur Correctur zu verwenden, und wie rasch selbst dieser Ter
min der Commission an den Leib rückte, zeigt sich darin,
dass man erst im Februar dieses Jahres durch die Bulle
,Inter Gravissimas', die sicher auch mit Zuziehung von Com-
missionsmitgliedorn, vielleicht von dem jetzt wohl schon etwas
in der Sache informirten Querengo redigirt worden ist, den
Kalender publicirte, statt durch einen lang gestellten Termin
es möglich zu machen, dass derselbe zur rechten Zeit auch
in die entfernteren Länder gelangen konnte. Dass die Zeit
sehr knapp wurde, beweist auch der Umstand, dass man in
Rom viel zu wenig Exemplare des Kalenders noch rechtzeitig
drucken lassen konnte, was in Folge des Verbotes Gregors,
1 Martyrologium Romanum ad novam Calendarii rationem et ecelesiasticae
historiae veritatem restitutum cum notationibus Caesaris Baronii Sorani.
Rom 1586. Noch in der Bulle ,Inter Gravissimas 4 wird vom gleichzeitigen
Druck des Kalenders und des Martyrologiums gesprochen.
2 Wir erfahren dies aus dem oben eitirten Briefe im Cod. Vatic. 5645,
fol. 182.
22
K altenbrunn er.
anderswo denselben nachzudrucken, manche Unzukömmlich
keiten namentlich in Frankreich nach sich zog. 1
Die Gutachten über das (Jompendiuin.
Weitaus das grösste Contingent der cingelaut’enen Gut
achten, die fast alle merkwürdig schnell meist schon im Jahre
1578 abgefasst wurden, stellten die Italiener, die theilweise, ihre
Arbeiten direct einschickten, theilweise sie durch ihre Fürsten
übermitteln Hessen. Die meisten konnte Franz von Medici) der
Grossherzog von Toscana, liefern, und unter ihnen befindet sich
auch das bedeutendste von allen aus Italien eingelaufenen, das
des Alexander Piccolominaeus, Erzbischof von Patra und
Coadjutor von Hiena, bedeutsam schon durch das hohe Ansehen,
in welchem dieser Mann ob seiner literarischen Thätigkeit bei
den Zeitgenossen stand. Bereits im März des Jahres 1578 hatte
Piccolomini seinen ,Libellus de nova ecclesiastici calendarii
pro legitimo paschalis celebrationis tempore restituendi forma'
fertig. 2 So schmeichelhaft auch in der Einleitung des Kalender
entwurfes gedacht wird, so werden doch in der Schrift selbst
genug Einwendungen an ihm gemacht; ja Piccolomini begnügt
sich nicht damit allein, sondern er geht bis zur Aufstellung
und Ausarbeitung neuer Entwürfe,, Vor Allem ist er mit der
Wahl des Alphonsinischen Jahresansatzes nicht einverstanden;
mit Berufung auf: seinen Lehrer zu Lüttich, Fridericus Del
phinus, 3 und gestützt auf das Gerücht, dass auch Ignazio Dantes
zu Bologna damit übereinstimme, hält er den Jahresansatz des
Albategni für den durch die neuere Astronomie am besten
beglaubigten;: 1 dass inzwischen der Alphonsischö durch die
1 Vergl. Piepo Maffei, Degli Armali di Gregoriu XIII. Eom 1742.
t. ILp.271, v :
2 Das Werk befindet sich handschriftlich im Cod. Vatic. 7051. Es wurde
aber wahrscheinlich schon 1578 zu Rom gedruckt unter dem Titel: ,De
Calendarii Romani nova restitutione 1 , nacli Xiinenes: ,Del vecchio e nuovo
Gnomone Fiorentino 1 . Firenze 1757. p. CXI.
3 Fridericus Delphinus (geb. 1177, gest. 1521) hat nach Luoas Gauricas
Calendarium ecclesiasticum uovum Venet. 1558 übfer die Kalenderreform
geschrieben.
4 Sehr beeinflussend für diese Ansicht war bei Piccolomini die Lectiire
der Epitoma emendationis calendarii des Florentiners Johannes Lucidus
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
23
Prutenischen Tafeln gegenüber dem des arabischen Astro
nomen eine bedeutende Stütze gefunden hatte, 1 scheint Piccolo
mini nicht zu wissen. Er beantragt daher dio Auslassung eines
Bissextus in jedem centenaren Jahre, obwohl der Albategni’sche
Ansatz die Sistirung der Schaltung erst nach je 106 Jahren
verlangt, der leichteren Fasslichkeit der Schaltregel wegen.
Diese Rücksichtnahme hindert aber den Verfasser nicht, in
seiner Kritik der im Entwürfe vorgeschlagenen Schaltregel die
Verweisung der Sistirung auf die centenaren Jahre für absurd
zu erklären, weil sie der thatsäclilichen Anticipation der Jahr
punkte nicht entspreche; gleichwie später Scaliger, meint er,
eB müsste, wollte man den Alphonsinischen Ansatz überhaupt
gelten lassen, in jedem 134. Jahre entsprechend dem An
wachsen des Fehlers ausgeschaltet werden. Auch der Epacten-
eyclus findet nicht den Beifall Piccolomini’s; er schreckt vor
der durch ihn gemachten 1 gewaltsamen Umänderung zurück und
fürchtet auch eine zu grosse Erschütterung der Autorität des
Goncils von Nicaea; der alte Numerus aureus soll also beibe
halten werden, zunächst durch Verschiebung seiner Einschrei
bung der angewachsene Folder beseitigt und weiters durch
eine Reducti'onstafel die Möglichkeit geboten werden, sowohl
die durch die Correctur des Sonnenjahres herbeigeführte Aen-
derung zu parallelisiren, als auch das Anwachsen des Fehlers
in je 304 Jahren zu corrigirbni Piccolomini, der diese seine
Ansichten auf 116 eng beschriebenen Seiten erörtert und die
Richtigkeit seiner Correctur durch zahlreiche Beispiele erhärtet,
sieht jedoch ebenfalls die Unmöglichkeit ein, irgend einen Ka
lender ganz den Himmelserscheinungen anzupassen, und meint,
dass nach etwa 2000 Jahren die Menschen abermals der Kalender
reform ihre Aufmerksamkeit werden zuzuwenden haben, worauf
sie bei der Ausgabe des neuen Kalenders jedenfalls aufmerk
sam gemacht werden müssten.
Noch vier andere Gutachten aus seinem Gebiete konnte
der Grossherzog Franz an den Papst einsenden; offenbar hat
vom Jahre 1525. Vergl. darüber die Vorgeschichte der Gregorianischen
Kalenderret'orm. Sitzungsberichte LXXXI1. p. 402.
1 Die Dauer des tropischen Jahres setzt Älbategni (saec. IX) an zu 365 T.
5 St. 46 M. 24 S. Alphonso: 365 T. 5. St. 49 M. 16 S. Copernicus;
365 T. 5 St. 49 M. 12 S.
24
Kalte nbrunner.
er das eben besprochene und die nun folgenden nicht gelesen
oder zum mindesten sich von ihnen nicht beeinflussen lassen,
denn in seinem vom 27. August 1578 datirten Einbcgleitungs-
schreiben spricht er sich in sehr unterwürfigen Worten und
durchaus zustimmend über den Reformentwurf aus.
Alle vier Gutachten sind gegen den Epactencyclus feindlich
gesinnt und wollen den Numerus aureus beibehalten wissen,
und zwar aus ganz verschiedenen Gründen. Während der erste
der gleich unten der Reihe nach anzuführenden Männer die
Reform des Mondkalenders für ganz überflüssig hält, da sie ja
durch Pius V. schon im neuen Brevier durehgeführt worden
sei, haben die anderen drei zu viel Ehrfurcht vor dem Alther
gebrachten, um eine Aenderung daran als wünschenswerth und
erlaubt ansehen zu können; in Bezug auf die Art der Reform
aber gehen ihre Wege wieder auseinander: während der letzte
von ihnen wünscht, es solle alle 304 Jahre von Neuem eine
Kalenderreform des Mondcyelus halber vorgenommen werden,
schlagen die beiden andern Reductionstafeln vor, wie sie schon
mehrfach waren aufgestellt worden.
Am sachlichsten unter ihnen ist noch immer das Gut
achten des Florentiner Architekten Antonius Lupicinus, 1
und es ist für uns auch deshalb von Interesse, weil er vor
Allem die astronomische Seite der Reform im Auge hält. Er,
welcher der Reform des Lunarkalenders schon durch die Aen
derung im neuen Brevier Genüge gethan lässt, stellt dafür,
gestützt auf die Vergleichung vieler Beobachtungen, einen neuen
Ansatz für die Dauer des tropischen Jahres auf zu 365 T.
5 St. 47 M. 45 S., also gegenüber Alphons und Copernicus,
sowie der jetzt angenommenen zu weit zurückgehend; dem ent
sprechend will er nach Auslassung von 14 Tagen, d. i. also
mit Hintansetzung des Concils von Nicaea, die Modification der
Julianischen Schaltregel dergestalt eintreten lassen, dass nach
je 112 Jahren die Schaltung sistirt werden solle.
1 Sein Gutachten ohne Titel im Cod. Vatic. 7047. Schon im Jahre 1578
liess er es nach Ximenes a. a. O. p. CXII mit dem Titel: ,Breve discorso
sopra la riduzione dell anno ed emendazione del Calendario 4 drucken;
nach Negri (Istoria degli stritlori Fiorentini. Ferrara 1722) wurde es ein
zweites Mal 1580 zu Florenz aufgelegt.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
25
Zeichnet sich dieses Gutachten nach der einen Seite hin
durch Sachlichkeit und überhaupt durch die nöthige Kürze aus,
so können wir zum mindesten den letzteren Vorzug auch noch
dem des Josefus Mozzolinus zuerkennen, 1 der wohl der
neuen Schaltregel zustimmt, jedoch die Reduction der Jahr
punkte auf den Stand zur Zeit Casars vorzieht, ohne jedoch
die dadurch nöthigen Veränderungen in der Osterregel auch
nur mit einem Worte zu berühren. '
Die beiden andern Gutachten jedoch sind entsetzlich weit
schweifig und müssen mit zu den Plagegeistern gezählt werden,
welche den mit ihrer Prüfung betrauten Commissionsmitgliedern
nach Rom geschickt wurden. Schon der Pisaner Julius An
gelus Bargaeus 2 gibt nicht das verlangte Gutachten, sondern
führt alle möglichen Arten der Reform in keineswegs methodi
scher Weise an, jeder das Wort sprechend, so lange er mit
ihr beschäftigt ist, sie dann fallen lassend und schlecht findend,
sobald er mit der nächsten beschäftigt ist — mit einem Worte,
es ist ihm gleichgiltig, welche Form angewendet wird. Vor Allem
gilt dies bei der Besprechung des Lunarkalenders, wo mitten
unter vielen von ihm als möglich angesehenen Arten auch der
Epaetencyclus reprodueirt wird; ebenso beim Sonnenjahre, und
nur insoferne ist uns hier ein interessanter Punkt aufgestossen,
als Bargaeus im Gegensätze zum Entwürfe dem Copernikani-
schen Jahresansatze entschieden den Vorzug einräumt und ihn
allen seinen Vorschlägen zu Grunde legt. — Als der beste
Repräsentant aber der weitschweifigen Gelehrtenmanier jener
Zeit erscheint uns das Buch des Florentiners Philippus Fon-
tanius. 3 Nach 33 Capiteln Auseinandersetzungen über das
Ptolemaeische System nach Art der alten Computi und mit
allem bei ihnen auftretenden Beiwerke kommt er zur Sache,
,postquain nonnulla necessaria ad anni reductionem praolibaviP,
1 Gutachten ohne Titel im Cod. Vatic. 7050.
2 De anni et dierum festorum emendatione. Cod. Vatic. 7056.
3 Ph. Funtanius hat nach Ximenes a. a. 0. p. CXII im Jahre 1570 ein
Buch: ,De ratione reducendi anni ad legitimam formain et numerum ac
aliis ad eain rem pertinentibus 1 veröffentlicht. Es war mir nicht zu
gänglich, ich kann daher nicht sagen, ob das handschriftlich im Cod.
Vatic. 7053 befindliche, des Titels entbehrende Gutachten etwa nur eine
Abschrift -mit Berücksichtigung des neuen Zweckes ist.
26
Kalteu brunner.
und bringt ausser dem schon erwähnten unbeholfenen Wunsche
über den Lunarkalender die dem Anwachsen des Fehlers enk
sprechende Sistirung der Schaltung in je 134 Jahren in Vor
schlag*
Neben Toscana stellt Oberitalien ein Contingent von vier
Gutachten. Unter ihnen ragt das des Veroneser ! Arztes Josefas
Valdanius 1 insoferne hervor, als dieser in durchaus abspre
chender Weise über den Reforinentwurf urtheilt; Er ist ein
Feind des cyclischen Wesens und tadelt daher sowohl die
Correctur des Sonnenjahres, als den neuen Lunarkalender. Die
erstere will er allerdings für jetzt vorgenommen wissen, jedoch
durch die Auslassung von 14 Tagen im Februar, weil dadurch
die Reihe der Sonntagsbuchstaben nicht alterirt würde; aber
er hält die Vertheilung der Ausschaltung auf die cen-
tenaren Jahre, weil mit den thatsächlichen Himmelsbewegungen
nicht in Einklang stehend, für unannehmbar, und verzichtet in
in Hinblick auf die ungleichmässige (zuerst von Copernicus
behauptete) Präcession der Jahr punkto überhaupt auf die Mög
lichkeit, eine richtige cyclische Ausschaltung aufstellen zu
können; er meint daher, man solle die Modifieatiön der Juliani
schen Schaltregel ganz unterlassen und es den Nachkommen an
heimstellen, abermals den Fehler zu corrigiren, sobald der
selbe wieder zu einer bemerkenswerthen und sich unangenehm
fühlbar machenden Höhe angewachsen sein werde. Von dem
selben Gesichtspunkte der Undurchführbärkeit' einer absolut
richtigen Reform beurtheilt er auch den Epactencyclus, wird
aber hiebei entschieden ungerecht; er meint nämlich, Lilio
habe die Sache nur schlechter gemacht, indem er statt des
alten, wenigstens sehr leicht zu behandelnden Cyclus einen
neuen construirt habe, dem bei den gleich grossen Fehlern
noch der Nachtheil der sehr schwierigen Handhabung anhafte.
Muss auch das letztere unbedingt zugegeben werden, so ist
aber Valdanius insoferne, ungerecht, als er übersieht, dass der
freilich gleiche Cyclus im neuen Kalender in der Lunar-Aequa-
tion ein ständiges, den anwachsenden Fehler stets wieder zurück-
dämmendes Element erhalten sollte. Wie sich aber Valdanius
die Correctur des Mondkalenders gedacht hat, sagt er uns nicht;
1 De anni restitutione opinio. Cod. Vatic. 5645. 1 fol. 62*
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
27
ei' ist nur kritisch, nicht positiv; aber durch ihre Offenheit und
Klarheit des Ausdrucks macht diese ^opinio* einen wohlthuenden
Eindruck gegenüber mancher ihrer Genossinnen.
Eine völlig andere Luft weht in zwei Briefen des Verone
sers Anibale Raimondo. 1 Während Valdanius in Anbetracht
der obwaltenden astronomischen Schwierigkeiten auf eine die
Zukunft berücksichtigende Reform verzichten will, [um seiner
Wissenschaft nicht Gewalt anthun zu müssen, folgert Raimondo
aus der Kirchengeschichte die Erlaubtheit und Nothwendigkeit
der Reform und sieht nach diesem gewonnenen Resultate nichts,
was im Wege stünde, dass der Kalender in einer Weise refor-
mirt würde, die ihn bis ans Ende der Welt richtig erhalten
müsste. Ob diese Weise durch Lilio gefunden worden sei, gibt
er nicht an; selbst bei Aussprechung des Wunsches,' dass die
Reform mit möglichster Beachtung der alten Gewohnheiten
und Anwendung eines Modus durchgeführt werde, der keine
Verwirrung hervorrufen und allen Priestern verständlich sein
könne, sagt er uns nicht, ob er den zu kritisirenden Entwurf
als diesen Anforderungen entsprechend ansehe. 2
Noch weniger ansprechend ist das Gutachten des Hie
ronymus Romagno 1 ins, verfasst auf Befehl: des Herzogs
Alphons II. von Ferrara, und von diesem mit einem Einbegleit
schreiben vom 9. Mai: 1579 au den Papst eingesandt. 3 Der
Mann zeigt sich in der astronomischen Literatur sehr belesen,
ja er vermag selbst einen neuen Jahresansatz aufzustellen; auf
Grund welcher Beobachtungen, sagt er uns freilich hiebei nicht.
Aber ausser dem bietet seine, Schrift sehr wenig Interesse,;
die Sucht; eigene Vorschläge statt der im Entwürfe gegebenen
zu bringen, reisst ihn zu Kleinlichkeiten hin, so, indem er, von
der vorgeschlagenen Schaltregel Verwirrung befürchtend, die
nöthige Ausschaltung im letzten Monat des Jahres vornehmen
lassen will. Er gefällt sich aus demselben Grunde; in ganz
vagen Aeusserungen über den Epactencyclus, der auch ihm
1 Von den beiden Briefen im Cod. Vatic. 5645. fol. 27 und 29 ist der erstere
undatirt, der zweite vom 18. März 1580.
J ? Nach diesen Ausführungen ist es kaum glaublich, dass Baimondo eine
,Scrittura, in quelta coresse aleune errore delle tavole Alfonsine 1 ge
schrieben habe, wie Scipio Maffei in seiner Verona illustrata c. 205 erzählt.
3 Ohne Titel im Cod. Vatic, 5645. fol. 157.
28
Kaltenbrunner.
zu radicale Aenderungen in sich birgt, weshalb er den Numerus
aureus mit den ,nöthigen' Veränderungen beibehalten wissen
will. Der einzige von ihm positiv gemachte, und wenn auch
keineswegs neue, doch hörbare Vorschlag ist die Reduction
der Jahrpunkte auf den Stand zur Zeit Julius Casars, für welche
er übrigens weder Utilitäts-, noch xAutoritätsgründe beizubringen
vermag. Das letztere als vernünftig und geboten hinzustellen,
bemüht sich auch der Venetianer Josefus Zarlinus in seiner
Schrift: ,de vera anni forma sive de recta eius emendatione 4 ,
welche er schon gedruckt im Jahre 1580 im Aufträge seiner Repu
blik nach Rom überschickte. 1 Ich hatte schon in der Polemik
a. a. 0. p. 494 Gelegenheit, dieselbe als ungemein complicirt
und schwerfällig zu charakterisiren, und trage jetzt nur nach,
dass auch Zarlinus einen eigenen Jahresansatz (365 T. 5 St.
45 M. 35 S. 10 T.) aufzustellen weiss, welchen er derart für
die Bestimmung des Osterns halber besonders wichtigen Aequi-
noctium vernum verwerthen will, dass er vom astronomisch
bestimmten Aequinoctium des von ihm als Correctionsjahr an
genommenen Jahres 1580 durch Weiterzahlung um diesen
Jahresansatz die Aequinoctien der nächsten Jahre und von da
natürlich auch in beliebig weite Zeiträume hinaus richtig be
rechnen zu können glaubt. Zu bemerken ist auch, dass Zar
linus bereits das gedruckte Gutachten des Alexander Piccolo
mini für seine Arbeit benützen konnte.
Auch das auf Befehl des Herzogs von Urbino abgefasste
und von ihm am 20. Februar 1580 überschickte Gutachten
erklärt nicht seine volle Zustimmung dem Entwürfe. Sein Ver
fasser Guido Ubaldus 2 ist für möglichste Beibehaltung der
alten Regeln und für eine Reform, welche den Gebrauch des
Kalenders auch den der Astronomie Unkundigen möglich macht,
auf dass die Geistlichkeit, deren grösster Theil vor dem Studium
dieser Wissenschaft Abscheu habe, von ihr ganz unabhängig
gestellt werde. Bei diesen Ansichten müssen aber die Vor
schläge des Ubaldus Wunder nehmen; denn auch er ist für
1 In der Gutaclitensammlung im Cod. Vatie. 7057. Zarlinus veröffentlielite
überdies im Jahre 1583 ,Resolutioni di alctme dubii sopra la correttione
doll’ anno di Ginlio Cesare ordinata.
2 De ecelesiastiei Calendarii restitutione opusculum. Cod. Vatic. 7058.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreforra.
29
die Auslassung von 14 Tagen und die Reduction des Aequi-
noctiums auf den 25. März, welche ja sicherlich viel grössere
Umwälzungen im Kalenderwesen gemacht hätte, als die vorge
schlagene auf den 21. März. Den Werth der Epacten kennt
er an, ist aber bei seiner Liebe zum Alten für die Beibehaltung
des Numerus aureus, der zunächst entsprechend dem angewach
senen Fehler des Lunarkalenders verrückt werden sollte; zur
Vermeidung des neuerlichen Anwachsens solle sodann der Papst,
so oft in Folge der Correctur des Sonnenjahres in den cen-
tenaren Jahren eine Verrückung des Lunarkalenders bevorsteht,
prüfen lassen, ob trotz ihr für das kommende Jahrhundert die
Stellung der Numeri aurei noch tauge; wenn nicht, müssten die
Numeri aurei vor- oder zurückgerückt werden und von-dieser
gefällten Entscheidung die Druckereien wegen der Kalendarien
und Breviere zeitig genug verständigt, dann aber auch strenge
überwacht werden. Dass dies ganz leicht und ohne Verwirrung
zu bewerkstelligen sein werde, beweist dem Ubaldus der Um
stand, dass die Correctur des Breviers unter Pius V. ganz
anstandslos vor sich gegangen war.
Nach so vielen tadelnden Gutachten aus der Heimat des
neuen Kalenders möge endlich eines völlig zustimmenden ge
dacht werden, das der Herzog Emanuel Philibert von Savoyen
mit Brief vom 31. Mai 1578 aus der Feder seines Mathe
matikers, G. B. Benedetti, nach Rom senden konnte. 1 Viel
Freude wird damit freilich der Commission nicht bereitet
worden sein, denn es zeigt sich in der Unterwürfigkeit des
Mannes zugleich auch seine Unfähigkeit, anders zu urtheilen. 2
Begeben wir uns von Italien weg zu den anderen Län
dern, so sind dieselben ihm gegenüber sehr mager vertreten;
1 Cod. Vatic. 5645. fol. 8.
2 Es muss auffallen, dass eine Anzahl von Trac.taten über die Kalender-
reform, die zwischen den Jahren 1578 und 1582 in Italien erschienen,
sich nicht in der Gutachtensammlung finden (ihre Titel in der Polemik
a. a. O. p. 493). Sie sind vielleicht unter den Druckwerken der Vaticana
eingereiht; aber da auch sonst gedruckte Schriften, wie die des Zarlinus
und des Hugolinus Martellus, in der Sammlung sind, so lässt sich an
nehmen, dass sie der Commission gar nicht zugekommen sind. Selbst
die 1513 erschienene ,Paulina‘ des Paulus von Middelburg findet sich als
Cod. Vatic. 7046 in der Sammlung, offenbar eingeschickt von einem es
sich sehr bequem machenden bestellten Begutachter.
30
Kaltenbrunn er*
nur aus Frankreich, Ungarn, Spanien und Portugal finden wir.
Gutachten von einzelnen Gelehrten, die uns nur kurz zu be
schäftigen haben werden. Frankreich lieferte den schon-/von
mir in der Polemik a. »* 0. p. 494 besprochenen ersten. Tractat
des Bischofs von Gland&ifes, Hugolinus Martellus:. ,de anni
integra in integrum- restitutionef, 1 der zwischen 1577 und ,1579
abgefasst sein muss. loh habe . schon früher angeführt,- dass
Martellus nur als Theologe die / Frage behandelt)> dass er diC
Beibehaltung des cyclischen Wesens^ sowie auch im Speciellen
den vorgeschlagenen Modus gutheisst nffd sich; nur mit der
einen Frage beschäftigt, ob das Aequinoctium vernum. auf den
21. oder den 25; März -'zurückgebracht werden dolle. In aus;
führlicher/ und nach einem Punkte hin, der die Möglichkeit
des -Widerstandes von Seite -der 'Protestanten ins Äuge /fasst*
höchst interessanter Weise plaidirt der Bischof für die Redues
tion auf dhn 25. März; er gibt sich aber allzugrossen Hoff-,
nungen über den; Erfolg seiner Mahnungen hin; i da- er /ineint,
dass msin auch in Rom; noch nicht schlüssig/über diese Frage
sei und sie im Compendiuni //noch offen gelassen habe ; , dies
ist eben nicht richtig; denn nur;die Form der Auslassung der
10 Tage, also der Reduction auf den; 21. März, war dort offen
gelassen worden, nicht, aber sie selbst; vielleicht war das nur
ein dratorischer Kunstgriff des 'für I seine Ansicht begeisterten
Bischofs, die er ja• auch nachher, wahrscheinlich-erst nach
Publication des Kalenders, in einem ziveiten Tractate eifrig ver-;
theidigte. ■ >
Aus Ungarn übersandte; im Namen des Köhigs der Bischöf
von Neutra, Zacharias Mossociy,-ein Gutachten,? und zwar
ein ebenso anerkennendes; als geschickt gemachtes. Indem er
die früheren Reformversuche zur Zeit der grossen Concilien
(Pierre d’Ailly und Nicolaus Gasanus) einer eingehenden Kritik
unterzieht und sie als untauglich befindet, prüft er mit den
hiebei gewonnenen Resultaten den Cyclus .dftS Lilio upd. ernennt
1 Gedruckt ohne Jahr und Drnckort im Cod. Vatic. 7052. Zusammen mit
einer- »weiten Schrift; ,Apolo^ia, quae est saerbrnm itempörum assertio*
Wurde sie ein zweites Mal zu Lüttich im Jahre. 1583 gedruckt* ;
2 Cod. Vatic. 5045. fol. 38.-' Der Brief ist vom 1. August .1582 datirt> kam
also post festum, vorausgesetzt, dass nicht der Calciilüs Pisa6au8 ange
wendet wurde. , :
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
31
in ihm den einfachsten und besten, welcher überhaupt auf-
gestellt werden könnte. Auch die Correctur des Sonnenjahres
findet er angemessen und bittet nur., man; möge, um das Volk
weniger zu verwirren, die 10 Tage nicht auf einmal, sondern
allmälig, am besten aus 10 Monaten des Correctionsjahres aust
lassen- u . u ... ...
Ganz anderen Charakter haben die Gutachten, welche aus
Spanien und Portugal einliefen. Elfteres allerdings übermittelte
durch seinen König nur eine Schrift, welche ihrer Spielereien
halber keine Beachtung verdiente: Gianello Turriani 1 auä
Creinonä, damals zu Toledo Weilend, will nämlich für die immer
währende Giltigkeit des Kalenders durch Scheiben mit beweg
lichen Zeigern sorgen, die sich in seiner Schrift recht säuberlich
ausnehmen, zur allgemeinen Verbreitung und Benützung aber
von irgend einer Commission kaum für tauglich befunden
worden wären. Br schickte auch ein grösseres Instrument in
einem besonderen Umschläge mit,: das seines Umfanges halber
nicht in die Sammlung der Codices aufgenommen, sondern
nach des Sammlers Angabe gesondert an den Vatican abgegeben
wurde, welcher Besonderheit sie denn auch jetzt ihre Unauf
findbarkeit verdankt., 2 Dagegen haben wir. aus Portugal zwei
höchst bedeutsame Kundgebungen zu verzeichnen, die, wenn
wir sie auch als unpraktisch erklären müssen, uns durch den
frischen Ton und die Liebe Und Hochstellung der Wissenschaft
erquickend anhauehen. Beide sind nämlich geschworne Feinde
jeder cyclischen Rechnung, welche der Astronomie Hohn
spreche, und nur in ihren Motiven gehen sie auseinander.
Während Emanuel Mendez Vieinus zu Lissabon 3 sein
1 Cod. Vatic. 7055. Breve discorso alla -Majä de Re Catholico interno la
riduttione dell’ anno et restitutione dpi Calendario con la dichiaratione
degli instrumenti da esso ritrovati per monstrarla in atto prattico. dat.
Toledo 19. Juni 1579.
2 Im Iudex der beiden Codices (Casanat. und Vatic.) heisst es: .Idem Rex
(Philippus) misit tabulam orbicularum D. Joanelli Turriani inelusam in
theca coriaca, quae non potuit includi hoc volumine et dabitur separata/
Dass damit nicht die im Cod. 7055 befindlichen Kreise gemeint sein
können, beweist, dass kurz vorher der Libellus des Turriani mit der Bei
setzung des Codex angeführt wird.
3 Cod. Vatic. 7052. fol. 8, ohne Titel, vom Jahre 1578. Mendez benützte
hiebei die Arbeit seines Grossvaters, des Magister Ditaeus: ,De certa
32
Kaltenbrunner.
Hauptaugenmerk auf die astronomischen Tafeln hat, deren
Handhabung durch die vorgeschlagene Reform des Sonnenjahres
ganz illusorisch würde, und daher vorschlägt, nach diesen die
Aequinoctien und auch die für die OsterberechnuDg nöthigen
lunaren Erscheinungen zu berechnen, höchstens zugeben will,
dass, wenn man schon für den kirchlichen Gebrauch der Tafeln
nicht entbehren wolle, man dieselben von 100 zu 100 Jahren
aus den astronomischen Tafeln ziehen solle — ist der andere
Portugiese, der Arzt Thomas Hortensius, 1 aus Princip bitterer
Hasser der cyclischen Rechnung. Seine Hauptstütze ist ihm
für seine Ansicht das, was 60 Jahre vorher der Tübinger
Johann Stöffler für die astronomische Rechnung gegenüber der
cyclischen ausgeführt hatte, 2 und mit ihm bricht er in die
immerhin kühnen Worte aus: ,0 si omnia Dionysii Calendaria
et cycli, quae Ecclesia hucusque toleraverat, ante 700 annos
fuissent in Vulcanias Insulas relegata aut Yulcano absumpta
et sic Ecclesia non fuisset his erroribus irretitak Hortensius
erklärt daher in seinem Schlussworte die Vorschläge Lilio’s für
hinfällig und so unwürdig, dass sie von der heiligen Kirche
nicht angenommen werden könnten; im Besonderen gibt er noch
drei Gründe an: weil sie auf der cyclischen Berechnung be
ruhen, der von den Gelehrten stets Hass und Verachtung ent
gegengebracht wurde, weil sie die Alphonsinischen, längst als
falsch erkannten Ansätze zu Grunde gelegt haben, und endlich
weil sie so verwickelt und obscur seien, dass sie kaum von
Gebildeten verstanden werden können. Zur Richtighaltung des
Kalenders will er ein astronomisches Centralbureau in Rom
errichtet haben, das sich mit den Astronomen, welche in allen
Theilen der Erde an Kirchen mit Pfründen angestellt werden
sollen, in Verbindung zu halten hätte; diese müssten ihre Beob
achtungen des Aequinoctiums sammt geographischer Lage ihres
Beobachtungsortes dahin in bestimmten Zeiträumen mittheilen,
und aus ihnen sollen dann in Rom etwa für je 50 Jahre die
ratinne inveniendi festa mobilia Libellus 1 , abgefasst auf Befehl des Königs
Emanuel für das Lateranensische Conoil. Sie ist als Beilage mitgegeben.
1 Cod. Vatie. 7052. fol. 1. Das ,.Judicium 1 ist an den König Heinrich ge
richtet.
2 Johann Stöffler, Calendarium Romanum Magnum. Vergl. Vorgeschichte
der Gregorianischen Kalenderreform a. a. O. p 391.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
33
nöthigen Angaben für die Bestimmungen des Osterfestes be
arbeitet und durch den Druck verbreitet werden. — König
Heinrich von Portugal schickte mit Brief dat. Lissabon, 27. Fe
bruar 1579, die Gutachten seiner Gelehrten an Gregor XIII.;
er muss von ihrem Inhalte Kenntniss erhalten haben, denn er
enthält sich jedes Lobes über den Kalenderentwurf; als nüch
terner kurzer Begleitschein gibt sich das königliche Schreiben,
welches die zwei absprechendsten Beurtheilungen nach Rom
brachte.
Viel grösseres Gewicht als diesen Einzelnurtheilen musste
natürlich den Gutachten der aufgeforderten Universitäten
beigelegt werden, von denen Paris, Wien, Löwen, Cöln, Genua,
Alcala und Salamanca Judicia einschickten. Sehr mannigfachen
Inhalts und sehr mannigfachen Werthes, zeigen auch sie keines
wegs Uebereinstimmung mit dem geplanten Unternehmen, was
theils auf Einzelnheiten, theils auf principiellen Anschauungen
beruht, theils auch in der Sucht begründet ist, nicht rein zu
loben, sondern daneben auch eigene, mühsam herausgeholte
Ansichten zu produciren. Am willkommensten wird der Com
mission das Gutachten von Alcala gewesen sein. 1 Die Uni
versität hatte in ihrer Gesammtsitzung vom 1. April 1578, dem
Aufträge König Philipps entsprechend, dem Doctor Segura
die Beurtheilung des Compendiums übertragen, die er in sehr
einfacher und klarer Weise vornimmt. Nach einer erschöpfenden
Darlegung des Kalenderwesens geht er sehr geschickt auf den
eigentlichen Gegenstand über, indem er, anknüpfend an die
früheren Reform versuche, die Undurchführbarkeit der namentlich
zur Zeit des Lateranensischen Concils ausgesprochenen Grund
sätze darlegt und damit auch dem im Entwürfe festgehaltenen
cyclischen Wesen in beredter Weise das Wort spricht. Da also
aus Ehrfurcht vor dem Althergebrachten, und vornehmlich des
halb, weil die Benützung der astronomischen Tafeln Ungleich-
mässigkeit hervorruft und zufolge der ihnen noch immer an
haftenden Unsicherheit auch keine untrügliche Genauigkeit
schaffen könnte, die cyclische Rechnung beibehalten werden
müsse, so sei das Compendium darauf zu prüfen, ob es den
1 Cod. Vatic. 7048. ,Universitas Complutensis: Pro nova ratione restituendi
Kalendarium. 4
Sitzungßber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft.
3
Anforderungen, die jetzt au eine solche gestellt werden können,
gerecht werde. Dies beantwortet nun Segura in bejahender, für
das Compendium sehr ehrender Weise; es enthalte den besten
bisher aufgestellten Cyclus und reducire die Unzukömmlich
keiten, welche jede cyclische Rechnung ihrer Natur nach mit
sich bringen müsse, auf das geringste Mass. — Leider war
mir das Gutachten von Salamanca nicht zugänglich; 1 es
scheint nicht so günstig gelautet zu haben, denn König Philipp,
welcher am 13. Jänner 1580 die beiden Universitätsgutachten,
sowie die Arbeit des Turiani überschickt, äussert sich sehr
kühl dem Plane des Papstes gegenüber. Allerdings ist er mit
der Vornahme der Reform einverstanden, aber er bittet, man
möge dieselbe so vornehmen, dass keine neuen Breviere und
Missale mehr gedruckt zu werden brauchen; schon bei der
durch Pius V. vorgenommenen Aenderung sei es hie und da sehr
schwer geworden, die Anschaffung der neuen Bücher zu besorgen;
jetzt nach so kurzer Zeit darauf könnten derlei Auslagen von
vielen Kirchen seines Reiches sicher nicht bestritten werden.
Recht unbedeutend nehmen sich neben dem eben geschil
derten Gutachten die anderer gelehrter Genossenschaften aus,
am unbedeutendsten wohl das, welches die Genueser Mathe
matiker im Aufträge der Republik verfassten. 2 Ueber den
neuen Mondcyclus wissen sie gar nichts zu sagen, mit völligem
Stillschweigen wird diese wichtige Seite der Reform übergangen;
dagegen sind sie wider die Auslassung von 10 Tagen, da sie
durch sie Verwirrung und Tumulte befürchten; sie weisen darauf
hin, dass Kaiser Augustus nicht einmal gewagt habe, 3 Tage
auf einmal auszulassen, und dass das Concil von Basel, um den
Cyclus der Ferialbuchstaben nicht zu stören, sich nur zur Aus
merzung von 7 Tagen entschliessen konnte. Diesem letzteren
Modus reden auch sie das Wort und meinen, den noch übrig
bleibenden Rest des Fehlers von 3 Tagen werden die von
Gregor XIII. berufenen Mathematiker schon auf irgend eine
Weise beseitigen können! 3
1 Der dasselbe enthaltende Cod. Vatic. 7049 wurde mir, ,weil er arg be
schädigt sei 1 , nicht gegeben.
2 Cod. Vatic. 5645. fol. 112.
3 Neben dem Gutachten dieser Mathematiker schickte die Republik auch
die in ihrem Aufträge von dem Juden Zacharias Levita abgefassten
Beiträge znr Geschichte der Gregorianischen Tvalenderreform.
35
Ziemlich auf dei’ gleichen Stufe steht das mit Brief vom
1. September 1578 von der Universität Cöln eingeschickte
Gutachten, welches den ordentlichen Professor der Mathematik,
Theodor Graminaeus, zum Verfasser hat. 1 Merkwürdig ist
hiebei, dass sich beide Schriftstücke ihren Ansichten nach
nicht decken; die Universität erklärt nämlich, dass ihr Referent
den Lilio’schen Vorschlag für den besten von allen bisher auf
gestellten ansehe, wovon im Gutachten selbst gar nichts vor
kommt; im Gegentheil, Graminaeus gefällt sich in hämischen
Ausfällen gegen Lilio, von denen der geistreichste die höhnende
Bemerkung ist, Lilio habe sich umsonst bemüht, die Ostertage
und den Kalender überhaupt auf lange Jahre hinaus richtig
zustellen, da ja die Welt schon ihrem Ende entgegengehe.
Wohl um dasselbe früher vorübergehen zu lassen, verlangt er
vom Papste, er solle mit der Reform bis zum Jahre 1600 warten
und dann diese nächsten zwei centenaren Jahre zu Gemein
jahren erklären; vorher solle das Sonnenjahr ganz unberührt
bleiben, denn nach Pierre d’Ailly’s und Paulus v. Middelburg’s
Vorgang will er die Jahrpunkte an den Tagen gefestigt haben,
an welchen sie damals eintraten. Eine Correctur des Mond-
cyclus hält er jedoch schon jetzt wegen des grossen Scandals,
welchen die falsche Osterfeier bei den Ungläubigen erregt, für
nöthig, spricht sich aber nicht näher über die von ihm als
hiefür tauglich angesehene Art aus. Graminaeus’ Tractat zeugt
von grosser Belesenheit, er kennt fast alle Schriften, die sich
früher mit Reformvorschlägen beschäftigten, aber er ist höchst
schwülstig und aufgeblasen, so recht ein Repräsentant des
Grosstheils der deutschen Gelehrten jener Zeit. 2 Ob er mit
,Lucubrationes in Kalendarii Romani reformationem 4 (Cod. Vatic. 5645.
fol. 117) ein. Sie haben gar keine Bedeutung und ihr Verfasser verdient
somit nicht die ihm unter seinen christlichen Collegen eingeräumte Sonder
stellung.
1 Cod. Vatic. 5645: Der Brief der Universität fol. 21 und des Graminaeus
,Censttra seu judicium de modo et forma Correctionis Calendarii, quam
S. D. Gregorio XIII. P. M. Aloysius Lilius Mathematicus proposuit/ fol. 50.
2 Graminaeus hat sich auch noch später mit der Kalenderfrage beschäftigt. Er
schrieb: ,Exhortatio ex exequenda calendarii correctione‘, Düsseldorf 1596,
und ,Refutatio Elenchi Calendarii Gregoriani a. S. Calvisio conscripti‘,
Mainz 1616. Keine der beiden Schriften war mir zugänglich.
36
Kaltenbrunner.
ihm Beifall bei seinen Collegen gefunden hat, ist sehr unwahr
scheinlich, denn offenbar will die Universität durch den schon an
geführten Satz die Einwendungen des Graminaeus abschwächen,
und für den einzigen von ihm gemachten positiven Vorschlag
in Bezug auf das Sonnenjahr hat sie nicht Worte der Aner
kennung oder Empfehlung gefunden, sondern führt ihn einfach
an und versichert den Papst, dass sie, was immer er befehlen
werde, freudig befolgen wolle.
Die Universität Löwen hatte im Jahre 1578 die Pro
fessoren der Medicin; Petrus Beausardus und Cornelius Gemma,
sowie ihren Mathematiker Adrianus Celstius mit der Begut
achtung des Compendiums betraut. Die beiden Ersteren starben
aber bald darauf und der Letztere hatte eine schwere Krankheit
durchzumachen, so dass er erst am 12. Februar 1579 seine
Arbeit der Universität übergeben konnte. 1 Er kennt die Ver
dienste und die Kunstfertigkeit des Lilio an, aber der Epacten-
cyclus sei viel zu complicirt und nur Fachmännern fasslich,
überdies sei es pietätlos, den so lange gebrauchten Numerus
aureus jetzt aus dem Kalender zu verbannen. Auch findet
Celstius die ,Klage' des Papstes, dass das allmälige Anwachsen
des Fehlers im Sonnenjahre erst nach Ablauf eines Cyclus von
400 Jahren beseitigt werden könne, begreiflich, und so kam
er nach Erwägung aller dieser Gebrechen auf den Gedanken,
eine neue Art der Kalenderreform auszusinnen, und mit Gottes
Hilfe ist ihm dies so gut gelungen, dass nichts Fertigeres mehr
ausgedacht werden könnte, denn in seinem Kalenderentwurfe
sei der Numerus aureus, jedoch bequem und den neueren astrono
mischen Anforderungen entsprechend accommodirt, beibehalten,
und der Fehler des Sonnenjahres werde darin schon innerhalb
eines Cyclus von sieben Jahren beseitigt. Wie Celstius namentlich
das Letztere fertig gebracht hat, können wir leider nicht an
geben,'denn der Kalenderentwurf, welchen er sammt dem eben
benützten Schreiben der Universität einreichte, scheint nicht
nach Rom gelangt zu sein. Sein Brief nämlich und der Tractat
wurden mit einem Begleitschreiben des Professors und Regens
bursae Coronarum, Petrus Soffredus, vom 29. April 1579, an den
päpstlichen Nuntius, Erzbischof Johann Castaneus, mit der Bitte
1 Brief des Celstius im Cod. Vatic. 5645. fol. 25.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
37
überschickt, dieselben bei nächster Gelegenheit nach Rom zu
befördern. Dieser Aufforderung kam auch der Nuntius schon
am 8. Mai desselben Jahres nach; sein Eiubegleitschreiben,
sowie die Briefe des Celstius und Soffredus finden sich neben
einander im Cod. Vatic. 5645; der Tractat aber ist weder in
ihm, noch in der Serie der die grösseren Schriften umspannenden
Codices, und auch der Index des ersteren führt ihn nicht an.
Dasselbe Geschick hatte auch die Arbeit eines Schülers des
Celstius, des Albertus Leoninus, welcher während der Krank
heit seines Lehrers ein diesbezügliches Buch (,Liber de emen-
datione Calendarii 1 ) verfasste, zu Cöln drucken liess und dem
Papste überschickte, wie Soffredus in seinem Schreiben an den
Nuntius erzählt.
Wir kommen nun zu den zwei bedeutendsten Kund
gebungen, zu den Gutachten der berühmten Universitäten Wien
und Paris; entsprechend ihrer Tradition, haben ihre Leiter den
Entwurf verschiedenen Facultäten anvertraut; die Universität,
an der ein Georg Purbach und Johannes Regiomontanus ge
glänzt hatten, sah den Entwurf als astronomisches Werk an
und übergab ihn einem Mathematiker; die andere, einst die
Leuchte der theologischen Wissenschaft, massgebend und beein
flussend für den Gang, welchen die Geister in ihr einschlugen,
betraute die theologische Facultät, deren Gutachten wir jetzt
zu betrachten haben. 1 Die Pariser theologische Facultät
spricht als Ganzes; nicht durch den Mund eines ihrer Mitglieder,
sondern selbst führt sie sich redend ein, im Vollbewusstsein
ihrer Bedeutung, die sie für die christliche Lehre und die
katholische Sache hatte, und von ihrer erhöhten Bedeutung in
der Jetztzeit, wo stärker denn je die Häretiker die Herzen
der Menschen berücken. Zu diesen neuen wölfischen Lehrern
zählt nun die Facultät auch die neuen Astronomen; unmittelbar
1 Cod. Vatic. 5645. fol. 151, ohne Titel und Datum. Das Gutachten wurde
selbstständig, nicht durch den König eingeschickt, was sich aus den Zeit
ereignissen gar wohl erklärt — Heinrich III. und die Sorbonne standen auf
keinem guten Fusso. Ersterer sandte überhaupt kein Judicium eines
Gelehrten oder einer Genossenschaft ein, sondern sprach sich nur in seinem
Briefe vom 28. Oetober 1578 zustimmend für die Reform aus, bittet aber,
aus Furcht vor Tumult und Verwirrung des Volkes von der geplanten
Auslassung der 10 Tage abzustehen.
38
K a 11 e n b r u n n e r.
nach Anführung von Luther, Calvin und Beza eifert sie gegen
Jene, welche sich mit den Angeln des Himmels beschäftigen
und sich selbst verkennen, welche, Himmel und Erde ver
wechselnd, Freude daran haben, dass sich der ganze Erdkreis
bewegt. Mit der Lehre der Ketzer sei auch diese neue Lehre
auszurotten, nichts dürfe geschehen von Seite der Kirche, was
ihr Vorschub leisten und ihr auch nur einen Schein der Be
rechtigung verleihen könnte. Das ist der Grundgedanke, der,
weitläufig durch den Epilog hindurchgesponnen, die 26 Thesen
beseelt, welche über den neuen Kalender selbst aufgestellt
werden. Durch die Kalenderreform soll nämlich — so meint
die Facultät — die Kirche dem Willen der Astronomen unter
worfen und dienstbar gemacht werden. Dies berge an sich
schon grosse Gefahren in den Augen der Orthodoxen, denn
dadurch, dass man das heilige Osterfest nach dem Laufe der
Gestirne umändern wolle, werde die göttliche Majestät, die
allein denselben erkennen und messen kann, verletzt, ja es
werde die ganze Ordnung der Dinge verkehrt, da doch Gott
Sonne und Mond zum Frommen der Kirche, nicht diese zum
Dienste jener geschaffen habe. Um so gefährlicher sei aber
dieses Beginnen, weil die Bewegungen der Gestirne von den
Astronomen gemessen werden, welche verwerfliche, gefährliche
und unwissende Leute seien. Ihre Verwerflichkeit besteht in
den Augen der Facultät darin, dass sie die menschlichen Ge
schicke in Zusammenhang mit dem Laufe der Gestirne bringen,
und sicher stimmen wir ihr da bei; nur ist es unehrlich von
ihr, dass sie mit den traurigen Auswüchsen der Astrologie die
ganze Wissenschaft, welche sich damals freilich noch nicht
ganz von ihnen losschälen konnte (man denke nur an Kepler),
verwirft und verlästert. Dieser plumpe Kunstgriff der Ver
wechslung der reinen Astronomie mit der Sterndeuterei wird
auch noch weiter benützt, wenn ihre Gefährlichkeit aus zahl
reichen Stellen der Kirchenväter und selbst aus Edicten
römischer Kaiser nachgewiesen wird. Unnütz und schwach
aber sei die vermeintliche Wissenschaft, weil sie Aristoteles,
dessen Philosophie allein bei den Orthodoxen Beachtung finden
dürfe, nicht berücksichtigt, und weil ihre Vertreter unter sich
noch so uneins seien, dass sie nicht anzpgeben im Stande wären,
wie denn nach ihrer Ansicht Ostern richtig gefeiert werden
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
39
könnte. In weiser Berücksichtigung alles dessen habe die alte
Kirche unbekümmert um die Astronomie zu bauen begonnen,
und deshalb sei ihr Bau so stark und felsenfest geworden,
weil sie sich nicht von den Planetenmännern, sondern vom
heiligen Geiste leiten liess. Wenn man ihnen aber nun folgen
wollte, so gäbe man mit der Kalenderreform zu, dass die alte
Kirche in Bezug auf das grösste Sacrament, nämlich Ostern,
geirrt habe, und so müssten denn alle in die Kirche Glaubenden
mit ihr verdammt werden von dem Zeitpunkte an, wo der
Irrthum entstand. Mit dem Zugeben des einen Fehlers aber
müsste man weiter zugestehen, dass sie überhaupt irren könne,
und die ganze Horde der Haeretiker könnte dann in den
so lange feststehenden Bau einstürmen. Jener Irrthum aber sei
unmöglich, da das Osterfest in heiligen Concilien festgesetzt
worden sei, und wenn ein Fehler bei seiner Aufstellung statt
gefunden hätte, er den vom heiligen Geiste beseelten Männern
aufgestossen sein müsste. Wenn man ihr aber entgegenhalten
wollte, dass am Lateranensischen Concile die Fehler der Oster
feier eingesehen worden seien, dass man damals gezeigt und
erkannt habe, wie das Aequinoctium seit den Tagen des Concils
von Nicaea um eine Anzahl von Tagen vorgerückt sei, so er
widert darauf die Facultät, dass die Astronomen zu allen Zeiten
Feinde der Wahrheit gewesen seien, die gar oft die Herzen
der Harmlosen täuschten, dass Papst Julius II. sich jeder Reform
energisch widersetzte und das Concil von Basel nichts über
die Aendcrung der Osterfeier beschlossen habe, dass eine solche
auch gegen das canonische Recht wäre, da im Decretum Gre-
gorii IX. nicht ein Canon von der Aenderung der Festfeier
und des Kalenders spreche.
So äussert sich die Sorbonne über den Kalenderentwurf!
Wahrlich, die Zeiten hatten sich geändert; vor 170 Jahren
schrieb ihr Kanzler Pierre d’Ailly über den Einklang der Astro
nomie mit der Theologie und ward einer der eifrigsten Vor
kämpfer für die Reform des Kalenders, jetzt spricht aus ihr
der bis an seine Wurzeln hinan erstarrte Scholasticismus, der
äusserste Zelotismus und grimmige Wutli gegen die sie bei
Seite liegen lassende neue Zeit; derselbe Geist leuchtet da
hervor, der es bald möglich machte, dass ein Galiläi seiner
Wissenschaft halber an Ehre und Freiheit geschädigt wurde.
40
Kaltenbrunner.
Damals aber wehte in Rom eine bessere Luft, und wahrlich,
man muss es Gregor XIII. und seinen Arbeitern, vor Allen
dem frommen Sirlet zum Verdienste anrechnen, dass sie sich
durch diese Drohungen nicht abschrecken Hessen, dass sie un
beirrt durch die ihnen vorgestellten Gefahren das Werk un
verdrossen zu Ende führten.
Wohlthuend wirkt aus den verdüsterten Räumen der Sor
bonne der Gang zum Donaustrand, wo Rector und Senat der
Universität Wien einhellig mit der theologischen Facultät ein
ganz anderes Gutachten approbirten, das wissenschaftlichen
Geist und Freude an Thaten bekundet. Ich hatte schon früher 1
Gelegenheit, die Ansichten darzulegen, welche der mit der Be
gutachtung beauftragte Professor der Mathematik, Dr. Paulus
Fabricius, aussprach. Er will das cyclische Wesen weg haben
und dafür die astronomische Rechnung eingeführt wissen mit
Beruf auf den herrlichen Aufschwung, den die Astronomie
jüngst genommen, auf die Erleichterung des literarischen Ver
kehrs durch die Buchdruckerkunst, die das, was vor ihr schwei-
durchführbar war, nun leicht bewerkstelligen könnte. Würde
man — meint er — zur Zeit des Nicaenischen Concils die
jetzigen Kenntnisse der Astronomie und die Buchdruckerkunst
gehabt haben, so hätte man sicherlich der Kirche ein anderes
Jahr gegeben; da man also damals nur aus ungenügenden
Kenntnissen den Kalender und die Osterfeier nach dem Mond-
cyclus festgesetzt habe, so stehe nichts im Wege, jetzt die
nöthigen Verbesserungen einzuführen und die alten, unbeholfenen
Mittel der cyclischen Rechnung, welche der Wahrheit Hohn
spreche, bei Seite zu werfen. Fabricius beruft sich auf die
Autorität der vielen gelehrten Männer, die schon vor ihm
denselben Gedanken ausgesprochen hätten, und beschwört
Gregor XIII., er möge nicht durch abermalige Festsetzung
der cyclischen Rechnung die so schön erblühte Astronomie in
ihrer Entwicklung hemmen. Zur Berechnung der nöthigen An
gaben für den astronomischen Kalender plaidirt er für Errich
tung von Sternwarten durch den Staat, ähnlich wie sein portu
giesischer College Hortensius.
Polemik über die Gregorianische Kalenderreform a. a. 0. p. 491.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
41
Das Judicium des Fabricius wurde durch die vom Rector
niedergesetzte Commission, in der neben dem Decan der theolo
gischen Facultät der ihr auch angehörige Rector und ausserdem
zwei Professoren aus dem Jesuitenorden sassen, geprüft und
mit einem gutheissenden Schreiben an den Kaiser geschickt,
der es nach Rom gelangen liess, wo ihm in der von uns be
nützten Sammlung der erste Platz eingeräumt wurde.
Wir haben damit die Reihe der eingelaufenen Gutachten
erschöpft, und nur ein kurzer Rückblick auf sie möge gestattet
sein. Mit dem ,concorditer consentire' der Fürsten und Uni
versitäten der Bulle ,Inter Gravissimas' und bei Clavius hat
es wohl seine guten Wege: nur auf den dem heiligen Vater
gegenüber nöthigen Höflichkeitsformeln konnte dieser Ausdruck
fussen, nicht aber auf dem thatsächlichen Inhalte der Einläufe,
denn nur Eine Universität haben wir unbedingten Beifall spenden
sehen, und auch Könige, wie die von Frankreich und Spanien,
stimmen nur bedingungsweise zu. Mannigfachar Art dagegen
sind die Einwendungen und ebenso mannigfach die Wünsche,
welche im Gegensatz zum Entwurf über die Reform ausge
sprochen wurden. Viele unter ihnen sind sicherlich ganz klein
licher Natur, nur dem Bestreben des Kritikers entsprungen,
neben der Negation, zu der er, sich als Beurtheiler verpflichtet
fühlt, auch etwas Positives, sei es auch noch so unbedeutend
und verschroben, vorzubringen. Ueber diese konnte die Com
mission leichten Herzens zur Tagesordnung übergehen; etwas
anders aber war es mit denen, welche Gewohnheit und Ehr
furcht vor dem Althergebrachten ins Feld führten, namentlich
den Vertheidigern des alten Numerus aureus. Die Commission
setzte sich über sie hinweg und konnte sich dabei leicht auf
frühere Vorschläge berufen; aber sie hätte dies noch viel leichter
haben können, denn die Ehrfurcht vor dem Numerus aureus
hatte lange keine so festen Wurzeln, als seine Vertheidiger
und, wie es scheint, auch die Commission ihm zutrauten. Zu
nächst war die Frage rein formell, denn wenn man unter ,Numerus
aureus' den 19jährigen Mondcyclus verstand, so wurde dieser ja
durch den Entwurf kaum berührt; nach wie vor blieb die
Gleichung: ,19 solare Jahre = 23f> synodischen Mondmonaten'
aufgestellt und bildete die Grundlage des neuen Lunarkalenders.
42
Kaltenbrunner.
Aber indem ihr Fehler erkannt wurde, sah man sich genöthigt,
eine Correcturformel daneben aufzustellen, die den in etwa
300 Jahren zu einem Tag anwachsenden Fehler wieder zurück
drängen sollte. Diesen Fehler gestehen auch die Vertheidiger
der alten Form zu, und auch sie schlagen eine derartige ent
weder mathematisch oder mechanisch auszutührende Correctur
vor; also auch sie durchbrechen, wie es der Entwurf thut, den
alten kirchlichen Mondcyclüs, den Numerus aureus in diesem
Sinne. Ein Unterschied bestand also nur in der Form dieser
Correctur, und in diesem Sinne konnte man allerdings klagen,
dass die alten Numeri aurei beseitigt würden, das sind jetzt
die Zahlen des 19jährigen Cyclus, welche zu den einzelnen
Monatstagen ein für alle Mal eingeschrieben waren, um an
zuzeigen, dass in allen von ihnen bezeichneten Jahren des
19jährigen Cyclus an den bedachten Tagen Neumonde eintreten.
Diese Zahlen sollten im neuen Kalender verschwinden und
sollten ersetzt werden durch andere, als ,Epacten‘ bezeichnete,
welche aber im engsten Zusammenhänge mit den alten stehen,
da sie nichts als Vertreter derselben für die einzelnen Aequa-
tionsperioden sind. Während die Freunde der Numeri aurei —
sobald sie nur die Fehlerhaftigkeit des Mondcyclüs einge
standen — auf eine mechanische Correctur denken mussten,
die aber zugleich Rechnungsarbeit verlangte, indem sie für
die einzelnen Correcturepochen Reductionszahlen, sei es für
die Numeri aurei, sei es für die mit ihnen beschriebenen
Kalendertage, beilegen oder die Kalenderreform in Permanenz
erklären mussten, indem bei scheinbarer Unveränderlichkeit,
so oft es nöthig ist, und es war dies in Folge der Correctur
des Sonnenjahres fast in allen centenaren Jahren der Fall, die
eingeschriebene Reihe verschoben werden sollte, stellen Lilio
und der Entwurf Vertreter der Numeri aurei auf, die sich wohl
fürs Auge als etwas Fremdes darstellen, aber dafür die Unver-
änderlichkeit des Kalenders nach wie vor bestehen Hessen und
zu ihrer Benützung nur das mechanische Nachschlagen in den
Aequationstafeln mit Unnöthigmachung jedweder Rechnung
verlangten. Aber auch die Ehrfurcht, welche der alten Insti
tution entgegengebracht wurde, ist keineswegs so fest begründet,
als man annahm; nur auf höchstens vierhundertjährige Tradition
konnte man sich stützen, man hatte nicht einmal das Recht,
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
43
irgend eine Leuchte der Theologie für den Erfinder der Einrich
tung aufzustellen, ganz allmälig tinden die Numeri aurei in diesem
Sinne in die Kalendarien des Mittelalters im 12. Jahrhundert
Eingang. 1 Dies wusste man aber damals nicht, sondern es war
die allgemeine Annahme, dass das Concil von Nicaea dieselben
zusammen mit der herrschenden Osterregel aufgestellt habe,
und man sah sie daher durch die angesehenste aller Synoden
und zwölf hundertjährige Tradition gefestigt und geheiligt an; ja
Manche gehen noch weiter zurück und schreiben ihre Erfindung
dem Julius Cäsar und nur ihre Sanctionirung den Nicaenischen
Vätern zu. Es standen also keine Canones gegenüber, ja selbst
wenn die Numeri aurei mit der im Mittelalter herrschenden
Osterregel zusammen eingeführt worden wären, stand keiner
gegenüber, denn jetzt weiss man, dass zu Nicaea überhaupt
kein Canon in dieser bündigen Weise für die Berechnung des
Osterfestes aufgestellt wurde. Für die Männer vor dreihundert
Jahren war dies aber unumstösslicher Glaube, und so können
wir wohl begreifen, wie von so vielen Seiten zäh an ihm fest
gehalten wurde, und müssen es andererseits dem Papste und
den Commissionsmitgliedern hoch anrechnen, dass sie sich über
diese Bedenken hinwegsetzten und einzig ihr Ziel, ein in ihrem
Sinne praktisches und richtiges Kalendarium aufzustellen, vor
Augen hatten.
Einwendungen ganz anderer Art wurden gegen die vor
geschlagene Reform des Sonnenjahres gemacht. Vornehmlich
sind es zwei, die uns häufiger begegnen und auch Anspruch
auf Beachtung verdienen. Die eine bezieht sich auf die zur
Vorbeugung des abermaligen Anwachsens des Fehlers nöthige
Modification der Julianischen Schaltregel. Während der Entwurf
(und nachher der Gregorianische Kalender) mit verständiger
Verzichtung auf absolute Genauigkeit, die-ja bei der Unsicher
heit des Ansatzes für die Dauer des tropischen Jahres doch
nicht zu erreichen war, die Ausschaltung in die centenaren Jahre
verlegt, wollen Andere dieselbe stets nach Ablauf jenes Zeit
raumes vorgenommen wissen, in welchem der Fehler nach dem
Alphonsinischen oder Copernikanischen (oder auch selbstständig
1 Vergl. Sickel, Die Lunarbuchstaben des Mittelalters. Sitzungsberichte
XXXVIII. 171.
44
Kalteulirunner.
aufgestellten) Jahresansatz zur Grösse eines Tages anwächst.
Der römische Entwurf hatte in dieser Frage die Bequemlichkeit
im Auge; indem er die Ausschaltung auf die immerhin bedeut
same Abschnitte bildenden Wendepunkte der Jahrhunderte ver
legt, sichert er dieselbe vor Uebersehen und erhält zugleich
eine leicht dem Gedächtnisse einzuprägende Regel hiefiir. Die
Andern Hessen sich, wenn man so sagen darf, vom Reinlichkeits
gefühle leiten, denn sie fanden es absurd, dass etwas -schon
nach 100 Jahren corrigirt werde, was nach 134 Jahren that-
sächlich werden wird. Sie meinten dies aber in Verkennung
der Sachlage; denn in der Wirklichkeit wächst der Fehler nach
den Alphonsinischen Tafeln keineswegs immer in 134 Jahren
zu einem Tag an; dies würde voraussetzen, dass die Da.uer des
tropischen Jahres eine constante sei, während man dessen Gegen-
tlieil auch damals schon wusste; sowie der Jahresansatz nur
ein mittlerer ist, so ist es auch der des Anwachsens des Fehlers.
Konnte man sich also nicht entschliessen, wirkliche astrono
mische Beobachtungen dem Kalender zu Grunde zu legen, wo
durch allein eine Jahr für Jahr zutreffende Richtigkeit erlangt
werden konnte, so war es entschieden praktischer, die cyclische
Rechnung (also: Ausschaltung von 3 Tagen in je 400 Jahren)
anzuwenden, als die sogenannten mittleren Bewegungen, die
ihrem Wesen nach ebenso imaginär sind als die durch cyclische
Rechnung gewonnenen Werthe, und wenn auch nicht so oft
als diese, doch auch sehr häufig in Missklang kommen mit
dem, was der beobachtende Astronom vom Himmel selbst abliest.
Die andere Meinungsverschiedenheit betrifft die Frage, auf
welche Monatstage die Jahrpunkte zu fixiren seien. Der Ent
wurf schlägt vor, sie da festzusetzen, wo sie in dem im Ge
brauche stehenden Kalender schon lange fälschlich waren, zu
welchem Behufe die Auslassung von 10 Tagen nöthig war.
Zwei andere Vorschläge wurden dagegen aufgestellt: der eine
will sie dort gefestigt haben, wo sie sich in der That befanden;
er war einst, namentlich zur Zeit des Lateranensischen Concils,
sehr stark im Schwange, begegnet uns jetzt aber seltener; er
hätte den einen grossen Vortheil geboten, dass die Verkürzung
eines Jahres ganz überflüssig geworden wäre. Viel häufiger
aber tritt das Verlangen auf, die Jahrpunkte bis zu den Tagen
zurückzurücken, auf welche sie Julius Cäsar gesetzt hatte.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
45
Humanistische Regungen sind neben der Pietät für die Zeit
Christi und der ersten Kirche seine Motive; dass bei der
durch ihn nöthigen Auslassung von 14 Tagen am Cyclus der
Sonntagsbuchstaben keine Aenderung nöthig wäre, bietet ihm
die meiste Unterstützung dar. Wir hören beide Vorschläge von
Begutachtern aussprechen, die wir als eifrige Vertheidiger des
Numerus aureus, also als Freunde des Althergebrachten und
Verehrer des Concils von Nicaea kennen lernen. Es ist dies
auffallend, denn hier lag in der That, nicht blos scheinbar,
zwölfhundertjährige Tradition vor, hier stand auch die bisher
im Gebrauche stehende Osterregel, die ja auf dasselbe Concil
von Nicaea zurückgeführt wurde, entgegen. Auch die Vorthdile,
welche beide Vorschläge für sich anführen konnten, ver
schwinden gegenüber der Erwägung, dass sie in Bezug auf die
Osterrechnung und alle damit in Verbindung stehenden kalen
darischen Einrichtungen eine totale Umwälzung nöthig gemacht
hätten, und dies scheint auch vor Allem die Schranke gewesen
zu sein, über welche die Commission nicht hinübersetzen wollte
oder konnte. 1
Neben Gutachten, welche bei Eiuzelnheiten des Entwurfes
abweichende Meinungen und Vorschläge aussprechen, begegnen
uns aber auch solche, die, alle Schranken durchbrechend, das
cyclische Wesen des Kalenders ganz abschaffen und hiefür die
astronomische Rechnung einführen wollen. Es war dies kein
neuer Gedanke; schon zu Anfang des Jahrhunderts war er auf
deutschen Universitäten bestimmt und klar, begeistert für sich
plaidirend, zum Ausdruck gebracht worden. Es fehlte nicht
viel, so wäre er auch am Lateranensischen Concile zur Aus
führung gelangt, aber gerade dort verhinderten die grossen, ihm
anhaftenden Schwierigkeiten den Vollzug, und wäre es ihm
auch vergönnt gewesen, zum Durchbruch zu gelangen, kaum
hätte er sich lange halten können. Gewiss ist es^ein an-
muthender Gedanke, der durch seinen frischen Muth und die
selbstbewusste Kraft der neuerblühten Wissenschaft für sich
einnimmt, aber gar bald wäre er vergällt worden durch end
lose Streitigkeiten, die sich von Jahr zu Jahr, oder so oft eine
neue astronomische Bestimmung für den Kalender und das
Vergl. Clavius, Explicatio p. 79.
46
K a 11 e n b r n n n e r.
Osterfest aufgestellt worden wäre, sicherlich wiederholt hätten,
und auch der romantische Wunsch mancher Verfechter der
astronomischen Rechnung, die Päpste sollten wieder zu dem
,pascham indicire - ' ihrer ältesten Vorgänger zurückkehren, hätte
der Streitsucht kaum Schranken auferlegen können. So müssen
wir den nüchternen Realismus, von dem sich die römischen
Astronomen leiten liessen, nur billigen, müssen ihnen Recht
geben, dass sie für das als nöthig angesehene kirchliche Kalen
darium und die Bestimmung des Osterfestes die cyclische Rech
nung beibehielten. Es kann Wunder nehmen, dass die radicalen
Wiener und Portugiesen, sowie ihre Vorläufer nicht weiter ge
gangen sind, die kirchliche Osterfeier über Bord werfen und
Ostern zu einem unbeweglichen Feste erklärt wissen wollten.
Hätten sie diesen Schritt zu thun gewagt — und seine Eiiaubt-
heit wurde von gut katholischer, ihnen bekannter Seite, nämlich
von Paulus v. Middelburg bewiesen — so wäre Consequenz in
ihrem System gewesen, denn dann hätte man in der That der
cyclischen Rechnung gar nicht bedurft, dann wäre die Vor
rechnung von Himmelserscheinungen für den christlichen Kult
ganz überflüssig, das Kalenderwesen überhaupt ganz losgelöst
vom kirchlichen Gottesdienste geworden, dann wäre es auch
gleichgiltig und keine Streitigkeiten gebärend gewesen, ob
der eine Astronom das Aequinoctium und einen Vollmond
anders bestimmte als ein anderer, denn der zum Federkampfe
einladende Turnierplan des Osteransatzes wäre gesperrt ge
wesen. In keinem der Gutachten wird die Unbeweglichkeit des
Osterfestes auch nur angedeutet, und der Kalendercommission
lag sie, wenn sie auch vielleicht von einigen Mitgliedern als
erlaubt und durchführbar angesehen werden mochte, 1 ferne,
sie lag auch ferne den Absichten Gregors XIII., der bei seiner
Reform möglichst wenig an den alten Regeln geändert wissen
wollte; 2 und so blieb denn immerhin das Beste, die cyclische
Rechnung beizubehalten. Sie wurde aber in Rom nicht als
selbstverständlich angenommen, denn Clavius verbreitet sich
1 Clavius, Explicatio p. 59: ,Non sunt audiendi, qui ita (Ecclesiam debere
solemnitateni Paschalem peragere stato semper die) censent, quamvis
Ecclesia id suo iure utens libere facere posset et nemo eam ob id posset
reprehendere* etc.
2 Clavius, Explicatio p. 580.
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
47
des Ausführlichen über die Gründe, welche bei ihrer Beibe
haltung massgebend gewesen waren. In sechs Punkte gliedert
sich die betreffende Darlegung, und vier von ihnen sind den
aus den verschiedenen Berechnungen sich ergebenden Unzu
kömmlichkeiten gewidmet, nur die zwei letzten sprechen von
früheren Autoritäten und der alten Gepflogenheit. Aber sowohl
diese beide letzten, als auch die vier, wo er Gelegenheit gehabt
hätte, über die Astronomen böse Worte zu sprechen, sind ganz
anderen Inhalts und ganz anderer Form als die zelotischen
Worte der Sorbonne, die auch in der ganzen Gruppe der Gut
achten einzig dastehen und nur nach der Reform würdige Ge
nossinnen aus dem Munde protestantischer Theologen erhalten
sollten.
Fragen wir schliesslich nach dem Einflüsse, den die Gut
achten auf die Arbeiten der Commission ausübten, so müssen
wir denselben sehr gering anschlagen. Mochte sie in den wenigen
zustimmenden Aufmunterung und Stütze finden, so konnten sie
die gegentheiligen Ansichten nicht in ihren Plänen irre machen,
und so ging der Lilio’sche Kalender mit den früher angegebenen
Aenderungen, die aber ganz bestimmt nicht durch irgend ein
Gutachten veranlasst wurden, als Gregorianischer in die Welt
hinaus. Die Beweggründe für ihre Ausserachtlassung aber ent
ziehen sich unseren Blicken; wäre der Plan, im ,Liber novae
rationis restituendi Kalendarii' eine ausführliche Begründung
des Reformwerkes zu geben, zur Reife gelangt, würden wir
wohl diese Lücke ausfüllen können, so aber besitzen wir nur
das an seine Stelle getretene Werk des Clavius, welches, nach
heftigen öffentlichen Angriffen geschrieben, nur diesen entgegen-
ti'itt und daher nicht dazu angethan ist, uns ein klares, unge
trübtes Bild von den Anschauungen der Commission zu geben.
Der Grund aber, warum Clavius in diesem Werke so kurz
der Gutachten gedenkt, ist aus der vorhergehenden Darlegung
derselben unschwer zu erkennen — sie boten ihm, weil eben
in ihrer Mehrheit nicht zustimmend, keine Stütze dar. Aber
wenn es auch mit der ,Communis consensio' der Mathematiker
nicht so gut bestellt war, als man nach der Bulle vermuthen
sollte, so muss man auch sagen, dass es unmöglich gewesen
wäre, all’ den Bedenken und Wünschen gegenüber Rücksicht
walten zu lassen; sollte die Angelegenheit nicht abermals
48
K altenbrunner.
verschleppt werden, so musste man über sie hinweg energisch
zur That schreiten, und dass Gregor XIII. das gethan hat,
bleibt ein Verdienst, das ihm die hämischen Gegner nicht
schmälern konnten und das jetzt auch die Nachwelt rückhaltslos
anerkennt.
Anhang.
Der Commissions-Bericht im Cod. Yatic. 3685.
Ratio corrigendi Fastos confirmata et nomine omnium, qui ad
Calendarii correctionem delecti sunt, oblata sanctissimo Domino
nostro Gh'egorio XIII.
Res agitur ad catholicae Romanae Ecelesiae dignitatem
tuendam necessaria, diei scilicet festi Paschatis iuxta veterum
Patrum normam restitutio. Qua in re ob christianäe reipublicae
commodum potest quidem catholica Ecclesia, a cuius cervice
iugum servile ceremonianxm legis Mosaicae Christus liberator
noster sua morte iam depulit, rursus constituere, ut huius diei
sacra sollenxnia sanctaeque ceremoniae alio tempore celebrentur;
sed quoniam id nulla reipublicae ratio postulare videtur, pro-
fecto ipsius ecelesiae Majestati congruum est, ut quod de Pas
chatis celebratione a concilio Nicaeno olim decretum fuit, id
stricte ac diligenter in posterum observetur.
Quoniam autem de praecipuis diebus festis et ceremoniis
legis evangelicae inter omnes conveniat (solet enim in iis dis-
sensio discrepantiam ac dubitationem dogmatum iidei in ani-
mos hominiun inducere), studiosissime curandum est, ut error,
qui propter aequinoctii mobilitatem et propter inconstantem
lunaris cycli rationem in Fastos sive Calendarium sensim irre-
pit, omnino eripiatur atque ad certam constantemque (quoad
eius fieri potest) l’ationem unacum Fastonxm coi’rectione cursus
annui finiantui', idque’sancta Ti’identina synodus Summo Ponti-
fici una comprehensione eixiendationis Breviarii iam complexae
reservavit. Ob eam igitur causam sanctissimus Dominus noster
Gi’egorins XIII. (quae est eius singularis prudentia et vigilantia),
ne quod ex omnium saeculorum memoria proprium Pontifieis
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
49
Maximi esse solet id praetemiisisse videatur, deesse non potuit,
quin in maximis suis curis aliquid temporis impertiat liuic
quoque cogitationi, quoddam itaque compendium novae rationis
restituendi Calendarium ad catholicos reipublicae christianae
principes primariasque accademias non ita pridem misit, illosque
de ea re sententiam rogavit, qui pene omnes partim literis suis
partim eruditorum hominum scriptis Calendarii atque anni emen-
dationem non laudant solum sed etiam urgent Summum Ponti-
ficem orando obsecrando hortandoque, ut munus olim susceptum
a maioribus suis optato tandem expleat. Illam quoque novain ab
Aloysio Lilio olim excogitatam restituendi Calendarii rationem
sive cyclum Epactarum omnes, quotquot quäle sit animad-
verterunt, certe probant, praeterquam paucis, qui abiectis cyclis
lunaribus ad hoc usque tempus ab Ecclesia religiöse retentis
eam in varias dificillimas ac laboriosissimas astrologorum ra-
tiones concludere et continere vellent. Et ii quidem, quamquam
Epactarum cyclo astronomicas tabulas praeferunt, eumdem tarnen
cyclum propter perennitatem facilemque rationem corrigendi
errores, qui deinceps oriri possunt, ceteris aliis anteponunt.
Centum fere et sexaginta quinque anni sunt, cum Petrus
de Aliaco Cardinalis Cammeracensis homo divinarum humana-
rumque rerum peritissimus huiusmodi emendationem in concilio
Constantiensi aggressus est; eam exinde Nicolaus Cusanus Car
dinalis eruditissimus persequi studuit; tentarunt postea alii doc-
tissimi atque amplissimi viri in Lateranensi concilio, qui tarnen
paueorum contentione, cum alii nimis exigue et exiliter ad
astrologorum calculos revocare Ecclesiam cuperent alii contra
censerent semel receptos ab Ecclesia cyclos quantumvis mancos
mordicus retinendos, rem inchoatam totiesque tractatam et agi-
tatam ad extremum imperfectam reliquerunt. Nunc autem,
cum de eadem re non modo fere omnes, ad quos missum Calen
darii compendium fuerat, responsa iam dederint, sed plerique
alii excellentes viri, qui idem compendium legerunt, docte et
copiose etiam scripserint, profecto non videmus quid obstet,
cur manus extrema huic tarn praeclaro operi non accedat,
praesertim quoniam imperator, summi reges primariaeque acca-
demiae pene omnes cum Pontifice Maxino faciunt idemque
sentiunt. Igitur sanctissimus Dominus noster, cui dudum placitum
fuerat, ut nos buiusmodi correctionis munus susciperemus, id
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft. 4
«
50
Kaltenbrnnner.
penitus intelligens nobis mandavit, ut opus saue arduum ac
difficile, in quo diu seperatim et coniunctim elaboravimus,
tandem perficiendum curaremus; nos ig'itur, quibus maximae
curae esse debet, ut optimi ac prudentissimi Pontificis mandata
pro virili parte exequeremur, haue viam et rationem vivimus.
Primo omnium consensu et voluntate quasdam assumpsimus
hypotheses, quae ad cyclos, quos lunares sive decemnovenales
appellant, examinandum necessariae nobis visae sunt, ac iuxta
exactam illarum rationem cyclos, quos habere potuimus, tarn
a veteribus tarn a recentioi'ibus inventos diligentissime perpen-
dimus atque inter nos contulimus; deinde illum delegimus
Cyclum, qui nostro et magnorum virorum, qui de ea re scri-
pserunt, iudicio videtur ceteris praeferendus; postremo reliqua
apposuimus, quae ad absolvendum opus praecipue pertinere
censuimus, sic ut ei non aliud deesse videatur, quam ut sanc-
tissimus Dominus noster, ni sibi melior cyclus fuerit oblatus,
qui tarnen iisdem hypothesibus probari potuerit, Calendarium
suo decreto confirmet et a cunctis observandum praecipiat.
De reeta examinandorum eyclorum ratione.
Cycli lunares in Calendario ad sacrum diem festum Pas-
chatis perpetuo inveniendum constitui sine errore nequeunt
proptera, quod non ad veros luminarium motus, qui inaequales
sunt, accomodari possunt, sed tantum diriguntur ad normam
illorum motuum, quos astronomi sibi assumunt aequales vo-
cantque medios motus quasi solos idoneos ad inquirendum veros
motus. Accedit- etiam, quod — cum lunaris mensis XXIX dies
et XII horas minutasque aliquot liorae particulas contineat
minorque sit lunaris annus anno solari diebus fere XI — fieri
non potest, ut solaribus mensibus in ipso Calendario distributis
lunares aptentur menses inter se aequales, verum alii XXIX
dierum alii XXX dierum sibi invicem succedentes continuato
fere ordine collocantur, ex XI autein diebus, quibus solaris
annus lunarem superat, interdum binis interdum ternis quibus-
que annis unus conticitur mensis, qui lunari anno interiectus
appellatur embolismicus. Haec vero sic inter se componi
nequeunt, ut loca coniunctionis et oppositionis luminarium
in cyclo assignata noviluniis pleniluniisque mediis examussim
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
51
respondeant; quin saepe numero ab ipsis discrepent aliquot horis
necesse est. Quum igitur duorum vel plurium inter se cyclorum
rationem expendere volumus, ea tantum regula utendum est,
ut cyclus, qui ad ipsius medii motus numerum propius accedit,
is minora contineat errata idemque prae ceteris sit eligendus.
Ad id autem iudicandum bas hypotbeses assumere oportet.
Hypotheses.
I. Dies, qui XXIV boris finitur, iuxta veterem sacro-
sanctae Roinanae Eeclesiae consuetudinem a media nocte in-
cipiat, ae doctrinae causa in quatuor (ut olim apud Hebraeos)
dividitur partes sive quadrantes, quorum quisque sex horis
complectitur.
II. Si plenilunium in aliquo ex tribus primis diei qua-
drantibus esse contingat, in eumdem diem incidere dicatur; si
vero in postremo quadrante id accidat, sequentis diei esse in-
telligatur. In novilunio autem ratio tarn exquisita non est exi-
genda.
III. Sacri concilii Nicaeni decreto statutum est, ut die
dominico, qui proxime succedit lunae XIV. primi mensis, Pascha
celebretur; is vero apud Hebraeos vocatur primus mensis, cuius
luna XIV. vel attingit vel propius sequitur vernum aequi-
noctium; huiusmodi autem luna proxime antecedit plenilunium
sive lunam XV. Ex iis perspicuum est, Pascha nisi intra XV.
et XXI. lunam primi mensis rite celebrari non posse.
IV. Quoniam autem veterum ac recentiorum observatione
compertum est, aequinoctia intra aliquot annorum intervalla
integrum diem anticipare, necessarium omnino est, duorum
dierum uumero vernum aequinoctium concludi, nempe XX. et
XXI. diei Martii, ita ut in aequinoctii antecessione, si luna XIV.,
quandoque incidat in XX. diem Martii, et ad primum mensem
attinere quoque dicatur; ante tarnen XXII. diem Martii Pascha
celebrari nequaquam debet.
V. In Paschatis celebratione minus erratum est, si in se-
cundo mense quam si in duodecimo mense dies festus celebretur,
quoniam in secundo mense lex Mosis id fieri aliquando per-
nnttebat, duodecimo autem mense nunquam.
VI. In XIV. luna propter Quartodecimanorum haeresim
omnino prohibetur Paschatis celebratio; idcirco maius erratum
4*
52
Kaltenbrunner.
est, si in XIV. quam si post XXI. lunam dies festus huius-
modi agatur.
VII. Si igitur erratum committitur in cyclo, deterius est,
si locus coniunctionis atque oppositionis luminarium antecedat,
quam si consequatur novilunia ac plenilunia media.
Quae de Calendarii emendatione omnium consensione deter-
minavimus usque ad diem 8. Septembris anni 1580 haec sunt:
Cyclum Epactarum cyclis omnibus, qui ad hunc usque
diem editi sunt, antecellere existimamus, cum inter ceteros
solus sit perennis in Calendario adbibita interdum aequatione,
ut in explicatione Calendarii declaratur. Quocirca, nisi alius
cyclus perennis inveniatur, qui novilunia pleniluniaque verius
ostendat, is Summi Pontificis decreto pro correctione Calendarii
promulgandus est. Aequinoctium vernum reducendum est ad
diem XXI. Martii, ubi nimirum contingebat tempore concilii
Nicaeni; bac enim ratione iidem erunt termini paschales,
nicliilque in Breviario aut in Missali immutabitur. Id autem
commodissime fiat per subductionem decem simul dierum unius
anni, tot enim dies a concilio Nicaeno ad nostra usque tempora
aequinoctium sedem suam antevertisse observatum est, cum a
die XXI. Martii ad diem XI. eiusdem mensis regressum sit.
Decem autem ii dies minore cum incommodo eximentur de
mense Octobri anni 1581, isque correctionis annus dici poterit,
sequens vero 1582 primus annus correctus appelletur, in quo
et in posteris deinceps annis aequinoctia et solstitia atque una
dies festi mobiles et stabiles in eisdem erunt diebus, quos
tempore concilii Nicaeni habuerunt. Ut autem in anno correc
tionis dies festi rite celebrentur, conficiendum est proprium
illius anni Calendarium, in quo mensi Octobri desint decem
dies. Quod si decretum Summi Pontificis ad Indias nuper in-
ventas tarn cito fortassis pervenire non possit, ut correctio fiat
anno 1581, Calendarium componatur illi anno congruum, in
quo huiusmodi correctio commode apud Indos fieri poterit. Ne
in posterum a die XXI. Martii aequinoctium vernum iterum
recedat, de singulis 400 annis terni dies subducendi sunt sic,
ut priores tres anni centesimi sint communes et non bissex-
tiles, quartus autem centesimus sit bissextilis, ut fusius in
Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
53
compendio novae rationis restituendi Calendarium declaratur.
Annus enim Alphonsi inter maximum et minimum tanquam
medius assumendus est, qui quidem constat diebus 365 horis 5
minutis 49 et cetera, ita ut secundum huius anni cursum aequi-
noctium antevertat sedem suam in Calendario die integro in
annis pene 134 hoc est diebus tribus in annis 400 fere.
Quoniam novilunia versus initia mensium in annis 312'/, ferme
regrediuntur uno die, aequatio adhibenda est singulis 300 annis.
Ne autem negligantur illi residui anni 12 '/ 2 , qui in annis 2400
tertiam fere diei partem conficiunt, tune aequatio illa trans-
ferrenda est in sequentem centesimum annum, ita ut tune in
400 annis aequatio lunae adhibeatur, idque in quibuslibet
2400 annis semel tantum fiet; quae quidem aequationes copio-
sius in declaratione Calendarii exponuntur. Quo dies festus
Paschatis rite celebretur ne mirum post XIV. lunam non autem
in ipsa XIV. luna aut ante, Epactae in Calendario, quae in
locum aurei numeri succedunt, sic dispositae sunt, ut pleni-
lunium seu dies XV. lunae in Calendario potius sequatur quam
antecedat plenilunium medium astronomicum iuxta hypotheses
paulo ante conscriptas et a nobis omnium calculis receptas et
assumptas, quae examussim debent observari.
lam vero secundum has hypotheses examinavimus Epac-
tarum cyclum ad pleniluniorum paschalium inventionem annos
fere 3000, cycluinque recte indieare huiusmodi plenilunia in-
venimus. Nunc tantum superest, ut propter Martyrologium
perpendantur novilunia aliorum mensium saltem usque ad
1000 annos; id quod iam ceptum est, et intra paucos dies Deo
iuvante finietur.
Si quis novus perennis cyclus a quopiam proponatur, ille
per easdem hypotheses diligenter examinandus est, qui, si
cyclo Epactarum verior aptiorque fuerit, eum ipsi Epactarum
cyclo anteferrendum existimamus.
Poro propter subductionem decem dierum in anno correc-
tionis litera Dominicalis, quae a principio anni usque ad men-
sem Octobrem, a quo decem illi dies eximendi sunt, currit,
in alteram mutari debet, quae inserviat usque ad tinem anni,
quemadmodum in anno bissextili fit in die festo S. Mathiae
diei intercalandi causa. Ob subtractionem item trium dierum
m singulis annis 400 cyclus literarum dominicalium necessario
54 Kaltenbrunn er. Beiträge zur Geschichte der Gregorianischen Kalenderreform.
complectitur annos400; quam ob rem opere pretium esse duximus,
ut singuläres coniiciantur literarum dominicalium cycli, quorum
quilibet 28 annos contineat singulis centesimis annis, de quibus
una dies subtrahitur, inserviens, idque ut in quolibet anno
litera dominicalis per regulam ad hoc usque tempus usitatam
ab omnibus queat commodius inveniri.
Hane Calendarii emendandi rationem a nobis diligentissime
perpensam omniumque iudicio comprobatam ac subscriptione
firmatam beatissimo Papae nostro Gregorio XIII. qua decet
reverentia, veneratione et observantia offerimus, et ab omni
potente Deo precamur, ut quod Summus Pontifex ad catholicae
Ecclesiae et reipublicae christianae dignitatem conservandam
amplificandamque summo studio assiduisque laboribus contendit,
id tandem divini ipsius numinis ope felicissime consequatur.
Datum Romae die festo exaltationis S. Crucis anno
MDLXXX.
Haec ita, uti suprascripta sunt, omnes probaverunt et sub-
scripserunt:
+ Ego Gul. Sirletus Cardinalis tit. S. Laurentii in Palis-
perna.
Ego Leonardus Abel Melitensis Juris Utriusque Doctor
et Reverendissimi Patriarchae Antiocheni interpres subscrip-
tionem ipsius Reverendissimi Domini Patriarchae lingua Chal-
daica et Arabiea notatam fideliter in hunc modum sum inter-
pretatus: Ego Ignatius cognitus Patriarcha Antiochiae Syriae
totius nationis Syrorum; et haec quidem Chaldaice. Arabice
vero: Ego Ignatius cognitus nomine Necmet Alla Patriarcha
Antiochiae totius nationis Syrorum.
Ego Vincentius Laureus Episcopus Montis Regalis.
Ego Seraphinus Olivarius Rotae Auditor. Gallus.
Ego Christophorus Clavius professus Societatis Jesu. Ger
manus.
Ego Petrus Ciaconus. Hispanus.
Ego Antonius Lilius Artium et Medicinae Doctor, Aloysii
frater. Calaber.
Ego F. Ignatius Dantes Ord. Praed. in almo Gymnasio
Bononiensi Mathematicae disciplinae professor. Perusinus.
Löwenfeld. Papsturkunden in Italien.
55
Papsturkunden in Italien.
Ein Nachtrag
von
Dr. S. Löwenfeld.
Band XCIV der Sitzungsberichte brachte aus der Feder
Kaltenbrunners eine Abhandlung: ,Papsturkunden in Italien',
welche neben einer Statistik der in der Nordhälfte Italiens be
findlichen Bullen eine grosse Zahl Regesten von neuen pnd
Ergänzungen zu den bekannten Stücken, sowie eine Fülle
feiner und treffender Bemerkungen über das Gebotene enthielt.
Wer sich mit Diplomatik und Papstgeschichte beschäftigt, wird
es bedauern, dass ein böses Fieber den Verfasser zwang, seine
Arbeiten in den Archiven Italiens zu unterbrechen; bedenkt
man ferner, dass die Hilfsmittel, mit denen man unterwegs
auskommen muss, in den meisten Fällen äusserst dürftige
sind, dass Kaltenbrunuer mehr auf diplomatische Unter
suchungen als auf Bereicherung- des Urkundenmaterials sein
Augenmerk gerichtet hat, so wird man mich nicht mehr miss
verstehen, wenn ich in Folgendem eine Art von Nachtrag zu
seiner Abhandlung liefere, der Einzelnes, was bereits erledigt
schien, wieder in Frage stellen, Anderes berichtigen und Man
cherlei ergänzen wird. Dass ich eher als irgend ein Anderer
dazu im Stande bin, ist, wie ich offen bekenne, nicht mein
Verdienst, sondern das des berühmten Verfassers der Regesta
Pontificum, —- Philipp Jaffe’s. In meinen Händen befindet sich
augenblicklich der Jaffe’sche Nachlass, soweit er die Regesten
betrifft, und diese Papiere enthalten unter Anderm Folgendes:
a) Zwei Hefte Additamenta ad Reg. P. Rom. Ex bibl. caes.
56
Löwenfeld.
Vindob. aus den Jahren 1851/52 und 1852. Sie geben Nach
träge aus gedruckten Büchern, welche Jaffe während seines
medicinischen Studiums in Wien excerpirte. b) Regesten der
Bullen des Mailänder Archivio diplomatico, und c) einen Index
loeorum, der, so unvollständig und unübersichtlich er auch
sein mag, in vielen Fällen ein unentbehrliches Hilfsmittel bietet.
Ich selbst habe zur sichereren Feststellung der undatirten Ur
kunden ein Verzeichniss der Anfänge (Incipit) angefertigt und
ausserdem noch eine Anzahl italienischer Werke, die Jaffe
entgangen waren, ausgebeutet. Die Eintheilung, die Kalten-
brunner seiner Abhandlung gegeben hat, soll auch hier bei
behalten werden. Unter A wird also Alles fallen, was vor
zugsweise auf die Statistik der Urkunden, unter B was auf
die mitgetheilten Regesten Bezug hat und unter C Ungedrucktes.
A.
Mailand. Archivio di Stato (Archivio diplomatico).
Originale: Lucius III. 9582 a ; Urban HI. 9815 a ; Gre
gor VIII. 10004% 10004 b ; Clemens III. 10082%
10486%' 10594“. 1
Copien: Johann XV. J. 2930; 2 Gregor V. J. 2977; 3
Innocenz II. J. 5418 (s. XIV); Eugen III. J. 6140
(s. XII). 4
Hiezu kommt noch der grösste Theil der unter C auf
geführten Urkunden.
Modena.
Zu J. 10005, aus dem Liber privil. S. Petri Mutin. Nicht
Muratori, sondern der Schreiber dieses Liber hat
1 Beide mit dem Incipit: ,Regulärem vitam eligeut.ibus*.
2 Jetzt gedruckt: Hist. Patr. Mon. XIII Cod. dipl. Laug. 1461.
3 Ibid. 1618 mit Ind. X., gehört also ziun Jahre 996.
4 Mit: ,x kal. Maii‘.
Papsturkunden in Italien.
57
zwei (respective drei) Bullen mit einander ver
wechselt, wie sich aus der Vergleichung der oben
angeführten Mailänder Originale ergibt. Siehe auch
unten das Regest vom 24. Nov. 1187 Reggio.
Padua.
Zu Eugen III. J. 6162“. Ausser bei Gloria auch Dondi
dall’ Orologio Diss. sopra F istor eccl. di Padova V
docum. p. 84.
Perugia. Archiv des Capitels.
Die folgenden Stücke, von Bethmann Jaffe mitgetheilt,
sind unter C zu linden. Eugen III. 2. Dec. 1150; 1
Alexander III. 4. Mai 1169, 12. Sept. 1170; Ur
ban III. 15. März 1186/87; Clemens III. 17. Mai
1189 bis; Coelestin III. 14. Febr. 1193.
Wie Herr Professor Bresslau bemerkt, hat Bethmann
diese Regesten dem Catalog des Archivs entnommen.
Im Kloster S. Pietro di Perugia. 2
Originale: Gregor IV. J. 3133; Leo IX. J. 3244; Ste
phan X. J. 3317; Nicolaus H. J. 3328; Alexander II.
J. 3399. — Zweifelhaft Benedict VII. J. 2903.
Copien: Innocenz II. 5582.
Venedig.
Zu Gregor III. J. 1722: gedruckt: Historisch-statistisches
Archiv f. Süddeutschland (hgb. von Hormayr) II.
209, und Cod. dipl. Istriano ad an. 732.
Zu Johann XII. J. CCCLXVP 1 ausser bei Ughelli auch
Cod. dipl. Istriano ad an. 956—961.
Verona.
Zu Coelestin III. J. 10302: gedruckt: Perini, Istoria
delle monache di S. Silvestro di Verona II. p. 12,
wo für ,VI die Jun.‘ ,VI id. Jun.‘ zu lesen ist.
1 Bei den neuen Regesten ziehe ich die Angabe des Datums vor, anstatt
zu den Jaffe’selieu Nummern a, b, c u. s. w. zu setzen.
2 Auch diese Notiz verdanke ich der freundlichen Mittheilung des Herrn
Professor Bresslau. — Die von Margarini sich ergebenden Abweichungen
werden in der neuen Ausgabe der Regesta Pont, angemerkt werden.
58
Löwe nfeld.
Zu Johann XIX. J. CCCLXXX“, nach Biancolini V. I. 94.
Die Bulle ist bereits von Jaffe (nach Coquelines I.
240) unter Johann X. spur. CCCLVI angegeben.
Bestätigt wird die Fälschung von Alexander III.
in J. 8503.
B.
3313 a gedruckt: Cappelletti Chiese d’ Italia XVII. 428 (Schluss
lückenhaft).
3989“ gedruckt: Soldani Historia monast. S. Michael, de Passi-
niano 43.
0113^ gedruckt: Soi-manus 1 In causa praeeminentiae 63.
5128 a gedruckt: Dondi Dissertazioni IV. docum. p. 82 und V.
doc. p. 12.
5133 a gedruckt: Siehe Odorici Storie Bresciane V. 90.
5148 a gedruckt: Barbarano Historia di Vicenza V. 271 mit:
Datum Laterani XI Kal. Dec. (21. Nov.) etc.: Jaffe
dagegen, der die Bulle aus einer Copie des 15. Jahr
hunderts abgeschrieben, gibt: Datum Leterani (sic)
XII Kal. Dec. (Nov. 20). — Da das Jahr 1123
feststelit, so ist als Ausstellungsort wohl Tarent an
zunehmen und Laterani und Leterani dahin zu ver
bessern.
5310 a gedruckt: Liverani Opere IV. 115.
5318 1 gedruckt: Vignati Codice dipl. Laudense I. 122.
5418“ gedruckt: Pennotti Generalis totius saori ordinis cleric.
canon. historia tripartita 205.
5500 a = Jaffe 5473 zum 9. Juni 1134.
5802 a facs. Fumagalli Istituzione diplomatiche II. 2
6017 a liegest bei Jongelinus Notitia abbatiarum ordinis Cister-
ciensis VII. 26.
1 Der Titel dieses Buches lautet: S. Ambrosio parcnti maximo, in causa
praeeminentiae, quam defendit praepositus imperialis cauonicae et Ani-
brosianae basilicae, — adversus templi maioris Mediolaui canonicos ordi-
narios, aram concordiae sacrat Nicolaus Sormanus (s. 1. c. a.).
2 Verdanke ich der Mittheilung Kaltenbrunners selbst.
Papsturkuuden in Italion.
59
6049“ erwähnt in: Hist. Patr. Mon. Ser. II. 393 mit ,non Apr/.
6050“ vgl. Guilini Mem. di Milano V. 418.
6089“ = Jaffe 6087 zum 16. Juni; Incipit: ,Quicl de fideli-
tatibush
6189“ — Jaffe 6254 zum 19. Juli 1146. — Ausser Ughelli
auch Riccardi Stör, dei vesc. Vicent. 52, Barbarano
Hist, di Vicenza IV. 36: ,XIIII Kal. Aug/.
6240“ gedruckt: Vignati Cod. dipl. Laudense I. 149.
6441“ gedruckt: Vignati Cod. dipl. Laudense I. 164.
6743“ gedruckt: (Luchi) Monum. monasterii Leonensis 194.
6778“ Datum nach Jaffe: ,XVII Kal. Mart/ — 13. Febr. 1
6816“ = Jaffe 6817 zum 19. Nov.
6889“ Nach Jaffe: ,1111 non. Jul/ (4. Juli).
6937“ Nach Jaffe: ,VII id. Jun/ (7. Juni).
6965“ = Jaffe 6965 zum 4. Jan. (Ughelli ,11 non. Jan/).
7024“ gedruckt: Odorici Storie Bresciane VI. 120.
7113“ Regest bei D’Avino Cenni storici sulle chiese delle due
Sicilie 238.
1 Andere Beispiele dafür, dass man auch bei den Iden die Subtraction an
wendete, sind: Calixt II. 13. Febr. 1120 bei Chevalier Cartul. de S.
Andre-le-Bas de Vienne p. 142 und Robert Etüde sur les actes de Calixte
append. p. 50: ,XV1I Kal. Mart 4 . — Innocenz II. 15. März 1132 für
S. Victor de Paris, Orig, in Paris Arch. nation. L. 226. n. 6: ,XVIII Kal.
Apr. 4 ; derselbe 13. Febr. 1139 in Mein, et doc. de la Suisse Romande
XIX. p. 122: ,XVII Kal. Mart. 4 , wogegen das Schweizerische Urkunden
register von Hidber I. 554: ,XVII Kal. Maii 4 liest. — Alexander III.
15. Mrt. 1175 (,XVIII Kal. Apr.') in Registrum episcopatus Glasguensis
I. 34 und bei Haddan and Stubbs Councils II. I. 40. — Lucius III. 15.
Mai 1182 (,XVIII Kal. Jun. 4 ) bei Jaffe 9482 aus Lappenberg I. 230; die
Verbesserung Friedländers in Ostfries. Urk. I. 9 ist natürlich zu tilgen.
— Ob auch bei den Nonen die subtractionelle Methode Anwendung
fand, weiss ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. In zwei Fällen, die
mir augenblicklich zur Hand sind, scheinen Schreibfehler vorzuliegen.
Eine Bulle Alexanders III., aus dem Cartulaire de la command. de
Provins p. 37 (Paris Archives nat. S. 5162 und 25), hat nach Delisles
Mittheilung an Jaffe: ,VI non. Apr.‘). Jaffe hat die Bulle zum 1. April
angesetzt, allein ich halte dies nicht für richtig, da man für den ersten
höchstens ,V non. Apr.' sagen könnte. — Sehr ähnlich stellt in einer
Bulle Urbans III. für das Glasgower Capitel ,VI non. Juuii 4 (Registr.
episc. Glasg. I. 60), doch liegt es hier nahe, ,VI non. Julii 4 dafür zu
lesen.
60
Löwenfeld.
7652“ Nach Jaffe: ,VII Id. Oct.' (9. Oct.).
7853“ gedruckt: Boselli Storie Piacentine 322, Böhmer Acta
imperii II 600, (Vignati Stör. dipl. della lega Lom-
barda 201 mit ,VI Kal. Apr.').
7970“ Nach Jaffe: Controversiam inter parthenonem S. Mariae
Theodotae Papiensem et b. m. R. archipresbyterum
de burgo S. Domnini super ecclesia S. Mariae
ipsius burgi sopitam confirmat.
8107“ gedruckt: Cappelletti Chiese d’ It. XVII. 648 (gehört zu
1171—72).
8284“ gedruckt: Boselli Storie Piacentine 325.
8291“ = Jaffe 8559 zum 23. Jan. 1160—1178 mit der rich
tigen Bemerkung: Aliena manus addidit: ,pont.
nostri anno V'.
8379“ gedruckt: Vignati Stör. dipl. della lega Lomb. 239 (ge
hört ins Jahr 1174).
8379 b Nach Jaffe ,XIII Kal. Febr. (20. Jan.) — Grangiam de
Valleria — (gehört wie die vorhergehende ins
Jahr 1174).
8419“ = Jaffe 8445 zum 8. Nov. 1176 (Campi ,VI id. Nov.').
8429“ gedruckt: Soldani Historia mon. S. Mich, de Passiniano 22.
8489“ gedruckt: Ibidem 270.
8728“ gedruckt: Mon. Hungariae hist. I. XI. 137.
8754“ gedruckt: Ibidem 135.
9457“ gedruckt: Memorie Storiche ... di Larino 190.
9577“ gedruckt: Biancolini Not. di Ver. V. I. 184 (gehört ins
Jahr 1184 und für ,Iud. IP ist ,Ind. IIP zu lesen.
9588“ gedruckt: Soldani 1. 1. 195.
9628“ gedruckt: Gail. Christiana XVI Instr. 298. Incipit: ,In
eminenti apostolicae'. 1
9642“ = Jaffe 9642.
9706“ gedruckt: Affarosi Mem. istor. del monast. di S. Prospero
di Reggio I. 125.
1 ,Iu saerosanetae ap.‘ kommt nickt ein einziges Mai vor, ,In em. ap.‘ bei
Jaffe 54 Mal.
Papsturkunden in Italien.
61
9852 a ist sicher identisch mit Jaffe 9718, das bei Savioli
Lucius III. zugetheilt wird.
9857 il Regest bei Odorici Storie Bresciane V 159 (und V 188)
mit ,IV Id. Dec/.
9894 a Das Regest muss, wie ich vermuthe, so lauten:' Ent
weder: Compositionem inter monasterium S. Bene-
dicti super Padum et P(resbyterinum), quondam
episcopum Ferrariensem super villa Tresentina
factam confirmat; oder: Monasterio S. Ben. sup.
Padum villam Tresentinam, a P. quond. ep. Ferrar.
vindicatam asserit. — ,Cum causam quae‘.
9895 1 gedruckt: Odorici Storie Bresciane VI. 58.
9916“ gedruckt: Sickel Texte der Mon. graph. p. 15. — In-
cipit: ,A. dilecta filiah
9947 b gedruckt: Odorici Stör. Bresc. VI. 59. — Incipit: ,Quo-
tiens a nobis*.
9958 a gedruckt: Soldani 1. 1. 160.
9964 a Vgl. Caccianottio Summarium monum. tabul. Vercell.
p. 14.
9973 a gedruckt: Biancolini Not. di Ver. V. I. 227. — ,Pru-
dentibus virginibush
9995 a Nach Jaffe: Alberto abbati et conventui S. Benedicti
super Padum asserit ecclesiam S. Agathae (in epatu
Ferrariensi), a L(andulfo) quondam epo Ferrar.
donatam.
10172 a Nach Jaffe: Alberto abbati et monachis S. Benedicti
Padilironensibus asserit villam Tresentinam aliasque
res, ab Alexandro III. papa P(resbyterino) quondam
episcopo Ferrariensi abiudicatas.
10172 c gedruckt: Torelli Secoli Agostini IV. 117.
CCCXCVIII a Echte Bulle Gregors IX. 3. Oct. 1228.
CCCIX a gedruckt: Liverani Opere IV. 382 (scheint nach J.
4629 gefälscht).
1 S. unten meine Bemerkung: zu 10172“ und das neue Regest 13. Nov.
It87. — Die Bullen betreffen ein und denselben Gegenstand und sind,
wie schon das Incipit ergibt, wohl auch dem Wortlaute nach gleich.
62
Löwenfeld.
CCCCXI a und CCCCXVIIB Die Bulle eines Papstes Clemens
mit dem Datum: Viterbii Id. Maii, pont. a. II,
kann nur Clemens IV. gehören und ist vom 15. Mai
1266, wo der Papst in Viterbo war (s. Pottliast.);
dass Eugens Bulle dasselbe Datum hat, ist sicher
nur ein Fehler des Schreibers, und dieser Fehler
ist herbeigeführt durch den gleichen Ausstellungsort.
In der That hat auch Kaltenbrunner eine echte Bulle
Eugens III. aus Viterbo mitgetheilt, in welcher er
für Ponte Trebia urkundet (13. Nov. 1146. — J.
6261 a ). Ein Zweifel an der Echtheit hat hiernach
keinen Boden mehr und man wird es gerechtfertigt
finden, wenn ich in die neue Ausgabe der Regesten
die Bulle neben 6261 a mit der Bemerkung setze:
Notao temporis, quas bulla praebet, ad aliam quan-
dam pertinere, rectae vero videntur excidisse.
C.
Calixtus n. Romae ap. S. Petrum. 15. Apr. 1122.
Ecclesiae S. Agathae Cremonensis protectionem suscipit
iuraque confirmat, petente Ada praeposito. — ,Officii
nostri nosJ
Dat. p. m. Grisogoni S. R. E. diac. cand. ac bibl., XVII Kal. Maii,
lud. XV., Inc. a. 1123. p. a. IV. — Subser.: Cono ep. Prae-
nestinus, Gregorius d. c. S. Laurentii, Romanus d. c. S. Mariae
in porticu, Girardus d. c. S. Luciae. — In orbiculo: Firma-
mentum est dominus etc.
Autogr. apud Carolum Morbium Mediolanensem.
Eugenius III. Brixiae. 16. Jul. 1148.
Ecclesiae S. Agathae Cremonensis tutelam suscipit, pos-
sessionesque et privilegia, petente Lanfranco prae
posito, confirmat. — ,Quotiens illud a.‘
Dat. p. m. Guidonis S. R. E. diac. eard. et eanc., XVII Kal. Ang.,
Ind. XI., Inc. a. 1148, p. a. IV. — Subser.: PP. CC. Hubaldus
tit. S. Praxedis; Aribertus tit. S. Anastasiae: Hugo tit. in Lucina;
PapstnrkundeTi in Italien.
63
Jordanus tit. S. Susannae; d. c. Octavianus S. Nicolai in
carc. Tüll.
Autogr. apud Carolum Morbium Mediolanensem.
Eugenius III. Brixae. 6. Sept. 1148.
Guilelmo, abbati monasterii S. Benedicti super Padum,
monasterium S. Mariae de Pratalia et monasterium
SS. Firuii et Rustiei, in episcopatu Paduano sita,
asserit. — ,Religiosis desideriis dignumd
Dat. p. m. Guidonis S. K. E. diac. card. et canc., VIII id. Sept.,
Ind. XII, Inc. a. 1148, p. a. IV.
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Eugenius III. Ferentini. 2. Dec. 1150.
Canonicorum ecclesiae S. Mariae de Valle Gemini suscipit
protectionem.
In tabnl. capit. Perusini. Dedit Bethmann.
Hadrianus IV. Beneventi. 10. Mart. 1156.
Monasterium S. Bartliolomaei Papiense tuendum suscipit,
eiusque possessiones confirmat, rogatu Siri abbatis.
— ,Quotiens illud ad
Dat. p. m. Eolandi S. R. E. presb. card. et canc., VI id. Mart., Ind. III.,
Inc. a. 1155, p. a. II.
Cop. a. XVI in Arch. Reg. Mediol.
Alexander III. Beneventi. 4. Mai 1169.
Ecclesiae Perusinae protectionem suscipit.
In tabul. capit. Perusini. Dedit Bethmann.
Alexander III. Alatriae. 12. Sept. 1170.
Canonicorum ecclesiae S. Mariae de Valle Gemini pro
tectionem suscipit.
In tabul. capit. Perusini. Dedit Bethmann.
Alexander III. Laterani. 10. Jun. 1178.
Judicium inter Albertum, abbatem monasterii S. Petri, et
Obertum, quondam episcopum Cremonensem factum
approbat. — ,Que iudicii veritated
Dat. p. m. Alberti S. R. E. presb. card. et canc.., IV id. Jun., Ind. XI,
Inc. a. 1178, p. a. XIX. — In orbiculo: Vias tuas etc.
Autogr. apud Carolum Morbium Mediolanensem.
64
Löwenfeld.
Alexander III. Tusculani. 31. Dec. 1170—1180.
Abbatissae monasterii S. Senatoris hospitale de Staphul.
et pontem asserit. — ,Officii nostri cura.‘
Autogr. in Arch. Reg. Mediol.
Lucius III. Velletri. 27. Mart. 1182—1183.
Fratribus S. Benedicti Padiliconensibus ecclesiam S. Cae-
sarii, a monachis Nonantulanis sibi vindicatam,
asserit. — ,Vidimus rescriptum felicis/
Copia s. XII in Arch. reg. Mediol.
Urbanus III. Veronae. 17. Mai 1186.
Monasterii S. Salvatoris Papiensis patrocinium suscipit,
bonaque confirmat, petente Leone abbate. — ,Reli-
giosam vitam eligentibus.'
Dat. p. m. Alberti S. R. E. presb. card. et canc., XVI Kal. Jun.,
Ind. IV., Inc. a. 1186, p. a. I.
Copia s. XIV in Arch. reg. Mediol.
Urbanus III. Veronae. 15. Mart. 1186—1187.
Ecclesiae Perusinae consuetudines veteres confirmat.
In tabul. capit. Perusini. Dedit Betlimann.
Gregorius VIII. Ferrariae. 13. Nov. 1187.
Monasterio S. Benedicti super Padum asserit villam Tre-
sent(inam), a P(resbyterino), quondam episcopo
Ferrariensi sibi vindicatam. — ,Cum causam que.‘
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Gregorius VIII. Mutinae. 22. Nov. 1187.
Monasterii S. Petri Mutinensis bona confirmat, fratribusque
concedit, ,ut episcopus eorum tempore (Michaelis)
abbatis in eos sine ordine iudiciario ecclesiasticam
sententiam proferendi non habeat facultatem'. — ,Ad
hoc sumus licet.'
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Gregorius VIII. Regii. 24. Nov. 1187.
Monachis S. Petri Mutinensis concedit, ,ne quis de labori-
bus eorum in curte de Crispellano decimas ab eis
Papsturkunden in Italien.
65
extorqueat'. (Signa chronol., a Muratorio, Ant. It.
III. 226, huie regesto apposita, redigenda sunt ad
ep. 10004“ vel ”, Wien. Sitzungsber. XCIV. 687.)
— ,Circa suscepti regiminis.'
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Gregorius Vin. Regii. 24. Nov. 1187.
Abbati Morimundensi concedit, ut ,iuramentum eius, cum
idoneos testes vel aliam probationem legitimam ex-
hibuerit, in negotiis coenobii non cogatur'. — ,Equum
est et consonum.'
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Gregorius VIII. Parmae. 26. Nov. 1187.
Archiepiscopos, episcopos, abbates, priores, archidiaconos
et alios ecclesiarum praelatos monet, ne a fratribus
Moriinundensibus ,de novalibus vel de aliis terris,
quas propriis manibus aut sumptibus excolant, de-
cimas vel primitias praesumant exigere'. — ,Quia
plerurnque veritatis.'
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
G-regorius VIII. Apud Forum novum. 30. Nov. 1187.
Terdonensi, (Theobaldo) Placentino, (Sicardo) Cremonensi
et (Bernardo) Parmensi episcopis et canonicis S. Don-
nini mandat, ut a parochianis suis parthenoni S.
Mariae Tbeodotae (Papiensi) possessiones quasdam
restitui faciant. — ,Dilectam in Christo.'
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Clemens m. Laterani. 27. Febr. 1189.
Monasterii S. Mariae de Dona sepulturam liberam esse
decernit, et fratribus eius concedit, ut ,clericos vel
laicos, e seculo fugientes, ad conversionem recipiant'.
— ,Apostolicae sedis benignitate.'
Copia a. XIII in Arch. reg. Mediol.
Clemens III. Laterani. 17. Mai 1189.
Capituli ecclesiae Perusinae privilegia confirmat.
In tabul. capit. Perusini. Dedit Bethmann.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. B4. I. Hft.
5
66
L ö wen fei d.
Clemens III. Laterani. 17. Mai 1189.
Canonicorum ecclesiae S. Mariae de Valle Gemini pro-
tectionem suscipit.
In tabnl. capit. Perusini. Dedit Betlimann.
Clemens III. Laterani. 9. Dec. 1190.
Monasterium S. Marini tuendum suscipit eiusque posses-
siones confirmat, petente Hugone abbate. — ,Reli-
giosam vitam eligentibusd
Dat. p. m. Moysi S. R. E. subdiac. vic. ag. eanc., V id. Dec., Ind. VIIII(!),
lnc. a. 1190, p. a. III. — Subscr.: Albinus ep. Alban; Oetavianus
ep. Ost. et Velletr.; Johannes ep. Praenest.; Petrus ep. Port, et
S. Ruf.; Pandulfus p. c. tit. XII apost.; Petrus p. c. t. S. Cae-
ciliae; Petrus p. e. S. Petri ad vineula tit. Eudoxiae; Johannes
tit. S. Clementis card. et Tnscan. ep.; Rufinus p. c. t. S. Pra
xedis, Ariminensis ep.; DD. CC. Jacinthus S. Mariae in Cosm.;
Soffredus S. Mariae in via lata; Bernardus S. Mar. nov.; Lo-
tharius SS. Serg. et Baechi; Cintliius S. E. E. diac. card.
Autogr.(?) in Arch. reg. Mediol.
Coelestinus III. Romae ap. S. Petrum. 21. Jun. 1191.
Alberto abbati et fratribus S. Benedicti Padilironensibus
asserit ecclesiam S. Caesarii, a monachis Nonantulanis
sibi vindicatam. — ,Quotiens a uobis petitur/
Dat. p. m. Egidii S. Nicol, in carc. Tüll. diac. card., XI Kal. Jul.,
lnd. IX., Inc. a. 1191, p. a. I.
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Coelestinus III. Laterani. 18. Apr. 1192.
Monasterii Baronensis tutelam suscipit, possessionesque
et privilegia confirmat. — ,Religiosam vitam eli-
gentibus/
Dat. p. m. Egidii etc. ut supra, XIV Kal. Maii, Ind. X., Inc. a. 1192,
p. a. II.
Copia s. XIII in Arch. reg. Mediol.
Coelestinus III. Laterani. 6. Mai 1192.
Magistro Petro Longo praebendam in ecclesia de Dairago
asserit. — ,Justis petentium desideriis/
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Papsturkuuden in Italien.
67
Coelestinus III. Romae apud S. Petrum. 17. Jun. 1192.
Abbati Clarevallensi (dioc. Mediol.) concedit, ,ut iura-
mentum eius, cum idoneos testes vel aliam proba-
tionem legitimam exliibuerit, iu negotiis monasterii
minime requiraturi. — ,Equum est et consonum/
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Coelestinus III. Laterani. 14. Febr. 1193.
Canonicorum ecclesiae S. Mariae de Valle Gemini suscipit
protectionem.
In tabul. capit. Perusini. Dedit Bethmann.
Coelestinus III. Romae ap. S. Petrum. 21. Nov. 1194.
Monasterii S. Benedicti super Padum tutelam suscipit,
possessionesque ac iura confinnat, petente Alberto
abbate. — ,Commissae nobis apostolicae/
Dat. p. m. Centii S. Luciae in Orthea d. c., dom. pap. cam., XI Kal.
Dec., Ind. XIII., Inc. a. 1194, p. a. IV.
Coelestinus III. Laterani. 26. Nov. 1194.
Contractum pactionis, quae inter fratres S. Benedicti in
Larione (Padilironenses) et G(arsendonium) quondam
episcopum Mantuanum super polisio et piscaria
intercessit, confirmat. — ,Pacta, que mediante/
Autogr. in Arcb. reg. Mediol.
Coelestinus III. Laterani. 29. Apr. 1195.
Monasterii S. Pauli de Mediano pretectionem suscipit et
privilegia confirmat, petente Ribalmo abbate. —
,Quotiens a nobis petitur.'
Dat. p. m. Centii S. Luciae etc., III Kal. Mai., Ind. XIII., Inc. a. 1195,
p. a. V.
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Coelestinus III. Laterani. 6. Nov. 1195.
Fratribus S. Benedicti super Padum concedit, ne de
terris, quas propriis sumptibus colunt, sive de nu-
trimentis animalium decimas persolvant. — ,Fervor
dilectionis quo.‘
5*
68
Löwenfeld. Papstnrkunden in Italien.
Dat. p. m. Centii etc. ut supra, VIII id. Nov., Ind. XIV., Ine. a. 1195.
p. a. V.
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Coelestinus III. Laterani. 21. Jun. 1196.
Archipresbytero et priori S. Maioli Papiensis mandat, ut
A. abbatissae et monialium S. Mariae Theodotae
concordiam restituant. — ,Cum immineat nobisd
Autogr. in Arch. reg. Mediol.
Sauer, lieber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists. 69
Ueber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte
E. C. v. Kleists.
Eine texikritische Untersuchung
von
Dr. August Sauer.
Ewald Christian von Kleist war in den letzten Jahren
Beines Lebens mit einer Gesammtausgabe seiner Werke be
schäftigt, welche im Verlage von Voss in Berlin erscheinen
sollte. Er hatte die Müsse, welche ihm der Aufenthalt in Leipzig
im Winter von 1757 auf 1758 gewährte, zu durchgreifenden
Um- und Ueberarbeitungen seiner Gedichte verwendet; aus
drücklich schreibt er am 5. Mai 1758 an Gleim: ,Ich habe fast
Alles durch und durch, sehr viel und ich glaube gut geändert,
besonders die erste Scene im Seneka, die nicht dialogisch genug
ward Die Aenderungen wurden offenbar in Exemplare seiner
beiden Gedichtsammlungen, der ,Gedichte von dem Verfasser
des Frühlings' 1756 (G) und der ,Neuen Gedichte von dem
Verfasser des Frühlings' 1758 (H) eingetragen. Lessing n^hm
diese corrigirten Exemplare mit sich, als er in den ersten Tagen
des Mai von Leipzig nach Berlin gieng, und er selbst wollte
die Correctur besorgen; es war ausgemacht, dass der Druck
sogleich beginnen, dass das Werk zur Herbstmesse erscheinen
sollte. Darum schickt Kleist neue Aenderungen allsogleieh an
Lessing (Kleist an Gleim, 9. Mai 1758); die Wendung im Briefe
an Hirzel, 20. August 1758: ,Ehe ich mich’s versehe, werde
ich einen ziemlichen Band geschrieben haben,' bezieht sich
wohl auf diese projectirte neue Sammlung. Auch das eben
entstandene Gedicht ,Cissides und Paches' sollte in dieselbe
eingefügt werden (an Gleim, 18. September 1758), wird aber
dann auf des Dichters Wunsch einzeln gedruckt (an Gleim,
70
Sauer.
10. October 1758). Der Beginn des Druckes verzögert sieb,
der Termin des Erscheinens wird bis Ostern 1759 verlängert;
zwei Theile werden geplant, dem zweiten sollte eine Widmung
an Kleists Mutterbruder von Manteuffel vorgesetzt werden, der
aber bei einem Ueberfalle durch die Russen gerade damals sein
trauriges Ende fand (an Gleim, 3. December 1758). Immer
noch ist Lessing derjenige, der den Druck leiten soll (an
Gleim, 10. December 1758); erst zu Beginn des Jahres 1759
springt Ramler für den Abwesenden ein (an Gleim, 21. Januar
1759) und übernimmt schliesslich die Correctur allein. Am
7. Februar 1759 ist der Druck noch nicht begonnen. Später
findet sich im Briefwechsel keine directe Erwähnung mehr vor;
nur werden die neu entstandenen Gedichte eiligst nach Berlin
befördert, die letzten: einige Epigramme, wenige Wochen
vor Kleists Tode (an Gleim, 23. Juli 1759).
Die Sammlung war also zu Kleists Lebzeiten vollständig
vorbereitet, abgeschlossen, nicht mehr in seinen Händen; der
Druck aber scheint factisch noch nicht begonnen zu haben;
auch die Worte Sulzers, der genau unterrichtet sein konnte, in
einem Briefe an Bodmer, Berlin 16. October 1759: ,Eine neue
Ausgabe seiner Gedichte ist schon bei seinem Leben veran
staltet, aber noch nicht fertig geworden', lassen diese Annahme
zu. Sie wurde also erst im Winter 1759 auf 1760 gedruckt; im
März spricht Uz von ihr mit Erwartung (an Grötzner S. 99),
zu Ostern erschien sie: ,Des Herrn Christian Ewald von Kleist
sämmtliche Werke' Berlin bei Christian Friedrich Voss 1760,
in zwei Bänden Gross-Octav mit Kupfern und deutschen Lettern
(R). In dem Vorberichte, der nebst wenigen einleitenden
Worten nur einen Auszug aus Nicolais Ehrengedäehtniss auf
Kleist (Berlin 1760) bringt, sagt Ramler: ,In der Ordnung, mit
den Verbesserungen und Vermehrungen, wie sie das Publicum
itzt erhält, hatte sie ihr Verfasser, schon vor länger als zwei
Jahren, dem Drucke bestimmt, und sie in dieser Absicht den
Händen seiner Freunde überliefert. Indem sich aber die Aus
gabe verzog, weil die äussere Ausschmückung dem innern
Werthe einigermaassen gemäss sein sollte: starb er den Tod
der Helden; und was bestimmt war, nur eine vollständige
Sammlung seiner bisherigen Ausarbeitungen zu sein, ward, zum
Leidwesen aller Freunde der Dichtkunst, die Sammlung seiner
Uelier die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
71
sämmtlichen Werke . . . Einige kleine Veränderungen erhielten
die Herausgeber von ihm, da es mit dem Drucke schon zu
weit gekommen war, als dass sie noch an den gehörigen Stellen
hätten eingeschaltet werden können. Man wird aber in einer
andern kleinern Ausgabe dieser sämmtlichen Werke, welche
mehr sauber als prächtig ausfallen soll, und bereits unter der
Presse ist, Gebrauch davon machen.'
Zu diesen Worten, welche klingen, als ob Ränder das
letztredigirte Manuscript Kleists wörtlich habe abdrucken
lassen, steht in directem Gegensätze eine spätere Briefstelle an
den Sohn von Joh. Nicolaus Götz, dessen Gedichte er ein-
gestandenermassen überarbeitet hatte (25. Februar 1785; Voss:
Ueber Götz und Ränder S. 152): ,Ich würde es also mit diesem
Werke (Götzens Gedichten) ebenso gemacht haben, wie mit
Kleists Werken. Dieser mein ältester Freund überliess sie
mir zur Feile und zur Herausgabe und ich überliess sie dem
Herrn Voss, unserm Buchhändler, so wie ich sie empfangen
hatte, das ist unentgeltlich'.
Es ist seit Langem allgemein bekannt, dass Ränder seine
Feile schon in dieser ersten Ausgabe, nicht erst in den späteren,
immer wieder verbesserten an die Kleistischen Gedichte an
gelegt hatte. Schon Mendelssohn schreibt im Juni 1761 an
Lessing (Werke. LIempel. XX. b. S. 167): ,Es hat Jemand die
Lichtwehr’schen Fabeln verbessert herausgegeben. Man ver-
muthet, dass sich Herr Ränder diese Freiheit genommen und
ist sehr begierig zu sehen, wie Lichtwehr diese Freiheit auf
nehmen wird. So stille als Logau und Kleist wird doch der
noch athmende Lichtwehr gewiss nicht herhalten'. Als Körte
im Jahre 1803 auf Grund der Handschriften die neue Ausgabe
von Kleists Gedichten: ,Ewald Christian von Kleists sämmtliche
Werke nebst des Dichters Leben aus seinen Briefen an Gleim,
Berlin Unger (K)' herausgab, polemisirte er zwar in der Vorrede
gegen Ramler, aber ohne feste kritische Grundsätze; wie er ja
selbst eine grosse Anzahl von Lesarten, welche sicher von
Ramler herrühren, in seinen Text aufnahm.
J. H. Voss hat sich des Textbesserers, den er selbst sich
zum Muster erwählt hatte, gegen Körte annehmen zu müssen ge
glaubt. Es erschien Heidelberg 1807: ,Ueber Gleims Brief-
sammlung und letzten Willen. Ein Wort von J. H. Voss' und
72
Sauer.
dawider Halberstadt 1808: ,Joh. Heinr. Voss. Ein pragma
tisches Gegenwort von Wilhelm Körte'. Seitdem hat niemand
sich mit dem Text der Kleistischen Gedichte beschäftigt.
Durch die grosse Liberalität des gegenwärtigen Direc-
toriums der Gleim’schen Familienstiftung in Halberstadt, dem
gegenüber ich auch an dieser Stelle den Ausdruck meines
lebhaften Dankes nicht ganz zurückdrängen kann, bin ich in
der Lage gewesen, den Nachlass Kleists, soweit er durch die
Sorgsamkeit des Freundes sich erhalten hat, zum Zwecke einer
neuen kritischen Ausgabe zu benützen. Das Halberstädter
Material Hess sich durch einige an verschiedenen Orten zer
streute Fragmente vervollständigen, so dass mehr als drei
hundert Briefe des Dichters gesammelt vorliegen, in und bei
diesen Briefen die Handschriften fast aller seiner Gedichte.
Leider aber sind diese Manuscripte meistens erste Nieder
schriften oder wenigstens ältere Fassungen gegenüber späteren
gedruckten Texten. Das letztredigirte Manuscript seiner
Gedichte hat sich bis jetzt nicht vorgefunden; es wurde
wahrscheinlich nach dem Drucke vernichtet oder befindet sich
in dem Ramierischen Nachlasse, der nach des letzteren Tode
an Goeckingk kam. Gerüchte, dass Ramlers und Goeckingks
Nachlass auf der königlichen Bibliothek in Berlin liege, haben
sich, so weit meine Nachforschungen reichten, nicht bewahr
heitet.
Die schwierige Frage, was in Ramlers Ausgabe von 1760
des Dichters Eigenthum und was Zusatz des Bearbeiters ist,
lässt sich nach dem mir vorliegenden Materiale mit Sicherheit
nicht entscheiden; so viel aber strebt die nachfolgende Unter
suchung festzustellen, dass Ramler Kleists Gedichte mit grösster
Willkühr behandelt hat und dass eine neue Ausgabe dessen
Text nur mit grösster Vorsicht benützen dürfe; sie sucht ferner
nachzuweisen, welche Motive es gewesen, die Ramler bei seiner
Ueberarbeitung im einzelnen geleitet haben.
Die Ausgabe von 1760 (R) enthält: 1. kleinere Ge
dichte.
a) Die Sammlung des Jahres 1758 ,Neue Gedichte von
dem Verfasser des Frühlings' (H) wurde vollzählig und mit sehr
geringen Aenderungen herübergenommen; von diesen ist die
Ueber die Ramlerische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
73
eine im ,Liebeslied an die Weinflasche* 1 78, 26, die Restitution
der Lesart des Manuscripts: ,schluchz’* für das mattere ,sag’*;
die andere in ,Milon und Iris* 73, 37, ,geht* eine entschiedene
Abschwächung des charakteristischen ,läuft*. In ,Cephis* 65,
22 war Rändern der Vers ,Und pflanzte Rosen und Cypress’
umher* wegen des Plurals ,Cypress’* mit Recht anstössig; er
änderte ganz gut: ,Mit Rosen und Cypressen rund umkränzt*.
In ,Arist* 72, 4 f. ist Ramlers Aenderung der Stelle: ,Ergoss
der Wolken Last gleich einer See sich über Berg und Thal*
in ,iiel schnell ein Wolkenbruch mit wildem Lärm zur bangen
Erd herab* ganz gegen den Stil des Dichters, der Hyperbeln
wie diese ausserordentlich liebt.
b) Die Sammlung des Jahres 1756 ,Gedichte vom Verfasser
des Frühlings* (G) wurde der neuen Ausgabe ebenfalls vollständig
einverleibt, 15 Gedichte derselben ohne jegliche Aenderung, 6
mit geringer Umgestaltung, 3 in gänzlich überarbeiteter Form.
In ,Amynt* Nr. 22 ist nur der Name ,Galathee* durch ,Lalage* er
setzt, in ,DerVorsatz* 14, 14 war Rändern die Betonung,Jaspis*,
wie sie Kleist trotz anderen Aenderungen in diesem Verse
durch alle Drucke beibehielt, anstössig, und er entfernte sie
durch die Umstellung ,Tapeten Jaspis*. In der ,Einladung aufs
Land* Nr. 55 suchte Ränder das Missverhältnis zwischen der
Ueberschrift ,im November' (den er übrigens in den ,December*
verwandelte) und dem Eingänge ,Der Westwind fliehet Flur
und Weiden, Die jetzt verblühn* dadurch aufzuheben, dass
er den zweiten Vers änderte: ,Die nicht mehr blühn.* Ränder
wusste nicht, dass das Gedicht im Herbst gedichtet ist und
ursprünglich ,Herbstode* überschrieben war. Dagegen ist die
Aenderung in Vers 22 ,die durch ihre Saiten Dein Herz ent
wandt' statt ,Dirs Herz entwandt* durch die Uebereinstimmung
mit der Handschrift beglaubigt. ,An Adler' 10, 22 ist Ramlers
Aenderung ,Hains* für ,Thals* eine gänzliche Verschiebung
des Kleistischen Landschaftsbildes, welche eine weitere Aende
rung im nächsten Vers, ,Den thaldurchirrenden Bach* statt
,Den drinnen irrenden Bach* nach sich zog.
1 Ich füge dem Titel der einzelnen Gedichte die Nummerirnng und Vers
ohl meiner neuen Ausgabe (Berlin, Gustav Hempel) bei.
74
Sauer.
,Menalk' 16, 6 hat Ramler durch die Aenderung ,0 Warum
lebst du noch?' statt des Kleistischen ,Warum bist du gezeugt'
zwei getrennte Gedanken in einen verschmolzen, weil ja die
folgenden Verse den Wunsch zu sterben näher ausführen.
Das ,0 war' in Vers 8 musste jetzt einem ,Wär doch' weichen,
um die Anaphora zu vermeiden. Vers 36 ,behutsam anzu
schleichen' von Ramler geändert: ,zu mir heranzuschleichen'.
In Nr. 15 ,Das Landleben' sind die Aenderungen Vers 12, 24
und 40 des Metrums wegen geschehen, das Kleist an diesen
Stellen verletzt; die anderen, Vers 34, 41, 52, geringfügig.
Das ,Lob der Gottheit' Nr. 4 erfuhr umfangreichere Aende
rungen, von denen die meisten entschieden nicht auf den
Dichter zurückgehen. Vers 1 setzt Ramler,Pracht' für ,Macht',
weil dieses im vierten Verse wiederkehrt, wo es aber Kleist
erst in G für das frühere ,Pracht', also mit absichtlicher Wieder
holung eingesetzt hatte. Vers 2 ,Aller Himmelskreise Welten'
statt ,Aller Welten Himmelskreise' ist eine Verdrehung einer
bei Kleist beliebten Verbindung: Vgl. 4, 33 ,der Sternen
Kreise', 14, 21 ,den Kreis der Sterne'. Vers 13 ist die prägnante
Wiederholung ,tausend, tausend' in ,Millionen' verallgemeinert,
Vers 14 ,Wunderlaufe zahlenloser' statt ,Wunderlauf, unzähl
barer'gesetzt, um den fehlenden Versfuss zu ersetzen. Vers 23,
24 vermischt Ramler die beabsichtigte fallende Klimax, wenn
er in der Strophe:
,Du giebst den entzückten Blicken zwischen kräuterreichen Auen,
Wälder, die sieh in den Wolken fast verlieren, anzusehauen.
Du machst, dass darin aus Felsen wiithend sieh ein Nass ergiesst
Das sich endlich blitzend schlängelt und in Muscheln rieselnd
fliesst. 1
die zwei letzten Verse so ändert:
Du machst, dass darin durch Blumen sich ein helles Nass ergiesst
Das zum Spiegel wird des Waldes und durch Muscheln rieselnd fliesst,
die sich durch die Inversion allein schon als Ramierisch be
kunden.
Die allerdings matten Kleistischen Verse 25, 26, von denen
der erstere um einen Versfuss zu kurz gekommen ist:
Du rührst, durch unzählige Gegenstände alle Sinnen
Du lässt die Gesundheit blühen, und aus tausend Quellen rinnen,
Heber die Kamlerische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
75
ersetzt der für den Nachruhm des Dichters besorgte Freund
durch folgende
Um des Sturmes Macht zu hemmen, und zugleich zur Lust der Sinnen
Thürmen Berge sich, von ihnen lassest Du Gesundheit rinnen.
deren ungeheuerliche Erklärung vom Zwecke der Berge Nie
mand dem Dichter wird aufbürden wollen. Die Aenderung
machte im folgenden Verse die Einschiebung des ,Du tränkst'
statt des blossen ,tränkest' nothwendig; im letzten Verse der
Strophe endlich wurde ,erfrischest die Natur' durch ,erfreuest'
ersetzt. 45 ff.:
Finstre Wolken, Bergen ähnlich, stossen ungestüm zusammen;
Schaut! aus ihren schwarzen Klüften brechen Ströme wilder Flammen;
Wald und Fluren stehn in Feuer und die Glut zersprengt das Land,
Krokodille, Löwen, Tiger fliehen zitternd Dampf und Brand.
Die drei letzten Verse ändert Rami er:
Schaut! aus ihren schwarzen Klüften brechen Meere wilder Flammen;
Wald und Fluren stehn in Feuer, Ströme scheim und fliehn das Land,
Krokodill, und Löw’ und Tiger bebt, und eilt aus Dampf und Brand.
Der gewiss ungewöhnliche Ausdruck ,Die Glut zersprengt
das Land' wurde durch einen noch ungewöhnlicheren ersetzt,
dem zu Liebe er statt der Ströme Meere von Flammen aus
den Bergen brechen lässt. Zum Schlüsse Vers 10 ff.:
Könnt' ich gleich den blöden Pinsel in der Sonne Flammen tauchen,
0! so würd’ von deinem Wesen doch durch ihn kein Strich gemacht;
für welch letzteren Ramler schreibt:
Würde doch von deinem Wesen noch kein Riss, kein Strich gemacht.
wozu man vergleiche die frühere Lesart 3, 11:
01 so war’ von Deinem Wesen noch kein Zug, kein Strich gemacht.
und die des ersten Entwurfes 3, 11 (Mj:
Ja der Abriss deines Wesens blendet schon den kühnen Blick.
In dem Liede ,Phyllis an Dämon' Nr. 11 geht Ramler noch
weiter als in dem eben besprochenen Gedichte, indem er hier,
als Vorarbeit gleichsam für die späteren Ausgaben, in denen
diese Art sich öfter findet, bereits eigene Verse und eigene
Reime einschmuggelt. Man vergleiche die Verse 11, 3 f.:
Ich fühl’ die von mir sonst verlachten Schmerzen
Jetzt in dem Herzen.
76
S atier.
mit der Ramierischen Aenderung:
Dein Harm, von dem dein Angesicht erbleichet,
Hat mich erweichet.
ferner 11, 11 f.:
Die Flammen werden unaufhörlich währen,
Die mich verzehren.
mit der Aenderung:
Und ach! Dies Feu’r wird — denn ich muss es nähren —
Mich noch verzehren.
welch letztere Verse ein Muster von Härte gegen das fliessende
Original sind; Ramler fühlte dies selbst und stellte 1761 die
frühere Lesart mit einer kleineren Aenderung wieder her:
Ach ewig werden diese Flammen währen,
Die mich verzehren.
Die Besserung 11, 14 ,schwebet schon' statt ,schwebt mir schon'
ist belanglos.
Die meisten Aenderungen in dieser Gruppe weist das
Gedicht ,Sehnsucht nach Ruhe' Nr. 8 auf; ich kann nur die
wichtigsten besprechen. An einer Stelle 8, 24 bringt Ramler
die frühere richtige Lesart, welche in G wohl nur einer
Schlimmbesserung Lieberkiihns gewichen ist, wieder zur
Geltung; dagegen lässt er Vers 79—84 ganz weg und arbeitet
einige Strophen so um, dass sie als sein Eigenthum nicht zu
verkennen sind. Man vergleiche 8, 103—108:
Wenn Dich das Glück auf seinen Flügeln hebt,
So mag man nichts der Freunde Huld vergleichen.
Wenn Unglück stürmt, dass Mast und Steuer bebt,
O, wie dem Frost alsdenn die Schwalben weichen!
Man hat den Schwarm wie Stumme anzusehn,
Die blos zur Pracht auf unsern Bühnen stehn.
mit folgenden Versen:
Wenn Dich das Glück mit Einem Strahl berührt,
O! sieh wie dann die Freunde zu dir schleichen!
Wenn sich sein Strahl in trüben Dunst verliert,
O! wie dem Frost alsdann die Schwalben weichen!
Ein stummer Schwarm! dem Helden nützt er nicht,
Doch füllet er die Bühn’ und das Gesicht.
Der dritte Vers dieser Strophe ersetzt den bei Kleist so
häufigen Vergleich des Lebens mit einer Schiffahrt und die
Ueber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
77
letzten Verse sind ohne die Zuziehung der echten Kleistischen
Lesart ganz unverständlich, obwohl die letztere nicht tadellos
ist. Vers 20 bezieht sich ,dein schwirrend Schallen 4 auf den
Wiederhall des Echo, den man doch nicht leicht ein ,süss Ge
schwätze 4 nennen wird. Ramler scheint den Ausdruck auf
Doris fälschlich zu beziehen. — 25 ff. ,Wie wenn der Sturm
.... Dem Sonnenstrahl den freien Durchgang wehrt 4 ; wenn
Ramler daraus macht: ,Wie wenn der Sturm .... Den Himmel
schwärzt, dem Sonnenstrahle wehrt 4 so fühlt man aus der
letzteren Construction das geschraubte des Ramierischen Oden
stiles. — 29 f. ,füllt sein Heer 4 im Reime auf ,Gewehr 4 statt
,füllet er 4 ist eine wirkliche Besserung zu nennen, die möglicher
weise auf den Dichter selbst zurückgeht. Vers 31 ,Die Saaten
sind zerwühlt, der Fruchtbaum weint 4 statt ,Der Fruchtbaum
trau’rt, die Halmen bücken sich 4 ; die Aenderung ist zunächst
veranlasst durch die im dritten Verse der Strophe, wo Ramler
das unschöne ,ihr ander Ich 4 des Kleistischen Textes durch
,ihren jungen Freund 4 ersetzte. Ramler schafft das bei Kleist
beliebte ,trauern 4 auch weg im ,Frühling 4 90, 70 ,der andere
[Theil des Hügels] trau’rt im Flor vom Schatten der Wolken 4 R:
,in Flor der andre gehüllet 4 ; ,sich bücken 4 ist bei Kleist häufig:
vgl. 13, 51 ,des Ufers Rosensträuche, aus Stolz gebückt 4 21, 22
,blass und gebückt 4 90, 344 f. ,Der blühende Hagdorn . .. bückt
sich hinüber aus Stolz 4 90, 237 ,Bäume, die .... sich bücken
und wanken 4 . Der Gegensatz: 5, 7 ,Es steigt des Halms ge
kröntes Haupt herfür 4 6, 7 ,Es drängt der Halm sein Kronen
haupt hervor 4 13, 75 ,die schlanken Halmen 4 90, 387 f.
,Getränkte Halmen erheben froh ihre Häupter 4 . — Vers 35
,Thränenbach 4 Ramler schreibt ,Thränenguss. 4 Vgl. 8, 117 ,Vor
Wehmuth rollt ein Bach dieWang’ herab 4 95, 187 ,EinThränen-
bach floss ihm vom Aug 4 (was Ramler streicht). —Vers 58,Stücke 4 ]
,Kugeln 4 R vgl. 89, 115.—67 f. aus der Kluft, die bodenlos,]
aus der Kluft des Aethers R, eine wirkliche Verbesserung.
— 76 Des Himmels Raum] Des Himmels Veste R, nachdem
kurz vorher Vers 54 der Ausdruck: ,Des Bodens Veste 4 vor
kam; eine Wiederholung, die wir dem Dichter nicht Zutrauen
dürfen. Vgl. aber 90, 288: ,Veste des Himmels. 4 — 95 f.:
Bist du geschickt, ein Andrer glaubt es nicht,
Warum? — Weil ihm Geschicklichkeit gebricht!
78
Sauer.
ändert R in:
Bist Du geschickt, ein Kluger hilft dir nicht.
Du fragst warum? — Du trittst ihm vor das Licht.
eine Verballhornung, die nur mehr durch die folgende zu iiber-
treffen war, 102 f.:
Wer küsst und drückt und lästert, hat Verstand;
Wer redlich spricht, gehöret auf das Land.
statt Kleists Versen:
Wer küsst und drückt und lästert, ist verschmitzt
Wer höhnisch blinkt, der hat sich selbst genützt.
Aehnlich wird der Kleistische Gedanke auf den Kopf gestellt
Vers 126 ,Ein güldner Dolch befördert euren Tod. 1 ] ,Und wenn
ihr könnt, bestecht damit den Tod. 1 R. Fast möchte man ver-
muthen, Ramler habe den Abdruck dieses Gedichtes in den
Belustigungen (A) gekannt, wenn er 148 statt ,Und Zweige,
die Vorhängen ähnlich hangen 1 einsetzt ,die wie grüne Decken
hangen 1 , während es in A, mit dem Manuscript übereinstimmend
heisst ,wie grüne Schirme 1 .
Die drei zuletzt besprochenen Gedichte gehören der ersten
Periode des Dichters an, das ,Lob der Gottheit 1 ist der älteste
erhaltene grössere Versuch desselben: hier also, wo Kleists
Kunst noch in geringerem Maasse ausgebildet war und wo er
selbst immer zu bessern versuchte, hat der Ueberarbeiter am
kühnsten und freiesten gewirthschaftet.
c) Aus der Frankfurter Ausgabe des Frühlings 1754 (F r j
mit Zuhilfenahme der Bremer Beiträge (B) wurde das Gedicht
,Die Heilung 1 Nr. 12 mit wenigen Aenderungen in R ab
gedruckt.
d) Aus der zweiten Sammlung der ,Sinngedichte und
Lieder 1 von Johann Joachim Ewald 1757 (E 2 ), mit welchem
Freunde Kleist eine Art Tauschgeschäft eingegangen wax - , in
dem er ihm einige seiner Gedichte übei'liess und eines von ihm
seiner Sammlung G ein verleibte, ist das Gedicht ,An Thyrsis 1
Nr. 62 mit einer nothwendigen Aenderung in Vers 3 abgedruckt
worden. Dieser lautete im Manuscript: ,Mach dir anitzt nicht
alten Kummer neu!“ In E 2 war ,anitzt 1 wohl durch Versehen
ausgefallen. Ramler fühlte dieses und änderte: ,Was machst
du dir itzt alten Kummer neu 1 .
lieber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
79
e) Aus den Literaturbriefen (L) die Hymne ,Gross ist
der Herr“' Nr. 81 und das ,Geburtslied“ Nr. 79. Von der
ersteren sind zwei Manuscripte vorhanden. M,, am 29. Mai 1758
an Gleim gesandt, stimmt fast genau mit dem Abdruck in L,
welchem eine Anfang Juni an Lessing geschickte Abschrift
zu Grunde liegt. An einer Stelle Vers 11 stimmt R mit Mj L,
dagegen in allen andern Fällen mit der zweiten Abschrift M 2 ,
welche Kleist am 6. October 1758 an Bodmer sandte. Man
muss annehmen, dass Kleist auch an Ramler eine Abschrift
geschickt habe und dass die beiden Lesarten in Vers 3 und
Vers 50, die weder mit M[ L noch mit M 2 stimmen, wahr
scheinlich aus dieser Abschrift stammen. Beim Geburtslied
fehlt das Manuscript und es lässt sich schwer entscheiden,
ob die ziemlich unerheblichen Aenderungen von Kleist oder
Ramler herrühren.
f) Zuerst in R gedruckt sind folgende acht Gedichte:
Die Hymne: ,Nicht niedre Lust“ Nr. 85, ,Gedanken eines be
trunkenen Sternsehers“ Nr. 84, ,Chloris“ Nr. 80, ,Lykon und
seine Schwester Agathe“ Nr. 86, ,Auf die Arria“ Nr. 87, ,Ueber
einen neuerbauten prächtigen Tempel“ Nr. 88, ,Auf den Altindes“
Nr. 83, ,An den König“ Nr. 9. Davon sind 83 und 85 genau
nach dem mir vorliegenden Manuscripte abgedruckt; in dem
Epigramm 84 sind gegen die Handschrift kleine Veränderungen,
Zusätze und Weglassungen, angebracht; von den übrigen fünf
fehlt das Manuscript. An Kleists Autorschaft kann bei 80, 86,
87, 88 kein Zweifel sein; das räthselhafte Fragment 9 glaube
ich vor allem des Versmaasses wegen, in die erste Periode des
Dichters verlegen zu müssen.
2. Der Frühling. Die erste Ausgabe des Frühlings er
schien in Berlin 1749 (F t ) und ist in meiner neuen Ausgabe
genau reproducirt (Nr. 89). Ein Manuscript liegt nur aus einer
noch früheren Zeit vor. In den Jahren 1750, 1751 und 1754
erschienen vier verbesserte Drucke desselben, eine zu Berlin
(F 2 ), zwei in Zürich (F 3 und F 4 ) und eine in Frankfurt an
der Oder (F 5 ), bei welchen uns Kleists eigener Antheil mehr
oder weniger gut bezeugt ist. Im Jahre 1756 nahm er das
Gedicht, ziemlich stark überarbeitet, in die ,Gedichte vom
Verfasser des Frühlings“ (G) auf, und dieser Text ist in meiner
Ausgabe als Nr. 90 abgedruckt. Mit dieser letzten echten
80
Sauer.
Fassung des Gedichtes muss der Text in der Ramierischen
Ausgabe von 1760 zuerst verglichen werden. Da ergiebt sich
denn die merkwürdige Thatsache, dass bis Seite 21 dieser
Ausgabe, bis 90, 165 meiner Zählung, sich bedeutende Ab
weichungen von G finden, während von da ab R vollständig
mit G übereinstimmt, ausgenommen kleine Aenderungen in den
Versen 232 f., wo R V/ 2 in G gestrichene Verse aus den früheren
Ausgaben wieder einfügt, 265, 288, 302, 310, 333, 336, 342,
358 und 396. In der dritten Ramierischen Ausgabe von 1771
2. Bd. S. 20 findet sich bei diesem Verse 165 die Anmerkung:
,Bis hiebei' geben die letzten Verbesserungen, die dieses Gedicht
erhalten hat. Der Dichter wäre damit fortgefahren, wenn ihn
der Tod der Helden nicht übereilet hätte 4 , auf den ersten Blick
enthalten diese Worte einen Widerspruch gegen die Vorrede,
welche ausdrücklich besagt, der Dichter habe schon vor zwei
Jahren das fertige Manuscript in die Hände der Herausgeber
gelegt. Andererseits wissen wir durch Lessing im Laokoon
(Werke VI. S. 109) dass Kleist an eine Umarbeitung des
Frühlings dachte, dass er einen Plan hinein legen wollte und
auf Mittel sann, ,wie er die Menge von Bildern, die er aus dem
unendlichen Raume der verjüngten Schöpfung auf Gerathewohl,
bald hier bald da gerissen zu haben schien, in einer natürlichen
Ordnung vor seinen Augen entstehen und aufeinander folgen
lassen wolle 4 . Abgesehen davon, dass, für mein Gefühl, Lessing
hier die begonnene, mehr als ein Drittel des Gedichtes um
fassende, letzte Umarbeitung, unbedingt hätte erwähnen und
lobend heranziehen müssen, wenn er sie selbst für gut und echt
gehalten hätte, zeigt dieselbe in keiner Hinsicht eine An
näherung an das von Lessing angestrebte Ideal; der einzige
grössere Zusatz (Anhang Nr. 104, 76—82 meiner Ausgabe) trägt
mehr den Charakter des Abrupten als andere Episoden; man
kann von Aenderungen im Plane nicht recht sprechen, nur
einzelne Gedanken sind manchmal in ihrer Reihenfolge ver
tauscht; dagegen sind die Aenderungen durchgehend stilisti
scher, sprachlicher und metrischer Art. Ramler — denn er ist
sicher der Ueberarbeiter — entfernt Bilder, Vergleiche, Tropen,
die ihm unpassend scheinen. Wenn Kleist G 43 die jungen
Mädchen, welche sich in Seen und Bächen betrachten,
Jungen Blumen des Ufers 4 vergleicht, so schafft Ramler 38
lieber die Ramlerisclie Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
81
dies weg, so wie er einige Verse vorher dieselben aus ,Bildern
des Frühlings' zu ,Freundinen des Lenzen' gemacht hat.
Kühnere Ausdrucksweise scheut er: Gr 27 die ,Schatten wurden
belaubt' R 24 ,Nun fielen Schatten vom Buchbaum herab';
Personificationen entfernt er unbarmherzig G 27 f. ,Ein sanft
Getöne erwachte, und floh und wirbelt’ umher im Hain voll
grünlicher Dämm’rung' R 24 ,harmonische Lieder erfüllten den
dämmernden Plain', zu welcher Aenderung der Hiatus in G
mit beigetragen hat. G 59 ,Lieb und Freude durchtaumelt
' in kleiner Fische Geschwadern und in den Riesen des Wassers
die unabsehbare Fläche' R 51 ,Die Riesen des Wassers durch
taumeln, aufs neue belebt, die unabsehbare Fläche.' G 124 f.
,Zwar hat hier Wollust und Hochmuth nicht Nahrung von
Mohren entlehnt und sie gepflanzet' R 124 f. ,Hier hat der
verwegene Schilfer die wilden Gewächse der Mohren nicht
hingepflanzt'. •—• Wenn G 77 der ,mühsame Landwirtli' den
,Segen' ausstreut, so lässt R G6 ,den fleissigen Landwirth'
den ,Samen' ausstreuen. — G 38 ,Saugt Lust und Anmuth in
euch!' Darauf wird im Singular fortgefahren: ,Schaut her, sie
gleitet im Luftkreis'. R 33 ändert: ,Trinkt Wollust! Für euch
ist die Wollust! Sie wallt und tönet in Lüften'. G 21 ,Schauer
von Schnee' ist Ränder zu ungewöhnlich; er ändert es in das
gebräuchlichere: ,Schneegestöber'. Beförderung des Wohllautes
ist eines der Hauptprincipien Ramlers; wenn dasselbe Wort
sich rasch wiederholt, entfernt er es einmal: G 56 ,Zur Seite
blitzt aus dem grünlichen Meere ein Meer voll güldener
Strahlen durch Phöbus glänzenden Anblick' R 49 ,die strahlende
Sonne Wirft einen Himmel voll Sterne darauf'. Die Beispiele
sind absichtlich jenen Partien des Gedichtes entnommen, in
denen Kleist von der ersten Ausgabe ab niemals Aenderungen
vorgenommen hat. Ramlers Besserungen stehen mit Kleists
sonstigem Sprachgebrauch nicht immer im guten Einklänge;
seine eigenen Lieblingsworte kann er andererseits nicht ganz
zurückdrängen. Das Wort: ,Odem', das er in dem Eingänge
mehrfach einfügt, erinnere ich mich bei Kleist nie, wohl aber
oft bei Ramler gelesen zu haben; die ,wilden Schaaren' G 80,
die Kleist auch sonst geläufig sind (Vgl. 95, 20) macht er zu
,rasenden Horden'; die ,Horden' finde ich bei Ramler wieder
,An seinen Arzt': ,aucli nicht der Wuth der Horden Asiens
Sitznngsber. d. phjl.-hist. CI. XCV1I. Bd. I. Hft. 6
82
Sauer.
bezwinglich', ebenso wird G 44 der ,wallende Busen' von Rarnler
zum ,unsträflichen Busen' gemacht und das Adjectiv finde ich
bei ihm wieder ,An den Vulcan' ,ein unsträfliches Blatt, von der
schönen Elvire geschrieben'. G 93 ,Lasst güldne Wogen im Meer
fürs Land durch Schiffahrt sich thürmen'. Diesen allerdings durch
die gehäuften präpositionalen Fügungen unschönen Vers ändert
R 88 f. ,Spannt eure Segel dem Ost auf und erntet den Reich
thum der Inseln im Meer', wozu man Ramlers Ode ,An die
Muse' vergleiche Wohlan, mein Lied! spann’ alle deine Segel
bis an den Wimpfel auf' und den in G gestrichenen Vers
89, 422 ,Der Wind umwälzt sich in ihm und treibt ihn vor
sich wie Segel'.
Die meisten Aenderungen im einzelnen sind des Metrums
wegen geschehen; man kann im allgemeinen sagen, Ramler
sucht den Vers ,dactylischer' zu machen, als er bei Kleist sich
darstellt. Besonders am Anfänge liebte Kleist Spondeen oder
mehr Trochäen. Von den ersten 165 Versen in G haben nur
28 im ersten Fusse einen Dactylus; von den entsprechenden
172 Versen in R 97, also mehr als die Hälfte; oft setzt Ramler
dem Kleistischen Verse nur ein Wort vor, um den Dactylus
des ersten Fusses zu erreichen: G 47 ,Will | ich ins | Grüne
mich | setzen'. R 42 ,Hier | will ich ins | Grüne mich | setzen'.
— G 160 ,Der | ist ein | Liebling des | Himmels'. R 166
,Nur J der ist ein j Liebling des | Himmels' oder er wählt statt
einsilbiger zweisilbige, statt zweisilbiger dreisilbige Worte:
R G
31 Die | glühende | Rachgier 36 Die | schwache | Rachgier
60 Die | Lerche besteiget die | Luft 71 Die | Lerche | steigt in die | Luft
63 Sich | über den | wühlenden Pflug 74 Sieh | auf den | gleitenden | Pflug
69 Und j rasenden | Horden be|gleitet, 80 Und | wilden | Scliaaren begleitet.
Auch folgende Aenderungen sind nur oder hauptsächlich
des Metrums wegen zu erklären:
R G
17 Bei | nächtlicher | Wiederkehr ! oft
28 Ihr | deren betrogene | Seele
68 Aljlein der gelfrässige | Krieg 1
83 Ihr | denen unlsklavische | Völker
20 Noch oft bei | nächtlicher Umkehr
31 Ihr | deren | zweifelhaft | Leben
79 Al|lein der | frässige | Krieg,
87 Ihr, , denen | zwanglose | Völker
1 Ebenso schreibt Ramler in dem Verse 91, 5 , verschlangen frässig das
Ufer“, in der Ausgabe von 1761 ,gefrässig‘.
lieber die Ramierische Bearbeitung- der Gedichte E. C. v. Kleists.
83
R
85 Ihr | Väter der | Menschen be-;
gehrt ihr noch |
128 Zeigt; oben voll [laufender |Wolken
144 Ein | Kreis von Bejwunderern |
spornt
155 Von j ihnen gejsäuget, verwundern
164 Gezogen von | Ele|phanten;
G
89 Was | wünscht ihr | Väter der |
Menschen noch |
128 Zeigt | sich voll | laufender | Wolken
140 Der | Kreis von Zuschauern | reizt
150 Die | sie ge|säuget, erstaunen
158 Von | Ele|phanten ge|zogen.
Steht somit im allgemeinen fest, dass in dieser Ueber-
arbeitung vieles nicht vom Dichter selbst herrühren kann, so
glaube ich weiter beweisen zu können, dass diese Redaction
in allem wesentlichen nicht auf Grund der Ausgabe von 1756
(Gr), sondern der ältesten von 1749 (F,) gemacht worden ist.
Entscheidend scheinen mir vor allem jene Verse in R, welche
solchen Versen in F, entsprechen, die in G oder schon in
früheren Drucken gestrichen wurden: In F, finden sich in der
Schilderung des Krieges 11 Verse 114—124, welche sich mit
den Details der Schlacht befassen und welche bereits in F.,
(1754) getilgt wurden, offenbar weil sie dem Verfasser zu
grässlich schienen und weil er sich erinnerte, in der ,Sehnsucht
nach Ruhe' derselben Schlachtmalerei schon fünf bis sechs
Strophen gewidmet zu haben. In G wird daher Vers 83 gleich
an die allgemeine Darstellung der Kriegeswirren und -Schäden
der Vergleich mit einer Eruption des Aetna angefügt. R 72
bricht ebenso ab wie G 83 und fügt dann in fünf Versen,
durch ein ,Wo bin ich 1 eingeleitet, einzelne Bruststücke aus
F, 114—124 ein:
R
72 Es blitzen die fernen Gebirge von
Waffen
73 ff. Es wälzen sich Wolken voll
Feuer aus offenen ehernen Rachen, [
Und donnern und werfen mit Keilen
umher. Zerrissene Menschen | Er
füllen den schrecklichen Sand.
F,
114 Die Tliäler blitzen von Waffen
115 ff. Es wälzen sich Wolken voll
Feu’r aus tiefen Schlünden der
Stücke | Und füllen die Gegend
mit Donner, mit Glut und Saaten
von Leichen. 1 | Das Feld voll
blutiger Furchen gleicht einem
wallenden Blutmeer;
1 Vgl. 95, 158 ,Eine Erndt’ Erschlagener lag auf dem Felde weit ver
breitet'.
6*
}
84
Sauer.
R F,
75 f. Des Himmels allsehendes Auge' 121 f. Des Himmels leuchtendes Auge
Verhüllt sich, die Grausamkeit Sehliesst sich die Grausamkeit
scheuend, in blaue Finsterniss. scheuend; mit blauer Finsterniss
füllen | Sich aufwärts drehende
Dämpfe gleich dickem Nebel den
Luftkreis,
Daran knüpft R eine Episode von dem Tode eines Jüng
lings, die sieh als eigene Zuthat des Ueberarbeiters herausstellt;
der Aetna-Vergleich fehlt. Ganz ebenso
R
89 ff. Pflanzt menschliche Gärten
Setzt kluge Wächter hinein. Be
lohnt mit Ansehn und Ehre | Die,
deren nächtliche Lampe den ganzen
Erdball erleuchtet.
während die Verse F, 134 f. in
darf ich es auch rechnen, wenn Ränder im Eingang des Ge
dichtes den Laubgängen das Epitheton gibt ,der ernsten Be
trachtung geweiht 1 , welches recht gut als Ersatz der Verse F,
3 — 5 aufgefasst werden kann, die in G fehlen. Ebenso lassen
sich die Verse R 12 f.: ,Dem Ufer entschwollen die Ströme,
die Wolken zergingen in Regen, | Die Wiese schlug Wellen,
der Landmann erschrak 1 ganz gut erklären als concentrirte
Darstellung der in F, auf 25 Verse ausgedehnten Ueberschwem-
mung, welche schon in F 4 gestrichen wurde. Man vergleiche
ferner folgende Stellen;
F,
134 f. Belohnt mit Ehren und Gunst
die, deren nächtliche Lampe | den
ganzen Erdball erleuchtet; setzt
Gärtner zur Baumschul’ der
Menschen,
G nach 92 fehlen. Hieher
R
22 f.:
Die Luft ward sanfter;
ein Teppich mit wilder
Kühnheit aus Stauden, |
Und Blumen und Saaten
gew r ebt, bekleidete Thä-
ler und ITügel.
160 ff.:
O dreimal seliges Volk,
das keine Sorge beschwe
ret, Kein Neid versuchet,
kein Stolz. Dein Leben
fliesset verborgen, | Wie
klare Bäche durch Blu
men dahin.
Fr
54 f.:
Die Luft ward sanfter;
ein Teppich geschmückt
mit Ranken und Laub
werk | Von Büschen,
Blumen und Klee, wallt
auf Gefilden und Auen.
200 ff.:
O dreimal seliges Volk,
das ohne Stürme des
Unglücks . Das Meer des
Lebens durchschifft, dem
einsam in Gründen die
Tage | Wie sanfte Weste
verfliegen.
G
26:
Die Luft ward sanfter;
es deckt’ ein bunter Tep
pich die Felder;
155 f.:
O dreimal seliges Volk;
dem einsam in Gründen
die Tage | Wie sanfte
Weste verfliegen.
TJeber die Ramlerißcbe Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
85
Zu diesen mehr negativen Beweisen kommen nun positiv
viele Stellen, in denen R zu F, gegen G stimmt. Durch eine
Briefstelle gestützt ist folgende: F t 105 heisst es vom Säemann
,giesst güldne Tropfen ihm nach'. Für die Ausgabe F 4 ändert
Kleist ,Und wirft den Samen ihm nach' und fügt im Briefe
an Gessner, dem er diese Besserung 16. Mai 1753 überschreibt,
hinzu: ,Die goldenen Tropfen sind gar zu sehr getadelt worden'.
Die Besserung ist auch in G übergegangen. Ist nun anzu
nehmen, dass der Dichter daraus wieder ,Giesst goldenen Regen
ihm nach' gemacht hätte, wie R 65 zu lesen ist? Man ver
gleiche weiter folgende Stellen:
R (1760)
1 Empfangt mich, hei
lige Schatten!
1 Ihr hohen, belaubten
Gewölbe
4 Voll labyrinthi-
scher Bäche!
4 Bethauteblumichte
Thäler!
15 Der Boden trank wie
der die Flut,
17 Schwingen
37 Und Zephyr erwartet
seinSpiel mit euren
geringelten Locken,
40 f. mit immergrünen-
den Tannen b e-
wachsen.
70 Gleich Hagel vom
Sturme geschleu
dert zerschlägt er die
nährenden Halmen.
F, (1749)
1 Empfangt mich ^ei
lige Schatten!
2 Ihr hohen Gewölbe
voll Laub
11 Ihr Labyrinthe
der Bäche,
11 Bethaute Thäler
voll Kosen!
45 Der Boden trank
endlich die Flut.
48 Schwingen
71 Kommt, überlasset
dem Zephyr zum
Spiel die Wellen
der Locken.
74 mit Strauch und
Tannen bewach
sen (schon F 3 ge
ändert)
111 GleichHagelgiis-
s e n und Stur m
zerbricht er näh-
G (1756)
1 Empfangmieh,schat-
tichter Hain,
1 voll hoher grüner
Gewölbe!
6 von lauten Bächen
durchirret
6 Ihr holde Thäler
voll Kosen
17 Allmählig versiegte
die Flut.
20 Flügeln
42 Kommt! überlasset
dem Zephyr die
kleinenW eilen der
Locken
45 Bekleidet mit
Sträuehern und Tan-
81 Er stürmet rasend
einher, zertritt die
nährenden Halmen,
rende Halmen,
Am Schlüsse des Gedichtes schreibt R statt G 396 (F t 458)
,Und melden voll heiliger Regung sein Lob' ,voll heiligen
Grauens' und hat diese Wendung offenbar aus Fj 345 ,Sie
eilen und melden sich . an in Tönen voll heiligen Grauens'
entnommen, welcher Vers schon F 4 gestrichen wurde.
Dagegen vergleiche man mehrere Stellen in R, welche
eine Benützung von G voraussetzen, sie finden sich fast nur
nach den ersten neunzig Versen.
86
Sauer.
R
105 Langhälsichte
Gänse | Verjagen
von ihrer Zucht mit
hochgeschwun
genen Flügeln
Den zottichten
Hund,
109 f. Dort läuft ein
kleines geschäfti
ges Mädchen, | Sein
buntes Körbchen
am Arm, verfolgt
von weitschreiten
den Hühnern.
111 f. Nun steht es, und
täuscht sie leicht
fertig mit eitelem
Wurfe; begiesst sie |
Nun plötzlich mit
Körnern, und sieht
sie vom Rücken sich
essen und zanken.
131 f. O Tulipane.
wer hat dir etc. ...
Ich grüsste dich
Fürstin der Blumen
wofern nicht ....
158 Verhindert sie
sch meichelnd,
am Halse mit zarten
Armen ihr hangend,
166 Nur der ist ein
Liebling des Him
mels, der, fern vom
Getümmel der
Thoren Am Bache
schlummert, erwa
chet und singt.
F,
149 f. Mit vorgebo
genen Hälsen
und zischernd, trei
ben die Gänse
fern von der Lust
bahn der Jungen |
Den schwimmenden
Schiesshund
153 f. Hier lockt das
Mädchen die Hüh
ner | Zum Hühner
korbe, sie eilen,
durehschUipfeu die
Sprossen des Tisch
saals | Und fordern
Nahrung.
155 f. Die Wirtin sich
drüber neigend be
giesst sie mit einem
Regen von Korn und
sieht sie picken und
zanken.
175 Die Fürstin der
Blumen die Lilie
erhebt die Krone zur
Seiten | Hoch über
streifichte Tulpen.
198 Stört sie durch
Plappern, am Hals
mit zarten Ai'men
ihr hangend;
206 Der ist ein Günst
ling des Himmels,
den, fern von Fol
tern der Laster, |
Die Ruh an Quellen
umschlingt.
G
106 Voll majestätischen
Ernstes | Schwimmt
hier der Schwan
und treibet fern von
d er Lustbahn der
Jungen | Mit star
ken Flügeln den
Schiesshund.
110 Dort läuft ein mun
teres Mädchen j Sein
buntes Körbchen
am Arm, verfolgt
von weitschreiten
den Hühnern.
112 f. = R.
131 Die Fürstin der
Blumen, die Tulp’ er
hebt die Krone zur
Seiten | Hoch über
Aurickeln. •
153 Hängt ihr mit zarten
Armen am Hals und
hindert sie schmei
chelnd ;
160 Der ist ein Lieb
ling des Himmels,
den, fern von La
stern und Thorheit,
Die Ruh an Quellen
umschlingt.
Aus dem Anfänge des Gedichtes möchte ich nur eine
Stelle vergleichen:
5 Mit eurem Wohlgeruch
will ich Zufriedenheit
athmen.
12 Ich will die Wollust
in mich mit eurem
Balsamhauch ziehen,
7 Mit euren Düften will
ich in mich Zufrieden
heit ziehen.
Ueber die Earalerisebe Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
87
Nach diesen Belegstellen scheint es mir unzweifelhaft,
dass der Ueberarbeiter bis Vers 90 die Ausgabe von 1756
gänzlich ignorirt, von da ab öfters zu Rathe gezogen hat, dass
aber der ganzen Redaction die Ausgabe von 1749 zu Grunde
gelegen hat. Nun wissen wir, dass Ramler in den Jahren 1749
bis 1750 zur Zeit, als Kleist den Frühling zum Drucke vor
bereitete, und während des Druckes selbst, das Gedicht einer
feilenden Durch- und Umarbeitung unterzog. Was wir aus
den gleichzeitigen Briefen über dieselbe erfahren, ist beiläufig
Folgendes: Im April und Mai beginnt Ramler die ersten Ver
besserungen vorzunehmen: Gleim besitzt dieselben, will sie
aber dem Freunde trotz öfteren Bitten nicht übersenden; end
lich im December sieht Kleist dieselben bei einem Besuche in
Berlin und schreibt am 10. December ausführlich darüber an
Gleim: sie seien unvergleichlich, er wundere sich nur, dass
sich Ramler mit der Arbeit eines Fremden so viel Mühe ge
geben habe. ,Ich gedachte, dass er nur hie und da, um des
Wohlklanges willen Wörter verändern würde, ich finde aber,
dass er auch die meisten Gedanken verbessert hat. Es sind
zwar, wie mich die Eigenliebe überredet, hin und wieder auch
gute Gedanken von den meinen weggelassen worden, allein,
ich sehe wohl, dass er solches nicht hat ändern können, weil
er sich einen neuen Zusammenhang gemacht hatb Kleist will
zuerst seinen eigenen Frühling drucken lassen und wünscht,
dass dann auch die Bearbeitung des Freundes als dessen Eigen
thum gedruckt werde. Die von Kleist ausgeschalteten Stellen
sowie neu erfundene Erzählungen Rainlers sollen eingefügt
werden. Alles, was wir hier über Ramlers Bearbeitung er
fahren, lässt den Schluss ganz gut zu, dieser habe, als er im
Jahre 1760 die Herausgabe nach Kleists Tod energisch in die
Hand nahm, die alte, früher Manuscript gebliebene Bearbeitung
hervorgesucht und nach neuer Durchsicht, nach Versetzung
mit einigen späteren Kleistischen Lesarten als des Dichters
Arbeit abdrucken lassen. Dann erklärt es sich leicht, dass
diese Aenderungen mit einem Verse in der Mitte des Gedichtes
plötzlich abbreehen; der Ueberarbeiter war vor Jahren nicht
weiter gekommen und hatte jetzt weder Lust noch Müsse, die
zweite längere Hälfte des Gedichtes einer gleichmässigen Um
gestaltung zu unterziehen. Was Kleist in einem späteren
88
Sauer.
Briefe, 20. December 1749, über Ramieis Besserungen sagt,
kann uns in unserer Ansicht nur noch bestärken; er hielt die
Besserungen nicht durchaus für gut, wenn er sich auch den
Anschein geben will. Man muss zwischen den Zeilen lesen:
,Anfangs murrte meine Eigenliebe ein wenig, besonders da ich
sah, dass er zuweilen was weggelassen und verändert, das mir
gut dünkte .... allein, er hat sonst so viele Schönheiten
hinzugethan, dass man diese Kleinigkeiten leicht missen kann,
und ich habe nun meine Vanite ganz zufrieden gesprochen'.
Bei dem durchaus gemässigten, süsslich-freundschaftlichen Tone
des Briefwechsels liegt in diesen Worten eine starke Missbilli
gung. Zwei Stellen führt Kleist hier an, deren Weglassung
oder Aenderung er nicht billige. Die eine ,Gebirge die Brüste
der Reben' [ ist in allen Ausgaben zu seinen Lebzeiten unver
ändert geblieben. Ramler machte daraus Vers 57 ,ein Reben-
gebirg . . . mit Thyrsusstäben bepflanzet'. Die andere Stelle:
,Der Wind blies Ueberschwemmungen von Kälte herum' hat
er aber bereits 1756 selbst geändert G 24 ,Und bliesen
Schrecken und Furcht herum, Verderben und Kälte', in R
fehlt der betreffende Vers ganz. Auch dies bestätigt meine
Ansicht. Zusammenfassend schreibt er endlich 8. Februar 1750,
er hätte sein Gedicht nicht drucken lassen, wenn Ramler auch
noch so viel geändert, aber nur die Ordnung seiner Gedanken
beibehalten hätte; ,so aber hat er ein ganz anderes Gedicht
daraus gemacht, und mir das Exercitium ein bischen zu stark
corrigirt'. Mehr als ein mildernder Zusatz ist es auch hier
nicht, wenn er fortfährt: ,Indessen ist es gewiss, dass seine
Auflage ganz unvergleichlich werden wird (ich kann sie rühmen,
denn es ist fast nichts darin von meiner Arbeit), und ich freue
1 Vgl. Hagedorn an Bodmer ‘24. September [1750] (Stäudlin, S. 210): Haben
Sie nicht den Frühling, das malerische und angenehme Gedicht, mit
ausserordentlichem Vergnügen gelesen? Nur ist mir die Freiheit,
womit er die Berge ,Brüste der Natur' nennt, zuweilen etwas anstössig
und zu italienisch: zuweilen aber auch nicht. Wie würde Brockes sich
an dem Frühling vor vielen Lesern ergötzet haben!' Bodmer an Hagedorn
27. Januar 1751 (Hagedorns Werke V, S. 212) ,Ich habe wahrhaftig den
malerischen Frühling des H. v. Kleist mit Vergnügen gelesen. Ich fand
aber nicht, dass die Berge Brüste der Erde genannt werden, nur die
Hügel werden ,Brüste der Reben' genannt'.
Uebf»r die Ramierische Bearbeitung faer Gedichte E. C. v. Kleists.
89
mich sehr darauf. Es wird Herr Ramlers Meisterstück, er hat
noch nichts gemacht, was so schön ist als sein Frühling'.
Zu seinen eigenen späteren Verbesserungen in den Aus
gaben von 1750—1756 hat Kleist Ramlers Bearbeitung nicht
benützt; immerhin aber scheint er für die Ausgabe von 1756
dessen Rath eingeholt zu haben, wenn wir Nicolai vollkommen
glauben dürfen, der erzählt (Neue Berlinische Monatsschrift,
November 1808, S. 284 ff.), Ende December 1755 hätte Kleist
in seiner Gegenwart Rändern den Frühling nebst anderen Ge
dichten übergeben, um dessen Meinung zu hören über Ver
besserungen, die er kürzlich darin gemacht hatte und ihn selbst
um Verbesserungen zu bitten, wo sie nöthig wären; in dem
Exemplare der Ausgabe des Frühlings von 1754 seien mehrere
Verse handschriftlich geändert gewesen.
Die Untersuchung hat uns zu dem Resultate geführt, dass
in der ersten Hälfte des Frühlings bis Vers 165, wie ihn die
Ramierische Ausgabe bringt, ,fast nichts' von Kleists Arbeit
sei, dass hier ein willkürliches Conglomerat aus des Dichters
früheren und späteren Aenderungen vorliege, vermischt mit
späteren und früheren Aenderungen des Ueberarbeiters.
3. Cissides und Raches. Der erste und einzige Druck
dieses Gedichtes, der bei Kleists Lebzeiten veranstaltet wurde,
stammt aus dem Jahre 1759 (P). Ein Manusoript bietet ältere
Lesarten; die Briefe an Gleim mannigfache Besserungen. Der
Druck dieses kleinen epischen Gedichtes in R verhält sich
zu P ganz ähnlich, wie sich der Abdruck cles Frühlings in
dieser Ausgabe zur Redaction G dieses Gedichtes verhielt:
nur der erste Gesang ist ganz umgearbeitet; die zwei anderen
sind bis auf wenige unbedeutende Besserungen unangetastet
geblieben. Auch hier sucht eine spätere Anmerkung, in der
vierten Auflage 1778, 2. Bd. S. 23, die Meinung unterzuschieben,
der Verfasser sei durch den Tod überrascht worden. Nach den
bisherigen Erfahrungen werden wir mit grossem Bedenken
auch an diesen Text lierangehen. Die Schlussverse des ersten
Gesanges treten helfend eiu. Kleist änderte diese Verse in
einem Briefe an Gleim; die Aenderung kam für den Druck
von P zu spät, die alte Lesart wurde gedruckt und ging fast
unverändert in R über; man vergleiche:
90
Sauer.
R
Laut jammernd floh
Der edle Mörder, der
freundschaftliche, | Zur
Mauer hin, den Tod
fürs Vaterland, | Dem
Bruder gleich, zu ster
ben, aberliess, j Z u gross
zum Eigennutz, der
Leich’ ihr Gold.
P (1759)
U n d jammernd floh Der
edle Mörder, der freund
schaftliche | Zur Maur,
um auch den Tod fürs
Vaterland | Dem Bruder
gleich zu sterben, aber
liess, | Zu gross zum
Eigennutz, der Leich’
ihr Gold.
Kleists Besserung
Der edle Mörder, der |
Freundschaftliche, floh
drauf wehklagend nach |
Der Maur, um auch
den Tod fürs Vaterland
Zu sterben, denn sein
Bruder starb, und liess,
Zu gross zumEigennutz
der Leich’ ihr Gold.
,Das zu kam mir in der alten Lesart zu oft 1 fügt Kleist der
Besserung hinzu (an Gleim 23. November 1758); Ramler bringt
es eben so oft als P.
Viele von Ramlers Aenderungen im ,Cissides‘ sind ent
schiedene Besserungen zu nennen; der Vers ist fliessender, ge
schmeidiger geworden, viele Synkopen, Apokopen und andere
Härten wurden getilgt; der iambische Rhythmus ist besser
eingehalten; manche Wiederholungen .wurden beseitigt; ich
verzeichne wenige Beispiele für viele:
P
5 f. Begeistre mich, auf dass der
ehrne Klang Des Kriegs, aus
jedem Ton erschall'! Auf dass |
Mein Lied der grossen That
nicht unwerth sei!
11 Vom Macedonischen Reich Thes
salien | Zu sich zu reissen.
30 um die Mau r bereits
32 Zeigt jetzt
38 Wie ew’ge Schande den, dem
Muth gebricht
41 Es wird, es wird
117 würgt’ und tödtete
118 dann eilt’ er fort
132 ergrimmt’
200 umarmet’ den Verwundeten
R
Begeistre mich! auf dass der ehrne
Klang | Der Waffen aus dem
Liede wiederschall’ Und mein
Gesang der That nicht unwerth
sei |
Vom Macedonschen Reich Thessalien
sich zu zu reissen (1778,
Thessalien vom Macedonischen
Reich abzureissen 4 )
von der Mauer schon
nun zeigt
Und Schand erwartet jeden feigen
Mann.
Es wird sich bald
tödtete zuerst
und eilte dann
schnob Rache (1778 ,schnaubt 4 )
uud fällt auf den Verwundeten
Vers 37 ist geändert, um die Wiederholung des kurz vorher
gehenden Wortes Olymps zu vermeiden, 140 wird ,der Felsen
stücke Last' in ,ungeheure Felsen' verwandelt, wegen 133 ,der
Ueber die Eamleriecbe Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
91
Ballisten Last', 122 das falsche ,belästigte' in das richtige ,be
lastete' gebessert. Das öfter vorkommende .kühn' war Kleist
anstössig, 23 und 90 macht er deswegen den kühnen Feind
zu einem stolzen Feind und streicht das Wort 105. Wichtig
scheint mir die Art, mit welcher Ramler einige Verse Kleists
zerdehnend umschreibt und wie er die vielen ausgeführten
Vergleiche dieses ersten Gesanges behandelt. Man vergleiche:
P
58 f. Jeder denkt j In Nächten, die,
für Elirbegierd erhitzt, Er
oft durchwacht, an nichts als seine
Pflicht, j Und seinen künft’geu Ruhm
R
Es denkt | Der Krieger jede Nacht,
so bald der Schlaf | Von seinem Lager
flieht, an nichts als Ruhm, | An nichts
als Ehrenwunden.
wozu ich bemerke, dass das Particip ,erhitzt' in ähnlicher Ver
bindung ein Lieblingswort Kleists ist.
Ramler hat das hier gestrichene Wort an anderer Stelle
eingefügt:
P
76 f. Ebr und Unsterblichkeit ist unser
Theil;
Denn unsre Thaten wird einst das
Gerücht
Auf ewgen Fittigen von einem Pol
Zum andern tragen, und es wird
einmal
Gestirn nach uns benannt, und
unser Ruhm
Wird funkeln ewiglich am Ho
rizont. 1
R
Gefahr erhöhet unsern Muth, und
Schmerz
Erhitzet unsre Rach’, und unser Tod
Verbürget uns Unsterblichkeit; denn
bald
Wird unsrer Thaten letzte das Gerücht
Auf schnellen Fittigen von einem Pol
Zum andern tragen; endlich wird
Nach unsern Namen ein Gestirn
benannt
Ist hier die Einsetzung des Artikels unbedingt zu billigen, so
ergeben sich die folgenden vier detaillirenden Verse, welche
in P fehlen, als schlechter Ramierischer Zusatz:
Wo Tindars Söhne funkeln, oder dort
Wo Perseus und Orion leuchten, dort
Wird Alexander, unser Gott, mit uns
Vom Himmel auf die Menschenkinder sehn!
Eine gänzliche Verdrehung liegt in der Umgestaltung
des folgenden Vergleiches:
1 Vgl. ,Frühliug‘ 90, 298 f. Iu tausend harmonischen Tönen .... ver
breiten Heere Gestirne die Grösse Deiner Gewalt und Huld, von Pole
zu Pole.
92
Sauer.
P
101 f. Und eine weisse Stadt von
Zeltern stieg
Schnell aus der Erd’. Im Meere
sehen so
Beim Mondenschein die lich
ten Wellen aus. — —
R
Und eine weisse Stadt von Zelten
stieg
Schnell aus der Erd’ hervor, den
Wellen gleich,
Die das von Winden aufgewühlte Meer
In Schaum gekräuselt ans Gestade
wälzt.
in welchem das Tertium comparationis bei Kleist offenbar die
weisse, helle, liebte Farbe ist, nicht die Schnelligkeit des Ent
stehens. Auch das Wort ,gekräuselt' ist verdächtig, da es
Ramler im ,Frühling' 90, 358 für ,gekraust' einsetzt und
Kleist sonst nur ,kraus' gebraucht. Vgl. 73, 76 ,1m krausen
Schatten von Gebüsch', 74, 12 ,die kleinen krausen Wellen';
Thomson Jahreszeiten (Brockes) 1, 482 ,den vom West ge
krausten See'.
P
118 f. Daun eilt’ er fort, |
Und tränkte Schwert und Spiess mit
vielem Blut
Und machte jedes Zelt zur Todtengruft,
Bis, durch der Sterbenden Geschrei
erweckt,
Das weite Lager zu den Waffen griff’.
R
und eilte dann
Von Zelt zu Zelt, und stiess das
Schwert, und stiess
Den Speer den Köchelnden in Hals
und Brust;
Bis durch der Sterbenden Geschrei
erweckt
Ein jeder zu den Waffen taumelte.
Vgl. ,Todengrüfte‘ 20, 6 (25, 6). 92, 46 ,Höhlen des Todes'.
Aus den beiden Versen 123 f.:
Schnell zündet 1 er die öden Zelter an,
Das Feuer lief durch ihre Reihn —
macht Ramler folgende neun:
Nun eilt mit seinen Helden Paches hin,
Da wo er von der Warte seiner Burg
Die Wagen ausgespäht, die Klumpen Pech,
Und Fackeln und geballten Schwefel, Werg
Und Harz und alle Speise des Vulcans
Herbeigeführt, ergriff mit schneller Faust
Und jeder mit ihm, eine Fackel, lief
Zum Wachtfeu’r und in jedes öde Zelt:
Die Flamme loderte durch alle Reihn.
Auch dem folgenden Vergleiche hat Ramler die Spitze
abgebrochen :
Ueber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
93
P
146 f. Wie
Der Wald in Lybien ertönt, wenn Löw’
Und Tiger, und manch wüthend Thier
ins Netz
Der schrei’nden Jäger fällt, und heult.
und brüllt;
Der Widerhall brüllt von den Felsen
auch,
Und jede Höhle brüllt.
R
Wie
Der Wald in Lybien ertönt, wenn Löw’
Und Leopard und Luchs und Tiger
brüllt,
Auf ihrem Raube stehend.
Nie lässt sich Kleist in solchem Zusammenhänge die Er
wähnung des Wiederhalles entgehen, wie viele Stellen im
,Frühling' und in anderen Gedichten zeigen; vgl. in unserem
Gedichte seihst Vers 19 ,dass Fels und Wald erschrickt und
drüber klagt', wofür Ramler setzt ,dass Feld und Wald vom
Aufruhr wiedertönt', und dazu die Parallelstellen; in einer
später gestrichenen Partie des ,Frühling' 89, 120 ,Der Wider
hall selber erschrickt und klagt; es zittern für Grauen die
wilden Felsen und heulen'. 90, 235 ,Die grünen Grotten des
Waldes ertönen und klagen darüber' (früher ,Des Waldes
Laubgrotten tönen umher und klagen darüber'), 90, 297 ,Vor
Ehrfurcht zittern die Haine und wiederhallen dein Lob'.
Sowie diese Weglassung sind auch die anderen Strei
chungen für Ramlers Thätigkeit charakteristisch; es fehlt
Vers 142 ,Irrsternen gleich, im Raum der finstern Luft', ein
bei Kleist häufig vorkommender Vergleich; es fehlt der nicht
minder beliebte vom Erdbeben 161 f., und der Vergleich der
Todten mit den niedergemähten Halmen 177 f.
Erlahmte Ramlers Thätigkeit am Ende des ersten Ge
sanges oder reichte die Zeit nicht ?
4. Seneka. Für die erste Scene dieses Trauerspieles
das aus der Sammlung von 1758 herübergenommen wurde, ist
durch die oben S. 69 erwähnte Briefstelle die Umarbeitung
als Kleists Eigenthum gesichert; die übrigen leichten Aende-
rungen, hauptsächlich Vermeidungen von Wiederholungen,
fallen auf Ramlers Schultern.
5. Die prosaischen Aufsätze. Dadurch, dass Ramler
m Bezug auf diese hier zuerst mitgetheilten Bruchstücke einer
moralischen Wochenschrift in der Vorrede betonte, sie haben
94
Saue r.
,nicht sowohl für vollendete Blätter, als vielmehr für Entwürfe
und Anlagen zu Blättern' zu gelten, gab er wohl selbst in-
direct zu, dass er mit seiner Feder nachgeholfen habe. Hier
forderte die mehr fragmentarische Form, hier forderten mannig
fache Nachlässigkeiten des Stils den Herausgeber zu Aende-
rungen und Besserungen allzu stark heraus. Die Kleistischen
Manuscripte liegen der Mehrzahl nach vor und gestatten die
Vergleichung; und hier müssen alle Abweichungen von der
Handschrift in R als Ramlers sicheres Eigenthum angesehen
werden.
Die Ramierische Ausgabe wurde in den Jahren 1761, 1766,
1771, 1778 und 1782 neu aufgelegt. Bereits in der Vorrede
zur ersten Ausgabe hatte Ramler eine neue kleinere als unter
der Presse befindlich angekündigt. Eine Ausgabe von 1760
Kleinoctav, mit Antiqua, wie unsere Bibliographien sie ver
zeichnen, giebt es auf allen deutschen Bibliotheken nicht; ich
glaube daher annehmen zu müssen, dass dieselbe mit der von
1761 in diesem Format und mit diesen Lettern identisch
sei und dass Ramlers Worte in der Vorrede nicht allzuwörtlich
aufzufassen sind, er wollte schreiben ,in Vorbereitung'. Es
bestimmt mich dabei auch eine Briefstelle’ Gleims an Ramler
8. Januar 1761 (Pröhle, Friedrich der Grosse, S. 225): ,Lassen
Sie doch unsers Kleists kleine Ausgabe mit Lateinischen Lettern
drucken in klein Qo., wie ihre Cantaten'. Im Texte kann,
falls eine kleinere Ausgabe von 1760 wirklich existirt, dieselbe
wenig oder gar nicht von der des folgenden Jahres unter
schieden sein. Correspondirend mit der entsprechenden Stelle
in der ersten Auflage heisst es hier und in allen späteren
Auflagen in der Vorrede: ,Die letzten kleinen Veränderungen,
welche die Herausgeber von ihm erhalten haben, und die zu
der Ausgabe mit Kupfern zu spät kamen, sind in dieser neuen
Auflage an den gehörigen Stellen eingeschaltet worden'. Weg
gelassen wurde das Epigramm ,Johann Christoph und Adel
gunde' (Nr. 32) vielleicht weil Ramlern durch Gleim eine Brief
stelle mitgetheilt wurde, in welcher dieser die Aufnahme des
Epigramms in G missbilligt hatte, und das Fragment: ,An den
König' (Nr. 9). Neu eingefügt ist die Elegie ,An Wilhelmine'
(Nr. 6) unter der Ueberschrift: ,An Doris', ,das Gemälde einer
grossen Ueberschwemmung' (Nr. 91) und die ,Schmerzen der
Ueber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. G. v. Kleists.
95
Liebe' (Nr. 93) aus F 4 undF 6 . 1 Die Elegie ist ziemlich stark
und wenig glücklich überarbeitet; den freilich seltenen Aus
druck Kleists 6, 34 (5, 34) ,Du bist doch nicht von mir er
flogen' 2 ändert er ,Du bist noch weiter mir entflogen'. 6, 41
,tausende, die Rang und Hoheit ziert' ändert Ramler ,geziert
mit Stern und Band'. Ich glaube nicht, dass Kleist, der dieses
Gedicht offenbar aus der neuen Ausgabe ausgeschlossen wissen
wollte, irgend welche Veränderung selbst daran vorgenommen
hat. ,Das Gemälde einer grossen Ueberschwemmung' ist eine
gänzliche Umarbeitung dieser früher dem ,Frühling' angehören
den Schilderung, welche wahrscheinlich schon der ersten Schichte
Ramierischer Umgestaltung in den Jahren 1749 und 1750 an
gehört, die Principien derselben sind die beim ,Frühling' be
sprochenen. Von den übrigen Gedichten wurde ,Phyllis und
Dämon' (Nr. 11) abermals, theils mit näherem Anschlüsse an
das Original geändert (vgl. oben S. 76), von den Epigrammen
wurde das an Hempel (Nr. 40):
Die Winterlandschaft, die dein Pinsel hier gebiert,
Ist furchtbar, wie der Winter selbst; ich seh sie an, — mich friert.
in folgendes geändert:
Mit welcher Landschaft hat dein Pinsel Leanders Saal geziert?
Sie starret wie der Winter selbst; ich seh sie an, mich friert.
Der Titel von Petius (Nr. 27) wurde in Pettalus, der 7 An Iris*
(Nr. 56) in ,An Elisen' umgewandelt. Die wichtigsten anderen
Aenderungen verzeichnet die Anmerkung nach der Reihenfolge
meiner Ausgabe, ohne die ziemlich zahlreichen Druckfehler. 3
1 An einigen Stellen stimmt R 1761 mit F 4 gegen F 5 ; vgl. 6, 5 ,gerönne
jüngst 1 F 5 , ,gerann jüngst hin 4 F 4 R; 6, 54 ,Aus Wasser Wein und
harte Fluren weich 4 F, ,Wehrt allem Leid, macht harte Fluren
weich 4 F 5 ,den Bach zu Wein und harte Fluren weich 4 R.
2 Vgl. Haller: Wenn nicht Verdienst allein das Glück erfliegen kann,
Setzt List und Dreistigkeit ihm andre Flügel an.
3 16, 66 ,Schaut unter sich die Stern 4 statt ,Schaut Sternen unter sich 4 .
Kleist schreibt ,Sternen 4 auch sonst 3, 37, (4, 33); 90, 193; 89, 342,
(90, 291 Sterne); 27, 3 ,Von altem Krieg und neuem Krieg. Mich wuu-
derts nicht 4 ; 56 ,Was küssest du dies Lied, Elise? Gieb mirs wieder
und küsse mich 4 ; 63, 5 ,voll Heldenmuth 4 (= OM); 68, 1 ,Er war ein
Tugendfeind, er war ein Menschenhasser 4 ; 68, 6 ,mit zehnen 4 statt ,mit
zwanzig 4 ; 70, 1 ,o Straton 4 ; 83, 1 ,Mars stritt 1 statt ,schlug 4 ; 83, 3 ,Sie
kamen an ein Zelt, da fanden 4 ; 87, 2 ,Und ungern einen Tod sich selber
wählen wollte 4 .
96
Sauer.
Nachdem im Jahre 1766 die Ausgabe von 1761 ohne
Veränderungen, mit Verbesserung mancher alten und Hinzu
fügung einiger neuen Druckfehler abgedruckt worden war,
erschien 1771 eine dritte Auflage, welche 1782, fälschlich als
vierte Auflage bezeichnet, unverändert wieder abgedruckt
wurde. Inzwischen nämlich hatte Ränder 1778 in Grossoctav
mit Verwendung der Kupfer der grossen Ausgabe von 1760'
aber mit lateinischen Lettern, eine vierte Auflage ausgegeben,
die auch am Titel als solche bezeichnet war. Beide Ausgaben,
die von 1771 und von 1778, bringen die Gedichte in derselben
Anzahl und Reihenfolge, wie* die früheren: neu eingefügt ist
nur 1778 unter den prosaischen Aufsätzen ,die Geschichte aus
dem Kriege'; dagegen enthalten beide neue Aenderungen
Ramlers und in Bezug auf diese stehen sie vollständig parallel,
nur dass die frühere durch die spätere noch ergänzt wird.
Was Ränder früher noch unangetastet gelassen, verfiel jetzt
seiner bessernden Feile; an die schon mehrmals durchge
arbeiteten Gedichte legt er vom neuen seine kritischen Grund
sätze an; hier, wo er nicht mehr grosse Tlieile der epischen
Gedichte in neuer Form bieten wollte, wendet er mehr dem
einzelnen seine Aufmerksamkeit zu; die Principien, die er in der
Vorrede zu seiner ,Lyrischen Blumenlese' Leipzig 1778 S. VI f.
ausführlich auseinandersetzt und begründet, hat er auch hier
angewendet: ,Was einen geringen Sprachfehler, der uns oft von
unsrer Provinz anklebt, oder eine zu harte Wortfügung, oder
einen TJebelklang, odereinen unbestimmten, weniger natürlichen,
weniger angemessenen Ausdruck oder eine gezwungene Ver
bindung unter den Gedanken, oder einen kleinen Widerspruch
mit einem der vorhergehenden Gedanken, oder einen zu leeren
Vers, oder einen solchen betrifft, den allein der Reim hervor
gebracht hat, so weiss man wohl, dass dieses das Eigenthümliche
eines guten Dichters gar nicht ausmacht, sondern blos der Eil
fertigkeit zuzuschreiben ist'.
Vielfach sind metrische Gründe Ursache der Aenderungen,
so 1771 in dem Gedichte ,Der Vorsatz', wo die vierte Zeile
einiger Strophen bei Kleist trochäischen Gang statt des sonst
eingehaltenen iambischen Rhythmus’ aufweist; schon Gleim hatte
an dieser Nachlässigkeit Anstoss genommen und den Freund
durch Setzung von Länge- und Kürzezeichen im übersandten
Heber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
97
Manuscripte darauf aufmei'ksam gemacht; Einiges hatte Kleist
selbst schon gebessert, den Rest tilgt Ramler; 14, 31 f:
Ihr raset: meint ihr, in den schmalen Zonen
Ewig zu wohnen.
1771 lauten die beiden Verse:
Ihr raset; wollt ihr in den schmalen Zonen
Auf ewig wohnen
um 1778 einer neuen Besserung; zu weichen:
Wollt ihr des Erdballs manigfache Zonen
Allein bewohnen.
Aehnlich 14, 39 f:
Der Tod kommt plötzlich, der wird euch bei Zeiten
Höhlen bereiten
1771 und 1778:
Der Tod wird plötzlicli euch, auf längre Zeiten
Ein Haus bereiten.
In ,Emire und Agathokles', 19, 1 wird der fehlerhafte
fünffüssige Vers:
Emire fing ihr Leben an zu hassen
1771 auf einen regelmässigen Alexandriner gebracht:
Emire fing das Licht des Lebens an zu hassen.
Aehnlich stellt Ramler den Alexandriner her in dem Epi
gramm ,Der Säufer zu dem Dichter' (Nr. 39):
Berausch dich Freund! aus deiner Hippokren,
Berausch dich draus, ich will ins Weinhaus geli’n.
wenn er dasselbe 1771 folgendermaassen ummodelt:
Berausche dich, mein Freund! aus deiner Hippokren
Berausche dich daraus; ich will ins Weinhaus geli’n.
Richtigere Betonung führt Ramler ein, wenn er im Früh
ling statt ,Er Schläge das Laster im Pällast' schreibt: ,Er schlag’
im Palläste den Frevel' oder wenn er im ,Irin' die Verse
75, 4 f. :
Der ringsum den Strand
Von nähen Eiländen umgäb
so ändert:
Welches rings umher
Der nahen Inseln Strand umgab.
Sitzungstier. d. piil.-hist. CI. XCV1I. JBd. 1. Hft.
7
98
Sauer.
oder 1778 im ,Cissides' den Vers ,Wehklagte laut und irrte'
verbessert: ,Er wehklagt’ laut und irrt'; richtigere Wortstellung
wird 75, 36 hergestellt ,Und in noch schönem Gegenden' statt
,Und noch in schönem Gegenden'.
In der Wiederholung 79, 34 ,So fehlt dir Witz! So fehlt
dir Witz'! wird das erste Mal ,Witz' durch ,Geist' ersetzt.
Epitheta ändert Ramler, wie wir schon oft sahen, sehr gerne;
er macht also auch hier 10, 14 aus dem ,schreckenden' einen
,furchtbarn Panzer'; 15, 12 aus dem ,einfältigen' ein ,schlaf
loses Trauren'; 15, 16 aus ,gleichen' ,heitere' Blicke; 52, 11
aus ,erfreuten' ,beblümte' Beete; 51, 4 aus ,grauen' ,bereifte'
Haare.
Die meisten Aenderungen haben die Gedichte: ,Der
Vorsatz' und ,Das Landleben' erfahren; hier, wo Kleist selbst
Ramlers Stil und Versmaass aufgenommen und nachgebildet
hat, fand dieser das geeignetste Feld für einen abermaligen
poetischen Wettkampf mit dem todten Freunde. Ich führe aus
beiden Gedichten Beispiele an: 14, 13—16 hatte 1760 gelautet:
Gekrönter Pöbel, lass in stolzen Zimmern
Tapeten, Jaspis und Kristalle schimmern;
In Schlösser drängt sich oft ein Schwarm von Leide
Im Kleid der Freude.
1771 wurden nur die zwei letzten Verse geändert:
In Schlösser drängt sich oft im Fei er kleide
Ein Schwarm von Leide.
Dagegen 1778 die ganze Strophe:
Gekrönter Pöbel, lass in Marmorzimmern
Kristalle leuchten, und Metalle schimmern:
Furcht, Unmuth, Reue sind bei deinem Feste
Gewisse Gäste.
15, 29—31 liiess 1760 mit dem Original übereinstimmend:
Bald sieht er abwärts, voller Glanz und Prangen
Noch einen Himmel in den Fluten hangen,
Noch eine Sonne Amphitritens Grenzen
Grundaus durchglänzen.
ebenso 1771, dagegen 1778:
Er sieht den Himmel weiss und wollicht prangen,
Ihn weiss und wollicht in den Fluten hangen,
Noch eine Sonn’ ihn dort mit Feuerstrahlen
Und Purpur mahlen.
Ueber die Ramierische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
99
Wie übereinstimmend er gerade diese beiden Gedichte
behandelte und mit dem ganzen Bombast des höheren Oden
stils zu überladen bestrebt war, soll noch folgendes Beispiel
zeigen; die Anfangsverse ,Des Landlebens' lauten bei Kleist:
O Freund! wie selig ist der Mann zu preisen,
Dem kein Getümmel, dem kein schwirrend Eisen,
Kein Schiff, das Beute, Mast und Bahn verlieret,
Den Schlaf entführet!
ebenso 1760; 1771 nur mit einer Aenderung im zweiten Verse:
,Dem kein Getümmel, kein Geschwirr von Eisen 1 ,
dagegen lesen wir 1778:
,0 wohl dem Manne, dem nicht Feldposaunen
Der Rosse Stampfen, Donnern der Kartaunen, u. s. w.
Die ,Posaunen' finden wir im ,Vorsatz' wieder, wenn
Ränder die zweite Strophe dieses Gedichtes:
Lass Luft und Zeiten über Thal und Höhen
Mit ew’gen Flügeln deine Thaten wehen,
Das Feld Elyseus wird von fernem Schallen
Nicht wiederhallen.
1771 und 1778 durch die folgende wiedergibt:
Ermüde Famens willige Posaune
Mit deinen Thaten; Land und Meer erstaune:
Averuens Abgrund wird von diesen Tönen
. Nicht wiedertönen.
Warum hier Ränder ausserdem die zwei letzten guten Verse
durch schlechte ersetzte, kann ich nicht sagen; führe aber ein
ähnliches Beispiel aus dem Gedicht ,Amynt' an, in welchem
statt der schönen untadelhaften Strophe 22, 13—16:
Nur einen Druck der Hand, nur halbe Blicke,
Ach! einen Kuss, wie sie mir vormals gab,
Vergönne mir von ihr; dann stürz, o Glücke,
Mich, wenn du willst, ins Grab.
1778 die folgende eingesetzt wurde, welche im letzten Verse
fast einer Parodie gleicht:
Nur einen Blick, ein Wort aus ihren Munde
Und, was mir oft das Leben wiedergab,
Nur einen Kuss! dann schlage meine Stunde:
Mit Freuden tret’ ich ab.
7*
100
Sauer.
Eine gänzliche Neudichtung endlich hat das Lied ,Damöt
und Lesbia', das jetzt ,Die Versöhnung' überschrieben wurde,
schon 1771 erfahren; ich habe es als Probe dieser letzten und
freiesten Stufe Ramierischer Umbildung in den Anhang meiner
Ausgabe als Nr. 106 aufgenommen. Auf eigene Kleistische
Aenderung geht keine einzige dieser Lesarten von 1771 und
1778 zurück. Der ,Frühling' und ,Cissides' blieben bis auf
wenige Verse unverändert.
In dieser letzten von Ramler empfangenen Gestalt wurden
Kleists Gedichte seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhun
derts gelesen; in dieser Form giengen sie in die vielbenützten
Anthologien über. In Ramlers ,Lyrischer Blumenlese', deren
erster Band 1774 erschien, haben die aufgenommenen Gedichte
Kleists bereits jene Gestalt, die sie dann 1778 in der vierten
Ausgabe der Werke beibehalten haben. Auch Matthison in
seiner ,Lyrischen Anthologie' gieng nicht auf die echten Kleist-
sclien Fassungen zurück. Der Wiener Nachdruck, wie er bei
F. A. Schrämbl in zwei kleinen, zierlichen Bändchen 1789 zu
erst erschien, war der einzige, welcher die Ausgabe vou 1761
zu Grunde legte und die Varianten von 1778 im Anhänge bei
gab. Aber Ramlers Verballhornungen trieben ihr Unwesen bis
in unser Jahrhundert herüber, ja bis in die neueste Zeit. Körte
hat sie in seiner Ausgabe vielfach benützt. Er hat sich in das
Exemplar der Ausgabe von 1760 die Varianten von 1782
(= 1771) eingetragen; seine Collation liegt mir vor; aber auch
die Ausgabe von 1778 musste er bei der Hand gehabt haben
und nun griff er bald zu der einen und bald zu der anderen,
fügte deren Lesarten in die echten Kleistischen Fassungen
ohne Wahl und Kritik ein, und nicht selten treffen bei ihm
in derselben Strophe oder sogar in derselben Zeile Varianten des
ältesten handschriftlichen Brouillons mit den spätesten Erzeug
nissen der Ramierischen Besserungssucht zusammen, um so den
Tragelaphen eines gänzlich werthlosen, unbenützbaren Textes
zu erzeugen.
Für eine neue kritische Ausgabe konnte natürlich nur
die erste Ramierische Auflage vom Jahre 1760 in Betracht
kommen; in ganz wenigen Fällen jene von 1761 und die
späteren fast gar nicht. Da eine absolut sichere Scheidung
von echten und unechten Lesarten in R als unmöglich sich
Ueber die Ramlerische Bearbeitung der Gedichte E. C. v. Kleists.
101
herausstellte, mussten dem Texte dort, wo letztredigirte Manu-
scriptc nicht Vorlagen, im allgemeinen jene Drucke und Aus
gaben zu Grunde gelegt werden, welche noch hei Kleists Leb
zeiten fertig gestellt wurden, welche uns jene Fassung seiner
Gedichte bieten, die er denselben gegeben hat, bevor er an die
letzte Umarbeitung im Winter von 1757 auf 1758 heran
gegangen war: also für die grössere Masse derselben die Aus
gabe von 1756 und 1758, G und H; da aber andererseits ein
gewisser Procentsatz echter Kleistischer Aenderungen mit aller
Wahrscheinlichkeit in R vermuthet werden darf, so war es
nothwendig, alle Varianten der Ausgabe von 1760 im kritischen
Apparate mitzutheilen. Nur dort, wo die Anführung dieser
Varianten am Fusse der Seite durch ihre grosse Anzahl die
Uebersichtlichkeit des sonstigen Apparates zu stören drohte,
wurden die Ramlerischen Ueberarbeitungen als selbständige
Texte in den Anhang verwiesen. Nach dem gegenwärtig vor
liegenden Materiale war ein anderes Verfahren nicht einzu
schlagen, war ein höheres Ziel nicht zu erreichen; möglich, dass
man einmal noch einen Schritt weiter gehen kann, möglich,
dass die letztredigirten Kleistischen Manuscripte oder Druck
exemplare noch einmal zum Vorschein kommen, und dass man,
auf dieselben gestützt, den beschwerenden Ballast eines un
echten Variantenapparates gänzlich über Bord werfen, dass
man klar, sicher und unverfälscht die Werke des liebens
würdigen Dichters in jener Form wiederherstellen kann, in
welcher er selbst sie der Nachwelt überliefert wissen wollte.
XVI. SITZUNG VOM 16. JUNI 1880.
Für die akademische Bibliothek werden, von Zuschriften
begleitet, folgende Schriftwerke vorgelegt:
1. ,Incunabeln-Catalog der Stiftsbibliothek von St. Gallen';
2. ,Schopenhauers Philosophie der Tragöde' von Herrn
August Siebenlist in Pressburg;
3. jApuntes arqueolögicos' exemplar dedicado a la Aca-
demia de ciencias de Yiena von Don Juan Martorelli y Pena.
Herr Dr. Eduard Reyer, Docent der Geologie an der
Wiener Universität, überreicht eine Abhandlung unter dem
Titel: ,die freie Bergstadt Schlackenwald' mit dem Ersuchen
um ihre Veröffentlichung in den akademischen Schriften.
Die Abhandlung wird der historischen Commission über
geben.
Von Herrn Dr. Johann Molin, Gymnasialprofessor in
Krakau wird eine Abhandlung: ,Ueber Lessings Laokoon und
Herders Antilaokoon' eingesendet und ersucht, dieselbe in
die Sitzungsberichte aufzunehmen.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
überwiesen.
Von dem w. M. Herrn Dr. Pfizmaier wird eine für
die Denkschriften bestimmte Abhandlung: ,Die älteren Reisen
nach dem Osten Japans' vorgelegt.
103
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie des Inscriptions et Belles-Lettres: Comptes-rendus des seances
de l’annee 1880. 4 C Serie. Tome VIII. Bulletin de Janvier-Fevrier-Mars.
Paris, 1880; 8°.
— imperiale des Sciences de St.-Petersbourg: Bulletin. Tome XXVI. No. 1.
Mars 1880. St.-Pdtersbourg; 4°. — Memoires. Tome XXVI, Nos. 12—14.
St.-Petersbourg, 1879; 4°. -— Tome XVII. No. 1. St.-Petersbourg, 1879; 4°.
Aecademia, E. Virgiliana di Mantova: Atti e Memorie. Mantova, 1879; 8°.
Akademie der Wissenschaften, königl. preussische, zu Berlin: Monats
bericht. Januar und Februar 1880. Berlin; 8°.
Akademija, jugoslavenska znanosti i umjetnosti: Rad. Knjiga L. U Zagrebu,
1879; 8°. — Monumenta Eagusina. Libri reformationum. Tomus I. Ann.
1306—1347. Zagrabiae, 1879; 8°.
Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch für das
Jahr 1877. II. Heft. Wien, 1880; 8“. VII. Heft. (1. Abthlg.) Wien, 1880; 8°.
X. Heft. Wien, 1880; 8°. — Für das Jahr 1880. VII. Heft. (1. Abthlg.)
Wien, 1880; 8°. — Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr.
XVIII. Band. Wien, 1880; 8».
— k. k., zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denk
male: Mittheilungen. VI. Band, 2. Heft. Wien, 1880; 4°.
Giessen, Universität: Akademische Schriften pro 1878—1879. — 17 Stücke
4 U und 8°.
Harz-Verein für Geschichte und Alterthumskunde: Zeitschrift. XII. Jahr
gang, 1879. 3. und 4. Heft. Wernigerode, 1880; 8°.
Instituto geografico y estadistico: Memorias. Tomo II. Madrid, 1878; 4°.
Marburg, Universität: Akademische Schriften pro 1878. 43 Stücke Folio,
4° und 8°.
Martorell y Pefia, Don Juan: Apuutes arqueolögicos. Barcelona, 1879; Folio,
■Revue politique et litteraire' et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger‘. IX C Annde, 2 e Serie. Nr. 50. Paris, 1880; 4°.
Siebenlist, August: Schopenhauer’.? Philosophie der Tragödie. Pressburg
und Leipzig, 1880; 8°.
Society, the royal geographical: l'roceedings and mouthly Record of Geo-
graphy. Vol. II. Nr. 6. June, 1880. London; 8°.
St. Gallen: Verzeichniss der Incunabeln der Stiftsbibliothek. St. Gallen,
1880; 80.
United States: Eleventh annual Report of Geological and geographical Sur-
vey of the Territories. 1877. Washington, 1879; 8°.
Universidad central: Memoria de la Biblioteca correspoudieute ä 1879.
Madrid, 1880; 4".
104
Verein, croatisch archäologischer: Viestnik. Godina II. BK. 1 und 2. Agram,
1880; 8».
— historischer, für Schwaben und Neuburg: Zeitschrift. VI. Jahrgang. 1., 2.
und 3. Heft. Augsburg, 1879; 8°.
— für Landeskunde von Niederösterreich: Blätter. N. F. XVII. Jahrgang.
Nr. 1—12. Wien, 1879; 8».
— Topographie von Niederösterreich. II. Band, 3. Heft. Wien, 1879; 4°.
XVII. SITZUNG VOM 30. JUNI 1880.
Von Herrn Eduard Wertheimer, Professor an der Hermann
städter Rechtsakademie, derzeit in Paris, wird eine Mittheilung
unter dem Titel: ,Zwei Schilderungen des Wiener Hofes im
achtzehnten Jahrhundert' vorgelegt, mit dem Ersuchen um Auf
nahme derselben in die akademischen Schriften.
Die Mitthoilung wird der historischen Commission über
geben.
Das w. M. Herr Dr. Bi'idinger legt eine für die Denk
schriften bestimmte Abhandlung vor, welche den Titel führt:
,Cicero und der Patriciat, eine staatsrechtliche Untersuchung'.
Das w. M. Herr Professor Dr. Heinzei überreicht für
die Sitzungsberichte eine Abhandlung, welche betitelt ist: ,Be
schreibung der isländischen Saga'.
Dasselbe Mitglied legt weiter eine Abhandlung ,Ueber
die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach' von Herrn Dr.
W. Toischer in Smichow mit dem Ersuchen des Verfassers
um ihre Veröffentlichung in den akademischen Schriften vor.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
überwiesen.
106
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts deBelgique:
Bulletin. 49° Annee, 2° Serie, Tome 49. No. 4. Bruxelles, 1880; 8°.
Gesellschaft, gelehrte, estnische, zu Dorpat: Sitzungsberichte. 1878.
Dorpat, 1879; 8°.
— historische, des Künstlervereines: Bremisches Jahrbuch. XI. Band. Bremen,
1880; 8°.
— deutsche morgenländische: Zeitschrift. XXXIV. Band. 1. Heft. Leipzig
1880; 8 Ü . — Wissenschaftlicher Jahresbericht über die morgenländischen
Studien. Von October 1876 bis December 1877. 1. und 2. Heft. Von Ernst
Kuhn und Albert Sociu. Leipzig, 1879; 8°.
Greifswald, Universität: Akademische Schriften pro 1879. 39 Stücke 4° und 8°.
Instituut, koninklijk voor de Taal-, Land- en Volkeukunde vanNederlandsch-
Indic: Bijdragen. Vierde Volgreeks. Derde Deel. 3 e Stuk. ’S Graven-
hage, 1879; 8«.
Joanneum in Grätz: Das historische Museum, Münzen- und Antiken-Cabinet
(3. Ausgabe), von Dr. Fritz Pichler. Grätz; 8°.
Lese-Verein an der k. k. Universität und k. k. technischen Hochschule in
Graz: XII. Jahresbericht im Vereinsjahre 1879. Graz; 8°.
Mittheilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter
mann. XXVI. Band, 1880. VI. Gotha; 4°.
Müller, F. Max: The sacred Books of the East. Volumes IV, V und VII.
Oxford, 1880; 8».
Museum des Königreiches Böhmen: Casopis. 1878. Jahrgang LII, 1.—4. Heft.
Prag; 8°. — 1879. Jahrgang LIII, 1.—4. Heft. Prag; 8°. — 1880. Jahr
gang LIV, 1. Heft. Prag; 8°. — Pamätky stare literatury ceske. Cislo IV.
Prag, 1878; 8°. — Cislo V, 1. und 2. Heft. Prag, 1878, 1880; 8°. -
Cislo VI. Prag, 1880; 8°. — Novoceska Biblitbeka. Cislo XVIII, Dil IV.
Prag, 1779; 8». — Cislo XXII. Prag, 1879; 8«.
Museums verein für das Fürstenthum Lüneburg: Zweiter Jahresbericht,
1879. Lüneburg, 1880; 8°.
,llevue politique et litteraire“ et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger 1 . 1X C Annee, 2 C Serie. Nos. 51 et 52. Paris, 1880; 4°.
Society, the royal Asiatic of Great Britain and Ireland: The Journal. Vol. XII.
Part 2. London, 1880; 8°.
— the American geographieal: Bulletin. 1879. Nr. 3. New-York; 8°. —
1880. Nr. 1: Annual address of Chief Justice Daly, LC. D. New-York,
1880; 8».
Universite catholique deLouvaiu: Annuaire de 1877.XLI. Annee.Louvaiu; 12°.
Wiirzburg, Universität: Akademische Schriften der Jahre 1877—1879.
104 Stücke 4° und 8°.
Heiuzel. Beschreibung der isländischen Saga.
107
Beschreibung der isländischen Saga
von
Richard Heinzei,
wirkl. Mitgliede der k. Akademie der Wissenschaften.
Einleitung.
Die folgenden Untersuchungen beziehen sich nur auf die
historischen Romane der altisländischen Litteratur, auf die
kunstmässigen Darstellungen des Lebens und der Schicksale
von Isländern des zehnten und der ersten Hälfte des elften
Jahrhunderts, welche im dreizehnten Jahrhundert jedesfalls viel
gelesen wurden, wenn auch die Entstehungszeit einiger früher
fallen mag. Ausgeschlossen sind die meist kleineren als thaettir
bezeichneten Erzählungen, sowol wenn sie selbständig überliefert
sind, wie Brandkrossa thattr, Thattr af Thorsteini livita, Thattr
af Thorsteini Stangarhögg(alle drei gedruckt hinter Vapnfirdhinga-
saga, Kopenhagen 1848), Ölkofra Thattr (herausgegeben von
Gering in den Beiträgen zur deutschen Philologie 1880, S. 3 ff.,
als auch solche, welche aus grösseren Compositionen sich auslösen
lassen, wieBollaThattr (gedruckt in Laxdaela, Kopenhagen S. 335ff.
c. 79 ff.), oder die in das Leben der Könige eingestreuten.
Zur letzteren Gruppe gehört auch die Anekdote von Thidhrandi,
obwol' sie Saga genannt wird (gedruckt in Flateyjar bok I,
419). — Andere Kunstformen zeigen die Erzählungen rein histo
rischen oder mythologischen Inhalts und jene, welche ihre Stoffe
zwar dem menschlichen Privatleben, aber nicht dem isländischen
entnehmen.
Benutzt wurden folgende Ausgaben, denen ich die von
mir gebrauchten Abkürzungen vorsetze.
1. Band. — Bandamanna saga, udgived ved II. Fridriksson
(Nordiske Oldskrifter), Kopenhagen 1850. — Die andere Form
der Saga wurde nach der Ausgabe Cedersehjöld’s, Lund 1874
(akadeniisk Afhandling) daneben berücksichtigt.
108
Heinzei.
2. Bjarn. — Sagan af Bimi Hitdoelalcappa, besorget af
H. Fridriksson (Nord. Oldskr.), Kopenhagen 1847.
3. Dropl. — Sagan af Helga ok Grimi Droplaugarsonmi,
besorget af K. Gislason (Nord. Oldskr.), Kopenhagen 1847.
4. Eigla. — Egils saga, ed. Arnamagnaeana, Kopenhagen
1809.
5. Eir. N. — Eiriks saga raudha (oder Thorfinns saga
karlsefnis), nördliche Recension, s. Vigfusson, Sturlunga saga
I, S. LIX — gedruckt in der Ausgabe der Flateyjar bok
von Vigfusson und Unger Christiania 1868, 1, 429 — 432,
538—549.
6. Eir. W. — Eiriks saga raudha (oder Thorfinns saga
karlsefnis), westliche Recension, s. Vigfusson a. a. 0. Gedruckt
in Antiquitates americanae, Kopenhagen 1837, S. 84 ff. —
Die unvollständige Ausgabe Vigfussons in dessen und Powells
Icelandic Reader, Oxford 1879, S. 123 ff. wurde daneben zu
Rathe gezogen.
7. Eyrb. — Eyrbyggja saga, herausgegeben von G. Vig
fusson, Leipzig 1864.
8. Finnb. — Finnboga saga hins ramma, herausgegeben
von H. Gering, Halle 1879.
9. Floam. — Flöamanna saga, herausgegeben von G. Vig
fusson und Th. Möbius in Fornsögur, Leipzig 1860, S. 117 ff.
10. Fostbr. — Fosibraedhra saga, udgivet ved K. Gislason
(Nord. Oldskr.), Kopenhagen 1852. Zu Grunde gelegt ist, so
weit sie reicht, die zuerst gedruckte Saga. Die Unterschiede
beider Fassungen sind, wo beide vorliegen, hie und da berück
sichtigt.
11. Gisl. — Tvaer Sögur af Gisla Sürssyni, udgivne —
ved K. Gislason (Nord. Oldskr.), Kopenhagen 1849. Zu Grunde
gelegt ist die erste Saga. Die Unterschiede beider Fassungen
wurden gelegentlich berücksichtigt.
12. Gluma. — Vigaglüms saga, gedruckt in Islendinga
sögur, Kopenhagen 1830, II, 821.
13. Grettla. — Grettis saga ved G. Magnusson og G.
Thordharson (Nord. Oldskr.), Kopenhagen 1859.
14. Gullth. — Die GuU-Thöris saga oder Thorskfirdldnga
saga, herausg. von K. Maurer, Leipzig 1858. Der Schluss bei
Vigfusson und Powell im Icelandic Reader, Oxford 1879, S. 121-
Beschreibung der isländischen Saga.
109
15. Gunnl. — Sagan af Hrafni oh Gunnlaugi ormsiungu,
Islendinga sögur, Kopenhagen 1847, II, 187 ff.
16. Hallfr. Hallfredhar saga, herausgegeben von (1. Vig-
f'usson und Th. Möbius in Fornsögur, Leipzig 1880, S. 81 ff.
17. Hardh. — Hardhar saga Grimhelssonar oh Geirs, Islen-
dinga sögur, Kopenhagen 1847, II, 1 ff.
18. Hav. — Hävardliar saga Isfirdhings, besorget af G.
Thordarson (Nord. Oldskr.), Kopenhagen 1860.
19. Heidh., in den betreffenden Partien Ileidh. (V. St.). —
Saga af Viga-Styr oh Heidharvigum. Islendinga sögur, Kopen
hagen 1847, II, 279 ff.
20. Hrafnk. — Sagan af Hrafnheli Freysgodha, udgivet
af P. Thorsen og K. Gislason, Kopenhagen 1839.
21. Haens. — Haensa Thöris saga, Islendinga sögur, Ko
penhagen 1847, II, 118 ff.
22. Korm. — Kormahs saga, ed. Arnamagnaeana, Kopen
hagen 1832.
23. Laxd. — Laxdaela saga, ed. Arnamagnaeana, Kopen
hagen 1826.
24. Ljosv. -— Ljösvetnmgasaga, Islendinga sögur, Kopen
hagen 1830, II, 1 ff.'
25. Njala. — Njdla, ä kostnadh hins konunglega norraena
iornfraedhafjelags, Kopenhagen 1875.
26. Njardhv. — Thdttr af Gunnari Thidhrandabana, Lax
daela saga, S. 364 ff. Auch Njardhvihingasaga genannt.
27. Reykd. — Sagan af Vemundi oh Vigashütu, Islendinga
sögur, Kopenhagen 1830, II, 229 ff. Auch Reyhdaelinga
saga genannt. Ueber die Lücke s. Vigfusson, Sturlunga I,
S. LVI f.
28. Svarfd. — Svarfdaelasaga, Islendinga sögur, Kopen
hagen 1830, II, 113 ff.
29. Vallal. — Valla-Ljdts saga, Islendinga sögur, Kopen
hagen 1830, II, 198 ff. '
30. Vapnf. — Väpnfirdhinga saga, besorget af G. Thordar
son (Nord. Oldskr.), Kopenhagen 1848.
31. Vatnsd. — Vatnsdaelasaga, herausgegeben von G. Vig
fusson und Th. Möbius in Fornsögur, Leipzig 1860, S. 1 ff.
32. Thorst. — Thorstei nssaga Sidhuhallssonar, herausge
geben von G. Vigfusson in Möbius’ Analecta norroena 1859,
110
Heinzei.
S. 169. Am Anfang und Schluss unvollständig, doch wird
dieser wol kein andrer gewesen sein als im Draumr Thorsteins,
Möbius’ Analecta S. 184 ff.
33. Thorv. — Thdttr af Thorvaldi vidhförla, gedruckt in
Biskupa sögur, Kopenhagen 1856, I, 35 ff. 1
Die Chronologie festzustellen ist beinahe unmöglich, da
viele Sagas in verschiedenen Recensionen erhalten sind, so
Dropl., Eir., Fostbr., Gisl., Gluma, Hallfr., Vatnsd. Es liegt
demnach bei Berufungen auf historische Personen oder Ereig
nisse immer die Möglichkeit vor, dass eine verlorne Urgestalt
der betreffenden Saga älter sei, als diese Personen und Ereig
nisse. Bei Berufungen auf andere Sagas kommt die Schwierig
keit hinzu, dass saga auch die mündliche Tradition bezeichnen
kann. Allerdings das Citat Grettla C. 58, S. 132 stimmt genau:
Grettir var jafnan medh Birni, ok reyndu their margan froeic-
leik, ok visar svö til i sögu Bjarnar, at their kalladhist jafnir
at ithröttum; — s. Bjarn, S. 38: ok var Grettir thar i rau-
finni thann vetr, er kann var medh Birni. — Their lögdost ofan eptir
dnni ok vdru kalladlnr jafnsterkir menn. S. dagegen P. E. Müller,
Sagabibliothek 1, 166 f., oder 122 nach Lachmann’s Ueber-
setzung. — Aber alle übrigen Berufungen einer Saga auf eine
andere sind allgemeiner Natur und es ist gar nicht aus
gemacht, dass, wenn auch eine schriftliche Abfassung gemeint
ist, sie uns erhalten sei.
Man darf auch nicht so schliessen, dass, wenn eine Saga
die Begebenheit einer andern erzählt, sie diese nicht gekannt
1 Wenn von Band, und Fostbr. nicht die kürzere und schmucklosere
Fassung zu Grunde gelegt wurde, so bedarf diess vielleicht keiner Ent
schuldigung; denn dass diese zugleich die ältere sei, ist nicht bewiesen.
Für Verkürzung älterer Werke bietet gerade die isländische Litteratur-
geschiclite evidente Beispiele. Wie viele Sagas haben wir denn in ur
sprünglicher Fassung? und was versteht man unter ursprünglicher Fassung'?
Soll man auf die zugrunde liegenden Anekdoten, die thaettir zurückgehen?
Es wäre gewiss sehr verkehrt. So wie die Sagas uns vorliegen, wurden
die meisten im dreizehnten Jahrhundert gelesen und wirkten natürlich
in dieser Kunstform auf die gleichzeitige und spätere Production, mag
auch diese Kunstform, wie mitunter erkenntlich ist, zum Theil aus dein
Bedürfniss oder dem Verlangen hervorgegangen sein, dasjenige, was über
eine Sagaperson an Einzelerzählungen vorhanden war, zu sammeln und
zu einem Ganzen zu vereinen.
Beschreibung der isländischen Saga.
in
habe, oder nicht habe kennen können. Die Laxd. z. B. citirt
Njardhv. C. 69, S. 296, erzählt aber doch, wie Gudhrun Gun-
nar habe ihren Schutz angedeihen lassen gegen ihren dritten
Mann, wie Njardh. S. 384; oder Eyrb. citirt Heidh. S. 122,
erzählt aber doch die Geschichte von den Berserkern S. 39 ff.
45 ff. wie Heidh. (V. St.) S. 281 f. 285 ff., allerdings in dem
von Jon Olafsson aus dem Gedächtniss reconstruirten Theile;
s. Vigfusson, Eyrb. S. XIII. Natürlich beweist dann eine nur
flüchtige Erwähnung der Begebenheiten nicht, dass der Saga
schreiber eine andere ausführliche Darstellung kannte, welche
er nicht wiederholen wollte. So wird Njardhv. S. 382 auf die
Streitigkeiten zwischen Helgi und Grimr also Dropl. angespielt,
oder in Eyrb. S. 13 die Ermordung Thorgrims, des Vaters
Snorris, des Goden, des Helden der Saga, kurz berichtet,
welche in Gisl. S. 29 mit allen Nebenumständen erzählt worden
war. Andrerseits aber ist Eyrb. S. 15 der Versuch der
Thordis, der Mutter Snorris, des Goden, die Tüdtung ihres
Bruders Gisli zu rächen, ganz so ausführlich wiedergegeben
wie Gisl. S. 72.
Dazu kommt noch die Erwägung, dass die grösseren
Sagas zum Theil aus der Zusammenfügung von schon littera-
i’isch, mündlich oder schriftlich fixirten kleineren Sagas und
Anekdoten entstanden sein können. S. die fast wörtliche Ueber-
einstimmung in der Erzählung vom Streite Vigaglums mit
Vigaskuta in Gluma C. 16, S. 360 ff. und Reykd. C. 26,
S. 307 ff.; Möbius, Ueber die ältere isländische Saga S. 62 ff.
Vgl. auch die Uebereinstimmungen zwischen Njala S. 360 ff.
und Thorst. S. 170 f., Vatnsd. S. 60. f. und Hallfr. S. 86 ff.,
über Ingolf, zwischen Gunnl. C. 10, S. 244 und Hallfr. S. 113,
zwischen Fostbr. S. 3 f. und Grettla S. 118 f., die Befreiung
Grettirs durch Thorbjörg, oder der Bericht über Audhr im
Anfang der Laxd. und Eir. W. S. 85.
Trotzdem kann man mit grosser Wahrscheinlichkeit an
nehmen, dass 1220—1260 die Blüthezeit der Sagadichtung sei,
in welche u. a. Eigla, Eyrb., Hardh., Laxd., Njala fallen, dass
Bropl., Heidh., Haens., Njardhv. älter sind, dass Hallfr. und
latnsd. sich vorne und rückwärts hart an die Blüthezeit an-
schliessen und dass Floam., Gullth., Grettla, Thorst. in die
spätere Zeit des dreizehnten Jahrhunderts gehören. S. Vigfusson
112
Heinzei.
in den Vorreden zu Fornsögur, Eyrbyggja saga, Sturlunga
saga I 7 S. XLII ff., LXIV ff.
Auch die geographische Eintheilung ist nichts weniger als
sicher. Nach dem Local der geschilderten Begebenheiten kann
man allerdings sagen, dass Floam., Njala dem Süden, — Bjarn.,
Hardh., Haens. dem Süd westen, — Figla, Eyrb., Fostbr., Gisla,
Gullth., Gunnl., Hav., Laxd. dem Westen, — Band., Finnb.,
Gluma, Grettla, Hallfr., Heidh., Korm., Ljosv., Reykd., Svarfd.,
Vatnsd.,Vallal,Thorv. dem Norden,—Dropl., Hrafnlc., Njardhv.,
Vapnf., Thorst. dem Osten des bewohnten Landes angehören.
Aber Njala z. B. scheint im Osten verfasst worden zu sein;
s. Vigfusson, Sturlunga I, S. XLIII. Auch Hav. ist nicht von
einem Bewohner des Nordwestens, s. Brynjulfsson Hav. S. 138.
159. Ebenso kann es sich in anderen Fällen verhalten.
Ich ordne die Sagas somit nach dem Alphabet.
Die Lectüre einer Saga, als eines poetischen Kunstwerkes,
hinterlässt bei dem Leser einen doppelten Eindruck: einmal
die Erinnerung an die Mittheilung des Dichters, ferner die
Erinnerung an die bei der Lecture empfundenen Seelen
bewegungen.
Ich wende mich zunächst dem Werke des Dichters zu
und unterscheide hier zwischen Inhalt und Form, verstehe aber
unter letztere!' nur den sprachlichen Ausdruck. Der Inhalt wird
zuerst nach seinen Eigenschaften, dann nach seiner Anordnung
betrachtet. In ersterer Beziehung drängt sich zunächst die Frage
auf nach dem Was? Was trägt der Dichter vor? Und wie be
schaffen sind die Dinge, von denen er spricht? Die Antwort
hat da zu scheiden zwischen Erzählung von Zuständen und
Vorgängen des Sagastoffes und den allerdings sehr spärlichen
Mittheilungen von Urtbeilen und Gefühlen des Autors. Es wird
demnach in dem ersten Capitel, ,Qualitative Auswahl*, im all
gemeinen mehr abstract angegeben, welcher Art einerseits die
Personen, Sachen, Handlungen und Zufälle sind, von denen die
Sagas erzählen, andererseits mit welchen Aeusserungen des
Antheils der Verfasser seine Erzählung begleitet. — In dem
zweiten Capitel, ,Quantitative Auswahl 1 , soll einmal die Frage
beantwortet werden, wie viel von den vorkommenden Zuständen
Beschreibung der isländischen Saga. I.
113
und Vorgängen mitgetheilt wird, wobei besondere Erwägung
der Fall beansprucht, dass zwei gleichzeitige Zustände oder
Vorgänge zur Behandlung vorliegen, — ferner auch nach dem
,wie oft' gefragt werden, ob in einer Saga dasselbe oder ganz
ähnliches wiederholt zur Darstellung komme, wie viel Haupt
personen und Haupthandlungen in ihr erscheinen. — Das dritte
Capitel bringt die Anordnung, — das vierte die Sprache, — das
fünfte die ästhetische Wirkung.
I. Qualitative Auswahl.
Inhalt im Allgemeinen.
Wenn wir den wesentlichen Inhalt der einzelnen Sagas
zusammenfassen, insofern derselbe als ein zusammenhängendes
Ganze erscheint, so können wir unterscheiden: 1. Sagas, welche
Lebensbeschreibung eines oder zweier Helden von Kindheit
bis zum Tode sind, — 2. solche, welche die Geschichte eines
Abschnittes aus dem Leben desselben bieten, — 3. Lebens
beschreibung mehrerer Generationen einer Familie, —• 4. Ge
schichten von einzelnen Lebensabschnitten mehrerer zeitlich
auf einander folgender Personen oder die Biographie des Einen
mehr dem Lebensabschnitt des Andern.
1. Bjarn., Dropl. (Helgi und Grimr), Eigla, Eyrb. (Snorri),
Finnb., Floam. (Tborgils), Fostbr. (Thorgeirr und Thormodhr),
Gisl., Gluma, Gullth. (unvollständig), Grettla, Gunnl., Hallfr.,
Hardh., Ilrafnk., Korm., Thorst. (aber Anfang und Ende fehlen),
Thorv.
Zwei Helden erscheinen hier in Dropl., Fostbr. — Viel
leicht gehört hieher auch eine Gunnarrsaga, die in Njala ein
geflochten wäre.
Dabei wird aber gerne als Einleitung die mitunter ziem
lich ausführliche Geschichte des Vaters oder auch des Gross
vaters, selbst des Oheims oder Bruders vorausgeschickt, so in
Bropl., Eigla, Eyrb., Floam., Gisl., Gluma, Grettla, Hallfr.,
Hardh., Korm. — Ein Anhang über die Begebenbeiten nach
dem Tode des Helden findet sieb in Bjarn., Gisl., Grettla,
Gunnl., Hardh., Heidh., Njala. In der Regel wird in dieser
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft. 8
114
Heinzei.
Gruppe von der Geburt oder Kindheit des Helden begonnen.
Nur Gunnlaugr, Hrafnkell, Gunnarr in Njala treten gleich als
Jünglinge auf.
Aber die Väter oder Grossväter der Vorgeschichten sind
natürlich bei Beginn der Erzählung schon reife Männer.
2. Erzählungen eines Abschnittes aus dem Leben des
Helden sind Band. (Oddr wird von seinem Vater gegen die
Anschläge mehrerer Häuptlinge beschützt), Eir. N. W. (Eirikr
und Thorfinnr, der zweite Mann von Eiriks Schwiegertochter,
entdecken und besiedeln Grönland und Vinland), Hav. (Ha-
vardh’s Sohn wird getödtet, Rache und Vergleich), Haens. (Ver
brennung Blundketils, Rache und Vergleich), Njala (Verbrennung
Njals, Rache und Vergleich), Njardhv. (Rettung Gunnarrs), Val-
lal. (Vallaljotr behauptet sein Ansehen gegenüber dem mäch
tigen Gudhmundr).
3. Familiengeschichten sind Laxd. (Audhr, 1. Höskuldr,
2. Olafr, 3. Kjartan), Ljosv. (1. Gudhmundr, 2. Eyjolfr, Ko-
dhran), Reykd. (1. Askell, 2. Viga-Skuta), Svarfd. (1. Thor-
steinn, 2. Klaufi, Karl der Rothe, 3. Karl), Vapnf. (1. Brodd-
helgi und Geitir, 2. Bjarni und Thorkell), Vatnsd. (1. Thorsteinn,
2. Ingimundr, 3. Thorsteinn und seine Brüder, Ingolfr, Thorkell).
Die Personen erster Generation sind hier bei Beginn der Er
zählung oft schon erwachsen oder alt, so Audhr in Laxd., Gudh-
mundr in Ljosv., Vemundr und Askell in Reykd., Thorsteinn
in Vatnsd.
Je zwei gleichzeitige Helden erscheinen in Vapnf.
, Die Geschichten der verschiedenen Generationen sind ent
weder sachlich — Rache für den Vater — verbunden, Reykd.,
Svarfd., Vapuf., Vatnsd., oder sie stehen lose neben einander,
Laxd., Ljosv.
4. Heidh. (1. Vigastyrr, 2. Bardhi), Njala als Ganzes
(1. Gunnarr, 2. Njall). Doch ist über Heidh. schwer zu ent
scheiden, da der Anfang nicht vollständig erhalten ist.
In der zweiten und vierten Gruppe fehlen natürlich oft
Angaben über Geburt, frühere Schicksale und Tod der Haupt
personen, so Band. (Tod Odds und Ufeigs), Eir. (Eireks Tod),
Hav. (Havardhs Leben vor Ermordung seines Sohnes), Haens.
(Blundketils Leben vor Streit mit Haensatliorir), Njala (Njals
Leben vor Verbindung mit Gunnarr), Njardhv. (Gunnars Leben
Beschreibung der isländischen Saga. I.
115
vor und nach Tiidtung Thidhrandis und seiner Rettung), Vallal.
(Vallaljots Leben vor und nach den erzählten Streitigkeiten).
Inhalt im Besonderen.
Sehen wir nun, welche Beschaffenheit das Zuständliche,
die Vorgänge, die subjectiven Aeusserungen des Autors in den
einzelnen Sagas zeigen. 1
A. Erzählung,
a. Von Zuständlickem.
Ich scheide zwischen Personen und Sachen, zu welchen
letzteren auch politische Zustände oder die Saga selbst in irgend
einem 1 itterarischen Zustand vor der letzten Niedersetzung ge
rechnet werden.
Die Personen werden geschieden als Männer, Frauen,
Kinder und abstracte Personen, d. i. Familien, Gemeinden,
Parteien.
Hiebei ist eine Unterscheidung von Personen verschiedenen
literarischen Ranges nicht zu entbehren. Sie ergibt sich aus der
grösseren oder geringeren Deutlichkeit, mit welcher die Bilder
verschiedener Personen einer Saga uns vor das geistige Auge
treten. Die Deutlichkeit hängt ab von der Menge und Auswahl
der Attribute, w r elc.he einer Person beigelegt werden — davon
wird Capitel II zu handeln haben, — so wie von der Häufig
keit ihres Vorkommens, der Intensität ihres Antheils an den
erzählten Begebenheiten. Ich scheide somit nach Personen ersten,
1 Die Darstellung bleibt auch in diesem Tlieil des ersten Capitels mehr
im Allgemeinen. Einzelheiten z. B. der physischen oder geistigen Beschaffen
heit, des Menschen werden im Anfang des zweiten Capitols behandelt. So
wird im ersten Capitel allerdings gefragt, welche Körpertheile kommen
vor, welche nicht? ist. eine Beschränkung für ihre Erwähnung vorhanden?
Und es werden dann jene aufgefiihrt, welche in die Categorie der unan
ständigen fallen, um zu zeigen, dass die Bescliänkung eine geringe war.
Die übrigen erscheinen mit ihren Attributen in Cap. II. Eine strenge
Unterscheidung zwischen dem Was? Wie beschaffen? und dem Wie viel?
ist ja unmöglich, eine ungefähre aber scheint mir praktisch.
8*
116
H e i n z e 1.
zweiten und dritten Ranges. Die ersten sind die Helden, deren
aber in einigen Sagas mehrere Vorkommen können, den zweiten
Rang nehmen ein die Angehörigen und die Gegner der Helden,
so wie auch alle Personen, welche selbständig in die Hand
lung eingreifen. Zur dritten Classe gehören dann jene, welche
dies nicht thun, grösstentheils Diener, Boten u. dgl. Natürlich
sind feste Grenzen nicht möglich und innerhalb der Rangclassen
wieder beträchtliche Unterschiede zu bemerken. In der zweiten
wird man öfters Haupt- und Nebenpersonen auseinander halten
müssen.
Zur Charakteristik der auftretenden Personen wird nicht
bloss das verwerthet, was der Autor von ihren Eigenschaften
sagt, sondern auch was sieh aus ihrem Verhalten in den erzählten
Begebenheiten für den Leser ergibt.
Eine vollkommene Trennung von Zuständen und Begeben
heiten ist nicht möglich, da die Charaktere der Person sich
eben in den Vorgängen zeigen und die Begebenheiten an Per
sonen vorgehen, deren Eigenschaften auch den Charakter der
Begebenheit bedingen.
In den Personen zeigt sich manches Typische, das einer
seits gewiss in den socialen Verhältnissen sowohl der Zeit, in
welcher die Saga spielt, als jener, in welcher sie in der uns
vorliegenden Gestalt gedichtet wurde, begründet ist, anderer
seits aber wohl auch auf litterarische Ueherlieferung und nicht
bloss die der Sagas zurückgeht. Ich scheide demnach zwischen
,Auswahl aus dem Lebern und ,Auswahl aus der Ueherlieferung“.
Personen.
Männer.
1. Auswahl aus dem Leben.
Personen ersten und ziceiten Ranges.
Doch werden auch die Helden und ein Theil der zweiten
Classe als Hauptpersonen bezeichnet, gegenüber den Neben
personen, welche dann den Rest der zweiten Classe bilden.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
117
Die Helden und überhaupt die im Vordergrund der
Erzählung stehenden Personen sind stets isländische, nur in
Vorgeschichten zuweilen norwegische Männer, welche durch
Geburt und Besitz eine hervorragende Stellung in der Gesell
schaft einnehmen. Nicht selten besitzen sie die Godenwürde,
so in Eyrb. (Snorri), Finnb. Gluma, Hrafnk. Vatnsd. (Ingi-
mundr, Thorir, Ingolfr, Thorkell), Thorst. Nicht Helden der
Saga, aber wichtige Personen sind Goden, z. B. in Dropl. (Helgi
Asbjarnarson), Eyrb. (Arnkell),Gisl. (Thorgrimr),Gunnl. (Onundr),
Hardh. (Grimkell), Hav. (Thorbjörn), Haens. (Arngrimr), Ljosv.
(Thorgeirr), Reykd. (Askell, Thorgeirr), Svarfd. (Ljotolfr). —
Haens. macht keine Ausnahme, denn der Hühnerhändler ist nicht
Held der Saga, sondern Blundketill. Haensathorir hat nur die
Aufgabe, Blundketill mit Tunguoddr und dem Goden Arngrimr
zu entzweien.
Leute geringen Standes werden nur als Person zweiten
Ranges verwendet, so z. B. Finnb. (Gestr und Syrpa, die Pflege-
ältern Finnbogis), Haens. Haensathorir), Laxd. (der Bauer
Helgi i. Njala (Hrappr C. 87 ff., Björn C. 148 ff.), Thorst. (Thor-
liaddr). — Ganz vereinzelt ist der edle Sclave Skidhi, der in
Svarfd. eine wichtige Rolle spielt.
Jene vornehmen Männer, welche Hauptpersonen der Saga
sind, ragen aber auch durch ihre Persönlichkeit über die grosse
Masse hinaus, sie sind wohlgebildet und mit imgewöhnlichen
Kräften des Körpers und des Geistes, besonders des Willens,
ausgestattet.
Eigentliche Schönheit allerdings wird nur wenigen zuge
schrieben, so Dromondr in Grettla, Ingolfr in Hallfr., Vatnsd.,
Kjartan in Laxd. Kodhran in Ljosv., Gunnarr in Njala, fast
allen kraftvolle Männlichkeit, ansehnliche, würdevolle Erschei
nung, welche durch charakteristische Hässlichkeit der Gesichts
züge nicht beeinträchtigt wird, s. Eigla C. 55, S. 304, Gunnl.
C. 4, S. 203, Njala C. 25 (Skarphedhinn), Svarfd. S. 147
Klauii), auch stattliche Kleidung gehört dazu.
Ausnahmen sind der bartlose Njall und der schwächliche
Thorsteinn in Vatnsd., deren körperliche Unvollkommenheiten
durch geistige Gaben oder Tüchtigkeit des Charakters ausge
glichen werden.
118
H e i n z e 1.
Mitunter ist die Kraft und Gewandtheit der Helden nacli
einer bestimmten Seite ganz besonders ausgebildet, so sind Björn,
Grettir, Kjartan gute Schwimmer, Finnbogi unüberwindlich im
Ringkampf, Gunnarr in Njala ein berühmter Schütze.
Ueber das Wahrscheinliche und Glaubwürdige geht die
Körperkraft des Helden hinaus in einigen der jüngeren Sagas,
Finnb., Grcttla, Svarfd.
Unter den geistigen Kräften besonders der Hauptpersonen
tritt am häufigsten hervor eine ungewöhnliche Stärke der Be
gehrungen, welche tlieils mit verständiger Ueberlegung und
Erwägung der Verhältnisse verbunden scheinen, zum Theil aber
auch wie eine fremde, unwiderstehliche Gewalt den Menschen
unter ihre Herrschaft beugen, Habsucht und Liebe treten oft
wie Krankheiten auf (Eigla, Eyrb. bei Björn, Gullth., Korm.).
Dieser entschiedene Wille verwerthet alle Kräfte des Körpers und
Geistes zu seinen Zwecken, so dass wir seine Wirkungen sowohl
in wahnsinnigem Jähzorn und allen Aeusseruugen gewaltthätigen
Sinnes erkennen, der eigene Gefahren und Schmerzen ebenso
gering achtet, als die Anderer, andrerseits aber auch in Selbst
beherrschung, kalter Berechnung, Ueberlistung des Gegners.
Seltener sind Berserkernaturen wie Kveldulfr, Skallagrimr,
Egill selbst in Eigla, Klaufi in Svarfd. Auch zwecklose Bos
heit zeigt sich nur bei unvernünftigen Greisen, wie bei Skalla
grimr in Eigla, bei Thorolfr in Eyrb. S. 52, auch Guilthorir
wird erst nach einer Krankheit böse S. 79, — oder bei dämo
nischen Wesen wie Hrolleifr in Vatnsd. — Vakrs Bosheit einer
Nebenperson Hav. S. 2. 4 ff. ist nicht recht verständlich und
scheint auf litterarischer Ueberlieferung zu beruhen, wie ja
auch der Typus Thorbjörns schon etwas erstarrt ist.
Beliebter ist Mischung von Schlauheit und Gewaltsamkeit.
So bei den Goden Snorri in Eyrb., Vigaglumr, Thorbjörn in Hav.,
Hrafnkell, oder in anderm Verhältnis bei Gudhmundr in Ljosv.,
bei Geitir in Vapnf.
Diese und die ihnen ähnlichen Personen der Saga be
wahren auch in der Hitze leidenschaftlicher Erregungen einen
kühlen Kopf und ein besonnenes Urtheil. Der Hass — denn
meist handelt es sich um Rache — verblendet sie nicht, sie
erkennen z. B. die guten Eigenschaften des Gegners an, sie
vermögen sich auf seinen Standpunct zu stellen. Aber diese
Beschreibung der isländischen Saga. I.
119
geistige Freiheit hindert sie nicht an der nachdrücklichsten
Bethätigung ihres Willens, selbst wenn sich diese nicht nur
der Billigkeit, sondern auch einer weiter sehenden Klugheit
entgegeustcllt. Skarphedhinn, der Sohn Njals, hat Höskuldr,
den Sohn Thrains, welcher Njall adoptirt hatte, getödtet. Njall
ist tief ergriffen und sagt, er hätte lieber zwei Söhne verloren.
Darauf Skarphedinn, der Mörder: ,Es ist begreiflich, dass dir
das nahe geht, du bist ein alter Mann', C. 111, 131. — So
kömmt es auch öfters vor, dass jemand das Missliche eines
Vorschlages oder Planes deutlich einsioht und es auch aus
spricht, aber doch darauf eingeht. Glunia S. 378, Thorarinn
sagt: ,Das ist kein guter Rath, aber wir werden ihn doch
befolgen* (eigi er that rddhligt, eil that munu ver thö gera).
S. 352 Arnorr sagt: ,Die Lage ist schwierig; wenn wir ruhig
bleiben, ist es eine Schande, und der Erfolg zweifelhaft, wenn
wir etwas unternehmen. Aber ich will doch meine Leute zusammen
rufen* (eil tliö skal mi safna ywnnum).
Die Ausdrucksweise dieser Personen ist demnach auch
alles eher, als pathetisch, meist sehr kühl und nüchtern, selbst
im Tode. Atli wird von Thorbjörn mit einer auffallend breiten
Lanze erstochen (Grettla C. 45, S. 102 f.). Er macht dazu
nur die kaltblütige Bemerkung: ,Ja, jetzt sind die breiten Eisen
modern* (thau tidkkast hinu hreidhu spjotin). Oder Ljosv. S. 61
Thorkell ist in den Leib gestochen, so dass ihm die Eingeweide
heraus treten, er macht sich aber doch noch über Gudhmundr lustig,
der im Getümmel des Kampfes in einen Milchkübel gefallen war.
Leicht wird mit dieser Gesinnung stolzes Vertrauen auf
die eigene Kraft verbunden, mit Verachtung des Uebernatür-
lichen, Fiunb. S. 39, Korm. C. 22, 8. 206, C. 29, S. 220,
Kjartan in Laxd. C. 40, S. 174, — auch hoehmütliiges Standes
bewusstsein, so bei den Goden Snorri (Eyrb.), Vigaglumr, Thor
björn (Hav.), Hrafnkell, Arngrimr (Iiaens.), Thorsteinn.
Ganz vereinzelt aber ist es, wenn einer Person dieses Typus,
der Gewaltsamkeit und Berechnung vereinigt, Eigenschaften
der Schwäche, wie Feigheit und Eitelkeit, zugeschrieben werden,
so Gudhmundr in Ljosv. S. 16. 20.
Die rücksichtslose Entschlossenheit, mit welcher die Per
sonen dieser Gruppe äussere Ziele, Besitz, Ehre, Rache, an
streben, schliesst Regungen verschiedener Sympathien nicht aus.
120
Heinzei.
vielfach erscheint sie abgestuft durch ethisch ästhetische Empfin
dungen, Ritterlichkeit, Grossmuth, Edelmuth, Achtung des Gegners,
durch Gefühle der Schicklichkeit, durch Klugheit, — sowohl bei
Haupt-, als Nebenperson.
Neigung für Bruder und Sohn zeigt sich auch bei den
wildesten, Egill, Grettir. Schmerz um den Verlust des Sohnes
treibt Egill und Thorgils, Floam. S. 153, 22, zu Selbstmord,
Havardhr ist nach Olafs Tod Jahre lang krank, Gudhmundr
in Heidh. stirbt vor Schmerz um Hallr.— Freundschaft zwischen
Unverwandten in Dropl., (Helgi, Grimr und Thorkeil), Eigla,
(Egill und Arnbjörn), Floam (Ingolfr und Leifr), Fostbr. (Thor-
geirr und Thormodhr), Gisl. (Gisli und Vesteinr u. a.), Gullth.
Thorir und eine ganze Schaar anderer Jünglinge), Hardh. (Hördhr
undGeirr), Laxd. (Kjartan und Bolli), Njala (Gunnarr und Njall),
Thorv. (Fridhrekr und Thorvaldr).
Frauenliebe aber, die über das Verlangen des Besitzes
hinausgeht, begegnet nur bei Björn in Eyrb.
Wohl aber ist Schonung der Frauen, der Greise, der
Schwachen häufig, Dropl. S. 23, Eir W. S. 548, Eir W. S. 165,
Finnb. S.35, Floam. S. 135, 25. 136, 13, Gisl. S. 63, Laxd. C. 35,
Reykd. S. 302.
Liebe zu dem Herrn, dem König, zeigt sich in Ilallfr.
S. 111, 9. Hallfredhr und Griss, die im Begriff sind, sich zu
bekämpfen, vereinigen sich in dem Gefühle des Schmerzes um
ihren verlorenen Herrn. —Vergl. den merkwürdigen Selbstmord
zweier sonst eben nur erwähnter Personen bei Ingimunds Tod,
Vatnsd. S. 39, 8.
Ritterlichkeit, Edelmuth gegenüber dem Feinde: Finnb.
S. 24 (gegen einen Bären), Floam S. 122, 4. 135, 25, Gisl.
S. 71, Gluma S. 369, Hallfr. S. 112, IJav. S. 15, Heidh. S. 305,
Laxd. C. 35. 49. 55. 57, Njala C. 45, 20. 146, 45, Svarfd.
S. 183. 188, Vapnf. S. 22. 29 f., Vatnsd. S. 6. In Svarfd. er
innert die Verbindung der grössten Brutalität mit ritterlichen
Empfindungen (in der Person des zweiten Karl) an Typen der
karolingischen Romane.
Anstand: Der Held darf rauben, aber nicht stehlen,
Eigla C. 46, S. 237, Hardh. S. 69.
Klugheit: Die Besserung Hrafnkells S. 35 scheint bloss
aus verständiger Ueberlegung der Verhältnisse hervorzugehen.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
121
Fast nirgends aber vermögen wir die Macht einer bloss
moralischen Fmpfindung oder Theorie zu erkennen. Nur Tlior-
steinn sagt Vatnsd. S. 21, 3, als er sich dem Tode nahe fühlt,
sein grösster Trost sei, dass er nie Gewaltthaten begangen
habe (at ek liefir verit, eigi ägangsmadhr vidh menn), aber er
wird von Haus aus als unbedeutend dargestellt S. 3, 10.
Andererseits kann die Thatkraft aus einem Zustand der
Schwäche und Unfähigkeit gleichsam erst entbunden werden,
wie bei Havardhr und Atli in Hav. S. auch unten bei den
Kindern.
Daneben erscheinen Typen, in denen Besonnenheit, Weis
heit, Klugheit, Schlauheit, Hinterlist vorwiegen, Ofeigr in Band.,
Thorarinn in Eyrb., Thorleifr in Hallfr., Torfi in Ilardh., Tho-
rarinn in Heidh., Sann-, Thorkeil in Hrafnk., Thorbjörn, auch
Hersteinn in Haens., Olafr in Laxd., Einarr in Ljosv., Njall,
Askell in Reykd., ITalli in Vallal., Thorsteinn und der alte In-
gimundr in Yatnsd., Thorhaddr in Thorst.
Darunter sind Ofeigr, Thorarinn in Heidh., Thorkeil,
Thorbjörn, Einarr gewandte und schlaue Berather, Thorarinn
in Eyrb., Olafr, Njall, Askell, Thorsteinn, Ingimundr fried
liebend.
Besondere Mischungen dieser Typen. Die Besonnenen zeigen
auch ritterlich edelmüthige Gesinnung: Thorleifr in Hallfr. S. 112,
Thorkell in Hrafnk. S. 22, Hersteinn in Haens. S. 176, Askell
in Reykd. S. 277. 279, Ingimundr in Vatnsd. S. 37 f.
Die Klugen können auch gefühlvoll sein, wie Njall, — seine
Freundschaft mit Gunnarr, seine Liebe zu seinem Adoptivsohn
Höskuldr, — die Listigen ihren Opfern doch Gerechtigkeit
widerfahren lassen, wie Torfi Hördhr in Hardh.
Die niedriggesinnten Intriganten, wie Samr in Hrafnk.,
Thorhaddr in Thorsteinn sind gute Häuptlinge.
Die Friedliebenden zeigen sich muthig, wo es gilt, s. Tho
rarinn in Eyrb. und Njall.
Die edlen, gerechten und milden Naturen sind unter Um
ständen den Regungen des Eigennutzes oder des Hasses zu
gänglich. So überlistet der edelmüthige Ingimundr doch einen
Norweger, Vatnsd. S. 29 f., der gerechte Njall wendet zum
Vortheil seiner Familie sehr bedenkliche Listen an C. 97, der
versöhnliche Askell will einen Geächteten tödten Reykd. S. 238,
122
Heinzei.
der ritterliche Thorgils überlistet seinen Gegner, Floam. S. 134,26,
und verkauft gefangene Frauen, S. 151, 24, der wohlwollende
Gunnarr in Njala, der liebenswürdige Kjartan in Laxd. lassen
sich nicht nur zu wildem Kampfesmuth, sondern auch zu rohen
Beleidigungen fortreissen, Laxd. C. 47, S. 208, der edelmüthige
Bjarni ermordet seinen Ziehvater, Vapnf. S. 27, und Olafr in
Hav. ist ein guter und tüchtiger Junge, aber den Hammel hat
er doch gestohlen.
Nur bei Nebenpersonen aber zeigt sich der christliche
Muth des Leidens, der christliche Abscheu vor der Gewaltthat,
weil sie Sünde ist, die christliche Feiudeslicbe, Gudhlaugr in
Heidh. (V. St.) S. 307, Höskuldr in Njala C. 109, 42, C. 111, 13.
Kjartan sagt zwar auch wie Höskuldr, er wolle lieber von
Bolli den Tod empfangen, als ihn ihm geben, Laxd. C. 49,
S. 222. Aber das Verhältniss scheint doch ein anderes. Kjartan
wehrt sich nicht, weil Bolli, sein Vetter und Jugendfreund,
ihm im Kampfe gegenübersteht, Höskuldr aber will lieber
Unrecht leiden als Unrecht thun.
Typus eines ritterlichen Vikingers ist Thorgils in Floam.,
Ingimuudr in Vatnsd.
Als glänzend und liebenswürdig werden geschildert Olafr
und sein Sohn Kjartan in Laxd., Kodhran in Ljosv., Gunnarr
in Njala, Ingolfr in Vatnsd.
Aber ganz vereinzelt ist es, wenn die Personen dieser mil
deren Typen auch Spuren einer gefühlvollen Ausdrucksweise
zeigen : Njall zu Gunnarr C. 73, 12, Njall über Höskuld’s Tod
C. 111, 27. 122, 9.
Nie erscheint bei Helden der Saga kleinliche, niedrige
Gesinnung, verächtliche Schwäche wie öfter bei Personen
zweiten Banges, Uspakr in Band., Gestr in Finnb., Samr in
Hrafnk., Haensathorir, Thorkeil und Helgi in Laxd. C. 49,
S. 220, C. 52, S. 232 f., C. 84, S. 346, C. 85, S. 352.
Muster anderer Verbindungen verschiedenartiger Eigen
schaften bieten z. B. der faule, feige, zugleich aber weiche
und zartfühlende Thorkeil in Gisl. S. 16. 27. 35. 44, der toll
köpfige, thörichte Jökull, der sich aber seiner Un weisheit wol
Bewusst ist, in Vatnsd., Einarr der Astronom, der aber doch
mit den Weltleuten an Schlauheit wetteifert, in Ljosv. Letztere
haben schon etwas Komisches, das noch deutlicher wird bei
Beschreibung der isländischen Saga. I.
123
eigentlichen Nebenfiguren, wie bei dem schwerfälligen, aber
tüchtigen Otryggr in Ljosv. S. 84, bei Björn, dem Pantoffel
helden und Aufschneider, der sich aber doch, wo es gilt, ganz
tüchtig erweist, Njala C. 148 ff.
Also die Charaktere auch der Helden, mehr aber die
der Personen zweiten Ranges sind verschiedenartig gemischt
und scheinen dadurch denen des wirklichen Lebens sehr
ähnlich zu sein. Oefters wird geradezu gesagt, dass die Eigen
schaft, welche einer Person zugeschrieben wird, nicht das
Durchschnittsmass überstieg, oder ihr nur in geringem Masse
eigen war, was nicht gerade das Gegentheil bedeutet. So
Gluma S. 376: ,Thorvardhr war nicht sonderlich wohlwollend'
(medhallagi gödhgjara), Njala C. 9, 15: ,Thorvaldr war etwas
heftig' (nahJivat brddhr i sJcaplyndi).
Aber wenn Thorsteinn, der doch Held des ersten Theiles
Vatnsd. ist, in allen körperlichen und geistigen Eigenschaften
nur als ein Durchschnittsmensch geschildert wird (medh enu
betra medhallagi), Vatnsd. S. 3, 12, so ist das allerdings eine
Ausnahme.
Damit stimmt es überein, dass auch tüchtige Männer
öfters ihre Entschlüsse ändern Dropl. S. 23: Thorkell lässt
sich zuerst bestimmen, Helgi, trotzdem er Gefahr für ihn ahnt,
zu verlassen, er kehrt aber um und steht ihm im Kampfe zur
Seite. S. 29: Grimr will zuerst, dass Thorkell Helgi tödte, thut
es aber dann doch selbst, Reykd. S. 300: Sküta lässt sich erst
zu einem Proeess bewegen, zieht aber dann doch Rache vor.
Von Uspakr, der Band. S. 7 f. zuerst die Gutsverwaltung, dann
die Verwaltung des Godenamtes ablehnt, dann beides annimmt
und letzteres gar nicht abgeben will, wird allerdings auch sonst
nichts Gutes erzählt.
Die Ueberzeugungen der geschilderten Personen über den
Zusammenhang der menschlichen Dinge sind selten religiös,
meist fatalistisch.
Wer Unglück hat ist nach der Meinung der andern ein
Unglücksmensch iigaefumadhr, Fostbr. S. 28 f. Grettla C. 31,
S. 72. C. 39, S. 94. Hardh. S. 106, Njala S. 123, 102. Thor-
gem-, Grettir, Hördhr, Skarpedhinn, um die es sich hier handelt,
haben alle schwere Gewaltthaten begangen. Ganz vereinzelt ist
die Aeusserung Torfis in Hardh. S. 97 über Hördhr und seine
124
Heinzei.
Gefährten, dass sie ihr Unglück sich durch ihre Frevelthaten
zugezogen hätten (likligt at their mundi gaefidausir verdha sakir
illgjördha sinna).
Was theoretische Bildung anbelangt, so istGesetzeskenntniss
und Gewandtheit in Behandlung von Rechtsangelegenheiten häufig:
Ofeigr in Band., ETelgi in Droph, Yiga Glumr, Gunnlaugr C. 4,
S. 205, Snorri in Heidh., Samr in Hrafnk., Thorbjörn in Haens.,
Gudhmundr in Ljosv., Njall, Thorhallr in Njala, Halb in Vallal,
Thorsteinn, — kluge Vermittler sind Ofeigr, Snorri (Heidh.),
Njall, Askell (Reykd.),— habsüchtige Advokaten: Helgi (Dropl.),
Samr (Hrafnk.), Halb (Vallal.).
Damit in Zusammenhang steht Redefertigkeit und Dicht
kunst. Als Poeten von Beruf treten auf: Björn und Thordhr
in Bjarn., Egill, Thormodhr in Fostbr., Gunnlaugr und Hrafn
in Gunnl., Hallfredhr, Kormäkr. — aber auch Ofeigr in Band.,
Helgi und Grimr in Dropl., Kveldulfr, Skallagrimr, Einarr in
Eigla, Thorhallr in Eir. W., Björn, Thorarinn, zwei Berserker,
Viga-Styrr in Eyrb., Gisli in Gisla, Viga-Glumr, Brusi, Einarr
in Gluma, Oenundr, Asmundr, Ilaflidhi, Sveinn, Liptr, Grimr,
Oengull, Thorsteiun in Grettla, Hördhr, Grimkell, Soti in Hardh.,
Havardhr, Olafr in Hav., Tindr, Eirikr, Gisli, Thorbjörn in
Heidh., Steinarr, Bersi in Korm., Bersi, Thorgils in Laxd.,
Gunnarr, Kolskeggr, Skarphedhinn, Sigmundr, Thorvaldr, Ulfr,
Hjalti, Hildiglumr, Modholfr, Kari, Gilb in Njala, Karl him
raudhi, Karl, Klaufi in Svarfd., Thorvaldr in Thorv. sind des
poetischen Ausdrucks mächtig, — besonders Thorarinn in Eyrb.
und Skarphedhinn in Njala. Sowohl die ersteren, als die letz
teren dichten gewöhnlich aus dem Stegreif. S. u. a. Bjarn.
S. 23 ff., Grettla C. 47, S. 105 ff., Gunnl. C. 5, S. 211, C. 6,
S. 219, Njala C. 130, 66.
Virtuosität im prosaischen Ausdruck zeigen natürlich die
oben erwähnten Gesetzkundigen und Vermittler. S. auch die
Wortspiele in Gluma S. 357. 363. 388, Reykd. S. 311, Svarfd.
S. 154. 179.
Nur Nebenpersonen treten als Zauberer oder Aerzte auf.
Selten gehen die sittlichen und geistigen Eigenschaften
der handelnden Personen über das Muss des Wahrscheinlichen
hinaus, aber die Finnboga saga ist geradezu eine Lob- und
Schutzrede, auch Floam. z. Th.,s.Vigfusson, Fornsögur S.XXV,—
•Beschreibung (1er isländischen Saga. I.
125
die Aufraffung Havardhs, die Nachsicht und Milde Askels in
Reykd, die Frühreife Egils, besonders C. 31, S. 150, der Edel-
muth Ingimunds in Vatnsd. machen den Eindruck des (Jeber-
triebenen. Einige Skarphedhinn zugeschriebene Gedichte sind
unter unmöglichen Umstünden verfasst. C. 54, 57. 63, 22. 77,
80. — In der schlechtesten unserer Sagen, in Finnb., kommt
es sogar vor, dass König Flakon von seiner eigenen Bosheit
und Ungerechtigkeit spricht, S. 33.
Die häufigen Superlative: ,der schönste aller Männer',
,der beste Kämpfer', ,beste Schwimmer', ,der Gebildetste' scheinen
nicht mehr zu bedeuten, als ,sehr schön' usw. S. Bjarn. S. 63
(Björn), Dropl. S. 7 (Helgi), Eyrb. S. 68 (Arnkell), Finnb.
S. 70 (Finnbogi), Floam. S. 128, 10 (Thorgrimr), S. 129, 9
(Thorgils), Laxd. C. 28, S. 110 (Kjartan) usw. S. Piper, Ger
mania 24, 106.
Mitunter sind die geistigen und körperlichen Eigenschaften
als erblich dargestellt. In Band. S. 6 zeigt Uspakr gefährliche
Aehnlichkeit mit seinem Oheim Grettir, — in Dropl. sind Ketill,
Thidhrandi, Thorvaldr, ITclgi, Grimr kurzlebig, — in Eigla
vererbt sich die Berserkernatur Kveldulfs auf Skallagrimr und
Egill, — in Grettla ergrauen Thorgrimr und Asmundr früh
zeitig. — In Korm. begegnen wir C. 15, S. 140 dem unver
träglichen Thorarinn und seinen gleichgearteten Söhnen, — in
Laxd. ist die Schönheit und Eleganz Olafs und Kjartans viel
leicht auf irische Abstammung zu beziehen, Njala C. 138, 9:
Eyjolfr ,war habsüchtig, wie alle seine Verwandten'. — Anderer
seits erscheint das jüngere Geschlecht als milder, Eigla: Thor-
steinn gegenüber Egill, Ileidh. (V. St.) S. 307. 387: Gudhlaugr
gegenüber Snorri, Njala: Höskuldr gegenüber Thrainn.
Personen dritten Ranges.
Kaufleute, besonders aus Norwegen, Matrosen, Fischer,
Hirten, Landstreicher, Geächtete niedern Standes, Kundschafter,
Erzieher, Hausgesinde aller Art.
Besonders beliebt sind störrische, feige, verrätherische,
dumme, vergessliche Diener und Sclaven, Eyrb. S. 67, Gisl.
8- 21, Haens. S. 170, kühne und treue erscheinen z. B. Gluma
8. 381, Haens. S. 178, Ljosv. S. 84.
126
Heinzei.
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
Typen des Berserkers: sehr häufig bei Nebenpersonen.
Als Held der Saga nur Klaufi in Svarfd., Kveldulfr, Skalla-
grimr, Egill in Eigla C. 27. 40. 81; Vigaglumr in Gluma
S. 342, Hördhr in Hardh. S. 64, Thorir in Vatnsd. S. 59, 16
haben nur Anfälle von Berserkerthiun.
Der Typus der tyrannischen Goden: Snorri in Eyrb., noch
mehr aber Vigaglumr, Hrafnkell, Thorbjörn in Hav.
Der Typus des klugen Rathgebers und Vermittlers: Ofeigr
in Band., Thorarinn und Snorri in Heidh., Thorkell in Hrafnk.,
Thorbjörn in Haens.
Der Typus des Dichters: Der Dichter ist eitel, empfind
lich, übermüthig, gewaltthätig und von sehr scharfer Zunge.
Björn, in Bjarn, Thormodhr in Fostbr., Gunnlaugr, Hallfredhr,
Kormakr. — Der sanfte Thorarinn in Eyrb. macht eine Aus
nahme. Er galt vielleicht nicht als Dichter von Beruf.
Auswahl aus der dichterischen Ueberlieferung scheint es zu
sein, wenn böse, gefährliche Menschen so oft den bezeichnenden
Namen Ljotr führen. Eigla C. 67, Hav. zwei Personen dieses
Namens S. 30. 35, Reykd. S. 248, Vatnsd. S. 33, 13 ein Be
gleiter des tückischen, dämonischen Hrolleifr. S. auch die Hexe
Ljot, Vatnsd. S. 30 ff. 1 — Ist es Zufall, dass unbedeutende
Ehemänner oft Thorvaldr heissen: Korm., der zweite Mann
Steingerdhs, Laxd., der erste Mann Gudhruns, Njala, der erste
Mann Hallgerdhs. 1
Frauen.
1. Auswahl aus dem Leben.
Personen zweiten Ranges.
Keine Frau ist Heldin einer Sage. Am ehesten könnte
man Gudhrun in Laxd. dafür ansehen. Wol aber spielen sie oft
wichtige Rollen. Aber über Hallgerdlir. z. B. in Njala erfahren
wir nur sehr wenig mehr, nachdem sie Gunnarr, ihren Mann,
in den Tod getrieben. Wir wissen nicht, ob sie sich noch
1 Vergl. Jessen, Sybels Zt 28, 93.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
127
einmal verheirathete, noch wie sie starb. Und sie ist nächst
Gudhrun in Laxd. die Frau, welche am selbständigsten in die
erzählten Begebenheiten eingreift.
Wenn Frauen Hauptpersonen sind, so treten sie auf als
Gattinnen der Helden oder der männlichen Hauptpersonen, so
Oddny, die Frau Thordhs in Bjarn., Freydis, die Frau Thor-
vardhs in Eir. N. W., Thörey, die Frau Thorgils’ in Floam.,
Gudhrun, die Frau Thorvalds, Thordhs, Bollis, Thorkels in
Laxd., Hrefna, die Frau Kjartans in Laxd., Thorlaug, die
Frau Gudhmunds in Ljosv., Hallgerdhr, die Frau Thorvalds,
Glums, Gunnars in Njala, Bergthora, die Frau Njals, Hildigunnr,
die Frau Höskulds und Karis in Njala, Unnr, die Frau Hruts
in Njala, Gudhrun, die Frau Thorkels in Njardhv., Ingöldr,
die Frau Klaufis, Skidhis in Svarfd., — als Geliebte der Helden
und Hauptpersonen: Oddny, Frau Thordhs, von Björn geliebt
in Bjarn., Thuridhr, Frau Thorbjörns und Thorodds, von Björn
geliebt in Eyrb., Thordis, Thorbjörg, geliebt von Thormodhr
in Fostbr., Helga,- Frau Hrafns, geliebt von Gunnlaugr, Kol-
finna, Frau Griss’, geliebt von Hallfredhr in Hallfr., Stein-
gerdhr, Frau Bersis und Thorvalds, geliebt von Kormakr in
Korm., Gudhrun, Frau Bollis, geliebt von Kjartan. — Aus
ländische Fürstinnen als Geliebte isländischer Männer: Gunnhildr,
Gemahlin Eiriks blodhöx, liebt Thorodd, Bergönnnd, Eigla
C. 37. 56, Hrutr, vielleicht auch Olafr in Laxd. C. 19, S. 60,
C. 21, S. 72, Njala C. 3, Ingibjörg, die Schwester König Olafs
Tryggvasons, liebt Kjartan, Laxd. C. 42, S. 182 ff. Gunnarr
hätte Bergljota, eine Verwandte Hakon Jarls, gewinnen können,
Njala C. 31, 40. — Wichtige Rollen spielen Mütter der Hauptper
sonen : Droplang, Mutter Helgis und Grims in Dropl., Bjargey,
Mutter Olafs in Hav., Thuridhr, Mutter Halls und Bardhis in
Heidh., Audhr, Aeltermutter des Geschlechts, dem Höskuldr
und Olafr pa entstammen, Thorgerdhr, die Mutter Kjartans in
Laxd., Rannveig, Mutter Gunnars, Bergthora, Mutter Skarphe-
dhins in Njala. — Seltener greifen Schwestern und Töchter
in die Handlung ein: Thorgerdhr, die Tochter Egils in Eigla,
Thordis, die Schwester Gislis in Gisla, Thorbjörg, die Schwester
Hördlis in Hardh.
Daneben erscheinen in Nebenrollen Frauen geringer Leute,
Aerztinnen, Zauberinnen.
128
Heinzol.
Wo sie im Vordergrund der Erzählung stehen, sind sie,
wie natürlich, den Männern durch Abkunft und Stellung eben
bürtig. Eine Ausnahme macht Gudhrun in Laxd. Sie war
o
die vorzüglichste unter Frauen niederen Standes, heisst es in
einigen ITss. C. 78, S. 339.
Schönheit und Würde ihrer Erscheinung, auch der Klei
dung, wird oft beschrieben, nur Thorbjörg kolbrun, die Ge
liebte Thormods in Fostbr. S. 36 ist nicht besonders hübsch.
In ihren geistigen Eigenthümlichkeiten sind die Hauptpersonen
wenig von den Männern unterschieden. Ihre Leidenschaften
sind eben so heftig und anhaltend, Stolz und Rachsucht auch
bei ihnen Triebfedern der Handlungen, die Männer thun ihnen
darin häufig nicht genug, und die Schwäche des Geschlechts
hindert sie nicht immer an Versuchen, persönlich Rache zu
nehmen; auch die Fähigkeit sich zu beherrschen, durch Be
rechnung und Verstellung das erstrebte Ziel zu erreichen
ist dieselbe. S. Droplaug in Dropl., Thordis in Gisl., Thor
björg' in Hardh., Bjargey in Hav., Thuridhr in Ileidh.,
Gudhrun und Tliorgerdhr in Laxd. (Thorgerdhr C. 55, S. 244),
Thorlaug, Gudhrun in Ljosv. (Gudhrun S. 84), Hallgerdhr
Bergthora, Hildigunnr in Njala, Ingöldr in Svarfd. — Leiden,
Gefahren und Tod ertragen sie nicht weniger muthig, Thor
gerdhr in Eigla C. 80, S. 603, Frey dis in Eir. W. S. 154,
Thorlaug in Ljosv., Bergthora in Njala, Ingöldr. in Svarfd.
Dabei sind die edlen unter ihnen ebenso hochgesinnt,
edelmüthig, ritterlich, wie die Männer, s. Bergthora in Njala,
die trotz ihres tödtlichen Hasses gegen Hallgerdhr, deren Mann
Gunnarr schätzt und fördert, die den unehelichen Sohn ihres
Mannes nicht minder liebt, als ihre eigenen Kinder. Sie wird
auch C. 20, 19 drengr gödhr genannt, ebenso Hildigunnr C. 9o,
24. Vigdis in Laxd. C. 14, S. 41 ist ihrem Manne Thordhr an
Kühnheit und adeliger Gesinnung weit überlegen, aber auch
aus vornehmerem Geschlecht.
Mitunter überbietet die Entschiedenheit, mit welcher
Frauen ihre Zwecke verfolgen, die der Männer dadurch, dass
sie durch kein ritterliches Gefühl, vor allem nicht gegen ihr
eigenes Geschlecht in ihren Aeusserungen gehindert wird. S.Frey-
dis in Eir. N., Gudhrun in Laxd. C. 49, S. 224, Thorgerdhr
in Laxd. C. 55, S. 244. Die Freude, dem Gegner oder der
Beschreibung der isländischen Saga. I.
129
Gegnerin Schmerz zu bereiten, ist hier weit deutlicher aus
gedrückt, als bei grausamen Handlungen der Männer. Auch
kommt es bei Männern als Hauptpersonen nicht vor, dass sie
aus Habsucht eine barbarische Grausamkeit gegen Frauen be
gehen, wieFreydis. Kriegsgefangene Sclavinnen zu verkaufen, ist
etwas anderes. Hallgerdhr in Njala scheut sogar vor Diebstahl und
Brandlegung nicht zurück. Selbst Vemundr in Reykd. raubt nur.
Aber wie die Männer sind sie fähig, sich Freiheit des
Urtheils in allen Aufregungen der Leidenschaft zu bewahren.
Gudhrun in Laxd. C. 48, S. 218 reizt Bolli, ihren Mann, auf,
sich dem Zug ihrer Brüder gegen Kjartan, ihren früheren Ge
liebten, anzuschliessen. Er will nicht und beruft sich auf seine
Verwandtschaft mit Kjartan und auf die Wohlthaten, welche
er von dessen Vater Olafr pa erhalten. Sie antwortet: ,Was
du da sagst, ist richtig, aber es wird dir nie gelingen, es
allen recht zu machen. Wenn du nicht mitziehst, ist unsere
Ehe geschieden.' Vgl. Helga in Vatnsd. S. 58, 7.
Die Liebe hat bei den Frauen mehr oder häufiger als bei
den Männern den Charakter einer über das Verlangen des Besitzes
hin ausgehenden Neigung; s. Helgas tiefe Trauer um Gunnlaugr,
Oddnys Hinsiechen nach dem Falle Björns. Die Neigung über
dauert den Tod des Geliebten, dessen Besitz ihnen im Leben
versagt geblieben war. — Von heftiger Liebesleidenschaft zeugen
am meisten die Worte Gudhruns zu Bolli nach Kjartans Er
mordung Laxd. C. 49, S. 224. Gudhrun zeigt zugleich mehr
malige Wiederkehr lebhafter Neigung zu verschiedenen Männern :
Thordhr, Kjartan, Bolli, Thorkell.
Einfach gütigen, weichen, heiteren Naturen begegnet man
unter den Frauen noch seltener, als unter den Männern. Etwa
Hrefna, Laxd. C. 50, S. 229 f. Aber sie tritt wenig hervor.
Nur eine unbedeutende Nebenperson, Thordis in Ljosv. S. 14
drückt ihr Liebesgefühl in gehobenen Worten aus.
Ihr Verstand wird oft gerühmt. Sie sind mitunter klüger,
als die Männer, s. Rannveig in Njala C. 77, 84, Thorgerdhr in
Ljosv. S. 59, und unerreicht in der Fähigkeit etwas passendes,
den Gegner verletzendes zu erwidern. S. z. B. Bjarn. S. 68.
Schwächliche Eigenschaften, Leichtfertigkeit, Unentschlos
senheit, Dummheit, schlechte Wirtschaft, werden nur Neben
personen zugeschrieben: Asgerdhr in Gisl. S. 15, Valgerdhr in
Sitzongsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft. 9
130
Heinzei.
Hall fr. S. 86, der Frau Narfis in Heidh. (V. St.) S. 318, Unnr
in Xjala C. 18, Sigridhr in Reykd. S. 319.
Theoretische Kenntnisse kommen selten vor: nur als
Nebenpersonen treten Aerztinnen, Zauberinnen, Dichterinnen
auf. Doch ist manchen Hauptpersonen der dichterische Aus
druck geläufig, so einem Mädchen in Eigla C. 74, S. 549,
Thorbjörg in Hardh. S. 33, Steingerdhr in Korm., Unnr in Njala
C. 7, 13.
Auch bei den Frauen finden sich keine poetischen Ideale.
Es sind gemischte Charaktere, von Vollkommenheit im Guten
wie im Schlimmen entfernt, wenn wir von dämonischen Per
sonen, wie etwa der Hexe Ljot in Vatnsd., absehen. Auch den
Frauen werden Eigenschaften oft nur mit einem ,etwas', ziem
lich', ,nicht sehr' zugeschrieben Heidh. S. 318 var hon ödhmdli
mjök ok medhallagi vitr, Njala C. 20, 19, Bergthora war nökkut
skaphärdh.
Auch sie gehen mitunter von einem gefassten Entschlüsse
ab. Korm. C. 3, S. 10 Steingerdhr weigert sich anfangs, die
Gäste zu sehen, kann aber dann doch der Neugierde nicht wider
stehen und geht in die Sennhütte, wo Kormakr ist. — Die
Ziehmutter Skutas, welche Sigurdhr, durch dessen Verrath
Skuta seinen Tod gefunden, anfangs die heftigsten Vorwürfe
macht, ihn aber dann doch heirathet, Reykd. S. 319, spielt
allerdings nur eine sehr untergeordnete Rolle. — Oder sie be
reuen eine von der Leidenschaft eingegebene That wie Thordis
in Gisl. S. 70.
Nur die Standhaftigkeit Ingölds in Svarfd. scheint über
trieben.
Die Superlative ,die schönste, eleganteste aller Frauen'
Laxd. C. 32, S. 122 (Gudhrun), Njala C. 9, 1 (Hallgerdhr),
C. 95, 106 (Hildigunnr) usw. werden zu erklären sein wie
oben S. 125.
Personen dritten Ranges.
Mägde, fahrende Frauen, Zauberinnen, Aerztinnen, Dichte
rinnen, — dumme Mägde z. B. Gisl. S. 21.
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
Vielleicht die starrsinnige Ingöldr in Svarfd.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
131
Kinder.
1. Auswahl aus dem Leben.
Personen ersten und ziveiten Ranges.
Nur in Floain. wird ausführlich von einem Kinde be
richtet, das noch als solches stirbt. Grundzug des geschilderten
Charakters ist die aus Unwissenheit entspringende Unbefan
genheit gegenüber allen Schrecken und Wundern der Polar
welt, Floain. S. 147, 28. 153, 17.
Häufig wird Frühreife der Kinder körperlich und geistig
hervorgehoben. Egill ist ein Wunderkind.
Personen dritten Ranges.
S. z. B. das fretanda harn; Dropl. S. 31, Ljosv. S. 54,
die spielenden Knaben in Njala C. 8, 43 ff.
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
Der dumme Knabe, in dem die Anlage zu einem tüch
tigen Mann schlummert: Glmna (Glumr), Gullth. S. 58 (Grimr),
Svarfd. (Karl), Vatnsd. (Thorsteinn). Vgl. auch Gunnarr Kel-
dugnupsfifl, Kroki Ref, An. — Saxo Grammaticus I, 1, 3, 125.
4, 162. 7, 353.
Abstracte Personen.
In einigen Sagas treten neben den concreten auch ab
stracte Persönlichkeiten als handelnd auf, Familien, Gemeinden,
so in Eyrb., Snorris Conflict mit den Bewohnern von Eyri,
mit den Borgfirdhingen, — in Gluma, Glums Conflicte mit den
Bspihaelingen, — in Heidh., Bardhis mit den Borgfirdhingen,
Ljosv., die Söhne Gudhnmnds mit den Ljosvetningen.
Sachen.
Sie sind natürlich nie ersten Ranges. Aber hie und da
sehr wichtig. Wie das Schwert Grasidha in Gisl.
9*
132
Heinzei.
Besonders häufig' erscheint, was nähere Beziehung zu den
Personen hat, Kleider, Waffen, Geräthe. Was die Körpertheile
anbelangt, die sehr oft genau bezeichnet und charakterisirt
werden, so ist ihre Erwähnung kaum beschränkt. S. die Phrase
klappa um maga konum Fostbr. S. 56, Grettla C. 17, S. 33,
Njala C. 17, 11. S. auch Ljosv. S. 26 nt konum tliikkja rikt
bornir kvidlärnir, Njala C. 7, 47, Hruts Tiörund, Dropl. S. 24
kyllir. Rass in Ljosv. S. 61 und in Gedichten, Fostbr. S. 95,
Korm. C. 12, S. 128.
Die allgemeinen Verhältnisse einer Person, einer Familie,
einer Partei, politische Zustände.
Die verschiedenen Zustände der Witterung zu Wasser
und zu Lande.
Von Thieren werden am häufigsten erwähnt Schafe, meist
als Heerden, als Individuen z. B. in Grettla C. 61, S. 141,
Rinder, Ochsen, Stiere Finnin, Gluma, Gullth., Pferde Heidli.,
Hrafnk., Freyfaxi spielt eine wichtige Rolle, Hunde Bjarn.,
Reykd., Njala, Katzen, zauberhafte Vatnsd. S. 45, Bären Finnin,
Gluma, Grettla, Seehunde Bjarn. Fabelhaftes: Drachen Gullth.
Locale, Beschreibungen grosser Gebiete, besonders in
Sagas mehr geschichtlichen Charakters, wie in Eigla, und in
jenen, welche Entdeckungen und Colonisation schildern, also
in Eir. N. W., Floam., — Angaben kleinerer Oertlichkeiten
überall, Haide, Feld, Landstrasse, Flüsse, Bäche, Gebirge,
Felsen, Gletscher, Thäler, Schluchten, Höhlen, Wasserfalle,
das Meer mit seinen Buchten, Inseln, Klippen.
Bauwerke: Tempel, Höfe, Häuser, Vorwerke, Sennhütten,
Schiffhütten. — Die Theile des Hauses: Halle, Hochsitz,
Estrade, Vorrathskammer, Schlafzimmer, verschliessbarer Al
koven, Wände, Pfeiler, Dach, Möbel und Ilausgeräth. Der
Abtritt wird häufig erwähnt Dropl. S. 20, Eir. W. 124, Eyrb.
S. 40. 98, Floam. S. 149, 10, Laxd. C. 46, S. 208, selbst als
Locale für Meuchelmord und Geistererscheinungen. S. auch
Fornmanna sögur III, 199.
Das Locale der Things, die Thinghütten, die Abtritte
der Things Eyrb. S. 7. 10, Reykd. S. 305.
Schiffe verschiedener Art: Kriegsschiffe, Kauffahrer, Boote,
Kähne zur Ueberfuhr.
Beschreibung der isländischen Saga I.
133
Landwirtschaftliche, gewerbliche Geräthe und Werkzeuge
aller Art.
Geld, Schätze, Kostbarkeiten.
Beziehungen auf Zustände der Gegenwart, verändertes
oder unverändertes Local, Dropl. S. 6 (en nu ero thar saudh-
husat&ptir), S. 23 (en nu er thar hrisi vaxit), Eyrb. S. 124 (die
Kirche auf Tunga auf dem Platze aufgeführt, er nu stendr hon),
Gluma S. 352 (er ml er elcki), Heidh. S. 355 (damals gab es
grosse Wälder in Island), Hardh. S. 5 (thar er ml hallat d
Grimhelsstödhum), S. 17 (thar sem nu heitir d Indridhastödhum),
Laxd. C. 19, S. 66 (ser fhess enn merhi; t.hat er nu hallat Tröl-
laskeidh), ■—• noch jetzt beibehaltene Sitte Eyrb. S. 62 (es war
damals Pflicht, sem nu, bei Begräbnissen den Nachbarn zu
helfen). — Wenn bloss gesagt wird, dass etwas damals Sitte
war, so ist natürlich auch gemeint, dass dies gegenwärtig nicht
mehr der Fall sei Band. S. 7, Dropl. S. 8. 16, Eyrb. S. 69.
78. 79. 98, Finnb. S. 23, Fostbr. S. 6. 8. 41. 43, Gisl. S. 18,
22. 23, Gunnl. C. 3, S. 198, Heidh. S. 336, Vallal. S. 213,
Vapnf. S. 8, Vatnsd. S. 35, 11. i
Eyrb. S. 6 wird ein Tempel durch Vergleichung mit einer
christlichen Kirche beschrieben: ,wo jetzt der Altar steht, da
war' usw.
Zu den Objecten der Saga gehört auch die Saga selbst,
insofern der Autor von ihr als bereits vorhanden spricht, ebenso
wie die Beziehungen auf andere Sagas. Aber die hierauf be
züglichen Aeusserungen sind immer wenig bestimmt. Ob ein
geschriebenes Buch oder eine mündliche Fixierung oder kunst
lose Mittheilung des Erzählungsstoffes gemeint ist, lässt sich
selten mit Sicherheit entscheiden. Auf letzteres gehen, scheint
es, Ausdrücke wie Eir. W. S. 116. 147. 157 that er sumra manna
1 S. T. E. Müller, Sagabibliothek I, 126, oder 94 (Lachmann), und Döring,
Bemerkungen über Stil und Typus der isländischen Saga, Leipzig 1877,
S. 16 f.
134
Heinzei.
sögn, eptir thvi, seni kaupmenn hafa sagt, Eyrb. S. 77. 83 that
er sumra manna sögn, ähnlich S. 67. 123, Fostbr. S. 24 svd segja
sumir menn, s. S. 36, Reykd. S. 283. 288 oh that segja menn,
S. 307 sumir menn segja, Vapnf. S. 8 sumra manna fräsögn.
Aber der Erzähler hält sich mitunter an einen andern Bericht.
Reykd. S. 307 , einige sagen so, andere so, aber hier wird
an der Fassung festgehalten' — (en hin fräsögn er her höfdh), —
S. 310 sumir segja svd sem her er sagt, dass Skutas Waffe eine
Axt war, scheint auch auf Auswahl unter mündlichen Berichten
zu deuten. S. auch S. 238 en frd thvi segja menn ymist, — er
that sögn sumra manna, —- oh er that theirra sögn, — en sumir
segja, — S. 278 sumir vilja that segja, — en sumir segja, —
S. 297 En frd Ufldti Thorgauts segja menn misjafnt; sumir segja,—
en sumir segja.
Aber Ausdrücke wie Band. S. 12 nü er frd thvi sagt,
Fostbr. S. 36 ehki höfum ver heyrdli getidh, Gisl. S. 47 nü er
sagt, Grettla C. 30, S. 72 (eigi er sagt), Hardk. S. 7 that er
sagt, Hav. S. 38 nü er eigi sagt, Laxd. C. 40, S. 162 that er
sagt eitt sinn, C. 71, S. 308 ei er gkvedhit, Njala C. 34, 35 enn
thvi er eigi frd sagt, Reykd. S. 317 svd er sagt, S. 291 Thorir,
er fyrr var frd sagt, at vö Askel 1 können auf kunstlose Mitthei
lung, wie auf litterarische Tradition gehen.
Jedesfalls auf litterarische, wenn auch nicht bestimmt auf
schriftliche 2 Tradition weisen einige Phrasen mit saga und frä
sögn, Dropl. S. 37, Thorvaldr — sagdhe sögu thessa, Bjarn. S. 3
der Autor will nichts von den Jugendstreitigkeiten Björns und
Thordhs erzählen, weil sie nicht zu dieser Saga gehören (at thaer
lieyra ehki til ihessarar sögu), Eyrb. S. "8. oh tliarf her ehki at
segja frd theirra manna landndtnum, er eigi koma vidh thessa
sögu, Gunnl. C. 1, S. 192 thau Thorsteinn dttu mart barna, en
thö koma fd vidh thessa sögu, C. 4, S. 203 Born Ingibjargar
ok Illuga vöru mörg, en fd koma vidh thessa sögu, Hardh. S. 4
die Brüder Grimkels, ok koma their ekki vidh thessa sögu,
Njala C. 1, 9 nü vikr sögunni vestr, 13, 1 their eru nemndir til
sögunnar, C. 19, 28 Ormr skögarnef var brödhir Gunnars lawi-
getinn, ok er hann ekki vidh thessa sögu, C. 20, 20 ok komu
1 S. Döring- S. 8. 9. 16.
2 S. Döring S. 19.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
135
their allir vidh thessa sögu, C. 25, 9 oJc er sd lengi vidh thessa
sögu, Reykd. S. 239 fdtt verdhr frd honum vel sagt i thessari
s'ögu, S. 242 er vidh thessa sögu koma at nokkru, S. 255 sd
madhr er nefndr til sögunnar, S. 282 sein enn man heyra mega
sidharr i sögunni, S. 288 sem enn md marka i thessum frd-
sögnum, S. 291 sem sagt er fyrr i Reykdaela sögunni, d. h. im
früheren Theil der Saga, Svarfd. S. 143 Thessa menn nefnum
ver til sögunnar, S. 182 ok er kann or sögunni fyrst, er er
scheint später wieder, S. 186.
Vgl. auch Njala C. 144, 87 en thö at hjer sje sagt frd
nökkurum atburdhum, ihd eru hinir thö miklu fleiri, er menn
hafa engar frdsagnir af und Vatnsd. S. 20, 31, Grvmr vardh
ok kynsaell ok kom mart göfugmenni frd honum, thött her se
eigi nefndir.
In dem Ausdruck, Jemand komme nicht mehr in der Saga
vor, er ör sögunni, bedeutet saga wohl die litterarische Form
des vorliegenden Stoffes. Beispiele s. Döring, Bemerkungen
S. 43, dazu Gluma S. 348, Ljosv. S. 47, Vapnf. S. 11; —
Svarfd. S. 182 heisst es: ok er hann ör sögunni fyrst, bis S. 186
nämlich.
Wenn es heisst, dass eine Person auch in anderen Sagas
vorkomme, — Finnb. S. 92, von Finnb. also zunächst Anspie
lung auf Vatnsd., — so liegt einem solchen Ausdruck jedesfalls
die Voraussetzung einer litterarischen Form dieser Erzählungen
zu Grunde. S. auch die Berufungen, Beziehungen auf benannte
Sagas, Eigla C. 78, S. 589 (Saga von König Hakon), Eir. N.
S. 459 (sem segir i sögu Eireks), Eyrb. S. 122 (Heidh., Laxd.),
Finnb. S. 76 (Saga von Gunnbjörn), Grettla C. 10, S. 15 (Laxd.),
C. 12, S. 20 (Saga von Bödhmodhr), C. 14, S. 22 (Band.),
C. 58, S. 132 (Bjarn., Hardh.), S. 97 (Alfgeirsthdttr), C. 62,
S. 146 (mikil saga von Grimr), Laxd. C. 67, S. 290 (Saga von
Thorgils, sem i sögu Thorgils segir), C. 69, S. 296 (Njardhv.
sem segir i sögu Njardhvikinga), Vatnsd. S. 75, 15 (Hallfr.),
Thorst. S. 170, 15 (Njala), S. 170, 25 (Brjanssaga). Der Plural
sögur ist weniger deutlich, Eyrb. S. 123 (ok eigi vita menn
neinar sögur af honum), Finnb. S. 92 (ok ero margar sogur frd
hverjum theira), Svarfd. S. 192 (margar eru sögur afVallaljöti). 1
1 S. Döring S. 21.
136
Heinzei.
Ebenso sind wohl zu deuten die Ausdrücke, ein Name
sei nicht überliefert: Eigla C. 83, S. 713 (ein Sclave, ok er
sd eigi nefndr), Heidh. 8. 339 (ein Knecht, hüskarl, kann er
eigi nefndr), Njardhv. S. 370 (die Begleiter Thidhrandis, sein
ei eru nefndir). — 8. auch Laxd. C. 19, 8. 68 (die dritte
Frau Höskulds, ok nefnum ver hana ei).
Aber sonst kann saga auch das Geschehene selbst be
deuten. Gisl. S. 9 Tliö dtte kann (Vesteinn) bu i Oenundarfirdlie,
undir Heste, thd er her var komit sögunni, Gluma S. 323 Ing-
jaldr var aldradhr mjök, er sagan gerdhist, Hardh. S 6 kann
var thd andadhr, er sjd saga gjördhist, S. 347 Thd var Hördhr
tölf vetra, er her var komit sögunni, Korm. C. 1, 8. 2 Haraldr
konungr hinn hdrfagri redh fyrir Noregi, thd er saga sjd gerdhist,
Vallal. S. 205 thd var hann d fertugs aldri, er her var komit
sögunni.
Sem ritadh var u. dgl. geht, wie es scheint, immer nur auf
die vorliegende Saga, Eigla C. 60 Anfang, Gullth. 8. 58, Laxd.
C. 10, S. 24 (wo die lateinische Uebersetzung den Text nicht
versteht), Njala C. 154, 47.
Zu Personen und Sachen.
Ueber psychologisch Unmögliches, über Wunderbares,
Zauberer, Hexen, verzauberte Dinge, s. oben 8.125.127.130.132.
Das Zuständliche erscheint fast immer in inniger Ver
bindung mit den Begebenheiten. Es kommen mit ganz ge
ringen Ausnahmen nur Personen vor, welche in den Begeben
heiten eine Rolle spielen. Es werden nur solche Sachen —
Thiere, Wetter, Local — erwähnt, welche in der Erzählung
Verwerthung finden, als Voraussetzungen, Bedingungen einer
Begebenheit. Wenn z. B. Gisl. S. 27 gesagt wird, dass der
Fussboden bei Thorgrimr mit Schilf bestreut war, so benutzt
Gisli S. 29 dieses Schilf, um zu sehen, ob Alle im Hause
schlafen, als er Thorgrimr ermorden will. S. Anordnung,
Cap. III. Allerdings genügt ein ganz geringer Anlass, um Per
sonen in die Erzählung einzuführen. S. Gunnl. C. 5, S. 209.
Thorfinnr und seine Söhne werden nur erwähnt, weil S. 214 f.
Thorsteinn dem ungestümen Gunnlaugr diese jungen Leute als
mögliche Bewerber um Helga entgegenhält.
Beschreibung der isländischen Saga I.
137
Meist werden Zustände wirklich als solche neben den
Begebenheiten dargestellt. Es sind Ausnahmen, wenn Eigla
C. 28 und 33 die Beschreibungen des Landstriches, welchen
Skallagrimr in Besitz nimmt, fast ganz in der Erzählung von
seiner und später Björns Ankunft in Island und seiner Aus
forschung des unbekannten Landes aufgehen, oder Eyrb. S. 93
das Bett der Thorgunna bei der Aufstellung desselben be
schrieben wird. 1
b. Von Vorgängen,
Auch hier sind Haupt- und Nebenbegebenheiten zu scheiden,
man könnte auch die Dreitheilung, welche bei den Personen an
gewendet wurde, beibehalten und Begebenheiten ersten Ranges
jene nennen, welche durch Umfang, Ausführlichkeit der Dar
stellung und Wichtigkeit ihrer Folgen die übrigen beträchtlich
überragen, z. B. jene, welche den Untergang des Helden herbei-
iiihrt, den gleichgültigen Vorgängen des täglichen Lebens den
dritten Rang anweisen, und alles, was in der Mitte liegt, als
Begebenheit zweiten Ranges bezeichnen.
HauptfoegebenheiLen und ihre Einzelacte.
Sie zerfallen in Handlungen und Zufälle.
Handlungen.
Es sind meist Conflicte des zielbewussten Willens zwischen
zwei oder mehreren Personen. Wir betrachten sie nach Ver
anlassung, Zusammenstoss (Mord, Kampf, Process) und Folge
(Rache, Aechtung).
Wenn wir hiebei die concreten Erscheinungen betrachten,
so ist einiges Typische nicht zu verkennen. Gewisse Vorstel
lungen kehren mit andern verbunden öfters wieder, besonders
wenn wir nicht nur die Handlungen ersten, sondern auch die
zweiten Ranges, die Episoden, berücksichtigen. — Wo mit
1 S. Döring S. 27.
138
Heinzei.
gleicher Veranlassung auch gleiche Form des Conflicts, Mord,
Kampf, Process, oder der Folge, Rache, Aechtung üb er ein stimmt,
so wird dies bei den Veranlassungen angeführt. Auswahl aus der
Ueberlieferung ist hier viel deutlicher, als bei den Personen.
Veranlassungen.
Die Confliete werden hervorgerufen durch Besitzstreitig
keiten, wobei es sich um Geld und Gut, eine Würde oder um
Weiber handeln kann, oder durch Beleidigungen, Schädigungen,
welche Rache erheischen.
1. Auswahl aus dem Leben.
1. Um Besitz, Geld und Gut handelt es sich besonders
in Band., Eigla, Eyrb., Gluma, Gullth., Hardh., Hrafnk., Haens.,
Vallal., Vapnf.
2. Um eine Würde in Band., Thorst.
3. Um Frauen in Bjarn., Gunnl., Hallfr., Korm., Laxd.
4. Um Rache für Beleidigungen, Schädigungen, Schimpf
und thätlichen Angriff, Blutrache in Dropl., Eigla, Eyrb., Finnb.,
Fostbr., Gisl., Gluma, Gullth., Grettla, Hav., Heidh., Hrafnk.,
Laxd., Ljosv. (auch in der Geschichte der zweiten Generation),
Njala, Njardhv., Reykd., Svarfd., Vallal. (besonders nach Hallis
Tod), Vapnf. (in der zweiten Generation), Vatnsd., Thorv.
Doch finden vielfach Mischungen statt, besonders in 1 und 4.
Im einzelnen betrachtet:
1. a) Jemand klagt einen andern eines Vergehens an,
nicht so sehr um Rache zu nehmen, als um sich zu bereichern,
Helgi in Dropl., Samr in Hrafnk., Mördhr in Njala, C. 8, 17,
Halli in Vallal. Helgi und Halli sind Advocaten von Beruf.
b) Strittige Aecker, Wiesen, Gluma S. 340 ff., Hav. S. 35,
Laxd. C. 75, S. 320.
c) Strittiger Wald, Eyrb. S. 55 ff., Njala C. 36.
d) Wiederholt dreht sich der Besitzstreit um einen Wal
fisch oder ein ähnliches Seethier, Eyrb., S. 107, Fostbr. S. 23,
Gluma S. 392, Grettla S. 61, Hav. S. 7.
2. Jemand überträgt einem Untex-geordneten seine Goden
würde für einige Zeit. Dieser will sie nicht zurückgeben, Con-
Beschreibung der isländischen Saga. I.
139
flict, Bedrohung', Tödtung des Unverschämten Band. S. 10 ff.,
Thorst. 169 ff. — Streit wegen der Godenwürde auch Dropl. S. 12.
3. a) Bestreben, ein Mädchen gegen den Willen ihrer
Angehörigen zu gewinnen. Floam. S. 121, 5, Svarfd. S. 151.
b) Liebesverhältniss zwischen Mann und Mädchen oder
Wittwe. Sie wird veranlasst, einen andern zu heirathen, aber
die Neigung dauert fort. Conflict und Kampf der Männer. Bjarn.
(Björn und Oddny), Eyrb. (Björn Breidhvikingakappi und
Thuridhr, Schwester des Goden Snorri), Gunnl. (Gunnlaugr
und Helga), Hallfr. (Hallfredhr und Kolfinna), Korm. (Kor-
makr und Steingerdhr, Laxd. (Kjartan und Gudhrun).
c) Verführung eines Mädchens. Eir. W., S. 115, Ljosv.,
S. 74, Njala C. 87.
d) Der Liebhaber will nicht heirathen, Fostbr. (Thormodhr),
Hallfr., Vatnsd. (Ingolfr).
e) Lieder auf die Geliebte gedichtet erregen Conflict, Hallfr.,
Korm., Vatnsd. — Dagegen missgönnen sich die zwei Geliebten
Thormodhs in Fostbr. die Ehre, von ihm besungen zu werden.
/) Ehebruch, Brautraub und Eifersucht des Mannes, s. oben
3, a). Dann auch Fostbr. S. 83, Gisl., Gluma S. 371, Grettla
C. 91 f., Gullth. S. 57 ff., Hav. S. 4 ff. (doch handelt es sich
hier nur um die Haushälterin), Reykd. S. 270. — Eifersucht
der Frau führt nur in Laxd. (Audhr) zu Conflict.
g) Die Frau wird von dem Geliebten, Entführer, betrogen,
gewaltthätig behandelt, beschimpft, Hallfr. S. 105, Korm. C. 20,
S. 192 f. (doch wird Kormakr nur verleumdet), Laxd., besonders
C. 47, S. 208, Reykd. S. 270.
h) Streit wegen einer Frau, um die jemand für einen
andern wirbt: Gluma S. 348 f., Reykd. S. 269 f.
4. a) Beleidigung des Ausländers, des Isländers in Nor
wegen, des Norwegers in Island, Gluma S. 324 ff., Ljosv. S. 22.
Vgl. Gunnl. C. 12, S. 265.
b) Streit bei Spiel, Ballspiel, Eigla, C. 40, S. 187, Gisl.
S. 26. 32, Grettla C. 15, S. 27.
c) Streit bei Pferdekampf, Bjarn. S. 46, Gluma S. 356.
366, Grettla C. 29, S. 69, Njala C. 58, Reykd. S. 298.
d) Aufrichtung einer Schandstange, Bjarn. S. 33, Eigla C. 60,
s - 389, Finnb. S. 64, Gisl. S. 6, Reykd. S. 305, Vatnsd. S. 56, —
Saxo Grammaticus I, 1, 5, 203.
140
Heinz el.
e) Spottgedichte, Bjarn. S. 31. 41, Gunnl., Grettla C. 21,
22 (vgl. C. 17), Korm. C. 17 fl'., C. 20, S. 192, Njala C. 44.
/) Streit wegen des zum Abtritt bestimmten Locals, Eyrb.
S. 11, Reykd. S. 305.
g) Beschuldigung des Diebstahls, Gluma S. 40, Laxd.
C. 46, Reykd. S. 235.
11) Ein geringer Mann zeigt sich bei einem Kaufhandel
dem vornehmen gegenüber störrisch, Haens. S. 137, Laxd.
(vielmehr Bollathattr) C. 84, S. 349, Njala C. 47, 65.
0 Rangstreitigkeiten der Frauen, Ljosv. (Thorlaug und
Geirlaug), Njala (Hallgerdhr und Bergthora).
k) Dem Sohne dünkt die Heirath der Mutter unpassend,
Dropl., Vallal.
2) Ein junger Mann wird unschuldig getödtet, Hav. (Olafr,
Havardhs Sohn), Heidh. (Hallr, Gudhmunds Sohn), Haens.
(Helgi, Arngrims Sohn, Haensathoris Pflegling), Njardhv. (Thi-
dhrandi, Geitis Sohn, Ketils Pflegling).
m) Die Misshandlungen, Mordthaten, Todtschläge, Haus
brände, zu welchen die Veranlassungen der Conflicte geführt
haben, s. das Folgende.
Zu 1, 2, 3, 4. Die Entzweiten waren Freunde, Fostbr.
(Thorgeirr und Thormodhr, Thorgeirr und Eyjolfr), Gisl. (Thor-
grimr, Gisli, Thorkeil, Vesteinn), Gluma (Arngrimr und Stein-
olfr), Gullth. (Thorir mit eilf anderen), Laxd. (Kjartan und
Bolli), Vapnf. (Bjarni und Thorkell), — Fostbr., Gisl., Gullth.
wird föstbraedhralag erwähnt.
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
Zu 1. a), 4. k). In Dropl. und Vallal. handelt es sich um
sittliche Vergehen, die den Kläger nicht unmittelbar angehen,
in Dropl. S. 14 ff. um Ehebruch mit einer Verwandten Helgis,
in Vallal. S. 208 ff. um Feiertagsheiligung. Die Kläger ver
schaffen sich dabei Geldvortheile. Die Aehnlichkeit wird
vermehrt dadurch, dass Helgi und Halli mit der zweiten Hei
rath ihrer Mutter unzufrieden sind und den Stiefvater in Vallal.
den Bräutigam der Mutter gewaltsam beseitigen, Dropl. 16 f.
Vallal. 203 f. 1 Aehnlich ist auch Ljosv. S. 47; Gudhmundr
1 Auch die Personsbeschreibungen haben einige Aehnlichkeit. Dropl. S. 7
Helgi var mikill madhr vexti ok vaenn ok sterkv, gledhimadhr ok hdvadha-
Beschreibung der isländischen Saga. I.
141
benutzt eine gesetzwidrige Handlung Thofdhs, um sicli für die
Beleidigung, welche dieser ihm S. 38 angethan, zu rächen.
Zu 3. ci). Feierliche Gelübde (heitstrenging) u. a. auch
eine bestimmte Frau zu erwerben, Floam. S. 121, 5, Svarfd.
S. 151. S. Helgakvidha Hjörvardhssonar vor Str. 31, oft in
Sagas, so Jomsvikinga saga S. 24 (ed. Cederschjöld).
Zu 3. b). Der Liebhaber ist Dichter, Bjarn., Eyrb. (Björn
Breidhvikingakappi S. 50. 51), Gunnl., Ilallfr., Korm., doch
Björn Breidhvikingakappi, wie es scheint, nicht von Beruf. —
Die Liebenden waren bereits verlobt, Bjarn., Gunnl., Korm.,
Laxd. — Ein Termin, bis zu welchem der Bräutigam die
Braut heirathen sollte, wird von diesem nicht eingehalten, Bjarn.,
Gunnl., Korm., Laxd. Er wird durch seine Kriegstliaten daran
gehindert, Bjarn., Laxd. — Unterdessen benutzt ein Anderer
die Abwesenheit des Bräutigams, um die Braut für sich zu
gewinnen, Bjarn., Gunnl., Laxd. (Bolli). Dieser Nebenbuhler
ist auch Dichter und auch als solcher Rival des Helden, Bjarn.
(Thordhr), Gunnl. (Hrafn.), er ist mit diesem an fremden
Höfen beisammen, Bjarn., Gunnl., Laxd. -— Er erreicht sein
Ziel durch Lügen, dass der Bräutigam todt oder untreu sei,
Bjarn., Laxd. — Der Gatte ist Dichter, Bjarn. (Thordhr.),
Gunnl. (Hrafn.), Korm. (Bersi, doch nicht von Beruf, Thor-
valdr.). — Die Ehe ist nicht glücklich, Bjarn., Eyrb., Gunnl.,
Korm. — Das Liebesverhältniss wird fortgesetzt, Bjarn., Eyrb.,
Gunnl., Korm., — ein Sohn der Geliebten ist zweifelhafter
Abstammung, Bjarn., Eyrb., — was Anlass zu Spottgedichten
gibt, Bjarn S. 26 f., Eyrb. S. 71. — Der Liebhaber rächt sich
durch Beschimpfung des Gatten, Bjarn., Gunnl., Hallfr., Laxd.,
der Geliebten, Hallfr., Laxd. — Es kommt zum Waffen
kampf, Bjarn., Eyrb., Gunnl., Korm., Laxd., — in Hallfr. wird
er verhindert, — Holmgang, Gunnl., Korm. Der Liebhaber fällt
und wird gerächt, Bjarn., Gunnl., Laxd. — Er verlässt das
Land, Eyrb., Korm. — Die Geliebte stirbt krank und be
kümmert, Bjarn., Gunnl. — S. auch den Thattr vom Dichter
ivarr bei Vigfusson, Icelandie Reader S. 144 ff., ganz derselbe
Typus, nur ist der falsche Freund Bruder des Helden.
snnir, kamt vildi ekki um bunat hugsa; vigr vnr kann manna best. —
Vallal. S. 201 Haiti vor gledhimadhr inildll ok Vögvmdhr, hdvadhamadhr
hinn mesti.
142
FI e i n z e 1.
Besonders Bjarn. und Gunnl. stehen sieh so nahe, dass
man mit grösster Wahrscheinlichkeit die Existenz eines litte-
rarischen Typus des Liebesromanes annehmen kann, — von
etwas anderer aber ähnlicher Form wie der von Fridthiofr und
Ingibjörg, der sich in der Viglundar saga wiederholt (sogar
die Versuchung, den vermeintlichen alten Nebenbuhler im
Schlafe zu tödten, findet sich in Vigl. S. 86 ed. Vigfusson hinter
Bardharsaga Nord. Oldskr. 1860). Allerdings ist auch das
Schicksal des Menschen eines Landes, eines Standes, einer
Zeit typisch, aber eine Uebereinstimmung wie Bjarn., Gunnl.
widerstreitet der Erfahrung. 1
Zu 3. e). Ein Mann verführt in Norwegen eine Jungfrau,
schändet und verbrennt einen Tempel und entflieht vor dem
Zorn des Königs aus dem Lande, Njala. C. 87, 6 ff. (Hrappr),
Fridhthjofstypus? 2
Zu 3. /). Liebesverhältniss mit einer verheiratheten Frau;
sie schwört einen Reinigun'gseid ganz mit denselben Umständen,
wie in den französischen und deutschen Tristangedichten, Grettla
C. 91 f., S. 199 ff. (Thoi-steinn, Grettis Bruder, mit Spes in
Konstantinopel).
Zu 3. g). Der Liebhaber stellt sich todt, um die Hand
der Geliebten zu erhalten Svarfd. S. 155. Novellenmotiv?
Zu 4. a). Ein Norweger wird in Island schlecht angesehen,
ein Isländer in Norwegen, beide gewinnen sich schliesslich die
Achtung der Fremden, Gliuna S. 324, Ljosv. S. 22.
Zu 4. /(.). Ein geringerer Mann will störrischer Weise
einem vornehmen sein Heu nicht verkaufen, Haens. S. 137 fl.,
Laxd. (vielmehr Bolla thattr C. 84, S. 349, Njala C. 47, 65 fl.
1 Auch die Personsbeschreibungen Gunnlaugs und Halfredhs sind sich
ausserordentlich ähnlich. Gunnl. C. 4, S. 203 Svd er sagt frd Gunnlatigi,
at kann var memmendis brddhgjörr, mikill ok sterkr, Ijosjarpr d lidr ok
for allvel, svarteygr ok nokkut nefljotr, ok skapfelligr i andliti, midhmjorr
ok herdhimikill, kominn d sik allra manna bezt, hdvadliamadhr mikill i
öllu skaplyndi, ok framgjarn snemmendis, ok vidli allt uvaeginn ok hardhr,
ok skdld mikit, ok lieldr nidhskdrr ok kalladhr Gunnlaugr ormstunga. —
Hallfr. S. 86, 5 Hann (HaUfredhr) var snemma mikill ok sterkr, karl-
mannligr ok skolbrunn nokkut ok heldr nefljotr, jarpr d hdr ok for vel, skdld
var liann gott, ok heldr mdhskdrr ok margbreytinn, elclci var kann vinsaell
2 S. Floam. S. 124, 16: öziirr — ok vd vig i v&um d Upplöndum, thä ex
kann var l bimdliferdh medh Sigurdhi lirisa.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
143
Zu 4. i). Bei einem Gastmahl gerathen zwei Frauen in
einen Rangstreit (welcher zuerst Waschwasser gereicht werden
soll, oh eine einer dritten den Platz zu räumen habe), und die
eine äussert sich verächtlich über den Mann der andern, Ljosv.
(Thorlaug, Gudhmunds Frau, mit Geirlaug, Thoris Frau), Njala
(Bergthora, Njals Frau, mit Hallgerdhr, Gunnars Frau). Vgl. •
Gudhrun und Brynhildr.
Zu 4. I). Es ist ein hoffnungsvoller Jüngling, Hav., Haens.,
Hrafnk., Haens., Njardhv. — Er versieht, als Sohn eines ge
ringen Mannes, Dienste des Schafhirten hei dem Goden, der
ihn in übermüthiger Weise tödtet, Hav., Hrafnk. — Ohnmäch
tige Verzweiflung des Vaters. Hav., Heidb., Hrafnk. — Der
Vater singt ein Trauerlied und legt sich zu Bett, Hav. S. 14,
Ileidh. (V. St.) S. 314. In Hav. ist er lange krank, in Heidh.
stirbt er. S. unten S. 155. 156. — Der Ziehknabe wird von
einem Manne, der soeben aus Norwegen angekommen und in
einen fremden Conflict verwickelt wurde, getödtet, Haens.,
Njardhv.
Zusammenstoss der Gegner.
Die erwähnten Veranlassungen führen 1. zu Misshand
lung oder Ermordung des Gegners, 2. zu einem Kampf, 3. zu
einem Process, bei dem dann Aechtung ausgesprochen werden
kann, die wieder zu Kampf führt.
1. Ermordung.
1. Auswahl aus dem Leben.
a) Ein Kundschafter wird ohne oder mit einem gleich
gültigen Auftrag ins Haus des Gegners geschickt, Eyrb. S. 79.
Gisl. S. 21. 23, Vatnsd. S. 84, oder er findet als Spion im
Hause desselben Aufnahme, Ljosv. S. 59, Reykd. S. 318.
b) Tödtung des Ungewarnten ohne Kampf, Band. S. 42,
144
Hei nzel.
cl) Der Mordanschlag wird durch einen Sclaven ausgeübt
oder versucht, Bjarn. S. 45. 47, Dropl. S. 16, Eyrb. S. 54. 77,
Floam. S. 140, 25. 158, 34, Fostbr. S. 37 f. oder durch einen
bestochenen armen Mann, Reykd. S. 291. 295, Vatnsd. 62, 10.
63, 10.
e) Statt des Feindes wird ein unschuldiger Verwandter
oder Bezirksgenosse getödtet, Eigla C. 60, S. 387 (Rögnvaldr,
Sohn des Königs Erich), Gunnl. C. 13, S. 273, Ileidh. S. 313.
S. unten S. 146.
/) Hausbrand, Gullth. S. 74, Hardh. S. 65. 91, Haens,,
Ljosv., Njala, Thorst.
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
Zu b). Dem Gegner werden nasse Ochsenhäute aufge
breitet, damit er falle und so leicht niedergemacht werden
könne, Eyrb. S. 48, Heidh. (V. St.) S. 287. S. Thidhreksaga
C. 379, die altdänischen Heldenlieder (W. Grimm S. 6), die
faeröischen Lieder. Auch in der hvenischen Chronik findet
sich dieser Zug.
Zu b). Jemand erzählt von einer Mordthat, an der er selbst
betheiligt war, und wird dabei von einem Freund (Verwand
ten) des Getödteten erschlagen, Njala C. 155, 6 ff. (Gunnarr
von Kari, Njals Schwiegersohn), Fosthr. S. 87 f. (Thorgrimr
von Thormodhr, Thorgeirs Fostbruder), Grettla C. 89, S. 194
(Ongull von Thorsteinn, Grettis Bruder). S. auch Sturlunga
IX, 54, Vigfusson II, 249. 1
Zu 6). Der eine tödtet den andern, bereut es auf der
Stelle und legt das Haupt des Sterbenden auf seinen Schooss,
Vapnf. C. 21, s. unten S. 146.
Zu 5). Der Mörder wischt die Waffe an dem Kleid eines
Verwandten des Ermordeten ab, Svarfd. S. 181; s. unten S. 147.
Zu c). Mann und Frau schlafen des Nachts in ihrem
Bette. Der Mörder hat sich eingeschlichen und berührt einen
der Ehegatten mit der Hand, worauf dieser in der Meinung,
es sei der andere, fragt: ,Warum ist deine Hand so kalt?' Der
Mörder zieht die Bettdecke weg, weckt den Mann und durch-
1 S. Jessen, Sybels Zt. 28, 100.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
145
bohrt ihn. Darauf ruft der Getroffene oder die Frau: ; Wacht
auf, ihr Männer im Hause, man tödtet mich', oder ,er ist er
schlagen'. Dropl. S. 29 f., Gisl. S. 29.
Zu c). Der Mörder verräth sich durch ein Lied; Dropl.
S. 31, Gisl. S. 33; s. unten S. 147.
Zu /). Das Feuer wird mit Molke gelöscht, Gisl. S. 7,
Njala C. 129, 8.
Zu /). Die Hausfrau weigert sich, das Anerbieten des
Feindes, aus dem brennenden oder von Feuer bedrohten Hause
zu gehen, anzunehmen, Hardh. S. 91, Ljosv. S. 66, Njala C. 129,
67. — In Hardh. und Ljosv. ist der Feind ein Verwandter. —
Vgl. Völsunga saga C. 8.
Zu /) und h). Jemand sagt, es sei unräthlich, im Hause
zu bleiben und getödtet zu werden, wie der Fuchs im Bau,
Njala C. 128, 35 (Skarphedhinn), Thorst. S. 175, 8 (Helgi),
Vallal. S. 221 (Vallaljotr). — In Njala, Thorst. handelt es sich
um Hausbrand, Njala: ek em ok thess ufüss at lata svaela mih
inni sem melrakka i greni, — Thorst. illr daudhi thykki mer at
brenna inni sem melrakkar.
2. Kampf.
Es werden hier auch die Kämpfe verwerthet, welche nach
der durch den Process herbeigeführten Aechtung stattfinden.
1. Auswahl aus dem Leben.
a) Zweikampf sehr oft, s. Eigla (C. 68, S. 500), Finnb.,
Gluma, Grettla, Gunnl., Hallfr., Korm., Reykd. (S. 234), Vallal.,
Thorv.
b) Ueberfall mit grosser Ueberraacht, Bjarn. (Björns Tod),
Eyrb. (Arnkels Tod), Finnb. (Brands Angriff auf Finnbogi),
Hav. (Olafs Tod), Hrafnk. (Eyvinds Tod), Laxd. (Kjartans,
Bollis Tod), Ljosv. (Thorkeils Tod), Njala (Gunnarrs Tod),
Reykd. (Skutas Tod), Svarfd. (Klaufis Tod).
c) Kämpfe mehrerer auf beiden Seiten sehr oft, Dropl.,
Eigla, Eyrb., Finnb., Fostbr., Gluma, Gullth., Hav., Hrafnk.,
Laxd., Njala, Reykd., Svarfd., Vapnf.
d) Kampf, Schlacht auf oder vor dem Thing, Eyrb. S. 104,
Gluma S. 395, Haens. S. 172, Njala C. 145.
e) Feldschlacht, Heidh.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft.
10
146
Heinz el.
2. Auswahl aus cler Ueberlieferung.
Zu a). Der Zweikampf hat die alterthümliche Form des
Holmgangs oder soll sie haben, Eigla C. 68, S. 504, Fiimb.
(Finnbogi und Jökull), Gisl. S. 6, Gunnl. (Gunnlaugr und
Hrafn.), Korm. (Kormakr und Bersi, Kormakr und Thorvaldr),
Ljosv. (Gudhmundr und Thorir), Njala (Hrutr und Mördhr).
Zu a). Dem Gegner wird im Kampf die Kehle durch
gebissen, Eigla C. 68, S. 508, Finnb. S. 52. 58, Hardh. S. 114,
Hav. S. 48. — S. Saxo Grammaticus I, 1, 6, 309.
Zu a). Ein flacher Stein wird als Rüstung benutzt, Vapnf.
S. 4; s. unten S. 154.
Zu b). Der Eine tödtet den Andern, bereut es auf der
Stelle und legt das Haupt des Sterbenden auf seinen Schooss,
Laxd. C. 49, S. 222; s. oben S. 144.
Zu b). Der Getödtete ist ein unschuldiger Verwandter
des Feindes, Hrafnk. S. 40, Vallal. S. 220; s. oben S. 144.
Zu b). Der Mörder wischt die Waffe am Kleid eines
Verwandten des Ermordeten ab, Laxd. C. 55, S. 244. S. oben
S. 144.
Zu b). Jemand entzieht sich seinem Gegner durch Be
nutzung eines Mantels, der auf einer Seite schwarz, auf der
andern weiss ist, Fostbr. S. 87, Reykd. S. 309 f. (= Gluma
S. 361 f.).
Zu b). Ein wachsamer Hund wird vor der Ermordung
des Herrn getödtet, Njala C. 76, 24, Reykd. (s. Vigfusson,
Sturlunga I, S. LVII f.).
Zu c). Ein starker Sklave wehrt mit der Mistgabel den
Angriff des Gegners auf seinen Herrn oder dessen Verwandte
ab. Der Gegner zieht sich aus Furcht vor Beschädigung sowol
als vor dem Schimpf, von einem Sclaven geschlagen zu werden,
zurück. Finnb. S. 60; s. Olafs Saga Tr., Fornmanna sögur
X, 222.*
Zu c). Ein alter Mann wird zum Kampfe gerufen, als
er sich in Gesellschaft seiner Frau gerade den Kopf wäscht
oder von ihr w r asclien lässt, aber noch nicht fertig ist, Heidb.
S. 333, Ljosv. S. 84.
S. Gering, S. XXXIX Anm.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
•147
Zu c). Jemand bleibt hinter seinen Gefährten zurück,
um an seiner Kleidung- etwas zu ordnen, und hat dadurch
Veranlassung, den Kampf allein zu bestehen, Njala C. 92, 94
(Skarphedhinn). S. unten S. 154.
Zu c). Der Kampf wird durch Tücher beendet, welche
man auf die Waffen wirft, Eyrh. S. 23, Hallfr. S. 102, 7,
Vapnf. S. 28, Vatnsd. S. 73, 4. — Eyrh., Vapnf. thun es Weiber.
S. unten S. 154.
Zu c. Der Feind zeigt sich im Kampfe versöhnlich.
Nachträglich kommt heraus, dass er die seinem Gegner zu
Hilfe eilenden Freunde bemerkt hat, Eyrh. S. 83, 12 (Snorri),
Finnb. S. 89 (Brandr.).
Zu c). Der Mörder verräth sich durch ein Lied, Gluma
S. 384; s. oben S. 145.
Zu c) und et). Thorgeirr erschlägt Butraldi heim Ab
fahren über einen Schneehügel, Fostbr. S. 22, Skarphedhinn
Thrainn auf dem Eise dahin gleitend, Njala C. 92, 106 ff.
Zu c) und h). Der Angegriffene hat ein schlechtes Schwert,
Dropl. S. 24, Eyrb. S. 82, Laxd. C. 49, S. 223, es muss im
Kampfe gerade gebogen werden.
Zu c) und b). Ein auch sonst milde gesinnter alter
Mann, der als Gode grosses Ansehen geniesst, wird tödtlich
verwundet. Er verheimlicht die Gefährlichkeit seiner Wunde,
um Conflict zwischen seinen Söhnen und dem Mörder zu ver
meiden. Er stirbt und wird von seinen Söhnen gerächt. Reykd.
S. 279 ff. (Askell), Vatnsd. S. 37 ff. (Ingimundr).
3. Process.
1. Auswahl aus dem Lehen.
a) Rechtsgeschäfte, Gerichtsverhandlungen, Sühnen, Ver-
urtheilungen, Aechtungen sind sehr häufig, Band., Bjarn. S. 69,
Dropl. S. 12. 17, Eigla C. 57, Eyrh. S. 37. 39. 103, Fostbr.
S. 91, Gisl. S. 39, Gluma S. 388, Grettla C. 46. 73, Hardh.
S. 66, Hav. S. 8. 18. 49, Heidh. S. 379. 386, Hrafnk. S. 25,
Haens. S. 154. 155 ff. 172, Laxd. C. 18. 59, Laxd. (Bolla
Thattr.) C. 84. 86, Njala, bes. C. 73 f., 97. 99. 119 ff. 139 ff.,
Njardhv. S. 382, Valial. S. 210, Vatnsd. S. 53, Thorst. S. 172 ff.
10*
148
Heinzei.
b) Bei Rechtsgeschäften linden Bestechungen, Ueberlistun-
gen, Rechtschikanen statt. (Band., Dropl. S. 12, Gluma S. 388,
Grettla C. 73, Heidh. S. 379, Haens. S. 154. 172, Njala z. B.
C. 65, 33. 97, 49, Vallal. S. 210. — S. auch Ölkofra thattr.
c) Hinterlistige oder abgelockte Eide und Versprechungen,
Gluvna S. 388, Grettla C. 73, Herdh. S. 379, Haens. S. 156 ff.,
Laxd. C. 59 f., S. 258 ff.
cl) Hohnreden beim Thing, Band. S. 33 ff., Njala C. 119 f. —
S. Ölkofra thattr.
e) Kampf auf oder vor dem Thing, s. oben S. 145.
f) Leben des Geächteten, Dropl. (Helgi), Fostbr. (Thor-
modhr), Gisl., Grettla, Hardh., Njardhv. — Der Geächtete wird
Räuber, Grettla, Hardh.
g) Listige Rettung des wegen Blutschuld verfolgten, Dropl.
(Grimr.), Fostbr. (Thormodhr), Gisl., Ljosv. (Eylifr), Njardhv.
(Gunnarr).
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
Zu a). Alterthiimliche Rechtsformeln und Rechtsgebräuche,
Eigla C. 57, Gluma S. 388, Grettla C. 73, Heidh. S. 379, Haens.
S. 154, Laxd. C. 18, Njala C. 73. 97. 141 ff., Vatnsd. S. 53.
Zu a). Ausweg aus einer rechtlich schwierigen Lage durch
Anerbietung des Holmgangs, Ljosv. S. 54, Njala C. 8, 24.
Zu a). Durch eine Heirath, Band. S. 29, Haens. S. 161.
180, Ljosv. S. 32.
Zu a). Für den Erschlagenen wird eine Holmbusse ange-
boten, Hav. S. 15 (ein schlechtes Pferd), Heidh. (V. St.) S. 298
(ein schlechter Widder), S. 317 (ein in England dem Mörder
gestohlener Beutel Geldes).
Zu a). Der alte Vater springt seinem Sohne, mit dem er
zerfallen ist, in einer schwierigen Rechtssache bei, Band. (Ufeigr),
Eigla C. 85 (Egill).
Zu a). Der alte, hinfällige Vater erlangt bei Vertheidigung
seines Sohnes die Gesundheit wieder, Band (Ufeigr), Hav.
Zu n). Zwei wollen einen zu einem Rechtsgeschäft be
reden, sie führen ihn aus dem Hause zu einer Bank und nehmen
ihn so zwischen sich, dass sie auf seine Kleider zu sitzen
kommen, Haens. S. 158 f., Laxd. C. 75, S. 322.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
149
Zu a). Jemand wird veranlasst, sich bei dem Processe
zwischen zwei Gegnern auf die Seite des einen zu schlagen;
findet aber während eines Unwetters bei dem andern so freund
liche Aufnahme, dass er seinen Parteistandpunkt aufgibt, Bjarn.
8. 51 ff., Vapnf. S. 11.
Zu/). Der Geächtete entflieht schwimmend lind verbirgt
sich im Tang, Fostbr. S. 103, Njardhv. S. 378.
Zu /). Eine Frau schlägt den für die Auslieferung des
Verfolgten angebotenen Geldbeutel dem Verfolger ins Gesicht,
Gisl. S. 62 f., Laxd. C. 15, S. 48.
Zu g) und zu ,Kampf' b). Njardhv. S. 375: Thorkell will
Gunnarr tödten, der bei Eyjolfr und dessen Bruder versteckt
ist. Um Thorkell zum Verrath zu bewegen, gibt Thorkeil vor,
er habe dessen Bruder getödtet. Aelmlich sagt Karl, Svarfd.
S. 168, zu Ingöldr, er habe bereits einen ihrer Brüder getödtet,
welche bei ihr versteckt sind. In beiden Fällen tödtet der Ver
folger ein Thier, um durch dessen verhüllte Gestalt oder ein
mit Blut bespritztes Kleid seiner Angabe Glauben zu ver
schaffen.
Zu den Conflicten.
Oefters wird der Conflict oder sein unglücklicher Aus
gang gerade durch das hervorgerufen, was ihn verhindern sollte,
oder überhaupt in kluger Absicht unternommen war, oder, was
dem Opfer des Conflicts als ein Vortheil erscheint, — tragische
Ironie. Band. S. 14: Vali wird von Uspakr getödtet, den er
retten wollte. — Haens. S. 147: Thorir hat auf der Fahrt zu
Blundketill absichtlich nicht viel Leute bei sich, nur Vidhfari
und Helgi. Aber gerade Helgi findet bei Blundketill seinen
Tod, was den Ausbruch des Conflicts veranlasst. — S. 153:
Blundketill dankt Örn, der Helgi getödtet hat, für seinen Bei
stand. Aber diese Blutthat führt sofort den Untergang Blund-
ketills herbei. — Besonders Njala ist reich an solchen Zügen.
Njals weise Rathschläge bringen ihm und den Seinen Verderben.
C. 34: Er vermittelt die Heirath zwischen Thrainn und Hall-
gerdhs Tochter. Dadurch wird Thrainn dem Einfluss der bösen
Hallgerdhr zugänglich, was den Conflict zwischen ihm und den
Söhnen Njals herbeiführt. — C. 94: Die Adoption Höskulds,
des Sohnes Thrainns, durch Njall und die Erwirkung des
150
Heinzei.
Godenamts für diesen, führt zum Conflict zwischen Höskulds und
den Söhnen Njals. — C. 123: Njals Zugabe zu der bestimmten
Busse veranlasst den Conflict zwischen Fiosi und Skarphe-
dhinn. — C. 128: Njals Rath, sich vor den Mordbrennern ins
Haus zurückzuziehen, ist verderblich. — Dagegen sind die an
scheinend so gefährlichen Hohnworte Skarphedhins beim Bitt
gang auf dem Thing nützlich, C. 120.
In diesen Conflicten versucht entweder der Held seinen
Willen gegen den Widerstand anderer Personen durchzusetzen
oder er hat sich gegen den Willen anderer zu wehren. Ersteres
ist häufiger. Bjarn., Dropl., Eigla, Eyrb., Fostbr., Gisl., Gluma,
Gullth., Gunnl., Hallfr., Hardh.,' ITav., Heidh., Hrafnk., Haens.,
Korm., Laxd. (Kjartan), Ljosv., Njala (Gunnars spätere Schick
sale, die Njalssöhne, Fiosi, Kari), Reykd. (bes. Viga-Skuta),
Svarfd., Vapnf., Vatnsd. (die Söhne Ingimunds), Thorv.
Dem zweiten Typus gehören an: Band., Finnb., Hrafnk.,
Njala (Gunnarr, Njall), Njardhv., Vallal., Vatnsd. (Ingimundij,
Thorst. Diese nähern sich den Schicksalsromanen, wie Eil'.,
Floam., Grettla.
Mischungen sind natürlich häufig; Hrafnk. (Hrafnkell erst
passiv, dann activ), besonders in Njala.
Nach grossem Aufgebot an Kraft und Schlauheit geht der
Held entweder als Sieger davon, wie Band, Eigla, Eyrb., Finnb.,
Hav., Hrafnk., Ljosv., — oder es gelingt ihm doch Leben und
Ehre zu retten: Fostbr. (Thormodhr), Gluma, Hallfr., Heidh.
(Bardhi), Njardhv., Vallal., Vapnf. (Thorkeil undBjarni), Thorv.,—
oder er findet seinen Untergang: Bjarn., Dropl. (Grimr und
Helgi), Fostbr. (Thorgeirr), Gisl., Grettla, Gunnl., Hardh., Heidh.
(VigaStyrr), Haens. (Blundketill), Korm. (ist etwas abweichend;
Kormakr resigniert und sein Tod in der Schlacht ist nicht
unmittelbar durch den Conflict veranlasst), Laxd. (Kjartan,
Bolli), Njala (Gunnarr, Njall), Reykd. (Viga-Skuta), Svarfd.
(Klaufi, Karl der Rothe), Vapnf. (Broddhelgi und Geitir), Vatnsd.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
151
(Ingimundr, Ingolfr), Thorst., — worauf dann Rache oder Strafe
folgt: Bjarn., Dropl., Fostbr., Gisl., Gunnl., Hardh., Heidh.,
Haens., Laxd., Njala, Reykd., Svarfd., Vapnf., Vatnsd., Thorst.,
welche dann selbst zum Theil wieder Vergleich fordert; Heidh.,
Haens., Njala, Svarfd., Vapnf.
Zufälle.
Abseits stehen Eir. N. W. und Floam., in denen die
Helden mehr leidend als handelnd erscheinen und hauptsächlich
Abenteuer und Kämpfe mit Naturgewalten zu bestehen haben.
Sie zeigen glücklichen Ausgang, aber auch in Grettla, welche
mit dem Untergang des Helden endigt, beruht der verhäng-
nissvolle Conflict auf einen Zufall, einem Jrrthume; er wird
fälschlich, aber in gutem Glauben beschuldigt und verurtheilt.
Alle diese Sagas gehören, wenigstens in der uns vorliegenden
Gestalt, späterer Zeit an.
Daneben aber spielt der Zufall, oder was dem Privat
leben so erscheint, nur nicht als Begebenheit ersten Ranges,
in sehr vielen der früher besprochenen Sagas, seine Rolle.
Meist haben zufällige Begegnungen mit natürlichen und über
natürlichen Mächten auch die Form eines Conflicts.
So in Bjarn. (Kriegsthaten), Dropl. (Ketill und Grimr,
also Vor- und Nachgeschichte), Eigla (Egils Verhältniss zum
norwegischen Hofe, seine Kriegszüge, sein Sohn Bödhvarr er
trinkt), Eyrb. (die Gespenster- und Hexengeschichten), Finnb.
seine Kämpfe mit Thieren und Räubern), Fostbr. (Hexenge
schichten, Thormodlis und Thorgeirs Kriegszüge), Gluma (Aben
teuer Glums und besonders seines Vaters in Norwegen), Grettla
(Kämpfe mit Berserkern, Thieren, Gespenstern), Gullth. (Schatz
finden, Tod Gudhmunds), Gunnl. (Schicksale an fremden Höfen),
Hallfr. (Schicksale an fremden Höfen, Kampf mit Räubern),
Hardk. (Schatzfinden, Hexengeschichten), Hav. (Gespenster
geschichte), Heidh. (Vigastyrs Conflict mit den Berserkern,
der auch in Eyrb.), Korm. (die Kriegszüge Kormaks am
Schluss), Laxd. (die Reisen und Abenteuer Höskulds, Olafs,
Kjartans, Bollis, — Thordhr und Thorkeil, der zweite und
vierte Mann Gudhruns ertrinken), Njala (Hruts und Gun-
nars Abenteuer in Norwegen und Dänemark, die Episode von
152
Heinzei.
Hrappr, durch welche Njals Söhne zufällig zu Schaden kommen,
die Einführung- des Christenthums, die Brjausschlacht und sonst
vieles am Schluss der Saga), Svarfd. (Kriegszüge, Gespenster),
Vatnsd. (Thorsteins Abenteuer mit dem Räuber, Ingimunds
Kriegszüge, Zauber- und Hexengeschichten, Thorst. (Brjans-
schlacht).
Auch der Tod des Helden kann bei glücklichem Ausgang
des Conflictes durch einen Zufall erfolgen, Dropl. (Grimr),
Fostbr. (Thormodhr), Thorst., — selbst bei unglücklichem, Korm.
Am wenigsten Zufälliges zeigen, wenn wir von den Vor-
und Nachgeschichten absehen, Band., Dropl., Gisl., Heidh.,
Hrafnk., Haens., Ljosv., Njardhv., Reykd.. Vallal., Vapnf.,
Thorst., Thorv. -— Im Ganzen kann man sagen, dass Vorliebe
für derartige zufällige Ereignisse den jüngeren Sagas eigen ist.
Andrerseits fehlt es nicht an wirklichen Conflicten in
Sagas, deren Hauptbegebenheit durch den Zufall veranlasst ist,
Eir. N. W. (die Geschichte Eiriks vor seiner Grönlandsfahrt),
Floam. (die Conflicte, welche Thorgils als älterer Mann in
Island hat), Grettla (C. 21 f. 29 f. 48).
1. Auswahl aus dem Leben.
а) Zufälle der Geburt, Abstammung, Kindheit, Knaben
streiche: Bjarn., Finnb., Grettla, Gunnl. (Helga), Hardh. (Thor-
björg), Laxd. (Olafr), Ljosv. (Gudhmundr), Vatnsd. (Thorkell).
б) Abenteuer zur See, Entdeckungsreisen, bes. Eir. N. W.,
Floam., aber auch sonst oft, so Njala C. 81 ff.
c) Kriegszüge, Vikingsfahrten, Verfeindung mit dem König
Tributeinfordern, Frauenraub im Kriege: Bjarn., Eigla, Floam.,
Fostbr., Hallfr., Heidh. (S. 394), Korm., Njala (Gunnarr, Kari
und die Söhne Njals), Vatnsd. (Ingimundr), Thorst. — Grosse
Schlachten: Eir. N. W. (mit Eskimos), Eigla (Vinheide), Fostbr.
(Stiklastadhir), Njala (Brjansschlacht), Vatnsd. (Hafrsfjördhr),
Thorst. (Brjansschlacht).
d) Kämpfe mit Räubern, Seeräubern: Eigla, Eyrb., Finnb.,
Floam., Grettla, Hallfr., Korm., Svarfd., Vatnsd.
e) Kämpfe mit Berserkern oder Holmgängern: Bjarn.,
Dropl., Eigl., Floam., Gisl., Gluma, Grettla, Reykd., Svarfd.
f) Kämpfe mit Thieren, besonders Stieren und Bären,
und andere Kraftproben: Eigla, Finnb., Gluma, Grettla.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
153
g) Krankheiten: Gunnl. C. 6, S. 218 (Fussgescliwür),
C. 10, S. 246 (verrenkter Fuss), Hrafnk. S. 21 (Fussgesckwür),
Haens. S. 171, Njala C. 132, 58. 135, 39 (Fussgeschwür).
h) Zufälliger Tod, durch Ertrinken, in der Schlacht:
Eigla (Thorolfr, Bödhvarr), Gullth. (Gudhmundr), Laxd.
(Thordhr, Thorkeil).
i) Ein Isländer kommt an fremde Höfe und steht in in
timer, aber auch feindlicher Beziehung zu dem Fürsten: Bjarn.,
Eigla, Finnb., Fostbr., Grettla, Gunnl., Hallfr., Hardh., Heidh.
(Yermundr, Bardhi), Korm., Laxd. (Höskuldr, Olafr, Kjartan,
Bolli, Thorkell), Njala (Hrutr, Gunnarr, Thrainn, Kari), Vatnsd.
(Ingimundr). — Auch in Ljosv. S. 6 schickt Hakon Jarl dem
Gudhmundr und Thorgeirr Geschenke.
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
a. Literarische Ueberlieferung.
Zu a). Ein von dem Vater oder Oheim ausgesetztes Kind
wird gerettet und später von seinem Vater anerkannt, Finnb.
S. 5 ff. (Finnbogi), Gunnl. G. 3, S. 198 (Helga), Hardh. S. 19
(Thorbjörg), Vatnsd. S. 60, 3 ff. (Thorkeil). — Das Kind ist so
ausserordentlich schön, dass es gerettet, anerkannt wird, Finnb.,
Gunnl. — Das ausgesetzte Kind wird von ganz armen Leuten
aufgezogen, Finnb., Hardh. — Vgl. Aslang in Völsungasaga,
die zwar nicht ausgesetzt wird, aber als dreijähriges Kind nach
der Ermordung ihres Pflegevaters Heimir hilflos in der Harfe
zurückbleibt und bei Aki und Grima aufwächst. — Die armen
und hässlichen Pflegeeltern geben das schöne Kind trotz der
Unwahrscheinlichkeit für ihr eigenes an. Die Frau will es so,
und sie führt das Regiment. Die letzteren Züge erinnern sehr
an Finnb. — Das ausgesetzte (elternlose) Mädchen wird von
einem Spielmann herumgeführt (Hardh. Völsungasaga).
Zu o). Ein Mann säugt ein Kind, Floam. S. 145, 4 (Thor-
gils). — S. Grimm, Kinder- und Hausmärchen Nr. 90. 92 (von
Riesen), Gaster, Germania Bd. 25, 289.
Zu a). Der uneheliche Sohn einer keltischen Princessin,
ein schöner, liebenswürdiger, gebildeter Mann, der auch eine
keltische Sprache kann, kommt durch Zufall zu dem älteren
^ erwandten seiner Mutter, der König ist. Der König gewinnt
154
H e i n z e 1.
ihn so lieb, dass er ihm vorschlägt, Nachfolger auf seinem
Thron zu werden, was der Fremde aber im Hinblick auf die
Verwandten des Königs nicht thut. Lasd. (Olafr), Tristantypus?
Zu a). Ein Knabe sieht, wie sein schlafender Erzieher
von Fliegen belästigt wird und schlägt ihm mit einer Axt auf
den Kopf, Ljosv. S. 50. — Ueber die Litteratur dieser alten,
besonders aber aus Lafontaine Fables 1. 8, f. 10 bekannten
Fabel verdanke ich freundlicher Mittheilung R. Köhlers fol
gende Daten: Benfey, Pantschatantra I, 283, 296, Robert, Fables
inedites des XII., XIII. et XIV, siecles et fables de Lafon
taine II, 136, Gast, Convivales sermones, Basileae 1566,1, 311, —
Morlini Nr. 21, Straparola XIII, 4. Bei Morlini und Straparola
ist der Ungeschickte ein Mensch wie in Ljosv.
Zu b). Ein isländisches Schiff wird von dem norwegischen
Könige wiederholt aber vergebens durchsucht, Njala C. 88,
Morkinskinna S. 105 ff. 1
Zu c). Ein flacher Stein wird als Rüstung benutzt, Eigla
C. 77, S. 579. S. oben S. 146.
Zu c). Heroisches Zurückbleiben (und Schuhbinden) im
Kampf, Njala C. 157, 61, Thorst. S. 171, 3. Beidemal von Tlior-
steinn in der Brjansschlacht. S. oben S. 147 und unten S. 155.
Zu c). Der Kampf wird durch auf die Waffen geworfene
Tücher beendet, Eigla C. 46, S. 232, S. oben S. 147.
Zu c). Der Zweikampf mit einem Berserker fällt glücklich
aus, weil der Held sich auf den Rath eines andern eines gewissen
Schwertes bedient, dies aber dem Berserker, der um die Waffe
fragt, verheimlicht. Floam. S. 134, 26, Gunnl. C. 7, S. 225.
Zu c). Jemand ist gefesselt und soll am nächsen Morgen
den Tod erleiden. Er befreit sich durch Kraft und Gewandt
heit von den Fesseln und entkommt. Eigla C. 46, Ilardh. S. 53,
Njala C. 89, 47 (die Njalssöhne). — Er befreit dabei auch seine
Gefährten, Eigla, Njala. — Er benutzt eine in der Nähe lie
gende Axt, um seine Fesseln zu durehsclmeiden, und verwundet
sich. Hardh., Njala.— S. auch Saxo Grammaticus I, 1, 1, 40; die
Wächter werden durch Erzählungen eingeschläfert wie in Hardh.
Zu c). Trauer des alten Vaters um den getödteten Sohn
Eigla, C. 23 (Kveldulfr nach Thorolfs Tod), Gullth. Vigfusson
S. Jessen, Sybels Zt. 28, 82 Anm.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
155
Icelandic Reader S. 121 f. (Gullthorir auf die falsche Nachricht
von Gudhmunds Tod.) — In Eigla legt Kveldulfr sich zu Bett,
singt ein Lied und stirbt. S. oben S. 143 und unten S. 156.
Zu c). Ein Isländer führt den Auftrag- des fremden Fürsten,
unter gefährlichen Umständen Tribut einzufordern, mit Glück
aus, Eigla C. 78, S. 537, Finnb. S. 38, Floam. S. 133. —
S. Fridhthiofssaga und überhaupt die unhistorischen Romane
P. E. Müller, Sagabibliothek 1, 314, oder 226 (Lachmann).
Zu d). Der Held ist im Walde mit Feuermachen beschäf
tigt und wird von seinem Gefährten, einem Räuber, der sich
entfernt hat, um Wasser oder Holz zu holen, plötzlich ange
griffen, aber es gelingt ihm, den Gegner zu bezwingen und zu
tödten, Finnb. S. 29, Hallfr. S. 100: S. Gering, Finnboga saga,
S. XXXVIII Anm.
Zu d) und c). Ein isländischer Viking gibt eine erbeutete
Frau ihren Verwandten zurück, und empfängt dafür in einem
entscheidenden Augenblick von diesen Hülfe, Floam. S. 136,
152, Thorv. S. 37.
Zu d) und c). Ein Isländer nimmt ein von Vikingern ge
raubtes Mädchen, die er als Sclavin in der Fremde gekauft hatte,
als Frau oder Geliebte zu sich: sie gebiert ihm einen Sohn.
Dropl. S. 4, Laxd. C. 12, S. 31. — S. P. E. Müller, Saga
bibliothek 1, 86, oder 63 (Lachmann).
Zu e). Ilolmgang mit einem Berserker, ,IIolmgänger‘ oder
Vikinger, um eine Frau zu retten, deren Verwandten zu schwach
sind, um sie vor der Bewerbung des Uebermüthigen zu schützen,
Dropl. S. 35 (Grimr), Eigla C. 67, S. 485, Floam. S. 134. 137
(Tliorgils), Gisl. S. 4. 6, Glurna S. 331 (Eyjolfr, Vigaglums
Vater), Rcykd. S. 289 (Glumr, Sohn Geiris). — Vgl. Grettla
C- 19, S. 41 ff.; C. 40, S. 95, 4L Sehr ähnlich mit Eigla ist
die Geschichte von Olo in Saxo Grammaticus, I, 1, 7, 370.
Zu /). Jemand bleibt, um etwas an seiner Kleidung zu
richten, hinter den Gefährten zurück, und hat dadurch Ver
anlassung, den Kampf mit dem Thiere allein aufzunehmen,
Grettla C. 21, S. 51. S. oben S. 154.
Zu/). Ein überaus starker Mann rudert so gewaltig, dass das
Luder bricht, Grettla C. 50, S. 114, — s. Atlamal Str. 35 (Högni),
1 ölsungasaga C. 35 (Högni), Thidhreksaga C. 366, Nibelungen
lied Str. 1504, Altdänische Heldenlieder bei W. Grimm S. 4.
156
Heinzei.
Zu f). Kraftprobe durch Aufheben eines grossen Steines,
Eigla C. 30, S. 142, Finnb. S. 71.
Zu h). Trauer des Vaters um den Sohn, der bei einem
Seesturm seinen Tod gefunden. Er will sich umbringen, Eigla
C. SO, Floam. S. 153, 21. Egill legt sich zu Bett und singt
ein Lied. S. oben S. 155.
Zu li). Trauer der Frau um den verlornen Mann; sie
weint so viel und so heisse Thränen, dass sein Leichnam unter
der Erde sich beklagt, er brenne davon, Laxd. C. 76, S. 328
(Gudhrun nach Thorkells Tod, der in einem Seesturm umge
kommen ist). S. Wackernagel, Kleine Sehr. 2, 399.
Zu i). Ein Isländer trifft zufällig mit dem norwegischen
Könige zusammen, ohne ihn zu kennen. Dieser zeichnet sich
dabei als Schwimmer aus. Hallfr. S. 92, Laxd. C. 40.
Zu i). Isländer in Norwegen erfahren die Gunst der Königin
Gunnhilds, Gemahlin des Erich Blutaxt, Eigla C. 37, S. 178
(Thorolfr.), Laxd. C. 19, S. 68 (Hrutr), C. 21, S. 72 (Olafr),
Njala C. 3, 89 (Hrutr), — häufiger haben sie von ihrem Hass zu
leiden, Eigla C. 62, S. 403, Floam. S. 130, 31, Hallfr. S. 85, 24,
Hardh. S. 41, Njala C. 6, 27. — Die Form einer Verwünschung
des Isländers durch die Königin findet sich Eigla, Njala.
Zu i). Zwei isländische Dichter sind Rivalen am fremden
Hof, Bjarn., Gunnl. S. oben S. 141.
Zu i). Ein isländischer Dichter beschwichtigt den Zorn
des fremden Fürsten durch ein innerhalb einer festgesetzten
Frist verfertigtes Gedicht, Eigla C. 62, S. 418, Hallfr. S. 112,
31. Diese Sage wurde schon von Bragi erzählt, s. Eigla, und
später von Thorarinn loftunga, Hcimskr. (1868) S. 440.
Zu i). Ein eitler isländischer Dichter will dem Fürsten
ein Gedicht vortragen; dieser hat keine Zeit, lässt sich später
doch dazu bewegen, Eigla C. 81, S. 694, Gunnl. C. 9, S. 235,
Hallfr. S. 93, 25.
b. Volksthümliche Ueberlieferung (Wunderbares).
Prophezeiungen: Eir. N. S. 544, Eir. W. S. 112, Fostbr.
S. 28. 48. 50, Gisl. S. 11. 46, Gluma S. 339. 348. 354. 389,
Grettla C. 31, S. 74, C. 34, S. 82, C. 35, S. 85, C. 41, S. 97,
Heidh. S. 342. 352, Laxd. C. 30, S. 118: 132, C. 31, S. 121,
Beschreibung der isländischen Saga. I.
157
C. 78, S. 326, Ljosv. S. 50, Njala C. 1, 36. 6, 28. 10, 27.
42, 22. 67, 31. 73, 75. 75, 52. 124, 317, Svarfd. S. 174, Vallal.
S. 206, Vapnf. S. 5, Thorv. S. 35. — Jugendfreunden oder
Fostbrüdern wird das Ende ihrer Freundschaft prophezeit,
Fostbr. S. 50, Gisl. S. 11, Gluma S. 354, Laxd. C. 33, S. 132. —
Kälte ist Vorgefühl des Todes, Ljosv. S. 70, Njardhv. S. 370.
Prophetische Träume: Bjarn. S. 62, Dropl. 22, Floam.
S. 134, 22. 144, 12. 145, 34, Fostbr. S. 96. 105, Gisl. S. 40 ff.,
Gluma S. 375, Gullth. S. 48. 74, Gunnl. C. 2, S. 194, C. 11,
S. 248, C. 13, S. 270, Hallfr. S. 110, Hardh. S. 17. 90, Heidh.
S. 352. 354, Hrafnk. S. 3, Laxd. C. 33, S. 126, C. 74, S. 316,
Ljosv. S. 67. 91, Vatnsd. S. 19, 11. 23, 13, Thorst. S. 176,
26. 184, 24, Thorv. S. 47. — S. die Litteraturgattung der Drau-
mavitranir, wie Thorsteins, Möbius Anal. S. 184; — andere
hinter Bardhar saga, herausgegeben von G. Vigfusson (Kord.
Oldskr.), Kopenhagen 1860. — Dem Traum in Gunnl. C. 2
ist ähnlich Saxo Grammaticus I, 1, 9, 470 f.
Schatzsuchen im Grabhügel, dabei Gespräch mit der Leiche.
Gullth. S. 47, Hardh. S. 46. — S. Saxo Grammaticus I, 1, 3,
125. 5, 244.
Schatzsuchen unter Wasser, Grettla C. 65 f., S. 150 ff.,
Gullth. S. 50.
Drachenkampf, Bjarn. S. 12, Gullth. S. 51. — In Njala
nur in Erzählung von einem Prahlhans, C. 119, 160. — S. Saxo
Grammaticus I, 1, 6, 271.
Hexen- und Gespenstergeschichten, Zauber aller Art,
yönhverßngar, Eir. N. W., Eyrb., Fostbr., Gisl., Grettla, Gullth.,
Hardh., Hav., Heidh. (S. 320. 343), Korm., Laxd., Svarfd.,
\ atnsd., (Die Hexe sieht durch die Beine, Gullth. S. 73, Vatnsd.
8. 42, 32 f.) — Verzauberte Waffen, Floam. S. 134, 22, Heidh.
S. 320, Korm. C. 9, S. 78 ff, Laxd. C. 57, S. 250 ff, — ,Wider-
gängeF, Eir. W., Eigla, Eyrb., Fostbr., Grettla, Hav., Njala
(C. 78, 34), Svarfd. (Der Kampf Grettis mit Glamr, Grettla
C. 35, S. 84 ist in den Einzelheiten — Ringen um den Mantel,
Zertrümmerung desZimmergeräths — ist sehr ähnlich dem Kampfe
Olafs mit Thormodhr, Hav. S. 7; —beide, besonders aber Grettla
''regen der darauf folgenden Begegnung mit der Hexe und dem
Ungeheuer unter dem Wasserfall, berühren sich mit der Ge
schichte von Beowulf und Grendel. S. Vigfusson, Sturlunga I,
158
Heinz el.
S. XLVIII.) — Vgl. Saxo Grammaticus I, 1, 5, 256 sjonhver-
fingar, und 5, 245 Kampf mit , Widergänger h
Veranlassung eines Bergsturzes, einer Lawine durch Zauber,
Eir. W. S. 90, Gisl. S. 33. Ob auch in Eir. W. auf übernatür
liche Weise, ist nicht sicher.
N ebenbegebenh eiten.
1. Auswahl aus dem Leben.
Eine Fülle weniger deutlich gezeichneter Vorfälle, zum
Theil an sich unbedeutend, wie meist das, was untergeordnete
Personen thun, auch deren Conflicte. S. z. B. Gisl. S. 19, der
zwei W eiber in Hardh. S. 115, dann die Verrichtungen des täglichen
Lebens, Aufstehe’n, sich waschen, Kopfwäschen, Kämmen, sich
ankleiden, gehen, reiten, Freunde besuchen, die verschiedenen
geselligen Unterhaltungen, Spiele, Beschäftigungen und Besor
gungen, welche das Hauswesen,Wirtschaft,Viehzucht — besonders
Verlaufen der Schaafe, — Fischfang, Handel täglich mit sich
bringen, — essen, trinken, zu Bette gehen, Geburten, Tod
alter Männer, Wechsel der Jahreszeiten, der Witterung.
Zum Theil sind die Begebenheiten an sich wichtig genug,
nur nicht für den Stoff der Saga, Politische Umwälzungen, Kriegs
züge und Reisen der Helden, Dienst bei norwegischen oder eng
lischen Fürsten, Heirath, Gründung eines Hausstandes, Ueber-
siedlung, Erwerbung eines Grundstückes, landwirtschaftliche
Unternehmungen, Handelsreisen, Streitigkeiten, Processe, alles,
was unter Umständen Hauptbegebenheit sein kann.
Dazu gehören auch Begebenheiten, welche die Saga selbst
betreffen, Dropl. S. 37, Thorvaldr, Ingjalds Sohn, habe diese
Saga erzählt, er sagdhe sögu thessa, Grettla C. 49, S. 111, das
Speereisen, das Grettir verloren, habe sich erst in neuerer Zeit
gefunden, fannst eigi fyrr enn i tlieirra rnanna minmtm, er
ml Ufa, nämlich in den letzten Lebenstagen des berühmten
Sturla, Hardh. S. 117 Styrmirs Meinung über den geächteten
Hördhr.
2. Auswahl aus der Ueberlieferung.
Auch in geringfügigen Nebenumständen zeigt sich mitunter
Auswahl aus litterarischer Ueberlieferung.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
159
Das Lachen über ein Kind, er fretadhi, verräth die Ge-
müthsstimmung einer handelnden Person, Dropl. S. 31, Ljosv.
S. 54.
Die Aufforderung des Dieners, ins Haus zu treten, wird
nicht angenommen, man verlangt vom Herrn selbst eingeladen
zu werden: Bjarn. S. 53, Fostbr. S. 9, Haens. S. 157.
Ein Diener weigert sich etwas zu thun; er wird gefragt,
oh es ihm lieber sei, geschlagen zu werden: Bjarn. S. 51 f.
(Thorsteinn mael.ti: Hvat man thd vardlia, tho at thü farir nau-
dhigr, ef iher thykkir sä betri), Gisl. S. 27 (Thd geingr Thor-
grimr at honum ok slaerr kann bujfeitt mikit ok maelti: Far nü
thd, ef t.her thikkir nü betra. Nü skal fara, sagdlie kann, thd
dt ml se verra), Svarfd. S. 168 f. (Karl hljdp at SMdha, ok
tekr liann, err keirir nidhr fall mikit, ok smaelti: seg nü ef
ther er nü betra en fyrr).
Zu Haupt- und Nebenbegebenheiten.
Die Entwickelung der Begebenheiten und ihr Ausgang
machen den Eindruck der Wahrheit, obwol sie oft historisch
unwahr sind. 1 Der Gute triumphirt nicht immer, und nie, weil
er gut ist, er kann auch unterliegen, — der Böse unterliegt
nicht immer, und nie, weil er böse ist, häufig geht er als Sieger
aus dem Conflicte hervor.
Auch sonst werden, abgesehen von dem Wunderbaren,
selten Begebenheiten erzählt, welche unwahrscheinlich oder
unmöglich sind. Uebertreibungen kommen vor, z. B. der Hieb,
mit welchem Gisli S. 69. 156 einen Gegner in zwei Hälften
spaltet, die Häufigkeit der unmittelbar Tod bringenden Verwun
dungen, die Hinfälligkeit und plötzliche Aufraffung Havardhs,
der Selbstmord der Freunde Ingimunds bei der Nachricht von
seinem Tode, Vatnsd. S. 39, 8 ff.
Unmöglich ist das Gedicht des dreijährigen Egill, Eigla
C- 31, S. 150. Unmöglich, dass Gudhmunds Heidh. (V. St.)
S. 314 den tragischen Tod seines Sohnes, seiner Frau, dessen
Maurer, lieber die Haensa Thoris Saga. Abhandlungen der Münchner
Akademie, philos.-philolog. Classe 12, 157. Jessen, Sybels Zs. 2S, 61:
Ueber die Glaubwürdigkeit der Egilssaga und anderer Isländer Sagas.
160
Hein zel.
Mutter, die noch gar nichts davon weiss, in einem Gedichte
mittheilt. 1 Auch Njala C. 54, 57. 63, 22. 77, 80 werden Lieder
unter unmöglichen Umständen gedichtet.
Unmöglich ist die Rede Egils an die Kurländer, Eigla
C. 46, S. 239, 2 wie hätten sie ihn verstehen sollen.
Unmöglich, dass das Blut in dem Rocke des schon vor
längerer Zeit getödteten Höskulds noch rauschte, als Hildi-
gunnr ihn Flosi überwirft (dundhi thd blödhit um liann allein),
Njala C. 146, 49.3
Bei dem letzten Fall wäre man geneigt, an eine poetische
Quelle zu denken. S. Eigla C. 58, S. 363, wo Egill in einem
Gedichte von Dingen spricht, die er nach der prosaischen
Erzählung nicht weiss, dass nämlich die zehn Gefährten auf
dem Schiff getödtet worden seien. — Ganz ähnlich sagt Bardhi
in Prosa, Heidh. S. 364, was er nicht wissen konnte, dass Ketill
seinen todten Bruder Gisli zu dem Vater getragen habe. —
Auch dass die Brüder Bjargeys in Hav. S. 21 f. die Kenningar
der Schwester sofort verstanden haben, — für Torfäxte die
Söhne — ist unglaublich. 4
Eine poetische Auswahl ist es auch, wenn nur solche
Ahnungen Vorkommen, die sich erfüllen, Band. S. 6. 9, Bjarn.
S. 48, Hav. S. 16, Ljosv. S. 59, Njala C. 77, 34. 124, 117,
Vatnsd. S. 62, 15. 64, 10.
Unglaublich ist es ferner, dass mehrere Personen denselben
Satz zu gleicher Zeit aussprechen, Dropl. S. 9: Their svörudhu:
Aldn höfum ver tmmaeli heyrt d tlivi. — Their svörudhu: Jijii-
pur skulu ver veidha, Njala C. 37, 15: Their kvdd.hu that litit
erendi slikum verkmanni, enn tJid er thd heizt eptir at spyrja, er
d ferli liafa verit i nött, Iiaens. S. 170: Their kvddhust cingm
segja kunnu en thau, at sd madhr var einn kominn —, ok var
haus hljömr ok rödd sem gridhungr gelldi.
1 S. 374 Their ldttust nu fostravnir, oh segir hann (Bardlii) Thör arm
tidliendin (die Schlacht) % Ijodhi, oh svd at their munu fara eptir likununi.
— I hljödlii? Uebrigens fehlt i ljodJii oh svd in einigen Hss.
2 S. Döring, Bemerkungen S. 21. 23.
3 Oder sollte das Krachen des festgetrockneten Blutes bei Entfaltung des
Kleides gemeint sein?
4 S. Brynjulfsson hinter Hav. S. 143.
Beschreibung der isländischen Saga. T.
161
Auch was der Verfasser unmöglich wissen kann, wird
hie und da erzählt. — Z. B. was Egill bei dem kurländischen
Abentheuer, von seinen Gefährten getrennt, von den Feinden
nicht gesehen, thut. — Am auffallendsten aber sind die letzten
Lebensäusserungen Skarphedhins in Njala C. 130, 20 ff. 1
Aber nicht immer; im Gegentheil, es ist das seltenere.
Eigla C. 61, S. 396, C. 88, S. 766 wird nicht erzählt, nur
als Vennuthung der Leute berichtet, dass Egill und Skalla-
grimr vor ihrem Tode ihre Schätze verborgen hätten. Es war
niemand dabei, der es hätte erzählen können. Auch was zwei
Personen allein thun, wird verschwiegen, wenn sie dabei ihren
Tod finden. Hardh. S. 115: Thorgrima und Thorbjörg treffen
sich, dann werden ihre zerrissenen Leichen gefunden. Aehnlich
S. 116 Grimkell und Thordlir, aber auch die Art des ehelichen
Verkehrs zwischen Hrutr und Unnr in Njala kann C. 6, 63 ff.
nur errathen werden.
Auch wenn zwei sich heimlich besprechen, wird oft der
Inhalt des Gespräches nicht angegeben, Eyrb. S. 49. 64, Laxd.
C. 71, S. 305, Njala C. 91, 27, C. 92, 49.
In Erwähnung natürlicher Vorgänge und Verrichtungen
und deren Benennung herrscht wenig Beschränkung: ganga
dlfreka u. ä. Eir. W. 124, Eyrb. S. 7. 10. 40. 98, Floam. S. 149, 10,
Reykd. S. 305, —freta Dropl. S. 31, Ljosv. S. 54, von Kindern,—
spyja Eigla C. 74, S. 552 f., — serdhci und Umschreibungen,
Bjarn. S. 31 in einem Gedicht, Fostbr. S. 56 (klappa um maga
konum), Grettla C. 17, S. 33 (klappa um Tcvidhinn d konu Bdr-
dhar), Korm. C. 20, S. 195 in einem Gedicht, Njala C. 7, 47
in der Rede Unns (sie erklärt ihrem Vater die Impotenz ihres
Mannes), C. 8, 48 in der Rede von Kindern, C. 17, 11 (brölta
d maga Hallgerdhi),— Onanie? Band. S. 23, — Paederastie Fostbr.
8. 103, etwas ähnliches Thorst. S. 175, 26, Thorv. S. 45, —-
geschlechtlicher Verkehr mit Dämonen, Njala C. 123, 93.
1 S. Döring, Bemerkungen S. 23. Aber das Beispiel aus Vatnsd. S. 44,
23 ff. ist unsicher. S. 44, 11 heisst es nur, dass nicht viel Leute bei
Thorolfr waren. Dass seine Handlungen innerhalb der Hiitte keine Zeugen
gehabt hätten, ist nicht zu erweisen.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XLVII. Bd. I. Hft. 11
162
Hei nz el.
Schwängerung- von Dienstmägden oder eines Mädchens
höheren Standes, Ljosv. S. 26. 74.
Auch das Ekelhafte, Grausame, Rohe wird keineswegs
gemieden: ins Gesicht speien, Eigla C. 74, S. 552 f., Augen
ausstechen, austreten, ausdrücken, Eigla C. 75, S. 564, Hallfr.
S. 98, 22. 99, 7, bei den Zehen aufhängen, Hrafnk. S. 29,
vom Pferde schleifen lassen, Svarfd. S. 169, Theeren und Ohren-
abschneiden, Hav. S. 49, Anbinden und in Durst und Fliegen
biss verschmachten lassen, Reykd. S. 295, Gedärme heraus
winden, Njala C. 157, 85, Thorst. S. 171, 1, mit glühenden
Schaalen zu Tode martern, Thorst. S. 186, 10. Abgesehen vom
Kopfabschneiden nach dem Kampf; z. B. Bjarn. S. 68 (Thordhr
wirft das abgeschnittene Haupt Björns dessen Mutter vor die
Füsse), Ljosv. S. 110 (Thoraidnn salzt die Köpfe von sieben
erschlagenen Gegnern ein).
Thätliche Roheiten zwischen Verwandten. Der Vater miss
handelt seinen Sohn lebensgefährlich, Eigla C. 40 (Skallagrimr
Egill), die Mutter gibt ihrem erwachsenen Sohn eine Ohrfeige,
Heidh. (V. St.) S. 314. Die Söhne sind grob gegen die Mutter,
Heidli. S. 339. — Zwischen Ehegatten. Der Mann schlägt die
Frau, Bjarn. S. 22 (Thordhr Oddny), Heidh. S. 350 (Thor-
bjürn seine Frau), S. 393 (Bardhi seine Frau, im Scherze),
Laxd. C. 34, S. 135 (Thorvaldr Gudhrun), Njala C. 11, 23
(Thorvaldr Hallgerdhr), Ci 16, 14 (Glumr Hallgerdhr), C. 48, 43
(Gunnarr Hallgerdhr). Die Frau wirft die Kleider des Mannes in
den Abtritt, Dropl. S. 20. — Besonders barbarisch ist Svarfd.
S. 181 ff. Karl tödtet die Kinder seiner Tante vor ihren Augen
und verkauft sie selbst als Sclavin. — Gegen die frühere Ge
liebte. Hallfredhr zwingt Kollinna und deren Mägde bei ihm
und seinen Leuten zu schlafen, Hallfr. S. 105, Kjartan besetzt
das Haus Bollis und Gudhruns: I thann tima var that mikil
tizka, at üti var salerni ok ei allskamt frd baenum, ok svd var at
Laugum. Kjartan l&t thar taka dyrr allar d hüsum ok bannadhi
öllum mönnum utgöngu, ok dreitti thau inni thrjar naetr, Laxd.
C. 47, S. 208. — Gegen Dienstleute. Skallagrimr tödtet eine
Magd, weil sie seinen Sohn Egill gegen seine Misshandlungen
schützen wollte, Eigla C. 40. — Grausamkeit gegen Thiere. Grettir
bricht als Knabe den Gänsen die Flügel, schlägt ihre Jungen
todt und zieht einem lebenden Pferde die Rückenhaut ab, C. 14-
Beschreibung der isländischen Saga. I.
163
Rücksichtslosigkeit in der Rede. Auffallend sagt Ingi-
björg Laxd. C. 43, S. 188: das Tuch, das sie Kjartan
schenke, sei zu gut für Gudhrun. — Kjartan sagt, als er um
Hrefna wirbt La^d. C. 44, S. 192, es liege ihm nichts daran,
welche Frau er bekomme, einen Korb werde er nicht ei'halten.
— Nach dem Verlust des Tuches beschuldigt er seine Ver
wandten des Diebstahls, Laxd. C. 46, S. 208.
Schimpfworte im Dialog fehlen nicht, 1 doch ist es schwer,
den Grad der Niedrigkeit derselben zu bestimmen. Freikarl
Floam. S. 160, 3, Ljosv. S. 59, Tadhskegglingar Njala C. 44,
45. 95. 91, 114 sind wol die stärksten.
Die erzählten Hauptbegebenheiten sind ferner oft so be
schaffen, dass sie sich mit einander verknüpfen. Ueber die
Verknüpfung des Conflictes s. das nähere unter ,Quantitative
Auswahl* Cap. II. Aber auch die unbedeutendsten Vorgänge
stehen in weitaus den meisten Fällen unter einander in engem
Zusammenhang. So wird z. B. Dropl. S. 19 erzählt, dass Helgi
sein Schwert Thorbjörn zum Schleifen gibt und sich ein anderes
von ihm ausleiht. Das ist aber schlecht, wie er im Kampfe
zu seinem Schaden erfährt.
Einige Sagas jedoch sind loser gebaut, sie nähern sich
einer wirklichen Biographie; so Eigla, viel politisches, histo
risches, Eir. N. W., Finnb., Floam., Fostbr., Grettla, Hallfr.,
Hardh., besonders sein Leben als Geächteter, Korm., Laxd.,
Reykd., Svarfd., Vatnsd. Es folgen in ihnen Begebenheiten, die
durch nichts mit einander verbunden sind, als durch die Person
und den Charakter des Helden, — daneben in denselben aller
dings auch verknüpfte Conflicte. — Auch Vapnf., obwol stren
geren Charakters, hat doch die ganz müssige Geschichte von
Ketill und Thorleifr S. 10 f. — Sehr auffällig ist aber im
Anfang von Fostbr. die aus Grettla bekannte Erzählung, wie
Thorbjorg Grettir vom Galgen rettet. Thorbjörg hat gar nichts
mit Thorgeirr und Thormodhr zu thun.
Oefters erkennt man, dass das historisch-annalistische
Interesse den Verfasser bestimmt, die Erzählung von dem Schick-
7 O %
1 S. Döring, S. 33.
11*
164
HeinzeJ.
sal seiner Personen durch den Bericht von politischen Ereig
nissen zu unterbrechen, welche mit einem Lebensabschnitt dieser
Personen in dieselbe Zeit fällt. Eyrb. nähert sich öfter einer
isländischen Geschichte, in Njala s. besonders C. 100 bis 105,
Einführung des Christenthums in Island.
Oder wenn der Verfasser Gedichte von Personen an
führt, welche gar nicht in der Saga Vorkommen, nur auf Per
sonen oder Begebenheiten der Saga gedichtet haben. So z. B.
Eyrb. S. 43. 68. 83. 105. 113, Fostbr. S. 22, Grettla C. 11,
S. 17, C. 12, S. 19, C. 66, S. 154, Gunnl. C. 12, S. 267 f.,
Njala C. 77.
Mitunter werden unbedeutende Vorgänge wie es scheint
nur erzählt, um den Namen eines Locals zu erklären, 1 s. z. B.
Hardh. S. 85 ff.; vgl. Eigla C. 28, S. 132 f., — oder um ein
Gedicht anzubringen, so in Eigla, z. B. C. 40, Fostbr. S. 86,
Gunnl. C. 5, S. 210, C. 11, S. 260, Hav. S. 44, Pleidh. S. 388,
Korm. C. 25, S. 232, Njala C. 157, 94 (Dörrudhr und sein
Nornenlied). — Mitunter stimmt das Gedicht gar nicht zur
Erzählung, so z. B. Hallfr. S. 107, Hav. S. 44, Korm. C. 16,
S. 152.
Was von den dem Autor bekannten Begebenheiten auf
genommen wird, hängt von der voraufgehenden Tradition ab.
Der Verfasser wusste oft beträchtlich mehr, als er mittheilt,
aber es gehört nicht in die Saga, s. oben S. 134 f. und Döring
S. 19.
B. Urtheile und Empfindungen des Autors.
Der Autor sagt z. B., er erzähle etwas, um die Vorzüge
seines Helden in helles Licht zu stellen, oder der Leser könne
sie aus der vorliegenden Saga ersehen; Fostbr. S. 4 Thor-
bjürg rettet Grettir. 1 thessi atburdhi md her synciz, hversu
mikill skörungr hon var, Hardh. S. 115 Md i sliku marka,
hverr höfdhingi Indridhi hefir verit, Reykd. S. 288 ok tliötti
Glumr vera mikill madlir fyrir ser, sem. enn md nokkut marka
i thessum fräsögnum, Laxd. C. 19, S. 68 Thvi er thessa getit,
1 S. Dörkig S. 10.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
165
dass Hru.tr mit vierzehn Söhnen auf dem Thing erschien, at
that thotti vera rausn mikü 6k afli. 1
Der Autor spricht sein Urtheil über eine Handlung aus,
was wol auch eine Gemüthsbewegung voraussetzt; Eir. N. S. 548,
Die That der Freydis heisst ,ein böses Werk' (That idh illa
verk), Fostbr. S. 5 Thorgeirr und Thormodhr dachten immer
,mehr an das Glück dieses Lebens, als an die Herrlichkeit
des jenseitigen' (meirr liugdhu their at fremd thessa heims lifs
en at dyrdh annars heims fagnadhar). — Gisl. S. 31 der Zau
berer ging zu Werke medh allri ergi ok skelmiskwp. S. 33 der
verschwiegene Gisli verräth sich doch durch ein Gedicht, das
er nie hätte vortragen sollen (Gisli kvadh thä visu, er aefa skylde.
Der Beisatz fehlt in der andern Fassung S. 117). — Gunnl.
C. 5, S. 209 wird die Einführung des Christenthums das segens
reichste Ereigniss für Island genannt. C. 11, S. 263 es musste
kommen, was bestimmt war (enda vardh that fram at koma,
sem til drd). — Hrafnk. S. 40 ,sie hatten das ordentlich be
sorgt', nämlich Eyvindr erschlagen (var that trüliga gört). —
Njala C. 129, S. 23 Njall tröstet seine Leute beim Hausbrand
auf christliche Weise, wenn sie hier brennten, so würde das
jenseitige Feuer sie verschonen. ,Solche Ermahnungen gab er
ihnen, aber auch andere mannhaftere' (slikar fortolur hafdhi
kann fyrir iheim ok adhrar hraustligri). — Njardhv. S. 372
die Magd, welche den Rath gibt, Thidhrandi zu tödten, wird
ein ,unseliges Weib' genannt (sagdhi hin arma kona). — Oefters
ein kurzes Lob des Helden wie z. B. Vigaskutas, Reykd. S. 319.
Nur in Fostbr. aber scheint es, spricht; der Autor eine
allgemeine Ansicht aus, ohne directen Bezug auf Personen
oder Vorgänge der Saga. S. 12 nach Schilderung von Thor-
geirs Tapferkeit: ,Und weil alle guten Dinge von Gott stam
men, so stammt die Furchtlosigkeit auch von Gott und ist tapfe
ren Männern ins Herz gepflanzt, und dazu der freie Wille,
Macht das Gute zu wählen oder das Schlechte. Denn Christus
hat die Christenmenschen zu seinen Söhnen gemacht, nicht zu
Knechten, er wird Jedem nach seinen Thaten vergelten' (ok
af thvi at allir gödhir hlutir eru af gudhi gervir, thä er örugg-
leikr af gudhi gerr ok gefinn i hvjost hvötum drenqjum, ok
1 S. Döring S. 16,
166
Heinzel.
thar medh sjdlfraedhi at hafa til thess er their vilja, gödhs
edha Ms. Thvi at Kristr hefr kristna menn sonu sina gört, en
ekki thraela; en that man kann hverjum gjalda, sem til vinnr).
Ganz leise Andeutungen der Meinung des Autors sind es,
wenn er sicli z. B. Njala C. 119, 144 ff. den Anschein gibt,
an die Heldentliaten des Prahlhanses Thorkell zu glauben; oder
wenn C. 158, 37 die Absolution Flosis so erzählt wird: Er
kam nach Rom. . ,Dort hatte er die grosse Ehre, von dem
Papst selbst absolvirt zu werden und er zahlte dafür eine
grosse Summe' (thar fjekk kann svd mikla saemd, at kann tök
lausn af sjdlfum pdfanum ok gaf thar til fje mikit).
Auch wenn Gudhmundr, der schlaue, gewaltthätige, aber
feige Häuptling, als er Thorkell durch seine Leute tödten lässt,
in einen Milchkübel fällt, Ljosv. S. 61, meint man dem Autor
die Freude anzumerken, dass einer so unliebenswürdigen Per
sönlichkeit dieses lächerliche Unheil widerfahren sei.
Personen der Saga zugeschriebene theoretische Aeusse-
rungen, oft in Form von Sentenzen und Sprichwörtern, welche
etwa für die Ansicht des Verfassers gelten könnten, behandle
ich nicht und verweise auf Döring, Bemerkungen S. 31 f., 39 f.
Hieher gehören auch die Vergleiche und Bilder, denn es
sind Urtheile des Autors. Ich füge in runden Klammern
auch die Personen der Saga in den Mund gelegten bei.
Im Ganzen sind Vergleiche selten, 1 Fostbr. hat verhältniss-
mässig wol die meisten. Doch bietet die zweite Bearbeitung
deren viel weniger.
Sie sind meist dem Naturleben entnommen.
(Band. S. 35 Mir ist es gegangen wie dem Wolf [ok
hefir mer farit sem varginum]).
Eigla C. 89, S. 769 Egils Schädel war so uneben wie
eine Plarfenschnecke (haussinn var allr bdröttr ütan svd sem
hörpuskell).
1 S. Möbius, Ueber die ältere isländische Saga, S. 39 und Döring, Bemer
kungen, S. 38 f. Ich habe mir erlaubt, die Sammlungen beider Gelehrten
hier aufzunehmen.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
167
Eyrb. (S. 23 Wahr wie der Tag [satt sem dagr]). S. 38
Die Berserker waren wüthend wie Hunde (galnir sein hundar).
S. 115 Der todte Thorolfr war dick, aufgeschwollen wie ein
Rind (digr sem naut). 8. 116 Das Kalb blockte, als ob ein
Stier brüllte (o7r beljadhi lidtt sem gradliungr gylli). S. 117 Der
Stier war sanft wie ein Schaf (sem saudhr).
Fostbr. S. 8 Thorgeirs Herz war nicht wie der Kropf
eines Vogels, nicht so mit Blut gefüllt, dass er vor Furcht
gezittert hätte, vielmehr gehärtet (thvi at ekki var lijarta lians
sem föarn i fugli — ekki var that blödhfullt, svd at that skylfi
af hraezlu, — heldr var that herdht af enum liaesta höfudhsmidh
i öllum hvatleik). S. 19 Alle fürchteten sie (die Bundesbrüder)
wie Rinder den Löwen, wenn er in ihre Heerde kommt (vöro
aller vidh thd hraedder, sem fenadhr vidh leön, thd er kann
kemv i theira flolck). S. 24 Alle Leute fürchteten sie (die
Bundesbrüder) und ihre Herrschaft verbreitete sich über die
ganze Gegend wie Unkraut den Acker überzieht (ok vöro thar
aller menn hraedder vidh thd, ok gengu their einir yfir allt sem
lok [ein bestimmtes Unkraut] yfir akra). S. 28 Sie (Thorgeir
und die Seinen) sahen dann auf dem Lande eine grosse An
zahl Menschen und so viele Lanzen, dass es einem Walde
glich (Sidhan sjd their fjölmenni mikit d land upp ok mörg
spjöt sem d skög saei). S. 38 So wie der Kobel aus dem
Meere aufsteigt und dämmernd davonzieht und darauf die
glänzende Sonne wiederkommt und freundliche Witterung, so
zog das Lied allen Nebel unmuthiger Gedanken aus Thordis’
Herzen und lenkte die Herzensleuchte ihrer heissen Liebe
erwärmend und beglückend Thormodh zu (ok svd sem
myrkva dregr upp or hafi ok leidhir af medh litlu myrkri,
ok kemv eptir bjart sölskin medli blidliu vedhri; svd drö
kvedhit allan üraektar thokka ok myrkva af liug Tliördisar,
ok renndi hugarljös hennar lieitu dstar gervdlla til Thormödhar
medh varmri blidhu). S. 41 Thorgeirr greift sie an mit ge
waltiger Kraft und Kühnheit wie ein Löwe (en saekir at tlieim
medh mildu afii ok öruggleik sem it öarga dyr). Dasselbe Bild
auch S. 12.
Gluma S. 342 Aus seinen (Glums) Augen flössen Thränen,
die grossen Hagelkörnern glichen (ok hrutu ör augum hdnum
tdr ihau, er thvi vöru lik, sem hagl that, er stört er).
168
Hein z el.
Gunnl. C. 6, S. 220 Der Jarl wurde so roth wie Blut
(Jarl setti svd raudhan svd blodh).
(Hav. S. 9 Du bist am stärksten in deinen Reden, so
wie die Füchse in ihren Bauen [thvi at ihn ert mestr i mdlinu,
sem refarnir i holunum]).
(Haens. S. 150 Bist du krank, Freund, dass du so roth
bist wie Blut? [er thu ert svd raudhr sem blddh]).
Korm. C. 7, S. 60 Er (Narfi) wendet seine Blicke bald
da, bald dorthin wie ein verfolgtes Wild (ok hvadhanaefa
augun d sem d hrakdyri).
Laxd. C. 16, S. 52 ein Mann, der so mit Schuld be
laden ist, wie ein Wachholderzweig mit Beeren oder Stacheln
[ok svd var sökum horfinn sem hrisla eini(?)]. — C. 21, S. 76
Wir sind aufs Trockene gesetzt, wie Sticklinge [thviat vidh
erum nu fjaradhir upjoi svd sem hornsil]).
Rjala C. 19, 17. 25, 26 Gunnarr und Skarphedhinn
schwammen wie Seehunde (bann var syndr sem selr). — C. 92,
109 Skarphedhinn glitt auf dem Eise dahin so schnell, wie ein
Vogel (for kann svd hart, sein fugl flygi). — C. 116, 61 Flosi
wurde im Gesicht bald roth wie Blut, bald fahl wie Gras (kann
var i andliti stundum raudhr sem blddh enn stundum fölr sem,
gras). — (C. 119, 107 Skarphedhinn macht einen so bösartigen
Eindruck, als ob er von einer Meerklippe geboren wäre 1 [svd
illiligr sem genginn sje üt or sjdvarhömrum]). — C. 128, 36
sich verbrennen lassen wie Blaufüchse in der Höhle [at lata
svaela mik inni sem melrakkar i greni]). — (C. 135, 36 denn er
liebt sie, wie die Augen in seinem Kopfe [thvi at kann am
henni sem augum i höfdhi sjer]). — C. 135, 140 Thorhalls
wunder Fuss war so geschwollen, wie ein Weiberschenkel (svd
digr ok thnltinn sem konu laer). — C. 136, 38 Asgrimr war roth
wie Blut (ok var svd raudhr d at sjd sem blodh). — C. 142, 8
Thorhalls Antlitz war roth wie Blut und wie grosser Hagel fiel
es aus seinen Augen (ok var andlit lians, sem i blodh saei, enn
stört hagl hraut or augum hanum); s. Gluma S. 342.
Vatnsd. (S. 7, 126 Thorkeil fror wie ein Hündchen [tliviat
hann kdl sem adhra hundtikj). — 76, 21 Die Berserker heulten
wie Hunde (Their grenjudhu sem hundar).
' Vgl. Homer II. 22, 126, Od. 19, 163.
Beschreibung der isländischen Saga. I.
169
(Thorst. S. 175, 8 verbrennen wie Blaufüchse [at brenna
inni sein melrakkar] s. Njala C. 128, 36. — S. 185, 11 Dir ist es
gerade so gegangen, wie den wilden Thieren, welche die kleinen
zerreissen, aber die Heerde flüchtet weit im Winde davon [ok
beint er ther farit sem ölmum dyrum, er smddyrum verdha at
skadha, ok ferr flokkr theirra vidha ok fykr fyrir vindi]).
Seltener stammen die Vergleiche aus dem Gebiete mensch
licher Thätigkeit.
(Eigla C. 84, S. 730 Lassen wir sie nicht unsere Söhne
zusammenhetzen, wie Gäule [Ldtim eigi thd — et ja saman so-
num ockrum sem kapalhestum]').
Eir. W. S. 148 (besser bei Vigfusson Reader S. 136, s. Anm.
S. 382 f.). ,Die Eskimos rudern heran und schwingen Stäbe
in den Schiffen, so dass es aussah, als ob gedroschen würde,
und zwar in der Richtung des Sonnenlaufs* (ok var veift trjö-
num af skipunum, ok let thvi likast sem i halmthustum, ok ferr
sölarsinnis). Die Antiquitates americanae haben sem i lialmthüst
und erklären ,wie ein vom Wind bewegtes Kornfeld*.
Eyrb. S. 6 Innen im Tempel war eine Abtheilung wie
jetzt die Chöre in den Kirchen und es stand ein Gestelle
in der Mitte, wie ein Altar (Innar af hofinu var Ms i tlid
liking, sem nu er sönghüs, ok stödh thar stallt d midhju gölfinu
sem altari). — Daneben ein Blutstab, wie ein Sprengwedel
(ok thar i lileyttein, sem stökkull vaeri). — Die Leute sollten dem
Tempelpriester verpflichtet sein, wie jetzt die Dingleute den
Häuptlingen (ok vera skyldir hofgodha, sem mi eru thingmenn
höfdhingjum). — (S. 65 Es ist da, wie Ein Mann, es herrscht
Einmüthigkeit [at thar se sem einn madhr]). — S. 68 Arnkells
Grabhügel ist so weitläufig, wie ein grosses Heugehege (ok
er tliat svd vidhr haugr sem stakligardhr mikib). — (S. 70
Dass sie uns auseinander reissen müssten wie Hunde (at their
thurfi at draga okkr i sundr sem hunda]). — S. 101 Ein Schweif,
wie ein verbrannter, angekohlter Kuhschweif (rofa, vaxin sem
nautsrdfa svidhin, in einer Zaubergeschichte). — S. 102 Beim
Dyradomr wurde ebenso verfahren, wie bei den Thinggerichten
(ok farit at öllum mdlum sem d thingsdömum). •— S. 120 sie
empfiengen ihn wie ihren Herrn (ok fögnudhu sem, herra sinum).
S. 124 Knochen so schwarz, wie verkohlt (svd svört sem
svidhin vaeri).
170
Heinzei.
(Floam. S. 146, 13 Ein Lauch war so schön, als ob er
vergoldet wäre (en sva var kann fagr, sem kann hefdhi gullslit]).
Fostbr. S. 8; s. oben S. 167. — S. 56 Sein Herz diente ihm
(Thorgeirr) als Schild und Harnisch (oh var honum sjalfam hugr
fyrir shjöld ok brynja. In der anderen Fassung högg statt hugr).
— S. 89 Die Furcht rahn aus seinem (Egills) Herzen, wie die
Hitze vom Eisen (Rann hraedlisla af honum sem kita af jdrni).
Gunnl. C. 4, S. 206 Ihr (Helgas) Haar glänzte wie Gold
borten (oh svd fagrt sem gullband).
Ilallfr. S. 111, 9 Hallfredhr war wie vor den Kopf ge
schlagen (sem kann vaeri steini lostinn).
Hrafnk. S. 9 Er (Freyfaxi) stand so still, als ob man
seine Beine in die Erde eingegraben hätte (Hann var svd hyrr,
sem kann vaeri grafinn nidhr). — S. 38 Dort ist ein Sumpf
ohne Grasdecke, so weich, dass es ist, als ob man in einem
Federbett ritte (thar er svardlüaus myri, oh er sem ridlii i eina
dynu fr am).
Laxd. C. 32 S. 122 Gudhrun war eine so elegante Frau,
dass zu ihrer Zeit alles wie Kinderspielzeug erschien, was
andere Frauen wol an Putz hatten (svd at i thann tima thötti
allt bamavipur that er —).
Hjala C. 1, 19 Hallgerdhs Haar war schön wie Seide
(fagrt sem silhi). — C. 92, 105 Das Eis war so glatt wie Glas
(svd hält sem gier). — C. 125, 10 Er war schwarz wie Pech
(svartr sem bih). — C. 132, 11 Ein Fell wie im Feuer zusam
mengeschrumpft (oh var sem hon vaeri shorpnudh vidh eld). —
C. 146, 73 Er drehte sich auf der Ferse um, wie ein Kreisel
(eptir that sneriz hann d liaeli svd sem shapthringla).
(Vatnsd. S. 58, 9 Ihr seid geächtet wie Verbrecher [thar
sem thit erut heradhssehir sem illraedhismenn]).
Mythologische Vergleiche sind selten.
(Eigla C. 62, S. 406 gross wie ein Unhold [mihill sem troll])-
Eyrb. S. 115 Thorolfs Leiche dunkel wie Hel (blarsem Hel).
Njala C. 116, 62 Flosi wurde im Antlitz dunkel wie Hel
(bldr sem Hel).
(Vatnsd. S. 80, l Skumr sei reich wie Njördhr [audhigr
sem Njördhr]).
Beschreibung der isländischen Saga. I.
171
Ein ausgeführtes Gleichniss ist wo! nur das in Fostbr.
S. 38. Auch in den Bildern und poetischen Umschreibungen
steht Fostbr. den übrigen voran. Auch hier wird von dem
christlich gesinnten Verfasser alte Mythologie verwendet. —
S. 12 Es war nicht wunderbar, dass Thorgeirr Jörundr ge-
tödtet habe. Denn der oberste Werkmeister hatte ein so furcht
loses und gehärtetes Herz in Thorgeirrs Brust gesenkt, dass —
(thvi at enn haesti höfudhsmidhr hafdhi skapat ok gefit i brjöst
Thorgeiri svd öruggt hjarta ok hart, at —■). — S. 13 Die Töchter
des Ban prüften die Helden und boten ihnen ihre Umarmungen
(reyndu Rdnardaetr dreingina ok budhu theim sin fadlimlög). —
8. 14 Die ganze Nacht herrschte Schneegestöber und eisiger
Frost. Der Erlcnhund heulte die ganze Nacht aus unermiidetem
Rachen und zerriss die ganze Erde mit grimmen Kältezähnen
(Fjuk ok frost gekk alla ndttina; gö elris hundr alla ihd nött
öthrotnum kjöptum ok tögg allar jardhir medli grimmum kulda-
tönnum). — (S. 16 Und Hel, deine Frau, wird dich in ihre
Arme schliessen [ok mun Hel, Jn'ispreijja ihm, leggja thik ser
l fadhm]). — S. 42 Mit der Axt, welche gewohnt war manchem
Manne Naehtherberge zu bereiten (medli exi theiri, er von var
at fd mörgurn manni ndttstadhar). — S. 55 Keiner verlangte
unter seiner Axt Herberge zu linden (thviat eiigum thdtti gir-
mligt gistingarbol undir exi hans). — S. 109 Keiner wünschte
unter seiner Axt Nachtquartier zu nehmen (ok ihötti öngum
gott, — at eiga ndttböl undir eyayi hans). — Die zweite Fassung
ist auch hier nüchterner.
Sonst etwa Eigla C. 84, S. 719 dasselbe Bild von dem
Nachtquartier unter der Axt des Feindes. — (C. 84, S. 731 Ich
brauche dieses Geschäft nicht Odds Zungenwurzel anzuvertrauen
[Ekki tharf ek at eiga thetta undir tim gurotum OddzJ).
(Eir. W. S. 112 Die Prophetin sagt zu Gudhridhr: Ueber
deiner Nachkommenschaft leuchten so glänzende Strahlen, dass
ich sie nicht genau unterscheiden kann [yfir thinum kynkvislum
skina bjartari geislar, en ek hafi' megin til at geta slikt van-
dliga sei]).
(Eyrb. S. 66 Nun ist der alte Adler, d. i. Arnkell, zur
Atzung nach Örlygstadhir geflogen [nu er örninn gamli floginn
ä aezht d Oerlygstadhi]. — S. 121 Wenn das Alter mir über
den Kopt steigt [naer elli stigr yfir höfudh mer]).
172
Heinzei.
(Gunnl. C. 9, S. 2B6 Mein Vater war nicht das Schlepp
boot deines Vaters [at fcidliir minn vaeri eptirbdtr födhur thins]).
Haens. (S. 165 Ihr habt euch lange wie Wölfe zerfleischt
[thviat ther haßt lengi ulfsmunni af etizt]. — S. 183 Ich glaube,
dass, bevor ich ins Gras beisse, meine Mägde einige deiner
Gefährten mit dem Schlafdorn stechen werden [en liit vaentir
mik, — at gridhkonur minar mwnu stungit hafa nokkura ihina
felaga svefnthorni, ddhr ek hnigi % gras]).
(Njala C. 5, 16 Selten habe ich Andere als Schild be
nutzt [sjaldan hefi ek haßt adhra at skildi fyrir mjer]). — C. 5,
46. Du sprichst mit todtgeweihtem Munde [at tim maelir feigum
munni].— C. 77,18 Einen grossen Stier, d. i. Gunnar, haben wir
nun niedergeworfen [mikinn öldung Jiöfum vjer nu at velli lagit]).
(Vatnsd. S. 19, 21 Ich denke nicht, dass mein Heil in
deiner Zungenwurzel ruhe [ok aetla ek mitt rädh- eigi komit
undir thinum tungurötum], s. Eigla C. 84, S. 731. — S. 33 Deine
Bosheit könnte sich nun wol um deine Füsse winden, d. i.
dich zu Falle bringen [ok vefist ther um foetr].
Eine eigentliche Kenning ist in Laxd. (C. 76, S. 325
Der Wind heult, Thorkell ist auf der See. Da sagt Thor-
steinn: Jetzt hören wir schon den Mörder Thorkeils tosen
[thar megurn ver nu heyra gnya hana Thorkels fraenda]).
II. Quantitative Auswahl.
Im Allgemeinen.
Der Umfang der Saga ist beschränkt. Man unterscheidet
fünf längere: Eigla, Eyrb., Grettla, Laxd., Njala. Doch
können auch diese in einem massigen Octavband gedruckt
werden. Die übrigen sind oft beträchtlich kleiner. So hat
Dropl. nur 37 Seiten Kleinoctav, Grettla 208 desselben Fox’mats.
Im Besonderen.
Es wird zunächst gefragt A. wie viel von den Einzel
heiten der in Cap. I besprochenen Zustände und Vorgänge in
den Sagas zur Darstellung komme, also z. B. wie weit die
Beschreibung der isländischen Saga. II.
173
Beschreibung physischer und geistiger Eigenschaften gehe, —
zweitens B. wie oft dieselben oder ähnliche Zustände oder
Vorgänge in einer Saga erscheinen — Parallelen, Gegensätze,
— drittens C. wie viel Zustände und Vorgänge einer Rangclasse
in einer Saga Vorkommen, also wie viele Hauptpersonen, wie
viele Hauptbegebenheiten. In A. handelt es sich demnach um
quantitative Verhältnisse im Allgemeinen, in B. und C. um
quantitative Verhältnisse innerhalb einer Saga.
A.
Die Betrachtung fasst zuerst I. Zuständliches und Vor
gänge einzeln ins Auge, — wendet sich sodann II. zu den
Vorgängen (also auch Aenderungen der Zustände), insofern sie
als eine in der Zeit fortlaufende Reihe erscheinen, — und
schliesslich III. zu Zuständen und Vorgängen, insofern Zustände
mit andern Zuständen, Vorgänge mit andern Vorgängen und
auch Zustände mit Vorgängen in dieselbe Zeit fallen. Also
z. B. unter I. wie viel wird von den Gesichtszügen eines
Menschen beschrieben? wie viel von den Einzelacten eines
Kampfes mitgetheilt? — unter II. wie viel wird z. B. in der
Erzählung weggelassen, was durch späteres klar wird? —
III. in wie weit kann z. B. eine Handlung, also auch Gebärde,
den Seelenzustand, der nicht erzählt wird, ausdrücken? oder
wie vermag der Autor zwei gleichzeitige, an verschiedenen
Orten spielende Handlungen dem Leser klar zu machen?
I. Zuständliches und Vorgänge einzeln betrachtet,
a. Zuständliches.
Personen.
Männer.
Von nur einigermassen hervortretenden Personen wird
Name der Eltern, der Grosseltern, oft auch weitere Verwandt
schaft mitgetheilt. Besonders ausführliche Geschlechtsregister
sind z. B. Eigla C. 1, S. 1, Eir. W. 130, Floam. S. 119, 8
(norwegische Fürsten), 124, 12, Gluma S. 333, Gunnl. S. 189,
174
lleinzel.
Hrafnk. (König Haraldr), Haens. S. 121, Laxd. C. 39, S. 162,
Njala C. 115, 1. 119, 144. 134, 87 Thorst. S. 184, 1.
Nur in nachlässig erzählten Sagas kann man mitunter
über Stellung und Beziehung einer Person im Zweifel bleiben,
so über Thorvardhr Eir. N. S. 548, — über Olmodhr und
Skapti in Floam. S. 145, 25. 155, 20.
Von sonstigen Eigenschaften findet sich:
Reich: Floam. S. 128 Thorgrimr, Haens. S. 123 Blund-
ketill, Njala C. 19 Gunnarr, C. 20 Njall.
Arm: Haens. S. 123 Thorir.
Reich an Land, arm an Geld: Band. S. 3 Ufeigr.
Besitz der Godenwürde: s. oben S. 117.
Von ansehnlicher, vornehmer, würdevoller, imponirend
männlicher, kriegerischer Erscheinung: Bjarn. S. 3 Björn,
Finnb. S. 70 Finnbogi, Floam. S. 129 Thorgils, Fostbr, S. 8
Thorgeirr, Hallfr. S. 86 Hallfredhr, Laxd. C. 63, S. 272 Thor
gils, S. 274 Lambi, S. 276 Hunbogi, Njala C. 25. 120 Skarp-
hedhinn, Vatnsd. S. 5 Jökull, 23 Jökull, der Sohn Ingimunds.
Von guter Haltung: Laxd. C. 63, S. 274 Thordhr.
Von bäurischem Aussehen: Laxd. C. 63, S. 274 Thorsteinn.
Böse, gefährlich aussehend: Eigla C. 55, S. 304 Egill,
Njala C. 119 Skarphedhinn.
Schön, besonders von Gesicht: Band. S. 3 Oddr, Vali,
Bjarn. S. 63 Björn, Dropl. S. 7 Helgi, Eyrb. S. 17 Snorri,
S. 71 Björn, Finnb. S. 7. 70 Finnbogi, Floam. S. 129 Thor
gils, Grettla C. 14, S. 22 Grettir, C. 19, S. 43 Thorir, Hav.
S. 1. 11 Olafr, Hrafnk. S. 3 Hrafnkell, Laxd. C. 8, S. 20
Hrutr, C. 28, S. 110 Kjartan, C. 57, S. 248 Thorgils, C. 63,
S. 272 Thorleikr., Njala C. 19 Gunnarr, C. 20 Njall, Njardhv.
S. 368 Gunnarr, Vatnsd. S. 3 Thorsteinn, S. 5 Jökull, S. 23
Thorsteinn, der Sohn Ingrimunds, S. 24 Thorir, S. 49 Ingolfr.
Hässlich: Eyrb. S. 17 Thorarinn, Gullth. S. 58 Grimr,
Laxd. C. 63, S. 274 Lambi.
Gross, hochgewachsen: Bjarn. S. 3. 63 Björn, S. 69
Arnbjörn, Dropl. S. 7 Helgi, Grimr, Eigla C. 55, S. 304 Tho-
rolfr., Eyrb. S. 17 Thorarinn, S. 69 Arnbjörn, Finnb. S. 70
Finnbogi, Floam. S. 129 Thorgils, Fostbr. S. 5. 8 Thorgeirr,
Gluma S. 335 Glumr, Grettla C. 13, S. 20 Asmundr, C. lb
S. 26 Grettir, C. 19, S. 43 Thorir, C. 41, S. 97 Thorsteinn,
Beschreibung der isländischen Saga. II.
175
C. 59, S. 133 Grisli, Gullth. S. 58 Grimr, Gunnl. C. 4, S. 203
Gunnlaugr, Hallfr. S. 86 Hallfredhr, Harclh. S. 34 Hördhr.,
Ilav. S. 1. 11 Olafr., Koni). C. 2, S. 8 Kormakr, Laxd.
C. 8, S. 20 Hrutr, C. 28, S. 110 Kjartan, C. 57, S. 248. C. 63,
S. 272 Thorgils, C. 63, S. 276 Sveinn, Ljosv. S. 22 Brandr,
Njala C. 19, Gunnarr, C. 25 Skarphedhinn, Njardhv. S. 368
Gunnarr, Svarfd. S. 147 Klaufi, fünf Ellen und eine Hand
breite, Vallal. S. 203 Ljotr, Vapnf. S. 3 Ilelgi, S. 4 Svartr,
Vatnsd. S. 6 Jökull, S. 23 Jökull, der Sohn Ingimunds.
Nickt besonders gross, mittlerer Statur: Eyrb. S. 17 Snorri,
Fostbr. S. 5 Thormodhr, Vatnsd. S. 3 Thorsteinn.
Wohlgebaut: Hardh. S. 34 Hördhr, Laxd. C. 8, S. 20
Hrutr.
Schlank, zart gebaut: Eyrb. S. 17 Snorri, Gluina S. 335
Glumr, Grettla C. 41, S. 97 Thorsteinn, Laxd. C. 63, S. 274
Thordhr.
Breite Schultern: Eigla C. 55, S. 304 Egill, Finnb. S. 70
Finnbogi, Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr, Hardh. S. 34 Hördhr,
Laxd. C. 8, S. 20 Hrutr, C. 63, S. 272 Bolli.
Starke, volle Brust: Hardh. S. 34 Hördhr, Laxd. C. 63,
S. 272 Bolli.
Schmal um die Mitte: Finnb. S. 70 Finnbogi, Gunnl. C. 4,
S. 203 Gunnlaugr, Hardh. S. 34 Hördhr, Laxd. C. 8, S. 20
Hrutr.
Starke, volle Arme: Laxd. C. 63, S. 272 Bolli, Svarfd.
8. 147 Klaufi (auch langarmig).
Magere Arme: Grettla C. 41, S. 97 Thorsteinn.
Fleischige Hände: Svarfd. S. 147 Klaufi.
Schöne Hände: Laxd. C. 8, S. 20 Hrutr, C. 63, S. 272 Bolli.
Schöne Füsse: Laxd. C. 8, S. 20 Hrutr.
Feine Extremitäten: Hardh. S. 34 Hördhr, Laxd. C. 8,
S. 20 Hrutr.
Langer Hals: Svarfd. S. 147 Klaufi.
Dicker Hals: Eigla C. 55, S. 304 Egill.
Regelmässige Gesichtszüge: Eyrb. S. 17 Snorri, Laxd.
C. 20, S. 110 Kjartan, C. 63, S. 272 Thordhr.
Helle Gesichtsfarbe: Eyrb. S. 17 Snorri, Hardh. S. 34
Hördhr, Korm. C. 2, S. 8 Kormakr, Laxd. C. 30, S. 110
Kjartan, C. 63, S. 272 Bolli, Njala C. 19 Gunnarr.
176
ITeinzel.
Rothbackig: Njala C. 19 Gunnarr.
Rothes Gesicht: Laxd. C. 63, S. 276 Sveinn.
Dunkle, braune Gesichtsfarbe: Gluma S. 335 Glumr,
Hallfr. S. 86 Hallfredhr, Laxd. C. 63, S. 274 Lambi, Svarfd.
S. 147 Klaufi.
Fahle, blasse Gesichtsfarbe: Njala C. 25 Skarphedhinn.
Sommersprossig: Bjarn. S. 63 Björn, Grettla C. 14, S. 22
Grettir, Laxd. C. 63, S. 274 Haldor, Ornolfr.
Breites, kurzes, dickes Gesicht: Grettla C. 14, S. 22
Grettir, Hardh. S. 34 Hördhr.
Grosse, ausgeprägte Gesichtszüge: Eigla C. 55, S. 304
Egill. Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan.
Scharfe Gesichtszüge: Njala C. 25 Skarphedhinn, Svarfd.
S. 147 Klaufi.
Breite Stirne: Eigla C. 55, S. 304 Egill, Laxd. C. 63,
S. 272 Bolli.
Ausgebuchtete Stirne: Laxd. C. 63, S. 272 Thorgils.
Schmale Stirne: Svarfd. S. 147 Klaufi.
Starke, hervortretende Backenknochen: Svarfd. S. 147 Klaufi.
Starke Augenbrauen: Eigla G. 55, S. 304 Egill, Laxd.
C. 63, S. 276 Sveinn.
Schwarze Augenbrauen: Svarfd. S. 147 Klaufi.
Schöne Augen: Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan C. 63, S. 272
Bolli, Njala C. 25 Skarphedhinn.
Lebhafte, scharfblickende Augen: Laxd. C. 63, S. 272 Bolli,
Njala C. 19 Gunnarr, Vatnsd. S. 23 Jökull, der Sohn Ingimunds.
Hervorstehende Augen: Svarfd. S. 147 Klaufi.
Blauge Augen (bldeygr): Laxd. C. 63, S. 272 Bolli, Njala
C. 19 Gunnarr.
Schwarze Augen (svarteygr): Gunnl. C. 4, S. 203, Gun-
laugr, Laxd. C. 63, S. 272 Hunbogi.
Kluge Augen: Vatnsd. S. 23 Thorsteinn, Ingimunds Sohn.
Gerade Nase: Njala C. 19 Gunnarr.
Etwas hässliche Nase: Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr,
Hallfr. S. 86 Hallfredhr.
Kleine Nase: Eigla C. 55, S. 304 Egill (aber sehr dick),
Svarfd. S. 147 Klaufi.
Gebogene Nase: Hardh. S. 34 Hördhr, Laxd. C. 63,
S. 272 Bolli, Njala C. 25 Skarphedhinn.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
177
Stumpf abgestutzte Nase : Laxd. C. 63, S. 272 Bolli, Niala
C. 19 Gunnarr. 1
Hässlicher Mund: Njala C. 25 Skarpliedhinn, Svarfd.
S. 147 Klaufi.
Bleckende Zähne: Laxd. C. 63, S. 272 Thorgils, Njala
C. 25 Skarphedhinn, Svarfd. S. 147 Klaufi (offener Mund, aus
dem zwei Zähne hervorragen).
Grosser Zwischenraum zwischen Oberlippe und Nase:
Eigla C. 55, S. 304 Egill.
Volle Wangen: Laxd. C. 63,S.272Bolli, Svarfd. S. 147 Klaufi.
Grosses Kinn, starke Kinnbacken: Eigla C. 55, S. 304
Egill, Svarfd. S. 147 Klaufi.
Narbig, runzlig: Floam. S. 128 Thorgrimr, Laxd. C. 63,
S. 274 Thorsteinn, Svarfd. S. 147 Klaufi.
Rother Bart: Bjarn. S. 63 Björn., Eyrb. S. 17 Snorri.
Grauer Bart: Laxd. C. 63, S. 274 Lambi.
Bartlos: Njala C. 20 Njall.
Schönes, langes Haar: Finnb. S. 70 Finnbogi, Grettla
C. 13, S. 20 Asmundr, Hardh. S. 34 Hördhr, Laxd. C. 28,
S. 110 Kjartan, C. 63, S. 272 Bolli, S. 274 Thorleikr, Njala
C. 19 Gunnarr, Vatnsd. S. 5 Jökull.
Dichtes Haar: Eigla C. 55, S. 304 Egill.
Schlichtes Haar: Gluma S. 335 Glumr.
Seidenweiches, seidenfeines Haar: Laxd. C. 28, S. 110
Kjartan.
Gelocktes, gekraustes Haar: Bjarn. S. 63 Björn., Fostbr.
S. 5 Thormodhr, Korm. C. 2, S. 8 Kormakr, Laxd. C. 63,
S. 274 Lambi, Thorsteinn, Njala C. 25 Skarphedhinn.
Die Haare auf die Augenbrauen herabgeschnitten: Laxd.
C. 63, S. 272 Bolli.
Die Haare hinter die Ohren gestrichen: Njala C. 120
Skarphedhinn.
Kahl: Eigla C. 55, S. 304 Egill.
Blondes Haar: Gluma S. 335 Glumr, Hardh. S. 34 Hördhr,
Laxd. C. 63, S. 274 Thordhr.
1 Da von Menschen mit gerader (rjett nefit) oder gebogener Nase (lidhr
d nefi) gesagt wird, die Nase sei auch haßt upp l framanvert., nokkut
haßt, upp framan gewesen, so kann das keine aufgestülpte Nase be
deuten. Die Linie der Nase muss einen stumpfen Winkel gemacht haben.
Sitzungster. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft. 12
178
Heinzei.
Goldblondes Haar: Laxd. C. 63, S. 272 Bolli, Njala
C. 19 Gunnarr.
Lichtbraunes Haar: Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlfiugr.
Braunes Haar: Hallfr. S. 86 Hallfredhr, Laxd. C. 63,
S. 274 Thorleikr, S. 276 Sveinn, Njala C. 25 Skarphedhinn.
Rothes Haar: Grettla C. 14, S. 22 Grettir, Laxd. C. 63,
S. 274 Haldor, Örnolfr.
Schwarzes Haar: Fostbr. S. 5 Thormodhr, Korm. C. 2,
S. 8 Kormakr, Laxd. C. 63, S. 274 Lambi, Thorsteinn, Svarfd.
S. 147 Klaufi.
Graues Haar: Eigla C. 55, S. 304 Egill, Grettla C. 13,
S. 20 Asmundr.
Weisses Haar: Vatnsd. S. 5 Jökull.
Von elegantem, feinem Aussehen in Bezug auf Kleider
und Waffen, zugleich von höflichem Benehmen: Eyrb. S. 71
Björn, Finnb. S. 70 Finnbogi, Gisl. S. 97 Thorkeil, Grettla
C. 59, S. 133 Gisli, Laxd. C. 49, S. 194 Kjartan, C. 57, S. 248
Thorgils, C. 63, S. 272 Thorleikr, S. 274 Thordhr, Njala C. 19
Gunnarr.
Kein eleganter Mann: Eyrb. S. 71 Arnbjörn.
Farbige Kleider: Grettla C. 59, S. 134, Heidh. S. 335,
Laxd. C. 44, S. 194, C. 68, S. 294, Vatnsd. S. 51. Immer von
einer ganzen Schaar. — Scharlachkleider: Laxd. C. 29, S. 114
Geirmundr, C. 49, S. 194 Kjartan.
Blauer Rock: Laxd. C. 63, S. 274 Thordhr, Njala C. 120
Skarphedhinn, Vallal. S. 203 Ljotr. — Brauner Rock: Vallal.
S. 203 Ljotr. — Grüner Rock: Laxd. C. 63, S. 274 Thorleikr.
— Rother Rock: Bjarn. S. 63 Björn, Eyrb. S. 81 Steinthorr,
Laxd. C. 23, S. 93 Olafr, C. 29, S. 114 Geirmundr, C. 63,
S. 272 Bolli.
Rock aufgezogen, in den Gürtel gesteckt: Eyrb. S. 81
Thorsteinn.
Jacke: Finnb. S. 7 Finnbogi, Gullth. S. 58 Grimr, Hav.
S. 3 Olafr, Njala C. 92 Skarphedhinn, Vatnsd. S. 5 Jökull. —
Weisse Jacke: Gullth. S'. 58 Grimr.— Seidene Jacke mit Gold:
Vatnsd. S. 5 Jökull.
Die Jacke in die Hosen gesteckt: Finnb. S. 7, Hav.
S. 3 Olafr.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
179
Strumpfhosen: Bjarn. S. 63 Björn. — Weisse Hosen: Gullth.
S. 58 Grimr. — Schwarze Hosen: Laxd. C. 63, S. 274 Thordhr,
Vallal. S. 212 Halli. — Blaue (blär), weissgestreifte Hosen:
Njala C. 120 Skarphedhinn.
Seidenbänder an den Beinen: Bjarn. S. 63 Björn. —
Wickelbänder: Gullth. S. 58 Grimr.
Hohe schwarze Schuhe: Njala C. 120 Skarphedhinn.
Gürtel: Laxd. C. 63, S. 274 Thordhr, Vallal. S. 212 Halli.
— Silbergürtel: Njala C. 120 Skarphedhinn.
Mantel, meist blau (blär), Laxd. C. 63, S. 272 Thorgils,
Vallal. S. 203 Halli. — Kurzer blauer Mantel: Laxd. C. 63,
S. 274 Thorsteinn. — Grauer faltiger Mantel: Laxd. C. 63, S. 274
Lambi. — Grüner Mantel: Laxd. C. 29, S. 114 Geirmundr.
— Schwarzweisser Mantel: Fostbr. S. 87, Thormodlir, Gluma
M. 361, Skuta, Reykd S. 309 Skuta.
Seidenband im Haar: Njala C. 120 Skarphedhinn. — Gold
band im Haar: Laxd. C. 63, S. 272 Bolli.
Mütze von Bärenfell: Laxd. C. 29, S. 114 Geirmundr.
Silberring am Finger: Laxd. C. 63, S. 274 Thorsteinn. —
Goldring: Laxd. C. 63, S. 272 Bolli. — Ein grosser Ring:
Laxd. C. 63, S. 274 Thorleikr.
Helm: Eigla C. 55, S. 304 Egill, Eyrb. S. 81 Steinthorr,
Vallal. S. 212 Halli. — Goldhelm: Laxd. C, 23, S. 93 Olafr,
0. 49, S. 194 Kjartan. — Stahlhaube mit handbreitem Rand :
Laxd. C. 63, S. 276 Hunbogi.
Ringpanzer: Laxd. C. 63, S. 276 Hunbogi.
Rother Schild mit Goldkreuz: Laxd. C. 49, S. 194 Kjartan.
Grosse, breite, scharfe Axt: Fostbr. S. 8 Thorgeirr..
Spitze, scharfe Lanze mit langem Eisen, dickem Schaft:
Fostbr. S. 8 Thorgeirr.
Grosses Schwert, ohne Silberverzierung, aber breit, scharf,
ohne Rost, das der Besitzer nie aus der Hand gab: Laxd.
C- 29, S. 114 Geirmundr.
Gemalter Sattel: Laxd. C. 63, S. 272 Thorgils. — Gold
sattel: Laxd. C. 63, S. 272 Bolli, S. 274 Thorleikr. — Schot
tischer Sattel: Laxd. C. 63, S. 274 Lambi.
Von Waffen und Rüstungen der handelnden Personen
wird öfters der Name mitgetheilt: Ein Panzerhemd Emma Ljosv.
S. 10l.— Eine Axt Rymmugygr Njala C. 92, 112. — Schwerter,
12*
180
Heinzei.
Grasidha Gisl. S. 4, später eine Lanze, — Sköfnungr, Hvitingr
Korm. C. 9, S. 80, Skrymir C. 12, S. 118, — Fotbitr Laxd.
C. 29, S. 251, Sköfnungr C. 57, S. 251. — Lanzen, Grasidha
Gisl. S. 18, Vigr Korm. C. 25, S. 232.
Rascher Wuchs: Bjarn. S. 3 Björn, Fostbr. S. 5 Thor-
geirr, Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr, Hallfr. S. 86 Hallfredhr,
Laxd. C. 8, S. 20 Hrutr.
Von langsamem Wuchs: Gluma S. 335 Glumr, Grettla
C. 14, S. 22 Grettir.
Scharfes Gesicht: Hardh. S. 34 Hördhr (erkannte sjönlwer-
fingar), Ljosv. S. 44 Einarr.
Kurzsichtig: Bjarn. S. 63 Björn.
Feines Gehör: Ljosv. S. 44 Einarr.
Stark: Bjarn. S. 3 Björn, Dropl. S. 7 Helgi, Grimr,
Eyrb. S. 17 Thorarinn, Finnb. S. 70 Finnbogi, Floam. S. 129
Thorgils, Fostbr. S. 8 Thorgeirr, Grettla C. 13, S. 20 Asmundr,
C. 14, S. 26 Grettir, C. 59, S. 133 Gisli, Gullth. S. 58 Grimr,
von ihm wie von Grettir heisst es, dass Niemand ihre Stärke
wusste, Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr, Hallfr. S. 86 Hall
fredhr, Hardh. S. 34 Hördhr, Hav. S. 'll Olafr, Korm. C. 2,
S. 8 Kormakr, Laxd. C. 8, S. 20 Hrutr, C. 26, S. 110 Kjartan,
Ljosv. S. 22 Brandr, Njala C. 9 Thjostolfr, 0. 19 Gunnarr,
C. 25 Skarphedhinn, Njardhv. S. 368 Gunnarr, Vapnf. S. 3 Helgi,
S. 4 Svartr, Vatnsd. S. 23 Jökull, der Sohn Ingimunds, Thorv.
S. 36 Thorvaldr.
Nicht besonders stark: Vatnsd. S. 3 Thorsteinn.
In körperlichen Uebungen und Spielen geschickt: Hardh.
S. 34 Hördhr, Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan, Njala C. 19 Gunnarr.
Langsam: Gluma S. 335 Glumr.
Guter Gänger, Läufer: Njala C. 25 Skarphedhinn.
Guter Springer: Njala C. 19 Gunnarr.
Guter Schwimmer: Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan, Njala
C. 19 Gunnarr, C. 25 Skarphedhinn.
Guter Schütze: Njala C. 19 Gunnarr.
Geschickt im Waffenhandwerk, kampftüchtig, guter Fechter:
Bjarn. S. 63 Björn, Dropl. S. 7 Helgi, Floam. S. 129 Thorgils,
Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan, Njala C. 9 Thjostolfr, C. 19 Gun
narr, C. 25 Skarphedhinn, Vapnf. S. 4 Svartr.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
181
Abgehärtet: Floam. S. 128 Thorgils, Vapnf. S. 3 Helgi.
Fühlt keine Kälte: Hav. S. 3 Olafr.
Steht früh auf, schläft wenig: Ljosv. S. 43 Einarr.
Hoffnungsvoll: Hav. S. 11 Olafr, Njardhv. S. 364 Thi
dhrandi.
Schnell reif: Band. S. 3 Oddr.
Wohlerzogen, gebildet, anständig, ein Gentleman: Gunnl.
C. 4, S. 203 Gunnlaugr, Hav. S. 1 Olafr, Hrafnk. S. 5 Hrafn-
kell, Haens. S. 123 Blundketill, Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan.
Der Beste unter den Gleichaltrigen: Dropl. S. 7 Helgi,
Grimr, Gisl. S. 5 Thorkell.
Unglücksmensch: Fostbr. S. 29 Thormodhr, Grettla C. 31,
S. 72. C. 39, S. 94 Grettir, Hardh. S. 106 Hördhr, Njala C. 123,
102 Skarphedhinn.
Eifrig, feurig: Floam. S. 129 Thorgils, Gunnl. C. 4,
S. 203 Gunnlaugr.
Schnell entschlossen: Floam. S. 129 Thorgils, Njala C. 25
Skarphedhinn.
Kühn, keck: Floam. S. 129 Thorgils, Fostbr. S. 5 Thor-
geirr, Grettla C. 14, S. 22 Grettir, Hardh. S. 105 Hördhr,
Korm. C. 2, S. 8 Kormakr, Ljosv. S. 3 Sölmundr, Söxolfr,
Njala C. 25 Skarphedhinn, Njardhv. S. 368 Gunnarr, Reykd.
S. 281 Vemundr, Vatnsd. S. 13 Ingimundr Jökull, Thorst.
S. 169 Thorsteinn, Thorv. S. 36 Thorvaldr.
Von scharfer Zunge: Grettla C. 14, S. 22. 26 Grettir,
Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr, Hallfr. S. 86 Hallfredhr.
Unverträglich, streitsüchtig: Floam. S. 128 Thorgrimr,
Grettla C. 14, S. 22 Grettir, Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr,
Hrafnk. S. 5 Samr, Ljosv. S. 3 Sölmundr, Söxolfr, S. 22
Brandr, Vapnf. S. 3 Helgi, S. 4 Svartr, Vatnsd. S. 23 Jökull,
der Sohn Ingimunds.
Unfreundlich, rauh: Fostbr. S. 8 Thorgeirr, Grettla C. 14,
S. 22 Grettir, Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr, Vatnsd. S. 23
Jökull, der Sohn Ingimunds.
Unverschämt: Eyrb. S. 13 Snorri.
Unbillig, ungerecht, gewaltthätig: Eyrb. S. 17 Snorri,
Fostbr. S. 6 Thorgeirr, Thormodhr, Hrafnk. S. 5 Hrafnkell,
182
Heinzei.
Haens. S. 122 Oddr, Ljosv. S. 3 Sölmundr, Söxolfr, Laxd.
C. 57, S. 248 Thorgils, Vallal. S. 201 Hrolfr. '
Gewaltthätig, auch gegenüber Frauen: Hav. S. 1 Thor-
björn, Ljosv. S. 3 Sölmundr, Söxolfr.
Sich in fremde Angelegenheiten mischend: Laxd. C. 57,
S. 248 Thorgils.
Launisch: Hallfr. S. 88 Hallfredhr.
Unbeliebt: Hallfr. S. 86 Hallfredhr, Haens. S. 123 Thorir.
Schweigsam: Eyrb. S. 71 Arnbjörn, Gluma S. 385 Glumr,
Grettla C. 14, S. 22. 26 Grettir, Vapnf. S. 3 Helgi.
Selten lachend: Fostbr. S. 8 Thorgeirr.
Weiberfeind: Fostbr. S. 8 Thorgeirr.
Kühl, zurückhaltend: Gluma S. 335 Glumr, Vatnsd. S. 23
Jökull, Ingimunds Sohn.
Ruhig, bescheiden, fähig sich zu beherrschen: Dropl. S. 7
Grimr, Eyrb. S. 17 Thorarinn, S. 68 Arnkell, Korm. C. 2,
S. 8 Thorgils, Njala C. 19 Gunnarr, C. 25 Skarphedhinn,
Vatnsd. S. 23 Thorsteinn, Ingimunds Sohn.
Ungesellig: Fostbr. S. 8 Thorgeirr, Gluma S. 335 Glumr,
Laxd. C. 29, S. 114 Geirmundr.
Sich nicht in fremde Angelegenheiten mischend, zurück
haltend: Laxd. C. 29, S. 114 Geirmundr, Vallal. S. 205 Ljotr.
Unergründlich: Eyrb. S. 17 Snorri, Haens. S. 152 Thorarinn.
Beleidigungen lange nachtragend: Eyrb. S. 17 Snorri,
Thorst. S. 171 Thorsteinn.
Blöde, tölpelhaft, Ofenhocker: Gullth. S. 58 Grimr.
Leichten Sinnes: Laxd. C. 30, S. 110 Kjartan.
Heiter, lustig: Dropl. S. 7 Helgi, Gisl. S. 14, 97 Thor-
kell ? *, Laxd. C. 57, S. 248, Thorgils, Vallal. S. 201 Halb,
S. 203 Ljotr, Thorst. S. 171 Thorsteinn.
Freundlich, leutselig, bequem im Verkehr: Eyrb. S. 17
Snorri,. S. 68 Arnkell, Korm. C. 2, S. 8 Thorgils, Njala C. 20
Njall, Thorst. S. 171 Thorsteinn.
1 Wahrscheinlich oflati ,ein Faulpelz 1 , während der Herausgeber ofldli ,a gaudy
person“ schreibt. S. 14 Thorkeil var ofldti mikill ok vann ekki fyrir b ue
theirra; enn Qisli vann nott medh degi. S. lali ,the late or lazy one, Edda
(Gl.)‘ Cleasby.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
183
Gefällig: Floam. S. 129 Thorgils, Grettla C. 14, S. 22 Atli.
Gehorsam, ehrerbietig gegen Eltern: Hav. S. 1 Olafr,
Hrafnk. S. 5 Hrafnkell, Thorv. S. 35 Thorvaldr.
Geduldig: Thorst. S. 171 Thorsteinn.
Gilt gegen Frau und Kind: Floam. S. 128 Thorgrimr.
Gut gegen Arme, Leidende: Thorv. S. 36 Thorvaldr.
Liebenswürdig: Grettla C. 14, S. 22 Atli, Laxd. C. 28,
S. 110 Kjartan.
Beliebt: Band. S. 3 Vali, Hav. S. 1 Olafr, Haens. S. 123
Blundketill, Thorv. S. 35 Thorvaldr.
Ehrlich, beständig, treu: Eyrb. S. 68 Arnkell, Floam.
S. 129 Thorgils, Thorv. S. 36 Thorvaldr.
Wohlwollend: Laxd. C. 57, S. 248 Thorgils.
Guter Freund: Vatnsd. S. 13 Ingimundr.
Treuer Freund, aber wählerisch: Njala C. 19 Gunnarr.
Gut gegen Freunde, schlimm gegen Feinde: Eyrb. S. 17
Snorri, Hrafnk. S. 5 Hrafnkell, Vatnsd. S. 23 Thorsteinn,
Jökull, die Söhne Ingimunds, Thorst. S. 171 Thorsteinn.
Treuer Berather: Njala C. 19 Gunnarr, C. 20 Njall.
Tapfer, furchtlos: Finnb. S. 70 Finnbogi, Fostbr. S. 12
Thorgeirr, Hav. S. 1 Havardhr, Vatnsd. S. 13 Ingimundr.
Stolz, hochsinnig, grossartig, edelmüthig: Eyrb. S. 68
Arnkell, Floam. S. 129 Thorgils, Fostbr. S. 4 Thormodhr,
Gunnl. C. 4, S. 203 Gunnlaugr, Niala C. 20 Njall.
Hochmüthig: Dropl. S. 7 Helgi, Vallal, S. 201 Halli.
Prachtliebend: Thorst. S. 171 Thorsteinn.
Freigebig: Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan, Njala C. 19
Gunnarr, Thorv. S. 36 Thox-valdr.
Selbstgefällig: Grettla C. 59, S. 133 Gisli.
Geschickt: Laxd. C. 28, S. 110 Kjartan.
Fleissig: Gisl. S. 14 Gisli.
Faul: Gisl. S. 14. 97 Thorkell S. 182, s. oben S. 182.
Guter Kaufmann und Seefahrer: Eir. W. S. 131 Thor-
finnr, Vatnsd. S. 24 Thorir.
Guter Oekonom: Dropl. S. 7 Grimr, Eigla C. 29, S. 134
Skallagrimr, Ljosv. S. 3 Ölvir, S. 22 Thordhr.
184
Heinz el.
Kein Oekonom: Dropl. S. 7 Helgi, Gluma S. 335 Glumr.
Guter Schiffbauer: Eigla C. 29, S. 135 Skallagrimr.
Guter Schmied: Gisl. S. 18 Thorgrimr.
Kein Handwerker: Band. S. 3 Oddr.
Guter Häuptling: Floam. S. 128 Thorgrimr, Vatnsd. S. 13
Ingimundr.
Gescheit: Floam. S. 129 Thorgils, Hardh. S. 105 Hördhr,
Thorst. S. 171 Thorsteinn, Thorv. S. 36 Thorvalldr.
Klug, findig, scharfsinnig: Band. S. 3 Ufeigr, Eyrb. S. 17
Snorri, S. 68 Arnkell, Njala C. 20 Njall, Vapnf. S. 3 Helgi,
Vatnsd. S. 23. 24 Thorsteinn, Ingimunds Sohn, Thorst. S. 169.
171 Thorsteinn, Thorv. S. 36 Thorvaldr.
Schnell auffassend: Ljosv. S. 44 Einarr.
Gesetzeskenner: Hrafnk. S. 5 Samr, Njala C. 20 Njall,
Vallal. S. 201 Halli.
Dichter, abgesehen von berufsmässigen: Grettla C. 14,
S. 26 Grettir, Njala C. 25 Skarphedhinn.
Beredt, rascher Antworten mächtig: Njala C. 25 Skar
phedhinn, Vatnsd. S. 23 Thorsteinn.
Frauen.
Gross: Fostbr. S. 36 Thorbjörg, Laxd. C. 7, S. 17 Unnr,
Njala C. 9 Hallgerdhr.
Ansehnlich: Laxd. C. 7, S. 17 Unnr, C. 23, S. 92
Thorgerdhr.
Voll: Fostbr. S. 36 Thorbjörg, Laxd. C. 7, S. 17 Unnr.
Gutgebaut: Fostbr. S. 36 Thorbjörg.
Schlank: Fostbr. S. 36 Thorbjörg.
Schön: Dropl. S. 7 Droplaug, Fostbr. S. 14 Thordis,
Gunnl. C. 3, S. 202 Helga, Hallfr. S. 86 Valgerdhr, Laxd.
C. 23, S. 92 Thorgerdhr, C. 32, S. 122 Gudhrun, Njala C. 9
Hallgerdhr, 95 Hildigunnr.
Nicht besonders schön: Fostbr. S. 36 Thorbjörg.
Gescheites Gesicht: Fostbr. S. 36 Thorbjörg.
Dunkle Gesichtsfarbe, aber doch rothe Backen: Fostbr.
S, 36 Tjhorbörg.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
185
Schönes, langes, herab fallendes Haar: Njala C. 9. 13. 33
Hallgerdhr.
Schwarzes Haar: Fostbr. S. 36 Thorbjörg.
Elegant in Kleidung: Fostbr. S. 36 Thorbjörg, Laxd.
C. 28, S. 92 Thorgerdhr, C. 32, S. 122 G-udhrun (so dass
neben ihrem aller anderer Frauen Putz wie Kinderspielzeug
erschien).
Anliegender Rock und Leib: Laxd. C. 55, S. 245 Gudhrun.
Rother Schai'lachrock: Njala C. 23. 33 Hallgerdhr.
Grosse Haube: Laxd. C. 55, S. 245 Gudhrun.
Schleier mit blauen Streifen und Fransen : Laxd. C. 55,
S. 245 Gudhrun.
Blauer Mantel: Njala C. 13 Hallgerdhr. — Scharlachener,
gestickter Mantel: Njala C. 33 Hallgerdhr.
Silbergürtel: Njala C. 33 Hallgerdhr.
Die ausführlichste Beschreibung eines Frauenanzugs findet
sich Eir. W. S. 105 ff., die grönländische Zauberin Thor
björg. Alles bis zu dem Futter ihrer Handschuhe und den
Zinnknöpfen an den Riemen ihrer Schuhe wird angegeben,
zugleich auch ihr Sitz, ihr Besteck, — der ElfenbeingrifF des
an der Spitze abgestumpften Messers war von zwei Ringen
umgeben, — die Kost, welche man ihr vorsetzte.
Hochgesinnt: Fostbr. S. 3 Thorbjörg.
Ritterlich: Njala C. 20 Bergthora, C. 95 Hildigunnr.
Freigebig: Laxd. C. 32, S. 122 Gudhrun, Njala C. 9 Hall
gerdhr.
Sich nicht in fremde Angelegenheiten mischend, zurück
haltend: Laxd. C. 24, S. 94 Thorgerdhr.
Harten, heftigen Sinnes: Njala C. 9 Hallgerdhr, C. 20
Bergthora, C. 95 Hildigunnr.
Herrschernatur: Fostbr. S. 3 Thorbjörg, Laxd. C. 24,
S. 94 Thorgerdhr.
Tüchtig, trefflich, ausgezeichnet: Fostbr. S. 4 Thorbjörg,
Hav. S. 1 Bjargey, Laxd. C. 24, S. 94 Thorgerdhr, C. 78,
S. 334 Gudhrun, Njala C. 20 Bergthora, C. 95 Hildigunnr.
Gescheit: Dropl. S. 7 Droplaug, Fostbr. S. 3 Thorbjörg,
Laxd. C. 32, S. 122 Gudhrun.
186
Heinzei.
Beredt: Laxd. C. 32, S. 122 Gudhrun.
Fleissig, arbeitsam: Fostbr. S. 14 Thordis.
Geschickt: Njala C. 95 Hildigunnr.
Nur Personen von ganz untergeordneter Bedeutung für
die Sage, wie Diener, Mägde, Hirten erscheinen oft ohne alle
Attribute. Wir erfahren nicht den Namen ihrer Eltern, oft
nicht einmal ihren eigenen. So z. B. Njala C. 69, 18, Vatnsd.
S. 77, 27, der Schützling Fostolfs und Throttolfs.
Auffälliger ist es, wenn Njardhv. S. 370 die Begleiter
Thidhrandis als namenlose Personen auftreten. Der Verfasser er
klärt, er hätte die Namen nicht erfahren können (sem ei eru nefn-
dir). Oder wenn Eigla C. 74, S. 549, die Tochter Armodhs, ein
zehn- bis elfjähriges Mädchen, die Egill warnt, ohne Namen
bleibt, oder Laxd. C. 19, S. 68 die dritte Frau Höskulds (oh
nefnum ver hana ei). Aber Eigla C. 83, S. 713 wird es sogar
entschuldigt, dass der Name eines Sclaven nicht mitgetheilt
werde (oh er sd eigi nefndr), Heidh. S. 339 eines Knechtes,
hilskarl (kann er eigi nefndr).
S a. c h. e n.
Pferde. Geschlecht, Bestimmung, zum Reiten, Tragen,
Fahren, Zuchtpferde: Finnb. S. 44, Hardh. S. 62, Laxd. C. 45,
S. 194. — Abstammung: Bjarn. S. 55 werden Pferde als
Söhne Hvitings bezeichnet. — Eigenschaften. Gut, schön:
Finnb. S. 44, Gunnl. C. 5, S. 213, Laxd. C. 45, S. 194. -
Weiss: Bjarn. S. 55, — weiss mit schwarzen Ohren: Heidh.
S. 318, — weiss mit rothen Ohren: Laxd. C. 45, S. 194, —
gelb, isabellenfarb: Finnb. S. 44, Grettla C. 32, S. 75, —
roth: Bjarn. S. 55, Gunnl. C. 5, S. 213, — braun: Grettla
C. 47, S. 104, — Schecke: Hardh. S. 62, -— grau: Gunnl.
C. 5, S. 213, — grau mit dunklem Streif auf dem Rücken:
Hrafnk. S. 5, — schwarz: Bjarn. S. 55, Hardh. S. 62. —
Namen: Bjarn. S. 55 Hvitingr, Grettla C. 47, S. 105 Södhul-
kolla, Hrafnk. S. 5 Freyfaxi.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
187
Rinder. S. Vapnf. S. 21: gross, stattlich, klein, unan
sehnlich, — weiss, roth, rothgefleckt, von der Farbe der See
kuh, die Hörner von der Farbe der Beine.
Ausführliche Ortsbeschreibungen sind selten. Am weite
sten gehen wol folgende. 1
Eigla C. 14, S. 57 Finnmarken, ein grosses Land, die
Grenzen nach allen Himmelsgegenden werden angegeben, die
Ausbuchtungen derselben durch die Meerbusen im Westen und
Norden, so wie durch das Yerhältniss zur Lage der nördlichen
Provinzen Norwegens im Süden genau bestimmt. Die Boden
beschaffenheit wird gezeichnet durch den Lauf der Gebirge,
durch die ungeheuren Flüsse, an deren Ufern sich grosse
Wälder ausdehnen. Zugleich wird deutlich gesagt, wo das
Land Anbau zulässt, zum Theil auf den Höhen, zum Theil in
den Thälern, zum Theil längs der Flüsse. — C. 51, S. 266
Northumberland, der fünfte Theil Englands, Grenzen, Haupt
stadt, frühere und gegenwärtige politische Verhältnisse.
Eingehende Beschreibung kleinerer Gebiete Eigla C. 28,
S. 129 ff. Der Landstrich, welchen Skallagrimr und die Seinen
in Besitz nahmen. Es wird hervorgehoben die Bodengestalt,
eine Halbinsel, welche durch eine schmale Landenge mit dem
Festland zusammenhängt, andere Landzungen, der lange und
schmale Meerbusen, kleinere Buchten, die Grenzen des Ge
bietes gegen das Festland zu, die Bodenbesehaffenheit, Berge,
Sümpfe, Wälder, Flüsse, Bäche, weisse Gletscherbäche, Thiere,
Seehunde, Fische, im Meer wie in den Flüssen, Enten, Schwäne,
die Namen, welche den Oertlichkeiten, den Flüssen wie den
Wohnsitzen gegeben werden.
Eir. W. 147 ff. in Vinland, Weizenfelder im Thal, Reben
auf den Höhen, ein grosser fischreicher Fluss, der sich erst
m eine eingeschlossene Bucht, dann in das Meer ergiesst.
Grettla C. 61, S. 141 das Gletscherthal, welches Grettir
entdeckt. Ein langes Thal, so schmal, dass die Sonne nur
einen kleinen Theil des Tages sichtbar ist, von allen Seiten
durch die Gletscher eingeschlossen, die sich bis auf die Thal
sohle hinab ausbreiten. Aber es finden sich doch Halden
mit Gras und kleinem Gesträuch bewachsen, wahrscheinlich
1 S. Döring $. 24 ff.
188
Heinz el.
verhindert es nur die vulkanische Natur des Bodens, dass die
Gletscher nicht das ganze Thal ausfüllen. Ein kleines Ge
wässer fliesst durch, mit flachen Ufern. Bevölkert ist das
Thal von einer ungeheuren Menge sehr grosser und fetter
Schafe.
Hav. S. 26 Beschreibung des Meeresufers bei Thorbjörns
Hof, des Locals für seine Ermordung.
Beschreibung eines Zimmers: Laxd. C. 29, S. 114 Wand
und Decke mit Zeichnungen, welche Begebenheiten der Helden
sage darstellen, so dass es ohne Tapeten am schönsten war.
Beschreibung eines Bettes: Eyrb. S. 93 gesteppte, seidene
Decken, Bettvorhänge.
Beschreibung eines Tempels Eyrb. S. 6 durch Vergleich
der einzelnen Theile desselben mit denen einer christlichen
Kirche.
Beschreibung eines Schiffes: Eigla C. 36, S. 171 schön,
für zwölf oder dreizehn Ruderer und dreissig Mann, die Wände
bemalt. — Schiffe benannt: Floam. S. 151, 5 Stakanhöfdhi,
Vinagautr.
Beschreibung eines Schildes, als eines Geschenkes: Eigla
C. 81, S. 698 mit Zeichnungen geschmückt, welche Begeben
heiten der alten Sagen darstellten, dazwischen Goldspangen
mit Edelsteinen.
Beschreibung einer Axt, als eines Geschenkes: Eigla
C. 38, S. 180 gross, das Blatt gekrümmt und mit Gold verziert,
der Stiel mit Silber, ein kostbares Kleinod.
Kurz sind immer die Beschreibungen der Witterung, s. Dö
ring, Bemerkungen S. 28. Es war schönes, klares, heiteres
Wetter, es war heiss, es war finster, es war rauhes, widriges
Wetter, trübes Wetter, es regnete heftig, ein wenig, es herrschte
Nässe, Nebel, Schneegestöber, es war so kalt, dass die durch
nässten Kleider am Leibe froren.
Ganz kurz und abstract werden Zustände abgethan, welche
für den Fortschritt der Begebenheit nicht wichtig sind ok var
kyrt um liridh, oder kyrt at kalla, oder lidlia svd missari Bjarn.
S. 26, Gullth. S. 61, Laxd. 0. 39, S. 162. C. 52, S. 234. C. 53,
S. 236. C. 56, S. 248, Njala C. 121, 25, — Haens. S. 168
(n ü e r ökyrt).
Beschreibung der isländischen Saga. II.
189
Politische Zustände und Verhältnisse werden in der Regel
auch nur kurz erwähnt zur chronologischen Orientirung. So
finden wir Angaben, unter welchen norwegischen Königen die
erzählten Begebenheiten stattfanden, z. B. Bjarn. S. 3, Floam.
S. 119, Gisl. S. 3, Hardh. S. 3. Ausführlich gehen auf politische
Zustände ein: Eigla C. 51, S. 267 England, C. 73, S. 535
Norwegen und Vermeland, Njala C. 3 Norwegen.
Für alte Sitten aber wird zum Theil lebhaftes Interesse
vorausgesetzt. Sie werden öfters nicht nur als Begebenheiten
der Saga, sondern als Zustände des Alterthums geschildert, so
der Schwur unter dem Rasenstreifen Fostbr. S. 6, Laxd. C. 18,
S. 58 die Gesetze des Holmgangs Korm. C. 10, S. 86.
Mitunter w r ird die ungenaue Mittheilung einer Thatsache
entschuldigt, s. oben S. 186 bei den Namen; ebenso Laxd. C. 71,
S. 308 man wisse nicht die Summe, welche als Busse bezahlt
worden, Njala C. 34, 35 die Ordnung, in welcher die Gäste
bei Tische sassen, obwol schon eine lange Reihe angegeben ist,
sei nicht genau bekannt.
Wie viel von der Saga, als einer literarischen Thatsache,
mitgetheilt wird, ist aus C. I ersichtlich; s. S. 133 ff.
Zu Personen und Sachen.
Die Menge der Attribute richtet sich nach der Stellung,
welche eine Person oder Sache in der Saga einnimmt. Da
durch erscheinen vor allem jene Personen, von welchen ganze
Reihen von Begebenheiten erzählt werden, die Helden und
Hauptpersonen in deutlich umrissener Gestalt, von andern
haben wir bloss eine ungefähre Vorstellung. 1 Frauen werden
nie so ausführlich geschildert als Männer.
Aber auch bei Plelden erstreckt sich die Beschreibung
des Zuständlichen nie gleichmässig auf alle körperlichen und
geistigen Eigenschaften. Es wird immer das Charakteristische
hervorgehoben. So werden schöne Menschen nicht näher be
schrieben, wol aber Abweichungen von dem Regelmässigen
'wd Gewöhnlichen hervorgehoben, dasjenige, was beim ersten
Anblick am meisten auffällt. Von Thorgils’ Gesichtszügen
1 S. Möbius S. 83.
190
Hein zel.
Laxd. C. 63, S. 272 heisst es nur ,er hatte eine ausgebuchtete
Stirne und man sah seine Zähne'. S. oben die Beschreibungen
Gunnlaugs und Hallfredhs S. 192.
Egill wird so geschildert: Eigla C. 55, S. 304. Er sitzt
nach dem Tode seines Bruders mit dem Helm auf dem Kopf,
mit dem Schwert in der Hand im Zelt des Königs und blickt
so furchtbar, dass der König ihn durch Geschenke zu be
schwichtigen sucht. Das gibt dem Autor Anlass, eine Be
schreibung Egils einzuschieben, die nicht nur schildern soll,
welchen Eindruck er in dem gegenwärtigen Momente machte,
sondern wie er überhaupt körperlich beschaffen war: ,Er hatte
grosse Züge, eine breite Stirne und starke Augenbrauen, die
Nase war nicht lang, aber ausserordentlich dick, breit der
Zwischenraum von der Nase zur Lippe, das Kinn und die Kinn
backen ungeheuer gross. Er hatte einen dicken Hals, und so
breite Schultern, dass er dadurch sich von allen andern Menschen
unterschied. Grimmig und bösartig sah er aus, wenn er zornig
war. Er war wol gewachsen und grösser, als alle andern. Sein
Haar war grau und dicht, doch wurde er bald kahl.' Von Augen
und Mund erfahren wir nichts. Offenbar weil sie sich nicht
merklich von Augen und Mund anderer Menschen unterschieden.
Von Snorri heisst es Eyrb. S. 17 : ,Er war von Mittelgrösse
und eher schlank gebaut, schön von Antlitz, die Züge regel
mässig, von heller Gesichtsfarbe, blond von Haar, mit rothem
Bart. Er war im gewöhnlichen Leben freundlich (bequem im
Verkehr), aber man konnte nie wissen, ob er etwas billigte
oder nicht. Er war klug und weitblickend in vieler Beziehung,
von gutem Gedächtniss für empfangene Beleidigungen und nach
tragend, seinen Freunden treugesinnt, aber seine Feinde hatten
seine Anschläge oft schwer zu empfinden.' Wieder nur das
Charakteristische.
b. Vorgänge.
Eine Begebenheit kann ganz in Einzelacte aufgelöst werden.
Es geschieht besonders bei Conflicten, Veranlassung des Streites,
Kampf, Meuchelmord, Hausbrand, Process, Leben des Geächteten,
•Sühne, — bei Kriegen und Abenteuern zu Hause und m
fremden Ländern. — In strenger componirten Sagas, welche
Beschreibung der isländischen Saga. II.
191
einen Conflict bieten, wird Alles vernachlässigt, was nicht un
mittelbar zu dem Ausbruch der Feindseligkeiten führt. Wie
wenig erfahren wir z. B. mit Ausnahme von Korm. von den
Beziehungen zwischen Liebhaber und Geliebten. Dem Ver
fasser ist die Feindschaft zwischen den Rivalen Björn und
Thordhr, Gunnlaugr und Hrafn, Kjartan und Bolli u. s. w. viel
wichtiger. In Eyrb. und Gisl. wird der Conflict durch einen
Ehebruch veranlasst, aber dieser selbst bleibt ganz im Hinter
gründe der Darstellung.
Wo die Darstellung verweilt, kann sie sehr ins Einzelne
gehen. Es wird dann bei Begegnungen das Grüssen und Danken
erwähnt oder dessen Unterlassung Eyrb. S. 67, Finnb. S. 60,
Floam. S. 139,23, Hav. S. 8. 16, Haens. S. 180, Ljosv. S. 44, 1 —
hei Besuchen, Reisen, das Satteln der Pferde, das Auf- und
Absitzen, der Verkehr mit den Dienstleuten bei Ankunft und
Abschied, — bei Spielen, Pferdekampf, Ballspiel, die verschie
denen Gänge und W r ürfe, — bei Kämpfen jeder Hieb und Stich,
jede Parade, jede Wunde,— bei Meuchelmord jede Veranstaltung
und List, welche dass Gelingen oder Misslingen erklären kann,
— bei Processen alle Rechtsmittel und Chikanen und Einzel
bestechungen, welche für den Gang desselben von Wichtigkeit
sein können, bei Sühnen, Urtheilssprüchen mit Zahlenangaben,
jede einzelne Busse. Sehr eingehend wird auch das Aben
teuerliche und Wunderbare behandelt, besonders das Schatz
suchen und -finden, Kämpfe mit den Geistern Verstorbener,
s. vor allem Grettla. Im Ringkampf Grettis mit Glamr er
fahren wir sogar, dass dabei Lämmerwolken am Himmel
dahinzogen, so dass auf einmal das volle Mondlicht auf Glams
Antlitz fiel und Grettir darüber beinahe die Besinnung verlor,
C. 35, S. 85.
Die grosse Ausführlichkeit im Wunderbaren entspringt
W °1 aus einem ähnlichen Motiv wie die eingehenden Schil
derungen alterthümlicher Sitten und Gebräuche: Aufrichtung
von Schandsäulen Eigla C. 60, S. 389, Vatnsd. S. 56, 1, die
Schliessung von Freundschaftsbündnissen unter dem Rasenstreif
Gisl. S. 11; s . oben S. 189. Es ist antiquarisches, roman
tisches Interesse.
1 S. Döring S. 31.
192
Heinz el.
Beschränkungen der Ausführlichkeit durch Rücksicht auf
Schicklichkeit finden nicht immer statt. S. die Schilderung,
welche Unnr ihrem Vater von der Impotenz Hruts macht,
Njala C. 7, 48. — Ausführlich ist auch geschildert, wie Egill
Armodhr ins Gesicht speit Eigla C. 74, S. 552 f.
Selten aber werden Heirathen, Feste, Hausbau, Ueber-
siedlung so ausführlich geschildert wie Laxd. C. 23. 24. 27,
Njala C. 33. 34, oder die Arbeiten der Colonisation, Land-
wirthschaft, Viehzucht wie in Eigla C. 29, ohne dass diese
Begebenheiten Anlass zu einem Conflicte bieten.
Von Natur Vorgängen wird am ausführlichsten berichtet,
wenn eine Person der Saga dabei ihren Untergang findet, so
die Beschreibungen von Seestürmen Laxd. C. 76, S. 326:
heftiger Sturm, das Schiff nähert sich dem Lande, so dass die
Menschen es sehen können, ein Windstoss in das Segel, es
kippt um. Besonders aber Eigla C. 80, S. 599 Ausfahrt aus
dem Flusse, starke Gegenströmung des Meeres, sie muss
abgewartet werden, deshalb verspätete Ausfahrt ins hohe
Meer. Nun Südwestwind und entgegengesetzte Strömung vom
Lande her.
Politische Vorgänge, besonders in Norwegen, werden wie
die Zustände gewöhnlich nur kurz angegeben, um die Chronologie
eines Ereignisses der Saga zu bestimmen. Die Eigla nimmt auch
hier eine besondere Stellung ein, so z. B. C. 59, S. 366 Norwegen.
Aber die erzählten Begebenheiten stehen doch in engerem Zu
sammenhang mit dem Leben Egils als die ausführliche Erzählung
norwegischer Ereignisse C. 19 der Grettla mit dem Leben Grettis,
oder C. 100—105 der Njala, Einführung des Christenthuins in
Island, mit dem Schicksale der Familie Njals.
Am meisten erregen die den Personen in den Mund ge
legten Reden den Schein, getreue und vollständige Abbilder
der Wirklichkeit zu sein. Sehr häufig sind ausgeführte lange
Gespräche zweier und mehrerer mit Inquit und directer Aus
drucksweise, s. z. B. Eigla C. 6, Laxd. C. 2. 9. 19. 40. 63. 70,
— und ebenso kurze hingeworfene Aeusserungen, Ausrufe,
z. B. was Vesteinn, als er den Todesstreich empfing, gesagt habe
Gisl. S. 22. 106, Grettla C. 45, S. 103, oder Hohnworte im
Kampfe, s. Ileidh. S. 363 ff. Reden, politische und Gerichts
reden, z. B. Eigla C. 12. 57, Njala C. 22. 142. 143. 144, aber
Beschreibung der isländischen Saga. II.
193
auch Reden im Privatverkehr, Eigla C. 6, Laxd. C. 6. — Aus
führliche Eide, Sühnen, Gluma S. 388, Grettla C. 73, S. 164,
Heidh. S. 379, Laxd. C. 88, S. 360. Oefter erklärt sich auch hier
die Ausführlichkeit durch antiquarisches Interesse. S. oben S. 191.
Selten sind Monologe: Ljosv. S. 60, Vatnsd. S. 6, 3. —
In Laxd. (Bolla thattr) C. 79, S. 338 führt Thorolfr im Monolog
ein Gespräch zwischen sich und einer andern Person auf. Er
wird dabei von einem Andern belauscht und wegen seiner
Thorheit (fölska) gescholten.
Da es sich in den Reden und Gesprächen immer um einen
conereten Fall handelt, der erörtert wird, so haben allgemeine
Bemerkungen meist die Form von kurzen Sentenzen und Sprich
wörtern. 1 Auch der Ausdruck der Gefühle ist, wenn er er
scheint, sehr knapp. 2 S. Ljosv. S. 14. Es scheint die Sonne
und ihr Geliebter reitet in den Hof. Da sagt sie, dass nun
erst Sonnenschein und Südwind sie freue, da der Geliebte
komme. Njala C. 73, 12 sagt Njall zu Gunnarr, als deren
Lage durch die Tödtung Thorgeirs eine schwierige geworden,
er werde ihm seine Freundschaft bis in den Tod bewahren.
C. 111,27. 122, 9 Njals Trauer um Höskuldr: ,Als ich seinen
Tod erfuhr, war es mir, als ob das süsseste Licht meiner Augen
erlöschte. Ich wollte alle meine Söhne missen, wenn nur er
noch lebte'. Das sind wohl die ausführlichsten Aeusserungen
dieser Art, und sie sind sehr selten.
Auch wenn von einer Person der Saga erzählt wird, dass
sie bei einer gewissen Gelegenheit ein Gedicht gemacht habe,
wird dies in der Regel vollständig mitgetheilt. Mitunter werden
auch Gedichte eingelegt, welche nicht von Personen der Saga
herrühren, aber auf solche oder Begebenheiten der Saga gemacht
sind. So Eyrb. S. 43. 68. 83. 105. 113, Fostbr. S. 22, Grettla
C. 11, 'S. 17, 0. 12, S. 19, C. 66, S. 154, Njala C. 77, 100.
109. Diese Verse sind ein beinahe regelmässiger Schmuck
der Saga. Ohne oder fast ohne Verse sind nur Band. Ausg.
Cederschjöld (eine .Strophe), Finnb., Floam., Gullth., Hrafnk.,
Haens., Ljosv., Njardhv., Reykd. (eine Strophe), Vallal., Vapnf.,
Vatnsd. (eine Strophe), Thorst..
1 s. Döring g. 31. 39 f.
2 S. Döring S. 34.
Sitzungsbor. d. phil.-lnst. CI. XCV1I. Bd. I. Hit.
13
194
Heinzei.
Daneben kommt kurze, abstracte Darstellung natürlich
überall vor für Begebenheiten, welche dem Verfasser nicht
wichtig scheinen. So besonders Verweisungen auf Früheres
im Plusquamperfect. Z. B. die Geschichte Havardhs Hav. S. 1
vor der Hauptbegebenheit der Saga, — das Leben des Vaters
des Helden im Beginn so vieler Sagas. — Oder Dropl. S. 18
Flosi bat Thorkeil, zu ihm zu kommen. Er hatte nämlich
Arnor getödtet und dieser sollte jetzt für rechtlos erklärt werden.
Eine Reihe solcher Stellen unten S. 197. Ebenso kurz sind
die Verweisungen auf Künftiges. S. unten.
Selten wird ein erzähltes Ereigniss oder ein gegebener
Auftrag oder irgend eine Aeusserung in der Botschaft, dem
Bericht davon wiederholt. Eigla C. 77, S. 581. 583: die Er
zählung vom Kampf ist viel kürzer als die Darstellung des
selben. Fostbr. S. 12: Thorgeirr erhält von seiner Mutter einen
ausführlichen Rath, die Befolgung desselben wird viel kürzer
erzählt. Ljosv. S. 40, Njala C. 7. 23, Reykd. S. 305. — Etwas
ausführlicher sind die Wiederholungen in Ljosv. S. 15, Reykd.
S. 234. 238. 308,' Vatnsd. S. 7, 20 = 9, 32; S. 37, 28 =
38, 3. — Fostbr. S. 9 und 11 wiederholt der Diener allerdings
dem Herrn sein Gespräch mit dem Fremden; aber es sind
nur ein paar Worte.
Aber auffällig ist es, wenn Haens. S. 170 der Wortstreit
zwischen Thordhr und Oddr nur in der Botschaft, gar nicht
in der Erzählung erscheint.
Solche verkürzende Darstellung tritt daher gerne bei
indirecter Rede ein. So Band. S. 31, Bjarn. S. 18. 53,
Eyrb. S. 79, Finnb. S. 12. 39, Fostbr. S. 40. 94, Gisl. S. 27,
Gluma S. 353. 361. 2 378, Grettla C. 62, S. 143, Hav. S. 19,
Heidh. S. 328, Hrafnk. S. 13, Ljosv. S. 39. 42. 112, Njala
S. 91, 7. 131, 14, Reykd. S. 306.' 308, Vallal. S. 211, Vapnf.
S. 24.
Der Bericht kann sogar so kurz sein, dass wir dem
jenigen, an den er gerichtet wird, einen Theil unseres Wissens
zuschreiben müssen. Njala C. 64, 17 Gunnarr erzählt Njall
1 S. Möbius, Ueber die ältere isländische Saga S. 66 f.
2 Es ist dieselbe Erzählung wie Reykd. S. 308, s. Möbius S. 66.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
195
von seinem grossen Kampfe gegen seine Gegner blos: .Ich
habe mich in grosse Ungelegenbeit gestürzt und viele Männer
getödtet'. Worauf Njall ihn tröstet und ihm guten Rath gibt.
Das Inquit kann fehlen Bjarn. S. 62, Gisl. S. 14. 17
(aber in der andern Bearbeitung S. 96. 101 steht es), Gluma
S. 363. 385, Gullth. S. 75/ Hallfr. S. 99, 13.2 102, 26 (vor
Gedicht), S. 105, 18 (vor Gedicht), Hardh. S. 53, Laxd. C. 74,
S. 316, Ljosv. S. 43 ,Sie gaben sich die Hände darauf, ein
ander in allen Dingen beizustehen, denn so gehört es sich'
(ihm that er mdkligast), Reykd. S. 233, Svarfd. S. 183.
Der Erzähler lehnt es geradezu ab, Unwichtiges aus
führlich zu berichten: Bjarn. S. 3 Die Zwistigkeiten zwischen
Björn und Thordhr in ihren Knabenjahren, — Eigla C. 77,
S. 581 Einzelnheiten eines Kampfes, an dem Egill nicht per
sönlich Antheil nahm, — Grettla C. 14, S. 26 Knabenstreiche
Grettis, — Hardh. S. 13 Vorbereitungen zur Heirat Grims. —
Aehnlich Hav. S. 32 ,Von ihrer Fahrt (Havardhs zu Steinthorr)
ist nun nichts zu sagen, bevor sie nach Eyri kamen' (nü er
ekki at, segja frd theirra ferdh fyrr enn their korna d Eyri).
Ebenso S. 38. 46.
Kurz angedeutet wird auch häufig, nicht immer, was ein
Mensch allein thut, oder was zwei heimlich thun. S. oben S. 161.
Nicht selten aber hält es schwer, Gründe für die ausser
ordentliche Knappheit der Darstellung zu finden. Z. B. in
Bjarn. S. 10 der Holmgang in Gardhariki, S. 38 Björns und
Grettis Kraftübungen. — Dropl. S. 15 Helgi tödtet Björn,
der im Verdachte stand, ein Liebesverhältniss mit einer ver-
heiratheten Verwandten Idelgis zu unterhalten. — Eir. N.
S. 548 auffallend wenig über Thorvardhr, er erscheint nur als
Mann der Freydis. — Eir. W. S. 90 die Erzählung von den
Sclaven Eriks, welche einen Bergsturz veranlassen, durch
Zauberei wie die Hexe in Gisl. S. 33 eine Lawine? — Auch
die Geschichte von Leifr und der verführten Thorgunu S. 114
ist nur angedeutet, ebenso der Tod Thorsteins S. 124. —
1 Worte Steinolfs, vom Herausgeber wie es scheint nicht als solche er
kannt. Steinolfr spielt auf Thoris Worte S. 70 an.
2 Vom Herausgeber nicht bezeichnet.
13*
196
Heinz e 1.
— Finnb. S. 63 die Herausforderung' zum Holmgang, welche
Finnbogi Jökull zukommen lässt. — Floam. S. 184, 2 die Ge
schichte von Hrolfs Process, den Thorgils führt, S. 150, 2.151, 20.
— Hardh. S. 41—60 sind von fünfzehn Jahren des Helden
ausgefüllt. — S. 72 der Kampf Hürdhs mit seinen Gegnern.
Korm. C. 19, S. 183 Zusammenkunft des Liebespaares. ,Er
hebt sie vom Pferde und setzt sie neben sich. Die Pferde
verlieren sich, der Tag verrinnt, es wird Nacht. Da sagte
Steingerdhr: es ist Zeit, die Pferde zu suchen'. C. 20 S. 196
,Kormakr wird sehr zornig und tödtet Narii, der ihn mit Stein
gerdhr verfeindet hatte'. — C. 24, S. 226 die erste Befreiung
Steingerdhs von den Seeräubern durch Kormakr. — Njala C. 45,
82 von dem Process, für den Gunnarr sich Njals Rath erbittet,
erfahren wir nichts, als dass es eine schwierige Sache war
(eitt vandamal).
Die Zeitangaben sind gewöhnlich genau. Wenn auch
nicht Zahlen genannt werden, wie Grettla C. 70, S. 161 dass
Sturla Thordharson sage, Grettir habe damals fünfzehn oder
sechzehn Jahre in der Acht zugebracht, — oder Hardh. S. 41—60
gleich fünfzehn Lebensjahren des Helden, der nach Ablauf dieser
Zeit dreissig Jahre alt ist, — so ist doch in der Regel kein
Zweifel darüber, ob eine längere oder kürzere Zeit zwischen zwei
Begebenheiten verstrichen ist. Um so auffälliger ist es, wenn
Njala zwischen C. 25 und 34, ohne dass es gesagt wird, doch
mindestens fünfzehn Jahre fallen, da Mördhr C. 25, 19 geboren
wird und C. 34, 27 auf Gunnars Hochzeit kommt. Auch dass
Thorgerdhr die Tochter Glums und Hallgerdhs C. 34, 20
schon vierzehn Jahre alt ist, fällt auf. Das weist wol auf
eine Nath.
Doch auf die Unklarheiten, welche sich aus verschiedenen
Voraussetzungen der Sagabestandtheile ergeben, gehe ich hier
nicht ein.
Das Leben des Helden wird bis zu seinem Tode oder
bis zu seiner Errettung aus schwieriger Lage (Vallal.), bis
zur Vollführung einer wichtigen That (Hav.) fortgeführt.
Wie es den Nebenpersonen ergeht, wird nicht erzählt, so
bald sie nicht mehr in die Handlung eingreifen. Es heisst
entweder ausdrücklich er or sögunni, die Geschichte befasse
sich nicht mehr mit ihnen, oder sie werden einfach fallen
Beschreibung der isländischen Saga. II.
197
gelassen. Es sind das öfters durchaus nicht unwichtige Personen,
besonders Frauen. Was z. B. mit Thuridhr in Eyrb., mit
Thordis und Thorbjörg in Fostbr., mit Kolfinna in Hallfr.,
mit Steingerdhr in Korm., mit Hallgerdhr in Njala später ge
schieht, erfährt man nicht. Letzteres Beispiel ist besonders
auffallend. Nachdem sie noch in Verdacht gerathen, mit dem
unseligen Hrappr ein Liebesverhältniss zu unterhalten C. 87,
204, verschwindet sie dem Leser ganz aus den Augen.
Ueber Kürze und Unvollständigkeit anderer Art s.
unter II. III.
II. Zustände und Vorgänge als in der Zeit fortlaufende
Reihen betrachtet.
a. Kurze Angabe einer Thatsache, welche die deutliche
Function hat, eine zeitlich folgende zu erklären, oft ,denn‘ (thviat).
Dropl. S. 13 Helgi ,ernannte Anr zum Richter', ,denn
dieser hatte ihm sieben Zuchtpferde gegeben'. — S. 18 Flosi bat
Thorkell, mit möglichst viel Leuten zu kommen. Nun Grund:
Flosi wollte Arnorr, den er hatte tödten lassen, für rechtlos
erklären (vilde Flosi stefna til uhelgi Arnöri Ornölfssyni, brödhur
Halldörs i Skögam; thann mann hafdhi Flosi vega lätidh). —
S. 34 Ingjaldr gibt eine falsche Erklärung über die Trübung
des Baches. Die Ursache war vielmehr, dass Grimr Erde in
den Bach geworfen hatte. (En that var reyndar, at —.)
Eigla C. 57, S. 359 Egils Kampf gegen den König nach
dem Thing. Er hatte, bevor er zum Thing zog C. 56, S. 317
sein Schiff bereit machen lassen.
Finnb. S. 59 Eine Frau war draussen und grüsste Jökull,
denn (thviat) sie hatte ihn oft gesehen. — S. 60 Jökuls Schwert
schneidet nicht. Er wundert sich, denn (thviat) er hatte bei
früheren Gelegenheiten erprobt, dass das Schwert sehr gut
schneide.
Fostbr. S. 32 Das Schwert schnitt nicht, denn (thviat)
Kolbakr war von Grima verzaubert worden.
Grettla C. 10, S. 15 Sie nahm ihn sehr wohl auf, denn
(thviat) er war jenseit des Westmeeres bei ihr gewesen. —
C. 31, S. 72 Er empfing Bardhi freundlich und fragte ihn,
198
Heinzei.
was er für Unterstützung erlangt habe, denn (tliviat) sie hatten
schon früher über die Reise Bardhis Rath gehalten.
Heidh. S. 360 Sie kamen nicht nach Gilsbakki, weil
Hermundr und seine Leute zu den Schiffen geritten waren.
(En thvi var eigi komit til Gilsbakka, at —.)
Thorv. S. 37 Ein mächtiger Hei'zog befreit Thorvaldr
aus dem Gefängniss. ,Denn (thviat) kurz zuvor hatte dieser
zwei kriegsgefangene Söhne dieses selben Herzogs losgekauft
und sie ihrem Vater zurückgeschickt'.
b. Eine Thatsache wird unvollständig mitgetheilt, nur
angedeutet. Dann Erklärung: durch Autor.
Njala C. 111, 13 ist klar, dass Mördhr an der Ermor
dung Höskulds betheiligt ist, da ,Alle' ihn angriffen. C. 112,
38 sagt er, er wisse nicht, wer Höskuldr eine gewisse Wunde
beigebracht habe. ,Aber diese hatte er ihm selbst geschlagen'.
(Enn thvi hafdhi kann sjalfr saert.)
Svarfd. S. 159 Klaufi trägt eine schwere Last, Ingöldr
seine Frau, nimmt sein Schwert und wirft es unter den Thor
bogen mit den Worten: Wer wagt, benutze es. Dann ver
weilte sie so lange vor ihm, bis er durchbohrt war, so dass
er sogleich starb. Das thaten die Söhne Asgeirs (Ingölds
Brüder). (Thessu verki ollu their Asgeirssynir).
ß. durch eine Person der Saga.
Eigla C. 67, S. 481 Die Hausleute sind traurig. Den
Grund erzählt Gydha S. 484. — C. 88, S. 766 Egill reitet
mit seinen Schätzen und zwei Sclaven fort und kommt ohne
dieselben zurück. S. 767 sagt er, dass er die Schätze ver
borgen. die Sclaven getödtet habe.
Eyrb. S. 71 f. Das Gerücht, dass Kjartan Björns Sohn
sei, wird von diesem in einem Gedicht bestätigt.
Laxd. C. 71, S. 305 Bolli und Thorleikr sprechen fort
während mit einander. Durch Snorris Frage erst erfährt der
Leser den Inhalt dieser Gespräche.
Njala C. 6, 63 Die Impotenz Hruts wird nur angedeutet,
erst C. 7, 48 von Unnr erzählt. — C. 41, 49 Hallgerdhr und
Thrainn sprechen leise zusammen, Niemand weiss was. Aber
die C. 41, 64 laut gesprochenen Worte Hallgerdhs machen uns
mit dem Inhalt bekannt. — C. 78, 23 Njall spricht leise mit
Beschreibung der isländischen Saga. II.
199
Skarphedhinn. Was der Gegenstand des Gespräches gewesen,
erfahren wir aus Skarphedhins Worten zu Högni C. 78, 53.
Reykd. S. 272 Die räthselhaften Begebenheiten des Braut
raubs von S. 270 f. werden von Steinfinnr erklärt. — S. 307
Eldjarn und Glumr sitzen den ganzen Tag beisammen, und
Niemand weiss, was sie reden. Glumr nimmt seine Tochter
von Vigaskuta, seinem Schwiegersöhne, zurück und verheirathet
sie an Eldjarn. Da wussten die Leute, was der Inhalt jenes
Gespräches gewesen sei.
C. Eine Thatsache wird verschwiegen. Wir erfahren von
ihr nachträglich das Allgemeinste dadurch, dass sie andern
Thatsachen zur Voraussetzung dient. Zu diesen andern That-
sachen zähle ich hier auch Aeusserungen von Personen der Saga.
Band. S. 10 Oddr hat am Morgen des Gerichtstages zu
lange geschlafen. Als er erwacht, sind nur wenig Leute mehr
im Hause. Dass Uspakr ohne ihn zu wecken mit den Seinen
fortgeritten, war nicht gesagt worden.
Bjarn. S. 26. 44 Dass Kolli Björns Sohn ist, erfahren
wir erst durch die Gedichte Björns.
Dropl. S. 5 Arneidhr geht mit einer Begleiterin ans Land,
schickt dann diese, Ketill zu holen. Als er allein zu ihr
kommt, zeigt sie ihm einen Schatz, den sie gefunden. Aber
vorher kein Wort davon.
Eir. N. S. 542 Von der Verwundung Thorvalds im Kampfe
erfahren wir erst durch seine Worte.
Floam. S. 141, 11 Thorgils verliert sein Vieh durch den
Gott Thorr. Er wacht eine Nacht bei dem Vieh, den andern
Morgen ist er am ganzen Körper blau. Er hat also einen
Kampf bestanden, oder es ist ihm etwas zugestossen.
Fostbr. S. 31 Thormodhr liebt Thordis, will sie aber
nicht heirathen und setzt trotz der Vorstellungen ihrer Mutter
Griina seine Besuche fort. Grima beauftragt den Sclaven Kol-
bakr, Garn zum Weben zu tragen, gibt ihm aber mit dem
Garn auch ein Hackmesser und sagt: ,Nimm das und sei nicht
waffenlos' (h.aj thü thetta i hendi, oh ver ehhi slyppr), er soll
damit Thormodhr, wenn er von seinem Besuch bei der Ge
liebten heimkehrt, tödten. Der eigentliche Auftrag muss schon
früher gegeben worden sein.
200
Heinzei.
Gisl. S. 15 Von den Liebesverhältnissen zwischen Ve-
steinn und Asgerdhr, Thorkels Frau, und zwischen Thorgrimr
und Audhr, Gislis, Thorkels Bruders, Frau, erfährt der Leser
erst, als Thorkeil zufällig das Gespräch der zwei Frauen be
lauscht. Die Frauen waren seit ihrer Verheirathung S. 9 nicht
mehr erwähnt worden. — S. 20 f. Vesteinn erhält von den
Knechten Gislis die Botschaft und heisst sie nach Hause gehen
und Gisli seine baldige Ankunft melden. Später aber wird
gesagt, dass diese Knechte Vesteins Waaren zu Gisli gebracht
hätten. Dass er sie ihnen übergeben, fehlt ganz.
Gunnl. C. 11, S. 259 ff. Zusammenkunft Gunnlaugs und
Helgas, der Frau Hrafns, am Oxarfluss. Gunnlaugr ist dann
eines Morgens allein in seinem Schlafzimmer, da tritt Hrafn
ein mit zwölf Bewaffneten. Hrafns Entschluss und Weg fehlt.
Hav. S. 11 Erst aus Sigridhs Rede ersehen wir, dass
Olafr unter den Leuten war, welche ihr Gut abgeschätzt haben.
— S. 16 Aus dem Benehmen Olafs erkennen wir, dass er in
der That den Widder gestohlen hat.
Heidh. S. 387 f. Gudhmundr reitet nach Galmaströnd
und hört von Bardhis Schiffbruch. Abends spricht er mit
seinem Sohne Eyjulfr, und es zeigt sich, dass dieser auch
schon davon weiss.
Haens. S. 170 Den Wortstreit zwischen Thordhr und
Oddr erfahren wir nur aus dem Bericht von Odds Sclaven an
dessen Frau.
Laxd. C. 41, S. 182 Die Beziehungen Kjartans zur Prin
zessin Ingibjörg erfahren wir zuerst aus dem Gespräch zwi
schen Kjartan und Bolli.
Ljosv. S. 66 Gudhmundr will Eylifs und Brunis Haus
verbrennen. Da tritt seine Frau, Thorlaug, in die Thüre. Sie
muss also zu Brunis Frau, ihrer Verwandten, auf Besuch ge
kommen sein. Aber seit S. 39 war von ihr nicht mehr die
Rede, nur S. 63 Erwähnung ihrer Verwandtschaft mit Eylifr
und Bruni.
Njala C. 64, 39 Gunnarr soll auf Njals Rath sagen, dass
dieser ihn auf dem Thingskalathing ,gereinigt' habe (at eh hel-
gadha thik). Davon war vorher nichts erzählt worden. Es
wird aber durch C. 66, 19 bestätigt.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
201
Reykd. S. 237 Erst durch Vemunds Aussage erfahren
wir, dass Björn den Rath Hals’ S. 234 nicht befolgt hat. —
S. 246 Ein Sclave sagte Hroi, er wolle ihm jetzt den Hosen
stoff vergelten, den er ihm einst geschenkt, durch eine gute
Nachricht nämlich. Von dem Geschenk wissen wir nichts. 1
Vapnf. S. 7 f. Geitir redet Hrafn zu, den Spielen beizu
wohnen. — Hrafns Tödtung bei denselben wird nur von einem
Boten gemeldet.
Vatnsd. S. 6, 4 sagt der Räuber Jökull, dass sein Feuer
vor kurzer Zeit müsse geschürt worden sein. Das kann nur
der im Hause versteckte Thorsteinn gethan haben. Erzählt
ist es nicht worden, S. 5. — S. 16, 22 Vor der Schlacht von
Hafrsfjördhr entfernt sich Saemundr, während Ingimundr tapfer
auf Seite des Königs ficht. S. 17, 5 lobt ihn der König dafür
und tadelt das Benehmen Saemunds. Wie er davon Kunde
bekommen, wird nicht gesagt. 2 — S. 43, 12 ,Darauf starb
Lj off (sidhctn dö Ljöt kerling), — die Hexe, die Mutter Hrol-
leifs. Dass sie von den Brüdern wie ihr Sohn getödtet wurde,
fehlt. Aber es ist so gemeint. Denn gleich darauf heisst es:
Nach der Tödtung Hrolleifs und Ljöts (Eptir drdp theirrcc
Hrolleifs ok Ljötar.)
d. Eine Thatsache wird verschwiegen, oder nur ange
deutet, und bleibt dunkel, a. Doch gibt es Vermuthungen
der Leute.
Bjarn. S. 65 Verschiedene Berichte der Leute über Einzel
heiten des letzten Kampfes.
Dropl. S. 16 f. Dass Droplaug und Helgi die Ermordung
Hallsteins veranlasst haben, ist nach der Erzählung wahr
scheinlich. Heimliches Gespräch der Droplaug mit Helgi und
dem Sclaven. Aber es wird nicht ausdrücklich gesagt und
auch die Leute vernmthen es nur.
1 Doch fehlt vielleicht etwas, denn auch von dem Sclaven heisst es er fyrr
var nefndr, ohne dass er früher vorgekommen wäre.
- Döring, S. 23, sieht in dieser Stelle einen Beweis für die Selbständigkeit
des Schriftstellers. Abgesehen davon, dass die mündliche Tradition ge
wiss auch den Stoff in poetischer Freiheit wird umgestaltet haben, zwingen
wol die vorhergehenden Stellen, die unsere durch Auslassung zu erklären.
202
Heinzei.
Eigla C. 61, S. 396 Skallagrimr reitet mit seinen Schätzen
fort und kommt ohne dieselben zurück. Es ist nur Vermuthung
der Leute, dass er sie in einen Sumpf versenkt habe. — C. 88,
S. 766 Egill reitet mit seinen Schätzen und zwei Sclaven fort.
Dass er die Schätze verborgen und die Sclaven getödtet habe,
sagt er selbst S. 767. Ueber den Ort aber gibt es nur Ver
muthungen der Leute.
Eyrb. S. 50 ff. Björn und Thuridhr lieben sich, ob es zum
Ehebruch kam, ist unklar, nur Vermuthungen der Leute
werden mitgetheilt. — S. 65. 77 Die Betheiligung Snorris an
den Anschlägen auf Arnkell und die Breidhvikinge wird blos
als Vermuthung der Leute erzählt.
Floam. S. 141, 11 Thorgils verliert sein Vieh durch Gott
Thorr. Da wacht er eine Nacht im Stall. Morgens ist er blau
am ganzen Körper. Die Leute vermuthen, dass er mit Thorr
gekämpft habe.
Gluma S. 371 ff. Ob ein ehebrecherisches Verhältniss
zwischen Steinolfr und der Frau Arngrims bestand, ist zweifel
haft. Die meisten Leute glaubten, dass Arngrimr keinen Grund
zur Eifersucht habe.
Grettla C. 67, S. 156 Vermuthung der Leute, dass Skeggi
Grettis, nicht Kjartans Sohn sei.
Hardh. S. 70 Verschiedener Bericht der Leute, ob Hördhr
die Ochsen bezahlt habe oder nicht. — S. 115 Zwei Weiber
treffen sich, dann findet man ihre zerrissenen Leichen. Ver
muthungen der Leute, sie hätten über einen Ring gestritten
und sich gegenseitig getödtet. — S. 116 Thordhr und Grimkell
treffen sich, dann werden sie todt gefunden. Vermuthung der
Leute, dass Skeifr die Verwundeten getödtet und beraubt habe.
Laxd. C. 46, S. 208 Vermuthung der Leute, dass Thorolfr
auf Anstiften Gudhruns das schöne Tuch der Hrefna ver
brannt habe. /
Reykd. S. 208 Verschiedene Meinungen der Leute, ob
Glumr seine Tochter von Skuta zurückgenommen, oder dieser
sie ihm zurückgeschickt habe.
ß. Auch diese Vermuthungen fehlen.
Floam. S. 144, 30. 147, 20 Wer Thörey ermordet hat,
bleibt unklar.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
203
Gisl. Dass Thorkeil Vesteins Ermordung durch Thor-
grimr veranlasst habe, wird uns angedeutet ausser durch das
Schmieden der Grasida mit Thorgrimr S. 18, noch S. 24
durch die zweimalige Frage Thorkels an Gisli, ob Audhr
den Tod Vesteins, ihres Bruders, sehr beweine, und durch
Gislis Antwort: ,Du fragst oft darnach, Bruder* (Opt spyrr thü
iliessa, fraendi). — S. 22 Es wird nur gesagt, dass Jemand
bei Nacht in das Zimmer gekommen sei, wo Vesteinn schlief,
und diesen erstochen habe. Dass .Thorgrimr der Mörder ge
wesen, ist nur angedeutet durch die Schmiedung von Grasidha
S. 18 und die Worte Thorgrims, nachdem er der Leiche Ve-
steins die Todtenschuhe angezogen hat: ,Ich kann keinen
Todtenschuh binden, wenn diese hier aufgehen* (Ekki kann
ek helskö at binda, ef thesser losna). — S. dagegen die andre
Fassung S. 109 f.
III. Zustände und Vorgänge als gleichzeitig betrachtet.
A. An Einer Person.
1. 2. Für zwei oder mehr 1. sinnliche oder 2. unsinn
liche Zustände, die gleichzeitig an einer Person erscheinen,
Beispiele anzuführen, ist nicht nötliig. S. oben S. 173 ff.
3. Ein sinnlicher und ein unsinnlicher Zustand.
Es werden entweder
a. Beide angegeben; s. oben S. 173 ff. oder z. B. Vallal.
8. 208 Vallaljotr ist verschieden gekleidet nach verschiedener
GemüthssÖininung. S. auch Laxd. (Bolla thattr) C. 87, S. 358
Thorkels Gewohnheit, für gewöhnlich einen schwarzen Rock
und ein Schwert zu tragen, wenn er aber zum Kampfe ging,
einen blauen und ein Beil.
ß. Oder es wird nur der sinnliche Zustand angegeben
~~ Symptomatische Darstellung — Eigla C. 56, S. 322 Im
Herbste wurde Egill sehr traurig und sass oft mit verhülltem
Haupte da. Das heisst er war verliebt. — Vallal. S. 212 Es
wird nur angegeben, wie Vallaljotr bei einer bestimmten Ge
legenheit gekleidet war. Der Leser weiss, dass es jetzt Kampf
geben wird. Manches gehört zum Theil hieher, was unten wie
%la C. 56, S. 322 unter den gleichzeitigen sinnlichen und
204
Hein zel.
unsinnlichen Vorgängen angeführt ist, wenn wir nicht auf das
Eintreten eines neuen Zustandes, sondern auf die Dauer des
selben Gewicht legen.
Oder es kann, was allerdings selten ist, nur der un
sinnliche Zustand zur Darstellung kommen: Njala C. 6, 63
man erräth aus der Kühle des Ehegatten, dass ihr geschlecht
licher Verkehr nicht der normale ist.
4. Ein sinnlicher Zustand und ein sinnlicher Vorgang.
a. Beides wird erwähnt. Der Zustand erweist sich häufig
entweder sofort oder später als wichtig für die Begebenheiten.
Bjarn. S. 8 Im Gespräch mit Björn zeigt Thordhr seine
hinterlistigen Absichten. Es wird erwähnt, dass er fünfzehn
Jahre älter war als dieser. — S. 63 und 64 Björns Aussehen,
Gestalt, Antlitz, Kleidung vor letztem Kampf.
Dropl. S. 29 Grimr war ohne Schuhe und hatte einen
Knüttel in der Hand, als er Helgi tödtete.
Eigla C. 55, S. 304 Egils Person, Rüstung, Gestalt, Ge
sichtszüge werden ausführlich beschrieben, als er nach dem
Tode seines Bruders sich durch seine drohenden Geberden
Geschenke von dem König ertrotzt.
Eyrb. S. 48 Müdigkeit der Berserker, als sie getödtet
werden. — S. 69 Sitte der Kaufleute, selbst zu kochen, bei
dem Streit Arnbjörns mit Thorleifr um den Kochtopf. — S. 71
Arnbjörn hielt nichts auf elegante Kleidung, was ihm S. 78
zu Statten kommt. — S. 81 Steinthors Kleidung bei seinem
Kampfe mit Snorri. — S. 86 (der Kampf auf dem Eise) Frey-
steinn sprang Thorleifr nach: er hatte nämlich Steigeisen (harn
var ds köbroddum). — Freysteinn sagt nach einem empfangenen
Hiebe, er sei nicht verwundet: er trug nämlich eine Filzkaputze
mit eingelegtem Horn. Die hatte den Hieb aufgefangen. (Hann
hafdhi verit i flohaliettu, oh saumat i horn um hälsinn, oh kom
thar i höggit.)
Finnb. S. 18 Rafn hat die Gewohnheit, bei seinen Fahrten
nie ein Pferd zu besteigen. — S. 68 Das schöne Schiff Raudhs
wird vor seinem Zweikampfe mit Finnbogi erwähnt. Es lallt
nachher Finnbogi zu. — S. 70 Finnbogis körperliche und
geistige Eigenschaften vor dem mit Emphase geschilderten Auf
heben des schweren Steines.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
205
Floam. S. 145, 25. 158, 2 Thorgils hatte eine Streitaxt
in der Hand bei der Besteigung des Gletschers und als er
das Schiffsthau abschnitt.
Fostbr. S. 10. 16 Wer bei dem Kampfe das bessere
Licht hatte. — S. 84 Lodhius Kleidung bei seinem Angriff
auf Thormodhr. — S. 87 Thormodhs zweifarbiger Mantel, als
er Thorgrimr tödtet.
Gisl. S. 67 Gislis langer Rock, der durch Spur im Thau
seinen Weg verräth.
Gluma S. 327 Eyjulfs Lodenrock bei seinem Verkehr
mit Ivarr. — S. 361 Vigaskutas zweifarbiger Mantel bei seiner
Begegnung mit Vigaglumr. — S. 381 Glumr nennt seinen Sohn
Vigfuss Thundarbenda. ,Er hatte nämlich einen Sclaven dieses
Namens/
Grettla C. 40, S. 95 Der Berserker hatte bei seinem
Streit mit Grettir zwar den Hehn auf dem Kopf, aber nicht
festgebunden, was ihm alsbald zum Nachtheil ausschlägt. —
C. 48, S. 109 Weder Grettir noch seine Gegner hatten Helme,
als sie mit einander kämpften. Das erklärt die Beschaffenheit
der Wunden.
Gunnl. C. 11, S. 250 f. Kleidung Helgas und Gunnlaugs,
als sie sich das erste Mal seit Gunnlaugs Reise Wiedersehen.
Hardh. S. 35 Hördhr und Geirr gehen zusammen zum
Thing, denn sie liebten sich so sehr, dass sie sich nie trennten.
— S. 83 Hördhr erkannte Illugi, denn er war ausserordentlich
scharfsichtig. — S 112 Refs Gewohnheit, die Thüren zu ver
sperren und Abends zweimal um das Haus herum leuchten zu
lassen, bei Thorolfs Mordversuch auf ihn. — S. 195 Hördhs
sittliche Eigenschaften nach seiner Tödtung.
Hav. S. 25 Die hohen Stiefel der Söhne Valbrands,
welche an der Sonne stehen, als sie von Havardhr zum Rache
werk gerufen werden. Sie reissen sich dann die Füsse blutig.
Laxd. C. 7, S. 17 Unns Aussehen, Gestalt, Gang vor
Tod. — (J. 23, S. 93 Olafs Kleidung als Brautwerber. —
0. 55, S. 245 Gudhruns Kleidung, als sie den Mördern ihres
Mannes unmittelbar nach dessen Tödtung entgegen kommt.
An ihrem Schleier wird die Lanze abgewischt. — C. 75, S. 322
Haklors Kleidung und Spange, als man ihm zuredet, seinen
206
Heinzei.
Acker zu verkaufen. — C. 76, S. 326 Thorkels Alter und
äussere Lebensstellung' bei Bericht von seinem Tode.
Ljosv. S. 100 Ein Mann bat Handschuhe beim Schiff
ziehen. — S. 107 Rüstung Brands und des Königs in der
Schlacht.
Njala C. 13, 78. 33, 20 Beschreibung von Hallgerdhs
Kleidung vor zweiter, dritter Heirath. — C. 53, 16 Otkell
trug Sporen, als er Gunnarr niederritt. — C. 77, 6 Als Gunnarr
im Hause angegriffen wird, erfährt man, wo er und seine
Familie zu schlafen pflegten. — C. 92, 55 Skarphedhins Klei
dung und Bewaffnung vor Tödtung Thrains. — C. 120, 8
Skarphedhins Kleidung, Haartracht, Bewaffnung, allgemeiner
Eindruck, den er hervorrief, vor Erzählung von seinem Bitt
gang auf dem Thing, bei welchem er Alle durch seine scharfe
Zunge verletzte.
Reykd. S. 309 Vigaskutas zweifarbiger Mantel bei seiner
Begegnung mit Vigaglumr.
Svarfd. S. 147 Klaufis physische Beschreibung nach seinen
ersten Waffenthaten.
Yallal. S. 212 Ljots und Hallis Kleidung und Bewaff
nung vor dem entscheidenden Kampf.
Vatnsd. S. 37, 13 Ingimunds Kleidung vor seiner Tödtung
durch Hrolleifr.
ß. Nur der Vorgang, obwol der Zustand wichtig genug ist.
Ljosv. S. 70 Gudhmundr findet die heisse Suppe kalt.
Das heisst, er ist dem Tode verfallen. Aehnlich
Njardhv. S. 370 Ketill sitzt am Feuer, es wärmt ihn
nicht. Das heisst, er wird bald sterben.
5. Ein unsinnlicher Zustand (häufig Absicht) und ein
sinnlicher Vorgang.
cf.. Beides wird erwähnt. Der Zustand oft mit ,denn‘ (thviat).
Dropl. S. 18 Rannveig bat Helgi, ihren Verwandten, zu
ihr zu kommen und ihr bei ihrer Scheidung von Skinnhufr
behilflich zu sein. — Flosi bat Thorkell, mit möglichst viel
Leuten zu kommen. Nun Grund: Flosi wollte Arnorr, den er
hatte tödten lassen, für rechtlos erklären (vildi Flosi stefna
til ühelgi Arnöri).
Beschreibung der isländischen Saga. II.
207
Eigla C. 73, S. 537 Auftrag des Königs an Thorsteinn.
Dann Erklärung: er will ihn verderben. — C. 73, S. 541 Die
Gesandten nehmen Egils Antrag an. Nun Erklärung: Sie
wollen veranstalten, dass er dabei umkomme, und so dem
König einen Dienst erweisen.
Eir. W. S. 97 Ormr bietet Einar an, bei ihm zu bleiben.
Dieser nimmt es an, denn (ihvlat) sie waren befreundet.
Eyrb. 8. 80 ,Snorri war deshalb nicht eher aufgebrochen,
weil er zu wissen glaubte, dass jener Mann als Spion zu ihm
gesendet warf
Finnb. S. 4 Asbjörn war über die Entführung seiner
Tochter sehr erbost, denn er war ein zornraüthiger Mann. —
,Thorgerdhr wollte das Kind aussetzen lassen, denn sie kannte
die Sinnesart ihres Mannes/ — S. 5 ,Gestr stand ganz unter
dem Pantoffel, denn er war ein erbärmlicher Wicht'.
Fostbr. S. 4 Der Autor erzählt eine Geschichte von
Thorbjörg: ,Aus diesem Vorfall kann man erkennen, was für
eine ausgezeichnete Frau sie warf Die Stelle gilt doppelt,
insofern sowol die Benehmungsweise Thorbjürgs mit ihrem
Charakter in Zusammenhang gebracht wird, als auch insofern
der Autor neben der Erzählung auch den Grund, warum er
etwas erzählt, vorträgt. — S. 32 ,Bersi verbindet nun die
Wunde Thormodhs, denn er war ein guter Arztf
Gluma S. 371 Arngrimr spricht nicht mit seinem Freunde
Steinolfr, und zwar weil dieser nach seiner Meinung mehr als
schicklich mit seiner (Arngrims) Frau gesprochen habe (ok
fann that Ul saJca, at kann liefdhi fleira talat vidh Thordum,
Icona lians, enn sJcapligt vaeri).
Grettla C. 11, S. 16 f. ,Er Hess die Axt los, weil er
glaubte, dass —f
Hrafnk. S. 11 Hrafnkell hat erfahren, dass Einarr das
Pferd Freys geritten habe, ,und in der Ueberzeugung, dass
jene Menschen kein Glück haben, welche ihr Gelübde brechen',
tödtet er Einarr.
Laxd. C. 14, S. 40 Thorolfs Absicht, Hall zu tödten,
wird vor dem Versuch deutlich ausgedrückt. — C. 19, S. 68
Hruts grosser Hausstand. Der Autor erklärt, warum er davon
gesprochen; s. oben Fostbr.
208
Heinzei.
Ljosv. S. 85 Warum Eyjolfr es im Kampfe besonders
auf Thorvardhr abgesehen hatte, ,weil er dachte, dass —
Reykd. S. 235 Eysteinn hat Björn einen Auftrag gegeben.
Aber nun müssen wir sagen (en frd thvi er at seyja), was
Eystein damit beabsichtigte.
ß. Nur der sinnliche Vorgang. — Symptomatische Dar
stellung. — 1. Er zeigt die Meinung ganz deutlich an.
Eigla C. 38, S. 180. C. 40, S. 196 Skallagrimr behandelt
das königliche Geschenk verächtlich. Das heisst, er hasst den
König. — C. 56, S. 333 ,Aber es wird nicht berichtet, dass
Egill das Geld, das er von König Adhalsteinn erhalten, mit
seinem Vater oder mit irgend Jemand getheilt habe 1 . Das
heisst, er war habsüchtig und wollte das Geld für sich behalten.
Gisl. S. 18 Thorkell veranlasst seinen Verwandten Tlior-
grimr Vesteinn, den Geliebten von Tliorkels Frau zu tödten.
Das heisst, er selbst ist zu feige. — Die Aufforderung Thor-
grims durch Thorkell ist aber selbst wieder nur zu errathen;
s. unten.
Korm. C. 24, S. 226 Steingerdhr bewegt ihren Mann,
mit ihr nach Norwegen zu reisen. Das heisst, sie will zu
Kormakr, den sie noch immer liebt.
Laxd. C. 45, S. 194 Kjartan will von Bolli keine Ge
schenke annehmen. Das heisst, er hasst ihn.
Ljosv. S. 14 Thordis spricht ihre Freude darüber aus,
dass Sonnenschein, Südwind und die Ankunft Söriis Zusammen
treffen. Das heisst, sie liebt Sörli, was übrigens schon früher
angedeutet worden war. — S. 67 Gudhmundr räumt den Platz
auf die grobe Aufforderung Ofeigs. Das heisst, er ist feige.
Vatnsd. S. 51, 18 Bergr schneidet vor Zeugen den be
schmutzten Saum seines kostbaren Kleides ab und wirft ihn
weg. Das heisst, er war ein eitler, prahlerischer Mann.
2. Der sinnliche Vorgang gibt eine Andeutung.
Dropl. S. 16 Helgi, Droplaug, seine Mutter, und der Sclave
Thorgils sprechen heimlich. Man kann errathen, dass es sich
um einen Anschlag gegen Hallsteinn, den zweiten Manu Drop-
laugs handelt. Helgi war nach S. 10 mit dieser Heirath
nicht einverstanden, und auch Hallsteinn liebt nach S. 16
Beschreibung der isländischen Saga. II.
209
Helgi nicht. — S. 37 Helgi hört, dass Grimr lebt, und lässt
sich ein verschliessbares Schlafzimmer bauen. Das heisst, er
fürchtet Grimr.
Eigla C. 41, S. 198 Thorolfr sagt dem Könige, dass sein
Vater Skallagrimr das königliche Geschenk mit Dank ange
nommen habe und es durch ein schönes Segel für ein Kriegs
schiff erwidere. Das ist eine Lüge, wie der Leser weiss. Sie
wird nicht als solche bezeichnet, auch die Absicht, den König
zu gewinnen, nicht ausgesprochen. — C. 74, S. 550 Arinodhr
schilt ein Mädchen, welches Egill warnt, und ermuntert Egill
zum Trinken. Das heisst, er will ihn betrunken machen und
tödten. — C. 87, S. 723 Egill erkundigt sich heimlich über
den Rechtshandel zwischen seinem Sohne Steinthorr und Einarr.
Das heisst, er will auf dem Thing selbst einschreiten. — C. 86,
S. 742 Steinthorr antwortet auf die Botschaft, es seien Feinde
in Sicht, als hätte er einen ganz gleichgültigen Bericht be
kommen. Das heisst er will nicht, dass seine Begleiter
Kenntniss von der Sachlage haben. Dass er lügt, wird nicht
gesagt.
Eir. N. 549 Als Frey dis vor Finnbogis Haus kommt,
steht sie eine Weile schweigend da. Das heisst, sie denkt über
ihre boshaften Pläne nach. — Ihre Lügen gegenüber ihrem
Manne werden nicht als solche bezeichnet, ebensowenig ihre
Absicht verrathen, nämlich Finnbogi und die Seinen zu ver
derben.
Eyrb. S. 46 Viga-Styrr und Snorri gehen auf einen Berg
und reden dort heimlich den ganzen Tag. Man erräth, dass
es einem Anschlag auf die unbequemen Berserker gilt. — S. 47
Asdis grüsst den Berserker Halb nicht mehr. Das heisst, sie
will ihn los werden und Snorri heirathen. — S. 64 Snorri und
der geächtete Thorleifr reden lange zusammen. Man erräth,
dass es einem Anschlag auf Arnkell gilt.
Floam. S. 121, 30 Die Söhne des Jarls greifen Leifr
plötzlich an. Man kann nur errathen, dass es wegen Helga,
der Braut Leifs, geschieht, welche Hersteinn, einer der Söhne
des Jarls, liebt. — S. 120, 21 Asgrimr redet lange mit einem
Sclaven Thorgils’. Das heisst, er besticht ihn, seinen Herrn
zu ermorden. — S. 158, 34 genau dasselbe. — S. 160, 9 Thor
gils hat Helgi erschlagen. Zwei Jahre darauf kommen Helgils
Sitzungüber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft. 14
210
Heinzei.
Brüder Einarr und Sigurdhr unbemerkt nach Island. Früh
am Morgen setzen sie sieb vor Thorgils’ Haus und besprechen
sieb eine Zeitlang, wie sie Vorgehen sollten (ok töludhust um
Jiridh liversu their skyldu medh fara). Das heisst, sie wollen
Thorgils tödten.
Finnb. S. 8 Asbjörn thut, als sehe er Finnbogi nicht.
Das heisst, er hat ihn als seinen Sohn erkannt, will ihn aber
nicht anerkennen.
Gisl. S. 18 Gisli wünscht nicht wie seine Frau, dass
Vesteinn, deren Bruder, zu seinem Feste komme. Das heisst
er weiss, dass ihm Gefahr droht. — Thorkell und sein
Schwager Thorgrimr schmieden den Spiess Grasidha. Das
heisst, sie wollen Vesteinn, den Geliebten der Frau Thorkels,
tödten. ■—- S. 19 Gisli schickt zwei Diener Vesteinn entgegen
mit der Botschaft, er solle sich in seinem Hause halten, bis
er, Gisli, ihn aufsuche. Das heisst, Gisli weiss, dass Vesteinn
Gefahr droht. — S. 21 Geirmundr lügt. Dass er es thut und
warum, wird nicht gesagt. — S. 23 Gisli nimmt den Spiess
aus Vesteins Wunde. Das heisst, er will ihn rächen, s. S. 22,
er erkennt ihn, das heisst, er erkennt Grasidha. — Thorkell und
Thorgrimr bringen ihre Waffen in Ordnung. Das heisst, sie
sind auf Rache gefasst. -— S. 26 Thorkell hetzt Gisli auf
Thorgrimr, — wohl damit Gisli an diesem, nicht an ihm selber
für Vesteins Ermordung Rache nehme.
Gluma S. 373 Arngrimr findet Steinolfr beschäftigt, ein
Geräth, welches Arngrims Frau gehörte, auszubessern und
erschlägt ihn. Das heisst, er vermuthete Ehebruch. — S. 379.
381. 390. 391 Bei den Lügen und hinterhältigen Reden Glums
wird kein Motiv angegeben.
Grettla C. 21, S. 51 Grettir bleibt hinter den Gefährten
zurück, um sein Hosenband zu richten. Das heisst, er will den
Bären allein erlegen.
Gunnl. C. 4, S. 204 Gunnlaugr hat aus der Vorraths
kammer seines Vaters Waaren genommen. Das heisst, Gunn
laugr beharrt bei der früher ausgesprochenen Absicht, nach
Norwegen zu fahren.
Hallfr. S. 87, 32 ff. Es scheint, dass Avaldi seine Tochter
Ivolfinna nur deshalb Griss verlobt, damit Hallfredhr ernstlich
um sie werbe.
a
Beschreibung (1er isländischen Saga. II. 211
Hav. S. 4 Vakr lügt, indem er erzählt, Sigridhr habe
Olafr umarmt. Dass es eine Lüge ist, dass Vakr es besser
weiss, ersieht man nur aus der vorhergehenden Darstellung.
Die Absicht ist jedesfalls, Thorbjörn gegen Olafr aufzubringen.
Nach S. 2 aus blosser Bosheit. — S. 18 Thorbjörn thut, als ob
er nicht wisse, wer soeben seine Hütte verlassen. Das heisst,
er will mit Gestr nicht über den schlimmen Handel mit Ha-
vardhr reden.
Ideidh. S. 330 ,Deshalb wies er ihm diesen Widder zu,
weil er schwieriger zu fassen war als andere Schafe/ Die
Handlung, dass er ihm einen schwer zu fassenden Widder an
wies, weist auf die Absicht, ihm Mühe zu machen aus Rache
für die Beleidigung von S. 329. — S. 387 Gudhmundr thut
in dem Gespräch mit seinem Sohne Eyjulfr so, als wüsste er
nichts von der Rückkehr Bardhis. Dass er von diesem Vor
fall unterrichtet ist, weiss der Leser aus dem vorigen. Die
Absicht ist nicht ganz deutlich. Möchte er es vermeiden,
Bardhi Gastfreundschaft anzubieten, oder will er seinen Sohn
prüfen?
Korm. C. 5, S. 38 Die Feindseligkeit Thorkels gegen
Ivormakr wegen dessen Liebeshandel mit Steingerdhr, Thor
kels Tochter, zeigt sich in seinem unmässigen Zorn, als Kor-
makr ihm aus Versehen ein Schwert beschädigt; s. Njala
C. 116.
Laxd. C. 43, S. 188 Ingibjörg sagt, das Tuch, das sie
Kjartan gegeben, sei zu gut für Gudhrun. Das heisst, Ingibjörg
liebt Kjartan. — C. 44, S. 192 Als Kjartan um Hrefna wirbt,
sagt er, es sei ihm gleichgültig, welche Frau er heirathe, einen
Korb werde er nicht bekommen. Das heisst, er liebt noch
Gudhrun. — C. 46, S. 202 Kjartan will nicht, dass Hrefna
ihr schönes Kleid vor Gudhrun trage. Das heisst, er hasst
Gudhrun. — C. 49, S. 224 Gudhruns unnatürlich kühle Worte
bei der Nachricht von Kjartans Tödtung, die sie veranlasst,
zeigen ebenso ihre Aufregung als ihre unerloschene Neigung zu
Kjartan. — C. 55, S. 244 Ebenso tritt ihre Liebe zu Bolli
und ihre Absicht, ihn zu rächen, deutlich hervor in den gleich
gültigen Worten, die sie mit seinen Mördern wechselt, in ihrem
Lächeln, als einer sogar seine blutige Lanze an ihrem Schleier
abwischt. — C. 71, S. 305 Die Brüder Bolli und Thorleikr
14*
212
Heinzei.
reden den ganzen Tag-. Man erräth, dass es sich um Rache
für den Vater handelt.
Ljosv. S. 90 Skegbroddi sagt seiner Frau, dass Thor-
vardhr ihr einen Ring geschickt habe, damit sie ihm nicht
entgegen wäre. Das ist eine Lüge, wie der Leser weiss. Aber
sie wird nicht als solche bezeichnet, noch angegeben, dass
Skeggbroddi sie dadurch für Thorvardhr günstig stimmen will;
s. Eigla C. 4L
Njala C. 6, 66. 7, 1 Unnr ist unglücklich verheirathet,
sie will zum Thing und ihren Vater besuchen. Das heisst, sie
will sich durch ihren Vater von Hrutr scheiden lassen. —
C. 6, 84. 7, 13 Das erste Mal aber weint sie nur vor ihrem
Vater und sagt, diese Heirat hätte nie Statt haben sollen,
das zweite Mal deutet sie ihr eheliches Unglück anfangs nur
durch Gedichte an. Das heisst, sie schämt sich, die eigen-
thümliche Art von Impotenz ihres Mannes zu verrathen. Sie
thut es erst C. 7, 48 in deutlicher Prosa. — C. 17, 32
Thjostolfr, der Ziehvater Ilallgerdhs, hat deren zweiten Mann
Glumr, den sie liebt, getödtet. Als er es ihr meldet, lobt sie
ihn lächelnd und schickt ihn zu ihrem Oheim Hrutr. Das
heisst, sie will ihn tödten lassen. — C. 38, 55 Brynjolfr hat
Atli mit der Axt einen tüdtlichen Hieb auf den Kopf versetzt,
diese aber dabei auf den Boden fallen lassen. Atli prophezeit
ihm einen ähnlichen Tod, ,aber nimm jetzt deine Axt hier'.
Brynjolfr antwortete nicht und nahm die Axt nicht eher vom
Boden auf, als bis Atli todt war. Das heisst, Atli wollte ihn
mit der Axt treffen und Brynjolfr merkte die Absicht. —
C. 41, 59 Hallgerdhr und Thrainn reden heimlich. Man kann
nicht zweifeln, dass es einem Anschlag auf Thordhr gilt. —
C. 44, 111. 92, 52 Durch das Wegnehmen der Axt von der
Wand zeigen die Söhne Njals deutlich ihre Absichten. —
C. 50, 22 Skammkell lügt, wie der Leser weiss, aber es wird
nicht gesagt, ebensowenig dass Skammkell es dadurch zu einem
Conflict zwischen Gunnarr und Otkell bringen wollte. —
C. 54, 90 Gunnarr hat seine Feinde Otkell und Skammkell
getödtet und reitet rasch davon. Kolskeggr ruft ihm zu: ,Du
reitest schnell, Bruder.' Da sagt Gunnarr, das seien dieselben
Worte, welche Skammkell damals Otkell und den Seinen
gegenüber gebraucht habe C. 33, 30, nachdem dieser Gunnarr
Beschreibung der isländischen Saga. II.
213
niedergeritten. Die Erinnerung an jenen geringfügigen Umstand
zeigt die dauernde Erbitterung Gunnars sehr deutlich. —
C. 78, 23 Njall und Skarphedhinn reden leise; man kann er-
rathen, dass es sich um Rache für Gunnarr handelt. — C. 91/
127. 92, 49 Njall und seine Söhne reden leise, Bergthora, ihre
Söhne und Kari reden heimlich. Man erräth, dass es sich um
Rache an Thrainn handelt. — C. 93, 20 Njall und Ketill reden
den ganzen Tag mit einander, aber Niemand weiss was. Man
erräth, dass es sich um die Versöhnung mit Thrains Ver
wandten durch Annahme seines hinterbliebenen Sohnes handelt.
— C. 116 Flosi ist Alles im Hause Hildigunns zuwider: ihre
Einladung, der angebotene Hochsitz, das zerrissene Handtuch.
Das heisst er sieht voraus, dass er von ihr zur Rache an Njall
werde genöthigt werden, und was für eine Kette von Unheil
daran hänge; s. Korm. C. 5, S. 38.
Reykd. S. 263 f. Steingrimr bereitet eine kriegerische
Unternehmung vor. Es lässt sich errathen, dass sie gegen
Veinundr gerichtet sei. — S. 366 Auch dass Vemunds Auszug
Gnupr, Hrafr und Steinn gilt, kann man nur ahnen.
Vapnf. S. 7 Broddhelgi und Geitir sprechen ausschliesslich
miteinander. Der Inhalt des Gespräches, Anschlag auf Hrafn,
wird errathen. — Geitir ermuntert Hrafn, zu den Spielen zu
gehen. Gemeint ist, er solle dort seinen Tod linden. — S. 22
Thorkeil lässt sich in der begonnenen Rode nicht unterbrechen.
Das heisst, er ist unversöhnlich.
Vatnsd. S. 74, 21 Gudhmunds Rede nur zeigt, dass er
das Gedächtniss verloren hatte.
Thorst. S. 182, 16 Der Norweger eilt ans Meer und sinkt
ermüdet nieder. Nicht gesagt, dass er die Absicht hatte, Thor-
haddr vor Thorsteinn zu warnen.
3. Die Andeutung des sinnlichen Vorgangs ist unzuläng
lich. Die Sache bleibt, vor der Hand oder für immer, dunkel.
Floam. 145, 25 Als das Schiff fort ist, Thorgils also ohne
Aussicht auf Rückkehr in dem unwirklichen Polarland verbannt
scheint, sagt er, dass jetzt nichts anders übrig bleibe, als seinen
Sohn zu tödten (ser ek ml ekki annat til, en at tapa verdhi
sveininum). Wahrscheinlich soll der Knabe den Göttern ge
opfert werden, s. Jomsvikingas. ed. Cederschjöld S. 29.
214
Heinzei.
Heidh. S. 318 Dem Thordhr kommen zwei Schimmel mit
schwarzen Ohren abhanden. Dass hier in dem aus der Erin
nerung- aufgezeichneten Theil der Heidh. in der That nicht
mehr über diesen Vorfall erzählt worden war, ergibt sich aus
S. 332 f., wo Thorarinn erklärt, er habe sie wegschaffen lassen
und warum. — S. 329 f. Was Bardhi bei seinem Auftrag an
Thordhr, einen Widder und einen Ochsen zu schlachten und
nach Borg zu bringen, bezweckt, wird erst S. 342 erklärt (ok
jarteindu that thau nyju slatrin, er Bardlii let thdngat foera).
Haens. 154 Hersteinn, der Sohn Blundketils, und Thor
björn sind auf dem verbrannten Hofe Blundketils. Thorbjörn
geht in das verschonte Wirthschaftsgebäude. Da sieht Her
steinn das Wirthschaftsgebäude weit offen und Waarenbiindel
werden herausgeworfen, dann kommt alles Vieh, Pferde, Rinder,
Schafe von der Weide und aus den Ställen. — Es wird sowol
verschwiegen,' dass Thorbjörn alles das besorgt, als was er
damit beabsichtigt, nämlich eine andere Heimat für Hersteinn
und seine Habe zunächst bei Thorkell zu suchen.
Svarfd. S. 154 Warum Klaufi vom Pferde fallt und warum
Karl ihn in eine Pferdehaut gewickelt zu Asgeirr bringt, kann
nicht errathen werden. .— S. 158 f. Auch dass Ingöldr mit
Klaufi zärtlich thut und ihm einen häuslichen Auftrag gibt,
während sie seinen Tod sinnt, ist erst ganz zu Ende klar.
v. Nur der unsinnliche Zustand wird erwähnt.
Reykd. S. 265 Gnupr und die Seinen überfallen Herjolfr.
,Und es wird erzählt, dass Gnupr es Keinem gegönnt habe,
Herjolfr zu tödten.' Dass er es gethan, wird nicht gesagt.
6. Ein unsinnlicher Zustand und ein unsinnlicher Vor
gang. Beides wird erwähnt.
Gunnl. C. 13, S. 274 Helga fasste wenig Liebe zu ihrem
zweiten Manne, ,weil sie Gunnlaugr nie vergessen kann, ob-
wol er todt ist'.
7. Zwei sinnliche Vorgänge.
a. Beide werden erwähnt. Zum Beispiel:
Ljosv. S. 93 ,Dann wandte sich Skeggbroddi an seine
Leute und sagte —.'
Beschreibung der isländischen Saga. II.
215
Svarfd. S. 173 Karl sagt, er habe die Farbe verändert,
als er die Erscheinung sah.
ß. Nur einer wird erwähnt.
Heidh. S. 346 Thorarinn sagt: ,Dann werdet ihr sehen,
ob dort beim Mähen Leute sind, die so aussehen, sich so ge-
haben, wie ich es euch jetzt vermache' (Thä munut thit sja, —
hvart thar se menn at slaetti, sem nü er eptir h.ermt).
Ljosv. S. 63 Gudhmundr sagt: ,Geh du, wie ich gesagt
habe' (far t.hü, sem ek maeli). Das heisst, es soll, wie Gudh
mundr es schon früher befohlen, einer der Knechte dem Rindill
helfen sein Pferd zu suchen (Gudhmundr hadh leita liestsins).
Aber dass er diese Worte wol durch Geberde an eine be
stimmte Person gerichtet, wissen wir nicht. Es ist der Mann,
der in der That sich dann in Rindils Gesellschaft befindet
und Gudhmundr die Nachricht von dessen Ermordung bringt.
8. Ein sinnlicher und ein unsinnlicher Vorgang.
a. Beide werden erwähnt.
Baud. S. 10 ,Oddr wundert sich, er spricht aber wenig
darüber.' — ,Oddr runzelt die Brauen und dies Benehmen
dünkt ihn wunderlich.' — S. 22 Ufeigr ist traurig und geht
gebückt. — S. 28 Ufeigr geht gebückt, ist aber nicht so traurig,
als er aussieht.
Fostbr. S. 8 (,Als Tliorgeirr die Nachricht vom Tode seines
Vaters erfuhr, wurde er weder roth — denn sein Zorn lief
ihm nicht in die TTaut, — noch bleich, denn der Zorn lief ihm
nicht in die Knochen') usw. Eine lächerliche Ueberbietung der
symptomatischen Darstellung; s. S. 51 und Svarfd. S. 173. —
8. 18 ,Vennundr glättet die Stirn und sein Zorn ist vorbei.'
— S. 38 ,Thordis hielt sich steif gegenüber Thormodhr und
zuckte mit den Achseln, wie Frauen zu thun pflegen, wenn sie
mit den Männern unzufrieden sind.' — S. 51 (,Thofgeirr liess
sich nicht anmerken, dass ihn das Benehmen Gauts verdross.')
Gluma S. 342 ,Glumr lachte bis er schwarz wurde und
1 hränen wie grosse Hagelkörner aus seinen Augen liefen; so
war er immer, wenn die Mordlust (vighugr) über ihn kam.'
Grettla C. 35, S. 84 Der , Widergänger' Glamr will Grettir
den Mantel wegnehmen. Dieser hält ihn so fest, dass er
216
Heinzei.
zerreisst. ,Da blickte Glamr auf das abgerissene Stück, das
er in der Hand hielt, und wunderte sich sehr/ — C. 54, S. 124
Leipt reisst Grettir den Zügel aus der Hand. ,Grettir blickte
auf seine Hände und erkannte, dass dieser Mann doch von
gewaltiger Kraft sein müsse/
Gurinl. C. 12, S. 265 ,Gunnlaugr fand, dass das ein arger
Hohn wäre, und ging schweigend fort/
Hardh. S. 107 ,Thorbjörg konnte da nicht sprechen, so
sehr griff es sie an/
Hav. S. 18 ,Havardhr war so zornig, dass er nicht auf
den Weg sah/
Njala C. 44, 76 ,Sie erschraken sehr, als sie Gunnarr ein-
treten sahen. Sie schwiegen Alle, nachdem früher so viel
Lärm und Gelächter gewesen war/
ß. Nur der sinnliche Vorgang wird erwähnt. — Sympto
matische Darstellung. S. S. 203.
Eigla C. 25, S. 113 Der König schweigt und wird blut-
roth. Das heisst, er ist zornig. — C. 55, S. 304 Egill zeigt
seine Trauer um den Bruder durch schreckliche Mienen und
drohende Geberden. — C. 56, S. 322 Im Herbst wurde Egill
sehr traurig. Er trank wenig und sass oft mit verhülltem
Haupte da. Das heisst er war verliebt. — C. 80, S. 601 Egill
zeigt seine Trauer um den Sohn durch Tragen der Leiche,
Anschwellung des Leibes bis zum Platzen der Hosen, Ein-
schliessung und Selbstmordversuch.
Eir. N. S. 540 ,Tyrkir sprach türkisch, rollte die Augen
und schnitt Gesichter/ So kommt seine freudige Verwunde
rung über die gefundenen Weintrauben zum Ausdruck.
Eyrb. S. 57 Ulfarr streicht sich den Bart. Das heisst, er
ist geschmeichelt. — S. 60 Thorolfr isst und spricht nicht.
Das heisst er ist erzürnt. — S. 71 Kjartan badet seine Axt
in Blut. Das heisst, er ist rachedurstig.
Fostbr. S. 27 ,Er runzelte die Brauen bei Thorgeirs An
kunft/ — S. 31 Grima fuhr dem Sclaven noch vorher mit
ihren Händen über den ganzen Körper. Das heisst, sie machte
ihn hieb- und stichfest, sie zaubert also wol durch Anrufung
einer übersinnlichen Person. — S. 33 Grima bewegte ihre
Hände über lvolbaks Haupt. Das heisst, sie machte ihn
Beschreibung der isländischen Saga. If.
217
unsichtbar. — S. 35 Grima erinnerte sieh der heidnischen Ge
dichte, die sie in ihrer Jugend gelernt hatte. Das heisst, sie
macht das Unwetter, das jetzt beschrieben wird.
Gluma S. 371 Arngrimr spricht nicht zu Steinolfr. Das
heisst, er zürnt ihm.
Gullth. S. 52 Thorir erröthet. Das heisst, er freut sich.
Gunnl. C. 13, S. 274 f. Helga beschäftigt sich mit dem
Kleid, das sie von Gunnlaugr bekommen. Das heisst, sie trauert
um den Geliebten.
Hardh. S. 38 Grimkell schweigt. Das heisst, er zürnt. —
S. 88 Thorbjörg antwortet dem Boten nicht. Das heisst, sie
ist über die Nachricht betroffen und bekümmert.
Hav. S. 14 Sigridhr ist nach Olafs Tode verschwunden.
Jedesfalls aus Trauer um ihn ist sie weggezogen oder hat sich
ein Leides angethan. — S. 25 Die Söhne Valbrands ziehen
die steifen Schuhe an, ohne der blutigen Füsse zu achten. So
kampfeslustig sind sie.
Haens. S. 149 Blundketill ist roth wie Blut, das heisst
sehr zornig.
Korm. C. 7, S. 60 Narvi lässt seine Blicke herum
schweifen wie ein Wild. Das heisst, er fürchtet sich. — C. 22,
S. 212 Kormakr sah, wo ein Rind stand, und tödtete es. Das
heisst, er brachte ein Opfer, betete also. S. C. 23, S. 222.
Laxd. C. 19, S. 62 Gunnhildr verhüllt ihr Haupt und
geht rasch in die Stadt zurück. Das heisst, sie ist traurig. —
C. 42, S. 182 Gudhrun geht erröthend fort. Das heisst, sie
zürnt über Kjartans Untreue. — C. 46, S. 202 Hrefna zeigt
Gudhrun ihr schönes Kleid. Diese sagt kein Wort, weder
lobt noch tadelt sie es. Das heisst, sie ärgert sich. — G. 49,
S. 224 Die unnatürlich gelassenen Worte Gudhruns bei der
Nachricht vom Tode Kjartans zeigen, wie sehr sie ergriffen ist.
Njala C. 12, 109 Höskuldr wird blutroth und antwortete
nicht. Das heisst, er war sehr zornig. — C. 16, 21 Thjostolfr
verzieht höhnisch die Lippen (glotti vidh). Das heisst, er ist
mordlustig. Ebenso von Skarphedhinn C. 36, 126. 37, 55. 44,
101. 123, 42. 61. —- C. 37, 53 Gunnarr sagt wenig, Njall nichts
über die Ermordung Kols. Das heisst, sie sind bekümmert,
besorgt. — C. 44, 101 Skarphedhinn brach Schweiss auf der
^tirn aus und rothe Flecken zeigten sich auf seinen Wangen,
218
Hoinzel.
die er gewöhnlich nicht hatte. Grimr schwieg nnd biss sich
auf die Lippen. Helgi tliat nichts dergleichen. Das heisst, sie
waren Alle wüthend. — C. 54, 13 Gunnarr sagt dem Schaf
hirten, der ihm eine Botschaft überbracht hat, von jetzt an
brauche er nur so viel zu arbeiten, als er wolle. Das heisst,
Gunnarr freut sich. — C. 112, 11 Hildigunns ruhige Worte
bei Ermordung ihres Mannes, und dass sie das blutige Gewand
aufhebt, zeigt ihre Erregung. — C. 136, 37 ,Asgrimr schwieg
während der Mahlzeit und war roth wie Blut/ Das heisst, er
war zornig. — C. 142, 8 ,Sein Antlitz war blutroth und aus
seinen Augen fiel es wie Hagel/ Das heisst, er war zornig.
Svarfd. S. 173 Gunnarr sieht eine Erscheinung und ver
ändert die Farbe. Das heisst, er erschrickt. — S. 177 ,Karl
streichelt fortwährend die Axt und geht nicht zum Pferde
kampf/ Der Eigenthümer der Axt fragt ihn, ob sie ihm ge
falle. ,Er schwieg und blickte von ihm weg/ Der Andere
bietet ihm die Axt an. ,Karl sprang auf, warf die Axt von
sich — sie fiel auf einen Stein, so dass die ganze Schneide
herausbrach, — und setzte sich an einen andern Platz/ Das
heisst, er war erzürnt.
B. An zwei oder mehreren Personen oder Sachen.
1. Ein Zustand oder Vorgang bei der ersten Person, die
erste Thatsache, ruft bei einer andern Person einen Vorgang,
einen Reflex, die zweite Thatsache hervor.
OU Beides wird erwähnt. — 1. Der Reflex ist deutlich, lässt
sofort die erste Thatsache erkennen. Zum Beispiel
Eigla C. 11, S. 43 Der König wird roth und schweigt:
die Leute merkten, dass er zornig war. — C. 13, S. 53 ,Der
König sah ihn an und antwortete nicht, und man sah, dass er
zornig war/
2. Der Reflex ist undeutlich, wird erst allmälig deutlich.
— a. Der Reflex wird der zweiten Person der Erzählung zu
geschrieben. — a. Die erste Thatsache wird vom Autor er
klärt, -— oft mit thar, timt.
Bjarn. S. 21 ,Ein Mann reitet da', sagte sie, ,im blauen
Mantel, der ganz Thordhr gleicht, und er ist es auch, aber er
bringt gewiss nichts Gutes/ ,Nicht doch,' antwortete Björn.
Beschreibung der isländischen Saga. TI.
219
Da kam Thordr heran (Thordhr kom ihar). Thordr ist eine
Seite 3 bekannte Person, sein blauer Mantel war früher erwähnt
worden. — S. 52 ,Und wenig später sehen sie einen Mann
bei dem andern Heuschober, und es war Sigmundr, der
Knecht Björns' (ok var ihar Sigmundr, hiiskarl Bjarnar)- wie
es scheint, der früher blos als hiiskarl bezeichnete.
Eigla C. 84, S. 726 Die Scene ist bei der Gerichtsver-
sammlung. Da sahen die Leute vom Thingplatze aus eine
Schaar längs dem Flusse Kljufra heranreiten, und ihre Schilder
glänzten. An ihrer Spitze aber ritt ein Mann im blauen
Mantel usw. Es war Egill, Skallagrims Sohn, mit achtzig
Mann, der Held der Saga (ihar var kominn Egill Skalla-
grimsson).
Eir. W. S. 158 Thorfinnr und die Seinen sehen ein
glänzendes Ding auf der Waldblösse, sie rufen es an, es rührt
sich, und es war ein Einfuss (ok var Einfoetingr), ein fabel
haftes Wesen, das Thorfinnr und die Seinen, wie es scheint,
zum ersten Mal sehen.
Floam. S. 158, 21 ,Eines Tages kam Thorny ins Haus
und sagte, dass ein Mann vom Wald heraufkäme, und er sieht
meinem Vater ähnlich. Bjarni ging hinaus und es war Thorgils'
(Thornys Vater) (ok var Thorgils kominn), der Held der Saga.
Fostbr. S. 26 Thorgeirr findet sein Pferd nicht. Da sieht
er einen Mann zu Pferde Schafe treiben. ,Das war Bjarni,
er hatte Thorgeirs Pferd genommen' (ok for Bjarni —■).
Gisl. S. 53 Er sieht Männer kommen, es sind die Ge
lahrten Bürks (ok eru förunautar Barkar). Vom Zuge Börks
und seiner Gefährten war S. 48 ff. erzählt worden.
Gullth. S. 76 ,Sie sahen drei Männer von Baer herreiten,
einer von ihnen war im blauen Mantel; das war Hallr' (timt
var Hallr). Hallr ist seit S. 42 bekannt.
Gunnl. C. 4, S. 204 f. Illugi sieht sein Vorrathshaus
offen und ausgeräumt und ein Mann treibt vier Pferde. Das
war Gunnlaugr, sein Sohn (ok var ihar Gunnlaugr, son hans).
Hav. S. 8 ,Als er (Olafr) wegzugehen gedachte, sah er,
dass ein Mann auf das Haus zukam; es war Brandt' der Starke'
(er ihar kominn Brandr hinn sterki); seit S. 2 bekannt.
Ljosv. S. 93 ,Es war da ein Mann zu Pferde, um den
Sle sich am meisten bekümmerten, nur däuchte es ihnen un-
220
Heinz el.
schicklich, dass er, wie sie meinten, ein Füllen ritt. — Und
das war Skeggi der Starke' (en that var Skeggi hinn rammi).
Tritt hier das erste Mal auf.
Njala 0. 49, 1 ,Er reitet an der Ranga hinauf zu den
Schafen und sieht etwas auf dem Wege glänzen; er springt
vom Pferde und nimmt es auf. Es war ein Messer und ein
Gürtel', die C. 48, 26 von Melkolfr vergessenen Gegenstände.
Svarfd. S. 159 Klauii kommt mit einer schweren Last
nach Hause und wird von seiner Frau bewillkommnet. Sein
Schwert entfällt ihm. Sie nimmt es und wirft es bei Seite mit
den Worten: Der nutze es, der es zu nutzen wagt. Dann
stand sie vor ihm, bis er erstochen wurde. Das thaten die
Söhne Asgeirs. Nur durch diesen letzten Satz unterscheidet
sich die Stelle von Gisl. 22. 106. S. unten. ■— Klauii sah nicht,
wer die Mörder waren.
Vapnf. 28 Eine Frau erzählt ihrem Manne Eyvindr,
,sie habe einen Mann hinter dem Zaune liegen gesehen, der
grosse Furcht zu haben schien. Eyvindr geht zu dem Manne.
Es war Thorvardhr'. Er sprang auf und flüchtete. ,Er hatte
sich aus Müdigkeit hinter den Zaun gelegt.'
Mitunter gibt der Autor Aufklärung über die Identität
einer vorher nach der Anschauung einer oder mehrerer Anderer
geschilderten Person dadurch, dass er plötzlich ihren Namen
ein setzt.
Grettla C. 59, S. 135. S. 134 haben wir erfahren, dass
Gisli Grettir tödten will. ,Da sah Grettir, dass drei Männer
von Süden her über die Hitara reiten, ihre Prachtkleider und
emaillirten Schilde glänzten.' Er möchte wissen, wer sie wären,
und sprang in den Hohlweg hinab. ,Und als Gisli die Steine
klappern hörte, da sagte er —.'
Ljosv. S. 93 ,Da sahen sie ein Schiff in der Bucht und
zwölf Leute darauf. Einer von ihnen trug einen Pelzrock und
darüber einen blauen Mantel' usw. Die Leute gehen dem
Schiffe entgegen an den Strand. ,Da wandte Skeggbroddi
sich zu seinen Leuten und sagte —.' Skeggbroddi ist seit
S. 77 bekannt.
Vapnf. S. 4 Broddhelgi geht nach Smjörvatnsheidhr, wo,
wie er weiss, Svartr zu linden ist. ,Svartr ging hinaus und
sah einen flinken Mann auf sich zukommen. Er fragte,
Beschreibung der isländischen Saga. II.
221
wer er wäre. Broddhelgi nennt sich/ Broddhelgi ist seit
S. 3 bekannt.
ß. Die erste Thatsache wird von einer Person der Saga
erklärt.
Eigla C. 33, S. 161 f. Den Borgarfjördhr und den
Wohnsitz Skallagrims kennt der Leser aus C. 28. 29. Als
aber Björn, der noch nie in Island gewesen, dort landet, wird
das Local beschrieben, wie es sich dem Ankommenden dar
stellt. Als sie sich um den Namen der Bucht und des Be
sitzes des Hofes erkundigen, wird ihnen geantwortet, das sei
der Borgarfjördhr, der Hof heisse Borg, sein Besitzer Skalla-
grimr. Gehört zum Theil zur folgenden Gruppe von Fällen,
da in der Beschreibung des Locals auch der Autor sich auf
den Standpunkt Björns stellt.
Fostbr. S. 14. S. 13 war gesagt worden, dass Sigrfljodh in
der Jökulsbucht wohnte. Thorgeirr und Thormodhr kommen in
diese Bucht. Sie finden eine Schiffshütte, steigen aus, suchen das
dazu gehörige Haus, finden es, werden aufgenommen, um ihre
Namen gefragt, fragen wieder und ,es wird ihnen gesagt', sie
seien bei Sigrfljodh. S. oben Eigla. — S. 20 Es wird an Thorkeils
Haus gepocht. Thorltell geht zur Thüre und sieht einen grossen
gewaffneten Mann draussen stehen. Er fragt ihn nach dem
Namen. ,Er nannte sich Thorgeirr', einer der Bundesbrüder,
seit S. 5 bekannt. — S. 61 Der Hirt Onundr sieht, wie ein
Mann auf einem sehr schönen Pferde über das Feld reitet.
Der Mann wird beschrieben. ,Und als er sich dem Hofe
näherte, kannte er ihn: es war Eyjolfr' (ok vcir thar Eyjölfr),
seit S. 58 bekannt. — S. 98 Thormodhs Freunde fahren zu
der Felsplatte, auf welcher sie ihn vermuthen. ,Da sehen
sie auf einer Klippe etwas Lebendiges und fragen sich, was
das sein möchte, ein Seehund oder etwas Anderes. Sie rudern
zur Klippe hin und steigen aus. Da sehen sie einen Mann
liegen und erkennen, dass es Thormodhr ist' (at thar er Tlior-
medhr). Oben war gesagt worden, dass Thormodhr nach dem
Wasserkampf mit Falgeirr sich auf eine Klippe gerettet habe.
Gisl. S. 37 ,Nun müssen wir berichten, dass Börkr und
•he Seinen zu dem Manne im blauen Mantel kamen, und ihm
die Kaputze abzogen. Da erkennen sie zu ihrem Leidwesen,
222
Heinzei.
dass es nicht Gisli, sondern Thordhr ist (thviat their kenndu
thär Thordh hinn huglausa er their aetludhu Gisla). Thordhr
ist seit S. 22 bekannt.
Gluma S. 361 ,Er (Vigaskuta) sieht, dass ein Mann
von der Thvei’a heraufreitet, von hohem Wuchs und in einem
grünen Mantel, und er erkennt, dass es Glumr ist' (ok Icennir,
at thar ridhr Glumr). Glumr ist seit S. 334 bekannt. — S. 362
Vigaglumr springt, von Vigaskuta verfolgt, über das steile
Ufer in den Bach. Vigaskuta sucht auch einen Weg, erblickt
den Mantel Glums im Wasser und sticht darnach. ,Da hörte
er über sich die Worte: Das ist eine geringe Ehre, den Leuten
die Kleider zu verderben. Skuta sieht empor und erkennt da
Glumr' (ok kennir thar Glum). Glumr ist seit S. 334 bekannt.
Wenn oben gesagt wird, ser i gljufrunum, hvar krlpuna rak, so
will wahrscheinlich der Autor nicht nur sagen, dass es nur
der Mantel war, sondern Vigaskuta sah im Wasser allerdings
nur den Mantel, meinte aber, Vigaglumr stecke darin.
Grettla C. 48, S. 109 ,Thorbjörn sah den Mann, und
sagte zu seinem Sohne: Ein Mann reitet da zu uns' usw. ,Das
ist ein grosser Mann, und ich müsste denn blind sein, es ist
Grettir', der Held der Saga (ok eigi kann ek mann d velli at
sjd, ef that er eigi Grettir).
Hardh. S. 83 Hördhr sah, dass ein Mann nach Holmr
ging, im Rock und Leinenhosen. Es war um Sonnenaufgang.
Hördhr erkannte in ihm Illugi; seit S. 30 bekannt.
Hav. S. 20 ,Es war an einem Sommertag, als sie ins
Meer hinaus ruderten, dass sie ein Schilf über die Bucht fahren
sahen; sie erkannten auch, dass es Thorbjörn mit seinen Leuten
war' (at thar var Thorbjörn ok heimamenn hans). Thorbjörn
ist seit S. 1 bekannt.
Heidh. S. 335 ,Sie sahen dann zwei Männer am Svina-
wasser herabreiten, — und sie erkannten, dass es Eirikr und
Thorljots waren' (at thar var Eirikr vidhsjd ok Thorljötr Gjal-
landafdstri); Beide seit S. 323 bekannt. -—• ,Er sagte: Ein
Mann reitet da und nicht langsam, vom Hofe.her längs des
Wassers.' Mir scheint, sagte er, es ist Eyjolfr (at thar sa
Eyjölfr). Nun sehen sie den Mann an der Furt und erkennen
Eyjolfr (kenna thar Eyjölf). Eyjolfr ist seit S. 323 bekannt. —
S. 356 Mir scheint, sagte Gisli, dass ein Mann da kommt. —
Beschreibung der isländischen Saga. II.
223
Nein, sagte Eetill, es sind Männer, gar nicht wenige. —• ,Da
sagte Ketill: Sollte das nicht Bardhi sein? (Mun eigi Bardlii
thar vera). Er ist ihm nicht unähnlich. In der That, ich
müsste denn blind sein, er ist es' (ok kann ek eigi mann at
kenna, ef ei er kann). Bardhi ist seit S. 311 bekannt.
Hrafnlc. S. 38 ,Er sagte —: Es ist da ein grosser Mann
zu Pferd in blauen Kleidern, er scheint mir ähnlich dem Goden
Ilrafnkell.' Hrafnkell ist seit S. 3 bekannt.
Haens. S. 149 Blundketill ist des Raubes angeklagt und
geht nach Hause. Da begegnet er dem Norweger Orn, der
ihn fragt: Bist du krank, Herr? du bist ja so roth wie Blut.
(Ertu särr, böndi, er thü er svo raudhr sem blödh). — S. 154
Hersteinn, der Sohn Blundketils, und Thorbjörn sind auf der
Brandstätte. Thorbjörn geht in das verschonte Wirthschafts-
gebäude. Da sieht Hersteinn das Thor desselben weit geöffnet
und Waarenbündel herausfliegen, aber keinen Menschen. Darauf
hört er einen grossen Lärm, und es kommen die Rosse von
der Weide, die Rinder und Schafe aus den Ställen. Alles
wird fortgetrieben. ,Hersteinn folgt auch und sieht, dass der
alte Thorbjörn das Vieh treibt.' Thorbjörn ist seit S. 152
bekannt.
Laxd. C. 23, S. 92 Olafr ist bei Egill. ,Er sah, dass
eine Frau auf der Bühne des Hauses sass, diese Frau war
schön, würdevoll und gut gekleidet. Er dachte, das müsste
Thorgerdhr, Egils Tochter, sein' (at thar mundi vera Thor-
gerdhr döttir Egils), die es auch war. Sie ist seit C. 22, S. 88
bekannt. — C. 64, S. 278 Thorgils und die Seinen sahen
vier Männer in grosser Eile von der Sennhütte wegreiten. Da
sagten einige der Begleiter Thorgil’s, dass man ihnen so schnell
als möglich nachreiten solle. Thorleikr, der Sohn Bollis, aber
meinte: ,Gehen wir erst zur Sennhütte und sehen wir, wer
dort ist; denn ich glaube nicht, dass diese hier Helgi und sein
Gefolge sind (at her se Iielgi ok hans fylgdarmenn). Es sind,
scheint mir, nur Weiber'. Nämlich die verkleideten von C. 63,
8. 276. — C. 74, S. 316 ,Eines Morgens früh ging der König
aus mit wenig Leuten. Da sah er einen Mann auf der Kirche,
die im Bau war. Der König erkannte den Mann, es war Thor
bell, der Sohn Eyjolfs' (var thar Thorkeil Eyjd/fsson). Er ist
seit 0. 57, S. 248 bekannt.
224
Hei nzel.
Ljosv. S. 14 Eines Tages, als Thordes zur Bleiche ging,
schien die Sonne, der Wind kam von Süden und es war
schönes Wetter. ,Da sieht sie, dass ein grosser Mann in den
Hof reitet. Als sie den Mann erkannte, sagte sie: Jetzt freut
mich der Sonnenschein und der Südwind, Sörli reitet in den
Hof/ Sörli ist seit S. 13 bekannt.
Njala C. 17, 48 ,Er sah einen grossen Mann und er
kannte, dass es Thjostolfr war' (nt thar var Thjustolfr); seit
C. 9, 6 bekannt. — C. 33, 11 ,Da sah er schön gekleidete
Frauen sich entgegen kommen, an ihrer Spitze eine Frau, die
am schönsten gekleidet war. Als sie sich begegneten, grösste
sie sofort Gunnarr. Er erwiderte höflich ihren Gruss und
fragte, wer sie sei. Sie nannte sich Hallgerdhr/ Sie ist dem
Leser seit C. 1, 26 wohl bekannt. — C. 130, 114 ,Da sah er
einen Mann auf der andern Seite des Flusses herabreiten. Er
erkannte, dass es Ingjaldr von Keldar war' (at thar var Ing-
jaldr frä Keldum)• seit G. 116, 66 bekannt.
Reykd. S. 340 f. ,Darauf sah er ein Feuer, darüber hing
ein Kessel und ein Mann stand dabei. Er erkannte ihn als
Hanef' (oh hennir kann Hdnef); seit S. 239 bekannt.
b. Der Reflex erscheint bei dem Autor, der sich an die
Stelle der zweiten Person setzt. — <x. Die erste Thatsache
wird vom Autor erklärt — oft mit thar, ihat.
Band. S. 16 Oddr geht allein zwischen den Thinghütten
nach Hause. Da kommt ihm ein alter Mann entgegen. Seine
Kleidung und Haltung wird einzeln beschrieben. ,Das war der
alte Ufeigr, sein Vater.' (Thar var kominn Ufeigr, fadhir hans.)
Der Leser kennt ihn schon von S. 3. — S. 42 Ein Mann kommt
früh Morgens in das Haus, wo Marr wohnt. Er geht zum Bett
und durchbohrt Mar mit einem Messer. Das war TJspakr
(thetta var Uspakr).
Dropl. S. 30 ,Da packte ein Mann Grimr um die Mitte
und hob ihn an seine Brust empor; das war Arnoddr' (ok var
ihat Arnoddr), seit S. 29 bekannt.
Eigla C. 33, S. 161 s. oben S. 221.
Eir. N. S. 545 ,Da ward es dunkel im Thorraum, und
eine Frau ging herein.'
Beschreibung der isländischen Saga. II.
225
Eyrb. S. 75 Aber als sie südlich über die Heide ins
Dufgusthal kamen, da liefen ihnen sechs bewaffnete Männer
nach; es waren die Söhne Thorbrands (vom thar Thorbrands-
synir). Der Leser kennt sie schon seit S. 13.
Floam. S. 122, 1 ,Kurz darauf sehen sie fünf Schiffe heran
segeln. Auf dem grössten Schiffe steht ein Mann am Mast,
er war gross und schön und trug- einen grünen Rock und einen
vergoldeten Helm auf dem Kopf. Er sagte usw. Es war der
alte Olmodhr, der Sohn Hördhakaris'. Er tritt hier zum ersten
Mal auf. (Thar var kominn Olmodhr Hördhakdvason.) — S. 148,
10 .Rückwärts auf dem Oberdeck sass ein Mann im rothen Rock.
Der springt sofort auf und begrüsst Thorleifr. Es war Thor-
steinn, der weisse, sein Pflegevater und Stiefvater' (var thar
kominn Thorstein hviti, fustri hans ok stjüpfadhir). Er ist dem
Leser seit S. 133, 10 bekannt. — S. 135, 26 ff. war erzählt
worden, wie Thorgils in Irland eine geraubte Frau ihrem
Bruder, dem Iarl Hugi, zurückgegeben habe. — S. 152, 12 ist
Thorgils wieder in Irland und wegen eines getödteten Sclaven
darauf gefasst, von den Irländern angegriffen zu werden. ,Da
sahen sie eine grosse Anzahl Bewaffnete herbeikommen, nicht
weniger als hundert Mann. Sie waren rasch zur Stelle und
ihr Anführer sprach: Als dieser Thorgils hier mir meine
Schwester zurückbrachte, da habe ich beschlossen, nie die Zahl
seiner Feinde zu vermehren. Es war der Iarl Hugi' (thar var
kominn Hugi jdrl).
Gisl. S. 73 Bergr wird in Norwegen von einem Manne
in scharlaehrothem Rock um den Namen gefragt. Er nennt
sich. Da zog der Mann im Scharlachrock das Schwert und
hieb ihn nieder. ,Das war Ari, der Sohn Surs, ein Bruder
Gislis'. (Thai var Are Sürsson, hrödhir Gisla, — in der andern
Fassung S. 160 En thar var Ari Sürsson hrödhir Gisla), seit
S. 5 bekannt.
Gluma S. 381 ,Als sie kämpften, kam ein Mann herbei
gelaufen, er trug einen Pelzrock und hatte ein Schwert in der
Rand'. Er mischt sich in den Kampf. Vigaglumr lobt ihn und
nennt ihn Thundarbenda. ,Er hatte nämlich einen Sclaven,
der so hiess, deshalb sagte er so, aber in Wahrheit war es
^igfuss' (en thar var raunar Vigfuss), seit S. 364 bekannt.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft. 15
Grettla C. 24, S. 57 Gunnarr will Grettir tödten. Dieser
sitzt zu Hause beim Trunk. ,Da stiess etwas an die Thüre
so gewaltig 1 , dass sie entzwei brach und vier gewaffnete Männer
stürmten herein. Es war Gunnarr und sein Gefolge' (var ihar
kominn Gunnarr ok fylgdharmenn hans).
Hallfr. S. 112 ,Der Iarl befiehlt, Hallfredhr sofort zu
tödten, damit er nicht mehr Unheil anrichte. Da stand vom
äussersten Ende der Bank ein alter Mann auf, ging zum Iarl
und bat ihn, Hallfredhr das Leben zu schenken; es war Thor-
leifr, der Weise' (ok var that Thorleifr enn spaki). Dem Leser
seit S. 97, 24 bekannt.
Hav. S. 6 ,In dem Augenblick kam eine Frau zur Thüre
herein, es war Thorgerdhr von Bakki' (ok var ihar kominn
Tliorgerdhr af Bakka), seit S. 2 bekannt. — S. 18 ,Als er
(Havardhr) fortging, kamen ihm Männer entgegen. Es war
Gestr, Oddleifs Sohn, und sein Gefolge (var ihar Gestr u. s. w.).
Havardhr aber war so zornig, dass er kaum sah, wo er ging'.
— Gestr ist seit S. 10 bekannt.
Heidh. S. 333 Bardhi kam nach Bakki, wo Thordis
wohnte. ,Da waren vor dem Hause ein alter Mann und eine
Frau, die ihm den Kopf wusch. Es waren Thordis und Oddr'
(ok vöru ihau Thordis ok Oddr). Seit S. 322 bekannt. — S. 383
,Da steht ein alter Mann auf, es war Eidhr, Skeggis Sohn'
(ok var ihar Eidhr Skeggjason). Seit S. 283 bekannt.
Ljosv. S. 64 ,Dann ritten ihnen zwei Männer entgegen,
es war Eylifr und ein Gefährte' (ok var thar Eyli.fr ok madhr
medh honum), seit S. 63 bekannt.
Njala C. 69, 18 ,Wenig später ritt ein Mann ans Thor,
stieg vom Pferde und ging hinein; es war der Hirte' (ok var
ihar saudhamadhr). Er tritt erst hier auf.
Vallal. S. 220 ,In dem Augenblick griff ein grosser Manu
sie von rückwärts an, es war Eyjolfr, der Sohn Thorsteins'
(ok var thar kominn Eyjolfr Thorsteinsson), seit S. 219 bekannt.
Mitunter gibt der Autor Aufklärung über die Identität
einer vorher nach der Anschauung eines oder mehrerer Anderer
geschilderten Person dadurch, dass er plötzlich ihren Namen
einsetzt.
Floam. S. 152, 5 Asgrimr und seine Leute sind mit Schiff-
ziehen beschäftigt. Ein hochgewachsener Mann ritt vom Lande
Beschreibung der isländischen Saga. II.
227
herab mit einer Streitaxt in der Hand; er wandte sieb dortbin,
wo man das Scbiff herauf’zog. Asgrimr ermuntert seine Leute.
,Aber als Thorgils zu der Strandgrube gekommen war —' (ok
er Thorgils var Jcominn at ßaedharpyttinum —). Thorgils, der
Held der Saga, ist eben jener Reiter mif der Streitaxt.
ß. Die erste Thatsache wird durch eine Person der Saga
erklärt.
Eigla C. 67, S. 482 Gydha und ihr Sohn Fridhgeirr
sprechen heimlich, während Egill sich mit der Tochter des
Hauses unterhält. ,Da antwortet Fridhgeirr seiner Mutter mit
lauter Stimme: darum will ich ihn nicht bitten', und verräth
somit den Inhalt des leise geführten Gesprächs.
Eir. W. S. 98 ,Und als sie sich mit den Waaren beschäf
tigten, ging eine Frau am Thore des Waarenhauses v'orüber.
Einar fragte Ormr, wer diese schöne Frau gewesen sei, die —'.
Orrnr antwortet, es sei Gudhridhr (that er Gudkridhr föstra
min), welche dem Leser seit S. 96 bekannt ist.
Eyrb. S. 69 Die Kaufleute wollen gerade absegeln. Da
kam ein Mann zur Landungsbrücke (das ist ungefähr ein
hüdharhamarr). Er war gross von Wuchs und hatte einen
Pack auf dem Rücken. Er schien den Leuten etwas wunder
lich. Aber erst als man ihn nach seinen Namen fragt, erfährt
ihn der Leser. Es ist Arnbjörn, Björns Bruder, der schon
S. 17 war erwähnt worden.
Hav. S. 28 f. ,Als sie (Havardhr und Hallgrimr) zum
Strand heraufkamen, sprang ihnen ein Mann mit geschwungener
Axt in den Weg. Er trug eine blaue Jacke, die in die Hosen
gesteckt war. Sie .wenden sich ihm entgegen, und als sie sich
treffen, da erkennen sie Torfi, Valbrands Sohn' (olc er their
fundust, kenna their thar Torfa Valbrandsson). Er ist ihr
Kampfgenosse, den sie zurückgelassen hatten, um Thorbjörn
nachzuschwimmen, bekannt seit S. 21.
Svarfd. S. .144 ,Nach der Mahlzeit Klaufis reiten zwölf
Männer zum Hofe; sie erkannten Thorstein u. a.' (kenndu their
thar Thorstein u. s. w.). Thorstein ist seit S. 115 bekannt.
ß. Nur der Reflex bei der zweiten Person wird erwähnt.
a. Der Reflex wird der zweiten Person zugeschrieben.
15*
228
Heinzel.
Eigla C. 59, S. 322 Arinbjörn schliesst seine Trostrede
an Egill mit den Worten: ,Aber was murmelst du da, lass es
micli auch hören' (edha hvat Itvedhr thü nu ? Lattu mik nu
lieyra). Von diesem Gemurmel aber erfahren wir nur durch
die Frage Arnbjörns, von dem Inhalt desselben zunächst gar
nichts.
Gisl. S. 37 ,Die Brüder verabredeten untereinander, dass
sie dem Sclaven nacheilen wollten'. Es ist aber der verkleidete
Gisli, der Held der Saga.
Grettla C. 35, S. 84 Grettir liegt angekleidet auf der
Bank (s. S. 83). Der , Widergänger' Glamr kommt herein und
,sieht, dass ein Bündel auf der Bank liegt'. — C. 81, S. 177
Ein altes Weib wirft einen verzauberten, mit Runen beschrie
benen Wurzelstock bei Landwind in das Meer. Den nächsten
Tag darauf finden Grettir und sein Bruder auf ihrer Insel
einen ausgespülten Wurzelstock. ,Illugi sagt: das ist gutes
Brennholz, Bruder, tragen wir es nach Hause'. Grettir aber
erkennt, dass es etwas Unheimliches ist und will nicht. Dass
es der Wurzelstock jenes alten Weibes war, wird nicht
gesagt.
Gullth. S. 69 Die Leute Steinolfs sagen, dass ungefähr
fünfzig Mann herbeigeritten kämen. S. 71 ,Aber die Mann
schaft, welche Steinolfr kommen gesehen hatte, waren Rinder
der Groa'.
Laxd. C. 84, S. 348 Das Herankommen der Feinde er
fährt der Leser durch Arnors Worte : ,Was sehe ich da herauf
kommen? Glänzen da nicht Schilde' (edha hvat se ek thar upp
Icoma ? bliha, thar ei slcildir vidh?). Es ist, wie eben vorher er
wähnt, Thorvaldr und die Seinen. S. oben Eigla C. 56, S. 322.
S. oben S. 215 Heidh. S. 346.
Njala C. 99, 4 ,Ich höre Menschenstimmen', sagt Skarp-
hedhinn'. Dadurch erfährt der Leser, dass Leute in der Nähe
sind. Es ist Lytingr, dem Skarphedhinn nachstellt. — C. 119;
S. 46 ,Wer ist der Mann, sagte Skapti, der als Fünfter in der
Reihe geht, der grosse blasse Mann, der aussieht wie ein Un
glücksmensch, finster und geisterhaft'? Dadurch erfahren wir,
wie Skarphedhinn aussah, besser als durch die Kleiderbe
schreibung C. 120, 8 oder C. 92, 55.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
229
Vallal. S. 212 ,Er antwortete: das sind nicht unsere
Leute. Es waren in allem zwölf und einer darunter im blauen
Rock mit einer Spitzaxt in der Hand'. -—■ S. 223 ,Sie sahen,
dass ein Mann aus dem Hause ging- in schwarzem Rock mit
einer Hellebarde in der Hand'. Das heisst nach 8. 208, es
war Vallaljotr, 8. 212 in feindlicher, 8. 223 in freundlicher
Stimmung. — 8. 226 Das Herannahen und die Bewegungen
des Schiffes, auf dem Hrolfr sich beiiudet, erfahren wir nur
aus den Reden Thrands und der Schiffleute. Aber wer auf
dem Schiffe sei, können sie nicht unterscheiden.
Vapnf. S. 16 f. Die Leute Helgis und Gcitis drängen
sich hin und her. Da sagt einer aus Helgis Schaar: ,Dort
gehen Leute in nicht geringer Anzahl mit Saumrossen.' Dass
dies Geitis Leute waren, welche die Leiche davontrugen, er
fahren wir durch Helgis Rede S. 17. S. oben Gullth. S. 69.
b. Der Reflex erscheint bei dem Autor, der sich an die
Stelle der zweiten Person setzt.
Dropl. S. 4 Ketill verbringt den Winter bei Vedhormr
zu Gast. ,Da waren hei Vedhormr zwei unbekannte Frauen:
die eine arbeitete was sie vermochte, die andre nähte; diese
war die ältere'. Erst einige Tage später erzählt die jüngere,
wer sie beide seien. — S. 5 Aneidhr geht mit einer Frau ans
Land. Sie suchen unter einer Felswand Schutz vor Regen.
Dann schickt Aneidhr die andre unter dem Vorwand, sie sei
krank, ins Schiff zurück, um Ketill zu rufen. Als er ohne
jene Frau kommt, zeigt sie ihm einen Schatz. Sie muss ihn
also unbemerkt von der Gefährtin gefunden haben.
Eir. W. S. 126 ff. Die ,Widergänger' werden vom Erzähler
blos bei ihrem Namen genannt: Tliorsteinn Eiriksson, d. i. der
Geist des Thorsteinn.
Eyrb. S. 120 ff. Gudldeifr wird mit den Seinen in ein
fernes Land im Westen verschlagen. Aus der Gefahr, von
den Eingebornen getödtet zu werden, rettet sie der Häupt-
ling, ein alter weisshaariger Mann, der isländisch kann. Aus
dem Gespräch zwischen ihm und Gudhleifr ergibt sich für den
Leser deutlich, dass es Björn, der Feind Snorris und Geliebte
seiner Schwester sei. Aber es wird nicht gesagt. Erst S. 122
heisst es, dass diejenigen, welchen Gudhleifr in Island von diesem
230
Heinzei.
Abentheuer erzählte, überzeugt waren, das sei Björn gewesen,
den der Leser seit S. 17 kennt.
Fostbr. S. 62 ff. Ein Mann nennt sich Gestr und wird
auch in der Erzählung immer so genannt bis S. 105, wo man
erfährt, dass er Steinar heisst.
Gisl. S. 206 Vesteinn und seine Schwester Audhr schlafen
in einem Zimmer. ,Da kurz vor Tagesanbruch kommt etwas
leise herein und zu der Stelle hin, wo Vesteinn liegt. Vesteinn
ist jetzt erwacht und wird sofort mit einem Spiess durch
bohrt“. Er springt auf und fällt todt nieder. ,Darauf ging
der Mann hinaus“. 1
Grettla C. 11, S. 16 ,Thorgeirr trug auf dem Rücken
einen Lederschlauch mit Bier. Es war sehr finster und als
er von der Schiffhütte herab kam, da sprang Thorfinnr auf
ihn zu und versetzt ihm mit der Axt einen Hieb zwischen
die Schulterblätter. Die Axt sank ein und es gluckste“. Er
ist überzeugt, ihn getödtet zu haben. — C. 64, S. 149 Grettir
nennt sich bei Steinthors Witwe, Steinvör Gestr und wird da
selbst auch vom Autor so genannt. S. oben Fostbr. S. 62 ff.
— C. 92, S. 202 Dromundr wird, als er Spes über die Lache
trägt, nur als ein grosser alter Bettler mit einem Stab und
langem Bart bezeichnet.
Gullth. S. 58 Grimr, Eyjulfs Sohn, war gross, aber ein
Ofenhocker und schien beschränkten Geistes. Wenn er sich
vom Boden erhob, so war er in einer weissen Wolljacke, und
trug weisse Hosen und unten Binden (Wickelbänder). Der
Leser, wie alle anwesend Gedachten sieht Grimr erst, als er
sich aus einem Winkel vom Boden erhebt.
1 So in der zweiten Fassung. Ok litlu fyrir ly sing er gengit inn t elda-
skdlann olc thar gagnvart er Vesteinn hvüir; ok er kann thd vaknadhr, ok
er thegar lagt ä honum spjoti fyrir bringspöluna olc thegar % gegnurn kann.
Vdsteinn maelti thetta vidli, er kann felck lagit: ,Vidh lmeit tharna 1 segir
hann, ok spratt tipp vidh, er liann felck lagit; feil liann thegar fr am d
golfit, ok var thegar daudhr, sem glikligt var. Thar naest gekk maihrmo
ut. In der ersten Fassung S. 22, die wesentlich dasselbe bietet, steht
nach hann var thd vaknadhr noch: eigi finnr hann, enn hann er lagir
spjöte fyrir brjdstit usw. Darnach hätte Vesteinn weder gehört noch
gesehen, dass Jemand oder etwas hereingekommen. Aber wozu ist dann
gesagt, dass er wach war?
Beschreibung der isländischen Saga. II.
231
Hallfr. S. 92, 7 König- Olafr Tryggvason hilft Hallfredhr
und den Seinen beim Landen. Aber er wird nur als der Mann
am Steuer bezeichnet, der sich Akkerisfreklci nennt. Erst
S. 92, 26 wird den Ankömmlingen erzählt, dass es der König
selbst gewesen sei, der S. 91, 29 zuerst erwähnt worden war.
— S. 92, 20 Nur durch die Worte Olpumadhr segir erfahren
wir, dass der unerkannte König Olafr einen Pelz trug.
Hardh. S. 80 ff. Bolli nennt sich Thorbjörn und wird in
seinem Verkehr mit Hördhr und Geirr, die ihn nicht kennen,
auch vom Autor so genannt. Erst als er wieder bei seinem
Herrn, Ormr, ist, heisst er Bolli. Er ist schon vorher S. 80
erwähnt worden. S. obenS. 230Fostbr. S. 62, Grettla C. 64, S. 149.
Ljosv. S. 53 ,Gudhmundr war ganz heiter!' (Gndhmundr
var allkdtr), das heisst er schien den Leuten so, in Wirk
lichkeit war er es nicht'.
Njala S. 23, 16 ff. Gunnarr als Hedhinn verkleidet, wird
auch vom Erzähler Iledhinn genannt, so lange er mit Leuten
verkehrt, die ihn für Hedhinn halten. S. oben Hardh. S. 80.
— Gunnarr ist seit S. 19, 1 bekannt.
Reykd. S. 270 ,Der Diener nahm sie bei der Hand und
führte sie; aber als sie hinauskamen, da wurde es so finster,
dass sie nichts sehen konnten, der Diener erhielt einen ge
waltigen Schlag auf die Schultern und den Kopf und sie traf
ein solcher Windstoss (bür?), dass sie hinunter zu den Schiff
hütten flog', das heisst, wie S. 272 erklärt wird, dem Diener
wurde ein Teppich um den Kopf geworfen, der die Finsterniss
bewirkte und auch jenen Windstoss. — S. 274 Dass Vemundr
einen grossen Hut trug, als Verkleidung, ersehen wir nur daraus,
dass er vom Autor Hutmann (hattarmadhr) genannt wird. Ve
mundr ist seit S. 232 bekannt. S. oben Hallfr. S. 92, 20.
Svarfd. S. 177 Karl kommt zum Pferdekampf und
setzt sich an einen abgelegenen Platz. ,Dort hatte Jemand
seine Handschuhe hingelegt, und daneben lag eine silber-
beschlagene Axt. Karl nimmt beides auf und legt es auf
seinen Schoss' usw. (Thar liafdhi viadhr liastat nidhr gldfum
ok thar Id hja öx silfrrekin usw.). Erst später sagt der Autor,
dass Thorkell diese Dinge dahin gelegt hatte.
Vatnsd. S. 5, 25 Jökull wird zuerst beschrieben, wie ihn
Thorsteinn sieht, erst S. 7, 18, als er sich selbst nennt, erfahren
232
H einzel.
wir seinen Namen. — S. 78, 15 Die Brüder Fostolfr und
Throttolfr haben einen flüchtigen Mann bei sich aufgenommen
und sind zum Thing geritten, um dort dessen Rechtssache zu
führen. Zwei andre Brüder, Hunrodhr und Ulf'hedhinn, reiten
auch zum Thing. Da verlieren sie in der Nähe des Hofes
der ersteren ihre Pferde. Sie sehen einen Mann, halten ihn
für den Dieb und tödten ihn. Aus dem Vorhergehenden ist
klar, dass es der Schützling Fostolfs und Throttolfs ist.
c. Wenn zwei Personen heimlich sprechen und die Leute
nicht wissen was, so sieht der Verfasser allerdings mit den
Augen derjenigen, welche nicht in das Geheimniss gezogen
sind, aber er erwähnt sie auch. Also eine Mischung.
Dropl. S. 16 ,Helgi, Droplaug und ein Sclave redeten
eines Morgens lange mit einander, die andern wussten nichts
von dem Inhalt des Gespräches' (ok vissu adhrer menn ekki
theira ordliraedhu).
Eyrb. S. 46 Snorri und Styrr (vissi that engi madhr hvat
their töhidhu).
Heidh. S. 321 Bardhi und Thorarinn (ok vissu menn öglöggt,
hvat their maeltu).
Njala C. 41, 59 Hallgerdhr und Thrainn (ok vissi engi
madhr hvat tliau höfdhu i rädhagerdhum). — C. 93, 20 Njall,
und Ketill (ok vissi engi madhr, hvat i rädhagerdh hafdhi verit).
Reykd. S. 307 Gluma und Eldjarn (svd at engi vissi hvat
their töludhu).
Bemerkung zu allen Fällen des Reflexes.
Die Fälle Eir. W. 158 (der Einfuss), Ljosv. S. 93 (Skeggi),
Floam. S. 122 (Ölmodhr), Njala C. 69,18 (der Hirte), Dropl. S. 4
(die zwei fremden Selavinnen), Fostbr. S. 62 (Gestr •— Steinarr),
Vatnsd. S. 5, 25 (Jökull) scheinen wenig auffallend, weil auch
in unserer Erzählungsweise unbekannte Personen gerne erst
durch den Eindruck auf andere geschildert werden.
Befremdlicher sind die Fälle, in welchen bekannte Per
sonen dem Leser nur so vorgeführt werden, wie sie eine Person
der Saga sieht, welche sie nicht kennt, oder erst allmählich
erkennt, oder wenn eine bekannte oder unbekannte Person
vom Autor mit einem falschen Namen, oder gar nur mit einem i
Beschreibung der isländischen Saga. II.
233
Appellativum bezeichnet wird. Eir. 10, S. 126 (die ,'Wider
gänger'), Iiardh. S. 80 (Thorbjörn — Bolli), Njala C. 23, 16
(Hedliinn — Gunnarr), Hallfr. S. 92, 20 (ölpumadhr), Reykd.
S. 274 (Tiattarniadhr).
Einen Gegensatz zu der hier geschilderten Weise bildet
es, wenn Oertlichkeiten gleich bei dem Namen genannt werden,
welchen sie erst später erhalten.
Eir. W. S. 94 Als Eirikr nach Grönland kommt, ist so
fort von Eiriksey, Eiriksfjördhr, Eiriksholmir die Rede.
Gulltb. S. 54 ,Sie fuhren von da zum Vorgebirge Knarr-
arnes, an der Spitze von Reykjarnes, und dieses erhielt nun
seinen Namen/
Hardh. S. 84 Hördhr fährt um Katanes herum; dieses
Vorgebirge erhält erst S. 85 seinen Namen.
Njala C. 87, 202. 91, 1 Hrappr erhält von Thrainn einen
Wohnsitz, der gleich Iirappstadhir genannt wird. (Dagegen
Laxd. C. 10, S. 24 Hrappr Mt madhr, er bjö i Laxdrdal fyri
nordhan dna; sd baer Mt sidhan d Hrappsstödhum).
2. Verschiedene Zustände und Vorgänge bei verschiedenen
Personen oder Sachen, ohne Reflex. — Scenenwechsel.
a. Zwei oder mehrere Zustände bei verschiedenen Per
sonen und Sachen. Der Scenenwechsel kann erwähnt werden.
Ein besonderer Fall ist es, wenn von dem ersten Zustand zu
dem zweiten gegangen, dann wieder zu dem ersten zurück
gekehrt wird. Hier kann der Gedanke und die Phrase wieder
holt werden. S. unten S. 254. Abgesehen davon, bietet jede
Seite Beispiele, besonders die Aufzählungen der handelnden
Personen am Beginn der Saga oder einzelner Abschnitte der
selben, die Programme. S. unten in Cap. III.
Heidh. S. 362 schildert die Darstellung erst das eine
Heer Bardhis, dann das der Borgfirdhingen. — S. 368 Thor-
gils’ Sohn ist gefallen. ,Thorgils schont sich nun nicht mehr'
(Thorgisl höggvandi hlifizt ekki vidli), Leben und Tod ist ihm
gleich. Seine tüchtigsten Gegner sind ein anderer Thorgisl,
Eirikr und Thoroddr. ,Thorgils schont sich nicht' (Thorgils
hlifir ser ecki) und erwirbt den grössten Ruhm. Also der erste
Thorgils — der —.
Hrafnk. S. 31 f. Iirafnkels — Sams Verhältnisse.
234
H einzel.
Njala C. 1, 7 Mördhr — Unnr. ,Nun wendet sich die
Erzählung nach Westen* (nü vikr sögunni vestr til Breidha-
fjardhardala) zu Höskuldr -— Hrutr.
b. Ein Zustand bei einer Person oder Sache, ein Vorgang
bei einer andern. Der Zustand erweist sich entweder sogleich
oder später wichtig. S. oben S. 136. Wo Scenenwechsel statt
hat, wird er mitunter angedeutet (thar er nu til at tcika —,
Tiverfum nü frei —). Ein besonderer Fall ist es, wenn auf
einen Zustand ein Vorgang folgt, dann wieder zu dem er
wähnten Zustand zurückgekehrt wird. Hier kann die Phrase,
welche zuerst den Zustand bezeichnete, bei der zweiten Er
wähnung wiederholt werden. S. oben S. 233.
Bjarn. S. 21 Lage des Björnschen Hofes, Ankunft Thordhs.
— S. 51 ff. Das furchtbare Unwetter bei Thorsteinns Reise.
Dropl. S. 12 Helgi, der Sohn Droplaugs, räth Hrafnkell,
zu Ann zu gehen. Denn zwischen Ann und Helgi, dem Sohne
des Asbjörn, herrscht durch Geschenke befestigte Freundschaft.
■— S. 29 Im Hause Helgis lebte ein blinder, aber sehr starker
Mann, Arnoddr, — als Grimr Helgi ermordete.
Eigla C. 72, S. 529 f. Bodenbeschaffenheit in Friesland,
— C. 77, S. 580 Bodenbeschaffenheit in Wermeland, bei Egils
Thaten in diesen Ländern.
Eil’. N. S. 545 Wildheit des Viehes, bei Schilderung der
vinländischen Besiedlung. — S. 547 Starker Morgenthau, als
Freydis zu den Brüdern geht.
Eyrb. S. 66 Der Golf ist zugefroren, bei dem Anschlag auf
Arnkell. — S. 75 Schönes Wetter, bei dem Angriff auf Arnbjörn.
Finnb. S. 59 Thorarins Einführung, seine Stellung, Cha
rakter und Verhältniss zu Ingimunds Söhnen, Besuch Jökuls
bei ihm. — S. 60 Einführung und Eigenschaften des Hirten
Thorgrims, Svartr, bei der feindlichen Begegnung Thorkels
und Jökuls.
Floam. S. 143, 21 Thorgils hatte Fischer auf dem Meere
(ütrödhrar menn), bei der Ermordung seiner Frau. — S. 157, 29
Die Wassergruben (pyttav) am Strande, als Thorgils Asgrimr
zu Falle brachte.
Fostbr. S. 82 ,Auf den Rath Skufs ging nun Thormodhr
nach Brattahlidh* (Nü af thessum ordhunx Sküfs för Thormodhr
Beschreibt!ng der isländischen Saga. II.
235
i Brattahlidh). — Skufs Wohnort und Verhältnisse. — ,Thor-
modhr ging nach Brattahlidh (Thormödhr för l Brattahlidh).
S. oben S. 233. — S. 91 Beschreibung der Felsplatte im Meer,
auf welcher Thormodhr seine Zuflucht fand.
Gisl. S. 4 Das Schwert Grasidha in Gislis Familie, das
durch die ganze Erzählung eine verhängnissvolle Rolle spielt.
— S. 27 Dass der Fussboden mit Schilf bestreut war, kommt
Gisli bei der Ermordung Thorgrims zu statten.
Grettla C. 35, S. 83 Dass die Querwand des Hauses ge
brochen war, als Grettir auf die ,Wiedergänger' wartet. —
C. 35, S. 85 Der Mond scheint hinter Lämmerwolken hervor,
bei dem Kampfe zwischen Grettir und Glumr.
Gullth. S. 58 Gudhmundr, Thoris Sohn, wurde bei Eyjulfr
aufgezogen (kann faeddist upp medh Eyjülfi i Müla). Nun eine
Reihe von Begebenheiten. S. 61 ,Wenden wir uns jetzt zu
Gudhmundr, dem Sohne Thoris. Er wurde bis zu seinem
neunten Jahre bei Eyjulfr aufgezogen.' Dann nahm ihn sein
Vater wieder zu sich. (Thar er nü til at taka at Gudhmundr
son Thoris öx upp i Mula medh Eyjülfi usw.J S. oben S. 233.
— S. 61 ,Thorir entliess alle seine Ziehbrüder nach Hause,
und es war eine Zeitlang ruhig' (olc var kyrt um hridh). —
S. 67 Thorir ist bei der Leichenfeier — Steinolfr bereitet
während dessen einen Anschlag auf ihn vor.
Hav. S. 8 Schlechtes Wetter, als Olafr und Brandr die
Schafe treiben. — S. 26 Stürmisches Wetter bei der Ueber-
fahrt Havardhs. — S. 35 ,Lassen wir sie jetzt in Eyri bei
Steinthorr sitzen, wo sie ja gerne gesehen sind und herrlich
bewirthet werden' (Hverfum nü frd er their sitja i Eyri medh
Steinthöri hdnda i gödhum fagnadhi ok medh miklum kostnadhi).
Darauf Geschichte von den Knaben Thorsteinn und Grimr,
die Ljotr erschlagen und zu Steinthorr flüchten, — wo sie
Alle beim fröhlichen Gelage finden, S. 38.
Heidh. S. 318. 333 f. 344. 346. 349 Eigenthümliche
Färbung der Pferde, welche Thorarinn hatte stehlen lassen.
Hrafnk. S. 8 Schönes Wetter, als Einarr die Schafe sucht. —
S. 39 Bodenbeschaffenheit des Locals der folgenden Begebenheit.
Haens. S. 135 Schlechtes Wetter, als Blundketill Thorir
besucht. — S. 157 Kaltes Wetter, als Thorkeil Gunnarr be
sucht.
236
Heinzei.
Kox - m. C. 5, S. 38 An Thorkels Hausthüre pflegte immer
eine Sense und ein Schwert zu hängen, bei Kormaks Liebes-
handel mit Steingerdhr. — C. 6, S. 54 Thorkell hat ausser
der Tochter Steingerdhr noch einen Sohn Thorkeil Tanngnjostr,
bei der Verlobung Steingerdhs mit Kormakr (s. C. 14, S. 134).
— C. 9, S. 76 Auf dem Spakonahügel wohnt eine Zauberin,
Thordis, die nun in Handlung tritt. — C. 22, S. 204 Sie hat
einen Mann, Thorolfr (s. C. 23, S. 220), der nun in Hand
lung tritt.
Laxd. C. 13, S. 34 f. Wetter und Local, als Höskuldr
entdeckt, dass Melkorka nicht stumm sei. — C. 41, S. 182
Bolli spielt auf Kjartans Liebe zu Ingibjörg an. ,Denn diese
war damals am Hofe König Olafs und die schönste unter den
Frauen des Landes.'
Ljosv. S. 61 Der Milcheimer im Hause Thorkeils, in welchen
Gudhmundr dann hineinfällt. — S. 91 Dass Eyjolfr einen Zieh
vater hatte, wird vor einer kriegerischen Unternehmung Eyjolfs
erwähnt. — S. 92 Ein Mann überbringt Thorvardhr eine Ein
ladung zu seiner Herrin Thorgerdhr. ,Thorgerdhr war Wittwe,
und früher an Haldor, den Bruder Thorvardhs, verheirathet
gewesen.'
Njala C. 24, 10 Gunnarr führt seine Sache beim Thing,
Injall ist nicht da. C. 77, 6 Gunnarr wird im Hause ange
griffen. Es wird mitgetheilt, wo er und seine Familie zu schlafen
pflegten.
Thorst. S. 183 Unwetter bei Thorsteins Ueberfahrt.
c. Zwei Vorgänge bei verschiedenen Personen oder Sachen.
— Der Scenenwechsel, der als solcher bezeichnet werden kann,
wird durch einen Gedankenstrich angedeutet.
-y.. Beide werden erwähnt.
1. Beide werden deutlich nach einander erzählt. — Das
Hin und Her der Darstellung kann sich wiederholen. — Ebenso
kann der Gedanke und die Phrase, welche bei Erzählung des
ersten Vorganges vorkamen, bei der zweiten Erwähnung wieder
holt werden. S. oben S. 233.
Band. S. 8 Oddr verlässt nun Island und seine Beise
nimmt wie gewöhnlich einen glücklichen Verlauf. — Uspakr
i
Beschreibung der isländischen Saga. TI.
237
geht nach Hause usw., sein Leben während der Abwesenheit
seines Herrn Oddr.
Bjarn. S. 9 ist Thordhr in Island. — ,Denselben Sommer'
ging Björn nach Russland, besteht dort einen gefährlichen
Zweikampf, wird schwer verwundet und bleibt ein paar Jahre
daselbst, bevor er nach Norwegen zurückkehrt. Aber alle
Islandsfahrer sind bereits fort. — ,1m zweiten vor dem
gegenwärtigen Zeitpunkt', fährt der Erzähler fort (A ödhru
sumari, fyrr en nu var frei sagt), erfährt Thordhr in Island
durch Kaufleute die Verwundung Björns. Er gibt ihn für
todt aus xxnd heii’athet Oddny, Björns Braut. — S. 13 ff. Björn
ist auf einem Vikingszug. -— Thordhr fährt von Dänemark
nach den Bi-enninseln. — Björn landet spät am Tage auf einer
der Brenninseln. — ,Denselben Abend kam Thordhr zu dieser
Insel und übernachtet daselbst auf seinem Schilfe'. Zwei
Männer kommen und fi'agen nach dem Eigenthümer des
Schiffes. Thordhr erkennt in ihnen Kundschafter und will
selbst sehen, wer auf der Insel ist. — .Björn sagte zu Andhunn,
als die Männer zurückkamen und über Thordhr berichteten:
Nach ihrer Aussage vermuthe ich, dass Thordhr hier ist' usw.
— .Thordr sagte, als er mit seinen Leuten von der Insel
zurückkam, dass er glaubte, Björn sei nicht ferne', und
versteckt sich. Die Expedition Thordhs auf die Insel wird
nicht erzählt. ■— ,Nun lässt Björn seine Leute sich bewaffnen',
sucht und findet Thordhr. — S. 34 f. Björn kommt zu Arnor
und bleibt drei Tage. — ,Thordhr erfährt, dass Björn nicht
zu Hause ist' und bereitet einen Anschlag gegen denselben
vor. — Wir wenden uns nun zu Björn zurück (Nu er at
segja frä Bimi, at —■). ,Er schickt sich zur Abreise von
Amor an; da kommt die Frau des Hauses' und spn’cht
ihre Befürchtung aus, dass Thordhr Böses gegen Björn im
Schilde führte. Arnor begleitet deshalb Björn, und sie haben
leichtes Spiel gegen die Feinde. — S. 51 f. Thorsteinn, mit
seiner Frau Thorfinna und einer Anzahl Begleiter vom Unwetter
überrascht, will einen Diener Björns zwingen, ihm und den
Seinen den Weg zu weisen. —• Der Diener weigert sich und
entkommt im Schneegestöber (Vedhrit vesnadlii handln af foki.
°k frnsti; en huskarl var fyrr attr d hrott, en their fyndi). —
Er eilt zu Björn und erzählt ihm den Vorfall. — ,Thorfinna
238
Heinz el.
ritt, die Andern gingen zu Fass und waren sehr erschöpft.
Da sehen sie, dass der Diener fort war und bereden sich nun,
was zu thun sei* (Thorfinna reidh, en their gengu, ok vdru
threkudh —, ok sjd thetta, at hüskarl var allr i brott; roeddust
their vidh, hvat thä skal til rädha taka).
»
Dropl. S. 21 f. Helgi, Asbjörns Sohn, sendet nach seinen
Freunden, am nächsten Tag kommen sie. Achtzehn an der
Zahl reiten sie ins Eyvindsthal und lauern Helgi, dem Sohne
der Droplaug, auf. — , Wenden wir uns jetzt zu Thorkeil' (Nü
er thar til at taka, at Thorkeil —■). — Er kommt zu Helgi, dem
Sohne der Droplaug, und übernachtet daselbst. Den andern
Tag begleitet er Helgi, den Sohn der Droplaug, und besteht
mit diesem den Kampf gegen Helgi, Asbjörns Sohn, und dessen
Gefährten. Es wird aber um eine Nacht zurückgegriffen. —
S. 28 Grimr — Helgi, Asbjörns Sohn.
Eir. W. S. 143 ff. Thorhallr trennt sich von Karlsefni,
seine Reise bis zu seinem Tod. — (S. 147) wendet sich die Er
zählung zu Karlsefni zurück (Nü er at segja af Karlsefni).
Eyrb. S. 75 f. Die Söhne Thorbrands trennen sich eines
Morgens früh von Snorri, reiten nach Bakki und greifen Arn-
björn in seinem Hause an. — ,Die Breidhvikinger waren an
diesem Morgen früh aufgestanden'. Sie machen sich auf den
Weg zu einem Schiff, das im Hafen lag, sehen im Vorüber
reiten, dass Arnbjörn angegriffen wird und eilen ihm zu Hilfe.
— Als Snorri bemerkte, dass die Söhne Thorbrands sein Ge
folge verlassen hatten, ritt er ihnen nach. — S. 77 f. Egill —
Freyteinn — Egill (That er at segja frä ferdh Egils) —
Thordhr — Egill. — S. 86 f. Der Kampf im Vigrafjord bis
zum Tode aller Thorbrandssöhne und Abzug der Sieger. —
Snorri erfährt durch seinen Hirten von dem Kampf, kommt
aber zu spät.
Finnb. S. 24 ,Am Morgen. sind alle Männer rasch auf
den Beinen und jeder Bursch hat seine Waffen'. — ,Sehen
wir nun, was Finnbogi am vorhergehenden Abend that' (Nü
er at seggja frä Finnboga ddlvr um kvelldit). ,Als die Männer
schliefen, stand er auf, nahm seine Waffen' usw. — S. 56
Finnbogi — Jökull — Finnbogi (Nu er thar til at taka, er
their Finnbogi usw.). -— S. 73 f. Jökuls Kampf mit Finnbogis
Beschreibung der isländischen Saga. II.
239
Sohn — Finnbogi zu Haus (Thar er til at taha., sem Finnhogi
er heima). — S. 86 Finnbogi — Hallfrid.hr, seine Frau.
Fostbr. S. 25 ff. von Thorgeirs Fahrten. — (S. 29) ,Wenden
wir uns nun zu Thorgeirr und erzählen wir, was er während
der Kriegszüge Thorgeirs that' (Nu er at segja frä ThormödM,
Tivat liann hafdhiz at, medhan Thorgeirr var i förum). — S. 34
Kolbakr wird auf dein Thing geächtet. — ,Als die Männer
zum Thing geritten waren, sagte Grima zu Kollbakr: Du wirst
wahrscheinlich wegen des Angriffs auf Thormodhr geächtet
werden'. — S. 84 Lodhinn trifft Vorbereitungen zur Reise und
kommt dann mit drei Andern in die Stube. ,Da waren vorher
nur Thormodhr und Bjarni' (Thar vöru ddhr eigi fleiri menn
enn their Thormodhr oh Bjarni). — S. 94 Thormodhr — Lusa-
Oddi (Nil er at segja frä Lusa-Odda). — S. 96 ff. Thormodhr
bei der Zauberin Grima undGamli, ihrem Mann, — Thordis und
ihr Sohn Bödhvarr, seine Feinde — Thormodhr, Grima und
Gamli — Thordis und Bödhvarr —• Thormodhr, Grima und
Gamli — Thordis und Bödhvarr — Thordis mit den Ihren
kommt an und durchsucht das Haus. — S. 102 ff. Thormodhr
— Thordis — Thormodhr -— Thordis.
Gisl. S. 19. Die Knechte Gislis reiten zu Vesteinn nach
Hest, wo er wohnt (oh ridha their unst their Icömu ä Mosvöllu
oh thadhan inn undir Hest). — ,Nun reitet Vesteinn von Hause
fort', aber nicht auf dem Weg, den die Knechte genommen
hatten, so dass sie sich verfehlen, und kommt nach den Dy-
rafjördhr' (Nü ridhr Vesteinn heiman usw.). — ,Aber sie kommen
nach Hest (die Knechte nämlich und erfahren, welchen Weg
Vesteinn eingeschlagen hatte' (Enn their homa undir Hest usw.).
— S. 38 Börkr —- Gisli.
Ghana S. 339 f. ,Nun reist Glumr nach Island, kommt
an den Thverafluss und alsbald zu seiner Mutter. Sie empfing
ihn mit Freuden' und erzählte ihm von der Unbill, die sie von
ihren Verwandten zu erdulden hatte usw. — ,Es hatte sich
nämlich inzwischen hier Folgendes begeben': (En tliat, hafdhi
vordhit til tidhenda ut her medhan). Nun wird ausführlich er
zählt, wie Astridhr ihres Ackers beraubt worden war. —
(S. 341) ,Etwas später in diesem Sommer kam Glumr nach
Island' (Oh litlu sidharr sumars hom Glumr ut) und begab sich
240
Heinzei.
sofort nach Hause. 1 — S. 351 f. Thorgrimr greift Arnorr an,
Arnorr läuft davon — Thorgrimr zu Thorir — Arnorr (En
frd Amon er at segja at kann finnr Glum usw.).
Grettla C. 89, S. 12 f. Onundr und Asmundr fahren zu
sammen, jeder auf seinem Schiff, nach Island. Sturm. Geschick
Asmunds. — Geschick Onunds (Nü er at segja frd Onundi usw.)
— C. 24 ff., S. 61 ff. Grettir reist nach Island. — Sein Vater
Asmundr in Island während Grettis Abwesenheit (medlian Grettir
var utan). — (C. 28, S. 65) Grettis Ankunft in Island. — C. 35,
S. 86 Grettir geht nach Vatnsthal zu Thorvaldr und wieder
nach Hause. — Während der Reise Grettis ins Vatnsthal (thetta
var medlian Grettir fdr nordhr til Vatnsdals usw.) gibt Thor
björn ein Fest; von dem wird nun berichtet. — C. 37 f., S. 87 ff.
Auf die Nachricht von Olafs Thronbesteigung geht Grettir nach
Norwegen und ist auf dem Wege nach Throndheim. — Auch
des neuen Königs wegen schickt Thorir, dessen frühere Schick
sale erzählt werden, seine Söhne nach Norwegen und sie sind
auch auf dem Wege nach Throndheim. — Aus der Begegnung
mit Grettir sieht man, dass ihre Reise ziemlich gleichzeitig
muss gewesen sein. (Nü er at segja frd ihm, er their Grettir
foru usw.) — C. 41 bis 46, S. 97 ff. Grettir wegen einer an
geblichen Mordschuld aus Norwegen verbannt, reiste im Sommer
nach Island. — (C. 42, S. 97) Nun eine ganze Reihe von Be
gebenheiten, welche sich in Island während Grettis Abwesen
heit zugetragen hatten. (Thar er nü til at taka, er ddhr er frd
liorfit usw.) —- (C. 47, S. 104) Grettis Ankunft in Island. —
C. 42. 43, S. 98 Atli — Thorbjörn. — C. 64, S. 148 Erzäh
lung von Thorsteinn und Steinvör. Spuk. Räthselhaftes Ver
schwinden des Mannes zwei Jahre vor Grettis Ankunft in
diesen Gegenden, des Knechtes im letzten Jahre. -— C. 64 f.,
S. 150 f. Steinvör hat das Haus verlassen und übernachtet
bei dem Priester. — Grettis Abentheuer in dieser Nacht (Nü
er frd Gretti that at segja usw.). — C. 66, S. 153 Grettir und
der Wasserriese — der Priester — Grettir und der Wasserriese.
Gullth. S. 51 Thorir und seine Gefährten verwunden in
der Höhle die auf dem Golde liegenden Drachen, einige fliegen
1 Für die Wiederholung der Ankunft Glums vor und nach dem Rückblick
gibt Möbius, ITeber die ältere isländische Saga, S. 54 f. eine Erklärung,
welche von der ineinigen abweicht.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
241
fort. — Begegnung der im Freien stehenden Freunde mit
einem dieser Drachen. — ,Wenden wir uns wieder zu Thorir
und seinen Gefährten' (Nü er at segja frd Thdri ok lians
felagum): sie finden eine Menge Gold. — S. 67 ,Kjallakr und
Steinolfr bestiegen mit vierzig Mann ein grosses Ruderboot,
das Steinolfr gehörte; sie ruderten nach dem Vorgebirge des
Kroksfjördhr (die Hs. hat fehlerhaft til Thorskafjardhamess)
und zwar hielten sie auf den Süden des Vorgebirges zu' (ok
stefndu fyrir sunnan nesit). —- Thorarinn bemerkt ihre Fahrt
und sammelt Mannschaft. Olafr und Thorgeirr lauern auf
Thorir. —- Steinolfr und die Seinen landeten am südlichen
Theile des Krokfjördhischen Vorgebirges usw. (Tlieir Steinolfr
lendu fyrir sunnan Kröksfjardharnes usw.). — S. 74 Steinolfr
mit den Seinen zieht nach Tunga um Ketilbjörn im Hause zu
verbrennen. ,Niemand bemerkte sie eher, als bis das Haus
umstellt war' (ok vardh engi mctdlir fyrr varr vidh, enn tlieir
höfdhu tekit baeinn d theivn). — Gunnarr war den Tag zuvor
zu Thorir geritten. Prophetischer Traum Thoris. Sie eilen
zu Hilfe. — Wenden wir uns nun zu Ketilbjörn. ,Sie merkten
es nicht eher als bis das Haus umstellt war' (Nu er at segja
frd Ketilbirni, at tlieir fundu ei fyrr, en husin vorn tekin d theim).
Gunnl. C. 9 f., S. 240 f. Hrafn kommt nach Island, nach
einem Jahre verlobt er sich mit Helga. — Denselben Sommer,
in welchem Hrafn nach Island gereist war, ging Gunnlaugr
zu König Adhalradhr von England. Nü er at segja frd
Gunnlaugi at kann för af Svithjdd.hu that sumar, er Hrafn for
hl Islands usw.) — C. 10 f., S. 247 Hallfredhr — Gunnlaugr
— Hallfredhr — Hrafn. — C. 12, S. 267 f. Gunnlaugr mit
Olafr und Grirnr — Hrafn und Thorkell (medhan).
Hallfr. S. 87, 29 ff. ,Darauf zog Ottarr (Hallfredhs Vater)
südwärts in das Nordflussthal und wohnte zuerst in Ottarstadhir'
(ok eptir that redhst Ottarr sudhr i Nordhrardal). — Nun der
Liebeshandel Hallfredhs mit Kolfinna und sein Streit mit Griss,
ihrem Bräutigam. Griss heirathet Kolfinna, Hallfredhr soll
Island verlassen. ,Ein Jahr später zog Ottar südwärts in das
Nordflussthal' (Thd för Öttar einurn vetri sidliarr sudhr i Nordhr-
drdal).
Hardh. S. 39 Geirr und Arnthorr. Geirr allein — Arn-
thorr — Geirr — Arnthorr. — S. 49 Hördhr im Grabhügel
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft. 16
242
Heinz e 1.
— Gefährten ausserhalb (that er at segja frd tlieim —). —
S. 51 Hördhr ist in Norwegen. — Wenden wir uns nun
wieder zu Sigurdhr, den wir bei seiner Abreise von Eyrar
(Island) verlassen haben'. (Nu er thdr til at taka, sem fyrr var
frd horfit, at Sigurdhr Torfaföstri för üt.an d Eyrum). Nun
sein Aufenthalt in Norwegen und Dänemark. Die Abreise
Sigurdhs aber fiel mehrere Jahre vor der Hördhs, s. S. 21. —
S. 82 Geirr wird von Ormr und Bolli überfallen und wehrt
sich. — ,Da sagte Hördhr zu Hause in Holmr', er glaube, dass
Geirr Hilfe bedürfe (Hördhr tök til ordha heima i Hölmi). —
S. 82 Ormr und Bolli — Geirr und Hördhr.
Hav. S. 27 Thorbjörn springt ins Meer, Havardhr ihm
nach (kastar ser d sund eptir Ihorhirni). — Kampf Brands
mit Ann und Hallgrimr. ,In dem Augenblicke' als Hallgrimr
Brandr den Kopf spaltet, ,sprangen Thorbjörn und Havardhr
ins Meer' (ok i thessarri svipan hlupu their d sund Thorbjörn ok
Hdvardlir). — S. 45 ff. Thorgrimr — Atli (Nu er thar til mala
at taka) — Thorgrimr (thar er nü til mala at taka).
Heidh. S. 330 ff. Bardhi reitet zu Thorarinn und sie
sprechen Abends zusammen (oh lijala their Bardhi ok Thorarinn
um aptaninn). — Thordhs Verrichtungen an demselben Tage
und in der darauffolgenden Nacht (Nü er at segja frd syslu
Thordliar, hversu honum endist). — S. 357 Bardhi tödtet Gisli.
,Darauf geht er seinen Gefährten entgegen' und sagt ihnen,
dass etwas geschehen sei (Nu thegar snyr hann i möt föru-
nautum sinum usw.). — Sie kehren auf seinen Befehl wider
willig um. — Ketill erzählt den Seinen von Gislis Tod. —
,Bardhi geht nun seinen Gefährten entgegen und sagte, dass
nun ein Mann für den andern gebüsst habe' (Bardhi snyr nü
i möt förunautum sinum usw.). — S. 358 ff. Die Borgfir-
dhinger — Bardhi (Nu er frd thvi at segja). — S. 361 f-
Bardhi — Hermundr. — S. 365 f. Bardhis Kampf mit Ketill
(Nü er fyrst at segja). — Kampf Thorbjörns mit Thoroddr
(Nü er at segja).
Haens. S. 171 ff. Thordhr reitet zum Thing, Hersteinn
bleibt krank zurück. — Thing. —- Genesung Hersteins (En nü
skal segja nokkut frd Hersteini, at honum letti brdtt söttarinnar,
er their rid.hu til thingsins).
Beschreibung der isländischen Saga. II.
243
Korm. C. 3, S. 10 Kormakr — Steingerdhr. — C. 12 f.,
S. 130 Kormakr — Bersi. — C. 26, S. 236 Kormakr und
Thorgils rudern zum Schiff der Vikinger. — Steingerdhr war
in einer Kajüte mit dem Manne, der sie zur Frau erhalten.
Laxd. C. 58 f., S. 254 f. Thorkeil ist in Norwegen. —
,Wir verlassen ihn nun für einige Zeit und wenden uns nach
Island, um zu hören, was sich dort zutrug, während Thorkell
in der Fremde war 1 (Nu verdlir tliar fra at hverfa um stund,
an taka til 4t d Islandi olc heyra, Tivat tliar gerist til tidhenda,
me.dlian Thorkell var ütan). Nun von Gudhrun. Die citirten
Worte fehlen in einigen Hss. — C. 62 f., S. 270 Thorgils —
Helgi. — C. 87, S. 358 Ottarr bemerkt, dass Thorsteinn dem
Bolli auflauert und eilt fort. Kampf zwischen Bolli und Thor-
steinn. — Wenden wir uns nun zu Ottarr (Nu er at segja fra
Ottari), der Ljotr die Nachricht bringt, dass in diesem Augen
blicke Bolli und Thorsteinn wahrscheinlich mit einander kämpfen.
Ljosv. S. 91 Eyjolfr — Thorvardhr.
Njala C. 4, 16 ff. Hrutr - Atli. — C. 12, 9 ff. Thjostolfr
hat Thorvaldr getödtet, geht zu Hallgerdhr, Thorvalds Frau,
dann zu Svanr. — Hallgerdhr zieht zu ihrem Vater (Nu er
tliar til mdls at taka, er Hallgerdhr er usw.). — Die Gefährten
Thorvalds aber gehen zu Usvifr (Nu er tliar til mdls at taka, er
förunautar Thorvalds eru usw.). — C. 12, 58 Usvifr und die
Seinen reiten ,nach Bassastadhir und von da über das Joch
nach dem Bjarnargolf 1 (Tlieir ridhu — til Bassastadha ok thadh-
an um hdlsinn til Bjarnarfjardhar). — Svanr und Thjostolfr.
Svanr erregt ein Unwetter. — ,Nun müssen wir berichten,
dass sie, Usvifr und seine Gefährten, über das Joch ritten 1
(Nil er fra thvi at segja, at tlieir ridha d hdlsinn, Usvifr ok
lians förunautar). — C. 53, 6 ff. Otkels Pferd geht durch, er
reitet schneller als er will (ferr Ot.kell nu meira, enn kann vildi).
Gunnarr geht auf seinen Acker und säet. — Otkell reitet
ihn unabsichtlich nieder (Nu er at segja fra Ötkatli, at kann
ridlir meira, enn kann vildi usw.-). — C. 69 Njall und Hirte —
Hirte zu Gunnarr — Njall (Nu er at segja fra Njdli), was
nämlich Njall thut, während der Hirte zu Gunnarr geht. —
75, 49 ff. Gunnarr trennt sich von Kolskeggr, der die
Heimath verlässt, was Gunnarr nicht über sich bringen kann.
16*
244
Heinzei.
Sein Tod. Er wird gerächt. — (C. 81, 1) Kolskeggs Schick
sale in Norwegen und Dänemark (Nü er at segja frd Kol-
slceggi usw.). — Thrainn (Nü er thar til mäls at taka usw.). —
C. 8 2, 1 ff. Thrainn — (C. 83, 1 ff.) Grimr und Helgi, die Söhne
Njals (Nü er thar til mdls at taka, at their Grimr ok Helgi,
synir Njals, foru af Islandi ihat sumar, sem. their Tlirdinn foru
utan usw.). -— (C. 87, 1 ff.) Kolbeinn nach Island (Kann sigldi
ihat sumar üt til Islands, er Thrainn ok Njdlssynir foru utan).
— C. 88, 192 ff. Thrainn verlässt mit Hrappr Norwegen und
gibt diesem in Island einen Hof, Hrappstadhir. ,Hrappr wohnte
da, aber er war meist in Grjota, und man sagte, dass er dort
nichts Gutes an stiftete (ok bjd Hrappr thar. Hann var thd
lengstum at Grjötä, ok thötti thar öllu spilla). — König Hakon
will die Njalssöhne tödten, sie retten sich zu Kari und fahren
mit ihm nach Island. — (C. 91, 1) ,Hrappr hatte einen Hof
in Hrappstadhir; aber er war immer in Grjota und man sagte,
dass er dort nichts Gutes anstiftete' (Hrappr dtti hü d Hrapp-
stödhum; enn thd var hann jafnan at Grjötä, ok thötti liann
thar öllu spilla). — C. 92, 14 ff. Thrainn hilft einigen fahrenden
Frauen über das Wasser und reitet nach Dulr und Mörk, wo
er einige Tage bleibt. — Die fahrenden Frauen gehen zu Njall.
— C. 129, 140 ff. Kari entkommt mit brennenden Kleidern
•aus dem Hause Njals und wirft sich in einen Wassergraben.
— Flosi und die Seinen reiten fort, misslungene Rache an
Ingjaldr. — (C. 131, 1) Kari erhebt sich aus dem Graben,
wo er ausgeruht hatte (Nü er at segja fra Kdra usw.) —
C. 155, 23 ff. Kari tödtet Gunnarr vor dem Orkneyjarl Sigurdhr
und segelt südwärts nach Thrasvik. — Auf den Orkneys
reinigte man die Tische und trug den todten Gunnarr hinaus.
Gespräch zwischen dem Jarl, König Sigtryggr und Flosi. —
C. 158, 21 ff. ,Kari geht in die Stadt. Da sah er Kolr sein
Geld zählen' (Hann kom thar at, er Kolr taldi silfrit). ,Kan
erkannte ihn, sprang mit gezücktem Schwerte auf ihn los und
hieb ihn in den Hals. -— Er zählte sein Geld — und gerade
sagte der Kopf: zehn, als er vom Rumpfe flog' (Enn hann
taldi silfrit — ok nemndi tiu höfudlät, er that fauk af
bolnum).
Njardhv. S. 370 Thidhrandi und die Seinen — Asbjörn.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
245
Reykd. S. 238 Askell — Eysteinn (Enn i ödhru lagi er
that at segja frd Eysteini, at usw.). — S. 278 Askell — Thorir
(Frd thvi er at segja usw.).
Svarfd. S. 169 ff. Nach dem Kampfe mit Ljotolfr geht
Karl nach Hause. — Ljotolfr vermählt Ingöldr mit Skidhi,
deren Ehe. — Karl (Nu verdhr thess at geta, er ver hvurfum
frd, at ihd er Karl hafdhi heima verit eina nött usw.). — S. 150 ff.
Kolbeinn und Uni — Griss und Klaufis Heirat. — (S. 155)
Kolbeinn und Uni (Geta verdlir thess, hversu for medh theim
Una ok Kolbeini).
Vapnf. S. 26 Thorkell — Bjarni.
Vatnsd. S. 38, 20 ff. Ingimunds Tod, Schmerz der Söhne
und Freunde. — (S. 39, 13) ,Lassen wir aber das jetzt und
erzählen wir etwas von HrolleifF, dem Mörder Ingimunds,
was er nachher gethan. (Latum thar nv fyrst lidha um en
segjum nokkut frd Hrolleifi usw.)
Thorst. S. 182, 9 ff. Thorsteinn unternimmt einen Zug
gegen Thorhaddr und kommt nach Aedhasteinn. — Ein Nor
weger, der bei Thorsteinn wohnt, eilt sofort nach dessen Ab
reise seinen Freund Thorhaddr zu warnen.
2. Ein Vorgang wird deutlich, der andere undeutlich
erwähnt.
Gisl. S. 22 Vesteinn und seine Schwester Audhr schlafen
in einem Zimmer. ,Etwas vor Tag geht Jemand leise herein,
und auf den Platz zu, wo Vesteinn liegt. Er war da wach.
Er bemerkt es aber nicht eher, als bis er mit einem Spiess
einen Stich in die Brust bekam, der durch und durch ging.
Als er den Stich erhielt, sprach er die Worte: Das hat ge
troffen, sagte er, — dann ging der Mann hinaus. Vesteinn
wollte aufstehen, aber in dem Augenblick fiel er von dem
Bette zu Boden und war todt/ (Nu er geingit inn nölckut fyrir
ly sing, hljödliga, ok thangat at, sem Vesteinn hviler. Hann var
thd vaknadhr. Eigi finnr hann fyrr, enn kann er lagdhr spjdte
fyrir brjöstit, svö at stödh i gegnum hann. Enn er Vesteinn
fehle lagit, thd maelti hann tlietta: , Hneit thar‘ sagdhe hann —
ok tim naest gekk madhrinn üt. Enn Vesteinn vilde upp standa;
1 thvi fellur hann nidlir fyrir stockinn daudhr.) ■— In dieser
Passung der Saga erzählt der Dichter mehr als Vesteinn sieht,
246
Heinzei.
aber weniger als der Leser zum vollen Verständniss braucht.
S. oben S. 230. — Vgl. S. 224, Band. S. 42.
3. Ein Vorgang wird deutlich erzählt, der andere wird
später, mitunter um ein Beträchtliches, kurz und im Plusquam-
perfectum nachgetragen.
Eir. W. S. 139 Dass König Olafr dem Leifr schottische
Sclaven geschenkt habe, wol als Leifr S. 117 bei dem König war.
Hardh. S. 84 Illugi lässt seine Schiffe zusammenbringen,
aber Hördhr und die Seinen hatten alle grossen Schiffe un
brauchbar gemacht, nämlich S. 83.
Korm. C. 15, S. 144 Bersi tödtet Thorarinn im Kampfe.
,Darauf besteigt Bersi sein Pferd, nimmt Steinvör vor sich, die
Spiesse, welche Steinvör bewahrt hatte (er Steinvör liafdhi
vardhveitt), in die Hand und reitet in einen Wald/ Vor dem
Kampfe war von diesem Dienste Steinvörs nichts gesagt worden.
Njala C. 30, 10 ,01vir hatte Gunnarr ein gutes Schwert
gegeben/ C. 29, 24 ist von Olvir und Gunnarr die Rede, aber
dieser Umstand wird nicht erwähnt. — C. 77, 70 ,Vorher
hatte Gunnarr zwei Männer verwundet/ In dem gegenwärtigen
Kampfe, aber wann?
Reykd. S. 291 ,Skuta ging zum Schiffe und erschlug den
ersten Mann zur Räche für seinen Vater. Dieser Mann war
bei dem Kämpfe zwischen Askell und Steingrimr im Gefolge
Steingrims gewesen, als Askell und Steingrimr aneinander
geriethen, wie oben die Reykdaela Saga in der Geschichte
ihrer Händel erzählt. (Sä madhr hafdhi verit i ferdh medh
Steingrimi, thä er their Askell bördhust ok Steingrimr, sem sagt
er fyrr i Reykdaela sögunni frd vidhskiptum theirra.) Aus
S. 278 ist natürlich auch nicht zu entnehmen, wer gemeint ist.
Vall. S. 220 Dass Bersi Sigmundr früher getödtet hatte,
in dem eben geschilderten Kampfe.
Vapnf. S. 24 Bjarnis Fahrt. ,Thorkeil hatte sie aus
gespäht/
4. Die Darstellung des zweiten Vorgangs ist so ungenau,
dass man nicht sieht, mit welcher Phase des ersten sie gleich
zeitig ist.
Floam. S. 148, 2 ff. Die Geschichte des Processes, wel
chen Thorgils für Hrolfr führt, läuft neben der andern Er-
Beschreibung der isländischen Saga. II.
247
Zahlung her, so dass nur einzelne Partien davon erzählt werden.
(S. 148, 23) Hrolfr bittet Thorgils, ihn mit seinen Nachbarn
zu versöhnen. Thorgils verspricht es (thd maettir thü mik i
fridh kaupa vidh hygdharmenn; thvi ek em i ufridhi vidh thd.
Thorgils jdttar thvi). — (150, 3) ,Thorgils setzt die Frei
sprechung Hrolfs durch' (Thorgils faerir fram syknu Iirölfs).
— (151, 20) ,Hrolfr war nun nach Süden gekommen und in
die Rechtsgemeinschaft aufgenommen worden' (Hrolfr var thd
nordhan kominn ok % fridh tekinn).
Gunnl. C. 12, S. 263 f. Hrafn — Gunnlaugr. — C. 12,
S. 266 Gunnlaugr — Hrafn — Gunnlaugr — Hrafn — Gunn
laugr — Hrafn.
Korm. C. 6, S. 54 Die Heirath Konnaks kommt nicht
zu Stande. Ursache waren die Ränke der Zauberin Thorveig.
Vatnsd. S. 55, 19 Jökull — Finnbogi — Jökull.
ß. Nur ein Vorgang wird erwähnt. — Die Darstellung
wendet sich von einem Vorgang a zu einem der Zeit nach
folgenden Vorgang h. Beide Vorgänge sind nach den Personen
und dem Local verschieden. — Scenenwechsel, der erwähnt
werden kann. — Was die Person des Vorgangs a während
des Vorgangs b gethan oder gelitten hat, wird verschwiegen.
1. Es wird später aus dem Zusammenhang symptomatisch
erklärt, aber nur in den äussersten Umrissen. S. oben S. 199.
Dropl. S. 24 f. Kampf Helgis und Grims, der Söhne der
Droplaug mit ihren Feinden. Die Söhne Hallsteins greifen
Grimr an. — Helgi kämpft seinerseits mit Hjarrandi, den er
verwundet; dann sieht er, dass Grimr für todt auf der Erde
liegt. — S. 28 ff. Grimr und Thorkell lagen im Hinterhalt
vor Helgis Haus. — Helgi redet mit der Frau, wo seine Gäste
schlafen sollen. — Grimr schickt Thorkeil ins Haus Helgis, um
ein Schwert zu holen, dann wieder um zu sehen, wo Helgi
schlafe. Aus der Botschaft ersehen wir, dass Helgi sich schon
zu Bette gelegt hatte.
Eir. W. S. 141 f. Thorhalr hat seine Gefährten ver
lassen. Sie suchen ihn und finden ihn nach drei Tagen. —
Er ist halb wahnsinnig. Befragt, gibt er keine Auskunft und
der Leser erfährt auch nicht, was mit ihm vorgegangen, ist
aber geneigt, sich etwas Schauerliches vorzustellen.
248
Heiuzel.
Eyrb. S. 68 Arnkell hat einen Kampf gegen seine Feinde
zu bestehen und schickt den Knecht fort, um von Hause
Hilfe zu holen. — Dieser vergisst auf dem Weg seinen Auf
trag und hilft einem Kameraden beim Heuladen. Endlich be
sinnt er sich und die Hausgenossen eilen zu Arnkell. — Dieser
aber ist bereits todt. — S. 70 Arnbjörn reist von Norwegen
nach Dänemark, um seinen Bruder Björn zu suchen. — Thor-
leifr, der mit Arnbjörn von Island nach Norwegen gefahren
war, bleibt zwei Jahre daselbst und geht dann nach Island
zurück. — Im selben Sommer landeten auch die Brüder Björn
und Arnbjörn in Ilraunhafnaross in Island. (Thai sama sumar
Icömu their braedhr üt i Hraunhafnarösi, Björn ok Arnbjörn.)
Sie müssen sich also, während von Thorleifr erzählt wurde,
gefunden haben. — S. 81 Steinthorr hängt den Beutel mit
dem Bussgeld an Thorleifs Hausthür. — Seine Anwesenheit
wird Thorleifr gemeldet, er stürzt heraus und sticht nach
Thordhr, der jetzt an der Thür stand. — Dass Steinthorr
weggegangen, fehlt.
Finnb. S. 49 Finnbogi kämpft mit den Söhnen Ingimunds
und schickt den Diener Rafn zu Asbjörn. — Der Kampf wird
fortgesetzt. — Rafn kommt zu Asbjörn, dieser eilt Finnbogi
zu Hilfe. -— Als sie hinkommen, waren alle Gegner Finnbogis
verwundet.
Fostbr. S. 19 f. Thorgeirr gedachte südlich nach Reykjanes
zu seinen Verwandten zu reisen. — Ein Mann, Namens Thor-
kell, wird neu eingeführt, bei dem ein auch dem Leser erst
vorgestellter Butraldi eingekehrt war. Da klopft es an die
Thüre. — Thorkell schliesst auf, da steht ein Mann davor,
der sich Thorgeirr nennt. Es ist der obige, von dessen Weg
zu Thorkeil nichts erzählt worden war. — S. 40—57 Schick
sale Thorgeirs bis zu seinem Tode. — S. 58 ff. von Thormodhr,
aber nicht, was er vorher S. 40—57 gethan, während früher
S. 25-—-29 von Thorgeirr erzählt wurde, auf S. 29—40 aber,
was Thormodhr unterdessen gethan.
Gisl. S. 18 Thorkeil und die beiden Thorgrimr schmieden
Grasidha. — Aber lassen wir das jetzt (Nü verdhr thar at
hv'dast). Gisli erfährt Vesteins Ankunft usw. (der eitirte Satz
fehlt in der andern Redaction S. 101). — S. 20 erhält Tlior-
grimr die Nachricht, dass Vesteinn vorübergeritten sei, — S. 22
Beschreibung der isländischen Saga II.
249
ermordet Thorgrimr Vesteinn. Was Thorgrimr seit S. 18 ge-
than, wie er den Mord eingeleitet, bleibt verschwiegen. —
S. 19 ff. Vesteinn ist auf dem Wege zu Gisli und wird von
Thorgrims Leuten gesehen. — Diese berichten an Thorgrimr,
aber so widersprechend, dass er genöthigt ist, eine Kund
schafterin zu Gislis Wohnung zu schicken, die nichts erfährt.
— Den nächsten Morgen macht Vesteinn seiner Schwester,
der Frau Gislis, diesem selbst und Thorkeil, dessen Bruder,
Geschenke. —- Aber die Ankunft Vesteins bei Gisli wird nicht
erzählt, weil der Erzähler zu der Zeit mit Thorgrimr be
schäftigt ist. — S. 33 ff. Gisli singt bei den Spielen ein Lied,
in welchem er andeutet, dass er Thorgrimr getödtet habe.
Thordis, die Wittwe desselben, jetzt die Frau Börks, erräth
den Sinn und geht nach Hause. — Thorsteinn lässt in Folge
eines Wortwechsels Bergr durch eine Zauberin tödten. Gisli
schützt ihn. Börkr tödtet die Zauberin, Gisli dafür den Zauberer
Börks. — Börkr nimmt Abschied von seiner Frau Thordis und
verlangt, sie solle, wie sie versprochen, ihm jetzt sagen, warum
sie nach den Spielen so traurig gewesen sei. —- Davon kein
Wort S. 33: Börkr muss die Traurigkeit seiner Frau zu Hause
bemerkt und dort das Versprechen von ihr empfangen haben.
Während dessen aber ist die Erzählung bei der Episode von
Thorsteinn und Bergr. — S. 49 Ingjaldr und Gisli trennen sich.
— Gisli verkleidet im Boote der Magd, fährt den Feinden ent
gegen und lässt sie vermuthen, dass-Gisli auf dem Vadhsteina-
berg, einer Insel, zu finden sei. — Diese rudern dorthin und finden
Ingjaldr. Sie kehren also wieder dem Festlande zu Gisli nach. —
Dieser kommt doch eher ans Land und rettet sich auf einen
Felsen. Von Ingjalds Fahrt, seit er sich von Gisli getrennt, von
dessen Fahrt, seit er die Feinde nach Vadhsteinaberg gewiesen,
wird nichts berichtet. — S. 62 Audhr, Gislis Frau, lässt sich
von Eyjolfr Geld aufzählen. — Ihre Pflegetochter Gudhridhr
weint, geht hinaus, sagt Gisli, dass seine Frau ihn verrathen
will und geht nach Hause. — Die Geldzählung ist zu Ende
und Audhr schlägt Eyjolfr den Beutel ins Gesicht.
Gluma S. 357 f. Vigaglumr heisst Ingolfr, seinen Ver
walter, sich fälschlich der Tödtung Kalfs bei Thorkeil anklagen
und dort Schutz suchen. — Ingolfr thut so, Thorkell jagt ihn
fort, er kommt zu Vigaglumr zurück. — Am nächsten Tag ist
250
Heinzei.
Kalfr wirklich todt. — Dass Vigaglumr ihn, während Ingolfr
bei Thorkeil war, erschlagen hat, muss man errathen. —
S. 380 f. Thorvaldr und Eysteinn kämpfen. — Ein anderer
Thorvaldr greift Yigaglumr an. — ,Da kam ein Mann in einem
Pelzrock und sah, wie Thorvaldr fiel/ — S. 381 Marr und
Thorarinn kämpfen. — Vigaglumr kämpft auch, besonders gegen
Eirikr. — Haidora, Vigaglums Frau, eilt mit ihren Mägden
zum Kampfplatz. — ,Da fiel Thorarinn/ — Während derselben
Zeit, als Erzählung bei Haidora, muss Glumr auch Thorvaldr
getödtet haben; s. S. 382 f.
Gulltli. S. 76 f. Hallr wird von Thorir verwundet. —
Galti greift Thorir an. — Hallr reitet fort. — Thorir kämpft
mit Galti und verfolgt ihn. — Lodhinn reitet Hallr nach. —
Thorir bezwingt Galti und reitet Hallr nach; er findet ihn
todt im Hofe von Hofstadhir. — Wie Hallr dorthin gekommen
wird nicht erzählt.
Hallfr. S. 100. 33 f. Onundr und Audhgisl sind in den
Wald gegangen. — Hallfredhr sitzt am Feuer. — Da kommt
Onundr zurück und greift ihn an. — Dass dieser unterdess
Audhgisl getödtet, wird nicht erzählt, kommt nur später heraus.
Hardh. S. 51 ff. Hördhr ist auf einem Kriegszug. —
Sigurdhr wird im Svinasund von Vikingern gefangen, befreit
sich und flüchtet zu vier Schiffen in der Nähe. — Sie waren
Hördhs. Wie Hördhr dorthin gekommen, erfährt man nicht.
Hav. S. 12 f. Olafr vertheidigt sich gegen Thorbjörn und
die Seinen. — Thorbjörns Schwester Thordis erfährt von dem
Kampfe und reizt ihren Sohn, dem Oheim Hilfe zu bringen.
— Dieser eilt auf den Kampfplatz und erschlägt Olafr von
rückwärts. Was inzwischen dort vorgegangen war, fehlt. —
S. 27 ff. Torfi kämpft mit Sturla. — Havardhr schwimmt
Thorbjörn nach und tödtet ihn. —• Havardhr und Torfi kommen
zusammen, Torfi erzählt, dass Sturla gefallen sei. — S. 47 ff-
Allgemeiner Kampf, wobei Havardhr, wie vorher bestimmt, es
mit zweien aufnimmt. — Atli kämpft längere Zeit mit Thor-
grimr und tödtet ihn. — Da sieht er, dass Havardhr auch
bereits mit einem fertig ist. Ebenso von den Kämpfen der
Uebrigen nur das Resultat. Die ganze Aufmerksamkeit des
Erzählers war dem interessanten Kampf zwischen Atli und
Thorgrimr zugewendet gewesen.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
251
Hrafnk. S. 40 Hrafnkell kämpft mit Eyvindr. — Sein
Diener eilt zu Samr, der mit zwanzig Mann zu Hilfe eilt. —
,Da war es entschieden' (Thä vänt umskipti ordhin medh tlieim).
Eyvindr war todt.
Ljosv. S. 66 Gudhmundr setzt den Brüdern Eylifr und
Bruni nach. — Die Flüchtlinge werden an ihm, ohne dass er
es merkt, vorübergetragen und eilen dann nach Hause, nach
Gnupufell. — Gudhmundr merkt den Betrug und kommt nach
Gnupufell. Das Thor ist geschlossen, drinnen steht Eylifr mit
dem Bogen. Also von Heimkehr Eylifs nichts erzählt, obwohl
ein wichtiger Anlass dazu gewesen wäre. Denn Thorlaug, die
Gemahlin Gudhmunds, ist zu Besuch bei Brunis Frau, ihrer
Verwandten.
Vatnsd. S. 37, 8 ff. Die Söhne Ingimunds kämpfen mit
Hrolleifr, der im Bache steht. — Das wird Ingimundr gemeldet,
er reitet auf den Kampfplatz. — Thorsteinn sieht ihn und
fordert seine Brüder auf, fort zu gehen. — Ingimundr reitet
an den Bach und befiehlt Hrolleifr herauszugehen. Dieser
schleudert ihm seinen Wurfspiess in die Brust. Ingimundr
reitet zurück und hatte seine Söhne nicht getroffen. Also sie
waren auf die Ermahnung Thorsteins fortgegangen, noch bevor
der halbblinde Vater sie hatte sehen können.
2. Es bleibt unklar, ist aber auch ganz unwichtig.
Band. S. 17 Ufeigr und sein Sohn Oddr trennen sich. —
Oddr geht in seine Hütte. ,Wenden wir uns nun zu Ufeigr' usw.
(Nti er thar til at taka, at Ufeigr gengr upp usw.) Was Oddr
inzwischen gethan, wird als unwichtig nicht erzählt.
Bjarn. S. 11 Thordhr in Island heirathet Oddny. — Björn
in Norwegen erfährt es. Von Thordhs Ehe bis zur Zeit, als
Björn in Norwegen davon erfahren konnte, wird nichts be
richtet. — S. 53 Thorsteinn und die Seinen kommen zu Björns
Hof und klopfen an das Thor. — Björn gibt seinem Diener
einen Auftrag, wie er dieselben empfangen solle.
Eigla C. 62, S. 407 Egill und Bote — Bote und Arin-
björn — Bote und Egill — Arinbjörn und Egill.
Floam. 157, 28 Asgrimr — Thorgils — Asgrimr —
Thorgils.
252
Heinzei.
Fostbr. S. 15 Thorgeirr und die Seinen — Ingolfr und
die Seinen — Thorgeirr und die Seinen — Ingolfr und die
Seinen. — S. 61 Eyjolfr — Thorgeirr — Eyjolfr — Thorgeirr
— Eyjolfr — Thorgeirr. — S. 87 Thormodhr — Thorgrimr
— Thormodhr.
Gluma S. 368 ff. Bardhr — Vigfuss — Bardhr — Vig-
fuss. — S. 376 Marr — Thorvardhr. — S. 378 f. Thorvardhr
sendet seinen Sohn Gudhbrandr zu Glumr, reitet zu Halli und
spricht mit ihm über den Stand der Dinge. — Gudhbrandr
kommt zu Glumr und wird von diesem zurückgehalten. —
Da sagte Thorvardhr: ,Mein Sohn Gudhbrandr bleibt lange
aus* (Nü telcr Thorvardhr til ordha: seinn er Gudhbrandr, son
minn).
Grettla C. 19, S. 41 Thorfinnr — Grettir. — C. 47,
S. 105 ff. Grettir —■ Sveinn — Grettir — Sveinn — Grettir
— Sveinn — Grettir — Sveinn. — C. 48, S. 109 Grettir —
Thorbjörn und Sohn — Grettir — Thorbjörn und Sohn. —•
C. 59, S. 135 Gisli — Grettir — Gisli — Grettir.
Ilallfr. S. 98 Hallfredhr — Marr und Griss. — ,Wenden
wir uns nun zu Hallfredhr* (Nu er at segja frd Hallfredlii).
Hardh. S. 69 Geirr — die zwei Schachspieler.
Hav. S. 19 Wenden wir uns jetzt zum Thing (Nü er thar
til at taka, er menn kömu til tliings). Was Havardhr und die
Seinen inzwischen gethan haben mögen, ist nicht zu errathen,
jedenfalls ist es unwichtig.
Hrafnk. S. 36 ff. Eyvindr — Hrafnkell. — (S. 38) Eyvindr
— Hrafnkell — Eyvindr.
Haens. S. 135 Blundlcetill — Thorir. — S. 140 Blund-
ketill — Thorir (Nü skal segja, hvat Thorir liefst at).
Laxd. C. 63. 64, S. 270 ff. Was Thorgils und die Seinen
während des langen physiognomischon Gespräches zwischen
Helgi und dem Schäfer gethan haben, ist nicht zu errathen. —
C. 76, S. 326 Thorkeil — Gudhrun.
Ljosv. S. 18 Ofeigr — Gudhmundr. — S. 78 Eyjolfr —
Thorkcll — Eyjolfr und Atli — Atlis Knecht. — S. 82 Eyjolfr
— seine Gegner — Eyjolfr — seine Gegner. — S. 92 Thor
vardhr — Thorgerdhr.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
253
Njala C. 38, 1 ff. Njall und Atli — Hallgerdhr und
Brynjolfr (Nil er at segja frd Hallgerdhi usw.) — C. 41, 40
Njall und Thordhr — Hallgerdhr und Thrainn. — In diesen
beiden Fällen aber könnten beide Vorgänge auch als gleichzeitig
aufgefasst werden. — C. 77 Gunnarr — Feinde — Gunnarr —
Feinde — Gunnarr — Feinde usw. — C. 126. 127 Grimr und
Helgi — Bergthora. —• C. 128, 50 Skarphedhinn — Flosi —
Skarphedhinn.
Njardhv. S. 372 Thorkeil - — Gunnarr — Thorkeil —
Gunnarr usw.
Vallal. S. 219 Bödhvar (Nu er at segja frd Bödhvari) —
Björn — Bödhvar — Björn. — S. 226 Thrandr und Björn
auf Kähnen. — Hrolfr auf einem grossen Schiff. Dass dieser
ausgefahren war, um Thrandr und Björn zu verfolgen, war
nicht gesagt worden.
Vatnsd. S. 44, 19 ff. Die Ingimundssöhne — Thorolfr —
die Ingimundssöhne — Thorolfr — die Ingimundssöhne —
Thorolfr — die Ingimundssöhne — Thorolfr — die Ingi
mundssöhne — Thorolfr. — S. 46, 19 Die Söhne Ingimunds
wollen zu Thorgrim. — Dieser erfährt es und flüchtet. — Als
sie (Ingimunds Söhne) zum Hofe (Thorgrims) kamen usw. —
S. 50 Jökull — Thorolfr — Jökull. — S. 56, 17 Finnbogi —
Ingimunds Söhne — Finnbogi — Ingimunds Söhne.
Wie viel von den Urtheilen und Gefühlen des Verfassers
zur Darstellung kommt, ist wohl aus Cap. I zu ersehen.
B.
Wie oft kommen dieselben oder ähnliche Zustände und
Vorgänge in einer Saga vor?
a. Dieselben Thatsachen.
Ueber Wiederholungen bei Auftrag und Bericht und dgl.
s - oben S. 194.
254
H einzel.
Es wird nicht vermieden, eine kurz erwähnte Thatsache
später nochmals kurz anzuführen, ohne Bezug auf die frühere
Erwähnung, mitunter mit derselben Phrase.
Dropl. Thordhr war Spion Helgis, des Sohnes Asbjörns.
S. 21 their (Igull und Thordhr) skyldu lialda njösn um ferdhir
Helga Droplaugarsonar. — S. 23 Thordhr var njösnarmadhr
Helga Asbjarnarsonar. — Finnb. Die sieben Söhne Finnbogis.
S. 72 oh that vilja menn segja, at thau aetti sjau syni ok alla
hina efniligistu menn ok hina hraustuztu. — S. 76 Thau Finn-
bogi ok Hattfridhr dttu sjau syni, nun die Namen, ok vdru
allir hinir venligstu menn. Also etwas ausführlicher. — Floam.
S. 120, 3 Hallsfeinn dtti Thöru Ölvisddttur. — S. 123, 8 Hall-
steinn dtti Thöru Olvisdottur.
Wenn Gisl. S. 34 Thordis Frau Börks und Schwester
Gislis genannt wird, so hat der Autor dabei vielleicht eine be
sondere Absicht gehabt; denn dass Thordis Gislis Schwester, Börks
Frau ist, weiss Jeder, s. S. 32. Auch gibt es keine andere
Thordis. In der zweiten Fassung S. 119 fehlt der Zusatz.
Beschreibungen sinnlicher und geistiger Eigenschaften der
Hauptpersonen finden sich öfters an verschiedenen Stellen. Am
Anfang oder bei wichtigen Begebenheiten. So Fostbr. S. 5. 8
Thorgeirr, Hav. S. 1. 10 Thorbjörn, S. 1. 11 Olafr, Thorst.
S. 169, 24. 171, 13 Thorsteinn. Manches stimmt hierbei
überein.
Wiederholungen bei Scenenwechsel, s. oben unter A,
S. 233, oft mit derselben Phrase.
Aber auch sonst wird bei demselben Anlass gerne die
selbe Phrase gebraucht. — So Band. S. 25. 32 Ufeigr nennt
im Gespräche mit den Verbündeten deren Benehmen gegen
seinen Sohn Oddr beispiellos (thö at ther haßt thetta medh
fddoemum upp tekit meirum, enn menn viti doemi til, — tho
at thetta liafi medh meirum fddoemum upp haßt verit, en menn
viti doemi til).
Fostbr. S. 29. 30. 91 Thormodhr findet es zu Hause
immer langweilig (daufligt).
Gisl. S. 5 ,Es war ein Manu Namens Bardhr, der im
Surnadals wohnte. Er war jung und hatte gerade sein väter-
Beschreibung der isländischen Saga. II.
255
Helies Erbe übernommen' (Bardhr het madhr; hann bjö thar i
Surnadal; bann var ungr madlir oh hafdhi nytekit vidli födhur-
arfi sinum). Unmittelbar darauf ganz dasselbe von Kolbjörn
(Kolbjörn het, madhr, er bjo d Hellu i Surnadal; hann var ungr
madlir ok hafdhi nytekit vidh födlmrarfi sinum). In der andern
Fassung S. 82 ganz abweichend. — S. 24 Tborkell fragt seinen
Bruder zweimal, wie Audhr den Verlust ihres Bruders trage
(Thorkeil spurdhe Gisla: liversu berst Audhr af um brödhur-
daudhann? hvört graetr hon mjök?). In der zweiten Fassung
S. 108 heisst es das zweite Mal: Enn spyrr Thorkeil usw.
Gullth. S. 70, 75 f. Ein zu Schiffe Flüchtender wird
von seinen übermächtigen Feinden aufgefordert, : ans Land zu
kommen. Er weist es ab (en hann [ThorirJ kvadh theim meira
munda fyrir verdha at standa yfir höfudhsvördhum minum). —
An der zweiten Stelle fehlt Steindlfr maelti. Seine Worte
sind: nü munu ver herma ordh ydhur, at thar slcal meira fyrir
verdha at hefna Ketilbjarnar, enn at ver göngum d land undir
vöpn ydhur.
Heidh. S. B64 In seiner aufreizenden Rede sagt Bardhi
zweimal zu den Gegnern: ,Habt ihr nichts an uns zu rächen'?
und zeigt ihnen zweimal sein noch vom Hirn Gislis beflecktes
Schwert'. (,Thykkist thu Ketill! edlia it fedligar einskis eiga at
hefna oss‘.) Er erinnert an die Tödtung Gislis. ,Nü ef thu
mant eigi, thd mun her vera vdttrinn, thetta sama sverdh, er enn
eigi, heilinn thornadhr d, ok skekr at honuni sverdhit. Thykkist
thu, Ketill! einskis eiga at hefna, ok se herna, at eigi er heilinn
thornadhr d; ok skekr thd enn at honum sverdhit.
Hrafnk. S. 17. 23 Die Leute lehnen es ab, Samr gegen
Hrafnkell zu helfen, weil sie ihm nicht zur Dankbarkeit ver
pflichtet sind, eingi kvadlist. svd gott eiga Sdmi upp at gjalda,
at ganga vildi i deild vidh Hrafnkel godha. — Thorgeirr maelti:
Svd man mer fara, sem ödhrum, at ek veit mik thessum mon-
num (Samr und Thorbjörn) eigi eiga gott at launa, svd at ek
vili ganga i deilur vidli Hrafnkel.
Laxd. C. 55, S. 242 Bolli sagt Gudhrun, sie möge das
Haus verlassen ok segir, at sd einn mundi fundr theirra (zwischen
ihm und seinen Feinden) verdha, er henni mundi ecki gaman
at verdha. Gudhrun kvadst hyggja, at thau ein tidhendi mundi
thar verdha, at Mm mundi sjd mega.
256
Heinzei.
Ljosv. S. 61. 85 Im Kampfe that jemand, als sähe er
niemand andern als einen (kann let, sem hann saei Sngvan mann
i atsölcn, nema Gudhmund,. — Ötryggr let, sem kann saei öngvan
mann, nema Eyjölf).
Njala C. 36, 126. 37, 55. 44, 101. 123, 42. 61 Sobald
die Mordlust über Skarphedhinn kommt, heisst es, dass er
höhnisch den Mund verzog-, glotti vidh. —• C. 53, 30. 54, 87
Skammkell ruft dem vorausreitenden Otkell und den Seinen
zu: ,Ihr reitet scharf-' (hart rldhidh er, jsveinar). Dasselbe
ruft Kolskeg-gr Gunnarr zu (hart ridhir tim ml) und dieser
erinnert sich auch, dass Skammkell vorher denselben Ausdruck
gebraucht ha.be. —- C. 63, 55. 79, 20 Die höhnische Anrede
des überraschten Gegners: du brauchst nicht lange zu prüfen,
nachzusinnen, es ist wirklich so, wie es dir scheint, — natür
lich etwas schlimmes für diesen, brauchen Kolslceggr und
Skarphedhinn (eigi tharft thu at Uta d, jafnt er, sem thjer
syniz, af er fötrinn. — Eigi tliarft, thu at hyggja at, jafnt er,
sem thjer syniz, menn eru hjer).
Reykd. S. 234. 237 Was Hals zu Björn gesagt hat, er
zählt er später mit denselben Worten (Hals sagdlii, at hann
mundi annast ömegdh hans, ef fraendr lians Hals vildi heim
til iltferdhar honum, — hann segir, at hann hafdhi, heitit ho-
num at annast ömegdh hans, ef braedhr Hals vildu tilbeina til
iitanferdhar honum).
Vallal. S. 205. 206 ,Halli diente Gudhmundr als Mauer
brecher' könnte man mit einem ähnlichen Bilde übersetzen:
Halli var grjdtpäll fyri mdlum hans. — Halli zu Gudhmundr:
oh em elc grjötpdll thinn.
Vatnsd. S. 17 Die Schlacht am Hafrsfjördhr. Die Wieder
holung der Worte ,viel‘ und ,gewaltig' der Phrase ,da geschah
es alsbald' — (mdtti thar sjd mörg högg oh stör. Nu gerdhust
brdtt mörg tidhindi oh stör d skammri stundu i höggum olc spjota
lögum medh grimligri grjötflaug; gerdhist nu, skjött mikit mann
fall af hvdrum tveggjum). — S. 45, 9. 17 Thorsteinn sagt,
Thorolfr werde es bei dem grossen Feuer, das er mache, nicht
lange im Hause aushalten (thvi at meira efni hefir hann til
eldingar, en honum megi vel eira inni at vera. — Thvi at meira
efni hefir hann til um eldsgerdli, en that megi honum lengi duga).
Beschreibung der isländischen Saga. II.
257
Auf die Spitze getrieben ist diese Wiederholung in der,
wie es scheint, dem Leben getreu nachgebildeten Erzählung
eines Processganges auf dem Thing, Njala C. 142. 143. 144.
Doppeltes Inquit: 1 Band. S. 10. 12. 18. 25. 30. 38, —
Bjarn. S. 8, — Gisl. S. 22. 24, — Dropl. 4. 20, — Gluma S. 363.
372, — Grettla C. 45, S. 103, — Gullth. S. 47. 54, — Hallfr.
S. 104, 17, — Hrafnk. S, 21 (doch wendet sich der Sprechende
bei dem zweiten Inquit zu einer andern Person), — Laxd. C. 74,
S. 316, — Liosv. S. 6, — Reykd. S. 237, — Vapnf. S. 15. 16,
— Vatnsd. S. 59, 24.
b. Aehnliche Thatsachen.
a. Gegensätze.
Besonders im Zuständlichen. Zwei Personen, deren äussere
Lebensstellung sehr ähnlich ist, zeigen verschiedene oder ent
gegengesetzte Eigenschaften.
Dropl. Die Brüder Ilelgi und Grimr. — Gisl. ist reich an
solchen Gegensätzen. Die Ehepaare Gisli und Audhr, Thor-
kell und Asgerdhr. Gisli ist beständig und muthig, Audhr
trotz ihrer einstigen Neigung zu Thorgrimr, ihrem Gatten treu
und aufrichtig, Thorkeil ist wankelmüthig und feig, Asgerdhr
leichtfertig und lügenhaft. — In Gislis Hause dienen der
dumme und feige Thordhr und die kluge Gudhridhr, in Thor-
grims Hause der verschmitzte Geirmundr und die dumme
Rannveig. — S. auch Gisl. S. 19 die zwei Paare von Knechten.
— Hrafnk. S. 37. 38 die muthige Magd Hrafnkells, der furcht
same Diener Eyvinds. — Grettla, Grettir und sein Bruder Atli.
— Hav., die beiden Knechte Thorbjörns, der gute Brandr, der
böse Vakr. — Korm., die Brüder Kormakr und Thorgils. — Njala
0- 87 Hrappr ist flüchtig und muss in der Einöde leben wegen
eines Liebesverhältnisses mit einem Mädchen gegen den Willen
ihrer Verwandten. Ebenso Tofi. Aber es sind ganz verschie
dene Charaktere. — (Svarfd. im unächten Anfang, die Brüder
Thorolfr und Thorsteinn). — Vapnf. Die Freunde Helgi und
Geitir. — Vatnsd. Die Brüder Thorsteinn und Jökull. — Thorv.
Hie Freunde und Missionäre Fridhrik und Thorvaldr.
1 8. Lund Ordföjningslaere, §. 186.
Sitzmigäber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. X. Hft.
17
258
Heinzei.
ß. Parallelen.
Band. S. 26 f. Ufeigr besticht Egill und höhnt ihn dann,
dasselbe thut er S. 30 f. mit Gellir. (S. 27 vilit heita liofdli-
ingjar. — S. 31 furdhu lioskir eru ther höfdhingjarnir.)
Bjarn. S. 45 f. und 47, Björn und Thordhr beherbergen
Geächtete und kommen dadurch beide Male mit einander in
Conflict. — S. 49. 50 Zwei ganz ähnliche Hinterhalte Thordhs
gegen Björn. -— S. 68 Thordhr hat Björn getödtet. Einer
der Gefährten Thordhs bringt Thordis, der Frau Björns, dessen
Halsband. Sie wirft es Thordhr zu, er solle es seiner Frau
bringen (der Geliebten Björns). — Thordr wirft Björns Mutter
dessen abgeschlagenes Haupt zu. Sie räth ihm, es seiner Frau
zu bringen, es werde ihr besser gefallen als sein eigenes.
Dropl. S. 22 ff. Helgi träumt von einer Wunde in Wange
und Kinn. Er erzählt den Traum, einer seiner Leute ver
wundet eine alte Frau mit einem Schneeball an der Wränge.
S. 25 wird er im Kampfe in Kinnbacken und Lippen gehauen.
— S. 27 Auf die Nachricht, dass Grirnr am Leben sei, lässt
Helgi in Mjofanes sich einen verschliessbaren Alkoven bauen.
Dann zieht er nach Eidhar und lässt sich dort einen ver
schliessbaren Alkoven bauen. — S. 28. 34 Grirnr scheint
auch zweimal sich ein unterirdisches Versteck zu machen, ein
jardhhus.
Eigla. C. 61, S. 395 f., C. 88, S. 766 f. Skallagrimr und
sein Sohn Egill verbergen kurz vor ihrem Tode ihre Schätze,
wahrscheinlich in einem Sumpf.
Finnb. 1 S. 14. 25 Der Kampf Finnbogis mit dem Stier
verläuft ganz ähnlich wie der mit dem Bären. — Diesen Thieren
wie den menschlichen Gegnern S. 30. 34 bricht Finnbogi den
Rücken. — S. 27. 30. 35 wird Finnbogi gefragt, wie er es
angestellt habe, den Bären ohne Waffen zu tödten. Immer
antwortet er, es würde dem Frager nichts nützen, wenn er es
auch sagte. — S. 48. 57 Finnbogis Diener Rafn erkennt die
Nähe des Feindes an Lanzenspitzen im Gesträuch. — Ja sogar
sehr weitgehende wörtliche Uebereinstimmung findet sich in den
S. Gering S. XXXIX.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
259
zwei Parallelgeschichten von Meuchelmördern, welche gegen
Finnbogi abgesendet werden, S. 77 ff., 79 ff.
Floam. S. 140, 21 und 158, 34 Asgrimr redet lange mit
einem Knecht Thorgils’. Dieser macht dann auf dem Heim
weg einen vergeblichen Mordversuch auf Thorgils und wird
von Thorgils getödtet.
Fostbr. S. 20. 51 Den ersten Tag isst Butraldi Fleisch
und Thorgeirr muss sich mit Käse begnügen, den andern
geschieht das Umgekehrte. — Gautr verbrennt Schild und
Lanze Thorgeirs, dieser thut dasselbe mit Schild und Lanze
Gauts. — S. 33. 97 Die zwei Zauberinnen Grima, von denen
die eine Thormodhr verfolgt, die zweite beschützt. — S. 96. 97
Die prophetischen Träume der Grima und Thordis sind sich
sehr ähnlich. — S. 100. 103 Thormodhr bringt sein Schiff
zum kentern, um sich zu retten. — S. 103 Er verbirgt sich
zweimal im Tang.
Gisl. S. 4. 6. 8 Gisli wie sein gleichnamiger Oheim tödten
einen ,HolmgängeF, der Anspruch auf eine Frau der Familie
macht. — S. 12. 22 Thorgrimr ersticht erst einen Norweger,
dann Vesteinn, beide im Schlafe und mit einer Lanze. Der
Norweger spielt eine höchst untergeordnete Rolle in der Saga.
— S. 19 Zwei Knechte Gislis suchen in höchster Eile Ve
steinn, verfehlen ihn aber. Er reitet ruhig seinen Weg, trifft
auf zwei andere Knechte, die in Streit gerathen sind und sich
mit Sensen schlagen, und versöhnt sie. — S. 22 Vesteinn wird
im Bette in Gegenwart seiner Sclrwester mit der Lanze Grasidha
ermordet, ohne dass der Mörder erkannt wird. Ebenso wird
Thorgrimr an der Seite seiner Frau ermordet. Bei beiden Er
mordungen spielen Knechte eine Rolle, bei der ersten der feige
Thordhr, bei der zweiten der kluge Geirmundr. — S. 24. 31
Der Mörder Vesteins verräth sich durch die Phrase vom
1 odtenschuh, der Mörder Thorgrims durch die Phrase vom
lodtenschiff. — S. 26. 32 Die Feindschaft zwischen Gisli und
Thorgrimr, zwischen Gisli und Börkr kommt beim Ballspiel
zum Ausdruck. Das erste Mal reizt Thorkell Gisli, seine volle
Kraft zu zeigen, das zweite Mal Gisli Thorsteinn. — S. 34
Die Hexe Audhbjörg -wird von Börkr, der Zauberer Thorgrimr
von Gisli zu Tod gesteinigt. — S. 35. 36 Thorkels zweimalige
Ablehnung, seinem Bruder Gisli zu helfen. — Aber zweimal
17*
260
Heinzei.
warnt er ihn durch eine Lüge. — S. 37. 49 Gisli verkleidet
sich zweimal als Knecht.
Gluma S. 324. 326 Der Isländer Ingjaldr ist den Nor-
wegern abgeneigt, der Norweger Ivarr den Isländern, — Ingjalds
Sohn Eyjulfr aber behandelt den Norweger Hreidharr freund
lich, Ivars Bruder Hreidharr den Isländer Eyjulfr. Schliesslich
werden Ingjaldr, so wie Ivarr von ihren nationalen Antipathien
geheilt. 1 — S. 357. 382 Glumr zwingt Ingolfr wie Gudhbrandr
Todschläge, welche er vollführt hat, auf sich zu nehmen.
Gunnl. C. 13, S. 271 Gunnlaugr und Hrafn haben sich
gegenseitig im Zweikampf getödtet. In derselben Nacht nun
träumen deren Väter, dass der Sohn blutüberströmt zu ihnen
komme und in einem Gedicht das Geschehene melde.
Hardh. S. 115 f. Thorgrima und Thorbjörg treffen sich.
Dann findet man ihre zerrissenen Leichen. Dasselbe wird von
Thordr und Grimkell erzählt.
Hav. S. 3 ff. Die Geschichte von den verlornen Schafen
wiederholt sich. — S. 14 bis 20 Havardhr legt sich dreimal
auf zwölf Monate zu Bett. — S. 14. 28 Dem todten Olafr
wie dem todten Thorbjörn werden die Zähne ausgeschlagen. —
S. 22. 43 Wie Havardhr sich aus der Stumpfheit des Alters
und der Krankheit aufrafft, so legt Atli seinen Geiz und seine
Kleinmüthigkeit ab. Die geistige Umwälzung hat bei Beiden
den Charakter einer physischen Revolution. — S. 29. 37 Wie
der anfangs muthlose Vater Havardhr seinen kühnen Sohn
Olafr an dem iibermüthigen Thorbjörn rächt, so die muthigen
Knaben Thorsteinn und Grimr ihren feigen Vater an Ljotr,
den Bruder Thorbjörns. — S. 46 f. Atli und Thorgrimr, die
sich feindlich gegenüberstehen, haben zu gleicher Zeit prophe
tische Träume.
Heidh. (V. St.) S. 294. 317 Zweimalige Hohnbusse für
den Ermordeten. — (V. St.) S. 301. 362 ff. Die verhinderte und
die stattfindende Schlacht, — S. 350. 365 f. Thorbjörn sagt
von dem Frühstück, das seine Frau ihm vorsetzt, es sei nichts
als Blut und will nicht davon essen. Entweder ist es eine
1 S. Möbius, Die ältere isländische Saga S. 46.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
261
aus Blut bereitete Speise oder er hat eine Vision wie S. 352,
jedesfalls deutet es auf seinen Tod in der Schlacht. Im ersten
Fall ist es eine Parallele. — S. 352. 354 Prophetische Träume
Thorbjörns und Grislis, welche beide von Bardhi ihren Tod
linden. — S. 357. 358 Bardhi, der Mörder Gislis, und Thor-
gautr, dessen Vater, wollen vergeblich die Schlacht hindern.
— S. 371, 389 f. Illugi fragt, wie viele die Schlacht mitge
macht hatten. Tindr antwortet in Versen. — Jemand fragt
Eirikr, wie viele in der Schlacht gefallen wären. Antwort in
Versen.
Hrafnk. S. 19. 35 Thorkeil kommt aus Konstantinopel
und ist Veranlassung zu Sams Erhebung, Eyvindr kommt von
Constantinopel und veranlasst Sams Niedergang.
Haens. S. 155—165 Die drei Ueberlistungen, Thorkeils,
Gunnars, Thordhs. Thorbjörn ist der Veranlasser und hat dabei
die Absicht, die Interessen seines Pflegesohnes Hersteinn zu
wahren. — Bei den drei Gesprächen Si 155—165 wie in dem
Bericht der Knechte Odds an dessen Frau S. 170 wird das
wichtigste immer zuletzt gesagt. In den ersten Fällen ist es
List, im letztem Dummheit. 1 — S. 169. 171 Oddr verwehrt
dem Thordr den Weg zum Thing, Thordr dem Oddr.
Korm. C. 24, S. 226, C. 26, S. 234 Zweimal wird Stein-
gerdhr von Vikingern geraubt und von Kormakr befreit. —
C. 24, S. 228 Zweimal muss der König Haraldr Frieden stiften
zwischen Kormakr und Steingerdhr oder deren Mann Thor-
valdr.
Laxd. C. 34. 35 Ehescheidung zwischen Gudhrun und
Thorvaldr, weil er ein ausgeschnittenes Hemd, zwischen Thordr
und Audhr, weil sie Männerhosen trägt. Gudhrun und Thordr
wollen sich nämlich heirathen. — C. 75, S. 322 Thorsteinn und
Thorkeil wollen Halldorr überreden, ihnen seinen Acker zu
überlassen. Sie nehmen ihn sofort in die Mitte, so dass jeder
aut einem Stück seines Mantels zu sitzen kommt. Das Ge
spräch wird immer erregter, endlich springt Halldorr auf —
die Spange seines Mantels bricht — und erklärt entschieden,
er werde den Acker nicht hergeben. Das Brechen der Spange
ist dem Ausbruch der Feindseligkeiten parallel. S. Njala C. 36.
Oder war ea auch Sitte? s. Ljosv. S. 33 f.
262
Heinzei*
Ljosv. S. 22 ff. Norweger in Island, Isländer in Nor
wegen ähnlich, wie oben Gluma S. 329, nur weniger schlagend.
— S. 91. 92 Sowohl die Fahrt Thorvards als Eyjolfs wird
durch Beschädigung des Sattelzeugs aufgehalten.
Njala C. 11, C. 16 Die erste und zweite Ehe Hallgerdhs,
— C. 36 ff. Die von Hallgerdhr und Bergthora veranlassten
Tödtungen von Sclaven und Knechten. — C. 88 Die wieder
holten Versuche des Königs, sich Hrapps zu bemächtigen und
die wiederholten Listen, durch welche Thrainn dieses Bestreben
vereitelt. — C. 116 Hildigunnr will Flosi für sich und ihr
Rache werk gewinnen. Aber Alles in ihrem Hause ist ihm
zuwider. Die Zumuthung zu bleiben, der Hochsitz, das zer
rissene Handtuch, das Vorzeigen des blutigen Rockes ist.
S. Laxd. C. 75. — C. 119 f. und C. 139 Bittgänge der Par
teien vor der Gerichtsverhandlung.
Reykd. S. 235. 284 Eysteinn lässt durch Björn Schafe in
Hals’ Stall treiben und zeiht diesen dann des Diebstahls. — Thor-
bergr lässt durch Otryggr ein Pferd in den Stall Glums führen
und zeiht diesen dann des Diebstahls. — S. 248 f. 250 Vemundr
beschimpft Askels Fischer ungerechter Weise. Askell muss es
gut machen. — (S. 250. 256) Vemundr will Askell gewaltthätig
erworbenes Gut geben. Dieser weigert sich. — S. 294. 295
Thorgeirr sendet erst einen, dann zwei Meuchelmörder zu
Vigaskuta.
Svarfd. S. 184. 188 Karl verkauft seine Tante Ingöldr
zweimal als Sclavin.
Vapnf. S. 11. 29. 30. 31 Feinde werden durch edel-
müthige Hilfe, welche der eine dem andern in Bedrängniss
zuwendet, zu Freunden: Ketill und Thorleifr, — Bjarni und
Thorkell. Thorleifr nimmt Ketill während eines Unwetters
freundlich auf. Bjarni sendet Thorkell seinen Arzt und hilit
ihm zweimal aus wirthschaftlichen Schwierigkeiten. — S. 20
Geitir versteht es, verfänglichen Fragen geschickt auszuweichen,
ebenso bringen S. 23 Thorvardhr und Kolli- nichts aus einander
heraus. — S. 26 Kari und Eyvindr, bei deren Höfen sich Thor
kell und Bjarni begegnen, wollen den Kampf abwenden.
Vatnsd. S. 62, 1. 63, 10 Ottarr sendet zweimal Meuchel
mörder zu Ingolfr und Gudhbrandr. Ingolfr weist sie ab,
Gudhbrandr nimmt sie auf.
Beschreibung der isländischen Saga. II.
263
Eine eigene Art Parallelen sind Dropl. S. 22, Heidh.
S. 350? Laxd. C. 75, S. 322, Njala C. 116, bei denen nicht
die Vorgänge selbst so sehr ähnlich sind, als die Eindrücke,
welche sie hervorbringen.
c.
Wie viel Zustände, wie viel Vorgänge erscheinen in einer
Saga?
1. Unter den Personen einer.Saga können wir fast immer
eine oder mehrere ersten Ranges erkennen, die Saga hat einen
Helden. Allerdings in Haens. seit Blundketils, in Laxd. seit
Gudhruns Auftreten, noch mehr seit Kjartans Tod, in Ljosv.
seit Gudhmunds Tod, im ersten Theil von Reykd. vertheilt
sich das Interesse auf mehrere Personen.
Eine Person oder nacheinander zwei stehen entschieden
im Vordergrund. Band. (Oddr), Bjarn. (Björn), Eigla (Egill),
Eir. N. W. (Eirikr, Thoriinnr), Eyrb. (Snorri), Finnb. (Finn-
bogi), Floamanna (Thorgils), Gisl. (Gisli), Gluma (Vigaglumr),
Gullth. (Gulltkorir), Grettla (Grettir), Gunnl. (Gunnlaugr),
Hallfr. (Hallfredhr), Hardh. (Hördhr), Hav. (Havardhr), Heidh.
(Vigastyrr, Bardhi), Hrafnk. (Hrafnkell), Korm. (Kormakr),
Laxd. (Olafr, Kjartan), Ljosv. (Gudhmundr), Njala (Gunnarr,
Hjall), Njardhv. (Gunnarr), Reykd. (Vigaskuta), Svarfd. (Klauli,
Karl), Vallal. (Vallaljotr), Vatnsd. (Tliorsteinn, Ingimundr),
Thorst. (Tliorsteinn), Thorv. (Thorvaldr).
Seltener erscheinen zwei Helden. Dropl. (Helgi und
Grimr), Fostbr. (Thorgeirr und Thormodhr), Vapnf. (Brodd-
helgi und Geitir, Bjarni und Thorkell).
Häufig tritt der Gegner des Helden so in den Vorder
grund, dass er der Heldenrolle ziemlich nahe kommt, Thordhr
in Bjarn., Helgi, der Sohn des Asbjörn, in Dropl., Arnkell in
Eyrb., Ilrafn in Gunnl., Griss in Hallfr., Thorbjörn in Hav.,
Samr in Hrafnk., Bessi und Thorvaldr in Korm., Bolli in
Laxd., Halb in Vallal., Thorhaddr in Thorst.
Oder es steht dem Helden oder einer ihn vertretenden
Hauptperson ein Berather dauernd zur Seite, Ufeigr dem Oddr
in Band., Thorarinn dem Bardhi in Heidh., Thorbjörn dem
264
Heiuzel.
Hersteiim in Haens., Einarr dem Gudhmundr in Ljosv., Njall
dem Gunnarr in Njala, Askell dem Vemundr in Reykd., Fridh-
rekr dem Thorvaldr in Thorv.
Die Zahl der andern Personen zweiten und die dritten
Ranges ist unbegränzt und gewöhnlich sehr gross. Doch zeigen
sich beträchtliche Verschiedenheiten. In Korm., welche hundert
fünf und zwanzig Octavseiten umfasst, erscheinen gegen fünfzig
benannte Personen in der Handlung, in der viel kleineren
Gullth., neun und dreissig Octavseiten, an achtzig.
Auch alles übrige Zuständliche erscheint immer in reicher
Fülle.
2. Wenn Conflicte die Haupthandlung der Saga sind,
kann man nach Einheit oder Mehrheit der betheiligten Per
sonen und der Conflicte mit ihren Veranlassungen verschie
dene Typen unterscheiden.
I. Eine Person geräth mit einer Person in einen Conflict
oder in mehrere Conflicte aus einer Ursache: Bjarn. (Björn mit
Thordr wegen der Geliebten), — Gisl. (Gisli mit Thorgrimr
wegen Todschlags), — Gunnl. (Gunnlaugr mit Hrafn wegen
der Geliebten), — Hardh. (Hördhr mit Torfi wegen Besitzes),
— Hav. (Havardhr mit Thorbjörn wegen Todschlags), — Hrafnk.
(Hrafnkell mit Samr wegen Todschlag und Besitzes), — Njala
(Bergthora und Hallgerdhr wegen einer Beleidigung; nur Epi
sode), — Njardhv. (Gunnarr mit Thorkell wegen Todschlags),
— Thorst. (Thorsteinn mit Thorhaddr wegen der Goden
würde).
Wenn mehrere Conflicte vorliegen, wie Bjarn., Hardh.,
Hav., Njala, Thorst., so erscheinen allerdings auch zweite und
dritte Veranlassungen, in Bjarn. die Spottlieder, in Hardh die
Tödtung Audhs, in Hav. die Hohnbusse, in Njala verschiedene
Tödtungen von Dienstleuten der Feindinnen, in Thorst. die Be
leidigung Thorsteins durch Thorhaddr. Aber der Wille der Haupt
personen ist bereits durch die erste Veranlassung für die ganze
Zukunft determinirt. — Die späteren Conflicte sind sachlich
immer mit den früheren verknüpft. Die Spottlieder Björns auf
Thordhr in Bjarn. beginnen mit Anspielungen auf das eheliche
Beschreibung der isländischen Saga. II.
265
Verhältniss zwischen Thordhr und Oddny, Björn rühmt sich
in ihnen sogar, mit Oddny einen Sohn erzeugt zu haben,
worauf dann beide jeden Anlass benutzen, um sich mit Spott
liedern zu verfolgen. — In Hardh. ist Audhr Schutzmann
Torfis. — In Hav. wird Havardhr von Thorbjörn die Hohn
busse für den erschlagenen Sohn angeboten. — In Njala ist
immer ein Todschlag Rache für den Andern. — In Thorst.
sind die bösen Reden Thorhadds Rache für die von Thor-
steinn zurückgeforderte Godenwürde und Vertreibung von Haus
und Hof.
II. Eine Person geräth mit einer andern in mehrere Con-
flicte aus verschiedenen Ursachen: Dropl., Helgi, der Sohn
der Droplaug, und Helgi, Asbjörns Sohn, erst wegen Tod
schlags, dann wegen Hrafnkels Godenwürde, wegen des Pro-
cesses Björn, wegen eines Hohnworts des Einen gegen den Andern.
— Hrafnk. Hrafnkell mit Samr wegen Todschlags und Besitzes.
III. Eine Person geräth mit mehreren Personen nach
einander in mehrere Conflicte aus einer Ursache: Korm. (Kor-
makr erst mit Bersi, dann mit Thorvaldr wegen der Geliebten
Steingerdhr), — Thorv. (Thorvaldr erst mit den Skalden, dann
mit Hedhinn wegen des Christenthums). 1
IV. Eine Person geräth nach einander mit mehreren in
mehrere Conflicte aus verschiedenen Ursachen: Band. (Oddr
mit Uspakr wegen der Godenwürde und eines Todschlags, mit
den Häuptlingen wegen Besitzes), — Eigla (Egill mit Ver
schiedenen wegen erfahrener Beleidigungen und wegen Be
sitzes), — Eyrb. (Snorri mit Verschiedenen wegen Besitzes,
wegen verschiedener Beleidigungen), — Finnb. (Finnbogi mit
den Söhnen Ingimunds wegen eines Weibes, mit Brandr wegen
Aufnahme eines von diesem Geächteten, also einer Beleidigung),
— Fostbr. (Thormodhr mit Verschiedenen wegen Besitzes,
wegen Todschlags), — Gluma (Vigaglumr mit Verschiedenen
1 Wenn III so selten vorkommt, so müssen wir erwägen, dass Kormaks
Schicksal ein ganz eigener, im Lehen selten vorkommender Fall ist, und
dass sonst dieser Typus nur aus politischen, religiösen oder phantastischen
Veranlassungen entstehen konnte. Wenn z. B. Jemand König werden,
oder eine neue Religion einführen •— s. Thorv. —, oder alle Welt
zwingen wollte, die Farben seiner Dame zu tragen.
266
Heinzei.
wegen Besitzes, wegen einer Beleidigung, wegen Todschlags),
— Gullth. (Gullthorir mit Verschiedenen wegen Besitzes, wegen
eines Weibes), — Grettla (Grettir mit Verschiedenen wegen
erfahrener Beleidigungen; es sind nur Episoden, da die Haupt
begebenheit ja ein Zufall ist), — Hallfr. (Hallfredhr mit Griss
wegen der Geliebten, mit Kalfr wegen einer Beleidigung und
Todschlags), — Haens. (Blundketill mit Haensathorir wegen
einer Beleidigung, mit Arngrimr wegen Todschlags, mit Tungu-
oddr wegen Besitzes), — Njala als Gunnarrsaga (Gunnarr mit
Hrutr wegen Besitzes, mit Otkell wegen einer Beleidigung, mit
Starkadhr und Egils Söhnen wegen einer Beleidigung).
Dabei kann Verknüpfung eintreten, Band., indem der
Streit Odds mit Uspäkr zu einem Todschlag führt, für welchen
Oddr Uspakr verurtheilen lassen will, die habsüchtigen Häupt
linge benutzen aber einen Formfehler Odds, um seinem Besitze
nachzustellen; — Gluma dadurch, dass die Gegner bis auf
Vigaskuta Espihaelinger sind; — Haens. durch Verbindung
der drei Gegner Blundketils zu gemeinsamem Vorgehen; —
Njala durch Verbindung der Partei Otkels und der Starkadhs
zu gemeinsamem Vorgehen; aber der ConHict mit Hrutr steht
unverbunden zur Seite.
V. Mehrere Personen gerathen nach einander mit mehreren
in mehrere Confiicte aus verschiedenen Ursachen! Heidh. (Viga-
Styrr erschlägt Thorhalli, einen Borgfirdhing, dessen Sohn Gestr
Styrr, Styrs Sohn Thorstcinn trachtet Gestr nach dem Leben,
aber sie vergleichen sich. Deshalb erschlägt Snorri einen Be
zirksgenossen Gests, die Borgfirdhinger wieder einen Anhänger
Snorris, Halli. Um Halli zu rächen, leitet sein Bruder Bardhi
eine grosse Unternehmung gegen die Borgfirdhinger ein, welche
zur Heidharschlacht führte), — Laxd. (Bolli, Gudhruns dritter
Mann, hat Kjartan, der Gudhrun liebt, erschlagen, Kjartans Brüder
tödten Bolli; Thorkeil, Gudhruns letzter Mann, nimmt dafür Rache),
— Ljosv. (Gudhmunds Conflict mit Thorir und Thorkeil, wegen
Thorkels Verhalten im Process Brandr, wegen Thoris Verhalten
im Process Akrathoris und wegen einer Beleidigung. Conflict
seiner Söhne mit den Ljosvetningern wegen einer Beleidigung),
— Njala als Ganzes. (Gunnarr unterliegt seinen Feinden im
Handel mit Otkell. Thrainn, der von Gunnars Frau bewogen,
Beschreibung der isländischen Saga. II.
267
Thordhr, den Ziehvater der Söhne Njals, getödtet hatte, wird
von diesen erschlagen. Dafür wird Höskuldr, der uneheliche
Sohn Njals, von Lytingr getödtet, Lytingr wieder von dieses
Höskulds Sohn Amundr und Thrains Sohn von den Söhnen
Njals, worauf Flosi mit den Seinen Njall und seine Familie
im Hause verbrennt, mit Ausnahme Karis, der an Flosis Partei
Rache nimmt), — Reykd. (Askels Conflicte führen seinen Tod
herbei, sein Sohn Vigaskuta nimmt an den Feinden des Vaters
Rache und geräth mit Vigaglumr einer Beleidigung wegen in
Conflict), — Svarfd. (Klauti ist von den Brüdern seiner Frau
Ingöldr auf deren Anstiften erschlagen worden. Sein Bruder
Karl findet bei dem Versuch, ihn an den Mördern zu rächen,
seinen Tod durch Skidhi, den zweiten Mann Ingölds, — aber
dem Sohne Karls gelingt es durch Misshandlung und Demüthi-
gung Skidhis und Ingölds für Vater und Oheim Rache zu
nehmen), — Vallal. (Vallaljots Conflict mit Halb führt zur
Tödtung des letzteren: dadurch Conflict und Vergleich Vallaljots
mit Gudhmundr; aber ein Verwandter Hallis erschlägt einen
Verwandten Vallaljots, ein Verwandter Vallaljots erschlägt einen
Verwandten Hallis, neuer Conflict und Vergleich mit Gudh
mundr), — Vapnf. (Geitis Conflict mit Broddhelgi wegen Be
sitzes, Broddhelgi wird getödtet. Dafür erschlägt Bjarni, Brodd-
helgis Sohn, Geitir. Dadurch Conflict und Vergleich Bjarnis
mit Geitis Sohn Thorkeil), — Vatnsd. (Ingimunds Conflict mit
Hrolleifr wegen Besitzes, er wird von diesem getödtet; dafür
nehmen Ingimunds Söhne Rache. — Aber der Conflict Ingi
munds und seiner Söhne mit Hrolleifr fällt erst in die letzte
Lebenszeit Ingimunds).
Wie man sieht, sind die verschiedenen Conflicte sachlich
verbunden in Heidh., Laxd., Njala, Reykd., Svarfd., Vallal.,
Vapnf., Vatnsd., -— unverbunden in Ljosv. Und auch in Njala
ist die letzte Veranlassung zu Gunnars Tod ohne Zusammen
hang mit dem Untergange Njals. Man hat deshalb eine selbst
ständige Gunnarrsaga vermuthet.
Ebenso ist der Conflict Vigaglums mit Vigaskuta in Gluma
S. 360 ff. (IV) ohne Zusammenhang mit den sonst durch
stehenden Streitigkeiten des Helden mit den Espihaelingern.
In Reykd. (V) ist dieselbe Geschichte S. 307 ff., doch in
eine gewisse Beziehung zu dem Conflict Vigaskutas mit den
268
Heinzei.
Mördern seines Vaters gebracht. Die Existenz einer ursprüng
lich selbständigen Erzählung von dem Streit zwischen Viga-
glumr und Vigaskuta ist beinahe zweifellos; s. Möbius, Ueher
die ältere isländische Saga S. 63 ff.
Durch diese hier und im früheren S. 266. 163 hervor
gehobene Verknüpfung wird die Vielheit der Conflicte in einer
grossen Anzahl von Fällen wieder zur Einheit.
Aber auch, wenn nur ein Conflict einer Person mit einer
andern aus einer Ursache vorliegt, wird eine grosse Menge von
Begebenheiten vorgetragen, in welcher viele andre Personen
mehr oder minder wichtige' Rollen spielen.
III. A li o r (l u u n g.
A. Zuständliches.
1. Zuständliches für sich betrachtet.
Wenn eine Reihe zusammengehöriger Personen aufgeführt
wird, so sind die Principien der Anordnung verschieden.
Häufig werden die Verwandten zusammen genannt: Vater,
Mutter, die Kinder, auch wenn letztere nicht mehr im älter-
lichen Hause wohnen. So Haens. S. 122 Thorvaldr, der Sohn
Tunguodds, der, wie man S. 143 sieht, auf einer Handelsreise
begriffen ist. Hrafnk. S. 5 Eyvindr, der Sohn Bjarnis, der
im Beginn der Erzählung in Constantinopel ist.
Andrerseits aber wird gern das local Vereinigte auch zu
sammen vorgetragen. So bietet die Aufzählung Band. S. 3
eigentlich, wenn man von der kurzen Erwähnung des Häupt
lings Styrmir absieht, nur die Hausgenossen Ufeigs, — Floam.
S. 124, 9 ist ein norwegisches Personenverzeichniss, S. 139, 8
ein isländisches, S. 141, 22 ein grönländisches, — Hallfr. S. 83, 1
ein norwegisches, S. 85, 28 ein isländisches, — Hav. S. 1 f. werden
die Verwandten Thorbjörns getrennt, Thorbjörn und seine
Haushälterin Sigridhr, dann Havardhs Familie, dann Thor-
modhr, nun erst Ljotr, der Bruder Thorbjörns, noch weiter
entfernt Thordis, die Schwester Thorbjörns, ein andrer Bruder
Thorbjöms Sturla S. 25, ein vierter, Thorarinn, gar erst S. 45.
Beschreibung der isländischen Saga. III.
269
— Njala, C. 1, 1 Mördhr und seine Tochter Unnr an der Ranga
im Südwesten, dann Höskuldr, Hrutr und Hallgerdhr am
Breidhaijördhr im Westen der Insel. Vor der Einführung dieses
letzteren heisst es: ,Die Erzählung wendet sich nun nach
Westen' (ml mkr sögunni vestr til Breidhafjardhardala). —
Vatnsd. S. 28, 10 ff. ist ein Personenverzeichniss des Vatnsdals,
Eyvindr kommt erst S. 30, 9 vor, er wohnt im Blundadalr, —
Gautr S. 30, 36, er wohnt im Gautsdalr, — Hrolleifr S. 30, 17,
er wohnt im IJnadalr. — Nie werden Ausländer in den Personen
verzeichnissen erwähnt, wenn die Erzählung auf Island spielt.
Daneben kann man in der Anordnung auch die Neigung
entdecken, vornehme Personen an die Spitze zu setzen, geringe
am Schluss anzubringen. Bjarn. S. 3 Die Hauptpersonen der
Saga sind doch Björn und Thordhr, aber Thorkell, der aus
Laxd. bekannte vierte Mann Gudhruns, wird an erster Stelle
genannt. Die Saga beginnt: Nu skal, segja nokkut af theim
hlenzkum mönnum, sevi uppi vdru um daga Olafs konungs
Haraldssonar, oJc hans urdhu heimuUigir menn. Nefnir thar
til fyrstan dgaetan mann Thorkel Eyjulfsson usw. Dann Thordhr,
Björn, Skuli. — Fostbr. S. 3 die Saga beginnt: In den Tagen
des heiligen Olafs ,lebte ein ausgezeichneter Häuptling im
Isafjördhr', nämlich Vemundr, seine Frau hiess Thorbjörg.
Nun wird zu ihrer Charakterisirung erzählt, wie sie einmal
Grettir rettete. Dann erst das Verzeichniss der handelnden
Personen. — Gullth. S. 41 Voran steht Hallsteinn und seine
Familie, — Oddr und seine Familie, zu welcher der Held der
Saga, Gullthorir, gehört, kommt erst S. 43. Aber Hallsteinn,
Sohn des bekannten Thorolfr Mostraskeggi, war ein viel vor
nehmerer Mann als Oddr. — Hav. S. 1 Harvardhr ist doch
der Held der Saga, aber er muss dem Goden Thorbjörn in der
Rangordnung weichen. Die geringeren Hausgenossen Thorbjörns
jedoch werden erst nach Havardhs Familie aufgeführt. —
Haens. S. 121 Blundketill, der Held der Saga, kommt erst
nach den Häuptlingen und Goden Oddr und Arngrimr, der
Hühnerhändler Thorir, von dem die Sage den Namen führt,
zuletzt. — Ljosv. S. 3 Voran geht der Gode Thorgeirr.
Das hindert aber nicht, dass zuweilen auch vornehme
Personen an Ende stehen: Hallfr. S. 85 f. wird ein Verzeichniss
T<j n Personen gegeben, die alle im Vatnsdalr wohnen. Der
270
Hein z el.
letzte ist Thorsteinn (Thorsteinn Ingimundarson var thd höfdh-
ingi i Vatnsdal). — Auch Band. S. 3 ist die Erwähnung
des Häuptlings Styrmir doch nur in die Einführung Ufeigs
eingeschoben (Hann, d. i. Ufeigr, var thingmadlir Styrmis frd
Asgeirsd, er tlid thötti mestr höfdhingi vestr thar).
Oder vornehme Personen kommen erst vor, wenn eine
Person der Saga mit ihnen in Berührung kommt, so meist
die norwegischen Könige, oder Gunnl. S. 199 Thorgerdhr, die
Tochter Egils, S. 200 Olafr pa.
Oefters wendet sich die Erzählung, nachdem eine Reihe
von Personen mit ihren wichtigsten Attributen eingeführt ist,
zu einer dieser Personen, einer wichtigen natürlich, zurück,
um noch eins oder das andre nachzutragen. Dropl. S. 8 Össurr
— Hjarrandi — Össurr (Össurr het madhr, er hjö under Ad,
firir vestan vatnit: kann var mdgr Helga Asbjamarsonar. Hjarr
andi het madhr, er bjo d Ongulsa, firir anstan vatn, d Völlurn
dt; kann dtti ddttur Helga Asbjamar sonar, er Thorlcatla het.
That er sagt, at Össurr var vitr madhr oh mjög hafdlir vidh
mal männa. — Hrafnk. S. 3. 4 Hrafnkell, S. 5 Bjarni und
seine Söhne Samr und Eyvindr, S. 6 wieder Hrafnkell, näm
lich, dass er ein schönes Pferd hatte, Freyfaxi, das er sehr
liebte.
Auch weit entfernt von den ersten Einführungen werden
öfters Attribute der Personen, Beschreibungen körperlicher und
geistiger Eigenschaften, bei Begebenheiten, in denen sie beson
ders hervortreten, s. unten S. 279, nachgetragen, 1 sowohl wenn
diese Person im Beginne der Saga nur genannt waren, als
auch nach einer schon gegebenen Charakteristik. S. oben
C. II, S. 204 ff.
Der erste Fall z. B. Eigla C. 80, S. 598 (Thorgerdhr),
S. 599 (Bödhvarr), Gluma S. 354. 364 (Mar). — Njala C. 20,
20 heisst es sogar nur, dass Njall und Bergthora sechs Kinder,
drei Söhne und drei Töchter, hatten. Erst C. 25, 24 werden
sie genannt und beschrieben. — Laxd. C. 1, S. 2, C. 4, S. 8,
C. 7, S. 16 (Unnr, das letzte Mal vor ihrem Tode). — Reykd.
S. 232. 281 (Vemundr, das zweite Mal nach seinem Tode). —
Svarfd. S. 140. 147 (Klaufi).
1 S. Möbius, Die ältere isländische Saga S. 84.
Beschreibung der isländischen Saga. III.
271
Der zweite, Bjarn. S. 3, 63 Björn, das zweite Mal vor
dem letzten Kampf, — Eigla C. 31, S. 147, C. 55, S. 304
(Egill), — Eyrb. S. 13. 17 (Snorri), 13. 68 (Arnkell, das zweite
Mal nach seinem Tode), — Finnb. S. 7. 70 (Finnbogi, das
zweite Mal vor dem Aufheben des grossen Steines), — Fostbr.
S. 5. 8 (Thorgeirr), — Gisl. S. 4. 14 (Grisli, Thorkeil, das
erste Mal nur ihre Namen und Abstammung und dass sie die
hoffnungsvollsten unter den jungen Männern der Nachbarschaft
gewesen seien), — Grluma S. 335. 342 (Glumr), 376. 385
(Thorvardhr), — Grettla C. 14, S. 22. 26, C. 84, S. 186
(Grettir, das letzte Mal nach seinem Tode), — Hardh. S. 34.
105 (Hördhr, das zweite Mal nach seinem Tode), — Hav.
S. 1. 10 (Thorbjörn), S. 1. 11 (Olafr), — Laxd. C. 59, S. 256,
C. 63, S. 273 (Bolli), — Thorst. C. 169, 24. 171, 10 (Thor-
steinn), — Thorv. S. 35. 36 (Thorvaldr).
Sogar die Identität einer Person kann erst später klar
werden. So Dropl. S. 4 (Arneidkr), — Fostbr. S. 62. 105
(Steinarr), — Laxd. C. 13, S. 36 (Melkorka).
Bei den Personsbeschreibungen ist im Ganzen die Ord
nung diese, dass zuerst der Name erscheint, dann die Namen
der Aeltern, der Wohnort, die sinnlichen, die geistigen Eigen
schaften. Doch wechseln sinnliche und geistige Eigenschaften
oft ihren Platz oder werden durcheinander gewürfelt.
2. Zuständliclies in Bezug auf die Vorgänge betrachtet,
a. Personen.
Schon aus dem Vorhergehenden ist die Gewohnheit der
Saga klar geworden, Personen, die in einer Saga eine Rolle
spielen, am Anfänge derselben oder am Anfänge eines Ab
schnittes derselben mit ihren wichtigsten Attributen in Gruppen
aufzuführen. Das Eintreten Einzelner in die Handlung kann
erst beträchtlich später erfolgen. Also eine Art Programm.
Band. S. 3. Ufeigr, Styrmir, der Häuptling der Gegend,
Ufeigs Sohn Oddr, Vali, ein Hausgenosse Ufeigs und Odds. —
Styrmir und der S. 9 erwähnte Thorarinn sind die Häupter
des Bundes, der sich S. 15 gegen Oddr vereinigt, — Vali
272
Heinz el.
wird S. 6 als Gefährte Odds auf seinen Handelsfahrten er
wähnt.
Bjarn. S. 3 Der Dichter Thordhr, Björn, der Held der
Saga, Skuli, sein Erzieher, Thorkell und seine Tochter Oddny,
die Geliebte Björns, spätere Frau Hrafns.
Dropl. S. 7 ff. Droplaug, ihre Söhne Helgi und Grimr,
Bessi, sein Sohn Holmsteinn, Hallsteinn, seine Söhne Thordhr,
Thorkeil und Eindridhi, Thorgeirr, Helgi, der Sohn Asbjörns,
(S. 8) Hrafnkell, An, Össurr, Hjarrandi, Björn, (S. 9) Thorir,
Thorgrimr, Thorftnnr. — In Scene treten Bessi S. 10, Holm
steinn S. 12, Hallsteinn und seine Söhne S. 11, Thorgeirr
S. 13, Helgi, der Sohn Asbjörns, S. 10, Hrafnkell und An
S. 12, Össurr und Hjarrandi S. 21 ff., Björn S. 20 f., Thorir
S. 10, Thorgrimr und Thorfinnr S. 9.
Eigla C. 37, S. 179 wird Bergönundr erwähnt, erst C. 56,
S. 321 tritt er in Scene.
Finnb. S. 3 Asbjörn, seine Frau Thorgerdhr, deren Bruder
Thorgeirr, der Gode der Ljosvetninger, Brettingr und seine
Söhne, Ingi und seine Söhne. Thorgeirr tritt in Scene S. 9,
die Söhne Brettings S. 44, die Söhne Ingis S. 48.
Gisl. S. 3 Die drei Brüder Ari, Gisli, Thorbjörn, Aris
Frau Ingibjörg, deren Sclave Kolr, der Berserker Björn. —
Björn fordert Ari heraus und tödtet ihn, sein Bruder Gisli
will ihn rächen, da gibt dessen Wittwe ihm den Rath, sich
dazu des Schwertes ihres Sclaven Kolr zu bedienen. Das ge
schieht. Hier also erst wird die Erwähnung Kols verständlich.
— S. 4 f. Thorbjörn, seine Frau Thora, deren Kinder Thordis,
Thorkell, Gisli, der Held der Saga, Ari, Bardhr, Kolbjörn. —
Nun wird erzählt, dass Bardhr ein Liebesverhältniss mit Thordis
unterhielt, das Thorbjörn und Gisli missbilligten, während
Thorkell zu seinem Freund Bardhr hielt. Gisli tödtet Bardhr,
da fordert Thorkell Skeggi, der hier eingeführt wird, auf, sich
um seine Schwester zu bewerben. Er thut es, aber Kolbjörn
war ihm zuvorgekommen. Hier erst sieht man, wozu Kolbjörn
oben erwähnt worden war. — S. 8. Nach der Rückkehr Thor
björns und seiner Söhne nach Island werden genannt Thorkell,
der Sohn Eiriks, Thorkell audhgi, Vesteinn und Hildr mit ihren
Kindern Audhr und Vesteinn, des jungen Vesteinn Frau Gunn-
hildr, ihre Söhne Bergr und Helgi. — Nun wird der Tod
Beschreibung der isländischen Saga. III.
273
Thorbjörns erzählt, die Heirath Thorkels. Als Frau Gislis
tritt Audhr in Scene S. 9, der junge Vesteinn S. 10 als Reise
gefährte Gislis, Thorkeil, der Sohn Eiriks S. 18, Bergr und
Helgi erst S. 54 ff.
Hardh. S. 3—7 ist nur Programm. Eine Menge Personen
werden aufgezählt, von denen z. B. Grimr S. 10, Sigurdhr
S. 19 in Scene tritt.
Hav. S. 1—3 Thorbjörn und seine Wirthschafterin, Ha-
vardhr, der Held der Saga, seine Frau und sein Sohn, Thor-
modhr und seine Frau, Ljotr, der Bruder Thorbjörns, Thorkeil
der ,Gesetzessprecher“, die Hausgenossen Thorbjörns Yakr und
Brandr, Thordis, die Mutter Vakrs, und deren zweiter Sohn
Skarfr, Thoralfr. Von diesen Personen erscheinen Thormodhr
und seine Frau S. 6, Ljotr S. 30, Thorkell S. 8, Thordis
und Skarfr S. 13, Thoralfr S. 11.
Hrafnk. S. 3 Hallfredhr, sein Sohn Hrafnkell, der Held
der Saga, mit Frau und Kindern, Bjarni und seine Söhne Samr
und Eyvindr, Thorbjörn und sein Sohn Einarr. Eyvindr erscheint
erst S. 35.
Haens. S. 121 ff. Oddr, seine Frau Jorunn, seine Kinder
Thoroddr, Thorvaldr, Thuridhr, Jofridhr, Thuridhs Mann Torfi,
Arngrimr und sein Sohn Helgi, Blundketill und sein Sohn
Hersteinn, Thorkeil und seine Brüder Helgi und Gunnvaldr,
Haensathorir. Von diesen tritt Thorvaldr auf S. 143, Torfi
S. 182, Thorkell S. 155.
Korm. C. 7, S. 54 Bersi und seine Familie, Thordhr und
seine Frau Thordis, Vali. Letzterer erscheint C. 8, S. 74.
Laxd. C. 9. 10. 11, S. 20 ff. Höskuldr, der schon be
kannt ist, Björn und Jorunn, welche Höskuldr heirathet, Hrappr,
sein Sohn Sumarlidhi und andere Verwandte, Thordhr, seine
Frau Vigdis und sein Sclave Asgautr, Thorbjörn. Nun wird
von der Reise Höskulds nach Norwegen und seiner Rückkehr
fflit Melkorka erzählt. C. 14, S. 43 treten dann Thordhr und
Vigdis in Scene, S. 44 Asgautr, C. 17, S. 55 Hrappr, C. 20,
8. 71 Thorbjörn, der Melkorka heirathet.
Njala C. 1 Mördhr, Unnr, seine Tochter, Höskuldr und
sein Bruder Hrutr. Mördhr und Unnr erscheinen C. 2, 11. —
0. 9 Hallgerdhr, ihr Ziehvater Thjostolfr, Usvifr und sein
8ohn Thorvaldr. Thjostolfr erscheint C. 10, 13. -— C. 25
Sitzungsber. d. phil.-hint. CI XCVII. Bd. I. Hft.
18
274
Heinzei.
Valgardhr und sein Sohn Mördhr, die Söhne Njals, Asgrimr
und seine Tochter Thorhalla, welche einen Sohn Njals hei-
rathet. Valgardhr und Mördhr erscheinen C. 34, 27.
Vatnsd. S. 28 Ingimundr, Jörundr und sein Sohn Mar,
Hvati, Asmundr, Thorolfr, Hruti, Ottarr und sein Sohn Ilall-
fredhr, seine Tochter Valgerdhr. Mar erscheint S. 45, Thorolfr
S. 49, Ottarr und Valgerdhr S. 60.
Eine Ausnahme ist es, wenn die Genealogie am Schlüsse
der Saga steht, wie Thorst. S. 184, 1.
Schon die Beispiele Gisl. S. 48, Njala C. 9. 25 zeigen,
dass die Saga mehrere Programme enthalten kann. Es ist
dies das Gewöhnliche. Meist werden die Personen des ersten
Programms zuerst in die Handlung verflochten, dann erscheint
ein neues Programm, dessen Personal in der zunächst folgenden
Erzählung natürlich auch mit Benutzung der schon früher
bekannten Personen verwerthet wird. So Dropl. S. 14 Svei-
nungr, Thorsteinn, Thordis, Björn für den Ehebruchsprocess
Helgis gegen Björn. S. Gisl. S. 9. — Hav. S. 35 Holmgön-
guljotr, Thorbjörn und seine Söhne Grimr und Thorsteinn für
die Geschichte der zwei Knaben, welche Ljotr erschlugen. —
Allerdings wird das nicht strenge eingehalten. Hav. S. 2 er
scheint z. B. Ljotr, der Bruder Thorbjörns, im Programm, er
tritt erst S. 30 in Handlung, nachdem schon andere Personen,
wie Gestr S. 10, Steinthorr S. 16 eingeführt worden sind. —
Haens. S. 122 Torfi im Programm, der erst S. 182 wieder
erscheint, nachdem Thorbjörn, der kluge Rathgeber, S. 152
eingeführt worden ist.
In Vallal. aber finden wir im Anfang S. 201 zwar ein
Programm der Familie Hallis, der Held Vallaljotr aber er
scheint mit seinen Brüdern erst S. 207.
Daneben werden Personen und nicht blos Diener auch
erst eingeführt, wo sie sofort in die Handlung eingreifen.
Dropl. S. 11 Ingjaldr, S. 13 Thordhr, — Gisl. S. 6 Skeggi
und sein Diener Refr, S. 7 Skeggis Söhne. — Gunnl. C. 3,
S. 199. 200 Thorgerdhr, Egils Tochter, und Olafr pa, die vor
nehmen Verwandten der Aeltern Helgas. — Hallfr. S. 87
Jökull, obwohl sein Bruder Thorsteinn schon S. 87 erwähnt
worden war. — Hav. S. 3 Thorhallr, Hausgenosse Havardhs,
S. 10 Gestr, S. 16 Steinthorr, S. 21 f. die Brüder Bjargeys,
Beschreibung der isländischen Saga. III.
275
der Frau Havardhs, S. 40 Atli. — Hrafnk. S. 18 f. Thorkell
und Thorgeirr, die klugen Rathgeber, welche Samr gegen
Hrafukell beistehen, S. 37 die Freunde Hrafnkells. — Haens.
S. 152 Thorbjörn, der Erzieher des Sohnes Blundketils, der
kluge Rathgeber der Geschichte, S. 156 Gunnarr, S. 157
Thordhr Gellir. — Korm. C. 9, S. 76 Thor dis, die Zauberin,
welche die Heirath Komaks mit Helga, Bersis Schwester, rück
gängig macht. — Njala C. 39, 1 Thordhr, der Erzieher der
Söhne Njals, der im Hause desselben lebt, dessen Tödtung
auf Anstiften Hallgerdhs schwere Verwicklungen herbeiführt.
Der Hausstand Njals war schon C. 20 vorgeführt worden. —
C. 34, 1 Thrainn, der Verwandte Gunnars, dessen Familie
wir C. 18. 19 kennen gelernt haben, eine sehr wichtige Person.
— C. 124, 17 Die alte Frau im Hause Njals, welche die Un
krautgarbe schlägt, weil sie dem Hause Unglück bringen werde.
Es werden aber auch ausserhalb der Programme Personen
zunächst nur zuständlich eingeführt, um später verwerthet zu
werden.
Dropl. S. 29 Im Hause Helgis lebt der blinde, aber
starke Arnorr. Bei der Ermordung Helgis durch Grimr hätte
er diesen beinahe gefangen.
Finnb. S. 59 Jökull, der Sohn Ingimunds, ist mit dem
bösen Thorarinn befreundet. Dieser spielt in dem Kampfe
zwischen Jökull und Finnbogi seine Rolle S. 65 f. — S. 60
Dass Thorgrimr einen so grossen und starken Hirten hat wie
Svartr, ist in dem bald darauf erzählten Kampfe Jökuls mit
Thorkell diesem sehr nützlich.
Korm. C. 6, S. 54 Thorkell ist der Bruder Steingerdhs, ivar
auf Reisen, ist deshalb in dem kurzen Programm von Stein
gerdhs Familie, C. 3, S:9, nicht erwähnt, lebt aber zur Zeit der
Verlobung Steingerdhs mit Kormakr im älterlichen Hause C. 6,
S. 54. In Handlung tritt er erst C. 13, S. 134, indem er die
Sache seiner Schwester gegen deren Mann Bersi führt. —
C. 22, S. 204 Thorolfr, der Mann der Zauberin Thordis, die
schon seit C. 9, S. 76 bekannt ist, wird hier eingeführt, und
tritt C. 23, S. 220 in Handlung.
Vapnf. S. 22 Bei Gelegenheit der Nachforschungen
Bjarnis nach Thorkell wird der Arzt Thorvardhr erwähnt.
Weiter unten tritt er in die Handlung ein.
18*
276
Heinzei.
b. Sachen.
Ebenso wie Personen werden auch Sachen oft beträcht
lich früher eingeführt, als sie in einer Begebenheit Verwendung
finden. 1 S. oben S. 204 ff.
Dropl. S. 29 Dass Grimr keine Schuhe anhatte und einen
Knüttel in der Hand trug, kommt ihm bei der Ermordung
Helgis S. 30 zu statten.
Eigla C. 72, S. 529, C. 77, S. 580 Die Beschreibungen
der Bodenbeschaffenheit von Friesland und Vermeland sind
wichtig für die folgenden Erzählungen von Egils Thaten und
Abenteuern in diesen Ländern.
Eir. N. S. 545 Die Wildheit des Viehes ist, wie sich
später zeigt, für das Schicksal der Colonie nicht unwichtig. —
S. 547 Freydis geht barfuss bei starkem Morgenthau zu den
Brüdern. Dadurch bekommt sie kalte Füsse und benetzt ihr
Gewand, so dass ihre spätere Lüge, sie sei misshandelt und
in den Bach geworfen worden, bei ihrem Manne Glauben findet.
Eyrb. S. 66 Der Golf ist zugefroren. Es kann also der
Spion über denselben rasch zu Snorri gelangen und ihn von
Arnkels Treiben unterrichten. — S. 69 Dass es Sitte der
Kaufleute von damals war, selbst zu kochen, wird S. 70 ver
wertet bei dem Streite zwischen Arnbjörn und Thorleifr.
Thorleifr wirft Arnbjörns Kochtopf um. — S. 71 Arnbjörn
hält nichts auf elegante Kleidung, und S. 75 bei dem Angriffe
der Söhne Thorbrands auf Arnbjörn ist heiteres, klares Wetter.
So konnten die Breidlivikinger sehen, dass im Hofe Arnbjörns
ein Mann in gewählter Kleidung stand. Und da diess nicht
die Gewohnheit Arnbjörns war, so vermuthen sie Gefahr und
eilen zu ihm.
Finnb. S. 68 Raudhr hat ein schönes Schiff, das nimmt
Gunnbjöru, nachdem er Raudhr im Ringkampf besiegt und
getödtet hat, für sich.
Floam. S. 157, 29 Am Strande sind Gruben. S. 158, 6
fällt Asgrimr in eine derselben hinein. — S. 158, 2 Thorgils
hat eine Axt in der Hand, als er zum Strande herabreitet.
Beschreibung der isländischen Saga. III.
277
Mit dieser schneidet er dann das Tau entzwei, an welchem
Asgrimr das Schiff zieht.
Gisl. S. 4 Im Hause Thorbjörns sind die Stücke des
Schwertes Grasidha. Bei der Erbtheilung S. 17 nimmt Thor
keil alles bewegliche Gut, also auch die zerbrochene Waffe.
Aus ihr lässt er S. 18 die Lanze Grasidha schmieden, mit der
Thorgrimr Vesteinn tödtet S. 22. — S. 27 Der Fussboden bei
Thorgrimr ist mit Schilf bestreut, das macht sich Gisli bei
der Ermordung Thorgrims zu Nutze.
Gluma S. 361 Der zweifarbige Mantel Skutas ist ihm
später im Kampfe mit Glumr nützlich.
Grettla C. 35, S. 83 Die Querwand des Hauses, in
welchem Grettir auf den ,WidergängeU Glamr wartet, ist durch
brochen. Dadurch ist es Grettir möglich, Glamr schon im
ersten Zimmer zu sehen. — C. 35, S. 85 Bei dem Kampfe
zwischen Grettir und Glamr leuchtet der Mond hinter Läm-
merwolken hervor. So kam es, dass Grettir auf einmal das
scheussliche Gesicht seines Gegners zu sehen bekam und fast
ohnmächtig wurde. — C. 40, S. 95 Der Helm des Berserkers
war nicht zugebunden. Das erleichtert im Folgenden Grettir
den Sieg. — C. 48, S. 109 Thorbjörn und sein Sohn haben
keinen Helm. So kommt es, dass Grettir in dem darauf fol
genden Kampfe Beiden das Haupt spaltet.
Hav. S. 25 Die Schuhe der Söhne Valbrands, welche sie
bei der Heuarbeit ausgezo'gen und an die Sonne gestellt hatten,
waren hoch, Halbstiefel. Als sie dann im Eifer der Einladung
Havardhs zu folgen rasch hineinfuhren, rissen sie sich die Haut
von den Fersen ab.
Heidh. S. 318 Dass die von Thorarinn gestohlenen Pferde
Schimmel mit schwarzen Ohren waren, ist wichtig, wie S. 333 t.
zeigt. Es mussten nach der Absicht Thorarins auffallende
Thiere sein, über deren Verschwinden viel gesprochen werden
sollte.
Hrafnk. S. 8 Bei der Suche Einars nach den Schafen ist
es schönes Wetter. Dieser Umstand erklärt es, dass Freyfaxi
in Schweiss gerätli und so kund giebt, dass er geritten worden.
Haens. S. 135 Als Blundketill von Thorir Heu kaufen
will, ist schlechtes Wetter. Trotzdem lässt ihn Thorir vor dem
Hause stehen. — S. 157 Als Thorkell zu Gunnarr kommt,
278
Hei nz el.
bläst ein scharfer Wind. Trotzdem zwingt Thorkeil Gunnarr
herauszukommen und sich zu ihm zu setzen. Von einem
,trotzdem'' ist natürlich keine Spur im Original.
Korm. C. 5, S. 38 An der Thüre Thorkels pflegt eine
Sense und ein Schwert zu hängen. Als Kormakr dann eintritt,
fällt die Sense auf das Schwert und beschädigt es. Dadurch
bekommt Thorkeil, der ohnediess schon Kormakr gram ist
wegen dessen Liebesverhältniss mit seiner Tochter Steingerdhr,
Gelegenheit, gegen ihn loszubrechen.
Laxd. C. 75, S. 322 Halldorr hat seinen Mantel mit einer
Spange zugemacht. Thorkell und Thorsteinn, die ihn zu einem
Geschäft bereden wollen, setzen sich zu beiden Seiten auf
seinen Mantel. Er will nichts von dem Handel wissen, springt
auf und die Spange bricht.
Ljosv. S. 61 Im Hause Thorkels steht ein Schaff voll
Milch. In dem nun folgenden Kampfe zwischen Thorkell und
Gudhmundr fällt dieser hinein. — S. 91 Eyjolfr hat seinen
Ziehvater im Hause. Dieser deutet ihm dann einen Traum.
Reykd. S. 309 Skuta hat einen zweifarbigen Mantel an.
Das kommt ihm dann im Kampfe mit Glumr zu Statten. S. oben
Gluma S. 361.
Daneben erscheinen Sachen aber auch erst bei den Be
gebenheiten, in welchen sie eine Rolle spielen. — Hardh. S. 112
Dass Refr die Gewohnheit hatte, zweimal vor Nacht um das
Haus herum leuchten zu lassen, wird erst angeführt, als es
geschieht. — Hrafnk. S. 11 Im Glauben, dass es Unglück
bringt, sein Gelübde nicht zu halten, tödtet Hrafnkell Einarr. —
S. 39 Die Bodenbeschaffenheit wird erst bei dem Wege, welchen
Eyvindr und Hrafnkell zu machen haben, angeführt. — Njala
C. 30, 104 Der Querbalken auf dem Schiffe wird erst wäh
rend des Kampfes erwähnt. — C. 53, 16 Dass Otkell Sporen
trug, erfahren wir erst, als er Gunnarr niederreitet und ihm
dabei mit den Sporen das Ohr verletzt. — 0. 124, 123 Die
Unkrautgarbe, welche die Alte verflucht, wird erst erwähnt,
als diess geschieht (hon — gekk upp um hils eptir ok at arfa-
sdtu einni, er thar stödh). — C. 129, 85 Es lag eine Ochsen
haut im Hause Njals. Diese wird sofort beim Brand als Decke
verwendet.
Beschreibung der isländischen Saga. III.
279
Auf die Gewohnheit, Zuständliches von Personen, körper
liche, geistige Eigenschaften bei einem wichtigen Vorgang
zu wiederholen, ist schon oben unter 1, S. 270 verwiesen
worden.
Hiebei wird mitunter auf eigenthiimliche Weise etwas
Zuständliches so in eine Begebenheit eingeschaltet, dass die
Begebenheit zweimal vor- und nachher erzählt wird. Fostbr.
S. 82 ,Auf das Zureden Skufs ging Tkormodhr nach Bratta-
hlidh. Skufr wohnte auf Stokkanes im Eiriksfjordhr gegenüber
von Brattahlidh. Bei ihm wohnte ein Mann Namens Bjarni usw.
Thormodhr ging nach Brattahlidh.' S. oben Cap. II, S. 233 ff. 254.
Gewöhnlich wird Zuständliches vor den Vorgängen, in
welchen es eine Rolle spielt, erzählt. Es kann aber auch nach
getragen werden. S. oben S. 203 ff.
Bjarn. S. 8 Dass Thordhr fünfzehn Jahre älter war als
Björn, erfahren wir erst nach seiner Unterredung mit Björn, in
welcher er diesem gegenüber seine Ueberlegenheit gezeigt hat.
Dropl. S. 10 Helgi räth Hrafnkell zu An zu gehen, denn
er war mit An befreundet. — S. 18 Flosi bittet Thorkell, mit
viel Leuten zu ihm zu kommen, denn er wollte Arnorr für
rechtlos erklären lassen.
Eir. W. S. 97 Einarr nimmt die Einladung Orms an,
denn sie waren befreundet.
Eyrb. S. 48 Die Berserker waren nach dem Wegbau sehr
müde, wie dies bei Leuten dieser Art üblich ist. — S. 57
Arnkell hielt ein Fest und es war seine Gewohnheit, Ulfarr
zu allen Festen einzuladen. — S. 86 Freysteinn sprang Thor-
leifr nach; denn er hatte Steigeisen an. — Freysteinn sagte,
er wäre nicht verwundet; er trug nämlich einen Filzhut.
Finnb. S. 5 Gestr lebte in hartem Ehejoch, denn er war
ein erbärmlicher Wicht.
Fostbr. S. 32 Bersi heilte Thormodhr, denn er war ein
guter Arzt. — S. 84 Lodhinn kommt in die Stube, da waren
nur Thormodhr und Bjarni.
Gisl. S. 38 Gisli geht auf den Berg und verbindet seine
Wunde, während Börkr und die Seinen auf dem Hofe sind.
Gluma S. 381 Glumr nennt einen unbekannten Mann
Thundarbenda: er hatte nämlich einen Sclaven dieses Namens.
280
Heinz el.
Grettla C. 36, S. 86 Thorbjörn gab ein grosses Fest; das
war während Grettir nach Vatnsdalr reiste. — C. 64, S. 148
Bei Thorstein fängt es zu spuken an. Das war zwei Jahre
bevor Grettir in den Norden kam. -— C. 84, S. 186 Nach
Grettis Tod eine kurze Chronologie seines Lebens.
Gullth. S. 67 Thorir und Steinolfr sind Feinde, denn sie
waren im Streite über Steinolfsdalr.
Heidh. S. 330 Bardhi wies ihm diesen Widder zu, weil
er schwerer zu fangen war. — S. 342 Bardhi that, was seine
Ziehmutter wollte, weil er sie sehr liebte.
Korm. C. 15, S. 164 Bersi tödtet Thorarinn, erst später
wird gesagt, dass Steinvör ihm unterdess seine drei Lanzen
gehalten habe.
Laxd. C. 41, S. 182 Bolli spielt auf ein Liebesverhält-
niss zwischen Kjartan und Ingibjörg, der Schwester des Königs,
an. Sie lebte damals am Hofe des Königs Olafr.
Ljosv. S. 92 Ein Bote bringt eine Einladung von Thor-
gerdhr. Nun erst wird gesagt, wer sie war.
Njala C. 24, 10 Gunnarr beginnt die Verhandlung auf
dem Thing. Njall war nicht anwesend. — C. 77, 4 Gunnarr
erwacht von dem Geheul des Hundes und merkt, dass die Feinde
nahen. Nun erst wird gesagt, wo er und die Seinen zu schlafen
pflegten. — C. 102, 73 Thangbrands Schiff scheiterte; es
hiess Visundr.
Thorst. S. 171, 20 Nach Erzählung der Brjansschlacht,
in welcher Thorstein mitgefochten, wird berichtet, dass er da
mals zwanzig Jahre alt gewesen sei.
Also selbst Personen können so nachgetragen werden
Laxd. C. 41, S. 182, Ljosv. S. 92.
B. Vorgänge.
Die chronologische Ordnung erscheint mitunter gestört,
es wird zurückgegriffen. S. oben Cap. II, S. 197 ff.
Wo Gleichzeitiges erzählt wird, ist dies natürlich noth-
wendig. S. oben Cap. II, S. 203 ff.
Dazu kommen noch Fälle, wo weiter zurückgegriffen
wird und wo die Beziehung auf gleichzeitige Ereignisse der
Beschreibung der isländischen Saga. III.
281
Saga noch undeutlicher wird als in den Fällen Cap. II, S. 246 ff.
Mitunter ist sie sogar unmöglich, wenn die nachgetragene Be
gebenheit vor den Anfang der Saga tritt.
Dropl. S. 18 Die Erzählung von einem Streite zwischen
den beiden Helgi wird eingeleitet. ,Vor einigen Jahren (that
var nockuruni vetrum fyrr).
Eigla C. 31, S. 146 ff. wird von den Kindern Skalla-
grims erzählt und deren Entwicklung bei Thorolfr bis zu
seinen Jünglingsjahren, bei Egill bis in das Knabenalter kurz
geschildert. Dann heisst es, in diesem Frühjahr lud Yngvarr
Skallagrimr und dessen Familie zu sieh ein. Das kann kein
andrer Frühling sein als der C. 30, S. 140 erwähnte, in wel
chem Yngvarr, der vorigen Herbst nach Island gekommen
war und den Winter bei Skallagrimr verbracht hatte, sich
einen eigenen Hof gründet. Es wird also bei Thorolfr um
viele Jahre zurückgegriffen. Denn zwischen seiner und Egils
Geburt fällt die zweier Töchter. — C. 73, S. 535 Politischer
Rückblick.
Finnb. S. 5 Die früheren Schicksale der Syrpa, dass sie
Ziehmutter der Thorgerdhr gewesen, dass diese, als sie heira-
thete, sie ins Haus genommen habe. Aber zu Beginn der
Saga hat Thorgerdhr schon eine mannbare Tochter.
Heidh. S. 367 Dass Eyjolfr den Söhnen Gudhmunds in
Norwegen einmal eine Beleidigung angethan habe.
Ljosv. S. 50 Eine Geschichte aus den Kinderjahren
Gudhmunds und Einars wird nachgetragen, während sie bei
Beginn der Saga schon reife Männer sind.
Njala S. 119, 152 Die fabelhaften Heldenthaten Thorkels
auf dem Festlande.
Reykd. S. 231 Dass Nattfari sich eher, das ist vor dem
Zeitpunkt, in welchem die Saga beginnt, das Reykjarthal zu
geeignet hatte. — S. 232 Dass Mylaugr dem Eysteinn früher
oft Holz geliefert habe, ohne Bezahlung zu erhalten.
Svarfd. S. 177 Dass Jemand seine Handschuhe vorher
auf den Platz gelegt hatte, wo Karl sich setzte.
Vor den Beginn der Saga gehen dann auch die zahlreichen
allerdings kurzen Berichte über die Vorfahren der Helden,
oder über die Männer, welche mit ihnen zugleich nach Island
282
Heinzei.
gekommen, zurück. S. z. B. Eigla C. 28, Gullth. S. 41,
Vapnf. S. 3.
Eine Abweichung von der Chronologie wird einmal aus
drücklich als solche hervorgehoben. Vatnsd. S. 61, 14 Thor-
steinn stirbt. ,Obwohl die Saga eher den Tod Thorsteins erzählt,
so war doch unter den Brüdern Jökull zuerst gestorben' (en
ihö at fyrr segi lifldt Thorsteins, thä lezt Jökull fyrstr theirra
hroedhra).
Oder es wird vorgegriffen durch kurze Verweisungen auf
Zukünftiges.
Bjarn. S. 19 Geschichte von dem Strumpfband König
Olafs, das Björn aus Versehen benutzt hatte. Er trug es sein
ganzes Leben und Hess sich damit begraben. Als seine Ge
beine in eine andre Kirche übertragen wurden, war alles ver
west, nur das Strumpfband nicht.
Eigla C. 80, S. 598 Egils Tochter, Thorgerdhr, heirathet
Olafr pa. Es werden sogleich sämmtliche Kinder angeführt,
welche dieser Ehe entsprossen, auch die Männer der Töchter
und deren Kindei - .
Eir. W. S. 119 Thorgunna erklärt Leifr, sie sei schwanger
und werde ihm ein Kind nach Grönland nachschicken. Nun
sogleich, dass das ein Knabe war, Namens Thorgils, der in
der That nach Grönland kam und dort manches wunderbare
erlebte.
Eyrb. S. 52 Björn hat Island verlassen, seine Schicksale
in Jomsburg werden kurz angedeutet.
Finnb. S. 71 Finnbogi wird ein Sohn Asbjörn geboren.
Nun gleich dessen Leben, Heirath, Nachkommen.
Floam. S. 126, 24 Spätere Schicksale Ölvis.
Fostbr. S. 47 Spätere Schicksale des Schmiedes und
Diebes Veglagr.
Gisl. S. 32 Börkr heirathet Thordis, die Witwe seines
Bruders Thorgrimr. Sie ist schwanger von ihrem ersten
Manne und gebiert einen Sohn, der erst Thorgrimr genannt
wird, dann, als sein Charakter sich entwickelt, Snorri, der
berühmte Gode.
Beschreibung der isländischen Saga. III.
283
Grettla C. 14, S. 22 Die Kinder Asmunds werden auf
gezählt und bei den Töchtern gleich ihre späteren Männer
und Söhne erwähnt. — C. 27, S. 65 Es entstand bei dieser
Gelegenheit eine Missstimmung zwischen Thorgeirr und Gautr,
die später zum Ausbruch kam (sem sidhar bar raun d). —
C. 30, S. 72 Bei dieser Gelegenheit entstand Feindschaft zwi
schen den Bjargsmännern und Thorbjörn, wie sich später zeigte
(sem sidhar Jcvam fr am).
Gullth. S. 41 Im Programm wird Vigbjodhr erwähnt,
der Vater Steins, von dem die Hitdaeler und Skognesinger
abstammen (er Hitdaelir ok Skögnesingar eru fram komnir).
— S. 49 Agnarr prophezeite ihm viele Dinge, die später ein
trafen (hluti thd, er fram kömu sidhar). — S. 75 Mitten in
einer Kampf beschreib ung: Hallr hieb Asmundr den Kopf ab
und er wurde an der Stelle begraben (var kann thar dysjadhr,
ok heitir thar Asmundarhväll).
Laxd. C. 22, S. 88 Die Schilderung Lambis, des Sohnes
Thorbjörns und Melkorkas geht auf den Erwachsenen.
Ljosv. S. 35 Aussöhnung zwischen Thorkeil, dem Sohne
Geitis, und Bjarni, Broddhelgis Sohn. ,Sie hielten auch den
Vergleich in späteren Zeiten wie es sich gebührte' (ok heldu
thd säet vel ok drengiliga sidhan).
Njala C. 77, 135 Thorvaldr, der am Hestlaekr auf
Grimsnes getödtet wurde; nämlich C. 102, 62. — C. 96, 11 ,Kolr,
den Kari in England erschlug' (Kohr, er Kdri vegr d Bretlandi).
Das geschieht erst C. 158, 22. — C. 101, 9 ,Sein Sohn war
Glumr, der mit Flosi sich am Hausbrande betheiligte', näm
lich an der Verbrennung Njals C. 129. — C. 105, 42 Dass
auch die heimliche Uebung des Heidenthums nach wenigen
Jahren verboten wurde. — C. 106, 34 Amundi wird wieder
blind, nachdem er Lytingr erschlagen und blieb es sein ganzes
Leben (ok var kann alla aefi blindr sidhan).
Reykd. C. 231 Von Eyvindr wird gleich, nachdem seine
Ankunft in Island und seine Ansiedlung erzählt worden war,
gesagt, dass er auf seinem Hofe Helgastadhir auch begraben
wurde. — S. 304 Skuta heirathet Thorlaug. Nun sofort, dass
sie nach seinem Tode noch zwei Männer geheirathet haben soll.
284
Heinzei.
Svarfd. S. 150 ,Es kamen da gewaltige Ereignisse über
ihn, wie es sich später zeigte' (ihm mj'ok har d hann störum,
sem sidhan bar raun d).
Vatnsd. S. 23, 19 Bei Gelegenheit der Geburt des ersten
Kindes werden auch gleich alle späteren Söhne und Töchter
Ingimunds und Vigdis’ erwähnt und charakterisirt, auch Thordis
S. 24, 4 obwohl sie in der Erzählung erst 26, 2 geboren wird.
Steigerung. In der Aufeinanderfolge der Begebenheiten,
welche zu einem grossen Conflict führen, sehen wir häutig den
Weg von kleinerem zu grösserem eingehalten. Das deutlichste
Beispiel bieten in Njala die Streitigkeiten zwischen Hallgerdhr
und Bergthora. Erst fallen Sclaven, dann Knechte, dann
immer angesehenere Personen als Opfer dieser Verwicklungen.
Aber auch die Streitigkeiten zwischen Oddr und Uspakr in
Band, haben einen unscheinbaren Anfang, ebenso zwischen
den beiden Helgis in Dropl., ebenso in Gisl. der Conflict
zwischen Vesteinn und Thorgrimr, in Ilav. zwischen Thorbjörn
und Havardhr, in Ljosv. zwischen Gudhmundr und Thorir
und Thorkeil, in Thorst. zwischen Thorsteinn und Thorhaddr.
Steigerungen im Einzelnen s. oben C. II, S. 258, bei den
Parallelen Bjarn. S. 68, Dropl. S. 22, Gisl. S. 12. 22, Heidh.
S. 350, Haens. S. 155, Laxd. C. 75, S. 322, Njala C. 116.
0. Zu Zuständlichem und Vorgängen,
Es können bei späteren Erwähnungen Einzelheiten eines
Umstandes als bekannt angenommen werden, von denen bei
der ersten Erwähnung nicht die Rede war.
Dropl. S. 9 f. Unter Thoris Knechten wird nur einer
Thorgrimr genannt, welcher eine beleidigende Aeusserung über
Droplaug macht. Als deren Söhne auf Rache ausziehen und
sich in Thoris Haus nach den Knechten erkundigen, heisst es
Thorgrimr und Asmundr seien heuen gegangen. Von diesem
Asmundr, der dann auch bei der Tödtung Thorgrims erwähnt
wird, war früher nie die Rede. Vgl. oben S. 220. 226. 232 f
Beschreibung der isländischen Saga III.
285
Gisl. S. 19 Gisli schickt seine Knechte Hallvardhr und
Havardhr Yesteinn entgegen. Bei der Schilderung ihrer Reise
und später S. 21 werden sie Brüder genannt (in der zweiten
Fassung S. 102. 105 nicht). — S. 31 macht Thorgrimr nef
einen Zauber, dass der Mann, welcher den Goden Thorgrimr
erschlagen habe, bei Niemanden solle Schutz finden können
(at theim mann yrdhe, ekki at björg, iho at menn vilde dugu
komm). S. 50 heisst es, er habe dabei den Zusatz gebraucht
,auf dem Lande* (iho at menn byrgi honum her d lande). Bezieht
sich auf die Insel, wo Gisli in der That den Nachstellungen
der Feinde entgeht.
Gluma S. 366 f. Was der Knecht berichtet, im Streit
mit Vigfuss habe Bardhr den Ausdruck ,Taugenichts* (ills
efni) gebraucht, kommt in der Erzählung des Streites nicht
vor. — S. 368 f. Der Hirte, erzählt Bardhr, sei im Walde
und habe einen grünen Rock an und einen Schild an der
Seite. Davon ist bei der Erzählung von Bardhs Weg in den
Wald nicht die Rede.
Grettla C. 32, S. 77 f. Die Knechte finden den Boden
zertreten, als ob da zwei gerungen hätten. In ihrem Berichte
heisst es, sie hätten Fussspuren so gross wie einen Fassboden
gefunden. — C. 91, S. 200 f. Spes bittet Dromundr, ihr ein
Zeichen (vzsbending) zu geben, wenn er glücklich entkommen
sei. Er thut das mit einem brennenden Scheit ,denn sie
hatten das früher so verabredet' (ihvl at thau höfdhu thetta
rddh gj'ört medli ser).
Laxd. C. 15, S. 45 f. Von den Wahrzeichen, welche
Asgautr Thorolfr von Vigdis bringt, erfahren wir bei dem
Auftrag der Vigdis nichts.
Ljosv. S. 45 Thorir verspricht Thorir, dem Sohne Helgis,
em Geschenk (vingjafir). S. 47 f. zeigt es sich, dass es
dreissig Böcke waren. — S. 54 f. Ein Kind trieb sich in
der Kirche herum in der Nähe Gudhmunds, der mit verhülltem
Haupte dasass, ok fretadhi. Einige Männer lachten dazu. Einarr
sagt dann zu Thorir: ,Hast du nicht bemerkt, dass die Zotten
an Gudhmunds Mantel sich bewegten und er lachte*? Er schliesst
daraus, dass Gudhmunds Traurigkeit nur Verstellung sei.
Njala C. 3, S. 34 ff. Gunnhildr beauftragt den Boten in
directer Rede ihr zu melden, wann Hrutr zu Hofe käme. Der
286
H e inzel.
Bote aber gibt Hrutr ausführliche Anweisung, wie er sich bei
Hofe benehmen solle, indem er die Worte der Königin wieder
in directer Rede citirt, und bringt ihm Kleider als Geschenk
der Königin (ok eru hjer klaedhi, ei' dröttningin sendir thjer). —
C. 50, 52. 51, 8 Gunnarr berichtet Hrutr und Höskuldr, Njall
lasse ihnen sagen, er sei mit ihnen einverstanden. Davon ist
an der ersten Stelle, wo Njall und Gunnarr sich besprechen,
nicht die Rede. Vielleicht bezieht sich die Aeusserung auf eine
gar nicht berichtete Unterredung zwischen Njall und Gunnarr.
Njardhv. S. 380 Gunnarr zeigt Helgi Wahrzeichen, welche
er von Sveinki für Gunnarr erhalten hat. Die waren bei dem
Rath, welchen Sveinki gibt, Helgi aufzusuchen, nicht erwähnt
worden. S. oben Laxd. C. 15, S. 45.
Svarfd. S. 177 An dem Platz, wo Karl sich setzte, hatte
früher Jemand (madhr) seine Handschuhe hingelegt. ,Da ging
Thorkell zu ihm (Karl) hin' und bietet ihm die Handschuhe
zum Geschenke an (Thd gekk Thorkell at Tionuni usw.).
Vatnsd. S. 4, 6 wird Thorsteinn von seinem Vater ge
scholten, doch der Ausdruck, er sei wie ein Weib, dessen sich
Thorstein S. 6, 23 erinnert, kommt nicht vor. — S. 18, 9 gibt
der König Thorstein einen Talisman, aber dass darauf das Bild
des Gottes Freyr sich befand, wie aus S. 6, 32 hervorgeht,
wird nicht gesagt. — S. 41, 31 Der Diener Thorsteins kommt
zu Hrolleifs Haus, klopft an das Thor. Nach längerer Zeit
wird ihm von einem Knechte geöffnet, mit dem er sich in ein
Gespräch einlässt. Aber in dem Bericht an Thorsteinn S. 42, 4
sagt er auch, er sei ins Haus hineingegangen, habe da ein
frisch angezündetes Feuer gesehen und ein grosses Bündel,
aus dem rother Stoff hervorschien.
IY. S p r a c li e.
Ich muss mich mit einigen Andeutungen begnügen.
Im sprachlichen Ausdruck zeigen die einzelnen Sagas
merkliche Verschiedenheiten. Von der Abgebrochenheit, Kurz-
athmigkeit, Dunkelheit des Ausdrucks in Dropl., Heidh., Korm.
führen viele Uebergänge zu der Fülle des Njala, dem Fluss
Beschreibung der isländischen Saga. IV.
287
in Eyrb. und Laxd. Aber Fostbr. steht durch ihre wortreichen
Perioden und poetischen Ausdrücke — die an Uebersetzungen
aus mittelalterlichem Latein erinnern, z. B. der Olafssaga des
Mönches Oddr, — ganz vereinsamt. Es ist die einzige unter
den Sagas, welche deutlich den Einfluss der südeuropäischen
Cultur zeigt. Es ist ja auch die einzige, in welcher der Ver
fasser mit seiner Person und seinem — allerdings eigen
artigen — Christenthum entschieden hervortritt. Aber sie gehört
keineswegs zu den jüngsten.
Im Grossen und Ganzen ist Einfachheit und eine gewisse
Lässigkeit, welche an mündliche Erzählung erinnert, charakte
ristisch für den Stil unserer Sagas. 1
Wiederholungen — derselben Phrase s. oben Cap. II,
S. 233. 254.
Sehr häufig steht das nominale Subject, welches im ersten
Satz gebraucht worden war, auch im zweiten, obwohl ein Pro
nomen ganz unzweideutig wäre.
Eigla C. 22, S. 87 Haralldr konungr sat at Hlaudhum,
er their braedhr föro d hurt, ok jafnskjött bjozt kgnungr sem
skyndiligast.
Eyrb. S. 78 ok stefnir Egill tliangat ok liafdhi stirdhnat
mjölc d fjallinu, ok sidhan legit eptir i skardhinu. Egill liafdhi
sküfadha skothvengi —.
Fostbr. S. 84 Lodhinn var i selskinnstakki ok selskinns-
hrdkum. Thd kemr Lodhinn i stufu —. — S. 102 Ljotr
maelti: Likan segir thü kann Thormddhi sakaddlgi vorum. Nü
gengr Ljdtr fr am —.
Grettla C. 49, S. 111 Spjötidh that, sem Grettir liafdhi
ty nf , fannst eigi fyrr enn i theirra manna dögum er nü Ufa.
That spjot fannst —.
Haens. S. 150 Thörir maelti: er litill mdttrinn, föstri
minn? Thd rir rettist thd frd lionum.
Laxd. C. 74, S. 31G That er sagt eitt sinn, at Thorkeil
sagdhi Gudhrünu draum sinn: That dreymdi raik, sagdi liann,
at ek thdttumst eiga skegg svd mikit, at taeki um allan Breidha-
fjörd. Thorkeil hadh ha,na rddha drauminn.
1 S. Möbius, Ueber die altnordische Sprache S. 28, Döring a. a. O. S. 37.
288
H e i n 7. e 1.
Ljosv. S. 42 JTnmti Gudhmundr til sin tvd me»i, ok
tölc sök d hönd Akrathöri, en Gudhmundr gaf Helga gödhir
gjafar. — S. 47 Gudhmundr var fjölmennr, ok var enginn
mannafli i möt. Gudhmundr hddhi ferdnsddm. — S. 91 Eyjölfr
at.ti ser fdstra. Eyjölfr var hljödhv mjök —.
Njala C. 149, S. 34 Flosi hafdhi ok af austmanninum
, tnttugu Jiundrudh vöru, ok vardh that i kaup theira. Reidh
Flosi thar aptr. — C. 151, 63 Kdri brd upp vidh faetinum,
ok kom spjötit i völlinn. Kdri hljöp d spjötiskaptit, ok braut i
sundr. Kdri threif Ketil hönd,um.
Vatnsd. S. 77, 23 Thor keil var skirdhr tlid, er kristni
var lögtekin d lslandi, ok allir Vatnsdaelar. Thorkeil var
mikill höfdhingi —.
Die Sätze werden häufig’ durch ein pronominales Subject
eingeleitet, wo ein .und' genügte. Z. B. Laxd. C. 40, S. 162
Äsgeirr het madhr — hann bjö at Äsgeirsd i Vidhidal, bann
var son Audhunnar skökuls; hann kom. fyst sinna kynsmanna
til Islands; hann nam Vidhidal, — oder C. 54, S. 238 Madhr het
Thorsteinn svarti, hann bjö i Hundadal i Breidhajjardhar-
dölum —; hann hafdhi verit langan tima vinr Olafs pa. Das
Pronomen muss sehr geringen Satzton gehabt haben.
,Ellipsen.' — Der Indicativ und Conjunctiv der Auxi-
liaria vera, hafa kann fehlen. S. Lund § 185.
Vera.
Band. S. 15 t.hvi at mer synizt Odd nag naudhsyn til reka,
at maela eptir slikan mann, sem Vdli var; ok sd madhr fynr
hafdhr, at ek aetla at se hinn vesti madhr. — S. 24 er mer
sagt, at tim sparir vidh engan mann mat, ok ser rausnarmadhr,
ok okkr se ekki ülikt farit; hvdrrtveggi madhrinn aettstörr
ok gödhr af sinu, en uhoegr fjdrhagrinn. — S. 24 Thvl at thu
ert höfdhingi mickill, — en ek litilmenni. — S. 28 f. thvi at
eigi hafa their til bodhizt, at baedhi se störaudhgir ok haß
stadhfestur gödhar, kynrikir ok vel mannadhir sjdlfir.
Dropl. S. 13 thd gerdhist thröng mikil ok buit vidh bar-
daga. — S. 19 Helgi spretti af ser belti gödhu ok thar a
Beschreibung der isländischen Saga. IY.
289
knifr buinn. — S. 25 fimrn menn höfdhu bann af lidhi Helga,
en sdrir allir adhrir.
Eyrb. S. 81 ok er svd sagt, at kann vaeri i raudhum
kyrtli, ok hafdhi drepit upp fyrir hwdhunum utidir beltidh;
bann hafdhi fagran skjöld ok hjälm, gyrdhr sverdhi, that var
forkunnliga büit; hjöltin vorn hvit fyrir silfri, ok vafidhr
silfri medlialkaflinn ok gyldar listur d. ■— S. 86 Hann
hafdhi vent t flökahettu, ok saumat i horn um hdlsinn.
Finnb. S. 47 Geck Finnbogi niedh väpnum, hafdhi hjalm
d höfdhi, skjöld d hlidh, ok gyrdhr sverdhi, spjöt i hendi. —
S. 51 hann thdtti vera illmenni mikit ok kalladhr eigi ein-
hamr. — S. 53 thau tidhendi af Noregi, at Ölafr konungr var
kominn i land ok bodhadhe sanna trü, en Hdkon af lifi tekinn.
Fostbr. S. 55 en (als bis) their Thorarinn flytja kaup-
skipit medh tveim bdtum thangat til skips theira Tliorgeirs, ok
allir herklaeddir.
Gluma S. 342 ek lief eigi frdleik til at reka i brott, en
verkmenn at vinnu.
Gullth. S. 42 ddttir Styrkdrs het Kerling, ok heldr marg-
kunnig. —• S. 68 Thd sd their sex menn vera fyrir mtilanum,
vöpnadhir.
Heidh. S. 325 thar büa broedhr tveir, het annarr Thöroddr,
Thorgisl annarr, ok vom Hermundarsynir ok broedhrungar
Bardha at fraendsemi, ok dttu gödha kosti fjdr, ok miklir
kappsmenn ok gödhir draedhis.
Njala C. 36, 94 Sjd madhr hafdhi spjöt i hendi — ok
gyrdhr saxi.
Vallal. S. 220 their hafa vigi nokkut, ok menn hardh-
snünir. — S. 226 ok munu ver illa verjast af smdskipunum,
menn eigi haldinordhir.
Hafa.
Eigla C. 25, S. 50 thar vdru komnir vinir theira ok kunning-
jar — ok tekit ser landskosti ok bustadhi d Islandi.
Finnb. S. 47 Finnbogi — hafdhi hjalm d höfdhi, skjöld d
hlidh, ok gyrdhr sverdhi, spjöt i hendi.
Fostbr. S. 36 Thorbjörg var kurteis kona ok ekki einkar
vaen, — svart har ok brjn.
Sitznngaljer. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft.
19
290
Heinzei.
Vallai. S. 218 en sjd m-ndhr er saklanss, en aldrei verit
vidh skipti manna her d landi.
Sehr häufig fehlen Pronomina, Präpositionalformeln, Par
tikeln, durch welche Beziehungen, Verbindungen, Gegensätze,
Begründungen ausgedrückt werden. 1 Uuzähligemal müssten
wir in einer fliessenden modernen Uebersetzung ein ,auch, da,
dann, wider, und zwar, eben, aber, dagegen, denn, dadurch,
davor, darauf usw. einschieben, Partikeln, welche im Islän
dischen natürlich wie überall existieren, nur in gewissen Pe
rioden und gewissen Litteraturgebieten sparsamer verwendet
werden als in anderen.
Nur ein paar Beispiele.
Einige der angeführten wörtlichen Wiederholungen ver
lieren einen Theil ihrer Befremdlichkeit, wenn man sich ein
ok oder enn hinzudenkt.
Ok. Gisl. S. 5 Bardhr het madlir; hann bjd thdr i Stirn-
adal; hann var ungr madlir ok hafdhe nytekit vidh födhurarfi
stimm; Kolbjörn het madhr er bjd ä Hellu i Sürnadal; hann
var ungr madhr ok liafdlii nytekit vidh födhurarfi sinum.
Enn. Gisl. S. 24 Thorkeil spurdhe Gisla: hversu berst
Audhr af um brddhiirdaudhann ? hvdrt graetr hon mj'dk? — Thor-
kell spurdhe thd: Hversu berst Audhr af um brödhurdaudlianni
hvdrt graetr hon mjök? — Wie Ileidh. wirklich steht S. 364
ok skekr at honum sverdhit — ok skekr thd enn at honum
sverdhit.
Ein Satztheil wird erst "durch ein Pronomen an
gedeutet, später folgt er als Nomen. S. Lund §. 190.
Sa.
Eyrb. S. 51 gengu their fastast at Thdrissynir.
Fostbr. S. 17 their töku hesta Tliorgeirr ok hans menn. —
S. 54 their gerdhu thd handtekna Kdlf oh Steindlf.
1 Unser moderner Sprachgebrauch ist in dieser Beziehung dem lateinischen
sehr ähnlich. Wie viel mehr im Lateinischen von den obengenannten
Beziehungen verlangt wird, sieht man z. B. aus den lateinischen Ueber-
setzungen der Sagas. In der grossen Ausgabe der Eigla sind die Zusätze
eingeklammert oder durch gesperrten Druck hervorgehoben.
Beschreibung der isländischen Saga. IV.
291
Gisl. S. 10 nü sitja tlieir vidli drykkju Syrdaeler.
Gullth. S. 68 f. ok letust tlieir thar bddliir fedhgar.
Hardh. S. 106 Nü töludhu tlieir um, höfdhingjarnir.
Heidh. S. 325 Nü eru tlieir rddhnir til farar broedhr
thrir. — S. 332 livat tlieir hjöludhust vidh Thörarinn ok Bardlii.
— S. 339 Nü sjd tlieir that broedhr. — S. 355 en tlieir sätu fyrir
ofan sköginn sex. — S. 357 thd vilja tlieir hlaupa heim til
tüngardhsins Ketill ok Gisli. — S 358 Nü er their hittast allir
förunautar.
Ljosv. S. 27 Thorbjörn var thar kndstr madhr frd Reykjum;
tlieir lekust vidh Brandr.
Njala C. 13, 49 ganga their üt gestirnir. — C. 118, 18
thd kvamu their eptir fraendr Njdls.
Reykd. S. 317 at, their koma at mdli vidh Thdrodd godlia
Eyvindarson fraenda sinn, synir Flatnefs.
Svarfd. S. 166 their vöru medh Ljötölß synir Asgeirs.
Vatnsd. S. 73, 18 their föru Vatnsdaelir.
Hann.
Band. S. 42 hleypr hann up Bjalfi.
Heidh. S. 348 er liön liafdhi Idtidh d hals honum kerl-
ingin. — S. 356 at hann Bardlii er Jcominn.
Ljosv. S. 35 ok synist mer nü, sem hann muni ekki thar
lengi gengit, hafa skaptamuninn.
Reykd. S. 303 en Mar rak d honum spjdtit Hdvardhi.
Verlassen der Construction. — Indicativ, Con-
junctiv, dann Infinitiv in abhängigen Sätzen.
Fostbr. S. 39 Muntu aldregi lieill verdha, nema thü fellir
mdhr thaer visur, — ok kenna ekki thetta kvaedhi ödhrum,
er tliü hefir um mik kvedliit. — S. 40 En thd er that nü mitt
rddh vidh tliik, at thü snüir aptr kvaedhinu d tliann hatt, sem
that var ort fyrir öndverdhn, ok eigna that kvedhi jamnan
Thorbj örgu.
Heidh. S. 390 nü segir Eyjolfr, at, hann mun fd theim
jammikil fe, sem land er vert, en hann eiga vidh hann.
Reykd. S. 317 nü segir hann Thorgrimi, at hann var heit-
hundinn i vidh thd braedlir, fraendr sinn, ok sonu Thöris flatnefs,
19*
292
Heinz el.
ok kunna at segja theim nokkut af liybylum Vigaskütu
at Myvatni, ok rddhit theim rddh til liefnda eptir
f ödhur sinn ok fraendr.
Vatnsd. S. 18, 23 ok hefdhi he.tr verit, at ihü hefdhir vier
fylgt i Hafrsfirdhi, ok thurfa nü eigi at fara i eydhisker
tlietta (sc. Island).
Auffällig- ist Vallal. S. 219 ok fer ek ekki thessa ferdh,
ok leggja virdhing vidh tliat, at saekja fram ok heim
brddhur minn (,Es wird euch tlieuer zu stehen kommen,
euren Feind im Hause meines Bruders aufzusuchen und an
zugreifend Fehlt skulu ther vor leggja, oder ist an das vorher
gehende rddh zu denken?).
Indirecte Rede wird direct.
Dass die indirecte Rede in die directe übergeht, ist eine
sehr gewöhnliche Erscheinung, wenn der erste Satz ganz
indirect —- auch in der Construction Acc. cum inf. —, der
zweite ganz direct ist. S. Lund §. 131; J. Grimm, Kleinere
Schriften 3, 279 Anm.; Döring Bemerkungen S. 31. In der
Weise: Ljosv. S. 43 Tökust. their ml i hendr at gudhs vitni,
at veitast at öllum malum, thvi that er makligast, ok svd gjördhu
their. — Vallal. S. 212 Far thü heim ok seg liessa, at Ljotr
t.hikkist eiga sind erendi vidh mik, ok d engi thörf tliin her at
vera. — Vatnsd. S. 29, 26 Thorsteinn frd Hofi körn til hans,
ok kvadhst eigi vilja hygdh hans thar, nema thü takir aniian
hdtt, en thü hefir ddhr, ella munu ver eigi lata kyrrt vera.
Aber es können auch in demselben Satze einzelne Theile
der ind'irecten, andere der directen Rede angehören.
Fostbr. S. 44 ok segir Thori, at menn vöro komnir üti,
their er thik vildu hitta. — S. 51 kann spyrr, hverr sveina hafi
a hrott horit skjöld minn ok spjot. — Gullth. S. 70 en hann
kvadh theim meira mundu fyrir verdha at standa yfir höfudh-
svördhum minum. — Hardh. S. 65 En er Torfi spurdhi thetta,
kvadh hann eingan sliks fyrr fyst hafa at gjöra slik ödaema-
verk vidh vini mina. 1
1 S. Hervarar saga (1847), S. 25 Sldhan for Heidhrekr heim ok kvnddi
things ok sagdhi dom fodliur sine, at hann doemdi sun min til bldts. —
Morkinskinna (1867), S. 18, 26 oc segir nü d thingino, at her ero orthin
Beschreibung der isländischen Saga. IY.
293
Am auffälligsten aber ist es, wenn ein Gedanke, welcher
der directen Rede einer Person der Saga angehört, vom Autor
in Erzählung des Autors umgesetzt, in der wieder eintretenden
directen Rede der Sagaperson aber vorausgesetzt wird.
Heidh. S. 322 Thorarinn sagt Bardhi in directer Rede,
welche Männer er einladen solle: Boer heitir d Bakka,
hann er fyrir ntan Hünavatn; thar bjö kona sii er Thördis
het, ok var köllut gefn, ok var ekkja. At rddhum var
medh henni madhr sä er Oddr het, kann var gyldr
madhr fyrir ser; ekki var kann einskostar fegöfugr
edlia aettstörr, thö var kann fraegr madlir; hann skaltu
bidhja fylgdhar med ther. Eine Reihe ganz gleicher Fälle bis
S. 324. — S. 325 Boer heitir i Vestrhöpi d Thernumyri; thar
biia broedhr tveir, het annarr Thor oddr, Thorgisl annarr,
ok voru Herrnundatfsynir ok bro.edhrungar Bardha at
fraendsemi, ok dttu gödha kosti fyrir, ok miklir kapps-
menn ok gödhir draedhis; their eru rädhnir til'farar med
ther. — S. 325 Enn eru nefndir broedhr tveir, er thar
vorn heima medh honum, ok het annarr Olafr en annarr
Dagr; their vorn, systriingar Bardha ok höfdhu upp
vaxit medh Gudhmundi; their eru rddhnir til farar medh
ther. Ebenso der nächste Satz.
Ljosv. S. 73 Hvn svarar: thann veg er mer um farit at,
sidhan ek fdr nordhan, at eigi komi ek thar svd büit; Thor-
steinn het madlir, ok var kalladhr drafli, hann bjö d
Draflastödhum; hann er nie nordhr, ok mun ek vera thar,
medhan övedhrdttan batnar ekki.
Die gewöhnliche Syntax in einem ganz analogen Fall
gibt z. B. Reykd. S. 263 thii skalt ok koma i Hörgärdal eptir
theim manni, er Gnupr heitir, hann byr d theim bae er d Oxn-
böli heitir.
wie vidh sic af rdthom Sveins iarls, oc mest van, at vidh thetta scrithni
värt felag. — Odds Olafssaga Tryggvasonar FMS. 10, 277 Ölafr
konungr — baclh thd jarlinn kjosa, hvdrt hann vill helldr sjd son sinn
hoggvinn firir augum ser, — edlia vill kann gera saett ok vingan vidh
m ek, ok taka thd son sinn i valid sitt. — Sachsenchronik ed. Earle S. 50
(ha cuaedon hie, tliaet hie hie tliaes ne onmundon thon ma the eowre
geferan (A). — Dha ewaedon hi thaet, thaet hi thaes ne gemundon thonne
via the heora geferan (E).
294
Heinzei.
Auch in indirecter Rede etwas ähnliches. Heidh. S. 829
ok gengr Bardhi fyrir Thördh melrakka ok maelti vidh kann,
leggr fyrir kann verk, kvat kann skal gera um aptaninn ok um
daginn eptir, lauaardaginn. Fjörir tigir sdtna vorn üfoer-
dhir saman i Asbjarnarnesi, ok that maelti Bardhi, at that
skal kann saman foera.
Zu scheiden von diesen Fällen sind wirkliche Parenthesen
des Autors. Heidh. S. 332 Nü maelti Thoravinn: her eru hestar
Tkördkar; skaitu fara ok foera konum, ok tkiggja eingi laun aj
honum fyrir, ok ei er thes vert, fyrir thvi at ek redh, er their
hurfu, ok hafa i minni vardhveizlu verit: ok var torsaett, at
theirra Tiefdlii neytt verit. En thvi let ek hesta thessa
taka, at —. S. 345 Auch Rede Thorarms. Nü ridhi ther annann
dag viku frd Njdls ok farit tdmliga, hafit ndttstadhi d heidhinni;
thd fekk hon that nafn, at hon var Tvidoegra köllut;
ok skulut koma til vigis thess. ■— S. 385 Bardhi sagt: Griss
felagi varr mun ekki vera sakbitinn; Hesthöfdhi, er byr thar
er nü keitir Stadh i Skagafirdhi, kann er fraendi hans.
Ljosv. S. 78 f. Thorkeil maelti: hvörja medhferdh vilit her
hafa? thvi at fraendr vdrir allir vilja medh Eyjölfi vera, nema
Hrafn Thorkelsson frd Ljösavatni, kann bjö thd •at Lunda
brekku i Bdrdhardal, kann vaenti ek oss sinni eigi sidhr,
kann skortir eigi vit; kona Hrafns var aettudli ür Gudhd-
ölum; nü vaenti ek, at kann fdi til nokkut rddh.
Njala C. 122, 38 Flosi maelti: ,nü vil ek nemna mina
gerdharmenn. Nemni ek fyrstan Hall mag minn ok Ossur frd
Breidhd, Surt Asbjarnarson or Kirkjubae, Modhölf Ketilsson‘ —
kann bjö thd i Asum — >Hafr hinn spaka ok Rünölf or Dal.
Archaistisches.
Die Eide, Sühnen, Gerichtsreden, welche in die Erzählung
eingeschaltet sind, zeigen mitunter alterthümliche Sprache. —
So einzelne Wortformen.
Gluma S. 388 Thd kvadh Glümr svd at ordhi: at ek nefni
Asgrim i vetti, annann Gizor i that vetti, at ek vinn hofseidh at
baugi, ok segi ek that Aesi, at ek varkat thar, ok vdkat thar,
ok raudhkat thar odd ok egg, er Thorvaldr krökr fekk bana.
Njala z. B. C. 144, 71 nemni ek i that vaetti, at ek vinn
fimmtardömseidh. Bidh eh svd gudli kjdlpa mjer i thvisa Ijdsi
Beschreibung der isländischen Saga. IV.
295
ok i ödhru at ek skal usw. — ok ek hefka fje borit i dom thenna
til lidhs mjer um sök thessa ok ek munka bera, ek hefka fje
fundit ok ek munka finna, hvdrtki til laya nje til ulaga.
Auch die Gedichte im Cap. 102 der Njala haben ältere
Sprachformcn; s. 0. Brenner, Ueber die Kristnisaga S. 62.
Oder in der Wortstellung. 1
Grettla C. 73, S. 165 Se sä gridhnidhingr, er gridhin
ryfr, — raekr ok rekinn frä gudhi, — ek svä frä öllum ilt
floemdr, sem vidhast varga reka, edhr kristnir mann kirkjur
soekja, heidhnir menn hof blöta, eldr brennr, jördh groer,
maelt harn mädhur kallar, ok mädliir mög foedhir, aldir
elda kynda, — karlar korni sä. — Nü skulu vaer vera
sdttir ok sammäla liverr. vidh annan i huga gödhum, hvärt sem
ver finnumst ä fjalli edhr fjöru, — svä sem vin sinn i vatni
finni, edhr brödhur sinn ä braut finni.
Heidh. 8. 380 f. Thä skal hann svä vidha vargraekr ok
rekinn, sem menn vidhast varga reka, kristnir menn
kirkjur soekja, heidhnir menn hof blöta, eldar upp,
brenna, jördh groer, mögr mädhur kallar, skip skridhr,
skildir blika, sölskin snae laegir — ok karlar korni sä. 2
Sonst erscheint diese Wortstellung sehr selten: Band. S. 20
segja their — hversu mikill sloegr til var fjärins, die
andre Ausgabe aber: var til fjärins.. Grettla C. 15, 8. 28 in
einem Sprichwort thraell ein thegar hef nist, en argr aldri. —
1 Das wichtigste Gesetz der altnordischen Wortstellung in prosaischer Rede
lautet: Von ok, enn, edhr in Haupt- und Nebensatz, von Relativen und
Conjunetionen im Nebensatz abgesehen, muss das Verb an erster oder
zweiter Stelle stehen. Nur gelten adverbielle Ausdrücke wie etwa sidhar,
um hridh für ein Wort. Diese Regel wird, was den Hauptsatz anbelangt,
noch nicht beobachtet in den ältesten prosaischen Runeniuschriften, in
Bezug auf den Nebensatz finden wir einige Abweichungen, Annäherung an
die deutsche Wortstellung des Nebensatzes, im Norwegischen, Dänischen,
Schwedischen des vierzehnten Jahrhunderts. Aber im Grossen und Ganzen
ist auch heute noch in allen skandinavischen Ländern, am reinsten in
Island, der alte Gebrauch (des 12., 13 Jhs.) bewahrt. Die Engländer
haben auf vielen Umwegen, welche sie einmal dem deutschen und hollän
dischen Gebrauch sehr nahe gebracht hatten, ein ähnliches Gesetz erreicht.
2 S. auch Islend. Sögur (1847) 2, S. 485 ff., die andern Fassungen dieser
Formel aus der Gragas und Jonsbok.
296
Heinz el.
Auffällig ist Laxd. C. 48, S. 216, wo zwar die Ausgabe die ge
wöhnliche Wortstellung hat: Kjartnn byst, snimma fimta dag i
pdskaviku ok Thorkeil hvelpr ok Knütr brödhir bans at rddhi
Audhar; their ridhu medh Kjartani d leidh alls tölf saman. Aber
in Vigfussons Reader S. 20 Kjartnn bjöz snimma Fimtadaginn
i Pdska-viku. Their Thorkell hvölpr ok Knütr brödhir
hans at rddhi Audhar ridhu medh Kjartani usw.
Die Phrase hvat ek veit ist wol ursprünglich Nebensatz,
Njala C. 54, 90 hvat ek veit, segir Gunnarr, hvdrt ek mun thvi
üvaskari madhr enn adhrir menn, sem mjer thykkir meira fyrir
enn ödhrum mönnum at vega menn.
Rhetorisch-Poetisches.
Die oben erwähnten Rechtsformeln zeigen auch eine poe
tische, mitunter selbst durch Alliteration verzierte Ausdrucks
weise, welche dem Sagastil sonst nicht eigen ist.
Nur die affectirte Fostbr. benützt einmal S. 20 in der Er
zählung eine Phrase der gridhamdl. Thorgeirr und Butraldi
zeigen ihre gegenseitige Abneigung durch Uebervortheilung
beim Essen. ,Keiner gönnte dem andern weder Messer noch
Fleischstück' (Hvdrrgi theira vildi deila vidh annan knif nje
keytsfykki). — Heidh. S. 380 Ver skulum deila knif ok kjötstykki.
Lieber Vergleiche und Bilder siehe oben Cap. I, S. 166 ff.
Poetische Ausdrücke sind selten. Blödhrefill für Schwert
muss schon stark abgeschwächt gewesen sein. Es erscheint
z. B. Eigla C. 44, S. 216, C. 55, S. 206, Gullth. S. 68, Gunnl.
C. 11. S. 258, Heidh. S. 367, Njala C. 145, 72.
Wortspiele. S. S. 124. — Dropl. S. 10 Helgi und
Grimr geben vor, auf die Jagd zu gehen, erschlagen aber
Thorgrimr Tordhyfill. Gefragt, was sie erbeutet hätten, sagen
sie, einen Mistkäfer (tordhyfill).
Finnb. S. 79 Thorgrimr verdingt sich als Knecht bei
Finnbogi, macht dann einen Mordversuch gegen Finnbogi und
wird von diesem getödtet. Hafdhi Thorgrimr unnit mikit ok
tharft firir Finnboga enda var honum miklu launat. — S. 87
Finnbogi vertheidigt sich mit Steinen. Er sagt: ero her thö
hüskarlar minir adhrer sex ecki ükndligir, ok ero samnafnar
miklir, thviat Steinar heita aller. — S. 88 nennt der Verfasser
Beschreibung der isländischen Saga. IV.
297
die Steine nafnir und hüskarlar. Ein Gefolgsmann Brands
rann up at theini nofnvm edha ei sidhr at Finriboga. — En
hüskarl Finriboga var skjötleikinn ok för at snarpt.
Gluma S. 355. 357 Kdlfr frä Stokkahlödhu, der Gegner
Ingolfs beim Pferdekampf und ein Kalb im Stalle, kdlfr i
hlödhu. — S. 363 Skuta nennt sich Margr (viel) i Myvatnshverfi
und Fdrr (wenig) i Fiskilaekjarhverfi. Sküti heisst nämlich
eine Grotte. — S. 388 der zweideutige Eid: ek varkat ihar
ok vdkat ihar ok raudhkat ihar odd ok egg, er Thorvaldr var
veginn kann als Leugnung des Mordes oder als Betheuerung
desselben verstanden werden.
Haens. S. 170 Die Knechte erzählen at sd madhr var
einn kominn vestan or Breidhafirdhi, at svara kunni Tüngu-Oddi
ok var hans hljömr ok rödd, sem qridhünqr qelldi. Es ist
Thordhr Gellir.
Svarfd. S. 154 f. Klaufi stellt sich todt und wird so zu
Asgeirr getragen. Karl sagt zu Asgeirr: Sjd mdttu at ver förurn
hei' medh Klaufa veginn. Veginn heisst sowohl erschlagen als
geführt, wie Karl S. 155 erklärt thvi that er sagt regit, sem
reidt er. — S. 179 Karl fordert seine Thingleute auf, ihm Tag
werk zu leisten eins d,ags verks. Er meint eine Blutarbeit.
Das letzte Beispiel gehört beinahe schon zu den an
spielenden und umschreibenden Ausdrücken, welche sehr be
liebt sind.
Dropl. S. 8 Helgi und Grimr gehen vom Hause fort.
AufGroas Frage, wohin, antworten sie ,Schneehühner schiessenb
Aber ihre Absicht ist, Thorgrimr zu tödten.
Eyrb. S. 108 Ospakr sagt von gewissen Gütern, sie
wurden weder geschenkt, noch bezahlt, noch verkauft, d. h.
er hat sie geraubt.
Njala C. 37, 14 Atli soll den Knecht Kolr erschlagen.
Er macht sich auf den Weg und wird von Begegnenden um
sem Vorhaben gefragt. Da antwortet er, er suche einen
Karrengaul. — C. 44, 119 Skarphedhinn und seine Brüder
machen sich auf, um Sigmundr zu tödten. Njall fragt, was
sie. im Schilde führen. Da antwortet Skarphedhinn erst in
einer Strophe, sie wollten Schafe suchen, dann in Prosa, dass
sie auf Lachsfang aus seien. — C. 92, 62 Ebenso sagt Skarp-
298
Ueiuzel.
hedhinn vor dem Kampfe mit Thrainn, dass er Schafe
suchen wolle.
T. Aesthetische Wirkung.
Die Lecture der Sagas erregt Wohlgefallen 1. durch
Nachahmung der Erfahrungen des wirklichen Lebens, 2. durch
Auswahl aus denselben, 3. durch Veränderung derselben.
1. a. Nachahmung des wirklichen Lebens finden wir so-
wol in der Aehnlichkeit der Personen und Begebenheiten mit
den Bildern unserer Erfahrung, als auch darin, dass die Art,
wie sie erzählt und geschildert werden, oft an ein wirkliches
Zusehen, Zuhören, Dabeistehen erinnert.
So gefallen die Charaktere der Sagas, weil sie gemischt
sind, oder weil die Idealisirung nicht so weit geht, dass die
Glaubwürdigkeit darunter litte, s. S. 124. 130, die Vorgänge, weil
sie neben den grossen Ursachen auch durch eine Fülle kleiner
Zufälligkeiten bedingt sind, was selbst bei Schilderung des
Uebernatürlichen hervortritt und ihm den Anschein der Wahr
heit gibt; s. S. 159. Das Wunderbare selbst erscheint nur in
solchen Formen, welche dem zur Zeit des Autors und noch
lange nachher herrschenden Aberglauben entsprechen.
Das Ganze der Begebenheiten gefällt, weil unserer Er
fahrung gemäss das Schicksal der in der Saga auftretenden
Personen zum Theil allerdings durch ihre Einsicht und ihren
Willen bestimmt wird, zum andern Theile aber durch unbe
rechenbare Zufälle, so dass auch der Schlaue und Kühne unter
liegen kann, der Gute nicht für seine Güte belohnt, der Böse
nicht für seine Vergehen bestraft wird.
Die fatalistischen Aeusserungen der Personen der Saga,
seltener des Autors, rufen die Zustimmung des Lesers hervor,
da die Erzählung wie die Erfahrung sie zu bestätigen scheint.
An die Unübersehbarkeit des wirklichen Lebens erinnert
die Menge der Personen und Begebenheiten.
Die Thatsachen der Erzählung erscheinen ferner wie die
des wirklichen Lebens oft im Anfang unvollständig, undeutlich
und werden erst in der Folge klar, oder sie zeigen sich nur in
ihren Wirkungen, mitunter bleiben sie auch dunkel. S. S. 198 ff-
Beschreibung der isländischen Saga. V.
299
213 Wird etwas Wichtiges, wie z. B. ein Mordanschlag, erst ver
schwiegen, später durch die Ausführung vorausgesetzt, so ver
bindet sich das Wohlgefallen, welches wir über die Nachahmung
empfinden, dass nämlich das Geheime auch uns geheim bleibt,
entweder mit der angenehmen Empfindung der Ueberraschung
oder, wenn jene Vorbereitungen zu einem wichtigen Unter
nehmen zwar nicht deutlich erzählt, aber doch angedeutet
werden, mit der auch angenehmen Empfindung der Spannung.
S. Gisl.
Aehnlich wie im wirklichen Leben erfahren wir in den
Sagas weit mehr von sinnlichen Symptomen seelischer Zustände
und Vorgänge, oder auch sinnlicher, wenn sie nicht sichtbar
sind, als von diesen selbst. S. S. 203 f. 208 f. 216. Und auch
die Symptome selbst erscheinen oft undeutlich, die Lügen werden
nicht als solche angegeben, was zwei Personen heimlich be
sprechen, kann man oft nur errathen. S. S. 195. 209. 232.
Ebenso wird, wo statt der Vorgänge nur deren Reflexe in
einer Person erzählt werden, der Leser an das Undeutliche und
Allmähliche seiner eigenen Erfahrungen erinnert. S. S. 218 f.
Wird eine dem Leser bekannte Person durch Reflex auf
eine andere Person der Saga eingeführt, so entsteht auch Ueber
raschung. S. S. 232 f.
Wenn zwei Vorgänge bei zwei räumlich getrennten Per
sonen zur Darstellung kommen, kann der Autor wie ein Zu
schauer des wirklichen Lebens nur die eine Person beobachten;
was mit der andern inzwischen vorgeht, bleibt undeutlich, wenn
auch im Allgemeinen aus den Folgen erkennbar. 1 S. S. 247 ff.
In der Anordnung entspricht z. B. die Aufzählung der
Personen nach dem Locale oder nach dem Range unserer Er
fahrung. S. S. 268 f.
Wenn Personen vor einer wichtigen Begebenheit, ihrem
Tode im Kampfe z. B., nach ihrer sinnlichen Erscheinung be
schrieben werden, oft nachdem schon im Anfang der Saga eine
Beschreibung vorhergegangen, so kommt dies unserer aus der
Erfahrung des Lebens entspringenden Erwartung entgegen.
Nie beobachten wir die Gesichtszüge und die Bewegungen der
1 S. Scherer, Zur Technik der modernen Erzählung, Deutsche Rundschau
1879, S. 151 ff.
300
Heinzei.
Menschen — z. B. des Schauspielers — so scharf, als wenn
wir sie im Affecte sehen, und wenn wir selbst von einem
Affecte, z. B. der Furcht ergriffen sind, welcher ein gewisses
Maass nicht übersteigt. S. S. 254. 270 f.
b. Auch die Nachahmung der mündlichen Erzählung
gefällt.
Man kann dazu rechnen die Nichterwähnung einer Ge
berde, welche die redend eingeführte Person macht, wie wir
aus ihrer Rede ersehen. Der Erzähler vollführt die Geberde
selbst. S. S. 215.
Die Wiederholungen der Phrasen, besonders bei Scenen-
wechsel, wenn mit einer Phrase die Erzählung von einer Person
abgebrochen und zu einer andern übergegangen wird, dann
aber die Darstellung mit Wiederholung der Phrase sich wieder
der ersten Person zuwendet. S. S. 233. 254.
Angabe des Scenenwechsels. S. S. 233 ff.
Fehlendes, doppeltes Inquit. S. S. 195. 257.
Zurückgreifen, Nachholcn einer früher vergessenen That-
sache. S. S. 280 ff.
Vorgreifen, Verweisen auf die Zukunft, wodurch die Er
zählung für einige Zeit unterbrochen wird. S. S. 282 ff.
Auch das ist eine der mündlichen Erzählung nachgebil
dete Nachlässigkeit, wenn eine Thatsaclie später mit Einzel
heiten ausgestattet vorausgesetzt wird, welche früher nicht
erwähnt worden waren. S. S. 284 f.
Dem mündlichen Bericht entspricht die Sparsamkeit, mit
welcher Urtheile und Empfindungen des Autors mitgetheilt
werden, die aber, wo sie erscheinen, oft grossen Eindruck er
zielen. S. S. 164 ff. 253.
In wie fern der sprachliche Ausdruck an die mündliche
Rede erinnert, ist oben S. 287 ff. erörtert worden.
2. Die Hauptbegebenheiten und Hauptpersonen der Saga
sind aber aus der Zahl derjenigen gewählt, deren Betrachtung
auch im wirklichen Leben Vergnügen bereitet. Sie sind vor
wiegend heroischer und tragischer Art, geeignet freudige
Billigung, Bewunderung, Erschütterung, Mitleid, Rührung her
vorzurufen. Aber auch die Bethätigung glücklicher Schlauheit
Beschreibung der isländischen Saga. V.
301
ist für den Betrachtenden ein angenehmes Schauspiel. Das
hiebei empfundene Vergnügen hat oft den Charakter der Heiter
keit, wie in Band, durchweg, hie und da in Gluma. ’
Sonst wird komische]- Effect häufiger durch Personen und
Begebenheiten zweiten und dritten Ranges hervorgerufen. S.
die Episode von Thorgrimr, dem Manne Rannveigs Dropl.
S. 20. Sie erklärt auf einmal früh Morgens, als er noch im
Bette liegt, dass sie sich von ihm scheide, wirft seine Kleider
in den Abtritt und geht fort. Er läuft in die Bettdecke ge
hüllt zu Thorarinn und klagt ihm sein Unglück. Dieser meint,
vor der Hand habe er etwas Kleider nöthiger als eine Frau.
Eyrb. S. 82 Snorri macht Styrr, der im Kampfe auf
Seite seiner Gegner steht, darüber Vorwürfe. Dieser antwortet
darauf: ,Nun, dem ist bald abgeholfen' (thetta fae ek skjott
baett) und erschlägt sofort einen seiner früheren Kampfge
fährten. — S. 87 Scherze über Wunden, zum Theil Selbst
ironie.
Finnb. S. 5 ff. Gestr und Syrpa, die jämmerlichen Pflege
eltern des Helden. S. 11 werden sie von Asbjörn Schweine
genannt.
Gisl. S. 6 Die dumme Magd, welche zum Spionieren aus
geschickt wird und sich so kläglich ungeschickt benimmt.
Gluma S. 383 Scherze über Wunden und Benehmen im
Kampf, s. Eyrb. S. 87.
Hallfr. S. 88 Griss sieht seine Braut auf Hallfredhs Schooss.
Er fragt wüthend seinen künftigen Schwiegervater, ob das so
1 Ich wusste das Komische als Kategorie unter ,qualitativer Auswahl“
uieht anzubringen. Denn die Eigenschaften solcher Personen und
Vorgänge, welche komische Wirkung üben, sind sehr verschieden.
Dieselbe Begebenheit kann nach den begleitenden, vorhergehenden,
nachfolgenden Umständen komisch oder erschütternd wirken. Glldhmundr
»Mt in einen Milchkübel Djosv. S. 61. Das ist komisch. Gizurr verbirgt
sich in einem ähnlichen Gefäss, als seine Feinde nach dem Hausbrand
ihn suchen, Sturlunga, Islend. saga C. 259, bei Vigfusson 2, S. 167.
Hier wird Niemand darüber lachen. Die dummen Sclaven wie Thordhr
hinn huglausi in Gisl. oder die ungenannten in Haens. S. 170 sind
komisch. Der noch viel dümmere Sclave Arnkels, Eyrb. S. 67, der, als
sein Herr ihn um Hilfe gegen die Ueberzahl der Feinde fortschickt, den
Auftrag vergisst und einem andern Knecht beim Heuladen hilft, erregt
eher Entsetzen.
302
Heinzei.
ihre Gewohnheit sei (er thetta vaiidi theirraf). ,Es kommt
öfters vor', antwortet dieser ganz kühl (Opt berr sva til). —
Auch die Begegnung zwischen Hallfredhr und seinem Vater
S. 90 ist voll Humor.
Hav. S. 6 Thormodhr, ein böser, unheimlicher Mensch,
ist gestorben. Seine Frau bringt die Nachricht zu Havardhr.
,Aber das hilft uns nichts', fügt sie hinzu (Krum ver thö eigi
vel vidh lcomin), ,denn jetzt geht er um'. — Eine ganz komische
Figur, etwas übertrieben, aber doch sehr wirksam geschildert,
ist Atli, der hässliche, schmutzige Geizhals, besonders wie seine
Entrüstung über die Plünderung der Vorrathskammer durch
die bittere Kälte, welche er unterdessen im Heuschober aus
gestanden hat, sich zur Wuth steigert, dann aber, als er sich
wieder zu seiner Frau ins Bett gelegt und etwas erwärmt hat,
vernünftigeren Erwägungen Platz macht.
Heidh. S. 333 Der alte Oddr, der sich gerade von seiner
Frau den Kopf waschen lässt, als er zum Kampfe gerufen
wird, und gleich mit dem Seifenschaum auf dem Kopfe
fort will.
Haens. S. 170 Der dumme Knecht, der das Wichtigste
zuletzt sagt. S. oben S. 261.
Ljosv. ist sehr reich an humoristischen Zügen. Vödhu-
brandr, Einarr, Thorvardhr S. 84. 86 sind komische Personen.
Gudhmundr fällt bei dem Kampfe mit Thorkeil S. 61 in einen
Milchkübel und wird von diesem gehöhnt.
Njala C. 87, 104 Der unverschämte Hrappr, der in seinen
Antworten das Wichtigste, dass er bei Gudhbrands Tochter
geschlafen, zuletzt erwähnt. S. oben S. 261. — S. 119,
144 ff. Der Prahlhans Thorkeil. -— S. 134, 87 ff. Bjarni, auf
dessen Aehnlichkeit mit Sancho Panza schon öfters hingewiesen
wurde.
Vatnsd. S. 57, 3 Jökull, der über seine eigene Unweis
heit scherzt.
S. auch die hie und da leise hervortretende Ironie des
Verfassers S. 166.
Von den Begebenheiten werden meist nur solche gewählt,
welche sich unter einander verknüpfen, so dass die eine durch
die andere hervorgerufen . wird. Es wird dadurch eine Ge-
Beschreibung der isländischen Saga. V.
303
schlossenheit der Handlung erzielt, welche im wirklichen Leben
allerdings Vorkommen kann, aber durch eine Fülle von unver
bundenen Begebenheiten, welche neben den verknüpften einher
laufen, verdeckt wird. Die schönsten Beispiele für diese strenge
Composition bieten Gisl. und zum Theil Njala, dann mehrere
der kleineren Sagas. S. S. 163 f. 266. 268.
Von den Einzelheiten des Zuständlichen wird nur das
Charakteristische, von denen der Vorgänge nur jene angeführt,
welche zu einem wichtigen Ereigniss führen. Aus der Fülle
und Breite des in der Saga dargestellten Lebens wird das
Interessante, das ist solches ausgewählt, was auch im wirk
lichen Leben zu sehen und zu hören Interesse erweckt, also
Vergnügen bereitet. S. S. 189. 190 f.
Aus der Fülle des Zuständlichen vom Verfasser das eine
oder das andere, oft am Anfang der Saga oder eines Abschnitts
derselben hervorgehoben, ohne dass man zur Zeit noch weiss
wozu. Dass es aber einen Zweck hat, ist sofort klar und die
darauf gesetzte Erwartung wird erfüllt. Das Leben zeigt solche
Einzelheiten allerdings auch lange bevor sie in Handlung treten,
aber verhüllt durch die überwiegende Menge so vieler anderer,
welche das Schicksal nicht verwertet. S. S. 271. 276 ff.
Durch die Auswahl bei den Gegensätzen, z. B. entgegen
gesetzter Charaktere, wird der Eindruck, den die Beschaffen
heit einer Person auf uns übt, verstärkt. S. S. 257.
Die Auswahl paralleler Begebenheit, besonders jener, die
nur in der Wirkung, welche sie üben, nicht in ihrer Be
schaffenheit übereinstimmen, s. S. 285 ff., so wie durch die Steige
rungen S. 284 wird das Gemüth des Lesers in eine ahnungs
volle, gespannte Stimmung versetzt, also das Interesse vermehrt.
3. Die Abweichungen, welche sich die Autoren der Sagas
von der Wirklichkeit erlauben, beziehen sich nicht so sehr auf
die Begebenheiten und Personen selbst, als auf das Verhältniss
des Autors wie des Lesers zu ihnen.
Die Saga gibt uns vollständigere und deutlichere Bilder
des Menschenlebens, als es die Wirklichkeit je vermag. Wir
können keines Menschen Schicksal vom Anfang bis zum Ende
mit unsern Sinnen begleiten, möchten es aber wohl, wenn die
Persönlichkeit oder die Beschaffenheit seines Lebens, — von
304
Heinz el. Beschreibung der isländischen Saga. V.
dem wir etwa Bruchstücke gesehen haben, uns interessieren.
Die Saga verschafft den Anschein einer solchen über die
Wirklichkeit hinausgehenden Erfahrung bis zu einem gewissen
Grade. Denn was der Mensch allein thut oder was in seinem
Innern vorgeht, wird nur ganz ausnahmsweise erzählt. S. S. 161.
Unmöglich ist es, in Wirklichkeit auch den Platz der
Beobachtung so rasch — und oft wiederholt — zu wechseln,
wie es in der Saga geschieht, s. S. 233 ff., oder gar an verschie
denen Orten zugleich zu sein, wie dies bei einer gewissen Art
des Scenenwecbsels, s. S. 236 ff., dem Leser vergönnt wird. Nicht
bei Scenenwechsel überhaupt, denn oft wird auch verschwiegen,
was auf dem einen Schauplatz vorgegangen ist, während von
dem andern erzählt wurde. S. oben S. 299.
Beschreibung der isländischen Saga.
305
INHALTS-VERZEICHNISS.
Seite
Einleitung 107
I. Qualitative Auswahl 113
Inhalt im Allgemeinen —•
Inhalt im Besonderen 115
A. Erzählung —
a. von Zuständlichem —
Personen 116
Männer —
1. Auswahl aus dem Leben —
Personen ersten und zweiten Ranges —
Personen dritten Sanges 125
2. Auswahl aus der Ueberlieferung 126
Frauen . —
1. Auswahl aus dem Leben —
Personen zweiten Ranges —
Personen dritten Ranges 130
2. Auswahl aus der Ueberlieferung —
Kinder 131
1. Auswahl aus dem Leben —
Personen ersten und zweiten Ranges —
Personen dritten Ranges —
2. Auswahl aus der Ueberlieferung —
Abstracte Personen —
Sachen —
(Beziehungen auf Gegenwart) 133
(Beziehungen auf Saga selbst) —
Zu Personen und Sachen 136
b. von Vorgängen 137
Hauptbegebenheiten —
Handlungen (Conflicte) —
Veranlassungen 138
1. Auswahl aus dem Leben —
2. Auswahl aus der Ueberlieferung 140
Zusammenstoss der Gegner 143
1. Ermordung —
1. Auswahl aus dem Leben —
2. Auswahl aus der Ueberlieferung 144
2. Kampf 145
1. Auswahl aus dem Leben —
2. Auswahl aus der Ueberlieferung 146
Sitzuugsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. I. Hft.
20
306
II e i n z e I.
Seite
3. Process 147
1. Auswahl aus dem Leben —
2. Auswahl aus der Ueberlieferung 148
Zu den Conflicten 149
Zufälle 151
1. Auswahl aus dem Leben 152
2. Auswahl aus der Ueberlieferung 153
a. literarischer —
b. volkstümlicher 156
Nebenbegebenheiten 158
Zu Haupt- und Nebenbegebenheiten 159
B. Urtlieile und Empfindungen des Autors 164
II. Quantitative Auswahl 172
Im Allgemeinen —
Im Besonderen
A. Wie viel von den Einzelnheiten der Zustände und
Vorgänge? 173
I. Zustände und Vorgänge einzeln betrachtet —
a. Zuständliches —
Personen —
Männer —
Frauen 184
Sachen 186
Zu Personen und Sachen 189
b. Vorgänge 136
II. Zustände und Vorgänge als in der Zeit fortlaufende Reihen
betrachtet 197
a. Kurze Angabe einer Thatsacbe, welche die deutliche Function
hat, eine in der Zeit folgende zu erklären —
b. Eine Thatsache wird unvollständig mitgetheilt, nur ange
deutet. Dann Erklärung 138
cc. durch Autor —
ß. durch eine Person der Saga —
c. Eine Thatsache wird verschwiegen, aber später vorausgesetzt 193
d. Eine Thatsache wird verschwiegen oder nur angedeutet und
bleibt dunkel 261
a. Doch gibt es Vermuthungen der Leute —
ß. Auch diese fehlen 202
III. Zustände und Vorgänge als gleichzeitig betrachtet .... 203
A. An einer Person
1. Mehrere sinnliche Zustände .
2. Mehrere unsinnliche Zustände
3. Ein sinnlicher und ein unsinnlicher Zustand .
a. Es werden beide angegeben
ß. Nur der sinnliche .
y. Nur der nnsinnliehe
204
Besehreibung der isländischen Saga.
307
Seite
4. Ein sinnlicher Zustand und ein sinnlicher Vorgang . . 204
ct. Es wird beides angegeben —
ß. Nur der sinnliche Vorgang 206
5. Ein unsinnlieher Zustand und ein sinnlicher Vorgang. . —
a. Es wird beides angegeben —
ß. Nur der sinnliche Vorgang 208
1. Er zeigt die Meinung ganz deutlich au —
2. Er gibt nur eine Andeutung —
3. Die Sache bleibt dunkel 213
y. Nur der unsinnliche Zustand 214
6. Ein unsinnlicher Zustand und ein unsinnlieher Vorgang . —
7. Zwei sinnliche Vorgänge —
a. Beide werden erwähnt —
ß. Nur einer 215
8. Ein sinnlicher und ein unsinnlieher Vorgang —
a. Beide werden erwähnt —
(3. Nur der sinnliche 216
B. An mehreren Personen oder Sachen 218
1. Ein Zustand oder Vorgang bei der ersten Person, die erste
Thatsache, ruft bei der zweiten einen Vorgang, Reflex,
hervor —
a. Beides wird erwähnt —
1. Der Reflex ist deutlich —
2. Der Reflex ist undeutlich —
a. Der Reflex wird der zw-eiten Person zugesehrieben —
a. Die erste Thatsache wird vom Autor erklärt . . .—
ß. Sie wird von einer Person der Saga erklärt . . 221
b. Der Reflex erscheint hei dem Autor. selbst . . . 224
a. Die erste Thatsache wird vom Autor erklärt . . —
ß. Sie wird von einer Person der Saga erklärt . . 227
ß. Nur der Reflex wird erwähnt —
a. Er wird der zweiten Person zugeschrieben ... —
b. Er erscheint bei dem Autor selbst 229
c. Mischung von a und b 232
Bemerkung zu allen Fällen des Reflexes —
2. Verschiedene Zustände und Vorgänge bei verschiedenen
Personen oder Sachen ohne Reflex (Scenenwechsel) . . 233
a. Zustände —
b. Ein Zustand oder Vorgang bei einer Person oder
Sache, ein Vorgang bei einer andern 234
c. Verschiedene Vorgänge bei verschiedenen Personen
und Sachen 236
a. Beide werden erwähnt —
1. Beide weiden deutlich nach einander erzählt ... —
2. Ein Vorgang wird deutlich, der andre undeutlich er
zählt . 245
20*
308
Heinzel. Beschreibung der isländischen Saga.
Seite
3. Ein Vorgang wird deutlich erzählt, der andere kurz
im Plusquamperfectum nachgetragen 246
4. Die Darstellung des zweiten Vorganges ist so ungenau,
dass man nicht sieht, mit welcher Phase des ersten
er gleichzeitig ist —
j3. Nur ein Vorgang wird erwähnt 247
1. Der andere wird später aus dem Zusammenhang klar —
2. Er bleibt unklar, ist aber unwichtig 251
B. Wie oft dieselben oder ähnliche Zustände oder Vor
gänge in Einer Saga'? 253
a. Dieselben Thatsachen —
b. Aehnliche Thatsachen 257
cc. Gegensätze —
£1. Parallelen 258
C. Wie viel Zustände, wie viel Vorgänge erscheinen in
Einer Saga 263
1. Personen —
2. Hauptbegebenheiten 264
III. Anordnung- 268
A. Zuständliches —
1. Für sich betrachtet —
2. In Bezug auf die Vorgänge betrachtet 271
a. Personen —
b. Sachen 276
B. Vorgänge 280
Zurückgreifen —
Vorgreifen 282
Steigerung 284
C. Zu Zuständlichem und Vorgängen —
IV. Sprache 286
Aehnlichkeit mit mündlicher Erzählung 287
Wiederholungen —
Ellipsen 288
Pronomina einleitend 290
Anakoluthien 291
Direete, indirecte Rede 292
Archaistisches 294
Rhetorisches, Poetisches 296
V. Aesthetisehe Wirkung 298
1. Durch Nachahmung —
2. Durch Auswahl 301
3. Durch Veränderung 303
Ausgegeben am 17. December 1880.
XVIII. SITZUNG- VOM 7. JULI 1880.
Die Direction des k. k. militär-geographischen Institutes
theilt mit, dass daselbst vom 1. Juli 1. J. ab regelmässig ein
Mittagszeichen gegeben werden wird.
Herr Professor Dr. Heinrich Fischer in Freiburg i. B.
übersendet eine in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Alfred Wie de
in ann in Leipzig verfasste Abhandlung: ,Ueber babylonische
Talismane (Cylinder- und andere Formen) im Landesmuseum
am Joanneum zu Graz', mit dem Ersuchen um ihre Veröffent
lichung in den akademischen Schriften.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Bericht
erstattung zugewiesen.
Das w. M. Herr Professor Dr. Heinzei legt vor: ,Ein
neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift', herausgegeben
von Herrn Professor Dr. Hans Lambel in Prag. Der Heraus
geber ersucht um die Aufnahme der Vorlage in die Sitzungs
berichte.
Die Vorlage wird einer Commission zur Begutachtung
überwiesen.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
A-c.ademie royale de Copenliague: Oversigt over det Forhandlingar og dets
Medlemmers Arbejder i Aaret 1879. No. 3. Kjcjibenhavn, 1879; 8°. 1880;
No. 1. Kjobenhavn; go. — Den Gronlandske Ordbog af Sam. Klein-
sehmidt. Kjobenhavn, 1871; 8°.
Sitzungsber. d. phil.-hiat. CI. XCV1I. Bä. II. Hft.
20
310
Academie royale de Stockholm: Öfversigt af Förhandlingar. 1879. 36. Arg.
No. 9 o. 10. Stockholm, 1880; 8°.
Biker, Julio, Firmino Judice: Supplemento ä ColleeQao dos Tratados, Con
ventes, Contratos e Actos publicos celebrados entre a Coroa de Portugal
e as mais potencias desde 1640. Tomo XX e XXI. Lisboa, 1879; 8°.
Hamburg, öffentliche Stadtbibliothek: Schriften der wissenschaftlichen An
stalten pro 1878/79. 4°. 72 Stücke.
Institute, Peabody, of the City of Baltimore: XIII lh annual Report. June,
1., 1880; 8°.
Madras Government: A classified Index of the Sanskrit MSS. in the palace
of Tanjore; by A. C. Burnell Ph. D. Parts 1 and 2. London, 1879; 4°.
RäjendraUla Mitra, LL. D., C. I. E.: Notices of Sanskrit MSS.
Vol. V, Part I, Nr. XIV. Calcutta, 1879; 8».
Society, the Asiatic of Bengal: Bibliotheca indica. New Series. Nos. 423,
424, 426—430. Calcutta, 1879; 8°. — Journal. Vol. XLVIII, Parti.
Nos. 1—3, 1879. Calcutta; 8®. Part II, Nos. 2—3, 1879, Calcutta; 8°.
— Proceedings. Nos. 5—10. May tili December 1879. Calcutta; 8°.
Verein für Geschichte und Alterthiimer der Herzogthümer Bremen und
Verden und des Landes Hadeln zu Stade: Archiv. 7. 1880. Stade, 1880;
8®. — Die Münzen der Stadt Stade; von M. ßahrfeldt. Wien, 1879; 8°.
— für meklenburgisclie Geschichte und Alterthumskunde: Jahrbücher und
Jahresbericht. XLIV. Jahrgang. Schwerin, 1879; 8°.
Toischer. lieber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
311
lieber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
Von
nr. W. Toischer.
Ulrich selbst beruft sieb in seiner Alexandreis vielfach
auf seine Quellen. So auf einen meister Walther 155; 1 her
Walther 6022; meister Galtherus 26605; Galtherus schlechthin
6290. 24979; Gwaltliers gedilite 5880 und Galtherus in dem
auctore 26667.
bischof Albrecht von Köln 24275. 26159.
Alphumus, ein werdet' philosophus 27233.
diu Biblia 17749; diu heilege schrift 22371; Genesis 11139;
der Machabeorum buoeh 27145; Daniel 27535. 27703; Salter
14811. (diu schrift = hl. Schrift 7170. 7233. 11350. 11526.
11694. 11743. 25285.)
herzogen Ernstes buoch 25102.
Homerus 4810.
ein heilic man Josaphat 27540.
Lucanus 23997. 27223.
Lucidarius 19366.
Oratius 24424.
Ovidius der geprisete 4899.
Seneca 24344.
Valerius, ein werder philosophus 23715; Valerms 23731.
23960. 24399; V. in einer schrifte 24027.
1 Die Zahlen bezeichnen die Verse nach der Zählung meiner Ausgabe, die
in nicht allzu langer Zeit erscheinen wird.
20*
312
T oisclier.
Ausserdem beruft er sich auf die kronike 1739. 15933.
16177. 16700. 16871. 17321. 24692. 24709. 25559. 25651.
25776. 25833, einmal auch der Bcemer cronik 20977 und
auf die
historie 21174. 21529. 21586. 21677. 21990. 22351. 22579.
23157. 23252; dirre rede historia 26453.
Ausserdem unzählige Male auf die äventinre, das huoch,
den meister, das mcere, der mcere meister als ich las, als
ich vernam, hört ich jelien, hart ich gehört, ist mir geseit u. dgl.,
dabei aber auch
ein wiser man mir also swuor 27821.
als mich ein kiinic larte 24484.
Als seine Hauptquelle bezeichnet er den Gualtherus
(Gu.) dadurch, dass er ihn gleich in der Einleitung nennt. Gu.
habe in kriechiscli, in der cronik die Geschichte gefunden
und sie in latdn gedichtet. Wenn ihm (Ulrich) Gott Leben
und Hilfe gewährt, so werde er sie ze diute sagen. Gu. ist
auch offenbar das erste urhap dis buoches und dirre mcere, von
dem er am Schlüsse (27597 ff.) erzählt. Viele Leute haben
ihn gefragt, woher er seine Erzählung genommen habe, und
denen will er sagen, das erste urhap habe ihm der Erzbischof
von Salzburg (Friedrich) von Walhen durch Vermittlung zweier
Ritter gesendet. Ausser diesem aber habe er noch Vieles von
Anderen genommen.
Dieser Gu. ist nun bekanntlich Gualtherus de Castellione
oder wie er auch genannt wird, Gu. ab Insulis, Gu. von Lille,
Gautier von Chatilion, 1 und das Werk, um das es sich handelt,
seine Alexandreis.
Gualtherus de Castellione
sagt selbst in dem prologus in Alexandreida: diu te, o mea
Alexandreis, in mente habui supprimere et opus quinquennio
elaboratum . . . Nach Giesebrechts Vorgang (Allgemeine Monats-
1 Da er schon zu seinen Lebzeiten de Castellione genannt wurde, wie sein
Vers: Insula me genuit, rapuit Castellio nomen, bezeugt, so sehe ich
keinen Grund, warum wir ihn anders nennen sollen.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
313
schrift 1853, S. 24 und 363 ff.) hat man allgemein 1176—1181
als dieses quinquennium, in dem die Al. gedichtet wurde, an
gesehen, denn sie ist dem Erzbischof Wilhelm von Rheims
gewidmet, der erst 1176 den erzbischöflichen Stuhl bestieg,
und ausserdem finden sich am Schluss des V. Buches An
spielungen auf die erzwungenen Judenbekehrungen unter Philipp
August (1180). x\ber wenn die Al. 1181 beendet ist, so muss
dieser Abschnitt des V. Buches, der sich auf Ereignisse des
Jahres 1180 bezieht, dort, wo er jetzt steht, nothwendig ein
späterer Zusatz sein, da man nicht annehmen kann, dass der
Dichter von 1176—1180 die ersten fünf, im letzten Jahre die
übrigen fünf Bücher gedichtet hat. Als späterer Zusatz er
weist sich der Abschnitt auch im Zusammenhang des Gedichtes
und er beweist darum nicht mehr, als dass das Werk nicht
vor 1180 veröffentlicht wurde. Nichts ist wahrscheinlicher,
als dass der Dichter in der ,langen' Zeit, in der er das fertige
Gedicht zurückhielt, 1 Manches noch besserte, ausfeilte, ab
änderte und zusetzte, und so kann auch die Widmung an den
Erzbischof, sammt dem Akrostichon Guillermus durch die je
ersten Buchstaben der zehn Bücher, ja die Büchereintheilung
selbst bei einer Schlussredaction des Gedichtes hinzugekommen
sein. Der Schluss der Vorrede zeigt wenigstens so viel sicher,
dass kurz vor der Edition eine Eintheilung vorgenommen
wurde: Nunc autem quod instat agamus et, ut facilius quod
quaesierit quis invenire possit, totum opus per capitula
distinguamus. Freilich ist mir nicht ganz deutlich, was für
eine Eintheilung damit gemeint ist. Zur bequemen Uebersicht
des Stoffes dienen die je zehnzeiligen argumenta vor jedem
der zehn Bücher: sind diese erst da zuletzt gedichtet worden
rrad hat mit der Einschiebung dieser capitula (per capitula)
etwa das Ganze eine neue, endgültige Eintheilung in zehn
Bücher erhalten?
Es ist das doch mindestens möglich und dann kann die
Al. schon vor 1176 begonnen sein, ja kann vor 1176 schon fast
fertig- gewesen sein. Und dazu führen andere Erwägungen.
Die zehn Gedichte des Gu. (herausgegeben von W. Müldener,
1 Er spricht sogar davon, er habe es vernichten wollen, wobei er aber auf
das Vorbild Vergils ausdrücklich hinweist.
314
Toi sc her.
Göttingen 1859) sind in den Jahren 1175—1185 abgefasst, und
in diesen geschieht von der Al. bereits Erwähnung. 1 Es wäre
doch sonderbar, wenn der Dichter gleichzeitig nebeneinander
in Rhythmen und Metren gedichtet hätte, wenn er während
der ernsten Arbeit an seinem Epos, wo er sich ängstlich ab
müht, in den Sphären der Alten zu bleiben, jene kecken
,Vagantenlieder' sollte gemacht haben. Auch dass der Tod
des Thomas Becket (f 29. December 1170), wenn auch neben
dem des Robert von Cambray (f 1174), VII, 329 ff. wie
etwas Neues erwähnt wird, ist nicht zu übersehen. Und wir
haben ja Nachrichten auch über die Abfassungszeit des Ge
dichtes, die fast bis an die Zeit des Dichters hinanreichen.
Im Cod. Philol. 258 der k. k. Hofbibliothek in Wien (XIII.
Jahrhundert), der die Al. enthält, steht am Schlüsse: Thomas
Cantuariensis episcopus passus est anno domini MCLXX et eodem
anno inceptus fuit Über iste a magno Gualthero, finitus autem
fuit anno domini MCLXXV (vgl. Tabulae cod. mascr. Vind. I,
Nr. 568). Dieselbe Notiz, nur in etwas anderer Fassung, steht
in den Codd. 8351, fol. I (XIII. Jahrhundert) und 8359, fol. 75
(XIV. Jahrhundert) der Bibi, nationale in Paris (die Stellen
mitgetheilt von Thurot in der Revue critique 1870, Art. 35,
S. 123) 2 und im Cod. Mathiaeus der Al. (die Stelle abgedruckt
bei F. A. W. Müldener, de vita magistri PhUippi Gualtheri ab
Insidis . . Göttingen 1854, S. 35) und wahrscheinlich in noch
anderen der sehr zahlreichen Hss. der Al. 3
Aber schon das Vorhandensein in den angeführten Hss.
beweist, dass diese Notiz sehr alt ist, mindestens bis in den
Anfang des XIII. Jahrhunderts zurückgeht. Unmöglich ist es
freilich nicht, dass irgend ein Gelehrter der Zeit nach der
Stelle VII, 329 ff. und nach dem guinquennium des prologus
diese Notiz angehängt hat, aber da andere Erwägungen uns
ebenfalls auf die Zeit vor 1175 als die der Abfassung des
Gedichtes verwiesen haben, etwas Sicheres sich gegen die
1 Giesebrecht a. a. O. 366. Oscar Hubatsch, Die lateinischen Vaganten
lieder des Mittelalters, Görlitz 1870, S. 84 ff.
2 Die hier recensirte Schrift: Walter von Chatilion, von Richard Peiper,
Breslau 1869 (Festschrift des Gymnasiums in Brieg) ist mir leider un
erreichbar geblieben.
3 Die k. k. Hofbibliothek in Wien allein besitzt deren acht.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Escbenbach.
315
Angaben der IIss. nicht anführen lässt, 1 so wird man annehmen
müssen, dass Gu. in den Jahren 1170—1175 seine Al. ver
fasste, sie aber erst nach 1180 veröffentlichte, bis zu welcher
Zeit sie mehrfach Zusätze und Umgestaltungen erfahren hat.
Es scheint möglich, dass sich solche Aenderungen und
Zusätze bei eindringender Untersuchung des Gedichtes ganz
bestimmt nachweisen lassen. Vorläufig aber mangelt zu einem
solchen Unternehmen noch ein gesicherter authentischer Text
des Werkes. Wir besitzen eine Ausgabe von F. A. W. Mül-
dener, Lipsiae 1863, aber Herr Müldener hat eben einen blossen
Text gegeben, hat sogar über die sechs von ihm benützten
Hss. nur je drei Worte zu sagen für gut befunden, von denen
die beiden ersten immer ,cod. ms/ sind und nur bei einem
einzigen noch die Jahreszahl 1208 hinzugefügt und man bleibt
daher, obwohl er ausserdem noch fünf alte Drucke und Aus
züge aus mehr als vier anderen Hss. benützt hat, über die
Authenticität seines Textes völlig im Unklaren. Ich habe die
Hs. der königlichen Bibliothek in Berlin Ms. lat. Oct. 74 2 und
den Strassburger Druck von 1513 und den Lyoner von 1558 3
verglichen, und glaube schon darnach behaupten zu können,
dass Miildeners Text Manches zu wünschen übrig lässt. Um
nur das Eine hervorzuheben, stimmen die Eigennamen Ulrichs
von Eschenbach vielfach mit den alten Drucken und der
Berliner Hs. überein, während wir bei Müldener die Formen
finden, die in unseren Ausgaben des Curtius . . . stehen, manch
mal sogar gegen das Versmass. Da Gu., wie Achleuthner, de
Qualteri Castellionensis Alexandreide (Linz 1861), S. 10 fit.
gezeigt hat, die Gesetze der Metrik mit ganz bestimmten
1 Warum kann nicht Gu. selbst dergleichen beigeschrieben haben? Eine
Untersuchung der Hss. auf ihre Descendenz hin wird da Gewissheit
schaffen.
2 Perg. XIII. Jahrhundert, nur noch 39 Blätter erhalten, mit den Versen
II, 126—488. IV, 124-185. V, 1—VII, 127. VIII, 121—179. VIII, 240
—IX, 328. IX, 453—516. Auf der Seite stehen 31 Zeilen, über denselben
und an den Rändern viele Glossen, in denen zwei Hände zu unter
scheiden sind, wovon die eine nicht viel jünger scheint als der Schreiber
des Textes.
3 Müldener gibt fälschlich 1548 an, ebenso wie beim St. Galler 1658 statt
1659 steht. Ein vollständiges Verzeichniss aller Drucke der Al. findet
sich in Nouvelle Biografie generale XIX, 709 f.
316
Toischer.
Ausnahmen streng einhält, so kann er z. B. nur die Form
Narbazones (Narbasones) VI, 385. 495. VII, 41. 56 u. ö. als
Versanfang gebraucht haben, die die alten Drucke, Berliner Hs.
und Ulrich wirklich darbieten, und nicht Nabarzanes, wie Mül-
dener schreibt. 1 Dass ich trotzdem im Folgenden immer nach
Müldener citire, ist schon deshalb nöthig, weil seine Ausgabe
Jedem leicht zugänglich ist und sie allein die Verse zählt.
Man hat bis auf die neueste Zeit allgemein angenommen,
dass für die Al. des Gu. die Hauptquelle Curtius gewesen sei,
ja man hat sein ganzes Werk für nicht viel besseres als eine
metrische Umschreibung des Curtius erklärt (Achleuthner a. a. 0.
S. 19). Doch hatte schon Giesebrecht erkannt, dass er neben
Curtius auch Justin benutzte, und schon aus dem mehrmaligen
Vorkommen des Namens Nectanabus war zu ersehen, dass er
auch die fabelhafte Geschichte Alexanders kannte. Da hat
aber nun Dr. Kuno Francke, Zur Geschichte der lateinischen
Schulpoesie des XII. und XIII. Jahrhunderts (München 1879),
S. 89—107 ,die Quellen der Alexandreis Walters von Chatilion'
aufzudecken versucht. Er hat Uebereinstimmungen mit Julius
Valerius, mit Pseudo-Callisthenes, mit der Historia de preliis,
mit Ben Gorion und Josephus gefunden, und da er der An
sicht zu sein scheint, ein Dichter müsse sich stets an eine
einzige Quelle halten und habe da ,in Ausmalung von Einzel
heiten seine Kraft zu bethätigen' — oder wie soll man die
Ausführungen S. 104 verstehen? —• so kommt er zu dem
Schlüsse, ,Walther habe seinen Stoff im Wesentlichen bereits
in der von ihm festgehaltenen Gestalt, d. h. in einer Vermischung
von der eigentlichen Alexandersage, Curtius und Justinus vor
gefunden.‘ Diese Schrift sei ,auf römischem Boden', ,im III. Jahr
hundert etwa' entstanden. Als Beweis, dass es eine solche
Schrift gegeben haben müsse, wird nur noch v. IX, 507 an
geführt, dass nämlich Alexander auch zu den Quellen des Nil
Vordringen will, was ausserdem nur noch bei Arrian VI, 1, 4
Vorkommen soll, den allerdings Gu. nicht benützt haben kann.
Aber Francke vergisst dabei ganz Lucan (Phars X, 295 ff.),
1 Dass nur in der Ausgabe Müldeners zweimal ein Hylas erschlagen wird,
will ich doch auch erwähnen: III, 72 und 95, in den alten Drucken
steht an letzterer Stelle Elim. Vgl. aber auch III, 49. 116, wo derselbe
Widerspruch bei Jollas zu walten scheint.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
317
von dem er doch selbst einmal richtig bemerkt (S. 24), dass
Gu. ihn vor allen römischen Dichtern bevorzugt habe. Und
seine ganze Hypothese von dieser angeblichen Quellenschrift
des Gu. würde Herr Francke kaum in die Welt geschickt
haben, wenn er berücksichtigt hätte (was in der Ausgabe des
Curtius von Jul. Mützell, Berlin 1841/42, I, XXIX ff. zu
sammengestellt ist), wie vielfach Gu. Fehler unserer Hss. des
Curtius mit in sein Gedicht herübergenommen hat. Diese
Fehler können doch nicht schon im III. Jahrhundert vorhanden
gewesen sein? Oder ja? Und auch schon im III. Jahrhundert
diese grossen Lücken? Denn Gu., oder wenn man will, seine
Quelle, folgt überall dort, wo unsere Hss. des Curtius Lücken
haben, anderen bekannten Schriften, eben dem Justinus und der
Historia de preliis. Und wenn nun Gu. selbst eine so defecte
Hs. des Curtius besass, was hätte er anders thun können, als
sich für den Anfang und sonst nach anderen Quellen umzu-
sehen und durch die Berichte derselben so gut als möglich die
Lücken des Curtius auszufüllen?
Wie mit Curtius, so stimmen die aus Justinus ent
nommenen Stellen vielfach auch in den Ausdrücken überein,
bei der Historia de preliis aber lässt sich das nicht bestimmen,
bevor wir nicht eine Ausgabe derselben haben; denn die Re-
censionen, die ich kennen gelernt habe (s. S. 367 f.), weichen im
Ausdruck nur nicht ganz vollständig von einander ab. Nach
den Angaben Francke’s (er gibt freilich nicht an, welchen
Text der Historia er benützt hat) könnte übrigens höchstens
noch lür eine Stelle (den Gesang des Cleades I, 328 ff.) Jul.
Valerius als Quelle in Betracht kommen, aber auch für diese
Stelle dürfte sich eine andere Erklärung finden.
Mit dem, was Curtius, Justinus und die Historia de pre
liis (Hdp.) berichten, stand dem Gu. eine solche Fülle von
Stoff zu Gebote, dass wir billig die weise Beschränkung, die
er sich auferlegt, bewundern und die Kunst, mit der er aus
der Unzahl von Abenteuern und der unübersehbaren Menge
von Kämpfen seine Auswahl traf.
Gu. ist mit den römischen Classikern so vertraut, wie
v lelleicht kein Zweiter in seiner Zeit. In seinen Werken zeigt
sich Kenntniss des Vergil, Ovid, Lucan, Statius, Claudius,
Horaz und Juvenal. Er wollte ein ähnliches Werk schaffen,
318
T o i s c h o r.
wie diese, oder sie wo möglich noch übertreffen. So schon in
der Wahl des Stoffes: Er hebt im Prologus zu seinem Ge
dichte hervor: altitudinem materiae, quam nullus veterum poeta-
rum, teste Servio, ausus fuit aggredi perscribendam. Aus dem
Studium der römischen Epiker ergab sich ihm der streng ein
heitliche Bau des Gedichtes mit Beiseitelassung alles Un
wesentlichen, Kleinlichen oder zu weit Abliegendeu. Ja, den
Grundgedanken für das ganze Gedicht hat ihm einer jener
unsterblichen Alten überliefert: Lucan, der in seiner Phars.
X, 41 (neben Anderem) über Alexander sagt: naturaque
solum Hunc potuit finem vesano ponere regt. Gu. stellt darnach
Alexander dar als den Helden und König, dem es vom Schick
sal bestimmt ist, sich den Erdkreis dienstbar zu machen. Der
ist damit nicht zufrieden. Die Erde ist ihm zu klein und zu
eng. Er strebt ins Uebermenschliche — aber wie er die
Grenzen der Natur zu überschreiten sucht, hat diese seinen
Untergang schon bereitet. In breit epischer Weise schildert
Gu. die Heldenthaten Alexanders von seinem Knabenalter bis
zur Unterwerfung Indiens. Immer Grösseres und Grösseres
hat der ,wunderliche' Held verübt, aber sein Thatendurst ist
nicht befriedigt. Er will noch immer weiter. Da steigt die
Natura zum Styx hernieder und ruft den Leviathan, den Vater
und Rächer der Frevel, zu Hilfe; dieser sendet aus seinem
Reiche die Proditio und dadurch findet Alexander seinen
Untergang.
Der Dichter hat also für den Schluss seines Epos die
historische Darstellung des Curtius unbrauchbar gefunden, aber
er hat auch alle die wunderbaren und unglaublichen Abenteuer
verschmäht, welche Alexander nach der Sage in oder hinter
Indien noch bestanden, er hat vielmehr eine jener Allegorien
erfunden, die in seiner Zeit beliebt waren, die uns aber in der
krausen Vermengung von Heidenthum und Christenthum wenig
ansprechen.
Gu. ahmt in seiner Beschreibung der Unterwelt das
sechste Buch der Aeneide nach, weiss aber Vorstellungen der
christlichen Hölle damit zu vereinigen. In der Schilderung
des Leviathan selbst hat er viele Züge des Cerberus von
Vergil verwendet, während das ganze Wesen der Proditio aus
der Alecto (Aen. VH, 327—374) sich erklärt: vgl. Josef
lieber die Alexandreits Ulrichs von Eschenbach.
319
Ivancic, Wie hat Walther von Castiglione (sic) Vergil nach-
geahmt (Programm des Gymnasiums zu Mitterburg, 1878).
Der christliche Dichter hat auch wie die antiken den ganzen
mythologischen Apparat in seinem Epos in Thätigkeit gesetzt.
Wenn man aber diesen Göttern und Göttinnen, die Gu. ein
führt, etwas schärfer ins Auge schaut, da erscheinen sie als
Allegorie und hohle Phrase (vgl. die Angaben der Tageszeit
VII, 1—13. X, 356—374 u. a.). Wenn eine höhere Macht ein
greift, so ist es die starke Hand Jehovahs, der allmächtige
Wille des Einen Gottes, der da spricht: Es ist kein Gott
ausser mir.
Der schaffenden Phantasie hat Gu. ausserhalb jener
Schlusspartie noch oft freien Lauf gelassen, aber wo er erfindet,
erfindet er nach Analogie der römischen Epiker. So in den
grossen Schilderungen der Schlachten bei Issos und bei Arbela; 1
so jene schöne Episode von den treuen Cameraden Symmachus
und Nicanor IX, 77—147; 2 so auch in der ausführlichen Be
schreibung des Schildes des Darius II, 496 ff. Aber da be
gegnet uns wieder dieselbe naive Confusion: auf dem Schilde
des Perserkönigs ist biblische Geschichte gebildet und ebenso
muss dann später Apelles auf Geheiss Alexanders das Grabmal
der Gattin des Darius (IV, 176—274) und theilweise auch das
des Darius selbst (VII, 379—430) mit Darstellungen aus der
biblischen Geschichte schmücken.
Andererseits wieder muthet er seinen Lesern dieselbe
Kenntniss der griechisch-römischen Mythologie und Sage zu,
wie die römischen Dichter ihren Zeitgenossen. Gu. selbst
hat sich auf diesem Gebiete die sichersten Kenntnisse er
worben und liebt es nun, Anspielungen darauf überall an
zubringen, wo sich nur irgend Gelegenheit dazu bietet, bald
kurz und dunkel mit wenig Worten, bald auch in längerer
Erzählung (vgl. z. B. III, 435 und VIII, 226— 240). Das war
dann vielleicht die Veranlassung, dass auch auf manche Thaten
Alexanders, von denen Curtius ausführlich berichtet, nur mit
1 Doch möchte ich für diese Partien doch erwähnen, dass Gu. auch die
nationalen Epen kannte: vgl. die Anspielung auf die Kolandsage V, 516
Q uas Sub Carolo mei'uit Hispania solvere poenas.
Nach dem Yorbilde von Nisus und Euryalus, Aen. IX, 169—449.
320
Toischer.
ein paar Worten hingedeutet ist (z. B. II, 269—271), als ob
auch sie allgemein bekannt wären.
Von den Reden der verschiedenen Personen, die schon
bei Curtius prunkvoll ausgearbeitet Vorlagen, hat Gu. (in den
Partien, die er in seinem Gedichte verwerthete) selten eine
ausgelassen, manche aber noch hinzugedichtet (im VII. Buche
allein 17—58. 189—194. 355—378). Das ganze Gedicht ist
von gewichtigen Sentenzen durchzogen (vgl. VIII, 33—35.
250 — 251. 355 — 357. 412 — 414. 426 — 427), ausführliche
Gleichnisse sind allenthalben darin verwebt (I, 49. II, 401.
V, 310. VII, 122. VIII, 471. 482. IX, 42. 257. 337. 493.
X, 253. 430), meist Vorgängen in der Natur entnommen, und
vielleicht am besten gelungen sind die Naturschilderungen
selbst (II, 305 ff. VII, 240 ff. u. a.).
Im Grossen und Ganzen hält er sich auch im Ausdruck
an seine Quellen, doch ahmt er gelegentlich, besonders aber,
wo er seine Quellen verlässt, die Dichter in auffallenden Rede
wendungen und Worten nach, 1 und sein Ausdruck wird da
durch oft dunkel, freilich aber gewann sein Gedicht eben da
durch auch jenen Schimmer der Classizität, der ihm die höchste
Bewunderung der Zeitgenossen einbrachte. Wenn manche
Stellen der Interpretation bedurften, so eignete es sich darum
nur um so mehr als Schulbuch, wozu die Al. durch Jahr
hunderte verwendet wurde, so dass Klagen laut wurden, dass
dieses Gedicht Ovid und Vergil verdränge. Ein Vers daraus
ist ja heute noch in allen Gymnasien geläufig; das lncidit
in Scyllam . . . (V, 301).
In wie weit war die Alexandreis des Gualtherus Quelle für
Ulrich von Esehenbach?
Wir müssen zur Beantwortung dieser Frage versuchen,
einen Ueberblick über das ganze grosse Werk Ulrichs zu ge
winnen. Was bezweckt er mit seinem Gedichte? Müssigen
Lesern oder Hörern angenehm die Zeit zu vertreiben, und er
hat dabei nur noch das Bestreben, seine Geschichte so voll
ständig als möglich zu erzählen. Es findet sich also bei Ulrich
1 Besonders Lucan; vgl. z. B. die Ausdrücke Magnus, Pellaeus, Terrarum
fatale maluin u. a. Für Vergil vgl. Ivancid a. a. O.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbacli.
321
nichts von jener Beschränkung, von jenem einheitlichen Auf
bau des Ganzen, das wir bei Gu. fanden. Im Gegentheil.
Ulrich fand bei dem Gedichte des Gu. nur, dass der nicht
alles erzählt hat, was von Alexander überliefert wird, und er
ist nun bestrebt, das mangelnde zu ergänzen. Wo er nur eine
Anekdote über Alexander auftreiben konnte, die hat er sicher
in seinem Gedichte angebracht, und es zeigt sich dabei nur
die Absicht, eine gewisse Reihenfolge einzuhalten, in der die
einzelnen Geschehnisse auf einander gefolgt sein könnten. 1
Je wunderbarer eine solche Geschichte ist, um so besser ist
sie, denn sie dient dann besser dem Hauptzwecke des Ganzen:
zu unterhalten.
Wenn aber das Publicum seiner Zeit einer Geschichte
Beifall spenden sollte, so war die erste Bedingung die, dass
das Erzählte auch wahr sei. Man war aber dabei zufrieden,
wenn sie sich nur für wahr ausgab. Bei Ulrich fehlt das
Streben nach wahrheitsgetreuer Darstellung ganz und gar. Er
geht überall auf das leichtsinnigste über seine Quellen hinaus,
aber er vergisst nie Gewährsmänner anzuführen, oder wenig
stens auf das maere, die äventiure . . . sich zu berufen. Da
mit war bei seinem unkritischen Publicum ein jeder Zweifel
an der Wahrheit behoben, und so wie Ulrich machten es ja
die meisten Dichter seiner Zeit. Wir werden dein Dichter
eine lebhafte Phantasie auch nur zum Vortheil anrechnen.
Härter müssen wir eine andere Eigenschaft des Gedichtes
beurtheilen, die trotzdem für die damalige Zeit wenig Anstoss
erregen konnte. Ulrich war nämlich nicht im Stande, seinen
ganzen ungeheuren Stoff zu übersehen und zu beherrschen.
Eine einzelne Scene weiss er lebensvoll zu gestalten, aber das
Einzelne fesselt ihn so, dass sein Blick über ein beschränktes
1 Dies beobachtet er bis ins' kleinste Detail. Ein Beispiel dafür bietet
Gu. VI, 161 ff. = Ulrich 15287 ff. Gu. erwähnt zuerst die Eroberung
von Persepolis durch Alexander, dann die ungeheuere Beute, hierauf
einiges aus der Vorgeschichte der Stadt und dann erst: die Zerstörung
erfolgte nicht mit Unrecht, denn Alexander traf da die verstümmelten
Gefangenen, die er dann nach Möglichkeit versorgen will. Ulrich erzählt
zuerst Ton der Vorgeschichte der Stadt, hierauf von der Ankunft Alexan
ders, wobei er die Gefangenen sieht, Eroberung, Plünderung, Zerstörung
der Stadt als Rache für diese Unglücklichen, dann erst die weitere Ver
sorgung derselben.
322
T o i 8 c li e r.
Feld nach vor- und rückwärts nicht hinausreicht. So begegnen
ihm Wiederholungen und schroffe Widersprüche. Er brauchte
ja auch gar nicht zu fürchten, dass jemand sein colossales
Werk in continuo lesen würde. Und er war ein armer Spiel
mann, der von seiner Kunst lebte, und er hat bei wechseln
dem Glück jahrelang an dem Werke geschaffen. Da ändern
sich selbst Stil und Darstellungsweise. Die Art der Erzählung
des X. Buches ist sehr verschieden von der des I. Buches
und auch äusserlich zeigt sich die grösste Verschiedenheit der
einzelnen Bücher.
Ulrich hat die Eintheilung des Gu. in zehn Bücher ein
fach herübergenommen. Bei Gu. haben alle Bücher (mit Aus
nahme des X., das 469 Verse zählt) mehr als 500, weniger
als 600 Verse. Bei Ulrich aber zählt das I. Buch mehr
als 5000, die folgenden erreichen keines 3000, das VI. hat
gar nur 1000 Verse, während das X. wieder mehr als 7000
zählt. Die Ursachen dieser Verschiedenheit liegen theilweise
allerdings bloss in der grösseren oder geringeren Fülle von
Stoff, die dem Dichter von anderen Seiten zufloss. Wir wer
den aber sehen, dass dies nicht die einzige Ursache war, dass
im Gegentheil auch rein persönliche Verhältnisse des Dichters
dabei in Betracht kommen.
Gleich am Anfang hat Ulrich viel zu erzählen, was Gu.
übergangen hat. Dieser zeigt uns gleich zu Beginn seines
Werkes den trotzigen Knaben Alexander, den es mit Un-
rnuth erfüllt, dass sein Vater einem Fremden tributpflichtig
ist. Hierauf eine Lehre des Aristoteles über die Pflichten des
Herrschers.
Ulrich beginnt mit König Philipp, erzählt ausführlich
von Neptanabus und dessen Verkehr mit Olimpias. Auch be
kommen wir hier eine ausführliche Schilderung von der Macht
des ,Kaisers' Darius. Dann folgt die Geburt Alexanders. Ulrich
erzählt hier gleich die Wundei’, die Alexanders Geburt begleiten,
die Gu. erst bei seinem Tode (X, 342 ff.) erwähnt. Dann be
lichtet er von seinem Heranwachsen, dass er Aristoteles zum
Lehrer hatte, und nun erst (1329) ist er dort angelangt, wo
Gu. beginnt. Nach dessen Darstellung folgt nun die Schilde
rung der Kampfbegierde des Knaben und die Lehren des
Aristoteles (Gu. I, 27—202 = Ulrich 1329—1656). Darnach
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Escbenbacli.
323
aber bat Ulrich wieder zu erzählen von dem Bucephal; von
Alexanders Kampf mit dem Könige Nielas; von der Verstossung
der Olimpias in Alexanders Abwesenheit und deren Wieder
vereinigung mit Philipp durch Alexander; die Tributforderungen
des Darius, die Alexander abweist; endlich vom Tode Philipps.
Bei der Krönung Alexanders in Korinth begegnen sich
die Erzählungen Ulrichs und Gu. wieder (2152 ff. = I, 203 ff.).
Alexander sagt hier gleich seinen Herren Heerfolge an.
Ulrich erzählt auch noch, dass er den Tag der Versammlung
bestimmte und für die Regierung seines Landes während seiner
Abwesenheit Sorge trug.
Die Heerschau wird in Korinth abgehalten. Athen und
Theben, die sich dem Gebote des Königs widersetzen, werden
bezwungen (Gu. I, 354 = Ulrich 3950). Nun aber wieder
eine Abschweifung. Während des Winters kommt abermals
eine Gesandtschaft von Darius, um den Tribut einzutreiben,
der abermals verweigert wird (4272).
Im Frühling schifft sich Alexander ein nach Asien und
von da an folgt nun die Erzählung Ulrichs genau dem Vor
bilde des Gu. Das I. Buch schliesst mit dem Einzuge Alexan
ders in Jerusalem (5372).
Vom II. bis IX. Buche sind die Thaten Alexanders in
Asien erzählt bis zur Unterwerfung des Porus und der Ein
nahme der Stadt Sudraca. Ulrich hält dabei genau die Folge
bei Gu. ein.
Wichtigere Abweichungen, zu denen bei Gu. keine Ver
anlassung gegeben war, finden sich nur im VII. Buche in der
Darstellung der letzten Augenblicke des Darius, dann am
Schluss dieses Buches (17067 ff.): die Kaiserkrönung Alexan
ders und seine Hochzeit und die Botschaft der Candazis;
dann im VIII. Buche eine Reihe von Erzählungen von dem
Zwist und Streit der Juden (17729—17950); der Schluss des
VIII. Buches von dem Feldzug Alexanders gegen die Skythen
(über das was Gu. davon berichtet hinaus 18691—18912); im
IX. Buche das Abenteuer mit dem Zwergkönig Antilois
(18954—19206); die Thaten der Söhne der Candazis im Heere
des Porus; der Zweikampf Alexanders mit Porus; Alexanders
Besuch bei Candazis unter dem Namen Antigonus; am Schlüsse
des Buches noch die Einschliessung der Völker von Gog und
324
Toischer.
Magog und Alexanders Ankunft bei Porus, der seine Länder
von Alexander als Lehen empfängt (21052).
So ist das IX. Buch schon durchaus mit fremden Bestand-
theilen durchsetzt. Ganz verlässt Ulrich den Gu. im X. Buche.
Hier sind alle Fabeln und Wunder und Ungeheuerlichkeiten,
die man vom Morgenlande erzählte, als dem Alexander be
gegnet, zusammengefasst. Die Darstellung lässt sich in folgende
Abschnitte zerlegen:
M. Yon Porus aus zieht Alexander durch Indien bis über
die Säulen des Herkules hinaus zum Hause der Sonne auf
einem hohen Berge. Die wunderbarsten Thiergestalten und
verschiedene Wundermenschen verursachen ihm endlose Kämpfe.
Er kommt dabei in Berührung mit Gymnosophisten und Brah-
manen. Vorzeichen geschehen, die seinen Tod verkünden
(23681).
B. Alexander ist zu Porus zurückgekehrt, beginnt aber
nach kurzem Aufenthalte einen neuen Zug. Seine Fahrt zum
Meeresgründe. Er kommt bis zum Berge, auf dem Elias und
Enoch leben, von denen er als Tribut einen wunderbaren Stein
erhält (24648).
C. Ein neuer Zug, wieder von Porus aus. Alexanders
Fahrt in die Luft. Leviathan, der Höllenfürst, ist besorgt um
sein Reich, ruft Gott um Hilfe an und verklagt Alexander
bei der Nature. Diese will ihn tödten, worüber der Teufel
froh ist. Der Gifttrank wird bereitet. Alexander kommt in
dessen nach vielen Abenteuern bis in die Nähe des Paradieses,
von wo er als Tribut wieder einen wunderbaren Stein erhält
(25440).
D. Alexander zieht von da aus weiter, begegnet theil-
weise denselben Ungeheuern, wie auf seinem ersten Zuge, und
kommt endlich zu den Bäumen der Sonne und des Mondes,
die ihm seinen Tod verkünden (26080).
E. Alexanders Rückkehr nach Babilon und sein Tod. —
Mit Vers 27552 ist die Erzählung von Alexander zu Ende.
Nun folgt ein Epilog Ulrichs bis Vers 27642. Darauf
ein Nachtrag. Er hat noch von Seleucus Nicanor etwas er
fahren und kann das nicht unerwähnt lassen. Dem hat näm
lich Alexander in seinem Testamente Pontus und Asia ver
macht, er hielt die Königin in Ehren und erzog deren Bruder
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
325
Xerxes, der den Darius rächte, indem er die Griechen unter
warf und Athen einäscherte: all das steht im ärgsten Wider
spruche zur früheren Erzählung. Ebenso albern wird uns dann
noch versichert, dass Antigonus der Königin auch viel Ehre
erwies (27696J. Darauf folgt eine Verweisung auf Daniel, der
das Leben Alexanders vorausgesagt hat (was auch vorher öfter
erwähnt ist, beginnt doch das Gedicht damit) und 27730 heisst
es endlich: hie muoz ich die rede läzen dis buoches. Es folgt
aber doch noch ein Gebet für König Wenzel, das er 27752
feierlich mit secula seculorum amen schliesst. Aber noch nicht
genug. Es kommt ein neuer Epilog, in dem er um Nach
sicht bittet:
ob mir der sinne gehrach,
da% ich iergen mich vergaß
da$ ich niht so suo$e ma%
dise rede, als ir doch zimt,
und der zum Schluss wieder in Gebet übergeht. 27779 hören
wir endlich dis buoches ist nimmere — aber dar nach volgt
ein guotiu lere als Anhang, und diese gute Lehre geht bis
Vers 28000. Diese Zahl erklärt uns nun, warum er gar
nicht enden kann, denn offenbar wollte er diese erreichen und
hat dies nur mit grösster Mühe zu Stande gebracht.
In diesem Umfange ist das Gedicht zuerst veröffentlicht
worden, wie die Heubacher und Basler (und die ehemals Witten
berger) Hs. bezeugen. Im Laufe der Zeit aber hat Ulrich ein
neues Abenteuer von Alexander erfahren, das er noch nicht
erzählt hatte. Er dichtete also (mindestens zehn Jahre später,
vielleicht schon im XIV. Jahrhundert) eine Fortsetzung, die
man wohl als XI. Buch bezeichnen kann. Gegenstand derselben
ist die Belagerung der Stadt Tritonia durch Alexander: eine
gelehrte Allegorie. Tritonia ist die dreifache Weisheit der
Alchymie, Astronomie und Negromanzie, gegen welche der
grosse Alexander mit all seinen Helden nichts ausrichtet, die
mit Gewalt überhaupt nicht bewältigt werden kann. Erst als
ihm Aristoteles zu Hilfe kommt, vermag er in die triplex sapien-
ha einzudringen und sie sich unterthan zu machen.
Diese grosse Allegorie ist durchaus nicht ohne Interesse.
Die Erörterungen über die menschliche Freiheit z. B., oder
die Verurtheilung der Goldmacherei durch den Mund des
Situmgatwr. d. phU.-iiiat. CI. XCTII. Bd. II. Hft. CI
326
Toi scli er.
grossen Aristoteles scheinen mir in einem deutschen Werke
dieser Zeit bemerkenswerth. Leider ist es mir nicht gelungen,
die Quelle für diese Fortsetzung zu finden. Nur will ich be
merken, dass sich darin Kenntniss der Secreta Secretorum
zeigt, welche Ulrich sonst nicht kennt. Es wird wohl auch
dies schon in seiner Quelle gestanden haben. In technischer
Beziehung ist es eine schwache Arbeit. Es ist auch nicht
vollendet. Der Einzug Alexanders in der Stadt ist noch ge
schildert und die Zurüstung zu einem Festmahl, aber damit
hört es plötzlich auf (Vers 2104 = 30104 des ganzen Ge
dichtes) ; die vier Schlussverse, die die Heidelberger Hs. noch
bietet, sind offenbar Zusatz eines Schreibers. Man wird an
nehmen müssen, der Dichter sei über dieser Arbeit gestorben.
Die Al. des Gu. war für Ulrich demnach Q,uelle: theil-
weise für das I. Buch; für das II. bis IX. Buch fast aus
schliesslich ; theilweise für die Abschnitte C. und E. des
X. Buches.
Wie steht Ulrich nun in diesen Partien dem Gu. gegen
über? Wir finden da zunächst
Auslassungen,
allerdings nur wenige, besonders in den ersten Büchern. Die
Einleitung I, 1-—26 war für Ulrich unbrauchbar. Dann blieb
im I. Buche noch weg 59—71 die äussere Erscheinung des
Aristoteles; 212—226 die Schilderung der Versammlung der
Macedonier bei Alexanders Krönung; 207—-208 eine Anspielung
auf die Bekehrung Korinths durch Paulus, und 253—255 wer
die Generäle Alexanders ohne Waffen gesehen hätte, würde
sie für einen Senat gehalten haben.
Im II. Buche ist Vers 155—162 und 167—169 über
gangen ; bei dem unglücklichen Bade im Cydnus zuerst eine
ausführliche Angabe der Jahreszeit, dann die Erklärung, warum
er sogleich in Ohnmacht fallen musste. 289—291 die Aus
legung des Käthes des Thymodes von Seite der persischen
Grossen.
Im III. Buche ist Vers 294—-300 ausgelassen und damit
die Rechtfertigung der Zerstörung von Tyrus als Strafe für die
Ermordung der Gesandten Alexanders; 406—412 dass Alexander
auch Aetlviopum gentes, Mamnonis arvci, Aurorae sedes heim-
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
327
suchen wollte; 475—482 die Wirkung der Mondesfinsterniss
im Lager der Macedonier, die Ulrich nur durch die Reden
derselben schildert; 532—540 über die Macht der superstitio.
Eine grössere Anzahl von Versen ist im IV. Buche aus
gelassen, aber auch hier sind es wieder nur einzelne unbe
deutende Züge, die übergangen sind: 51—55. 82—87. 350—352.
365—372. 380—383. 443—449. 456—462. 465—472. 477—478.
486—487. 536—538. 542—543. 549—564. 571—574. 581-583.
Für besonders bemerkenswerth halte ich, dass auch die Be
schreibung der Rüstung Alexanders 500—515 ausgelassen wurde.
Im V. Buche ist gleich Vers 7—10 die Prophezeiung
Daniels übergangen, weil Ulrich dieselbe schon an anderer
Stelle gebracht hat. In der Schilderung der Schlacht bei
Arbela sind die Verse 94—103 ausgelassen, die vom Schmerze
des Metha beim Falle seiner beiden Söhne handeln; 135—154
wohl deshalb unbeachtet geblieben, weil Ulrich die Erzählung
vom Kampfe zwischen Reimon und Nicanor ununterbrochen
fortführen wollte. Dann waren 276—280. 453—455. 487—490
leicht entbehrlich, der Schluss des Buches aber für den
deutschen Dichter geradezu unmöglich, da die Erhebung Ale
xanders über alle Helden, von denen Dichter sagen, nur in
dem Wunsche gipfelt, Frankreich möge einen Herrscher be
kommen gleich Alexander.
Im VI. Buche ist Vers 99 — 102, eine etwas zu grosse
Prahlerei Alexanders, weggeblieben, dann aber grosse Partien
gegen Ende des Buches: 402—421, der grössere Theil der
Rede des Narbazanes, womit er Darius bewegen will, ihm
zeitweilig die Herrschaft zu übergeben; 426—429 die Antwort
des Darius; 443—476 die Zustände im Heere des Darius, in
denen der Grund lag, dass Bessus und Narbazanes nicht offen
gegen Darius vorgehen konnten; 482—489 Darius ahnte nichts
von dem Verrath; 528—552 gewarnt will er ausharren und
sich nicht der Huth Fremder überlassen.
Die weitgehendsten Auslassungen zeigt das VII. Buch.
50-52. 63—64. 83—88. 100—103. 120—129. 134—137 . 200—
205. 208 —209. 229—239 sind ganz weggeblieben, und da
zwischen noch Vieles so kurz als möglich zusammengefasst,
oder der wesentliche Inhalt herausgenommen. So ist Vers
43 46 von Ulrich Vers 16365 mit den Worten ist aber des
21*
328
Toisclier.
niht wiedergegeb en; 65—69 in den Versen 16397—16402;
107—116 in 16477—16485; 240—244 (die liebliche Schilderung
der Quelle) in 16714—16715 u. s. w. Ueberhaupt ergab eine
Zählung, in wie viel Versen Ulrich bei verschiedenen Partien
einen Hexameter übersetzt, für diesen Abschnitt die geringsten
Zahlen. — Von Vers 247—538 erzählt Gu., wie der tödtlich
verwundete Darius aufgefunden wird von Polystratus, mit dem
er eine längere Unterredung bat, ihm die Hand drückt und
stirbt. Nun schiebt der Dichter eine Betrachtung ein, die
bald in arge Ausfälle gegen die hohe Clerisei übergeht, ein
Abschnitt (Vers 306—347), der lebhaft an die ,Apokalypse'
oder andere Vagantenlieder erinnert. Dann folgt die Fort
setzung der Erzählung: Alexanders Klage an der Leiche des
Darius, dessen prachtvolle Bestattung, der Aufstand der Sol
daten, die den Krieg für beendet halten und nach der Heim
kehr verlangen, und wie Alexander sie beschwichtigt. — Ulrich
hat von all dem fast nichts in sein Gedicht herübergenommen.
Nur Vers 260 ist 16759 ff. wiedergegeben, 431—435 in
16877—16896, dann noch Einiges aus der Beschreibung des
Grabmales 16923—16954. 17016—17060. Sonst erzählt Ulrich
nach einer anderen Quelle, nämlich der Hdp., mit der sich
aber noch viel mehr aus Gu. hätte vereinigen lassen. Der
Aufstand der Soldaten ist bei Ulrich auch nicht vorhanden.
Er erzählt nur kurz (17095—17118), Alexander habe seinen
Fürsten gesagt, wer bei ihm bleibe, dem wolle er immer ge
wogen sein, wer aber nicht wolle, der solle innerhalb vierzehn
Tagen wegziehen. Die Fürsten wollten aber Alle bleiben.
Da Ulrich im VII. Buche schon den Tod des Bessus
und Narbazones erzählt hatte (nach Hdp.), so musste im VIII.
Vers 6—7 und 337—357 des Gu. wegbleiben, wo dieser Beiden
Erwähnung geschieht. Ebenso ist Vers 63—66 ausgelassen,
und aus dem Processe des Phiiotas 153.—158. 163—167.
243—252. 263 — 279. 292—300, vielleicht weil auch ihm diese
Darstellung allzulang schien, besonders die Rede des Phiiotas.
Im Ganzen aber ist dieser Abschnitt auch bei Ulrich noch
breit ausgeführt (Gu. 194—300 = Ulrich 18398—18578).
Auch dass Phiiotas gefoltert wurde (309—320), hat Ulrich
mitleidig übergangen. Dann ist die geographische Angabe
über Skythia 362—367 weggeblieben, und am Schlüsse treten
lieber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
329
wieder andere Quellen ein, so dass von Vers 375—513 nur
409—411. 436—439. 460—461 aufgenommen sind (18643—
18664).
Im IX. Buche sind wieder mehr nur Einzelnheiten aus
gelassen. Vers 64—66. 81-87. 126—136. 140-143. 145-147.
162—170. 201—207: dies in der Schilderung der Schlacht
zwischen Alexander und Porus, wovon auch noch 283—318
wegblieb, da Ulrich sich wieder mehr an die Hdp. hält, aber
trotzdem den Ausgang der Schlacht nach Gu. Darstellung er
zählt. Dann fehlen noch 371—376. 393—400. 410—425.
506—507.
Im X. Buche ist Gu., wie oben erwähnt, nicht mehr
Hauptquelle, sondern wird nur ein paar Mal mit herbeigezogen.
Es beruhen auf Gu. nur (vielfach umgestaltet) die Verse
24833-25042. 26653—26683 (Gu. X, 6—167, vgl. 201—204),
dann 26221—26268 (Gu. X. 171—184) und 26525—26626
(Gu. X, 224—249. 265—282). Ulrich beruft sich in diesen
Abschnitten mehrfach auf Gu. als Gewährsmann: s. oben S. 311
(vgl. auch 25015. 25019).
Ich habe in der Aufzählung der Auslassungen unberück
sichtigt gelassen die Gleichnisse und Sentenzen, weil . diese
eine gesonderte Betrachtung erfordern.
Gleichnisse.
Wenn Gu. einmal ein Gleichniss aus der Mythologie
nimmt, wie VII, 122—127. oder IV, 290—297, so lässt das
Ulrich einfach aus oder er entkleidet dasselbe wenigstens der
mythologischen Beigaben: IV, 316—327. Wie Tiphys, wenn
Zephyrus lange günstig war und der chorus Nereidum in den
Wogen sich freute, dann wenn Auster heran braust, seine Ge
fährten anruft und seine Vorkehrungen trifft — Non secus iam
credere fas est Magnamimum timuisse ducem (Alexander vor
der Schlacht bei Arbela) — Ulrich 12387 Wie ein Schiffer,
wenn er den Sturm nahen sieht, Vorkehrungen trifft und seine
Gefährten anruft — also tet Alexander hie.
Ulrich hat da zugleich das tertium comparationis ver
ändert. Dasselbe that er bei einem anderen Vergleiche, der
v on einem Sturm auf der See hergenommen ist, Gu. VI, 379—
383 (Aufrechthalten im Unglück) = Ulrich 15901—15908
330
Toisclier.
(Unglück von allen Seiten); ganz ausgelassen ist IX, 334—340.
IX, 493—500. Die pompösen Verse IV, 589—594 bat er
12895 ff. einfach wiedergegeben:
do was alsb luter du%,
als ob aller wa^er gu%,
walt berc lieide velt und tal
zesamen risen liberal,
was ihm so gut gefällt, dass er es (Gu. IX, 25 gegenüber)
19317 ff. noch einmal wiederholt.
V, 314—318 (Erinnerung an die Thebaische Legion) und
III, 422—427 (das griechische Heer in Aulis) sind ausgelassen,
ebenso wie IX, 42—49 (Bergsturz) und V, 181—182 (Einsturz
eines Thurmes). Dagegen ist V, 69—71 (Fall des Riesen
Geon verglichen mit dem Fallen eines Baumes) von Ulrich
13312 ff. um einen schönen Zug bereichert worden: der baum
lange Riese wirft bei seinem Fall viel der Kleinen um ihn
mit zu Boden (vgl. Iw. 5074).
Viele seiner Gleichnisse hat Gu. von dem Leben der
reissenden Thiere entnommen, so I, 49—58. II, 398—407. V,
47—54. V, 184 — alle diese hat Ulrich ausgelassen, ein an
deres' hat er jämmerlich missverstanden: VI, 301 pardis in-
stantior instat übersetzt er 15762 ff.
als snelle man in jagen sach
als die Parthi za allen ziten
gar drdte phiegen ze mten.
Von den ausgeführteren dieser Art hat Ulrich ein ein
ziges herübergenommen, III, 29—32
tanta levitate feruntur in liostes,
In tauros quantum geminos rapit ira leones,
Quos stimulat ieiuna fames, causamque furoris
Adiuvat excussae gravis obliquatio caudae.
Das lautet bei Ulrich 7926 ff.
nu seht, wie Mein sich mac geivern
ein schuf gegen hungerigen löuwen:
so dein sie aliten der vinde dröuwen.
Statt der Ausführungen des Gu. stellt Ulrich in der ge
wohnten Art der deutschen Dichter die beiden verglichenen
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
331
Gegenstände einander gegenüber und dabei hat er wiederum
das tertium comparationis verändert.
Annähernd vollständig hat er nur zwei Gleichnisse her
übergenommen, II, 59—63 (5814—5822, die Heereszählung
des Darius wie bei einem Hirten, der seine Schafe zählt) und
HI, 455—459 (10017—10024, Verfolgung und Jagd), nament
lich letzteres ziemlich holperig und ungeschickt.
Uebersetzt hat dann Ulrich noch V, 311—312 (14191,
Alexander wie ein Blitz hinter den Feinden her); II, 175
, (6368 ff., Glück gleichet gramem, loube an dem zwi); V, 434
(14427, rasch wie Gewitterregen). Die Vergleichung III, 520
von dem igniculum lucernae und flamma camini hat Ulrich
10164 ff. durch die in kirchlicher Tradition hergebrachte vom
Feuer eines Halmes und einer ganzen Garbe ersetzt. Ein
paar Mal statt der Metapher die Vergleichung gesetzt, so
I, 184 ff. (1640 ff., wie der Thau die Erde befruchtet, ebenso
bringen gute Lehren gute Werke hervor bei der Jugend) und
V, 28 Ferreus armatos contundens malleus artus (von Alexander
gesagt) — 13155 ff.
er begunde des swarzen recken
volc mit siegen blecken■,
als der hammer tuot da% isen.
Wiederum simple Gegenüberstellung der verglichenen
Gegenstände, und so ist es in allen den Vergleichungen, die
Ulrich ohne Vorbild des Gu. in sein Gedicht bringt. Der
selben ist eine grosse Menge, aber fast Alle sind aus anderen
deutschen Dichtern längst bekannt und stark abgebraucht.
Mund eines schönen Weibes gleich der Rose, die am
Morgen thaugenetzt aufbricht, 3877 ff., 6890 ff., 19168 (17320),
vgl. Waith. 27, 29. Neif. 10, 8. HMS. I, 9“ (K. Wenzel).
Der Mai kann sich nicht werden wiben geliehen 3897—
3900 (ähnlich 7838; 12873), vgl. Waith. 45, 37 ff 46, 16 ff.
HMS. I, 9 b (K. Wenzel). Konr. Troj. 34060.
Wie Absalon so schön 13858, vgl. Parz. 796, 8. H. von
Wildonie (ed. Kummer) I, 49 (Greg. 2460).
Er focht als ein swin, da5 niht ahtet üf da% leben sin
8659 ff, vgl. Lamp. 4505. Albr. XIII, 141. Nib. 1883, 3.
Apoll. 9372. Trojk. 34735.
332
T oischer.
Der Lärm der Schlacht ist so gross, als ob tüsent smide
mit hemern üf ir wer ze male slüegen 19953 ff., denn die Helden
hauen auf einander los als smide üf einen anebo% 8135 ff., vgl.
Parz. 152, 5. 537, 27. 112, 28. 210, 4. Trojk. 12804. 33209.
37250.
Er hieb so viele Feinde nieder als der schür tuot den
walt 8153, und die Feinde fallen als ob zitige bim durch schür
von dem boume rirn 3635 ff., vgl. Parz. 80, 1. 56, 3. Trojk.
34664 ff. 35496 ff. 39395 (33346. 34652).
Und so noch Vieles der Art. Allein das wird genügen
als Beleg dafür, dass Ulrichs Phantasie es in diesen Dingen
höchstens bis zur Modification des schon Dagewesenen bringt.
Nur noch ein Beispiel. In der Schilderung der Pracht des
Darius (V, 124 ff.) hat Ulrich die gewöhnlichen Bilder: er
glänzte wie der Tag (13590), wie mächtige Feuer leuchten
(13592) schon verbraucht und er setzt nun noch hinzu (13602 ff.)
habt ir dunkel sterne gesehen
darunder einen liehten gar?
so lühter vür sie alle dar.
Eine elende Aenderung des alten Vergleiches des Mondes vor
den Sternen (s. Haupt zum Er. 2 1766), den schon Waith. 46, 15
in Sonne vor den Sternen umgeändert hatte.
Man sieht daraus auch, dass Ulrich nicht den Gleich
nissen überhaupt abgeneigt ist. Er hat die einmal geläufigen
häufig genug angewendet, freilich auch nur diese, und hat von
denen bei Gu. nur die herübergenommen, die aus dem Ge
sichtskreise des täglichen Lebens nicht weit abliegen. Alle
die anderen werden ausgelassen. Auch wo er eines in sein
Werk aufnimmt, lässt er doch die breite epische Ausführung
weg, entfernt sich also auch da nicht von dem Gebrauche der
übrigen deutschen Dichter.
Sentenzen.
Neben den Gleichnissen fanden von jeher die zahlreichen
Sentenzen in dem Werke des Gu. die allgemeinste Bewunde
rung. Ulrich verhält sich aber zu diesen ähnlich wie den
Gleichnissen gegenüber, d. h. die meisten hat er einfach aus-
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
333
gelassen. So HI, 211. 270. 284. IV, 147. 154. V, 194. VI,
125. 335. 371. 395. VII, 142. VIII, 28 u. a. Wenn wir diese
betrachten, so finden wir auch leicht den Grund, warum sie
ausgelassen wurden; entweder sie lagen dem Inhalte nach zu
weit von den gewöhnlichen Bahnen ab, oder aber es mochte
dem Dichter die Wiedergabe überhaupt schwer werden. Denn
er ist auch den Sentenzen überhaupt keineswegs abgeneigt.
Das sieht man daraus, dass ei - viele solche allgemeingiltige
Sätze ohne Vorbild des Gu. namentlich auch viele Sprichwörter
anbringt. Ich führe ein paar von den letzteren an:
ich hän also Jiceren jehen,
da% man guot mit guote Ionen sol 562 fg.
der lidt zwivaltige not
des name blibet mit dem libe tot 5037 fg.
der niht kan süres liden,
der muoz da$ stiebe miden 5067 fg. (vgl. Wander,
Spw. L. IV, 26)
ja gedäht er, da% Unheil
und ungelücke ist schiere körnen
und da$ auch befßer ivcer genomen
ein schedlin dann ein schade 6836 ff. (Wander, IV, 53).
ja habt wol vernomen ir
künde menige vellet creftic tier 12429 fg.
(Wander II, 860).
gewinnen und Verliesen
muo$ man in strite kiesen.
der durch Verlust wil verzagen
der mac nimmer pris bejagen 14379 ff.
wer wärheit und ganze triuwe hat,
gerne er sich zen Hüten lät 16057 fg.
den valschen man ie vorhtic sach 16560.
ich hän dicke hceren sagen
siver fliehe der si guot ze jaqen 20027 fg.
(Wander I, 1072).
ej geligen nur die veigen 23842.
Der mythologische Apparat
ist von Ulrich im ganzen beibehalten worden, wie er bei Gu.
sich findet. Doch hat Ulrich für die Götternamen oft die
334
T o i s c h e r.
entsprechenden prosaischen Bezeichnungen der Gegenstände
eingesetzt, wie gleich I, 167 si Baccho Venerique vacas bei
Ulrich 1615 durch unkiusche und trunkenheit wiedergegeben ist;
III, 509 Thetis bei Ulrich 10119 durch wa*&er. Aehnlich macht
er es, wenn Gu. zur Bezeichnung von Tag und Jahreszeiten
mythologische Vorgänge herbeizieht.
Gu. II, 54 ff. donec nascentibus astris
Montivagae Phcebes praecederet hesperus ortum
Ulrich 5812 fg. unz das diu sunne gerte
das sie ze gemache ivolde gän.
Gu. II, 306 cum posterus exserit orbem Luciferum Titan
Ulrich 6850 fg. des morgens als erlühte der tac
und diu sunne wolde üf gän . . .
Gu. III, 386 fg. Jam quater irriguos libraverat aere currus
Memnonis impendens lacrimas Aurora sepidcro
Ulrich 9828 ff. an dem vierden tage,
do diu sunne sich wolt neigen
und irn schin niht me zeigen;
do sie sich zuo gemache statt . . .
Gu. V, 351 cum iam declivis Olympus
Phcebeis legeretur equis, fumantibus arvis
.Aethiopum, et solito paidoque remissius igne
Ureret Hercideas solis vicinia Gades
Ulrich 14219 Diu sunne zuo gemache zoch
hinter das gebirge hoch
und ähnlich noch oft: vgl. Gu. III, 274. und Ulrich 9183; III,
394 und 9850; III, 467 und 10039; IV, 451 und 12698; VII,
1 und 16272 u. a. Wo es gut angeht, hat Ulrich auch für die
heidnischen Bezeichnungen christliche eingesetzt. So wenn es
bei Gu. I, 492 heisst Elysiisque velim solam hanc (famam) prae-
ponere campis so sagt Ulrich 5031: das nairn ich für den paradis.
Statt der inspirante Megaera II, 342 macht Ulrich 7044 den tiuvel
zum Anstifter; statt quis te impidit error ad amnes tendere veile
Stygos (Gu. III, 178) sagt er (8490) ich rate dir das du niht. . also
zer helle strebest und ähnlich V, 75. 122 bei Ulrich 13323. 13569.
Auch das Gu. II, 349 a stirpe Gigantum bei Ulrich 7081 durch
Memrotes und ander risen (Genesis 6, 4) ersetzt ist, gehört hieher.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenhach.
335
Die Vermischung von Christenthum und Heidenthum
tritt bei Ulrich noch viel stärker hervor als bei Gu. Aristoteles
ermahnt den Alexander, der heiligen schrifte lere zu folgen
(1631), Olimpias betet (4348) zum Danielis got und (794) zu
dem, der erlöste die werden Susannen von den zwein ungetriuwen
mannen und überhaupt sind alle Heiden, so bald sie in Noth
kommen, bereit, beim Christengott Hilfe zu suchen und ihren
Göttern zu entsagen. So sagt z. B. Darius in der Klagerede, die
er nach dem Tode seiner Gattin hält (10433—10477), er wolle
die Götter fortan nur ha$$es wem und kündigt ihnen seinen
Dienst auf, und ein bald darauf (10531) folgendes Gebet be
ginnt er höher schepher aller dinge, was hei Ulrich sich nur
auf den wahren Gott beziehen kann (bei Gu. IV, 60 Summe . .
Deum guter), aber daneben ruft er auch an wa% gote sin die
helfe hän und miner lande gote, und später sagt er, gefesselt
von den Verräthern, nur: Jupiter, dein Wille geschehe (16442
-16446).
Die Erklärung der Mondesfinsterniss durch Aristander
beginnt bei Gu. III, 504: Fata regunt stellas (506 magnus Ule
sator rerum), bei Ulrich (10101) aber: oh allen goten ist ein
got. . . Er will auch jeden Schein vermeiden, als ob er den
alten Göttern irgend eine Macht oder Wirksamkeit neben Gott
zutraute. Darum lässt er auch Bellona und ihren Bruder Mars
nicht auftreten (Gu. V, 206—260 in der Schlacht bei Arbela),
während er die ganze Darstellung von dem Wunderschlosse
der Victoria (des siges vrouice) und wie diese ihrem Lieblinge
Schlaf sendet (Gu. IV, 401 ff., Ulrich 12507 ff.) aufgenommen
und sogar noch weiter ausgeschmückt hat, indem er z. B. die
Frau Scelde, die bei Gu. nicht erwähnt ist, neben der Ere,
Gerehtilceit, Gedult u. s. w. mit in die Umgebung der Victoria
versetzt (12663 ff.). So konnte ei’ auch die Bede der Fortuna,
die diese in den Lüften hält (II, 186 ff.), ungescheut herüber
nehmen, denn die Fortuna mit ihrem Rade war eine Allen
geläufige Vorstellung.
Kur im Anfänge seines Gedichtes hat er es versucht,
seinen Lesern die verschiedenen mythologischen Gestalten, wie
sie bei Gu. vorkamen, vorzuführen und, wenn nöthig, zu er
klären. So sind gleich (Gu. I, 330) die spinnenden Schwestern
(3737—3742) einzeln mit Namen aufgezählt: Cloto, Lachesis,
336
Tois eher.
Atropos, aber Vieles hat er eben selbst nicht verstanden. Vom
Liber (Bacchus) weiss er z. B. nichts und hat dieses Wort
I, 335 für das Adjectivum genommen und 3750 mit frier sun
übersetzt. So weiss er auch nicht, was Tisiphone bedeutet:
diris immitior hydris Tisiplione Ttorridior II, 176 ff. hat er
6375 ff. übersetzt wa% slangen sint und Tesiplion, die gelten als
du niht süren Ion, wornach es scheint, dass er unter dem Wort
eine Gattung Schlangen vermuthet hat. Ja er weiss nicht ein
mal, wer der Alcides ist, den Gu. I, 39 erwähnt, wie man
aus den Versen 1307 ff. sieht: diu äventiure . . . gelichet in Alci.de.
Alcides bediutet schcenen man,
der tugent unt zuht bedenken kan.
Da hat er denn im Laufe der Arbeit bald ein einfaches Mittel
gefunden, sich mit diesen unbekannten Grössen abzufinden: er
lässt sie einfach weg. So gleich II, 63 die capripedi Fauni
sammt der sedula Bauds; II, 311 Nympharum choros Satyros-
que; II, 317 Cybele und die Vermählung der Flora mit Ze-
phirus (er sagt 6941 nur gote und gottinne) u. a. Auch die
spinnenden und den Lebensfaden abschneidenden Schwestern
bat er später (IX, 190 ff.) einfach weggelassen. Dafür bringt
er um so öfter Jupiter, Appollo, Juno an, und noch andere
Heidengötter, die er aus Wolframs Werken kennt, den Mahmet,
Tervigant und Käün, ganz abgesehen von der frouwe Beeide,
frouwe Ere, frouwe Minne oder, wie er es in seiner Weisheit
übersetzt, frouwe Amor (301). 1
Missverständnisse.
Wir haben schon gesehen, dass Ulrichs Kenntnisse in
der Mythologie nicht weit her sind. Er ist aber ein schlechter
Lateiner überhaupt, und da, wie S. 10 angeführt wurde, Gu.
durch seine Nachahmung der römischen Dichter im Einzelnen
oft dunkel und schwer verständlich wird, so passiren dem
deutschen Dichter mannigfache Missverständnisse. Er weiss
sich keinen Rath gegenüber der sogenannten griechischen De-
clination, die Gu. vielfach anwendet. Er nimmt da z. B.
1 So auch bei Eilhart 2464, vgl. Lichtenstein, S. CLXVII und vrou Cliu-
pido bei Suchenwirt 30, 161, vgl. Bartsch, Albrecht von Halberstadt, LI.
— (Minne, ist da% ein er? ist daz ein sie?)
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
337
Moeotidos(unda) Gu. I, 400 als Nominativ Mentidoz 4515;
Libyes IX, 11 als Nominativ 19288; ebenso die Accusative
Dodonta III, 33 als Nominativ Dodonta 7944. 7948; Andro-
pliilon III, 35 als Ordophilon 7957, und Tyron I, 540 hat er
für etwas anderes gehalten als das später erwähnte Tyrus
(III, 334), so dass nach seiner Darstellung Alexander die
schwere Belagerung von Tyrus erst unternimmt, nachdem er
Tyron schon lange vorher dem Erdboden gleich gemacht hatte
(5046 ff., 9196 ff).
Aber auch mit der dritten lateinischen Declination ist
der Dichter nicht ganz vertraut. Aus Cappadocum gentes II
92 hat er das laut Cappadocon gemacht 5957; Cilicum arces
I, 447 ist zu einem Cilicon geworden 6009, und Jovis nimmt
er 6098 wieder als Nominativ aus Gu. II, 106 Jovis currus.
Auch die Bildung der Patronymika ist Ulrich nicht ge
läufig. Gu. nennt III, 96 einen Actoridem Dorilum, das sind
aber bei Ulrich 8235 ff. zwei: Actorides und Dorilum (Nomi
nativ), ersterer der Vater des zweiten. Aus Enacliides Hiidcon
IX, 198 sind auch zwei Personen gemacht, die heissen aber
Enachus (19654) und Julcon (19656).
Zum öfteren hat Ulrich die Construction nicht verstanden.
II, 93 f. (vgl. Curt. III, 1, 12.)
Hie ab utroque man distans Sangarius aequae
Littoribus tarnen alterius communicat undas
hat Ulrich 5885 ff. wiedergegeben: von einem mer in das ander
flos ein wasser . . . Sangar ist es noch genant.
Gu. II, 99 sagt von Darius: castra movit ab Eufrate,
daraufhin lässt Ulrich ihn den Eufrates entlang nach Issos
kommen (7256 ff.) und die Schlacht bei Issos geschah bi dem
wasser Eufrates üf einem unten anger (7832).
Gu. II, 345 scheint Ulrich das Curvavere genu statt auf
das vorhergehende (Cyro) auf das folgende (me successore) be
zogen zu haben, denn nur so ist mir erklärlich, dass er 7063 ff.
den Darius solchen Unsinn sagen lässt: Cyrus und Crösus
müssten vor mir ihre Knie beugen, wenn sie noch lebten.
IV, 66 f. heisst es:
Dixit, superosque profusis
Invitat lacrimis, ut vocem fata sequantur.
338
Toischer.
Ulrich hat da das ut finale mit dem consecutivum verwechselt
und übersetzt (10547 f.):
eg was der senfte heiser
vor clage worden heiser.
IV, 314 (von Alexander):
facilemque ad nobile pectus
Corque giganteum reor adscendisse pavorem.
Das versteht Ulrich (12378 ff.): wenn sie Alle Riesen gewesen
wären, so hätten sie sich vor der grossen Zahl der Feinde
fürchten müssen.
Bei V, 90 hat sich Ulrich an dem idemque . . gestossen,
und lässt 13515 ff. den Clitus seinen Gegner mit dessen
eigenem Schwerte erschlagen.
Vom Aufenthalte der Königin der Amazonen bei Alexander
sagt Gu. VIII, 46 pro munere noctem Ter deciesque tulit (Curt.
VI, 5, 32. XIII dies), was Ulrich wiedergibt:
der fürste huste ir röten munt
bi der naht wol dri%ec stunt.
VIII, 75 sagt Gu.: iam Bactra subire parabat (Alexander),
wo Ulrich einmal Bactra für Bractane (— Ebractana, Ecbatana)
nimmt, dann subire parabat ,er nahm ein' versteht, und er er
zählt demnach die mühevolle Einnahme dieser Stadt (17693—
17117).
Ich will da gleich einige weitere Bedeutungsfehler an
führen, die Ulrich begegnen.
I, 264 aeque von Ulrich 2471 mit sere übersetzt, und da
durch hat er jenen oft angeführten Ausspruch verdorben, dass
es gleich wunderbar war, dass Alexander den Muth besass,
den Darius anzugreifen, und dass er ihn wirklich besiegte.
I, 327 lyricisque subintidit ista — Ulrich 3722 Cliades sin
lire nam.
I, 416 ille labor logicorum . . phoenix, bei Ulrich 4540 ff.:
der fenix oucli sin fruht da birt.
ein kunst heißet löicä,
diu ist oucli erddht da.
Phrigiae I, 452 ist bei Ulrich 4791 Friesen geworden.
II, 221 sagt Gu. vom Arz Philippus: qui comes est a
patre datus custosque salutis — Ulrich macht ihn zum Grafen
(6515 ff.).
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Escheubacli.
339
Von Tyrus heisst es Gu. III, 333 ff. (Curt. IV, 4, 19):
Vocum sola notas et verum sola figuras
Aut didicit prior aut doeuit . .
was natürlich auf die Erfindung der Schrift geht. Aber Ulrich
meint (9590 ff.):
da$ in der edlen stat Thyrus
alle kunste entslo$$en sin,
die mac begrifen menschen sin,
und aller dinge bescheidenheit
sint da mit namen geleit.
Gu. IV, 4 Inter arenosi subiectum gurgitis amnem heisst
bei Ulrich 10292 f.:
in dem gebirge ein wa$$er flo%,
Arenosa hie% e% nach dem grie$.
Gu. IV, 94 inter Plirixei litoris oram Euphratenque, —
Ulrich 10654 zwischen Eufrates und Frixeo mer (Curt. IV, 10, 5
inter Hellespontum et Euphratem).
Und so liesse sich noch Manches anführen. Kein Miss
verständnis aber ist es, wenn er nach Gu. VI, 50, wo gesagt
ist, dass Alexander als Zeichen des Aufbruches für die Nacht
Feuersignale einführte, erklärt (14866 ff.): einen niuwen site er
Urte: er hiez den hatten viur machen . . . Das findet sich z. B.
auch in Wolframs Willehalm 316, 25 (318, 21) zurück, und
Ulrich erwähnt diesen Brauch auch später noch 15277. 19733.
Die ärgsten Dinge passiren unserm Dichter, wenn er den
Gu. erklären und Einzelnes, was dort erwähnt ist, ausführen will.
Weil der Tanais nach Gu. I, 400 die Grenze zwischen
Europa und Asien ist, so lässt er den Alexander, als er Asien
betritt, am Tanais sein Lager aufschlagen (4483).
Gu. II, 261 erzählt, dass Permenio, der vorausgeschickt
war, von Issos dem König entgegenkommt und urbi desertae
a civibus infert. Ulrich erzählt das auch (6671 ff.), kann sich
aber keinen anderen Grund, warum die Stadt von Menschen
leer sei, denken, als dass Alle bei der Belageruug und Ein
nahme von Permenio getödtet worden seien und weiss darum
von Haufen von Todten, die Rosse müssen im Blute waten u. s. w.
III, 527 revolvit Persidis acta ducum, daraufhin weiss
Ulrich von einem Kampf des Vaters Alexanders mit den Persern
zu erzählen (10179 ff.).
340
Toischer.
II, 397 heisst es von Alexander Fulminat in Perscis, 406
debacchatur in illam Barbariem, was Ulrich als sofortiges Ein
stürmen und Einhauen versteht. So geht der eigentlichen
Schlacht bei Issos ein Scharmützel vorher (7315—7359), in
dem nur 20.000 Perser erschlagen werden und das dann
endet, als Alexander müede lerte das er in Isson Teerte (7387).
Dann beruft er seine Generäle, theilt ihnen den Schlachtplan
mit und trifft sonstige Vorkehrungen zur Schlacht.
Bei Arbela dagegen stehen sich die Heere einen ganzen
Tag lang in Schlachtordnung thatlos gegenüber (12847 ff.),
während bei Gu. auf die Anordnung und die Rede Alexan
ders sofort die Schlacht beginnt (IV, 588). Die Soldaten des
Darius, die nach dieses Tages Scliweiss und Mühe, nach
schweren Kämpfen auf der Flucht allzu gierig Wasser (und
noch dazu schlammiges) trinken, haben davon den Tod: Gu.
V, 331 ff. Ulrich weiss aber, sie bekamen
von irs trankes ungenuht
das man heißet wassersuht (14209 f.).
In demselben Buche V, 475 ff. erzählt Gu., dass beim
Einzuge Alexanders in Babilon Tiger und Löwen in Käfigen
eingeschlossen ihm vorangeführt wurden. Ulrich sagt nichts
von Käfigen, erinnert sich aber an Daniel in der Löwengrube
und schreibt kühn (14628 ff.):
tigris, lebarte seltsam tiere,
vil leinen wurden schiere
Hz irn holn geläzen
gegen in an die strafen.
Die grösste Verwirrung aber herrscht in der Wiedergabe
von Gu. VI, 185—191 (von Persepolis):
Exitus hic urbis, quae tot regalibus olim
Floruerat titulis et quae tot gentibus una
Jura dabat, quondam specialis et unicus ille
Europae terror, decies cum mille carinis
Obstrueret totum numerosa classe profundum
Neptunum, fossis immittere collibus ausa,
Ausaque montanis exponere lintea dorsis-
(vgl. Curt. V, 7, 8). Was hat da Ulrich herausgelesen! 15293
-15316:
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
341
swa$ der riclie was in Asiä,
diu ndmen ir reht alle da ... .
von den Troja zebrochen wart,
die suochten dar mit liervart,
für die stat durch stritlich vär
äf dem mer sie brühten dar
fünf zehen hundert kiele gro3:
die dannen kerten siges bloi,
vierzehen hundert ivas ir minner ....
ouch hete sich mit der stat beliaft,
Xerses, der entwichen
dannen muoste scliedeliclien.
die burger wären 100I ze wer.
sie heten umb sich da% mer
durch manigen berc geleitet,
umb die stat gebreitet
in gemärten graben tief .... 1
Erweiterungen und Zusätze.
Aus dem zuletzt Angeführten geht hervor, dass Ulrich
vielfach bestrebt ist, das, was er bei Gu. vorfand, zu erweitern,
auszuschmücken, Einzelnheiten auszumalen, ebenso dass er
hierin oft lediglich seiner Phantasie folgte, die ihn denn mit
unter auch irreführte. Die Beispiele dieser Art Hessen sich
leicht häufen. Nur noch ein Beispiel dieser Phantasiestücke
möge hier Platz finden. Gu. II, 45 ff. heisst es: At Darius
quamvis fama mediante recepto Memnonis excessu labefacto pectore
nutet, was schwer verständlich ist, man darf sogar vermuthen,
Gu. selbst habe nicht völlig Bescheid gewusst, denn er hat
dies einfach Curt. III, 2, 1 nachgeschrieben (At Dareus nun-
tuita Memnonis morte . . .), der den Kampf am Granicus jeden
falls in den verlorenen Büchern erzählte. Justin XI, 10 er
wähnt einen Kampf in den campis Adrastiis, aber nicht Memnon,
Gu. hat aber richtig gefunden, dass Memnon dabei Anführer
gewesen sei (die Hdp. weiss von diesem Kampfe gar nichts)
1 Wie er auf Xerxes kommt, erklärt sich daraus, dass in seiner Hs. (ebenso
wie in der Berliner) über oder neben unicus ille (terror) stand: Xerses,
oder quare Xerses habuit ibi palaciuni. Vgl. S. 345.
Sitzungsber. d. phil.-bist, CI. XCVII. Ba. II. Hft. 22
342
T o i s c h e r.
und erzählt demnach II, 64—68 (Just. XI, 10): Alexander
habe ihn besiegt. Den Ort gibt er nicht an, erwähnt aber
später eine Niederlage des Darius am Granicus (II, 338, vgl.
Curt. III, 1, 9; dann noch einmal IV, 549). — Ulrich hat nun
nach der ersten Erwähnung des Gu. einen excessus, ,Auszug',
des Memnon geschildert, wobei er in einer tjost ganz schmäh
lich besiegt wird, und nach der zweiten Erwähnung erst einen
Kampf, wobei ihm aber nicht Alexander selbst gegenübersteht,
sondern nur einige von dessen Helden. Beides geschieht am
Granicus (5615—5790. 5823—5878).
Aehnlich sind Gu. I, 434 und Ulrich 4587 ff.; II, 92 und
5960—5990; III, 275 und 9161—9182; III, 530 und 10191;
IX, 54 und 19396—19428 u. a.
Da bewegt sich der Dichter überall in ziemlich ausge
tretenen Bahnen, benutzt Motive, wie sie in allen Ritterromanen
Vorkommen. Aber seine Ausschmückungen tragen nicht immer
diesen Charakter, sondern er benutzte dafür zunächst
Glossen zum Gualtherus als Quellen.
Wir haben schon S. 319 erwähnt, dass Gu. möglichst
häufig auf antike Sagen anspielt und bei seinen Lesern eine
genaue Kenntniss derselben voraussetzt. Z. B. I, 296 ff.,
bei der Belagerung Thebens, da kommen die satrapae der be
nachbarten Städte und klagen über Theben, das vom Anbeginne
auf Frevel bedacht gewesen sei und triefe vom Blute der
Griechen; sie führen auf: progenitos serpente patres (Vers 300),
fcistus Niobes (302), Agaven (303), flammas Semel.es, regem
lumine cassum (304), partos infando semine . . . gemettos (306);
ausserdem heisst die Stadt selbst (340) structae modulis Am-
pliionis arces. Ulrich konnte seinen Lesern oder Hörern
gegenüber das Alles nicht als bekannt voraussetzen und er
hatte nur die Wahl: entweder er musste das ausführlich er
zählen oder ganz weglassen. Er wählte hier (und meistens
so in ähnlichen Fällen) das erstere, und so wird denn die
Vorgeschichte Thebens zu einer Episode von 400 Versen
(2769—3173 [3819—3822]).
Woher hat er aber die Kenntniss dieser Sagen?
Ueber die Alexandreis Ulriche von Eschenbach.
343
Gu. I, 453—467 sind Anspielungen auf die Trojanersage,
die Ulrich 4803—4920 ausführt. Er beruft sich dabei auf
Homer und Ovid. Aber er hält sich streng an das, was Gu.
berührt, und erzählt genau in der Ordnung, wie Gu. das Ein
zelne anführt. Wenn Gu. erwähnt structos violato foedere muros,
so weiss Ulrich genau zu erzählen, wie Laumedon die ,weisen
Männer' Phöbus und Neptunus, die ihm die Mauer gebaut
hatten, betrog. Wenn er dann aber fortfährt, die Strafe dafür
war, dass Achill Troja zerstörte und Laumedon erschlug •—
so zeigt das weder Bekanntschaft mit der Sage, noch Kennt-
niss des Ovid, und verbietet darum schon von vorhinein, etwa
einzelne Stellen aus dessen Met. und Her. als Quelle voraus
zusetzen.
Wohl möchte man auch bei der Ausführung von Gu.
II, 365 f. Heredes superum (Ulr. 6961—7004 entwickelt den
ganzen grossen Stammbaum von Jupiter ab) an Ov. Met.
IV, 212 ff. denken, aber Ulrich weiss doch noch viel mehr
darüber als Ovid.
Die wunderbare Quelle beim Heiligthum des Ammon
heisst Gu. III, 398 fons Jovis (Curt. IV, 7, 22 Solls aquam
vocant), Ulrich sagt aber Clitorius ist er genannt, und dies be
ruht wirklich auf Missverständniss von Ov. Met. XV, 322, wo
kurz vorher (310) auch die Quelle beim Ammontempel und
ihre Eigenschaften erwähnt sind.
Zu VIII, 229—237 hat dem Gu. offenbar Ov. Met. XIII
Vorgelegen, 1 der Streit zwischen Ulixes und Aiax oder genauer
die Rede des ersteren. Ulrich erzählt das sehr breit (18453 bis
18528): Ze Rome Ulixes liete verstoln in dem tempel Palladis
der gottine vanen (furtum Palladis), dann wie Diomedes (sic!)
auf den Ausspruch des Orakels hin, dass er vor Troja sterben
werde, sich wahnsinnig stellt, pflügt und Salz säet und wie
Achill in Weiberkleidung bei König Nicomedes (sic!) weilte;
wie aber beide durch List erkannt wurden und doch nach
Troja mussten. Ulrich hat dazu offenbar neben Gu. noch eine
andere Quelle benützt, aber nicht den Ovid, abgesehen von den
V amen Verwechslungen stimmen seine Ausführungen viel mehr
mit Hygin. fab. 95 und 96 überein. Den König Lycomedes
Wörtliche Uebereinstimmung, namentlich Gu. 238, Met. XIII, 303 u. a.
22*
344
To ischer.
z. B. erwähnt Ovid gar nicht. Ulrich müsste also min
destens neben diesen wieder noch eine Quelle benützt haben.
Dann gibt er sich wiederum solche Blossen (Ulixes in Rom!),
wie man sie einem, der den Ovid gelesen hat, nicht Zu
trauen kann. Wie könnte ein solcher noch von einer frouwe
Amor reden, wie nicht wissen, wer Alcides ist? Wir sind
darum wohl berechtigt zu bezweifeln, dass Ovid — und in
noch höherem Grade gilt dies von Homer — wirklich Ge
währsmann für das ist, wofür sich Ulrich auf ihn beruft.
Aber Ulrich weiss ja, dass Gu. III, 431 mit Jovis natus
Herkules gemeint ist (9937), ja er weiss, dass ebenderselbe
III, 435 unter Tirynthius zu verstehen ist. Und so geht es
immer. Gerade bei den dunkelsten Stellen des Gu. weiss
Ulrich gut Bescheid.
Gu. sagt z. B. II, 269 ff.: Sisenes, tacite quia rem suppres-
sevat, auro Creditur a Dareo corruptus, eumque mors iniusta
ferit non ignorante tyranno. Wer kann sich dabei etwas be
stimmtes denken? — Aber Ulrich weiss, dass Sisenes, ein
Perser, der zu Alexander übergegangen war, von Narbazones
einen Brief erhielt, den er Alexander zeigen wollte, aber es
immer wieder auf eine günstigere Zeit verschob. Unterdess
bekommt Alexander von anderen Nachricht über den Brief,
dadurch fällt der Verdacht der Verrätherei auf Sisenes und
er wird getödtet.
All dies ist als historisch bei Curt. III, 7, 11—15 über
liefert, nur in unbedeutenden Einzelnheiten weicht Ulrich ab.
Und so ist es in vielen andern Fällen, dass Ulrich über Gu.
hinaus mit Curtius übereinstimmt. Dennoch kann Curtius
kaum seine unmittelbare Quelle gewesen sein, denn Curtius
ist viel ausführlicher und Ulrich würde dann auch vieles aus
Curtius aufgenommen haben, was Gu. nicht berührt: ein Fall,
der niemals vorkommt.
Wir müssen uns zur Lösung all dieser Räthsel erinnern,
dass die Al. des Gu. durch mehrere Jahrhunderte hindurch
eines der beliebtesten und gebrauchtesten Schulbücher war.
So theilte das Gedicht das Schicksal mit allen anderen Schul
büchern: es wurde glossirt, es sammelten sich Scholien an den
Rändern der Hss. Der beste Commentar zu Gu. ist nun un
bedingt Curtius, und so mussten die Schulmänner bald darauf
Ueber die Alexaudreiß Ulriclis von Eschenbach.
345
verfallen, sich aus diesen Erklärungen zu holen, während sie
bei den gelehrten Anspielungen Ovid und Ilygin u. a. zur
Erklärung herbeiziehen mussten.
Den Beweis, dass Ulrich eine solche ,commentirte Aus
gabe 1 des Gu. benützt hat, liefert der Anfang des IX. Buches.
Ghi. erwähnt da in zwei Versen (4. 6.):
— Clitus, Hermolaus et eins
Doctor . . . Extremum clausere diem
Die Namen Clitus und Hermolaus stehen in einer Zeile; auf
welche Weise die beiden umkamen, ist nicht gesagt, wer der
Lehrer des einen war, ist auch nicht gesagt. Ulrich aber er
zählt wieder ausführlich und dem Hauptinhalte nach überein
stimmend mit Curtius (VIII, 1, 20—52 Clitus; VIII, 6, 7—8, 22
Hermolaus), im einzelnen abweichend. Und den Tod des
Hermolaus setzt er vor den des Clitus, während alle anderen
Nachrichten darin übereinstimmen, dass Clitus früher als Her
molaus den Tod fand. In dem Exemplar Ulrichs wird einfach
das Scholion für Clitus an dem linken, das für Hermolaus an
dem rechten Rand gestanden haben, so dass er ungeschickter
Weise das eine vor das andere stellte.
In der oben (S. 315) erwähnten Berliner Hs. stehen nun
wirklich zu Anfang des IX. Buches die betreffenden Erklärungen:
Clitus fuit miles probissimus, qui, cum sederet in convivio cum
Älexandro et suis, dixit se protexisse Alexandrum cum clipeo
suo. Unde Alexander iratus fecit occulte interfici.
Et Hermolaus fuit puer valde probas, qui cum Älexandro
fuit in venacione, Hermolaus venabulo interfecit leonem. Alexan
der ipsum verberavit et puer incepit flere, et Calixtones magister
Alexandn et Hermolai dixit: Hermolai memento quia vir es, cur
flesf Propier hoc Älexandro male interpretante condempnati sunt.
Aehnliches (nur etwas ausführlicher) steht im Cod.
philol. 258 der k. k. Hofbibliothek in Wien. Bei Clitus steht
da namentlich noch, dass er beim Herausgehen getödtet wurde;
bei Hermolaus: cervus et illum ipsum interfecit und dann quod
videns calistones u. a.
Es ist das gerade so viel, als Curtius und Ulrich über
einstimmend berichten. Wenn bei Curtius Hermolaus einen
aper tödtet, bei Ulrich ein swin, in der Berliner Hs. aber
leonem steht und in der Wiener cervus, so beweist das doch
346
Toischer.
nichts weiter, als dass Ulrich keine von diesen Hss. selbst
benützt hat, was übrigens auch aus anderen Stellen klar ist.
Dass aber Ulrich eine ähnlich interpretirte Hs. benützte, halte
ich für sicher und so erklärt sich sehr einfach, wie sich in
seinem Gedichte Uebereinstimmungen (Missverständnisse) mit
Ovid oder Hygin finden, ohne dass er selbst diese Bücher
gelesen hat und auch wie er bei Erwähnung des Unterganges
von Troja sich auf Ovid und Homer berufen konnte: in seiner
Hs. wird bemerkt gewesen sein, dass Homer die Kämpfe
vor Troja besungen habe, dass Ovid vieles von dieser Sage
erzählt.
Ich will noch eine Reihe von Stellen anführen, die zeigen
sollen, wie viel Ulrich solchen Scholien verdankt, beschränke
mich aber auf Vergleichung der einen (lückenhaften) Berliner
IIs., die ich einfach mit B bezeichne. Paginirt war dieselbe
noch nicht, als ich sie benützte.
Gu. II, 142 cyri castra, darüber B regis — Ulrich 6260
(Cyrus) ein künic der größer richeit wielt.
II, 145 f. In Tharsus war der hauptsächlichste Verbreiter
des Christenthums geboren, B sanctus Paulus — Ulrich sant Paul.
II, 224 unbestimmt epistola, B darüber Permenionis, darum
weiss Ulrich 6550, dass P. diesen Brief geschrieben.
V, 16 qua se lateri promuscida iungit, dazu B cum qno
comedunt elephantes — Ulrich 13108 da da$ tier eneben hat da
mite eg eggen mac.
V, 61 Saturnius, dazu B iupiter filius saturni — Ulrich
13293 Jupiter.
V, 189 Memnonides Pliidias, darüber B filius Mennonis —
Ulrich 13860 Fidias . . sin vater Mennon.
V, 441 vir illustris stipatus prole beata . . Mazeus, B duobus
filiis suis — Ulrich 14439 der vogt Mazeus mit zwein sünen.
VII, 4 Latonia virgo ! B luna darüber — Ulrich 16278
der mäne.
So müssen die verschiedenen Uebereinstimmungen mit
Curtius durch solche Interpretationen vermittelt sein, z. B. das
mer Eüespontificum 5890, das bei Gordium liegend, erwähnt
wird, wo in der entsprechenden Stelle Curt. III, 1, 12 mare
Ponticum genannt ist, und ebenso die Schicksale, die der Be-
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
347
fehlshäber von Gaza erleidet (bei Ulrich heisst er Jambri, bei
Curtius Betis), Ulrich 9731 ff. nach Curt. IV, 6, 25 ff.
Archabatus räth nicht nur dem Darius, dem Bessus und
Narbazones zu verzeihen (Gu. VI, 436—442 = Ulrich 16005
bis 16024), sondern macht auch weiter den Vermittler der
Versöhnung, Ulrich 16037 — 16053 wie Curt. V, 10, 10 u. a.
vgl. namentlich noch den Tod des Permenio Ulrich 18161 bis
18190 mit Curt. VII, 216—233 (Gu. VIII, 103—105). So
wird auch, um noch weiter zu gehen, 5524 f., wo der Dichter
den Darius mitten in der Rede unterbricht mit der Bemerkung:
mit valschem munde er da$ sprach,
der frouwen untdt er ruogte
nur auf ein ,ironice‘ seiner Hs. zurückgehen, ebenso wie etwa
seine Wiedergabe von IV, 301 fessus emenso Cynthius orbe
Obtenebrans fadem, 12354 diu sunne gegen den dbent zöch auf
eine ähnliche Erklärung wie oben das mdne u. s. w.
Es Hessen sich noch viele derartige Fälle namhaft machen.
Wir haben überhaupt mit diesem Commentar die Grundlage
für die grösste Menge der Erweiterungen Ulrichs gefunden.
Freilich vielfach nur die Grundlage. Denn für sein Bestreben
sieh alle Einzelnheiten einer Scene genau auszumalen, reichen
solche Erklärungen nicht hin. Vielfach verlassen sie ihn auch ganz.
Und doch bewegt er sich keineswegs immer in den aus
getretenen Geleisen, wie wir oben Beispiele anzuführen hatten,
sondern seine Detailbilder tragen oft ganz individuelle Züge. Er
nimmt nämlich vielfach zur Grundlage für seine Erweiterungen
Eigene Erlebnisse und Anschauungen,
die er aus seiner Umgebung gewann. Ich sehe dabei natür
lich ganz davon ab, dass die Helden Alexanders und dieser
selbst durchaus als Ritter dargestellt sind, sich erfreuend an
Tjost und Buhurt, sehe auch ab von Kleidung und Wappen
und dergleichen, was sich ja allgemein im Mittelalter findet.
Aber man sehe einmal die Schilderung der Schulzeit
Alexanders (1259—1328). Als Alexander heranwuchs, dachte
sein Vater daran, ihm einen Lehrer zu geben. Er Hess den
besten und berühmtesten kommen, den Aristoteles, der schon
alt war und bewährt und von edler Geburt. Dem wurde der
Knabe übergeben und er lehrte ihm zullt und ere und das abc,
348
Toischer.
von seinem zwölften Jahre ab auch höhere Wissenschaft, wie
sie ein Fürst nöthig hat. Alexander hatte seinen Lehrer lieb,
fürchtete ihn aber noch mehr, dachte überhaupt mehr an
Kampf und Streit, denn an die schrifte, und wo er seinem
Meister entfliehen konnte, stiftete er etwas daz ze strite zoch.
So wuchs er heran, kräftig und stark, wegen des Lernens wohl
mager, aber von edler Gesinnung. Für all das lag ihm nichts
vor als Gu. I, 41 f.: Ergo nisi magni Nomen Aristotelis pueriles
terreat annos . . und Hdp. (195 c Bamb.) in scholis cum condi-
scipulis suis pugnabat atque vicit eos. Dagegen versichert er
uns (1280), dass auch er in die Schule gegangen sei.
Nach dem Tode seines Vaters fordert Alexander die
Grossen seines Reiches auf, ihm zu huldigen, was diese auch
thun, nachdem sie ihn zum Herrn erkoren. Er schwört liep
unde leide mit ihnen zu tragen (2169—2187), sie versprechen
übel unde guot mit ihm zu theilen (2240—2245).
Gleich darauf sagt Alexander Heerschau an (2334 ff.)
von Mute über vierzehen tage vor Corinihus üf dem plan. Da
kommt das Heer zusammen. Alexander hat Befehl gegeben
sie zu ordnen und in schar abzutheilen und als er, der König,
herankommt, sie zu besichtigen, gibt ihm Clitus die Meldung
über die Stärke der Reiterei und während der König sie be
sichtigt, erfahren auch wir das Nöthige über die Beschaffenheit
der Truppen. Gu. erzählt da einfach: Alexander theilte die
zum Krieg Erlesenen ein, es waren so viel tausend Reiter,
so viel tausend Fusstruppen. 1
Ulrich hatte am Hofe Ottokars II. von Böhmen hinläng
lich Gelegenheit, sich militärische Kenntnisse anzueignen. Die
selben zeigt er denn auch öfter. Nach seiner Darstellung z. B.
verlässt der Späher, der bei Issos das Heer des Darius heran
kommen sieht, nicht sogleich seinen Platz, als er die ersten
Waffen glänzen sieht, sondern wartet erst ab, um zu sehen,
wie viel kommen (der wartman vnsheit icielt 7281), dann erst
meldet er 7272—7299. Auf die wartman hat er überhaupt nie
vergessen. So ändert er auch IX, 160 f.:
1 Vgl. ,Wie Wolfram beschreibt 1 QF XXXIII, 11 ff. Bei Ulrich ist noch
ähnlich die Schilderung des Schmuckes von Babylon beim Einzug Alexan
ders (Gu. V, 456 ff.), die wenigstens theilweise so gegeben ist, dass
erzählt wird, was Alexander beim Vorbeireiten sah (14549 ft’.).
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
349
Longius abscessit, paucis, ut falleret hostem.
Contentus sociis . .
dahin ab (19609 ff.):
er hete werde einer man
bi Attilo an dem stade gelän,
und ganz richtig. Denn die im Lager Zurückgelassenen haben
nur die Aufgabe ein Heer zu markiren, während Alexander mit
den Mitgenommenen den Hydaspes überschreitet und das ge
waltige Heer des Porus angreift. Zu einem Gemeinplatz, wie
er ihn etwa 12489 einstreut:
doch sint grd$e fiure
in herverten guote stiure
braucht es wohl keiner besonderen persönlichen Erfahrung.
Eher könnte man hier anführen, dass er die Lust des Lager
lebens aus eigener Erfahrung kenne, da er dieselbe mehrmals
schildert. Auch dass er abweichend von Gu. die Schlachten
nicht einfach durch die Thaten der Führer entscheiden lässt,
sondern auch die Kämpfe des Volkes gebührend berücksichtigt,
verdient Erwähnung, während die stätige Angabe der krie dem
Einflüsse Wolframs zuzuschreiben ist. Von den Leuten Alexan
ders ist jeder ein Kitter ohne Furcht und Tadel, ein echter
Soldat, und er konnte darum die Befürchtung des Permenio
(IV, 335), die Soldaten möchten sich vor den ungeheuerlichen
Gestalten im Heere des Darius fürchten, nicht mit herüber
nehmen. Wohl aber weiss er, dass die Rosse sich scheuen,
wenn sie etwas Ungewohntes sehen und dass auch dies grossen
Nachtheil für ein Heer bringen kann (12433 ff.). Er kennt
eben auch die unangenehmen Seiten des Soldatenlebens. Alexan
der lässt vor Tagesanbruch das Zeichen zum Aufbruch geben
(Gu. VI, 161) und Ulrich macht da die Bemerkung: viele
seiner Soldaten waren so müde und hätten gern noch länger
geschlafen; und die Noth eines armen Ritters illustrirt er da
durch, dass er von den Widerspenstigen, denen Alexander all
ihr Gut weggenommen, sagt:
von den keiner phenninc mohte han
ob man im solt sin ros beslän,
ern wolte danne borgen. (17675 ff.)
In Athen, das sich den Befehlen Alexanders widersetzte,
waren, wie Ulrich aus Gu. I, 271. 277 ersah, zwei Männer
350
Toischer.
von besonderem Einfluss und Macht. Er macht nun ohne
weiteres den der Reichsgewalt feindlichen Demosthenes zum
Herzog von Athen, den dem König freundlich gesinnten
Eschinus zum Burggrafen.
Speciell den Verhältnissen in Böhmen unter den letzten
Premysliden, die das Städtewesen so begünstigten, entspricht
es, dass Ulrich in der Lehre des Aristoteles an Alexander zu
dem bei Gu. gegebenen hinzufügt (1622—1628):
iuwer stete gewaltes übertragen
iuwer hantveste suln stcete sin,
da mite ir in
ir ordenunge beiooeret.
niht dicke sie beswceret ....
Alexander selbst führt das böhmische Wappen (weissen
Löwen im rothen Felde), vgl. 3355 f., 4381 f., 9118 f. u. ö.
Die Belehnung geschieht durchaus mit vanen (z. B. die des
Porus 21035. 21042). Der Aufbruch nach Persien muss im
Frühjahr geschehen sein (4297. Deswegen hat Alexander den
Winter über vor Theben bleiben müssen) u. a.
Der Baruch Ackerin hat nach Wolfram dasselbe Amt bei
den Heiden, wie der Pabst bei den Christen. Ulrich nennt
den Darius immer Kaiser, als aber Alexander Herr von seinem
Reiche geworden, wird er von dem Baruch gekrönt und ist
von da an Kaiser. Zugleich mit der Krönung vollzieht der
Baruch auch die Vermählung Alexanders mit Roxa (17145 bis
17161). Die Festlichkeiten sind natürlich dieselben, wie die
zu Zeiten Ulrichs. Der neue Kaiser erlässt eine allgemeine
Amnestie für die gefangenen Perser auf Bitten seiner Braut;
belehnt die ihm nun untergebenen Fürsten Persiens; schlägt
manchen Knappen zum Ritter; verschenkt manch tausend Mark
Werth an Edelsteinen, Gold, Silber, Rossen und Gewändern;
nicht alle Fürsten waren zu Hof gekommen, wie er befohlen
hatte, die wurden in Acht und Bann gethan, hervart er üj
dieselben sprach, die er krefteclichen fuor (17164—17356).
Der Baruch Ackerin weist uns schon darauf hin, dass
Ulrich seinen grossen Namensvetter Wolfram kennt und sich
dessen Reichthum zu gute kommen lässt. Von ihm hat er
auch gelernt, persönliche Bemerkungen in die Erzählung einzu-
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
351
fügen, was liier nur erwähnt sein soll. Wenn er von der
mime zu sprechen hat, erwähnt er wohl auch (324 ff.):
mir ist ouch selben e
liep unde leide
diu zwei beide
von der minne worden kunt
und erzählt dann weiter seine Herzensgeschichte. Besonders
vergisst er nicht, wenn er zu berichten hat, wie Alexander
mit seinem Heere grossen Durst leiden musste, hinzuzusetzen,
da möchte ich nicht dabei sein: viel schöner ists in einem
Keller in Leitmeritz in der Stadt, den dort ein lieber Freund
hat, Herr Conrad von Meissen (21487 ff.); oder: da bin ich
Heber in Böhmen, zu Prag in der guten Stadt, wo niemand
vor Durst stirbt (25601 ff). Ueberhaupt erscheint er für sinnliche
Genüsse sehr empfänglich und er ist hinter dem Fortschritt,
den die Litteratur seit Steinmar gemacht hatte, den Herbst
vor dem Frühling zu loben, nicht zurückgeblieben. Er hat zu
erzählen: es war im Frühling, wo der Wein blüht — setzt
aber dann fort: der uns im Herbste Most und Wein gibt.
Bei vollen Gläsern dünket es der tavernen kinder im Winter
gut in der warmen Stube, gar wenn sie Gänse und feiste
Braten zu verzehren haben. Diese Wonne geht ihnen über die
des Maien (2403 ff).
Doch genug davon. Kehren wir zu Wolfram zurück um
die Fälle zu betrachten, wo
Ulrich dichtet nach Analogie einzelner Szenen in den
Werken Wolframs.
Ulrich nimmt sich vielfach einzelne Szenen aus den
Werken Wolframs (aus dem Willehalm mehr als dem Parzival)
zum Modell und malt nach diesen die gegebene Situation aus, ja
er erfindet nach einem solchen Muster auch wohl eine neue,
zu der bei Gu. nicht die geringste Veranlassung geboten ist.
Es ist vor der Schlacht bei Arbela. Mazeus wird von
Darius vorausgeschickt, um Höhen und Strassen zu besetzen;
Alexander schickt den Eumenido mit einer kleinen Schaar
voraus, um die Stellung des Feindes zu erkunden, zieht sich
aber eilenden Laufes zurück, so bald er den Mazeus erblickt.
352
Toi s eher.
Darius stellt sein Heer in Schlachtordnung auf u. s. w. So
bei Gu. IV. 174 f. 275 ff.
Anders Ulrich 10925 ff. Da schickt Darius (sein Befehl
Nachahmung von Wolframs Willehalm 341) den Mazeus mit
fünf anderen Helden: Bozorgorgias, von Percia Bachadis, Lisias,
Seren von Tribalibot und Ambion von Tenabri als wartmann
voraus. Von Seite Alexanders ist Eufestio mit einer Schaar
zu gleichem Dienste beordert. Diese Vorposten treffen auf
einander und Euphestio und Seren kämpfen nun genau denselben
Kampf, den der schahteliur von Cler und ein Francois bei Ali-
schanz durchführen, Wolframs Willehalm 333, 12 ff.
Wie der schahteliur zu Terramer, so kehrt auch Seren
am Arme verwundet zu seinem Herrn zurück um zu bramar
basieren; die Antwort hat Darius fast wörtlich von Terramer
geborgt:
Ulrich 11087 ff. heit diner wunden imgemach . . .
unsanfte das min herze dolt.
fürder man dich haben mac
dann einen der die tjost verlac.
Wolfr. 335, 22 ff. heit mir ist leit din ungemach . . .
man sol durch reht dich halten bat,
dan einen der die tjost verlac.
Die Uebrigen sind auf der warte geblieben und Ulrich
weiss (11835—11938) von einem neuen Voi-postengefechte zu
erzählen (es veranlasst ihn dazu die abermalige Erwähnung
des Mazeus und des Eumenido [Menidas] Gu. IV, 278 ff.) und
dabei wiederholen Mazeus und Eumenido den berühmten Kampf,
den Feireiiz und Parzival zuerst ausfochten.
Das Anrennen mit den Speren geschieht
Ulrich 11852 ff. Parz. 738, 25 ff.
sunder feilieren — das si niht failierten —
das; sie doch beide gesäten da wart vaste gesessen.
Sie greifen nun zu den Schwertern.
(Mazeus) an schilt üf keime truoc ecidembn dem tiere
Beli, der Bahilbne got, wart etslick wunde geslagen.
devi jener sweere siege bot.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
353
Ulrich 11874 ff. Parz. 744, 7 ff.
ir schilte ir helme warn versert do Sprüngen (des ich wcene)
ir cleindte rieh verseret, von des heidens Schilde speene
manic stein dar abe gereret etslicher hundert marke wert.
Feuer schlagen sie aus den Helmen. Der Dichter meint:
wie sol ich den beiden nunemagichdisenbeiden (738,11)
und den beiden gescheiden? vom getouften niht gescheiden
Dann wird der Kampf geschieden bei Wolfram dadurch,
dass Parzivals Schwert zerbricht, bei Ulrich aber dadurch,
dass dem Babilbn da$ swert enphiel (von überslage da$ geschach).
Wie Feirefiz sagt auch Eumenido, er wolle nicht mit einem
Unbewehrten kämpfen; er wäre ohnehin vom Gegner besiegt
worden; sie nennen sich dann gegenseitig und do wart ein
mone 'under in getan (Ulrich 11937) wie dort jene mit küsse
understuonden ha3 (Parz. 748, 9).
Gu. IV, 282 ff. At Darius patulis avidus decernere campis
Instaurat bellis acies, cuneosque pererrans
Pectora tarn monitis onerat quam praestruit armis.
Das führt Ulrich aus 11953—12286. Darius ruft alle seine
Fürsten und Grossen namentlich an, fordert sie zur Hilfe auf
(die Reihenfolge ist die, in der sie bei Gu. V, 11 ff. in der
Schlacht auftreten), sie antworten jeder und geben die Zahl
ihrer Truppen an. Die Helden des zuletzt genannten Bruders
des Darius Exatreus sind namenlos und herrschen über
Ländernamen, die meist aus Wolframs Willehalm entlehnt sind.
Später sind sie fast ganz vergessen. Das ganze ist Nachahmung
von Wolframs Willehalm 340, 14 ff. (Darius = Terramer).
Wie Terramer nach der Ansprache und Eintheilung des Heeres
sich selbst rüstet (Wolframs Willehalm 356), so thut es auch
Darius (12285 ff).
Aehnlich wie sich Wolfram wundert über die Menge der
Heiden (Willehalm 392, 26 ff): ob ie her wart sicanger, des
mäht man jeben der beiden schar: ob eiiviu de andern niht gebar,
So ist wunder wanne in keem diu fluot, (vgl. Germania XV, 94)
so meint Alexander einmal, als er Pucival durch ruowe einen
Augenblick rastet (13354 ff).
ich wcene ditz volc untcetlich st
und im niht Sterbens wone bi.
354
T ois eher.
siva$ wir ir haben geslagen nider
die sint ze kreften komen wider.
Dass der bäruc Alikarin bei Ulrich handelnd auftritt ist
schon erwähnt worden. Aber auch andere Helden aus den
Epen Wolframs nimmt Ulrich in sein Gedicht herüber und
theilt ihnen Rollen zu. Zu den Ausführungen der einzelnen
Szenen brauchte er ja ein grösseres Personal als ihm jeweilig
bei Gu. gegeben war und er hilft sich meistens damit, dass
er Personen, die an anderen Stellen erwähnt werden, wo er
es nöthig findet, Rollen zutheilt. Ausserdem muss Alexander
als Herr der Welt doch auch abendländische Helden in seinem
Heere haben und so erfahren wir denn, dass bei ihm dienten:
ein grave der hie% Loys, von art ein Francois 4611 ff.; Gäloes
ein Francois 4748. 5832. Hubert ein Anglois 4747. 5833. 8625;
da ivas oucli etslich Provenzal, speciell genannt von Provence
ein grave Jordn 4725. 5830. 8608; Gwigrimanz von Britani
4737. 5831. 8608; Florian ein Alimdn 4754. 5844. 8607. Man
sieht aus den beigegebenen Zahlen, dass diese Landsleute aus
dem Abendlande immer nur vereint auftreten; Gwigrimanz ist
bei Wolfram Willehalm 14, 20 ein Burgunjoys; Gäloes ist
wohl nach dem Sohne Gandins im Parz. benannt, ebenso wie
der grave Loys (der nur einmal erwähnt wird) nach dem rois
Loys im Willehalm. Sonst erinnern wenigstens die Völkernamen
an Wolfram. Bedeutungsvoller ist die Herübernahme anderer
Personen: Thedalun ist bei Ulrich buregräve von Corinthia
(2380) und wird unter den von Alexander angeblich als Reichs
verweser zurückgelassenen Viermännern erwähnt; später (9711)
übergiebt ihm aber Alexander, als er vor Gaza verwundet
wird, das Obercommando über das Heer und er erobert diese
Stadt: vgl. Tedalün, burcqräve von Tasme Wolfram Willehahn
375, 22 ff. i
Einer der Viermänner ist auch Passigweiz 2381: vgl.
Wolfram Willehalm 32, 12. 98, 6. 288, 15. von Percia Bachadis
10937: vgl. den Ortsnamen in Wolfram Willehalm 348, 25
Bachweries (hop), batheries (o für Gaheviez). Aus dem Namen
1 Eben derselbe Tedalun hat auch im Pseudo -Wolframisclien Trojanerkrieg
eine grosse Rolle zu spielen. Vgl. die Inhaltsübersicht bei H. Dünger,
Sage vom trojanischen Krieg, Leipzig 1869, S. 71.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
355
Tabronit im Parz. dürfte Tabron (so hiess die arme des Aristo-
menes) abgeleitet sein, das wie jenes als krie gerufen wird 13099
(Parz. 739, 25). Möglicherweise ist auch der schon erwähnte
Seren von Tribalibot nach den Seres Wolfram Willehalm 26,
25. 341, 15 u. ö. benannt, doch kennt auch Ulrich das Volk
Seres 21727. 27022. Das Land Tribalibot ist aus dem Parz.
bekannt. Wenn ein König von Tenebroc (Tenabroc Parz.
232. 261. 806) und Arabie 12231 bei Ulrich auftreten; ein
König von Samargöne 885. 3976 (vgl. W. Wilh. 125, 8. 204, 19);
Fürsten von Marroch (W. Wilh. 73. 94 u. ö.) und Barbie 12235,
welch letzteres Land möglicherweise identisch ist mit Barbarie
9618, wo Gaza liegt, so stammen auch diese Namen aus Wolframs
Werken (Barberie, lnop Barbarie W. Wilh. 74, 13. 356, 12).
So kommt auch noch ein König von Agrimontin (8105) vor,
welches Land im Parz. und Willehalm mehrmals genannt wird.
Doch ich bin da bei der Aufzählung der kleiden, die
nur nach ihrem Reich benannt sind, schon unwillkürlich in
Aufzählung von Ländernamen hineingerathen, und will da schon
noch einige anfügen. Gleich bei der Beschreibung Asiens werden
neben den bereits erwähnten Tribalibot auch genannt: Tenabri
4538 (vgl. W. Wilh. 34,20.288,25); Leunsnugruns (W.Wilh. Uwes
Nugruns, po Leuns nigruns 76, 11. 255, 6) 1 und Suntin 4547
(W. Wilh. Suntin 34, 15. 288, 23); Lanzesardin 4548 (W. Wilh.
358,15. 404,17. Parz. 770,22) und Uyppipotiticon 4549 (W. Wilh.
349, 12. 386, 10). Schon vorher 880 sind die von Katervlange
als Unterthanen des Darius genannt, vielleicht das Katelange des
Parz? Einmal gibt er ohne weiteres an (9877), Alexander habe
seinen Weg zwischen Patelamunt und Libia genommen, als ob die
Residenzstadt der Königin Belakäne allgemein bekannt wäre. Ul
rich hat sogar einige Namen verändert, bloss deswegen, weil sie
bei Wolfram anders lauten als in seiner Vorlage. Aus Gordium
ist Kordes geworden, das, wie bei Wolfram, immer auf hordes
reimt, 5590. 5890 (W. Wilh. 34, 17. 38, 19. 288, 21); aus
Oaucasus Kaukasas (: was) 17421 u. ö. (W. Wilh. 36, 9. 80,
-2 u. ö.): selbstverständlich wird auch über die Beschaffenheit
dieses Gebirges alles reproducirt, was er bei Wolfram gelesen.
1 Nach den mehrfachen Uebereinstimmungen mit diesen Hss. darf man ver-
muthen, dass Ulrich selbst eine Hs. benutzte, die zu dieser Gruppe gehörte.
356
Toischer.
Wichtiger ist, dass er Personen, die er schon bei Gu.
vorgefunden, nach dem Vorbild besonders beliebter Helden
in den Gedichten Wolframs umgestaltet. Auf Nicanor 1 sind
manche Züge von Vivianz übertragen; Reimon von Arabia ist
der rothe Ritter geworden (13635 ff.); namentlich aber ist die
Verwandlung Geons merkwürdig. Dieser ist bei Gu. (V, 38
bis 75) ein riesiger Mohr: seine Mutter aus dem Geschlechte
der Giganten, sein Vater ein Aethiopier. Er ist bewaffnet mit
einer Keule (clava trinodis), wird von Alexander getödtet. —
Ulrich (12071 ff.) überträgt auf ihn Züge von Feirefiz und
Rennewart. Er ist also wiz und swarz gevar (der ungefüege
vech gevar 13269); von derselben Farbe auch die brä und üf
dem houpt da% bar; in dem Alter, dass ihm alrerst ensprungen
sine grane umb den munt, läuft so schnell als sein Volk, das
reitet; bedient sich als Waffe einer Stange gelich eime grozen
boume u. s. w.
Ausserdem stellt er vielfach Vergleichungen an zwischen
dem, was er erzählt und einzelnen Situationen imParz. Aehnliches
hatte schon Wolfram selbst im Willehalm gethan. So sagt
Ulrich (1707 ff.) gelegentlich der Bändigung des Bucephalus:
laz wart beriten Bucifal
denn zem ersten Parzival
sin ros, dai im von Ither kam
Oder 3387 ff.:
der rehten ivärheit ich enwei%
ob Gahmuret vor Kanvolei3
ie gesce$e so schone,
do im bot die kröne
und ir siieze minne
Herzeloyde diu küneginne.
So vgl. man noch 3428 ff., 10315 ff., 14668 ff.
Dass er nun auch Wolfram selbst direct anspricht (124.
5370. 5992. 7803. 8741), darf bei so vielfacher Benützung nicht
mehr befremden; wohl aber, dass er trotz aller Verehrung
seines Vorbildes, trotz aller Belesenheit in seinen Werken und
1 Diese Gestalt ist schon bei Gu. stark herausgearbeitet: III, 77—89. V,
123—182, woselbst auch sein Tod berichtet wird (s. dagegen Curt. VI,
6, 18). Es ist darum sonderbar, dass er VIII, 175 sagt (vidualus)
magno(que) Nicanore nuper.
Ueber die Alexatidreis Ulrichs von Eschenbach.
357
der weitgehendsten Ausnützung derselben für eigene Zwecke
dennoch solche Fehler begehen kann, wie (9876 ff.):
ich hän vernumen da% aldä
leiste Belacänen bet
Gäloes sun Gamuret,
der edlen mcerinne u. s. w.
Ich habe noch ein langes Verzeichniss von Stellen vor
mir, in denen Ulrich einzelne Andeutungen des Gu. weiter
ausführt, hie und da auch massig verändert, die im Voraus
gehenden nicht namhaft gemacht sind. Ich weiss aber nicht,
wem einem solchen Werke wie der Al. Ulrichs gegenüber
mit einer erschöpfenden Darstellung aller Einzelnheiten gedient
sein soll. Als charakteristisch will ich nur noch ein paar
allgemeine Gesichtspunkte geltend machen, die allenthalben
in dem Gedicht zu Tage treten, nämlich dass Ulrich so viel
als möglich bestimmte Zahlen angibt; dass er seine Personen
so viel als möglich reden lässt, und die Reden, wenn thunlich,
alle direkt anführt; und dass es bei seiner ganzen Dichtungs
weise unausbleiblich ist, dass dieselben Motive oft wiederkehren.
Bestimmte Zahlen setzt Ulrich vielfach dort, wo Gu.
überhaupt nur von vielen, wenigen, einer Menge und der
gleichen spricht. So Gu. III, 134 ff.: viele waren todt oder
dem Tode nahe, Ulrich 8331 : 20000 lagen erschlagen auf
dem Felde; V, 320 paucis comitantibus, Ulrich 14156 selbzwelfte;
V, 340 in Lycus kam eine Menge um, Ulrich 14216 der dreis-
sigste kam nicht davon; Gu. VI, 147 ipse retentis delectis equi-
tum, Ulrich 15127: dreitausend (VII, 210 quingenti quirites,
Ulrich 16063. 16608. aber 6666) u. a. Daher gehört auch
2 Quintus . . mensis während Ulrich 13052 ff. sagt der
1. Mai. Vielfach liegt aber für die Zahlen, die Ulrich angibt,
bei Gu. nicht einmal eine unbestimmte Angabe zu Grunde.
So weiss er, dass jede der bis senae gentes Gu. II, 109 20000
Mann stark war (6110); dass nach dem Tode des Enos und
Kanaan (V, 37) noch der Streit mit ihrer rotte fortgeführt
und 2000 von ihnen erschlagen wurden (13416 ff.); dass in
Persepolis zehen tüsent oder me erschlagen wurden (15485) u. a.
Am häufigsten sind dergleichen Angaben bei der grossen
(V . Wilh. nachgeahmten) Szene, wo der König vor der Schlacht
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 23
358
Toi s eher.
seine Genossen um sich versammelt und diese ihre Streitmacht
angeben (11953 ff.). Zugleich zeigt sich da auch, wie wenig
es der Dichter mit solchen Zahlen genau nimmt. Elyphat
von Egypten erklärt, er habe fünfzic tüsent oder mSr (12003);
Pharos von Cyria, er habe funfzehen tüsent oder ba% (12035),
während sie beide zusammen nur funfzehen tüsent haben,
als es wirklich zum Treffen kommt (13170 f.).
Reden hat schon das Werk des Gu. in hinreichendem
Maasse, wie oben erwähnt wurde, und Ulrich hat von diesen
wenig übergangen. Aber das vorhandene genügte ihm noch
nicht, sondern er hat darüber hinaus noch eine grosse Anzahl
indirecter Reden (vielfach nur ganz kurze Angabe des wesent
lichsten Inhaltes) direct ausgeführt (vgl. I, 381—384 und
4461—4464; II, 265—268 und 6701—6708; IV, 331 ff. und
12404 ff. u. a.) und ganz neue hinzugedichtet, meist in der
Art, dass er auf eine Rede wieder antworten lässt und so ein
Wechselgespräch erhält. Vgl. z. B. Gu. I, 277 ff. und die
unendlichen Reden bei Ulrich 2566—2757: Eschinus an die
Athener; diese antworten; darauf wieder Eschinus; dessen
Unterredung mit Dimus; Rede des Dimus an die Athener;
Alexander an Demosthenes; dessen Antwort; Alexander an die
Athener und deren Antwort. Ebenso gehen der Einnahme
Thebens endlose Reden vorher; vgl. auch Gu. III, 238 ff. und
Ulrich 8903 ff; VIII, 52 ff. und 17627 ff.; IX, 514 ff. und
20804 ff. u. a.
Trotz dieser Vielrednerei aber war Ulrich kein Redner-
talent, denn er hat in der Wiedergabe viele Reden des Gu.
elendiglich verdorben. Man vgl. nur einmal Gu. VI, 312 bis
369 (Curt. V, 8, 6—17 Darius an seine Getreuen) und Ulrich
15807—15874.
Gu. Wüsste ich nicht, dass
ihr treue tapfere Männer seid,
so würde ich jedes Wort sparen.
Aber ihr seid als treu erprobt
in schwerem Geschick.
Eine höhere Macht wird
euch belohnen, wenn ich es
nicht kann, und unsterblicher
Ruhm ist euer Theil.
Ulrich. Ich bin glücklich,
dass ich so treffliche Freunde
habe. In Unglück habt ihr
euch treu bewiesen.
Der höchste Gott wird
euch besser danken, als ich
es kann. Unsterblicher Ruhm
ist euch sicher.
H
2
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenhacli.
859
Auf euch vertraue ich
noch. Ich will ehrenhaft sterben
oder wieder erlangen, was ich
verloren habe. Nicht ehrenhaft
ist es mir, einem Fremdling
unterthan sein. Nur mit dem
Leben entsage ich der Krone.
Denkt ihr ebenso, so trachtet
ihr euch zu rächen oder ehren
voll zu sterben.
Die Götter werden uns
beistehen. Eingedenk eurer
Vater suchet in rühmlicher
Ich vertraue auf euch,
dass ihr mir helfet min erste
wirdike.it wieder zu erlangen.
Meine Krone lasse ich
nicht ausser im Tode. Dafür
muss alles eingesetzt werden.
Ich hoffe zu Gott, dass
unser Unglück sich wende und
Glück hei uns einkehre.
Schlacht den Tod oder Sieg.
Aehnlich ist es bei der Rede Gu. V, 385—421 und Ulrich
14338—14390 u. a. Andererseits aber ist es auch anzuerkennen,
dass Ulrich durch sein Bestreben, Wechselgespräche anzu
führen, die Scenen gleichsam dramatisch auszuführen, oft auch
viel lebendiger und effectvoller darstellt. Auch davon ein
Beispiel.
Gu. VII, 490—528. Patron (Graeci dux cigminis, d. h. An
führer der griechischen Söldner, Curt. V, 11, 1) hat Kenntniss
erhalten von den hochverrätherischen Plänen des Bessus und
Narbazones, warnt den Darius und fordert ihn auf, ihm den
Schutz seiner Person zu übertragen, da er sonst nicht sicher
sei. Diese Treue des Patron verdient gerühmt zu werden.
Aber wie es vom Schicksal vorher beschlossen war, geschah
es. Darius verschmähte den einzigen Weg, der ihm zur
Rettung offen stand. Patron verzweifelt am Heile des Darius
und wendet sich Alexander zu, unbekümmert darum, was ihm
dort geschehen möge.
Ulrich 16097—16166. Patron (ein Ueberläufer) hatte von
den hochverrätherischen Plänen des Bessus und Narbazones
Kunde erhalten und beschuldigt sie dessen vor Darius, und
erbietet sich zugleich, die Wahrheit seiner Rede auf jede Art
zu erweisen. Darius glaubt ihm nicht und hält diese Rede
für Verläumdung wegen gegenseitiger Feindschaft. Patron ver
sichert nochmals die Wahrheit seiner Rede und erbietet sich,
dasselbe den Verräthern ins Gesicht zu sagen. Unterdessen
23*
360
Toischer.
kommen diese Beiden. Bessus leugnet und will seine Un
schuld in kemphlichen Sachen gegen Patron beweisen. Der geht
sogleich darauf ein, aber der Kaiser verbietet den Kampf und
hält seine Meinung von der Unschuld des Bessus aufrecht.
Patron, nun in seiner Ehre gekränkt, sagt dem Kaiser, er
werde die Wahrheit seiner Behauptung noch empfinden, wendet
sich von ihm ab und kehrt zu Alexander zurück, der ihn
wohl aufnimmt.
Als Beispiel für die Wiederkehr derselben Situa
tionen will ich nur die Beschreibung von der Einnahme der
vielen Städte erwähnen. Das geschieht immer nach einem
Schema. Wenn Alexander herangerückt ist, wird ein Bevoll
mächtigter abgeschickt, die Stadt zur Uebergabe aufzufordern.
Der wird grob abgewiesen. Nun beginnt ein lustiges Lager
leben vor der Stadt, während Belagerungs- und Sturmmaschinen
herbeigeschafft und in Thätigkeit gesetzt werden. Ein Ausfall
der Belagerten wird zurückgeworfen. Sturm und Einnahme.
— So hat Alexander Theben erobert (3179 ff.), so erobert er
Tyron (5193 ff.); Tyrus (9195 ff.), Gaza (9617 ff.); so auch
Athen (2505 ff.) und Uxia (14905 ff.), nur dass die Einwohner
dieser Städte noch vor dem Sturme um Gnade flehen und die
Stadt übergeben. Damascus wird nächtlicher Weile durch
Ueberfall genommen (Gu. III, 260 ff.), was Ulrich hier hinzu
dichtet, ist nur (9118 f.):
der leb üf den porten
wart gdhes üf gestecket.
Die Frauen.
Wir haben bisher ausschliesslich, so weit wir Erweiterungen
und Zuthaten Ulrichs erörterten, die Helden berücksichtigt.
Wer aber deshalb glauben würde, dass die Frauen bei Ulrich
überhaupt in den Hintergrund treten, würde sehr irren. Im
Gegentheil. Lob und Preis der Frauen zieht sich wie eine
,unendliche Melodie' durch alle Tausende seiner Verse, und da
will er keinen Unterschied machen zwischen Christen und
Heiden: si sm kristen oder heidenin, sie haben alle de$ lop nun
(13039 ff.). Tyrus wird mit Mann und Maus vernichtet: Ulrich
fügt einen Excurs bei, der beginnt mich riioen diu minneclichen
ivip, woran sich dann ein Lob der Frauen knüpft (9521 ff-)i
Ueber die Alexandreiß Ulrichs von Eschenbach.
361
bei der Zerstörung von Theben aber weiss er, dass die Herzogin
allein verschont blieb, 1 und bei der Einnahme von Sudraca
lässt er, trotz der gegentheiligen Versicherung des Gu. (IX, 448),
alle Frauen mit dem Leben davonkommen (20706 ff.). Ja
noch mehr. Diese heidenin können sogar selig werden, wie er
wenigstens von der Olympias erwartet (227 ff.):
ivie sie ein heidnin si gewesen,
ich hoffe da$ sie si genesen
von ir triwe, der sie was riclie,
mit Adam im himelriche 2
während er bei all den Schlachten nur zu melden weiss, dass
durch die Gefallenen die Hölle erfreut wurde (5872. 7836):
ja am Tage hei Arbela fielen die Seelen so dicht in die Hölle
wie Schneeflocken und Hagel zur Erde (14101—14104).
Nun hatte für einen so minniglichen Sänger, der so sehr
von den Vorzügen der Frauen begeistert ist, die Vorlage einen
grossen Fehler. Im Gedichte des Gu. herrscht durchaus
Mangel an Frauengestalten. Handelnd tritt dort nur eine Frau
auf, die Königin der Amazonen, die mit einem etwas absonder
lichen Verlangen zu Alexander kommt, 3 allenfalls noch Sisy-
gambis, die Mutter des Darius, die als Gefangene bei Alexander
durch ihre Fürbitte Uxia vor der Zerstörung rettet (VI, 115 ff.)
und die (namenlose) Gattin des Darius, die durch ihren Tod
Veranlassung zum Bau eines prächtigen Grabmales gibt.
1 Sie hatte sich während der Belagerung in Alexander verliebt und dieser
verheirathet sie dann mit Joran.
2 Doch vgl. auch 4028 ff.: mich riuwet noch da% werde wtp (Dulcamür) . .
da% sie dne touf vertarp.
3 Ulrich hat es sich nicht entgehen lassen, diese Scene recht pikant aus
zuführen. Alexander tritt ihr bei der Ankunft entgegen, um sie zu
empfangen. Er und die Seinen verwundern sich über diese Gestalten,
doch werden sie und ihre Rosse in guot (jemach gebracht. Die Königin
Thalestris kommt erst nach vielen Höflichkeiten mit ihrem Anliegen
heraus (Gu. VIII, 38 sagt sie sogleich auf die erste Frage Se venisse . .
nt pleno ventre regressa . . pariat . .), Alexander weigert sich, ihrem Be
gehren nachzukommen, seine Lage ist freilich auch schlimm, denn kurz
vorher hat er sich mit Roxa vermählt und seiner frouwe Candacis Treue
gelobt (wovon bei Gu. nichts), willigt aber endlich doch ein. Auch der
Abschied ist noch breit ausgeführt (17463—17612).
362
Toischer.
Da half nun die zweite Hauptquelle Ulrichs, die Historia
de preliis, aus. Da ist die Mutter Alexanders und ihr Ver-
hältniss mit Neptanabus, dann die Cleopatra, um derentwillen
Philipp die Olimpias verstösst; Roxa, die Gattin Alexanders,
und seine Geliebte Candacis; die Gattin des Darius tritt ein
in die Handlung und noch mehr Sisigamis, und dann noch
eine Tochter des Königs Porus. Ulrich führt aber dann noch
weiter auf Roisse, die Königin von Assur; Dulcamur, die
Königin von Samargone; dann ohne Namen eine Herzogin von
Theben; die Burggräfin von Tyrus; Königinnen von Celidon,
von Arabi, von Ninive, von Epypto; die frouwe von Hyrcania.
Ausserdem hat jeder nur irgend hervortretende Held ein mp
oder eine avvie, von denen wir wenigstens, wenn schon nichts
anders, erfahren, dass sie ihrem friunt oder Mann eine köst
liche Rüstung geschenkt habe, oder dass sie um ihn weint,
wenn er im Kampfe fiel.
In dieser Weise äussert sich meistens die Liebe der
Frauen, oder wenigstens wird diese Seite ihres Wirkens am
häufigsten erwähnt.
Den Herzog Orestes hatte sein Weib glänzend ge
schmückt (3556—3576), die prächtige Ausrüstung des Mernnon
hatte ihm sin wip diu herzoginne gegeben (5683 ff.), die der
mäge des Darius die unp bereitet (6135). Frauen hatten den
Arestes so prächtig ausgerüstet, wäpenroc und hovertiur hatte
ihre Hand mit Fleiss geworht (7860 ff.). An Negusar hatten
cläriu wip itg manegen landen reiche Rüstung und Zierde ge
schickt, wie er wohl verdiente (8202 ff.) und sollte man all
die Zierde namhaft machen, mit der süe^iu wip durch minne die
Leute des Edimus ausgestattet haben, so müsste man viele
Länder nennen (8183 ff.). Auf dem Schlachtfeld von Arbela
sah man prächtige Rüstungen glänzen, wie ir itsliches amte . ■
erdäht hatte und als die minneclichen heten sie üf da$ velt beriht
(12884 ff.). Agiris, die Gattin des Candaulus, hatte ihn pracht
voll ausgerüstet (19775—19810), und so gibt es überhaupt
keine prächtige Rüstung, die nicht von Frauenhand dem Träger
gewidmet wäre. Alexander selbst hat nicht eher eine Rüstung,
die der Beschreibung werth wäre, bevor er nicht eine frouwe hat.
So musste Ulrich sogar die Schilderung seiner Waffen Gu. IV,
500—513 (s. S. 327) auslassen, freilich nur, um dann mit um
Ueber die Alexandreiß Ulrichs von Eschenbach.
363
so beredteren Worten die Geschenke der Candacis auszu
malen.
Auch Fidias war von seiner Braut geschmückt (einer
Schwester des Darius) und sie vierte auch sin eilen (13862 ff.),
und so erfahren wir noch oft, dass die Waffe nicht das einzige
ist, was die Frauen gewähren, sondern dass sie auch Muth
und Ausdauer im Kampfe verleihen. So dem Mazeus seine
Verlobte (7992 ff.); die amte Tabron dem Aristomenes (13099ff.);
Agiris dem Candaulus (19831 ff.) u. a. Beim Abschiede des
Burggrafen von Tyrus muss seine Gattin ihm Helm und Speer
reichen und mit ihren weissen Händen verbinden. Er sagt
dabei, sie werde ihm Muth machen und nicht verzagen lassen.
Sie sieht nun dem Kampfe von der Mauer aus zu, wobei sie
bei einem harten Hiebe in Ohnmacht fällt — was den Damen
bei Ulrich oft passirt — und als er tödtlich getroffen nieder
sinkt, laut aufschreit und stirbt; so erschlug Alexander mit
einem Schlag den Burggrafen und sein Weib (9318 ff.).
Die anderen Frauen begnügen sich damit, die Gefallenen
zu beweinen. Vgl. 3656 ff, 6407 ff, 7824 ff, 11828 ff, 8107 ff,
13266 ff., 13410 ff., 13907, 15752 ff. u. a.
Deswegen ist denn Mitleid mit den überlebenden Frauen
durchaus geboten. Der Dichter selbst beklagt die Dulcamur
nach dem Tode ihres Gatten (directe Anrede an sie 8635—
8646), sowie er auch andererseits frohlockt, dass Alexander
die Gefangenen, die er bei Arbela machte, gut behandelte:
darüber konnten ihre Frauen Freude haben (14235—14242).
Alexander bedauert schon bei seinem Auszuge die zurück
bleibenden Frauen und fürchtet, sie möchten ihm zürnen
(4423—4433), sowie er auch später erklärt, es sei ihm nichts
so leid, als wenn Frauengunst sich von ihm abwende (10825 ff.).
Ganz so denkt Darius. Am Abend des Tages bei Arbela
jammert er (14118 ff.):
nü rnuo'i min riuwec herze tragen
has vil süe%er herzen,
die immer wernden smerzen
umb ir trüt emphdhent —
suln mir die gehessic sin,
was taue mir dan das leben min?
364
Toisch er.
und das ist ein Hauptmotiv dafür, dass er sich zur Flucht
wendet und den Kampf aufgibt.
Frauen gegenüber gelten nur die edelsten Motive. An
dem Tode der Gattin des Darius ist bei Gu. IV, 10 continuus
viae labor eine der Hauptursachen. Das lässt aber Ulrich
ganz unberücksichtigt. Sie stirbt nur ,an gebrochenem Herzen'
(von ir triwwen das geschach 10311).
Die Gesandten, die dem Alexander die Tochter des Darius
zur Gattin anbieten, heben bei Gu. nur ihre Mitgift hervor
(IV, 93), dagegen preisen sie bei Ulrich ihre Schönheit und
ihre edle Tugend vor Allem (10636 ff.).
Die Ausfälle gegen die Frauen in der Rede des Euticion
(Gu. VI, 250—256) sind darum auch bei Ulrich (15597 ff.)
sehr gemildert. Nur sumeliche seien schlimm, meint er. Da
gegen in der Gegenrede des Tecius ist dieser Vorwurf gegen
die Frauen widerlegt und ein enthusiastisches Lob derselben
eingefügt (15691 ff.):
nie niht so getriuwe$ wart
als rekte wiplich stiege art.
friundes leit sie nie vergas ....
Manchmal freilich schlägt auch ein anderer Ton durch,
und es sind stark sinnliche Farben aufgetragen, vgl. z. B.
6864—6896 das Lagerleben, 14549 ff. Einzug in Babylon. Der
Dichter zeigt sich sehr empfänglich für körperliche Schönheit,
doch kann man nicht sagen, dass er in deren Schilderung je
zu weit ginge. So schildert er uns die Erscheinung der Roxa
(16978 ff.), die so schön war, dass er meint (17203—17208):
ein lip von solchen sacken
machte vralich lacken
der ie gewesen wcere
ein rehter riuscere,
war im die scelde geschehen
das Roxam hete gesehen.
So schildert er uns auch die Schönheit der Candacis
(23457 ff., wo sie den Aristander verführt, dass er sich von
ihr reiten lässt) und besonders der Roisse (23799 ff., 23909 ff.).
Am häufigsten wird erwähnt der rothe Mund, vgl. 3885 ff.,
3921 ff., 20967 ff., 21051 u. ö. Und dieser Mund ist am reizend
sten, wenn die Dame weint (vgl. Parz. 272, 22). Denn wenn
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
365
des herzen regen ihre toengel oder hrüstel begiesst, ihr munt ist
doch durchliuhtic rot (3869—3874. 8731 ff., 16978 ff. u. ö.),
und der Dichter ist von einem solchen Bilde so bezaubert,
dass er sich einmal bis zu dem Ausrufe versteigt (8735 ff.):
ja wcer er todes vil ivol wert,
der dö niht küssens licete gegert.
Historia de preliis.
Ausser diesen Frauengestalten hat Ulrich noch vieles
andere aus der Hdp. in sein Gedicht aufgenommen, wie schon
oben bei der Inhaltsübersicht namhaft gemacht wurde. Es ist
das namentlich im ersten Buche die Geschichte von Neptanabus
und Olimpias, die Zähmung des Rosses Bucephalus, dann der
Kampf mit dem Könige Niclas, der schon in der Hdp. so
entstellt ist, dass Ulrich einen Wettkampf (Psk. I, 18—-19)
nicht mehr darin vermuthen konnte, weshalb er denn einfach
einen Krieg daraus macht, eine gnote stat belagern lässt u. s. w.
Aus dem Sohne des Areios ist ein rex Arideorum (arridorum,
arginorum) in Hdp. geworden und Ulrich meint (1745 fg.)
ich verste mich an den mceren da$ die vinde die Unger wceren.
Hierauf ist nach Hdp. erzählt die Tüdtung des Lisias nach
Alexanders Rückkehr, die Wiedereinsetzung der Olimpias und
dann (genau in der Reihenfolge der Hdp. — Psk. I, 23) die
Abweisung der Gesandten des Darius, die den Tribut fordern.
Hie Erzählung folgt aber jetzt den Boten, es folgt sogleich
die Antwort des Darius im zweiten Briefe an Alexander zu
gleich mit den spöttischen Geschenken (Ruthe, Kugel Psk. I, 35)
und die Abweisung, respective Umdeutung dieser Geschenke
von Seite Alexanders (mehrfache Veränderungen der geänderten
Situation entsprechend, vgl. Psk. I, 36), worauf der dritte
Briet des Darius folgt mit den Mohnkörnern, für welche
Alexander Pfeffer an Darius schickt (der ganze Briefwechsel
bei Ulrich 1813—1956), worauf dieser einen Kriegsrath hält,
wobei sein Bruder räth, noch einmal Boten zu senden (—1984,
uur die Versammlung nach Hdp., wobei Darius zu energischer
Gegenwehr aufgefordert wird, vgl. Psk. II, 7) und in der That
kommt noch einmal eine Botschaft von Darius den Tribut zu
366
T o i s c h e r.
verlangen (Medeamanz von Samargone), die wieder abgewiesen
wird (3951—4272) und noch von einer weiteren Botschaft
erzählt Ulrich dann (5481—5611) nach Gu. II, 18—44 (Alexan
der erhält da noch einmal die spöttischen Geschenke). Zu
nächst aber geht er von der Berathung der Perser über —
durch eine Betrachtung über den Tod vermittelt — zur Er
zählung vom Tode des Philippus (—2152 vgl. Psk. I, 24),
womit er den Gu. erreicht.
Was vom II.—IX. Buche aus Hdp. herübergenommen ist,
habe ich im grossen Ganzen schon oben (S. 323) angegeben. Zu
sehr ins Detail einzugehen verbietet die Beschaffenheit der Hdp.
und ich will darum nicht erst im Einzelnen ausführen, wie er
das und jenes verändern musste, um es der Erzählung des Gu.
einfügen zu können. Dass es ohne Aenderungen nicht gieng,
liegt auf der Hand, dass er zuweilen auch den Gu. verlässt,
um der Hdp. zu folgen (z. B. der Tod des Darius) wurde
erwähnt, ebenso wie schon ein Beispiel angeführt wurde, dass
er manchmal vergisst, dass er eine Sache schon nach der einen
Quelle erzählt hat und nun nach der zweiten es nochmals
bringt (die spöttischen Geschenke des Darius).
Auf das X. Buch müssen wir doch etwas näher eingehen.
Es ist aber dafür nothwendig, zuerst einen Blick zu werfen
auf die Hdp. selbst.
Dieses Werk (vgl. Zacher, Pseudocallistlienes S. 106 ff.)
hat schon schwere Schicksale erlebt, aber noch immer keine
Ausgabe. Wer immer sich mit einem Werke der grossen , Alexan
dersage' beschäftigt — alle klagen über diesen Mangel, und
ich kann keine Ausnahme machen. ,Die Forschung bleibt
höchst mühselig und kann doch nur zu mehr oder minder
unzulänglichen Ergebnissen führen', sagt Zacher, und man wird
es bei diesen Umständen vielleicht entschuldigen, wenn meine
Rechnung nicht überall ohne Rest aufgeht. Einige Mühe habe
ich nicht gescheut.
Eine Buchhändleranzeigc von Teubner in Leipzig (s. Teuffel
röm. Littg. 3 47, 2) versprach in Alexander Magnus. Collectio scripto-
rum ad fabulosam eins historiam. pertinentium, herausgegeben von
Wend. Förster als VII. Band die Hdp. in doppelter Fassung,
einer kürzeren (nach der Münsterer und Bamberger Hs.) und
einer ausgeführteren (nach Pariser Hss.).
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
367
Ich habe die Bamberger Hs. in einer Abschrift des Herrn
Dr. Oswald Zingerle benützen können, dem ich dafür zu grossem
Danke verpflichtet bin (über die Hs. s. Waitz in Pertz Archiv
IX, 673—703). Dass die Münchner Hs. (cod. Mon. lat. 23489)
damit vielfach übereinstimmt, sehe ich aus den Anführungen
Zachers im Psk. Im einzelnen freilich weichen schon diese
beiden Hss. stark von einander ab, da der Schreiber der
Bamberger Hs. sein barbarisches Latein in die von ihm abge
schriebenen Stücke hineinbringt und sich auch andere Aende-
rungen erlaubt, wie Waitz a. a. 0. nachgewiesen hat, wo auch
gezeigt ist, dass Ekkehardus Uraugiensis (MM. G. VIII, 60—75)
für die ausführliche Darstellung der Geschichte Alexanders eben
diese Hs. benützte.
Es steht in dieser Hs. zuerst die eigentliche Hdp. (193“—
219°), der Auszug aus Pseudokallisthenes von dem Archipres-
byter Leo. Um den Inhalt nach einem bekannten Werke kurz
zu bezeichnen, ist das (abgesehen vom Anfang) ungefähr so
viel und fast genau in der Ordnung, wie die Erzählung des
Pfaffen Lamprecht bis V. 6434, von wo an er, respective El
berich von Bisenzun (bis zum Schlüsse 7151), dem Iter ad
Paradisum folgt, während in der Hdp. der Brief der Olimpiäs
noch fortgeht und dann Alexanders Tod erzählt wird (Bam
berger Hs. 216°—219°). Nur die Episode von den Mädchen-
bluraen (5004—5205) findet sich bekanntlich in Hdp. nicht.
Auf die Hdp. folgt in der Bamberger Hs. das commoni-
torium Palladii (219 d '—223 c ), dann der Briefwechsel Alexanders
mit dem Brachmanenkönig Dindimus (—228“') und den Schluss
macht der Brief Alexanders an Aristoteles (—235 d ). Dieser
Brief ist als ein Werk des Cornelius Nepos herausgegeben von
Andreas Paulini: Alexandri Magni epistola de situ Indiae etc. ad
Aristotelem . . . Gisac 1706. S. über diese Werke Zacher Psk.
106 fg.
Die Hdp. wurde im 15. Jahrhundert in Utrecht und Strass
burg in vielen Auflagen gedruckt. Ich benützte die ed. prima
trajectana 1473 und den Strassburger Druck von 1489, von
beiden die Exemplare der königlichen Bibliothek in Berlin.
Ueber die Pariser Hss., die mit diesen Drucken iiberein-
stimmen sollen, habe ich nichts in Erfahrung gebracht, als was
Morel-Patio in der Romania IV, 60 mittheilt. Hss. dieser Art
368
Toischer.
sind übrigens auch in Deutschland nicht selten. Der Haupt
unterschied dieser Recension von der früheren — ich will die
eine mit D (Drucke), die andere mit B (Bamberger Hs.) be
zeichnen — besteht darin, dass in D in die ursprüngliche Ge
schichte die Anhängsel, wie sie sich in der Bamberger Hs.
finden, hineingearbeitet sind, wobei nur das Commonitorium
wenig Berücksichtigung fand, dagegen der Brief an Aristoteles
sowie der an Olimpias vollständig in Erzählung aufgelöst
wurden. Von anderen Zusätzen ist namentlich der Einzug Ale
xanders in Jerusalem hinzugekommen. Andere kleinere Inter
polationen scheinen erst später von verschiedenen Schreibern
eingeschmuggelt, da darin selbst die Drucke Differenzen zeigen,
deren jeder seine Besonderheiten hat, die im anderen nicht
stehen.
Diese Recension (D) lag vielleicht schon dem Gu. vor,
da auch er den Einzug Alexanders in Jerusalem erzählt. Frei
lich ist das eine Episode, die von den verschiedensten Schrift
stellern des Mittelalters immer wieder erzählt wurde, und ent
scheidend für Gu. darum nur die wörtlichen Uebereinstimmungen
mit der Hdp. Ich will bei meinen beschränkten Mitteln den
Beweis erst gar nicht versuchen. Sicher hat Qualichinus de
Spoletö 1 diese Fassung benützt (1236), und darnach die deut
sche Bearbeitung desselben, wovon sich eine Hs. in Wernigerode
findet. 2 Von deutschen Dichtern hat sie auch Ulrich von
1 Vgl. Zaclier, Zeitschrift für deutsche Philologie X, 93 f. und Wiener
Jahrbücher für Lit. 57, Anz, Blatt 13 ff. Ich benützte die Hs. der
königl. Bibi, in Berlin Ms. tlieol. lat. f. 194, wo das Werk des Qual,
sich auf f. 105 c —126 d befindet. Es stimmt am meisten mit dem Strass-
bnrger Drucke überein. Wie dieser, weiss Q. z. B. bei dem grossen
Schneefalle (Ep. ad Arist. bei Paulini S. 42, Bamb. Hs. 232 d , s. Zacher
Psk., S. 160) nichts davon, dass Alexander dabei einen vor Kälte halb
erstarrten alten Soldaten das Leben rettet, wie im Utrechter Druck steht
(Valerius Max. V, 1, Ext. 1. Ulrich 22195—22202); während er, wie der
Strassburger Druck die Geschichte von dem Basilisken erzählt (f. 120 b ),
den Alexander durch einen vorgehaltenen Spiegel tödtet (s. Gesta Roma-
norum bei Oesterley S. 493, cap. 139), wovon im Utrechter Druck wie
bei Ulrich nichts steht.
2 S. Zacher, Zeitschr. X, 96. Ich war auf diese Hs. schon vor dem Er
scheinen dieser ersten Nachricht über das bisher unbekannte Gedicht
aufmerksam geworden. Da Förstemann, die gräflich Stolberg'sche Biblio
thek in Wernigerode, S. 102 nur sagt, es sei das Gedicht, das diese Hs.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
369
Eschenbach benutzt, wie sich unten zeigen wird. Ob auch
Rudolf von Ems und Seyfried, muss ich unbestimmt lassen,
da mir die Hss. nicht zugänglich waren, doch folgt eben
dieser Recension wieder der Meister Babiloth, von dessen
Bearbeitung sich eine Hs. in der königlichen Bibliothek in
Dresden (M. 55) befindet (s. Falkenstein, Beschreibung der
königl. öffentl. Bibi, zu Dresden, 1839, S. 386) und wovon im
vorigen Jahre auch eine Hs. in die königliche Bibliothek in
Berlin kam, 1 die einen viel besseren Text bietet als die Dres
dener. Auch die niederdeutsche Prosa (bei Bruns, romantische
und andere Gedichte in altplattdeutscher Sprache, Berlin 1798,
S. 337—366) gehört zu dieser Gruppe (respective ihre Vor
lage, vgl. Graesse, Littg. II, 3, 1, 455).
Dagegen hat sich in Baiern die Hdp. in der ursprüng
lichen Gestalt erhalten und der hochgelert meister Johannes
Hartlieb, doctor in erczneij und in natürlichen künsten, der
unermüdliche, ,allzeit fertige ‘ Uebersetzer in München, hat für
enthält, nicht mit dem des Lamprecht zu verwechseln, so hatte ich mich
an den Herrn Bibliothekar Ed. Jacobs gewendet, der mir vom 6. De-
cember 1878 freundlichst Anfang und Schluss des Gedichtes mittheilte.
Der Anfang lautet:
Nach des vaters abraham zeit als die werlt kom
Warnd vier künigreich die grosten sicherleich
an mahl weit vii brait von dem ersten vns sait
die geschrift es ist genant egyptum vnd weit erkanl
waz es in der alten E . . .
Schon daraus ist wohl ersichtlich, dass das Gedicht älter ist als die Hs.
(1397). Es wäre doch einer Untersuchung werth, ob es nicht ins drei
zehnte Jahrhundert gehören kann, nicht einem jener Dichter gehört, von
denen wir wissen, dass sie eine Al. verfasst haben, ohne dass wir ihre
Werke kennen. Wenn der Unbekannte sich, wie im Eingänge, immer
an Qualichinus gehalten hat, der selbst schon der Hdp. gegenüber sich
möglichster Kurze beflissen hat, so würde auf sein Werk ganz gut passen,
was Rudolf von Ems von Von herboltzheim her berchtolt sagt (s. die
Stelle Zacher a. a. 0. X, 97): doch hat er gedichtet nicht Des die hystorie
von ihi gicht Das der zehende muht wesen Des ich von ime han gelesen.
1 Ms. germ. 4° 985, worauf mich Herr Dr. H. Meisner freundlichst auf
merksam machte. Die Hs. kam ,aus einem Magdeburger oder Erfurter
Archiv* nach Berlin. Leider ist sie nicht vollständig, indem Anfang und
Schluss fehlt. Erhalten sind fünf Lagen = sechzig Blätter, am Anfänge
fehlen vier, am Schluss höchstens eine Lage. Ira Einzelnen weicht die
Dresdener Hs., die ich an Ort und Stelle einsehen konnte, sehr stark ab.
370
Toischer.
seinen ,Prosaroman', 1 der den md. des Meister Babiloth weit
überflügelte an Verbreitung- und Beliebtheit, eine Hs. vor sich
gehabt, die der Bamberger sehr ähnlich war. Nur hat die
alte fabelhafte Geschichte im Laufe der Jahrhunderte einen
neuen Verfasser in der Person des heiligen Eusebius bekommen,
und fand, durch diese Autorität gestützt, wieder lauge Glauben.
Man möge diese Abschweifung entschuldigen, ich musste
die verschiedenen Bearbeitungen der Hdp., so weit sie mir
nur immer zugänglich waren, zur Vergleichung heranziehen,
weil jeder einzelne Text derselben so sehr zweifelhaft ist und
ich mich mit der ersten besten Fassung nicht zufrieden geben
wollte, etwa ,da offenbar auch' Ulrich von Eschenbach ,eine
kritische Ausgabe der Historia noch nicht vorlag'. Es kommt
ja gerade darauf an zu bestimmen, in welcher Gestalt ihm
dieser Proteus vorlag und wie viel er ihm verdankte. Die
obige Zusammenstellung beweist zugleich, dass die Fassung
der Hdp., wie sie die alten Drucke bieten, mit ihren Verände
rungen und Interpolationen für die Litteraturgeschichte von
grosser Bedeutung ist, wenn sie auch für die Frage nach dem
echten ursprünglichen Text so gut wie gar nicht in Betracht
kommt, wie dies Zacher längst gesehen und wiederholt aus
gesprochen hat (Psk. S. 110. Zs. f. d. Ph. X, 94. vgl. auch
Sitzungsberichte der Wienei- Akad. XCIII, 81).
In dem ersten Abschnitt des X. Buches (A, wie ich sie
oben S. 324 abgrenzte) hält sich Ulrich, so weit ich sehe, streng
an die Hdp. Es hat da beinahe den Anschein, als ob ihm dabei
eine gewisse Angst überkommen hätte vor der Fülle des
Stoffes, die er noch zu bearbeiten hatte in dem einen Buche.
Die Erzählung schreitet meist in kurzen Sätzen fort, er flicht
hie und da eine Bemerkung ein, aber sonst ist er für grosse
Strecken nur Uebersetzer. Vielfach wird zusammengezogen,
1 Ich benützte davon den zweiten Druck, Augspurg Anno lxxiij (1473),
Fol., 169 Blätter, auf der königlichen Bibliothek in Berlin. Wie er in
der Einleitung sagt, hat Albveclit lierzog in payren . . . und dessen gemahel
fraio Anna von praunschweick von ihrem undertan begert und gebotten
Das büch des grossen Allexanders ze teiitsch machen nach de waren text
Nicht hindan noch dar zu zu seczen des hab ich mich verwilligt. . . Doch
hat er dies nicht eingehalten, sondern gar oft kann er es nicht unter
lassen, seine abstruse Weisheit leuchten zu lassen und den waren text
damit aufzuputzen. Vgl. Gervinus II, 5 346.
TJeber die Alexandreis Ulrichs von Esclienbach.
371
nur das Allerwesentliehste herausgenommen. Erst gegen Ende
des Abschnittes tritt wieder die frühere behagliche Breite ein.
Das Buch beginnt (mit Vers 21063) von Daniel und den
vier Weltreichen, dem ein Gebet zu Maria folgt (bis 21122).
Nach einem kurzen Uebergang erzählt er hierauf, dass Ale
xander von Porus schied und an den Tigris kam. Dort ist
der Pallast des Xerxes und die Gräber der persischen Könige.
Alexander befreit die Gefangenen (schon früher erzählt nach
Gu. 15295 ff., vgl. Hdp. B 208 c . Psk. II, 17—18). Der Pallast
des Xerxes ist an die Stelle desjenigen von Porus getreten,
von dessen Besuche Hdp. B 228 d (Ep. ad Arist.) an der ent
sprechenden Stelle erzählt (s. Zacher Psk. S. 151). Bevor
aber Ulrich von dem dort unmittelbar darauf folgenden Zuge
zu den portae Caspiae berichtet, erzählt er (21201—21214),
dass Alexander Magli und Partes überwunden habe, eine
Episode, die ich nirgends nachweisen kann. Als er nach
Carpia (= portae Caspiae) kommt, wird er von den Einwohnern
freundlich aufgenommen, hat aber von Schlangen viel zu leiden
(bis 21244 Hdp. B 229“. Ep. ad Arist.).
Von da macht Alexander einen Zug nach Albania.
Die grossen Hunde der Eingeborenen werden in der Schlacht
durch Schweine unschädlich gemacht (—21312). Auch diese
Episode (Alexander kehrt von Albania wieder nach Cax - pia
zurück) finde ich in keiner lateinischen Fassung der Hdp.
Sie kommt aber in deren Bearbeitungen vor, so in der des
Meister Babiloth (Berliner Hs. 12 b . Dresdener 39 c ) und in der
altfranzösischen Prosa (s. Weissmann Al. II, 394).
Von Carpia aus zieht er sodann durch eine Wüste, wo
alles Wasser kocht und keinerlei Nahrung für die Thiere sich
findet (21319—21337, Hdp. B 219' 1 ), da empört sich das Heer
und Alexander kann es nur mit Mühe beschwichtigen (—21430,
Hdp. B 210 d , Psk. III, 1; bei Meister Babiloth dieselbe Reihen
folge wie bei Ulrich). 1
Mit dem gewaltigen Heere und vielen Thieren zieht er
durch die wasserlose Wüste. Zephilus findet einen Helm voll
1 Bevor Alexander spricht, befiehlt er: separamini ab invicem. perses in una
parle, macedones et greci in alia. Darauf beruht wohl, dass Ulrich er
zählt (—21434), Alexander habe die zwei teil oder mer nach Persien und
Aegypten gesandt.
372
To iseher.
Wasser, das er Alexander bringt, der es vor dem Heere aus
giesst. Wegen der wilden Thiere müssen sie stets gewaffnet
sein, endlich gelangen sie an einen mit Rohr umwachsenen
See, dessen Wasser sich aber als untrinkbar erweist. Als
einige seiner Leute auf eine im See liegende Insel schwimmen
wollen, werden sie von Ungeheuern (bellue) getödtet. Unter
grossen Mühsalen wird der Weg fortgesetzt (—21582, B 229 b —
230 c , Psk. theilweise III, 17 d —17 6 ).
Endlich gelangt Alexander zu einem See mit süssem
Wasser und schlägt dort ein Lager auf. In der Nacht kommen
Schildkröten, Schlangen mit Füssen, gehörnte Drachen, Krebse,
weisse Löwen, Wildschweine, Menschen mit sechs Händen
(Agrestes), der Aimai (= Odontotyrannus), Sirices, grosse
Vögel (—21716, Hdp. B 230—231 b , nur von den Agrestes
212 c nach Psk. III, 17 f_h ). Die Darstellung Ulrichs stimmt
ziemlich genau mit dem Utrechter Drucke überein (bei weitem
kürzer als B).
Von da kommt er nach Batrian (in loca Batrianonm
Ep. ad Arist. bei Paulini 35). Das Volk Seres nimmt ihn
freundlich auf (—21732, B 231 b ).
Hierauf kommt er zu den Säulen des Herkules (—21756,
B 231 d . 217 d , Psk. III, 27). In der Ep. ad Allst, geht vorher
der Kampf mit Porus, den Ulrich schon früher erzählt hat.
Bevor er dann dazu kommt zu erzählen, wie Alexander sieben
Tage lang durch Finsterniss zieht und endlich an den heissen
Fluss gelangt (fluuium calidum = Thermodon), jenseits dessen
die Amazonen wohnen (21981—22015), was in der Hdp. (B217 d )
und im Psk. (A V -— es ist der Brief an Olimpias) unmittel
bar darauf folgt, hat er erst zu berichten (21757—21980) von
der Einnahme der Felsenburg des Herkules und wie Alexander
die acht Könige besiegt, in deren Länder er gelangt war,
welche Geschichte auch bei Meister Babiloth (Berliner Hs. 26“)
auf die Erwähnung der Säulen des Herkules folgt: Darnach
quam er czu eyme steyne der was vnmazsin scharf vnde hoch da
dy lute czu floliin da er kante er da% da hercules hatte gestretm
vmme den stein vnde da$ er gehindert wart von der ertbebunge
Da wolde er hercules macht vbirwinden vnde geivan den stein
mit grozsim schadin vnde mit erbeit. (Es ist offenbar der Felsen
Aornis, Curt. VIII, 11, 1.) Darnach reit er fort zeu Chorasmos
\
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbacli.
373
vnde dachas . . . (26 b ) vnde quam uf dy chopides . . . Bei Ulrich
heissen die Könige von Chorasmas, von Dachas, von Terestes,
von Chantenan, von Prissida, von Choviun, von Gangarides,
von Chofides. Es stimmen also wenigstens die zwei ersten
und der letzte Name mit Meister Babiloth überein. Ygl. Ekle.
Ur. MM. G. VIII, 70, wo die Adrestes, Cathenas, Gangarides
und Cophides genannt sind.
Jetzt erst kommt (22016—22107), was in der Ep. ad Arist.
auf die Geschichte von den Säulen des Herkules folgt. Ale
xander zieht durch ein sumpfiges Land, da begegnet ihnen ein
Monstrum, das sie nur mit eisernen kolben (cum malleis f 'erreis) er
schlagen können. Dann kommen sie an den Fluss Buemar, wo sie
die Elephanten durch das Geschrei der Schweine verscheuchen.
Bärtige Weiber, die von der Jagd leben; Menschen, die durch
aus behaart sind, zu Land und Wasser leben, und bei der
Ankunft Alexanders sich sogleich ins Wasser stürzen (B 232 a—c ).
Die Erwähnung der bärtigen Weiber fehlt in B, steht aber in
D genau in dem Zusammenhang. Aber auch hier fehlen die
Weiber mit Eberzähnen, _ Haaren, die bis auf die Knöchel
reichen, und Ochsenschwänzen (—22124) und die schönen
Weiber, lanicli genannt, mit Pferdefüssen (—22136). Die Be
schreibung der ersteren stimmt aber ziemlich überein mit jenen
Weibern (nach D), welche im Flusse wohnen und viele Sol
daten zu sich hineinziehen (vgl. 22802 ff.), und die Weiber
nnt Pferdefüssen kommen auch in der altfranzösischen Prosa
vor, vgl. Weissmann, Al. II, 397.
Nun folgt die Beschreibung der Verheerungen im Lager
durch die Aequinoctialstiirme, welche die Soldaten als Strafe
Gottes aufgefasst hatten; Schnee und Kälte; Regen, Feuer
fällt vom Himmel, bis auf das Gebet Alexanders der Himmel
endlich wieder heiter wird (—22220, B 232 a —233 a , Psk. III,
G k ). Dass nach der Darstellung Ulrichs Alexander bei der
Kälte einen am Weg liegenden alten Ritter aufnimmt, wurde
schon oben berührt und zeigt, dass Ulrich auch hier wieder D
vor sich hatte. Dort folgt aber sogleich der Verkehr Alexanders
mit den Bragmanen (De bragmanis et quo alexander venit ad
eos )> Ulrich dagegen erzählt erst von dem Besuche bei den
Gymnosophisten (—22330, B 212 a -°, Psk. III, 4—6) und von
den unantastbaren Bäumen und Vögeln (—22366, B 213'’~°,
Sitzungeber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 24
374
Toischer.
Psk. II, 30). Nun erst der Verkehr mit den Brag-inanen
(-22546).
Die Beschreibung Ulrichs der Oertliclikeit stimmt mit
dem commonitorium Pall. (B 219' 1 —221 c ) nur soweit, als diese
in D Aufnahme gefunden hat. Auch die Aufeinanderfolge,
Inhalt und Länge der Briefe, die Alexander und Dindimns
sich gegenseitig schreiben, stimmt bei Ulrich genau zu D (B
222 a —228 v ), womit er auch das gemein hat, dass er am Schlüsse
des ganzen erst erzählt (B 220), dass Alexander dort eine
Marmorsäule errichten lässt.
In D folgen darauf die Capitel De pugna cum homimbus
agrestibus (pervenit in campum qui dicitur lactea Utrechter
Dr. actia B) und De quodam, komme agresti et magno. Und so
erzählt auch Uli’ich (22547—22626), wie das Iieer Alexanders
auf der ouioe Hactea sich gegen die einstürmenden Riesen zu
wehren hat, die sich aber durch Geschrei vertreiben lassen
und wie dann ein ungeheurer Waldmensch (ein Agrestin), der
mit Schweinsborsten bedeckt ist, durch ein nacktes Mädchen
angelockt, gefangen und verbrannt wird (B 213 a —k Psk. II,
32—33).
In D folgt jetzt erst das Abenteuer mit den unantastbaren
Vögeln und Bäumen. Doch darauf sogleich wieder, was auch
Ulrich im folgenden berichtet, wie nämlich Alexander auf einen
hohen Berg zum Haus der Sonne gelangt. Ein alter Mann
sagt ihm, er werde sein Schicksal bei den Bäumen der Sonne
und des Mondes erfahren (—22714 B 213°— d . Psk. III, 28).
Die Darstellung ist von B durchaus verschieden, stimmt viel
fach mit D überein, weicht aber auch davon ab, namentlich
insofern, als Alexander von da nicht sogleich von dem Alten
geführt zu den Bäumen der Sonne und des Mondes gelangt,
sondern im Gegentheil einfach auf die Zukunft vertröstet die
Stufen des Berges wieder herabsteigt und sogleich die Wahrheit
des Ausspruches des Alten erfährt: du muost der wunder e mer
ervarn (22710). Er kommt nämlich jetzt zu den Schlangen,
die von weissem Pfeffer leben (—22730 vgl. 23056 ff.); hierauf
hat er die Ungeheuer mit Schweinskopf, Greifenflügeln und
Löwenschwanz zu bekämpfen (—22756), endlich erreicht er
einen Fluss. Als er im Begriffe ist, ein Schiff zu bauen, nahen
sieh ihm die Eingeborenen mit Geschenken (—22799).
Ueber die Alexandreis TTlriclis von Eschenbach.
375
In demselben Flusse wohnen schöne Weiber mit Hunde-
zähnen, die manchen Mann Alexanders ins Wasser ziehen
(—22814, vgl. 22106 ff. und später noch einmal 25645 ff).
Alles das beruht auf der Ep. ad Arist. (B. 234 (1 —235 1 ’.
Paulini 53 ff., vgl. Zacher Psk. S. 162), allerdings mit mannig
fachen Abweichungen, die entweder auf flüchtiger Lesung oder
auf einem abweichenden Text beruhen mögen. Diese Aben
teuer folgen dort auf die Befragung der Orakelbäume. Ich
muss annehmen, dass Ulrich eigenmächtig von seiner Vorlage
abwich, den Besuch bei diesen Bäumen mehr gegen das Ende
liinausrücken wollte, um vorher die Fülle von Wundern, die
ihm Vorlagen, zu berichten, dass ihm also von da an die Anord
nung des Stoffes eingenthümlich zugehört.
Zunächst bringt er nur Dinge, die in der ihm vorliegenden
Gestalt der Hdp. gestanden haben müssen, von denen ich
also annehme, dass er sie nur aus ihrem Zusammenhang los
gerissen hat.
Auf seinem weiteren Zuge bemerkt Alexander auf einer
Insel griechisch redende Leute; die von seinem Heere hinüber
schwimmen wollen, werden von Krebsen ins Wasser gezogen
(—22844. B 213°. Psk. II, 38). Bedenklich könnte die Her
kunft bei der Unterwerfung des Königs Calamus von Agragente
erscheinen (—22894); ebenso dass Alexander hierauf bei der
Belagerung einer Stadt allein über die Mauer steigt, und dadurch
in Lebensgefahr kommt (—22952); dass er die Stadt des
Königs Amra belagert, dessen Leute vergiftete Geschosse haben,
wogegen ihm vom Ammon im Traum ein Gegengift gezeigt
wird (—23023). Den König Calamus von Agragente kann ich
überhaupt nicht nachweisen, wenn auch der Name Agragantum
einmal iin Psk. (A V I, 45) vorkommt, wofür Hdp. B Traga-
cliantes, D tragacintes lesen. Aber die Belagerung der Stadt,
deren Mauern Alexander allein besteigt (offenbar Sudraca,
dessen Einnahme Ulrich nach Gu. schon einmal erzählt hat)
und die Vorkommnisse bei der Einnahme der Stadt des Königs
Ambra stehen bei Ekk. Uraug. MM. G. VIII, 70: Eine in
Andros ( = Agragente?) et Subagras navigat . ... ad urbem
guandam cui Ambira rex preerat u. s. w. Da, wie wir oben
sahen, die hier unmittelbar voraus gehende Bekämpfung der
acht Könige sich auch in anderen Uebersetzungen der Hdp.
376
Toi scher.
zeigt, also auch in dieser selbst gestanden haben muss, so
werden auch diese Geschichten darin Aufnahme gefunden (die
MM. citieren Oros. III, 19 als Quelle) und in der Vorlage
Ulrichs gestanden haben. Ein König Ambria kommt übrigens
auch in der altfranzösischen Prosa vor, siehe Weissmann
Al. II, 400.
Das Folgende ist unzweifelhaft wieder aus der Hdp.
Die unverzagte Heldenschaar hat zunächst von Thieren mit
Sägehörnern viel zu leiden (—23056. B 235 c ) und sich nachher
gegen die gehörnten Schlangen im Pfefferlande zu vertheidigen
(—23079 D erantque ibi serpentes mire mcignitudinis habentes
cornua in capite veluti arietes magni cum quibus percutiebant
müites alexandri.') Doch nützt es den Unglücklichen wenig,
dass sie ungeheuer viel davon erlegen, denn sogleich haben sie
wieder den Kampf mit den Konocephali zu bestehen, die Pferde
köpfe, Greifenklauen und Feuerathem besitzen (—23104). S.
das Cap. De pugna leynocephcdorum (sic!) in D (Qualichinus
123°: Idnocephali): leynocephali multi liabentes ceruices similes
equorum et corpora maxima, immensosque dentes et flammas ex
ore eovimi aspirantes. Diese Stelle lag auch dem Meister Babiloth
vor, der übersetzt (Berl. Hs. 57 a ): da funden sy Cynocophalas
(Dresdner Hs. 67° Cenoczephiales), dy hatten heiser alse dy
ros .... Ulrich scheint sein Latein wieder einen Streich ge
spielt zu haben, dass er ceruices missverstand und so die
•/.uvoxioaXoi mit Pferdeköpfen bedachte.
Nachdem auch der Kampf mit diesen siegreich bestanden,
zieht Alexander mit seinem Heere über einen Fluss, und im
Lager erscheinen gegen Morgen wolfsähnliche Ameisen, die viel
Vieh tödten (in Hdp. steht aber multas ex his animalibus inter-
fecerunt), aber dafür ganze Haufen Gold gebracht haben. Das
folgende jedoch, wie Riesen mit einem Auge, so dass man wie
in einen zerbrochenen Topf in die Höhlung des Kopfes sehen
konnte, auf sie einstürmen und 20 Fuss hohe und 12 Fuss dicke
Ungeheuer mit Pferdeleib und Löwenfüssen (—23206), suchte
1 Aus B lässt sich 230 d und 234 a vergleichen, Ulrich 21611 ff. und 22724 ff-
Mit D stimmt hier die ganze Partie auch nach der Aufeinanderfolge
überein.
lieber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
377
ich vergebens in anderen Darstellungen, obschon sich Ulrich
ausdrücklich auf die Historia beruft (23158).
Nach so schrecklichen Kämpfen gelangt das Heer endlich
zu einer wonnigen Au, zu einem Pallaste des Königs Xerxes,
worin sich die taubenähnlichen Vögel befinden, die den Kranken
Tod oder Gesundheit anzeigen (—23236 ß 216 c ).
Doch die Ruhe dauert nicht lange. Denn er zog gleich
weiter, in ein wüstes Land, wo neue Ungethüme zu bestehen
sind: zweiköpfige Schlangen mit feurigen Augen, die sein Volk
nicht gern herankommen sah, und dann aifenähnliche Thiere
mit acht Augen und Füssen und mit spitzigen Hörnern (—23259).
Die Herkunft dieser beiden Gattungen von Ungeheuern vermag
ich abermals nicht nachzuweisen, doch beruft sich Ulrich auch
dabei wieder auf die Historia (23253), und es ist kein Grund
vorhanden, an der Wahrhaftigkeit seiner Berufung zu zweifeln.
Möglich wäre es freilich, dass Ulrich zu den vorhandenen aus
eigener Fantasie ein paar neuartige Monstra hinzugefügt hätte.
Das Recept dafür ist ja einfach. Er schmückt auch die vor
handenen vielfach aus, ist bestrebt die Ungeheuerlichkeiten
noch unmöglicher zu gestalten, wobei ein gewisser Humor
unverkennbar ist.
Alexander kommt endlich nach Prafiaca, wo er sich mit
dem Heere lagert (—23274. B 213 a ). Auf einem Spazierritt
findet er die Leute ohne Kopf, die Augen Ohren und Mund auf
der Brust haben (—23288). Es sind das die dxiipaXot (Psk.
III, 28) die mit den -/.ovoxecpaXoi wechseln. So ist bei Meister
Babiloth zu dem oben citirten Capitel vom Streite mit letzteren
die Uebersclirift: wy si stretin mit den accepliali.
Nun kommen die Geschichten von Candacis, soweit sie
nicht schon früher erzählt sind. Mit Rücksicht darauf musste
auch manches wieder verändert werden. Alexander befreit die
Gattin des Candaulus, dieser lädt ihn zu sich, was er gern
annimmt. Von Candacis wird er freundlich aufgenommen (—23414
B 214 a ). Die Episode von Aristander und Candacis (—23528).
Als er von Prafiaca aufbricht, kommt er zunächst an ein
Wasser Sunne, 1 wo er Elephanten zum Geschenk erhält
1 ad fluuium qui dicitur Titan B. 217°. Wenn nicht etwa in seiner Vorlage
hier schon sol stand, so ist die Uebersetzung Titan mit sunne durch Gu.
veranlasst, der Titan für sol gebraucht II, 307 u. ö.
378
Toiaclier.
(—23541. B 217°). Hierauf muss er seinen treuen Bucephal
bestatten (was in D vorhergeht), dann wird (wie in D) erwähnt,
dass er an Olimpias und Aristoteles Briefe schrieb (—23578).
In Babilon und Persien befiehlt er zu seiner Ehre goldene
Säulen aufzustellen (23589. B 235 c ), worauf erzählt wird, wie
ihn träumte, Cassander habe ihn ermordet, welchen Traum Ario-
lus deutet (—23606). Damit ist die Aufmerksamkeit wieder
auf die Heimat gelenkt und es wird denn auch gleich erwähnt,
dass auf Veranlassung der Olimpias Aristoteles dem Könige
einen Brief geschrieben habe (—23636 B 217 a —'“). Eine Miss
geburt in Babilon deutet Ariolus auf Alexanders Tod (B 216°
Psk. III, 30), doch ruft eine Stimme, seine Zeit sei noch nicht
gekommen (—23681).
Die Episode zwischen Aristander und Candacis, beruht
wahrscheinlich auf anderer Grundlage als Hdp. (s. unten), viel
leicht auch der Traum Alexanders (Valerius Max. I, 7, Ext. 2).
Durchweg auf andere Quellen beruft sich Ulrich in dem
zweiten Abschnitt (B) des X. Buches (—24648), und auch für
den dritten (C) ist nichts aus Hdp. entnommen (—25446).
Dagegen beruht der vierte Abschnitt (D — 26080) wieder
ganz auf Hdp. Zunächst werden nur Modificationen von schon
früher erzählten vorgebracht, und zwar bilden da den Grund
stock die Abenteuer an dem See mit untrinkbarem Wasser
und das Lager am Süsswassersee (vgl. 21430 ff.), nur dass
jetzt alles wo möglich noch grossartiger, das Gute wie das
Böse im Extrem dargestellt ist.
Alexander kommt in einen Wald, wo er mit Löwen von
ungeheurer Grösse kämpfen muss, hierauf zu einer Insel, die
nur von einer Seite durch eine Furt zu erreichen ist, die er
auch glücklich findet. Als er sich dort mit seinem Heere
lagert, wird er von Ungeheuern angegriffen (hinden tvurme und
vornen tier . . ir ätem von ir munde stanc als die fülen hunde
25489), die später (25499) kokodrillen genannt werden, die er
dadurch los wird, dass auf den Rath eines Eingeborenen eines
davon verwundet wird, worauf die andern alle schleunigst ins
Wasser fliehen. Er reitet dann an dem Wasser ze berge. Als
er sich lagert, findet sich, dass dieses Wasser nicht nur un-
trinkbar, sondern vergiftet ist. Deshalb entsteht grosser Durst
bei Menschen und Vieh, ausserdem müssen sie kämpfen gegen
lieber die Alexamlreis Ulrichs von Escbenbach.
379
die Ipomites (Hyppopotami. Ulrich beschreibt sie: großer vil
dann kein uv, hinden ros, vorne als ein her 25562). Nach längerem
Marsche kommt er endlich zu einer ouwe, wo die Anwohner
Lebensmittel zum Verkauf bieten, und wo sich auch süsses
Wasser findet, freilich so süsses, als ez mit honege wcer getworn
und gesoten (25623), womit sich da% povel allgemein betrank.
Aber auch die Plagen des Süsswassersees fehlen nicht ganz:
die Fledermäuse werden neuerdings aufgeführt, die das Ideer
belästigen. Hierauf treten zum drittenmale die Wasserweiber
auf, die die Soldaten Alexanders mit sich nehmen und zur
minne zwingen. Ulrich hat sie schon vorher (freilich etwas
differirend) zweimal angebracht, beidemal die schreckliche
Seite derselben hervorhebend, nun kommt auch die angenehme
Seite zur Geltung und jetzt wird das ganze auch erst recht
ausführlich dargestellt.
Hierauf marschirt er abermals durch einen Ungeheuern
Wald, wo ihm die weissen Löwen wieder in die Quere kommen,
wo ihn wieder Fledermäuse belästigen und Schlangen und
Nattern und Kröten, wobei mancher Mann sein Leben verlor.
Vierzehn Tage und Nächte brachten sie im Walde zu, wo sie
nur von Käse und Brot (25816) lebten. Endlich kommen sie
aus demselben heraus an ein Wasser, wo ein ungeheures Schiff
angefahren kommt, dessen Herr, ein Fleide, ihnen Lebensmittel
verkauft. An dem Orte sind die süssesten Wohlgerüche ver
breitet, eine menschliche Wohnung nirgends zu sehen. Ich ver-
muthe darum, dass die ganze Episode von dem Schiffe auf dem
Iter ad Paradisum (wovon unten) beruht. Alexander besteigt
selbst sein Ross und begleitet von Tholomäus und anderen
reitet er aus, um die Gegend auszuforschen (25903 ff.). Es
begegnet ihnen ein reich gekleideter Mohr, der sie zu den
Bäumen der Sonne und des Mondes verweist. "Wie Alexander
zu diesen kommt, welches Orakel ihm hier zu theil wird, das
ist dann der wesentliche Inhalt des Folgenden (—26080), im
Allgemeinen getreu übereinstimmend mit Hdp. (Ep. ad Arist.
vgl Psk. S. 161), soweit nicht aus dem geänderten Ausgangs
punkt der Reise (s. oben) Umgestaltungen sich ergeben.
Auf dem Wege erzählt Alexander seinen Begleitern einen
Traum, den er gehabt. Er habe nämlich einen wunderbar
schönen Baum gesehen, worauf ein Mann emporgestiegen, aber
380
T o i ß c h e r.
herabgefallen sei, als er oben war. Tullius deutet ihm diesen
Traum: der Baum bedeutet die Welt und ihre Herrlichkeit,
der Mann der hinaufgestiegen, sei Alexander selbst, er möge
sieb in acht nehmen und fest sitzen. Eine ziemlich läppische
Erfindung.
In dem folgenden Abschnitt (E) wird zunächst erwähnt,
dass Alexander nach Babilon zurückkehren wollte. Am Meeres-
ufer gründet er Alexandrien. Noch vor Babilon trifft er mit
Roxa zusammen.
Da Ulrich früh«- das beliebte Abenteuer, wie Alexander
selbst als Bote zu Darius kam und an dessen Tafel die kost
baren Trinkgefässe in seinem Gewände verschwinden lässt
(Hdp. B 206 d , Psk. II, 14—15) nirgends anbringen konnte, so
muss nun Alexander, als er den Schauplatz dieser Handlung
auf dem Rückmärsche passiert, seine damaligen Erlebnisse
seinen Freunden erzählen (26308—26444): ein rechtes Beispiel
dafür, wie sehr Ulrich bestrebt ist, ja nichts unerwähnt zu
lassen, was er in seinen Quellen fand.
Sonst ist die Darstellung der Rückkehr Alexanders viel
fach mit Berichten aus anderen Quellen als der Hdp. (nament
lich Gu.) durchzogen, nur der Tod des grossen Königs ist
ziemlich getreu nach dieser erzählt: wie er bei einem Gastmahle
von Patron vergiftet sich in sein Gemach bringen lässt; wie
er vor grossem Schmerz sich in der Nacht ertränken will,
woran ihn Roxa hindert; wie er auf Bitten der Gemahlin sein
Testament macht; die Soldaten vorgelassen werden, um ihren
König noch einmal zu sehen; wie er stirbt, nachdem er Per-
diccas seinen Ring übergeben hatte (B 217 b . 218 b —219\ 26750
—27066). Die Klage der Roxa und dass Alexander in Babilon
in einen kostbaren Sarg gelegt wurde (—27098), beruht auf
derselben Quelle, ebenso (was später erwähnt ist, 27157 ff.),
dass sein Leichnam nach Alexandrien übertragen wurde.
In Hdp. D bildet den Schluss ein Capitel de sepultura alexandri.
Acht Philosophen kommen beim Grabe Alexanders zusammen,
und jeder sagt einen kurzen Satz, der die Vergänglichkeit alles
irdischen predigt, durch Hervorhebung der Gegensätze von heri
und liodie: Heri totus non sufficiebat ei mundus, Hodie quatuor
solae ulnae sufficiunt ei u. s. w. Diese Scene findet sich bei
Ulrich gleichfalls (27233—27534), aber er hat das furchtbar breit
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
381
aiisgeführt, so dass diese Philosophie volle dreihundert Verse fort
jammern.
Er beruft sich dafür aber (27233) auf Alphunsus, d. i.
Petrus Alphonsi.
Schon Zacher hat nachgewiesen (Psk. S. 187 fg.), dass
das Capitel in die Hdp. aus der Disciplina clericalis des Petrus
Alphonsi (herausgegeben von Fr. W. Val. Schmidt, Berlin 1827)
stammt, wo es das achtunddreissigste Capitel bildet. Dieses
Capitel muss in der Gestalt der Hdp., die Ulrich benützte, bereits
gestanden haben, allerdings mit einem Citat, das sich in den
Drucken nicht bildet. Denn hätte Ulrich die Disciplina clericalis
selbst vor sich gehabt, so hätte er Capitel XXXII, die kostbare
Geschichte von Alexander und Diogenes (oder vielmehr Sokrates,
wie er hier heisst), die im Mittelalter ebenso wenig bekannt
(s. Schmidt zur Disc. S. 162 ff.) als heute verbreitet gewesen
zu sein scheint, sich sicher nicht entgehen lassen.
So gehört also auch dieser Abschnitt noch in den Bereich
der Hdp. 1 Wir wollen jetzt nur noch einen Blick werfen
auf die Art der Benützung derselben, abgesehen vom Inhalte.
Da wurde schon oben berührt, dass die Darstellung Ul
richs keineswegs gleichmässig ist, einmal kürzer, ein andermal
wieder ausführlicher, dieses besonders gegen Schluss. Alle
Eigenschaften des Dichters, die uns in seinem Verhalten zu
Gu. entgegentraten, zeigen sich auch hier wieder. Vor allem
das Bestreben, möglichst in der Reihenfolge zu erzählen, wie
alles auf einander gefolgt sein könnte, weshalb diejenigen Be
gebenheiten, die sich nahe vor seinem Tod ereignet haben
müssten, dort zusammengedrängt (früher übergangen) sind. Auch
hier liebt er es, Reden einzuflechten, respective indirecte Reden
m directe umzusetzen. Auch hier sind vielfach subjective Be
merkungen eingestreut, wovon ja schon oben einige mitgetheilt
wurden; auch hier zeigt sich ferner das Bestreben, jede Situa
tion nach bekannten Verhältnissen sich zurecht zu legen. So
erscheint z. B. ein König von Carpia (21224 ff.), ein König
1 Ulrich citirt diese im X. Buche meist als historia, früher meist als
kronike. Auch der Banner kronilce bezieht sich auf nichts anderes.
382
T o i 8 c h e r.
der Seres (21725 ff.), ein König der Anwohner des Flusses
Sunne (23533 ff.). Wenn Alexander zum Heere sprechen will,
wird erst erwähnt, dass er einen erhöhten Platz einnimmt
(21366). Die Gefallenen werden beklagt (22839 ff. 23051 ff.),
ihre Leichname bestattet (22753 ff. 23049 fg.) u. a. m.
Aber auch der Hdp. gegenüber zeigt sich Ulrich als ein
schlechter Lateiner. So z. B. wenn es dort einmal heisst
(B 213“): Ercmt ibi mitissima uolatilia. Qui autem volebant
eos tangere, exiebat ignis et incendebat eos hat sich Ulrich das
folgendermassen zurecht gelegt (22352 ff.):
die boume beten vogel dä,
die ze den benden kamen,
welche der iht nämen
oder wer der vogel einen vienc,
dar ü% der wurm igris gienc:
der man an derselben stunt
von sinem ätem wart enzunt,
er muoste gar verbrinnen.
(vgl. 9941 Idra hei%t ein vreislich wurm nach Gu. UI, 435
bydram). Besondere Schwierigkeiten machten überhaupt die
Namen der verschiedenen Ungeheuer, die er darum auch meist
lateinisch wiedergibt. Die bomines agrestes erscheinen als Agre-
stes 21669, dann ein Agrestin 22594; belue begegnet 21569.
22375. ypomites 22024. 22375. pardi 21579. rincrerotes 21580
(: tigres). sirices 21699. — Oder sollten die lateinischen Namen
dem Gedichte und Dichter ein gelehrteres Aussehen .geben?
Vielleicht haben beide Ursachen zusammengewirkt.
Iter ad Paradisum. 1
In einer Pariser Hs. (bibl. nat. cod. lat. 5819. s. Zacher
Iter a. P. S. 8) befindet sich ausser der Hdp. auch noch das
Iter ad Paradisum. Unmöglich wäre cs ja nicht, dass auch in
der Hs. Ulrichs dieses noch enthalten gewesen wäre. [Zacher,
Z. f. d. Ph. XI, 407.]
Ulrich erzählt (25165 ff.), wie ein iviser man Alexander
auf das Paradies aufmerksam machte. Der König macht sich
sogleich auf, um dorthin zu kommen und gelangt an einen
1 Alexandri Magui iter ad Paradisum. ed. J. Zaclier, Regimonti 1859.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
383
Fluss, der in dem Paradiese entsprungen grosse, überaus duftige
Blumen mit sich führt (25317 ff.):
da sach er bluomen üf siveben
die got durch wunder het gegeben
des paradises holze
ze fruht —
die bluomen gäben guoten was- 1
Stromaufwärts ziehend (25326. 25375 ff.) ich lueiz niht
wie vil raste sieht er endlich vor sich (25383 ff.):
ein hüs und, ein miure
von Hehlern iverke tiure.
die märe in lichter varwe schein
als ob sie wcer ein liehter stein,
tov und turne alle
luter als ein cristalle — 2
Wie sehr er sich bemüht, er kann diesem Wunderbau
nicht näher kommen. Seine Weisen wissen keinen Rath. Da
begegnet ihm ein Abgesandter aus dem Paradiese, der ihm
einen Stein übergibt (25426).
als ein ovg was der getan
da% luter ist und wol gesiht. 3
Alexander fragt nach der Bedeutung des Steines, und
ein heiden wise und wert erkant 4 belehrt ihn (25433 lf.):
der stein bewiset den man
dem an nihte genuogen kan —
in des giteclichen ougen
al diu iverlt ist ze kleine — 5
1 Iter a. p. S. 20: Cernebat etiam arborum folia permaxima — que per
amnis decursum effluentia — gustum miri saqioris preslant utentibus.
3 Iter a. p. S. 21: tandem die tvicesima juarla eminus conspicantw quasi
edifidum civitatis mire altitudinis et longiludinis . . . Macerie illius magna
erat equalilas nullis turribus seu propugnaculis in giro surgentibus, cujus
Iota superficies adeo veteri musco erat obducta ul lapidum mdla appareret
compositio vel junclura.
3 Iter a. p. S. 22: proferensque gemmam miri fulgoris rarique coloris, que
quantitate et forma humani ocidi speciem imitabatur.
1 Iter a. p. S. 24: senex quidam decrepitus judaeus, Papas nomine.
,J Iter a. p. S. 30: lapidis hujus natura — Hie, quemadmoclum videtur forma
et colore, vevera humanus est oculus, qui, quamdiu vitali potitur luce, totivs
concupiscentie eslibus agitatur —• mdla prorsus sacietate compesdtur.
384
Toisclier.
Ulrichs Erzählung stimmt also in allem Wesentlichen
überein mit Lamprecht Vers 6463 ff. und dessen (respective
Alberichs von Bisenzun) Quelle, dom Iter ad p. 1 Dass Ale
xander zu Fuss den Fluss entlang und nicht zu Schiffe auf
dem Fluss hinzieht; dass er das Paradies nur von ferne sieht
und der Bote des Paradieses zu ihm kommt, statt dass Ale
xanders Boten an die Pforte des Paradieses pochen; dass ein
Heide und nicht ein Judaeus die Bedeutung des Steines erklärt
— das alles sind doch nur unwesentliche Aenderungen. Ein
Zusatz bei Ulrich ist es, dass Alexander und seine Begleiter
erst durch eine wurz, die ihnen ein human verabreicht, gegen
den überstarken Duft, der aus dem Paradiese kommt, gefeit
werden. Ausgelassen ist namentlich das Wägen des Steines,
und das scheint allerdings ein wichtiges Moment in der ganzen
Sache. Aber Ulrich hat das schon früher erzählt und er konnte
doch nicht dasselbe ganz ebenso noch einmal erzählen. Seine
frühere Darstellung gründet sich auf
Mündliche Ueberlieferung.
Während der Belagerung einer Stadt, erzählt Ulrich
(24444 ff.), gewährte Alexander den Belagerten einen Waffen
stillstand und da reitet er durch kurzmle aus gegen einer ouwe.
Die lag vor einem Gebirge. Dort hält er Bast und erst am
andern Tage reitet er in das Gebirge selbst und reitet weiter
von dem Heere, als er beabsichtigte, und steht plötzlich vor
einem steilen Felsen, den ein wunneclicher plan umgab. In dem
Felsen war ein Thürlein vor einem kleinen vergitterten Fenster,
dahinter sieht er eine Thür, im Innern glänzt alles von Gold.
Alexander pocht nun an das Fenster, das wird geöffnet und
ein alter schneeweisser, reichbekleideter Mann fragt nach seinem
Begehr. Alexander verlangt Tribut. Der Alte heisst ihn eine
Weile warten und kommt bald seihander wieder. Sein Gefährte
ist noch älter als er selbst. Auch dieser fragt Alexander nach
seinem Begehr und er fordert wieder Tribut und fügt jetzt
der Forderung gleich eine Drohung bei. Der Alte sagt, Gewalt
1 Berufung auf irgend eine bestimmte Quelle findet sich bei Ulrich in dem
ganzen Abschnitte nicht, nur 25379 als mir diu äventiure swuor.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
385
sei hier machtlos, doch wolle er ihm gern Tribut geben, und
er brachte ihm einen Stein,
der in lichter varwe schein,
als ein müs in der md?e grd? (24549 fg.)
Alexander dankt und fragt nun noch, wer sie seien und
der eldest antwortet bereitwillig:
in disem gotes garten
suln wir siner künfte warten,
ich Elias und er Enoch. (24557 ff.)
Auf die weiteren Fragen Alexanders über seine Zukunft
sagt er, er wisse nicht mehr, als dass ihm alle Welt unterthan
werden solle. — Damit schloss sich das Fenster. Alexander
kam zu seinem Heere zurück, zeigte den Stein, aber nur ein
alt wol geleret man kannte die Bedeutung desselben. Er legte
ihn auf eine Wage, und kein noch so grosses Gegengewicht
vermochte ihn in die Höhe zu ziehen, bis er ihn mit ein wenig
Erde bedeckte; dann war er leichter als eine Feder. Der
Stein bedeutet die Kraft Alexanders. So lange er lebe, sei
nichts, das ihm gleiche, wenn er aber gestorben sei, habe eine
Feder einen höheren Werth als er.
Ulrich beruft sich für diese Erzählung (abgesehen von
Vers 24461 als ich die rede hän vernomen) auf einen König.
24483 ff.: als mich ein hiinec larte,
der ouch herze und sinne karte
an künecliche giiete,
des Elterlich gemüete
sich nach rehten lugenden sente,
der sich rehter milde wente,
des in twanc art und gelüst
da? er von aller unkust
volleclich sich wolt bewarn
und an eren vollenvarn.
als er da? mcere reht vernam
und mir von im ze wi??en kam,
des mir sin zuht urkunde git.
Da Ulrich, so weit sich sein Leben verfolgen lässt,
(worüber wir freilich nichts wissen, als was er selbst gelegent
lich in seinen Gedichten angibt), niemals aus Böhmen heraus-
386
T o i 8 c h e r.
gekommen ist und am böhmischen Hofe lebte, so kann dieser
König nur ein König von Böhmen sein. Man möchte zunächst
bei dieser späten Partie des Gedichtes an Wenzel II. denken,
dem am Schlüsse (27629 ff.) das ganze Werk gewidmet ist.
Man könnte annehmen, dass Ulrich vor dem König einen Ab
schnitt aus seinem grossen Gedichte vorlas und der ihm dann
das Abenteuer erzählte, und es Hesse sich da sogar eine Stelle
bezeichnen, welche den König etwa an diese Fahrt zum Para
diese erinnert haben könnte (der Besuch auf dem hohen Berge,
wo ihn der Greis auf die Bäume der Sonne und des Mondes
verweist 22627 ff.); die Aehnlichkeit zwischen den beiden
Partien ist um so grösser, als auch bei Elias und Enoch Ale
xander zuletzt nach seiner Zukunft fragt.
Aber der junge König Wenzel kann darum nicht jener
König gewesen sein, welcher unserem Dichter diese Geschichte
erzählte, weil Ulrich immer im Präteritum von ihm spricht,
was doch nur einem verstorbenen gegenüber Sinn hat, 1 so
dass der Vorgänger Wenzels gemeint sein muss, und somit
erscheint kein geringerer als Pfemysl Ottokar II. gleichsam
als Mitarbeiter an einem deutschen Gedicht.
Von der Erzählung, wie sie bei Ulrich vorliegt, stimmt
mit dem Iter a. p. das enge vergitterte Fenster 2 , das nach
heftigem Pochen geöffnet wird; und die Frage nach dem Begehren.
Darauf die Forderung von Tribut verbunden mit Drohungen.
Der legationis auditor (S. 22) bittet wie Enoch eine Weile zu
warten und kommt dann mit dem Stein wieder. Schliesslich
wird die Bedeutung des Steines durch die Wage offenbar
(S. 27 fg.). Aber durchaus verschieden ist die Art und Weise,
wie Alexander zum Paradiese kommt und zum Aufenthalte
des Elias und Enoch, welcher doch wieder nur als Paradies
gedacht sein kann (in disem gotes garten 24557); verschieden
1 Doch darf ich nicht unerwähnt lassen, dass statt weilte in allen Hss. um!
steht, sente nur in einer einzigen, allerdings der besten Hs. des Gedichtes,
vorkommt.
2 S. 21: Tercia vero die perbrevis fentstelle internus munite adilus apparuit.
— S. 22: Mox internus q ui dam pessulum solvent blanda voce sciscitabatw
ab Ulis, qui vel unde formt, causamque sibi intimari tarn insolife et in-
audite exartionis postulat,
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Esclienbacli.
387
ist auch die Gestalt des Steines, und vor allem dass dort nur
ein quidam diesen überreicht, hier Elias und Enoch.
In orientalischer Erzählung ist der Geber des Steines
fast immer benannt. ,Nisdmi erzählt nämlich, dass Iskender
bei seiner Rückkehr aus der Finsternis von seinem angeblichen
Suchen nach dem Wasser des Lebens von Serosch einen Stein
erhalten habe. Dieser Stein sei nach seiner Rückkehr ans
Licht so schwer geworden, dass man ihn mit nichts aufwägen
konnte, bis man endlich Staub brachte, der mit ihm gleich
wog:' Fr. Spiegel, die Alexandersage bei den Orientalen
(Leipzig 1851), S. 62 ff. Ausführlich hat darüber gehandelt
Heinemannus Vogelstein, Adnotationes quaedam ex litteris orien-
talibus petitae ad fabulas, quae de Alexandro magno circum-
feruntur (Vratislawiae 1865) S. 12 ff. Elias soll mit Chidr (Khisr)
zugleich die Quelle des Lebens gefunden haben (Vogelstein S. 17)
in anderen orientalischen Fabeln ist Elias ganz an die Stelle des
Chidr getreten. Ein Henoch kommt bei Lambert li Tors vor,
dieser hat aber mit dem biblischen nur den Namen gemein, ist
sonst eher dem Koch Andreas zu vergleichen. Im Talmud sind
die Geber des Steines nur überhaupt Bewohner des Paradieses.
Doch wir brauchen ja nicht in den Orient zu gehen, um
eine Erklärung dafür zu finden, dass bei Ulrich diese be
stimmten Persönlichkeiten genannt sind. Man braucht nur zu
bedenken, dass nach allgemeiner mittelalterlicher Anschauung
Elias und Enoch im Paradiese warten bis zum jüngsten Gericht
oder bis zur Ankunft des Antikrists, dem sie entgegentreten
werden (Ulrich 24560 ff.), vgl. Muspilli 37 ff. und dazu MSD 2
270. Ja man dachte sie sich gern als Pförtner des Paradieses,
vgl. St. Brandanus, bei Bruns, rom. und andere Gedichte in
altplattdeutscher Sprache (Berlin 1798), S. 159; St. Brandan
herausgegeben von C. Schröder, Erlangen 1877, S. 62 und
dessen Anmerkung S. 106 f. 170, und etwa noch Godfried
von Viterbo, bei Pistorius Germ. Script. II, 58 ff. So konnte
also bei mündlicher Ueberlieferung leicht die bestimmte Persön
lichkeit des Elias und seines Genossen an die Stelle des unbe
stimmten Gebers treten '. Bei der mündlichen Ueberlieferung
1 Zumal in Böhmen. Denn bei den Slaven war Elias besonders beliebt, s
Gr. Myth. 157 ff. Zs. f. d. A. XII, 353.
388
T oisclier.
erklären sich auch die anderen Abweichungen und es wird da
nicht auszumachen sein, ob König Ottokar selbst etwa sich
nicht genau erinnerte, oder ob es ihm schon schlecht erzählt
wurde, oder ob Ulrich das früher erzählte nicht treu im Ge
dächtnisse behielt und demgemäss wiedergab.
Auf mündlicher Tradition beruht auch die Darstellung
Ulrichs von Alexanders Fahrt auf den Meeresgrund und von
dessen Fahrt in das Reich der Lüfte.
Bei ersterem (24173 ff.) beruft er sich: 24202 der meister
mir da von vergibt; 24247 als noch Hute sagen vil und jehent
des genuoge; 24254 sumeliche ouch also sprechen; (diz ist vil
liuten wol beliant 24268). Das zeigt schon hinlänglich deutlich,
dass er die Hdp. (B 218“, die etwa unter dem meister verstanden
sein könnte) wenigstens nicht allein benutzte. Aber seine Er
zählung weicht durchwegs von der Hdp. ab.
Da wird einfach berichtet: Alexander Hess sich eine
Taucherglocke (mit Glaswänden) hersteilen und Hess sich darin
auf den Meeresgrund nieder, während die fortissimi milites
die Kette hielten. Er bewundert dort die verschiedenen Un
geheuer des Meeres und nach einer bestimmten Zeit wird er
wieder emporgezogen (vgl. Psk. II, 38 LC). Bei Ulrich läuft
die Taucherfahrt nicht so glücklich ab. Das Gefäss, in dem
sich der König herunterlässt, ist auch hier grösstentheils aus
Glas und hängt an einer schweren Kette. Auch für Luft ist
gesorgt durch den langen Hals des Gefässes. Alexander ist
darin aber nicht allein, sondern er hat einen Hahn und eine
Katze mit sich genommen. Die Kette musste sein liebe? wtp
halten, denn ihr allein vertraute er völlig. So wurde er herunter
gelassen und sacli da vremder wunder vil. Da Hess aber die
Königin die Kette los — Ulrich entscheidet sich dafür, sie
sei nur zu schwach gewesen, die schwere Kette zu halten und
habe es keineswegs aus Rache für den Tod ihres Vaters gethan
— und Alexander muss nun den Hahn, den er mitgenommen,
erwürgen. Denn, da das Meer kein As in sich duldet, so
wirft es alsbald die Taucherglocke mit dem todten Hahne und
mit Alexander ans Ufer. Die Zeit seines Todes war eben noch
nicht gekommen.
Diese Darstellung stimmt ziemlich überein mit der in
Annoliede (213 ff.) und in der Kaiserchronik (Massmann 567 ff.),
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Esclienbach.
389
nur dass auch da seine untreuen man die Kette halten und fallen
lassen. Vollständig stimmt mit Ulrich Jansen der Enenkel 1
überein, nur dass der nicht der Meinung ist, die Königin sei
bloss zu schwach gewesen, sondern sie wirklich als untreu hin
stellt, und dass Alexander nicht den Hahn sondern die Katze
erwürgt — unbedeutende Differenzen, wie sie sich bei münd
licher Ueberlieferung immer ergeben.
Auch die Darstellung Ulrichs von Alexanders Fahrt in
die Luft stimmt am meisten mit Enenkel überein. Er erzählt
(24681—24832), Alexander wollte auch die Wunder der Luft
kennen lernen. Porus hatte zwei Greife, die so abgerichtet
waren, dass man sie mit Fleisch lenken konnte, wohin man
wollte. Alexander liess sich nun einen Sitz machen, und diesen
mittelst Ketten an den Greifen befestigen und über sich an
einer hohen Stange zwei äs anbringen. Da ei’hoben sich die
Greifen hoch in die Luft, so hoch das ihm die Erde vorkam
wie ein kleiner Hut, der auf dem Wasser schwimmt, so dass
er zu fürchten begann, wo ihn die Greifen wieder absetzen
könnten, denn er dachte nicht, dass er dort unten Platz habe.
Da sah er cd der ivelde ort. Müdigkeit und grosse Plitze zwang
die Greifen, ihren Flug abwärts zu lenken und sie Hessen sich
auf ein Castell nieder, das der Königin Candazis gehörte.
Gerade in deren grasegarten kamen sie zur Erde. Die Königin
stand an einem Fenster, sah Alexander und eilte rasch in den
Garten um ihren Geliebten gar minnecliche zu empfangen. Er
blieb einige Zeit bei ihr, dann verschafft sie ihm ein ml guot
phert, gibt ihm boten mit, spricht ihm vil sile^en segen nach
und so gelangt Alexander wieder zu seinem Heere.
Der erste Theil dieser Geschichte stimmt ganz mit Hdp.
überein (B 218% vgl. Psk. II. 41 LC.) und Ulrich {jeruft
sich da auch zweimal auf die cronlce (24692—24708). Mit
Enenkel stimmt dann noch überein, dass .Alexander hoch
in den Lüften die Erde wie ein Hut, der auf dem Wasser
schwimmt, vorkommt, so dass er Sorge hat, wo er sich nieder-
1 Ich benutzte davon den cod. germ. fol. 927 der königlichen Bibliothek
in Berlin, wo diese Geschichte f. 136°—137 d steht, worauf sofort die
Fahrt in die Luft erfolgt. Enenkel woiss von Alexander nichts, als seine
Fahrt zum Paradies, das Hinabsteigen ins Meer und die Auffahrt in die
Luft, und den Besuch bei den Bäumen der Sonne und dos Mondes.
Sitznngabor. d. pMl.-hUt. CI. XCVII. Bd. II. Ilft. 25
390
Toischer.
lassen könne, ferner dass er weitab von seinem Heere zur
Erde kommt. Aber da muss er ein ganzes Jahr lang zu Fass
wandern, bevor er wieder zu seinem Heere kommt. Um eine
Analogie dafür zu geben, dass der Held 'aus den luftigen
Regionen gerade im Hause seiner Geliebten niederkommt, müsste
ich schon zu den Märchen von 1001 Nacht greifen, in abendlän
discher Litteratur ist mir — abgesehen natürlich von jenen Werken,
die aus diesen Märchen schöpfen — nichts ähnliches bekannt.
Möglich, dass auch noch manches andere von dem, was
Ulrich erzählt, auf mündlicher Ueberlieferung beruht. Sagt
ja der Dichter ausdrücklich am Schlüsse seines Werkes (27605ff.):
ouch hat, manic werder man
mir süe%e rede dar zuo getan,
diu dirre äventiure
git werder helfe stiure.
Doch so verbreitet und allgemein bekannt, wie die eben
besprochenen, war kein Abenteuer Alexanders. Ich möchte
nur noch die schöne Episode von Alexanders Begegnung mit
dem Zwergkönig Antiloys (18958—19208) hieher ziehen. Eine
bestimmte Quelle gibt da Alexander nicht an. Wenn er einmal
betheuert: ist mir gesagt (19044), so kann man daraus nichts
schliessen. Aber das ganze stimmt so durchaus mit den anderen
bekannten Zwergsagen überein (s. J. V. Zingerle Germ. XVIII,
220. W. Wackernagel, die altdeutschen Hss. des Basler Univer
sitätsbibliothek S. 27, Anm.), Erfindung und Ausführung hat so
sehr volksthiimliches Gepräge, dass man nicht gut eine schrift
liche Quelle annehmen kann, vielmehr an eine Volkssage
denken muss. Wackernagel (a. a. 0. 27) urtheilte schon, es
sei ,ganz aus dem Volksglauben des Mittelalters herausersonnen 1 .
Aber Scherer (Zs. f. d. A. XV, 149) hat den französischen
Namen des Zwergkönigs dagegen geltend gemacht. Vielleicht
darf man aus dem Namen schliessen, dass die Sage in Frank
reich entstanden sei und von da sich nach Deutschland verbreitet
habe, wo sie ein vollkommen deutsches Gewand annahm. Der
Keim zu der Sage lag schon im Psk. (II, 38 LBC), wo erzählt
wird, dass, wer die mit der Sonne wachsenden Bäume 1 berührt,
1 Eine indische Version der Sage von diesen Bäumen, die mit der Sonne
am Tage wachsen und vergehen, s. v. d. Hagen Germania II, *264.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
391
von unsichtbaren Geistern geprügelt wird. Diese Stelle ist
auch in die ursprüngliche Gestalt der Hdp. übergegangen
(B 213 l) ): Illi autem accedentes propius exierunt demones et
flagellarunt eos. In der späteren Recension (D) ist das aber
geändert. Darnach wird der Mann, der sich den Bäumen
nähert, von einem unsichtbaren bösen Geiste getödtet. —
Dass aus den unsichtbaren Geistern, die Schläge austheilen,
allmählich ein Zwergkönig wurde, der dadurch, dass er selbst
unsichtbar Schläge austheilt, dem König seine ungetreuen Leute
verrätb; das scheint mir keineswegs ein allzu weiter Weg,
wenn sich auch nicht in der Phantasie eines Dichters aus der
Vorlage etwa der Hdp. unmittelbar die reizenden Gestalten
entwickelt haben können, wie sie von Ulrich vorgeführt werden.
Doch kehren wir wieder zurück und suchen wir die Quellen
für jene Geschichten zu finden, für die sich Ulrich auf be
stimmte Autoren beruft. Da ist der
Lucidarins
einmal citiert, 193G0 ff.:
vil liute für in kämen,
der gestalt was in wilde,
manigerhande bilde
such du der künic unverzagt,
da von uns Lucidarius sagt.
Man sieht schon an dem sehr allgemein gehaltenen Gitat,
dass Ulrich von diesem Werke nicht viel mehr als den Titel
kannte.
Albertus Magnus.
Vers 24274 ff. sagt Ulrich:
ich hdn in einem buoch vernoinen
als uns ein lierre ze teilen tuot,
der ouch herze unde muot
an alle tugent höret,
der geschrift wol geleret,
von Köln der bischof Älbrelit.
wir haben5 da für er schribe uns reht.
25*
392
Toischer.
Er erzählt dann, Alexander habe einen prassidis gehabt,
der bewirkte, dass er zu allen Zeiten siegreich war.
Vers 26159 ff. heisst es dann:
Als uns bischof Albreht gibt
von Köln, wunderlich geschiht
geschach: sin schrift bewist, uns des.
Alexander habe eines Tages im Euphrat gebadet. Er
hatte alle seine Kleider am Ufer niedergelegt und während er
badete, sah er, wie eine grosse Natter aus dem Wasser schoss
und seinen Prassidis aus dem Gürtel, worin er befestigt war,
herausbiss. ■ Die Natter fuhr mit dem Steine zurück in den
Strom und Alexander wusste, dass das Unglück bedeute.
Aristes gibt ihm auch die Deutung des Vorganges: der Pras
sidis bedeutet Alexanders edles Herz, die Natter Gift, durch
welches Alexander sterben müsse.
Die Quelle für diese Geschichte 1 ist Alberti Magni philo-
sophorum maximi de mineralibus libri quinque, II, 14 (Ausgabe
Auguste Vindelicorum MDXIX): Prassius . . . preciosus esse
dicitur eo quod victores facit et a veneno preseruat. Narrat[ur]
autem licet fdbule sit simile, quod Alexander macedonius hoc
lapide sub cingio suo in prelio vtebatur, cumque reuerteretur ab
india et vellet lauari in eufrate deposito sub cingio morsu serpens
casu precidit, lapidem, et euomit eum in eufrate: et de hoc mentio-
nem dicitur Aristoteles fecisse in libro de natura serpentum, qui
liber ad nos non peruerdt.
Albertus Magnus, geboren 1193, war schon vor seiner
Lehrthätigkeit in Paris (d. i. vor 1245) in Köln, kehrte im
Herbst 1248 von Paris wieder nach Köln zurück und blieb
dort bis 1254. Dann war er wieder dort 1258, aber schon
1259 wurde er zur bischöflichen Würde erhoben mit dem Sitze
in Regensburg. Er blieb aber nur zwei Jahre Bischof von
Regensburg und kehrte dann wieder nach Köln zurück und
blieb dort, wenn auch mit Unterbrechungen, bis zu seinem
Tode 1280 (s. Allgemeine Deutsche Biographie I, 186 ff).
Der berühmte Bischof kann also sehr wohl von Ulrich
Bischof von Köln genannt werden, wenn er dies auch in Wirk-
1 Vgl. das Steinbuch von Volmar, herausgegeben von H. Lambel (Heil-
bronn .1877), V. 515—536 und L.nnbels Anmerkung zu der Stelle.
Ueber die Alexaudreis Ulrichs von Esclienhach.
393
lichkeit niemals gewesen war. Bedenklicher ist, dass Ulr. die
einfachen Worte des Albertus wieder missverstanden hat. Der
Name Aristoteles war in der Hs., die Ulrich vor sich hatte,
jedenfalls mit einer der gewöhnlichen Abkürzungen für diesen
Namen geschrieben und das las Ulrich Aristes, und nach dem
mentionem dicitur fecisse lässt er diesen Aristes zu einem Zeichen
deuter werden und das Ereigniss von ihm auslegen.
Lucanus.
Vers 27211 ff. sagt Ulrich, der Tod Alexanders sei allen
Fürsten leid gewesen. Sie wollten alle seine Gebeine in ihrem
Lande haben. Das gab seine Gattin nicht zu und so besuchten
sie oft sein Grab.
diu sorgenriche reine
lüterte sin gebeine,
eg verbarc diu sceldenriche
in ir clüs heimeliche.
diz bewert Lucanus.
dö der heiser Julius
durch sin wirde des gemochte
dag er dag grap bestwehte,
da$ vant er gar lere.
Julius wundert das sehr, doch sah er wohl des grobes
ncheit. Diese Stelle beruht auf Phars. X, 19 ff:
jEffossum tumulis cupide descendit in antrum.
lllic Pellaei proles vesana Pliilippi
Felix praedo iacet terrarum vindice fato
Raptus: sacratis totum spargenda per orbetn
Membra viri posuere adytis—-
Es gehört freilich schon einige Phantasie dazu, um das
aus diesen Versen herauszubringen, was Ulrich herausgelesen
hat. Aber er citirt den Lucanus schon früher einmal, 23997 ff:
Hie schribet uns Lucanus
von Alexandro alsus:
Der niemals von etwas abstand, womit er Ruhm erwerben
konnte,
er fuorte den starken Ganges
mit graben in die Eufrates ....
394
Toiaclier.
Dann war in dem Lande Assur auch ein breiter tiefer
Strom, der das Meer erreichte, in diesen führte er da% groyi
ivaA&er Phcisidon und fuhr dann ins Meer hinaus.
So unglaublich es scheint, hat unser Dichter auch diese
Nachricht von diesen unmenschlichen Kanalbauten im Lucanus
gefunden. Der sagt von Alexander Phars. X, 32
— ignotas miscuit amnes
Persarum Euphraten, Indorum sahguine Gangen —
Ulrich hat dabei nur das sanguine ausgelassen.
Uebrigens ist es hier offenbar, dass Ulrich irgend ein
guter Freund auf diese Stelle der Pharsalia verwies, denn
dass er diese nicht selbst gelesen hat, beweist, wie er eine
Stelle des Gu. zugerichtet hat. Dieser führt aus, niemand
habe einen so herrlichen Einzug gefeiert, als Alexander in
Babilon (nebst anderen) auch nicht (V, 496 ff.),
post Emathias acies, cum sanguine Magni
Jam satur irrupit Tarpeias Jidius arces, was Ulrich
(14673—14687) folgendermassen ausführt: Pompejus hiess ein
König, der den Römern viel Schaden zufügte. Deswegen
kämpfte Julius mit ihm in Emacia dem lande, besiegte ihn,
nahm ihn gefangen und schickte ihn so in Egipto dem fürsten
Ptolomeo, der über Pompejum rillte.
Dem Berichte von den grossen Kanalbauten Alexanders
geht vorher, wie Alexander von Porus scheidend gegen das
Meer zog und dabei ein von einer maget (Roisse) beherrschtes
Land unterwirft (23717—23974). Da er diese Jungfrau sein-
gütig behandelt, so unterwerfen sich ihm viele Könige (—23996).
Ulrich beruft sich dafür auf Valerius: Uns schribet Valerius, ein
luerder philosophus (23717); Valerius uns also saget (23731);
Valerius uns me von im saget (23960).
Als Alexander dann aus dem Lande Assur ins Meer
hinauskommt, hat er einen Kampf mit Pirratas (Eigenname
bei Ulrich = pirata) zu bestehen (24015—24172), für welches
Abenteuer sich Ulrich abermals auf Valerius beruft: als uns
sagte Valerius in siner schrifte (24027).
Darauf folgt die Fahrt in der Taucherglocke, die für
Alexander auch deswegen glücklich verlief, weil er den prassidis
besass. Nachdem er Geschenke von allen Anwohnern des
Uüber die Alexandreis Ulrichs von Eschenhacb.
395
Meeres entgegen genommen (24315—24338), beschliesst er, der
weite ort zu erkunden, wovor ihn Tullius, der meister warnt:
was der König aber nicht übel nimmt (—24355): also hat uns
von in beiden Seneca bescheiden (24343). Denn Alexander be-
sass die vier Tugenden, die jeder Fürst haben soll: gedult, be-
sclieidenheit, vest gemüete (reht), Wahrheit (—24429): dise rede
wir lesen von Valerio, der sie ziuget, ich warne, er uns niht triuget
(24398 ff). Merket sie, ihr edlen Jünglinge! Denn ein meister
wise Oratius (24424) sagt, die Jugend müsse in der vorhte auf
wachsen (—24428).
Nachdem der König noch zu Elias und Enoch gekommen,
kehrt er wieder zu Porus zurück; ich habe damit den Schluss
des zweiten Abschnittes des X. Buches angesetzt. Auf dem
neuen Zuge dann fährt Alexander in die Luft, er will in die
Hölle hinab, weshalb die Teufel so in Angst gerathen (Gu).
Als er durch einen grossen Wald zieht, begegnet er den ver
schiedensten menschlichen Fabelwesen, wobei sich Ulrich ein
mal auf
Herzogen Ernstes buocli
beruft, und wir wollen diese Partie zunächst näher betrachten.
Er sagt 25100 ff:
wer des niht geloubet,
dise rede er besuoche
in herzogen Ernstes buoche.
eg enist so niht beliben,
dar in si vil von im geschriben.
Es bezieht sich das Citat zunächst auf die Cynocephali.
Schon Fr. Pfeiffer hat Germ. I, 461 auf diese Stelle hinge
wiesen und, da Leute mit Hundsköpfen in keiner uns erhaltenen
Bearbeitung der Sage von Herzog Ernst Vorkommen, auf eine
verlorene geschlossen. Bartsch, Herzog Ernst CXL ff. meint
dagegen, Ulrich habe sich geirrt im Citat, es sei bedenklich
auf Grund dessen eine verlorene Bearbeitung anzunehmen.
Mit vollem Recht, wie eine Vergleichung dieser Partie
in dem Gedichte Ulrichs (25043—25180) mit den Berichten
von den Wundermenschen in der H. Ernst Sage, zeigt.
Bei beiden begegnen: einäugige Riesen, Pygmäen, Platt-
füsse und Schnabelleute.
396
Toiselier.
Im Herzog Ernst sind, die Schnabelleute im Lande Grippia,
wo sie eine überaus herrliche Burg haben. Sie sind an Händen
und Füssen Wohlgestalt, nur Hals und Haupt haben sie gleich
Kranichen. Sie führen Schild und Bogen und Köcher mit
scharfen Pfeilen, sind kriegerisch und unternehmen weite Züge.
— Die Schnabelleute, von denen Ulrich erzählt (25163—25175)
haben Kopf und Hals und Füsse wie Gänse und waten im
Wasser. Sie leisten Alexander keinerlei Widerstand.
Die Arimaspen, Einsterne oder Cyclopes haben ein Auge,
sonst aber erfahren wir von ihnen im Herzog Ernst nichts
besonderes, von den eananäischen Biesen wieder wird nichts
als ihre Grösse und Bewaffnung erwähnt. — Ulrich weiss von
Biesen die nur ein Auge haben, zu erzählen (23157 s. S. 376 ff.),
wofür er sich ausdrücklich auf die Hdp. beruft. Das ist zudem
in einer ganz anderen Partie erwähnt, und kommt auch des
halb hier nicht in Betracht. Hier (25073—25090) erzählt er
aber von Leuten, die auch nur ein Auge, aber auch nur eine
Hand und einen Fuss haben und doch schneller laufen als
andere Menschen. Das erinnert an die Sciopedes im Herzog
Ernst F, dem Volksbuche (bei Bartsch 274, 34): das ist das
sie allain ein fuoß habent, mit dem sie sich ganz bedeckent vor
der sonnen glaste, und lauffent so balde, das sie niemant erlauffen
mag. Die Platliüeve im Herzog Ernst B, (D Platvüe^e) haben
zwei gar breite Füsse, ähnlich wie Schwäne, mit denen sie
sich abwechselnd bei Ungewitter decken. Dem entspricht, was
Ulrich (25176—25180) erzählt, dass Alexander Leute fand,
die sich mit den Füssen deckten, was ihn sehr wunderte.
Die Prechami oder Pigmcei, Picmei. sind kleine Mensch
lein, die allezeit in Angst vor den Kranichen leben und sich
vor denselben kaum erwehren können. Sie nähren sich von
dem, was sie in den Wäldern finden. — Nach der Darstellung
Ulrichs (25053-1-25072) sind von den Picmei um- die Männer
klein, die Weiber gross und stark, mit Stangen bewaffnet, um
ihre Männer vor den Greifen zu schützen.
Die Abweichungen sind also so gross, dass nicht daran
zu denken ist, dass ein Buch vom Herzog Ernst hier Ulrichs
Quelle gewesen ist. Zudem weiss er keinen Namen als den
der Picmei, und seine Berufung findet sich nicht in einer der
Partien, die wenigstens einige Uebereinstimmungeu zeigen,
Ueber die Alexaudreis Ulrichs von Eschonbacli.
397
sondern in der mitten inne liegenden von den Hundsköpfen.
Die Berührungen sind aber andererseits so gross, dass, wer
die Sage von Herzog Ernst kennt, bei Ulrich sich unmittelbar
daran erinnern muss. Wir dürfen annehmen, dass Ulrich beim
Abfassen dieses Abschnittes seines Gedichtes sich an ein Buch
von Herzog Ernst erinnerte und nur darauf hinweisen wollte,
dass dort Aehnliches erzählt werde. Man sollte freilich er
warten, er hätte sich etwas weniger sicher ausgedrückt. Doch
das Citat ist in gewissem Sinne gerechtfertigt; aber was war
seine unmittelbare Quelle?
Auch seine Citate von Valerius und Seneca und Oratius
sind nicht richtig, um nicht auch noch den ,heiligen Mann
Josaphat' mit zu erwähnen, von dem Ulrich sagt, er berichte
in der hystorien, Alexander habe eine Schwester gehabt, die
auch mit an dem rate war, da sin tot icart angetragen (27541 —
27548), was ich auch nicht nachzuweisen vermag.
Seneca kommt für einen Abschnitt wirklich als Quelle
in Behackt, wenn auch nur mit einer ihm unterschobenen
Schrift, nämlich De quatuor virtutibus cardinalibus über, oder
De formula honestae vitae (L. Annaei Senecae opera ed.
Fr. Haase, Leipzig 1853, III, 468—475).
Doch, wie schon erwähnt, beruft sich Ulrich in dem Ab
schnitte, der von den vier Cardinaltugenden handelt, auf Vale
rius, und der Seneca ist vorher citirt, wie Horaz am Schlüsse. 1
Das beweist, dass Ulrich diese Abhandlung oder einige Grund
gedanken daraus in demselben Buche gelesen hat, in dem er
die andern Geschichten, für die er sich auf Valerius beruft,
fand, in welchem Buche nur Seneca (und Horaz, etwa eine
Randbemerkung?) citirt gewesen sein muss. 2 Zwischen der
1 Horaz soll gesagt haben (24126 ff.): wen da% kint in der jugent dne
vorhle icalise, de» al sin tugent und sin ere walise abe in dem aller.
Bei Horaz finde ich aber keinen Ausspruch, der diesem vollständig ent
spricht, am ehesten vielleicht C. IV, 7, 33—36. Oder darf man an C. I,
35, 36 ff. denken?
2 Sur wie der Tullius, (doch jedenfalls Cicero) hereinkommt, ist mir nicht
klar; sicher liegt ein Missverständuiss Ulrichs vor, dass er diesen zum
Zeitgenossen Alexanders macht, der ihn vor Uebermuth warnt, in welcher
Eigenschaft als Unglücksrabe und Zeiehendenter der Tullius übrigens
noch einmal auftritt, in der albernen Erfindung, die ohen (S. 380) er
wähnt ist.
398
T o i s c h e r.
Erörterung über diese Tugenden und den Erzählungen aus
Valerius besteht aber auch ein innerer Zusammenhang, denn
dabei wird Alexanders Benehmen der Roisse und dem See
räuber gegenüber als Beispiel angeführt, dass er diese Cardinal-
tugenden ausübte. Erzählung mit angehängter Moral enthielt
also sein ,Valerius', und das führt uns darauf diesen unter den
Beispielsammlungen zu suchen, die in erster Linie zu Predigt
zwecken, dann auch zur Unterhaltung und Belehrung überhaupt
zusammengestellt wurden.
Nun kann ich freilich die erste der beiden Geschichten,
die Unterwerfung der Roisse auch darin nicht nachweisen,
ich kann damit nur die Unterwerfung der schönen Escavie
von Asur (bei Ulrich ist der Bräutigam der Roisse Podjus
von Assur) bei Lambert li Tors (Weissman Alexander II, 355)
vergleichen. Desto häufiger findet sich die zweite, Alexander
und der Seeräuber, in den Beispielsammlungen des 14.—15.
Jahrhunderts (s. Gesta Roman, ed. Oesterley S. 504 cap. 146
(138) und dessen Nachweise über diese Geschichte) und noch
häufiger finden sich da zwei andere Märchen, die Ulrich erzählt,
ohne sich auf einen Gewährsmann zu berufen. Das eine davon
ist unter dem Titel Aristoteles und Phillis bekannt (bei Ulrich
Aristander und Candacis 23416—23528), das andere könnte
man etwa ,der gerechte König' betiteln (bei Ulrich 27839
bis 27900, Justinus, den St. Paulus aus der Hölle losbetet).
Die erste von diesen beiden Geschichten findet sich schon im
Pantschatantra: s. die Nachweise bei Fr. Wilh. Val. Schmidt,
zur Disciplina clericalis S. 106 ff. v. d. Hagen, Gesammtaben-
theuer I, LXXV—LXXX. John Dunlop, Geschichte der Prosa
dichtungen übersetzt von F. Liebrecht, S. 187. Auch die
zweite lässt sich bis ins Alterthum zurück verfolgen, s. Oesterley
zu Gesta Rom. cap. 50 (145), dessen Nachweisungen freilich
nicht vollständig sind, so ist hier gerade die allerausführlichste
Darstellung, die ich kenne, in der Legenda aurea des Jacobus
a Voragine, ed. Grcesse S. 196, (cap. XLVI) nicht 'angeführt.
Diese Geschichte vom gerechten König findet sich in der That
bei Valerius Maximus 6, 5, extr. 3, und Valerius ist in den
Beispielsammlungen denn auch öfter dafür citiert, so in den
Gesta Rom., in der Scala celi u. a. während im Discipulus der
König selbst Valerius heisst. Für das Märchen von Aristoteles
Ueher die Alexandreis Ulrichs von Eschenbaoh.
399
und Phillis citiert die Scala celi (s. v. Femina) ebenfalls den
Valerius *, während der Discipulus (Johannes herolt x promtua-
riurn exemplorum, Nurempergk 1481) sich dafür auf den magister
Jacobus de vitriaco als Gewährsmann beruft. Val. Schmidt
sagt denn auch, dass dieser den Stoff zuerst aus dem Morgen
lande gebracht habe.
In der That ist er, soweit ich sehe, der einzige von den
mittelalterlichen Schriftstellern, die diesen Stoff behandeln, der
älter ist als Ulrich und den Ulrich benutzt haben könnte.
Jacobus de Vitriaco lebte in Paris und Südfrankreich
litterarisch thätig und war als Prediger durch ganz Europa
berühmt (utens exemplis in sermonibus suis adeo totarn commovit
Franciam, quoä non putat memoria aliquem ante vel post sic mo-
visse s. Hist. litt, de la France T. XVIII, 213). Er wurde
dann Bischof von Ptolemais und lebte nach der Einnahme
dieser Stadt durch die Sarazenen in ßom, wo er 1240 starb.
Er war also in der That schon durch seine Lebensschicksale
besonders geeignet zum Vermittler zwischen Orient und Occi-
dent. Wir besitzen von ihm eine Historia orientalis et occiden-
talis (herausgegeben Duaci 1597), ein Liber de sanctis mulie-
ribus Leodinensibus (s. Vincentius Bellovac. Spec. hist. XXX, 10)
und eine Vita b. Mariae Oeniacensis. Ausserdem verfasste er
ein Werk Exempla. Dieses ist aber bisher so gut wie unbe
achtet geblieben. Ich habe darüber nicht viel mehr erfahren
können, als was in der Jrlistoire litteraire de la France XVIII,
221 und was (wenig genauer) in der Nouvette Biografie Generale
XXVI, 260 ff. darüber gesagt ist.
Diese stützt sich auf ein Ms. in der Bibliothek zu Troyes,
und Herr Professor Raillard war so freundlich, diese Hs. ein
zusehen. Er theilte mir darüber mit, dass sie aus dem XIII.
Jahrhundert stamme, 4°, wobei die Exempla nur 121 Blätter
einnehmen. Sie sei schwer lesbar und darum nebst Mangel
an Zeit konnte er mir nicht angeben, ob sich die Geschichten,
um die es sich mir handelt, in dem Werke finden oder nicht.
Andere alte Hss. sind in Paris. Ich muss es schon dahin ge
stellt sein lassen, ob meine Vermuthungen richtig sind, dass
Auch hier ist Valerius Maximus gemeint; vgl. Cholevius Geschichte der
deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen I, 260.
400
Toischer.
unserem Ulrich statt eines Valerius die Exempla des Jac. de
Vitriaco Vorlagen und dass er eben daher auch seine Kenntnis
der Wundermenschen habe, 1 da mir selbst eine Hs. dieses
Werkes nicht zugänglich ist. Dass dasselbe eine Beachtung
verdient, steht ausser Zweifel schon deshalb, weil es eines der
ältesten dieser Art ist und Jacobus de Vitriaco in den bekannten
Beispielsammlungen so häufig citiert wird, wie kein anderer,
wie kaum Valerius selbst. 2
Die Bibel.
Die Bibel hat Ulrich in den verschiedenen Theilen seines
Gedichtes benutzt, wenn auch gegen Schluss desselben seltener
als am Anfang.
Gleich im Eingangsgebet werden die icisen aufgezählt, die
unter Eingebung Gottes gesprochen: Isaias, Jeremias, David,
Salomon und Daniel, dessen Gesicht von Stier und Widder
speciell erwähnt ist (Dan. VIII, 3 ff.). Als er zu seinem Thema
übergeht (158 — 162) sagt er, er wolle erzählen, wie es kam,
dass der Stier siegreich war und dem Widder sein Horn brach.
Um die Macht des Darius zu schildern, beginnt er von
Nabuchodonosor, der dessen Reich früher besessen habe, er
zählt von Baltassar (911—972), der sich zum Opfer der Gefässe
aus dem Tempel von Jerusalem bediente, und wie beim Gast
mahle das mane tekel an der Wand erscheint, das Daniel er
klärt (Dan. V). Darauf soll Baltassar von Darius, der von Asia
kam (Dan. V, 31) und von Cyrus, der von Syria kam, getödtet
worden sein, als mir der meister sagte (982). Doch will Ulrich
1 Audi von diesen handeln diese Sammlungen, vgl. Gesta Kom. cap. 175.
2 Val. Schmidt hat gemeint, die Historia orientalis et occidentalis des Jac.
d.'V. enthalte die Geschichte von Arist. und Phillis, doch zeigt sich
darin Jac. vielmehr als nüchternen verständigen Beobachter, der un
Gegentheil vielfach die Wunder, die vom Orient erzählt werden, nach
eigener Anschauung zurückweist. Kenntniss der verschiedenen Fabeln
(auch der Wundermenschen) zeigt sich dabei allerdings. — Eine Lecture
der Predigten dieses Mannes, so weit sie gedruckt sind (Jacobi de Vi
triaco Sermones . . . Antverpiae 1575, ein kolossales Buch von 931 eng
bedruckten Grossfolio-Seiten), ergab für mich gar nichts als die Bestäti
gung der Nachricht der Hist. litt, de la France (latine, greee, arabice
doctus S. 213), dass er auch griechisch verstand.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
401
vorher erst einiges erzählen, was vor Darias geschah und er
erzählt denn (985—1154) von Nabuchodonosor, der eine goldene
Säule aufstellen liess (Dan. III, 1 ff.), der Jerusalem einnahm
und die Juden nach Babilon führte (Reg. IV, 25), wobei nur
Golodias mit wenigen zurückblieb — diesem Abschnitt folgt eine
geistliche Auslegung, — dann die drei Jünglinge im Feuerofen,
(Dan. III, 12 ff.) und wie der König einem Ochsen gleich
sieben Jahre lang lebte, bis er auf Daniels Gebet wieder seine
Gestalt erhielt (Dan. IV, 22 ff.)
Als Alexander in Jerusalem war, besuchte er auch den
Tempel, und da weiss denn Ulrich, dass ihm der bischof gesagt
hat, wie lange Salomon daran baute, nämlich vierundvierzig
Jahre (5359). Nach Reg. III, 6, 37 ff. wurde aber der Salomo
nische Tempel in sieben Jahren gebaut, der zweite (instar
prioris) nach Job. II, 20 in sechsundvierzig Jahren.
Vor dem Kampfe der kleinen Schar Alexanders mit dem
Heere des Darius erzählt Ulrich, wie Gedeon mit wenigen
viele schlug (7158—7247) und ähnlich vor dem Kampfe mit
dem riesigen Geon den Kampf zwischen David und Goliath
(12903-13012).
Doch auch vorher hat Ulrich noch Gelegenheit seine
Bibelkenntniss anzubringen. Bei der Beschreibung des Schildes
des Darius befleissigt er sich grosser Ausführlichkeit. Daselbst
ist der Thurmbau von Babel samint der Sprachverwirrung ab-
g'ebildet (7616—7636, Gen. XI, 3) wobei Ulrich nach Tradition
den Nemrot als Urheber des Thurmbaues anführt; dort ist
auch die Einnahme Jerusalems abgebildet, (7637'—7681 Ulrich
folgt diesmal Jerem. 38 ff.), während der Maler übergangen
hat, wie Nabuchodonosor ein Ochse war. Doch hat er wieder
den Evilmoradach dargestellt, der den Leichnam seines Vaters
den Geiern zum Frasse gab (7688—7708 vgl. Petrus Comestor
hist. lib. Dan. 5).
Noch breiter ergeht sich Ulrich in der Schilderung des
Grabmales der Gattin des Darius (11129—11820). Er folgt
dabei im Anfang durchaus der Genesis und zwar hat er davon
benutzt: I, 1—9. 11. 14. 19. 20. 26. II, 8. 21. 22. 16. 17. 2.
RJ, 1—6. 23—24. IV, 1—-2. 4. (Ulrich hat hier inflamcivit
Deus super Abel .... gelesen). 8. 19 (Lamech heisst ein
bruoder des Kain, während er doch erst in 7.. Generation von
402
Toisch er.
Adam stammt). 23. 24. VI, 1—2. 4. 6.14. VII, 1. 7. VI, 19. VII, 9.
21. VIII, 3. 6. 10. 11. u. s. f. Gegen Ende der Schilderung
folgt er mehr dem Gu. Bemerken will ich noch, dass er auch
die Namen der Schwiegertöchter Noes kennt, diese heissen
Sai’frasatam, Satam und Farsatam. Ich finde von diesen ehr
würdigen Stammüttern des Menschengeschlechts nirgends Namen
angeführt als bei Petrus Comestor, lib. Gen. 33, der nennt sie
aber Parsia, Cathaflua und Fliua.
In dem einleitenden Gebet zum IV. Buche sind bekannte
Stellen über die Barmherzigkeit Gottes aus der heiligen Schrift
angeführt (Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass
er sich bekehre; der Schächer am Kreuze) und dabei der Psalter
citiert (die Barmherzigkeit über alle Werke Gottes Ps. 135).
Im VIII. Buche (17735—17950) erzählt er von grossen
Streitigkeiten, die unter den Juden ausgebrochen waren. Aswerus
nämlich hatte vor seinem Tode ze houptman über die Juden
den herzogen Vagosus bestellt. Da starb der Hohepriester
Eliasip, dem in seiner Würde Judas folgte, der zwei Söhne
hinterliess, Johannes und Jesus. Mit letzterem hielt es der
Herzog Vagosus und als er trotzdem von seinem Bruder in
dem Tempel ermordet wurde, zerstörte der Herzog den Tempel
und wüthete überhaupt arg gegen die Juden, wobei ihm einer
der hiev, Vectigal in der Eintreibung der Abgaben beistand.
Auf Johannes folgte Jaddus, dessen Bruder Manasses war.
Nun starb endlich der Herzog Vagosus, von den Juden wenig
betrauert, und Darius ernannte zu seinem Nachfolger den Sanna-
balach und dessen schöne Tochter nahm Manasses zur Frau.
Doch da erhob sich neuer Streit, denn die sanfte Herrschaft
des Sannabalach machte die Juden übermüthig. Sie verlangten,
Manasses sollte seine Frau ihrem Vater zurückschicken. Dieser
von Manasses zu Hilfe gerufen, änderte nun sein Benehmen
gegeii die Juden, erbaute für seinen Schwiegersohn einen
Tempel auf dem höchsten Berge in Samaria und verklagte
ausserdem die Juden bei Alexander, weil sie dem Darius
heimlich Hilfe geleistet hatten. Als die Juden von dieser
Klage hören, schicken sie den Jaddus zu Alexander, um sich
zu rechtfertigen und schicken auch gleich Kleinode im Werte
von viel tausend Mark mit. Alexander entscheidet den Streit
zu allgemeiner Zufriedenheit.
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
403
Zu der ganzen Erzählung hat Ulrich aus der Bibel nur
einzelnes aus Esdra benutzen können, vielleicht hat er dazu
irgend einen Commentar benützt, manches scheint eigene Phan
tasie (oder Missverständniss), wie der Herzog Vagosus und
sein Steuereintreiber Vectigal. Doch gerade diese Personen
sind mit grosser Vorliebe gezeichnet und Ulrich hat offenbar
Freude daran, dass die Juden von einem Vagosus so geplagt
wurden. Gegen die Juden ist er überhaupt nicht freundlich
gesinnt, und er nimmt bei den biblischen Erzählungen mehr
fach Gelegenheit zu erklären, in seiner Zeit seien die Juden
nicht so brav und gut, besonders ist er über ihre Pfandleih
geschäfte erbittert, und es hat fast den Anschein, als ob er
seihst in dieser Beziehung Uebles zu dulden gehabt hätte.
Juden: die vervluochten helleruden ist ein oft wiederkehrender
Reim (4555. 7639 u. ö.).
Bei der Erwähnung des Flusses Phison (23371) sagt Ul
rich, dass auch in der heiligen Schrift dieser Name vorkomme.
Bass Antiochus den Juden viel Böses zufügte, ist nicht uner
wähnt geblieben (27145—27149), wofür er sich auf Machab.
beruft. In dem einleitenden Gebet zum X. Buch (21073 ff.)
ist das Gesicht Daniels von den vier Thieren (Dan. VII) aus
geführt. Zum Schluss wird noch zweimal (27335 ff., 27697 ff.)
erwähnt, dass Daniel die Ankunft Alexanders vorhergesagt habe.
Wenn wir zurückblicken, so haben wir gefunden, dass
Ulrich vor Allem nach Vollständigkeit strebt, wobei er ein
gewisses Prunken mit Gelehrsamkeit — ohne Grund —
zeigt. Er vermag keine andere Einheit in sein Gedicht
hineinzubringen, als das Nacheinander der einzelnen Facta,
die der Held erlebt und durchmacht. Einzelne Scenen ge
lingen dem Dichter ganz vortrefflich. Er sieht ja überhaupt
mehr als auf das Ganze auf die Ausführung im Einzelnen,
wobei er vielfach nach Analogie seiner Zeitverhältnisse oder
"ach Analogie einzelner Scencn in den Werken Wolframs
dichtet. In Nichts von Alledem ist er originell, ja er ver
meidet absichtlich Alles, was nicht schon vor ihm in deutscher
Bi Zahlung üblich war. Für uns ist dadurch das Werk von
404
Toischer.
geringem Werthe, und vom ästhestischen Standpunkte aus
müssen wir das Verdammungsurtheil von Gervinus II 5 , 177 ff.
im Ganzen für berechtigt erklären. In seiner Zeit aber hat
Ulrich erreicht, was er wollte: er bot für seine Leser oder
Hörer eine angenehme Unterhaltung. Sein Werk erfreute sich
denn auch offenbar einer grossen Beliebtheit. Elf IIss. (und
Bruchstücke) sind uns erhalten, und einem Heinz Sentlinger
war das Werk nicht zu kolossal, um es in seine Weltchronik
aufzunehmen. Noch im XIII. Jahrhundert wurde es in Schwaben
zu einem Wolfram’schen gemacht, und der nächste Dichter,
der nach Ulrich wieder eine Al. verfasste, hat Ulrichs Werk
für ein Gedicht des grossen Wolfram gehalten (s. Gervinus II 5 ,
179 Anm.). Es hat also einmal an und für sich einen nicht
unbedeutenden historischen Werth, und dann muss es auch in
Rechnung gezogen werden, wenn es gilt, Wolframs Einfluss im
XIV.—XV. Jahrhundert zu verfolgen.
Wir wollen jetzt nur noch
Die Zeit der Abfassung
der Al. Ulrichs zu bestimmen suchen.
Schon in meiner Ausgabe des Wilhelm von Wenden
(S. XXVIII) habe ich angegeben, dass die Al. (die ersten
zehn Bücher) vor 1284 begonnen, nach 1284 vollendet wurde.
1284 ist das Jahr des Todes des Erzbischofs Friedrich II.
(von Walchen) von Salzburg, von dem Ulrich da% erste urhap
seines Werkes erhalten zu haben erklärt (27609 ff.), wo er
aber sagt: der fürstlichen hielt sinen hof, wornach der Bischof
damals, als Ulrich diese Stelle schrieb, schon gestorben ge
wesen sein muss. ,
Friedrich II. wurde Erzbischof von Salzbui-g im Jahre
1270, so dass wir damit eine sichere Grenze haben, vor welcher
das Werk Ulrichs nicht begonnen sein kann. Ulrich hat aber
das Buch nicht direct vom Erzbischof erhalten. Er sagt aus
drücklich (27602): er gesach mich nie, noch ich in, vielmehr
waren zwei Ritter die Vermittler, Kuno von Gutrat und Ekke-
hart von Dobringen. Die von Gutrat waren ministerielles der
Erzdiöcese Salzburg. Nach Meiller, Regesta arehiepiscoporum
Salisburgensium (Wien 1866), S. 550, Note 154, war der erste
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
405
dieses Geschlechtes Cuono de Gutrat (f circa 1228—1230),
der zwei Söhne hatte, Cuono und Karolus. Nur der letztere
überlebte den Vater (a. a. 0. Nr. 525), er starb mit Hinter
lassung zweier Söhne, Otto und Chuno (s. Nr. 533 v. J. 1243).
Dieser Chuno dürfte derselbe sein, der unserm Ulrich zur Ge
winnung des Gu. behilflich war, er wird es auch sein, von
dem in einem Todtenbuche von St. Peter (Archiv f. österr.
Gesch. XIX, S. 240) unter dem 23. April eingetragen ist:
Chuno de Gutradt cuius memoria peragitur ut prelati, denn
sein Grossvater wird damit schwerlich gemeint sein, da dieser
lange in Streit mit dem Erzbischöfe lebte und wegen Wider
setzlichkeit gegen obrigkeitliche Execution excommunicirt wurde
(Nr. 198).
Ein Dobringen kommt in der Zeit, aus welcher von
Meiller die Regesten edirt sind (1106—1246), nicht vor, doch
waren auch die Dobringen Salzburger. Ekkehart v. D. selbst
kam mehrfach mit Ottokar II. von Böhmen in Berührung:
1270, wo er als Zeuge für den Vertrag zwischen Ottokar und
Friedrich von Salzburg mitunterzeichnet ist (s. Emler, Regg.
Nr. 732), dann 1276, wo vom 3. Mai und 3. Juni für ihn Ur
kunden ausgestellt wurden (s. Emler, Regg. Nr. 1017. 1022).
Dieser Ekkehart wird demnach wohl derjenige gewesen
sein, an den sich die Bitte Ulrichs um Vermittlung des
Buches zunächst richtete, und er seinerseits wird erst wieder
die Gefälligkeit des von Gutrat in Anspruch genommen haben,
der dem Kirchenfürsten näher gestanden zu haben scheint.
Die ganze Vermittlung kann aber offenbar nicht zu einer Zeit
stattgefunden haben, wo Ottokar mit dem Erzbischof von Salz
burg in offener Feindschaft lebte. Die Zeit des Friedens zwischen
diesen beiden Pürsten ist aber eine sehr kurze. 1
Schon im Jahre seiner Wahl (1270), als eben Ottokar
Kärnten und Krain in Besitz genommen hatte, erhob der Salz
burger Erzbischof Ansprüche auf eine Reihe von Gütern, die
Ottokar in Besitz hatte. Es wurde wohl eine provisorische
Abkunft getroffen, aber nie eine definitive Ordnung, und seit
der Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen König war
der Salzburger Erzbischof sein treuester und eifrigster Bundes-
1 Vgl. Lorenz, Deutsche Geschichte des XIII. und XIV. Jahrh. II. Bd.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 26
406
T o i s c li e r.
genösse gegen Ottokar. Er wandte alle Mittel an, um Rudolf
Anhänger in den österreichischen Ländern zu verschaffen, ver
kündete den Kirchenbann gegen Ottokar, sorgte dafür, dass
alles Volk erfahre von Acht und Bann, dem der Böhmenkönig
verfallen war, ja der geistliche Herr soll sogar einen Kriegs
plan gegen ihn entworfen haben. Abgesehen von der kurzen
Pause nach dem Frieden von Wien (Nov. 1276), liess der
Erzbischof nie ab von Feindseligkeiten gegen Ottokar bis zu
dessen Tode.
Wir müssen also nothwendig annehmen, dass Ulrich
schon vor der Wahl Rudolfs den Gu. erhalten und seine Al.
begonnen habe.
Er hat damit eine Verherrlichung Ottokars beabsichtigt,
wie wir schon aus dem Umstand vermuthen könnten, dass
Alexander das böhmische Wappen führt. Doch deutlich zeigt
uns dies der Schluss des V. Buches, wo Ulrich einen Vergleich
anstellt zwischen Alexander und (dem allerdings nicht genannten)
Ottokar (14691—14720).
wä wart ie kein fürste geborn
das so junc in kurzer zit
gehüebe so menlichen strit?
man vint ir niender einen
niuwan den siiesen einen,
den man im geliehen mac.
des sin von jugent ie so lac
das er an aller vinde danc
gewalticlich nach prise ranc.
siner vinde craft er neiget ....
das ist ander fürsten clage ....
das pris in loufet vor
und sie erreichen niht sin spor
und tragen dem ellenthaften nit.
dar ilf sin manheit deine git.
er Alexander swä er noch streit,
er Solomon an wirdikeit,
an wisheit, an reinem gemüete ....
Ein solches Lob konnte Ulrich nur demjenigen Fürsten
spenden, bei dem er lebte, und da sagt er uns (27623 ff.), dei
Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbach.
407
Erzbischof von Salzburg habe ihn zu sich eingeladen, aber er
habe damals den lewen nicht verlassen wollen und er sei noch
derselben Gesinnung: in dessen Lande sei er geboren und
nächst Gott sehe er diesen als seinen Herrn an. Das Gedicht
ist Wenzel II. gewidmet. Aber diesen jugendlichen Fürsten
neben Alexander zu stellen und derartig zu preisen, hätte gar
keinen Sinn, wohl aber sind gewisse Aehnlichkeiten zwischen
Alexander und Ottokar, der sich auch in kurzer Zeit ein ge
waltiges Reich eroberte, unläugbar vorhanden. Diese Stelle
ist aber offenbar bei Lebzeiten Ottokars, vor seiner Niederlage
am Marchfelde (1278) geschrieben. Uebrigens muss Ottokar
ein gewisses Wohlgefallen daran gefunden haben mit Alexan
der verglichen zu werden, da auch Meister Sigeher diesen
Vergleich in verschiedenen Variationen wiederholt (HMS. II,
260 ff.) und so ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass der
König zur Entstehung des Gedichtes Ulrichs die Anregung gab.
Für sicher halte ich, dass das V. Buch vor 1278 fertig war.
Ottokar muss aber bald nach Vollendung dieses Buches
gestorben sein. Denn das VI. und VII. Buch sind so kahl
und armselig, der Dichter sucht da nur mit seinem Stoff fertig
zu werden, benutzt nicht einmal alles, was bei Gu. stand, ganz
gegen seine früheren und späteren Gewohnheiten; dass man
diesen Büchern die Noth förmlich ansieht, in der sich der
Dichter nach dem Tode seines Gönners befand, wo in Böhmen
Bürgerkriege und Hungersnoth walteten und wohl wenige sich
um den Poeten kümmerten. Erst mit dem VIII. Buche be
ginnt wieder ein frischerer Ton, und am Schluss dieses Buches
weiss er denn auch schon wieder, wem er sein Werk nach der
Vollendung überreichen werde (18906 ff.). Da muss wohl schon
Wenzel II. die Regierung übernommen haben (1283), an dessen
Hofe Ulrich wieder glückliche Tage sah und Müsse genug, das
IX. und X. Buch in stattlicher Fülle auszuarbeiten. Dem König
Wenzel ist am Schluss auch das Werk dedizirt (27730 ff.). Da
er aber neben Wenzel dessen Gemahlin Gutta niemals erwähnt,
die er doch im Wilhelm von Wenden nie vergisst und fast
noch höher feiert als den König, so dürfte die Vollendung vor
deren Ankunft in Böhmen (1287) fallen.
So wären wir zu dem Resultate gelangt: die fünf ersten
Bücher fallen zwischen 1270—1278, VI—VII zwischen 1278
408
Toisclier. Ueber die Alexandreis Ulrichs von Eschenbacb.
bis 1283, VIII—X zwischen 1283—1287. Dass er an den
beiden kürzesten Büchern so lange arbeitete, erscheint wohl
nach den oben angegebenen Umständen nicht mehr auffällig.
Die Fortsetzung, das XI. Buch, ist dem Börse II. von
Risenburg gewidmet. Dieser ist ein Enkel des in den Jahren
1248—1276 in der Geschichte Böhmens viel genannten Boresch.
Er hatte einen Sohn Slavko oder Slavek, der früher gestorben
sein muss, da Friedrich von Schönburg als Vormund seiner
Kinder genannt wird. Die erste Urkunde, die Börse (II.) aus
stellt, trägt das Datum Udelitz, 7. April 1295 (s. Emler, Regg.
Nr. 1684), die nächsten stammen erst von 1302 und 1303
(s. a. a. 0. Nr. 1913, 1971, 1973), in den folgenden Jahren
wird er dann öfter genannt. Jedenfalls kann ihm Ulrich nicht
früher als in den letzten Jahren des Jahrhunderts dieses Buch
zugeeignet haben.
XIX. SITZUNG VOM 14. JULI 1880.
Von dem w. M. Herrn Dr. Pfizmaier wird eine für die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Die fremdländischen
Reiche zu den Zeiten der SuP vorgelegt.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Ackerbau-Ministerium, k. k.: Statistisches Jahrbuch für 1879. III. Heft.
1. Lieferung. Wien, 1880; 8°.
Akad emie der Wissenschaften, königl. preuss., zu Berlin: Monatsbericht,
März 1880. Berlin, 1880; 8°. — Die Ordinalzahlen der mexicanisehen
Sprache, dargestellt von Job. Carl Ed. Buschmann. Berlin, 1880; 4°.
— Ueber die Wiener und Heidelberger Handschrift des Otfried; von
Oskar Erdmann. Berlin, 1880; 4°. — Die Bronzefunde aus Olimpia
und deren kunstgeschichtliche Bedeutung; von Adolf Furtwaengler.
Berlin, 1880; 4°.
— königl. bair., zu München: Sitzungsberichte der philosophisch - philo
logischen und historischen Classe. 1879. Band II. Heft IH. München,
1879; 8°.
Archäologische Sammlung von Denkmälern zur Geschichte des nordwest
lichen Russland. Tomes X and XI. Wilna, 1879, 1880; 4°.
Berlin, Universität: Druckschriften pro 1879/80. 4 Stücke. 4°.
Gesellschaft, allgemeine gesehichtforschende der Schweiz: Jahrbuch für
Schweizerische Geschichte. V. Band. Zürich, 1880; 8°.
— antiquarische: Mittheilungen. Band XX, Abtheilung I, Heft 3. Zürich,
1879; 4°. — Band XX, Abtheilung II, Heft 2. Zürich, 1880; 4°.
Heidelberg, Universität: Akademische Schriften pro 1879—1880. 13 Stücke.
4° und 8°.
Institute, the anthropological of Great Britain and Ireland: The Journal.
V°L IX, Nr. IV. May 1880. London; 8°.
410
Militär-Comite, technisches und administratives, III. Section: Militär-
statistisches Jahrbuch für das Jahr 1876. II. Tlieil. Wien, 1880; 1°.
Mittheilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter
mann. XXVI. Band, 1880. VII. Gotha; 4°.
Numismatische Blätter: Organ für Numismatik und Alterthumskunde.
Mit einer Beilage: Numismatischer Anzeiger. II. Jahrgang, Nr. 4 und 5.
Wien, 1880; 4°.
,Revue politique et litteraire' et ,Revue scientifique de la France et de
l’Etranger*. X e Annee, 2 e Serie, No. 2. Paris, 1880; 4°.
Society, the American geographical: Journal. Vol. X. Nevv-York, 1878; 8°.
Telfy, Joannes B.: Opuscula graeca. Budapest, 1880; 4°.
Verein für Hamburgische Geschichte: Mittheilungen. III. Jahrgang. Nr. 4
bis 6. Hamburg, 1880; 8°.
Wissenschaftlicher Club: Monatsblätter. I. Jahrgang, Nr. 8 und 9.
Wien, 1880; 4°.
Pfizmaier. Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
411
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
Von
Dr. A. Pfizmaier,
wirk!. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Ueber die fremdländischen Reiche, mit welchen China in
den älteren Zeiten in Berührung kam, liegen in den grossen
Geschichtschreibern vielfältige, schwer zu ordnende Nachrichten
vor. Bei dem Umstande, dass diese Reiche, je nach den Zeiten,
sehr wesentliche Verschiedenheiten zeigen, dass einige derselben
ihre Namen wechselten oder zu bestehen aufhörten, schien es
zweckmässig, sie von der Seite ihrer jedesmaligen Beziehungen
zu den Ereignissen der Geschichte ins Auge zu fassen.
Zu den Zeiten der Sui wurde der lange unterbrochene
Verkehr mit den fremdländischen Reichen, unter welchen
manche wie U-sün, Tsch’e-sse, nicht mehr Vorkommen, andere
wie Lieu-khieu, Tschi-thu zum ersten Male genannt werden,
wieder aufgenommen. Während der Zeiträume Khai-hoang,
Jin-seheu und Ta-nie (581—616 n. Chr.) waren es Reiche der
östlichen Fremdländer sechs, Reiche der südlichen Fremd
länder vier, Reiche der westlichen Fremdländer dreiundzwanzig,
Reiche der nördlichen Fremdländer fünf, welche an den Hof
der Sui Gesandte schickten und Tribut und Geschenke brachten.
Die Abhandlung liefert die in dem Buche der Sui ent
haltenen Nachrichten von den zwei östlichen Reichen Lieu-khieu
und Wo (Japan), ferner von den vier südlichen und sämmt-
lichen dreiundzwanzig westlichen Reichen. Unter den letzteren
befindet sich Po-sse ( Persien), welches ebenfalls Tribut brachte.
Von den vier nicht einbegriffenen coreanischen Reichen wurde
bereits in einer anderen Arbeit des Verfassers: ,Nachrichten
412
Pfizmaier.
von den alten Bewohnern des heutigen Corea' (Jahrgang 1867
der Sitzungsberichte), wo jedoch die zahlreichen als nothwendig
sich herausstellenden chinesischen Zeichen aus Rücksichten der
Drucklegung damals nicht gesetzt werden konnten, ausführ
lich gehandelt.
Das Reich Lieu-khieu.
Das Reich m * Lieu-khieu befindet sich unter den
Inseln des Meeres. Von der Landschaft Kien-ngan 1
östlich erreicht man es zu Wasser in fünf Tagen.
Das Land hat viele Bergschluchten OH» _
Der Geschlechtsname des Königs ist Geschlecht ^
Hoan-sse. Sein Name ist j/|| ^|J ^ut Hö-thse-teu. Seine Ab
stammung ist unbekannt. Es gibt mehrere Herrscherhäuser
(ft tat) des Reiches.
Die Menschen jenes Landes ruft man mit
Kho-lao-yang. Die Gattin heisst ^ ^ To-pö-yü.
Die Wohnsitze heissen m 1Ü @ '/[p] Po-lo-than-tlmng
,Schluchten Po-lo-than'. Dieselben haben dreifach Gräben und
Pfahlwerk. Man umzieht sie mit fliessendem Wasser, pflanzt
Dornsträuche und macht diese zu Gehägen.
Die grössten von dem Könige bewohnten Häuser messen
sechzehn Kien. Man schnitzt an ihnen die Bilder von
Vögeln und vierfüssigen Thieren ein.
Es gibt viele ||^| Teu-leu. Dieser Baum hat Aehn-
lichkeit mit dem Citronenbaum. Die Blätter sind jedoch dicht,
die Zweige dünn und herabhängend wie Haupthaar.
In dem Reiche gibt es vier bis fünf Vorderste (jj||] so),
welche die ,Schluchten' verwalten. In den ,Schluchten' hat
man einen kleinen König.
Hin und wieder gibt es Dörfer. Die Dörfer haben
UrTßlH Niao-liao-sö ,vogelverständige Vorderste'. Mau macht
zu solchen zugleich diejenigen, welche im Kampfe geschickt
sind. Sobald sie eingesetzt sind, leiten sie die Sachen eines
Dorfes.
1 Das heutige Kien-ning in Fö-kien.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
413
Männer und Frauen umwickeln das Haupthaar mit weissen
Hanfschnüren und winden diese in Krümmungen vom Nacken
bis zu der Stirn. Die jungen Männer gebrauchen Fittige als
Mützen, putzen sich mit Perlen und Muscheln auf und tragen
Zierathen von rother Wolle. Gestalt und Zuschnitt sind nicht
gleich.
Die Frauen verfertigen aus florenem Blumenwerk und
weissem Tuch Kopfbedeckungen, welche ein rechtwinkeliges
Viereck bilden. Sie weben den Bast des Teu-leu 1 zugleich
mit Hanf von vermischten Farben und vermischte Federn zu
Kleidern. Deren Zuschnitt ist nicht ein und derselbe. Aus
zusammengenähten Federn und herabhängenden Seeschnecken
verfertigen sie Schmuck, wobei vermischte Farben zwischen
einander sich befinden. Sie lassen kleine Muscheln herabhängen.
Deren Ton ist gleich demjenigen der Gürtelsteine. Sie nähen
Ohrringe zusammen und gebrauchen Armbänder. Sie hängen
Perlen an den Hals, weben aus Schminkbohnenstroh Plüte und
schmücken diese mit Federn.
Man hat Messer, Lanzen, Pfeilspitzen, Schwerter und
Dolche. Die Gegend ist arm an Eisen. Die Klingen sind
dünn und klein. Man nimmt für sie häufig Bein und Horn
als Aushilfe. Zusammengehefteter Hanf dient zu Panzern.
Bisweilen verwendet man Bären- und Leopardenfelle.
Der König besteigt ein hölzernes vierfüssiges Thier und
zieht einher, indem er es durch die Leute seiner Umgehung
wie eine Sänfte tragen lässt. Sein Gefolge besteht aus nicht
mehr als einigen Zehenden von Menschen. Die kleinen Könige
besteigen eine Bank, welche so geschnitzt ist, dass sie die Ge
stalt eines vierfüssigen Thieres hat.
Die Menschen des Reiches lieben es, sich gegenseitig an-
zugreifen. Sie sind kühn, stark und geschickt im Laufen. Sie
haben ein zähes Leben und ertragen Wunden.
Die ,Schluchten' bilden je eine Äbtheilung. Diese Ab
tbeilungen kommen einander nicht zu Hilfe. Wenn zwei
Schlachtreihen auf einander treffen, springen drei bis fünf
Muthige mit Geschrei hervor, wechseln Worte und schmähen
einander. Dabei greift man sich gegenseitig an und schiesst
1 Der oben erwähnte Baum.
414
Pfizmaier.
mit Pfeilen. Wo auf einer Seite der Sieg nicht ist, ergreift
das ganze Heer die Flucht. Man schickt dann Menschen, welche
Entschuldigungen Vorbringen, worauf man sich versöhnt und
auseinander geht. Man liest die in dem Kampfe Gefallenen
auf, sammelt sie in Gemeinschaft und verzehrt sie. Dabei trägt
man die Todtenköpfe zu dem Wohnorte des Königs. Dieser
beschenkt die Leute mit Mützen und heisst sie als Vorderste
der Abtheilung auftreten.
Man kennt keine Abgaben. Wenn es Angelegenheiten
gibt, nimmt man gleichmässig Abgaben von den Feldern.
Die Verhängung von Strafen ist ebenfalls keine beständige
Regel. Die Gesetzkundigen überblicken die Geschäfte, prüfen
und beurtheilen. Bei Uebertretungen und Verbrechen wird
durch den Niao-liao-sö ,vogelverständigen Vordersten' ent
schieden. Erfolgt kein Geständniss, so richtet er nach oben
eine Bitte an den König. Dieser heisst die Diener und Unter
gebenen in Gemeinschaft berathen und es bestimmen.
In den Gefängnissen hat man keine Halszwingen und
Ketten. Man bedient sich blos der Stricke und Bande. Wenn
man bei einem Menschen auf Todesstrafe entscheidet, so tödtet
man ihn, indem man ihm mit einem eisernen Bohrer, welcher
so dick wie ein Essstab und über einen Schuh lang ist, den
Scheitel durchbohrt. Bei leichten Verbrechen macht man von
dem Stocke Gebrauch.
Man hat insgemein keine Schriftzeichen. Man blickt auf
den zunehmenden und abnehmenden Mond und berechnet so
die Zeit. Man beobachtet das Verdorren der Pflanzen und
bildet so die Jahre.
Die Menschen haben tiefliegende Augen, lange Nasen und
sind ziemlich von der Art der Menschen von Hu. Sie haben
ebenfalls einen kleinen Verstand. Es gibt bei ihnen nicht die
Umschränkung des Gebieters und Dieners, der Höheren und
Niederen, nicht die Gebräuche der Verbeugung und der Unter
würfigkeit. Vater und Sohn schlafen in demselben Bette.
Die jungen Männer reissen sich Bart und Schläfenhaar
aus. An den behaarten Stellen des Leibes entfernen sie das
Haar ebenfalls. Die Frauen ritzen in ihre Hände mit Tinte
Zeichnungen von Insecten und Schlangen.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
' 415
■
Bei Heirathen wirbt man vermittelst Wein, zubereiteter
Speisen, Perlen und Muscheln. Bisweilen linden Männer und
Mädchen an einander Gefallen und gesellen sich sogleich zu
einander.
Wenn die Frauen gebären und säugen, müssen sie die
Umhüllung des Kindes verzehren. Nach der Geburt brennen
sie sich mit Feuer und machen Schweiss hervortreten. Nach
fünf Tagen sind sie wieder hergestellt.
Man setzt das Meerwasser in hölzernen Trögen der Sonne
aus und bereitet auf diese Weise Salz. Aus Baumsaft bereitet
man Essig. Indem man Reis und Weizenmehl kocht, bereitet
man Wein. Der Geschmak desselben ist sehr fad.
Beim Essen bedient man sich immer der Hände. Wenn
man zufällig eine seltene Speise erhält, reicht man sie früher
dem Geehrten. Bei allen Festen und Zusammenkünften muss
derjenige, der den Weinbecher erfasst, warten, bis man den
Namen ruft. Dann erst trinkt er. Derjenige, der dem Könige
den Wein emporreicht, ruft ebenfalls den Namen des Königs.
Den Becher in dem Munde halten und gemeinschaftlich trinken,
ist ziemlich wie bei den Türken.
Beim Singen und Rufen stampft man mit den Füssen.
Ein Mensch singt, und die ganze Menge stimmt ein. Der Ton
ist ziemlich traurig und missmuthig. Man fasst ein Mädchen
oben an der Schulter, bewegt die Hände und tanzt.
Was die Todten betrifft, so erhebt man sie, wenn man
glaubt, dass das Leben erloschen sein wird, und schafft sie in
den Vorhof. Die Angehörigen und Gäste weinen und klagen
um sie. Man wäscht den Leichnam und wickelt ihn in Baum
wolltücher. Nachdem man ihn in‘Schilf und Gras gehüllt,
bahren ihn die Angehörigen in der Erde auf. Man thürmt
über ihm keinen Erdhügel. Der Sohn verzehrt des Vaters
wegen durch mehrere Monate kein Fleisch.
An den Südgränzen sind Sitten und Gewohnheiten etwas
verschieden. Wenn ein Mensch stirbt, verzehren ihn die Städte
und Dörfer gemeinschaftlich.
Es gibt Bären, wilde Hunde und Wölfe, überaus viele
Schweine und Hühner, aber keine Rinder, Schafe, Esel und
Pferde.
416
P fizmaier.
Die Felder sind vortrefflich. Indem man sie bewässert,
vei - brennt man sie früher mit Feuer und leitet dann Wasser
darüber. Man ergreift eine Haue, für die man aus Stein eine
Schneide von einem Schuh Länge und mehreren Zollen Breite
verfertigt, und bearbeitet damit das Feld,
Der Boden ist geeignet für Reis, grosse Hirse (liang)\
kleberigen Reis (;^ fhu),- Mohrhirse scliii), Hanf, Bohnen,
rothe Bohnen, Bohnen von Hu J5 1m-tu), schwarze Bohnen.
Unter den Bäumen gibt es den Ahorn fang), den Baum
+ Ü^) Thien, 3 den Baum m Tschang, 4 Fichten, den
Baum + ^) Pien, 3 den Kampherbaum (Jtfß nan), Cy-
pressen, Hartriegel, Bambus, Schminkbohnen (jjtfi theng).
Früchte und Arzneipflanzen sind die nämlichen wie in dem
Lande ausserhalb des Stromes (Jciang-piao). Das Klima ist
von der Art desjenigen des Landes im Süden der Berghöhen
(ling-nan).
Man dient gemeiniglich den Göttern der Berge und des
Meeres und opfert ihnen Wein und zubereitete Speisen.
Wenn man in dem Kampfe einen Menschen tödtet, nehmen
sie sogleich den Getödteten und opfern dessen Geiste. Bisweilen
errichtet man an einem blätterreichen Baum ein kleines Dach.
Bisweilen hängt man Todtenköpfe auf einen Baum und schiesst
nach ihnen mit Pfeilen. Bisweilen macht man Steinhaufen und
angebundene Fahnen zu Vorgesetzten des Geistes.
An dem Orte, wo der König sich aufhält, häuft man
Todtenköpfe an dem Fusse der Mauer und hält dieses für etwas
Schönes. Ueber den Thoren und Thüren aller Menschen muss
man die Häupter, Knochen und Hörner der vierfüssigen Thiere
hinlegen. .
1 Japanisch owo-awa ,grosse Hirse 1 . Nach Bretschneider sind die Körner
kleiner als diejenigen der gewöhnlichen Hirse. Es soll Setaria italica sein.
2 Sonst 18 f§ tao-no genannt. In dem Buche der Sui steht dafür
ein sonst nirgends sich vortindendes Zeichen, zusammengesetzt aus
und mit Einschliessung des letzteren durch das erstere.
3 Sonst yfc tsch’ui-lsao-mö ,Baum des Heerdkocliens' genannt.
Der Baum ist unbekannt.
4 Eine Art Kampherbaum.
5 Ein dem Kampherbaum ähnlicher Baum.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
417
Im ersten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (605 n. dir.),
wenn 'fö ff Ho-man ,Meister des Meeres, und Andere im
Frühlinge und im Herbst bei heiterem Himmel und Windstille
nach Osten blickten, schien es zu seltener Zeit, als ob daselbst
Rauch und Nebeldunst wäre. Sie wussten ebenfalls nicht, wie
viele tausend Li weit es war.
Im dritten Jahre desselben Zeitraumes (507 n. Chr.) er-
liess Kaiser Yang an ^ Tschü-kuan, Beruhiger der Flügel
reiter, den Befehl, in das Meer zu schiffen und nach abweichenden
Gewohnheiten zu forschen. Ho-man sagte ihm, was man gesehen.
Tschü-kuan schiffte jetzt mit Ho-man ab, und man gelangte zu
dem Reiche Lieu-khieu. Da sie sich durch Worte nicht verstän
digen konnten, raubten sie einen Menschen und kehrten zurück.
Im nächsten Jahre liess Kaiser Yang wieder an Tschü-
kuan den Befehl ergehen, jenes Reich zu beruhigen. Als Lieu-
kliieu nicht gehorchte, nahm Tschü-kuan Tücher und Panzer
dieses Reiches und machte sich auf die Rückfahrt.
Um diese Zeit erschien an dem Hofe ein Gesandter des
Reiches Wo (Japan). Tschü-kuan besuchte ihn. Der Ge
sandte sprach: Diese Fremdländer werden wohl schon lange
von den Menschen unseres Reiches verwendet.
Der Kaiser entsandte jetzt [ftj| Tsch’in-leng, Anführer
der kriegsmuthigen Leibwächter und ßjg. Tschang-
tsch’in-tseheu, 1 den an dem Hofe bittenden Grossen, mit dem
Aufträge, sich an die Spitze der Kriegsmacht zu stellen, von
f|| I-ngan 2 aus sich auf dem Meere einzuschiffen und
jenes Reich anzugreifen.
Diese Heerführer gelangten zu der Insel ßj W Kao-hoa.
Wieder ostwärts schiffend, gelangten sie in zwei Tagen zu der
Insel 'pj Khiü-pl. 3 Sie schifften noch einen Tag und ge
langten sofort nach Lieu-khieu.
Tsch’in-leng hatte Menschen aus den Reichen der süd
lichen Gegenden mit sich genommen. Unter denen, die sich
Für yij>j tscheu wird anderswo in diesem Namen immer
schrieben.
2 I-ngan ist das heutige Tsch’ao-tsclieu in Kuan-tung.
3 Unter jedes dieser zwei Zeichen ist noch das Classenzeicheu ^jj]
Khiü-pi ist der Name einer Sehildkrötenart.
tscheu ge-
zu setzen.
418
P f i z m a i e r.
dem Kriegsheere anschlossen, befanden sich Menschen von
J|^ Kuen-lün. 1 Dieselben verstanden ziemlich gut die
Sprache von Lieu-khieu. Man entsandte Leute, welche be
ruhigen und bekannt machen sollten. Die Menschen von Lieu-
khieu leisteten nicht Folge. Sie stellten sich dem obrigkeit
lichen Kriegsheer entgegen.
Tsch’in-leng griff sie an und schlug sie in die Flucht. Er
rückte bis zu der Hauptstadt vor, kämpfte fortwährend und
brachte Niederlagen bei. Die Paläste und Häuser verbrennend,
nahm er mehrere tausend Männer und Weiber gefangen. Indem
er hierauf den Kriegsbedarf einschiffte, kehrte er heim. Seit
dem wurde nichts mehr unternommen.
Die folgenden Nachrichten von Tsch’in-leng enthalten
einige Einzelnheiten über die Eroberung von Lieu-khieu.
Tsch’in-leng.
mm Tsch’in-leng, mit dem Jünglingsnamen fjfa
Tschang-wei genannt, stammte aus Siang-ngan in Liü-kiang.
Sein Grossvater fcM Tschö ernährte sich mit Fischfang. Sein
Vater (Ul + JL) Hien, in der Jugend kühn und tapfer, diente
jpf ^ Tschang-ta-pao und war Meldender des Unrechts
( fUj khio-Jcao) von der Abtheilung innerhalb der Zelte.
Als Tschang-ta-pao sich empörte, übergab er Hien das Amt
eines stechenden Vermerkers von fNt Tsiao-tscheu. Nach der
Vernichtung von Tsch’in wurde Hien in dem Hause abgesetzt.
Als ^ im Kao-tschi-hoei, yj Wang-wen-
tsin und Andere Aufruhr erregten, griffen die gewaltigen und
hervorragenden Männer von Kiang-nan und Liü-kiang ebenfalls
zu den Waffen und setzten sich mit einander ins Einvernehmen.
Weil Hien ein ehemaliger Anführer war, stellte man ihn in
Gemeinschaft als Vorgesetzten hin.
Hien wollte ihnen Widerstand leisten. Sein Sohn Leng
sprach zu ihm: Der Aufstand der Menge ist bereits ausge
brochen. Wenn man Widerstand leisten wollte, würde das
1 Kuen-liin ist eine Insel in dem Meere von Cochinchina.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
419
Unglück uns erreichen. Man muss sich verstellter Weise an-
schliessen und gesondert einen Plan für später entwerfen. —
Hien billigte dieses.
Um diese Zeit gelangte das Kriegsheer Li-tsch’e’s,
des das Reich als Pfeiler Stützenden, nach 'jg 4 ^ Tang-thu.
Ilien entsandte heimlich seinen Sohn Leng an den Aufenthalts
ort Li-tsch’e’s und bat, sich im Inneren mit ihm ins Einver-
ständniss setzen zu dürfen. Li-tsch’e meldete die Sache nach
oben. Man ernannte Hien zu einem oberen grossen Heer
führer, einem stechenden Vermerker von *jtf Siuen-tscheu und
setzte ihn in das Lehen eines Fürsten der Landschaft Tsiao.
Die Stadt des Lehens waren tausend Thüren des Volkes.
Eine höchste Verkündung befahl Li-tsch’e, sich mit Hien
ins Einverständniss zu setzen und mit ihm sich zu vereinigen.
Das Kriegsheer Li-tsch’e’s war noch nicht angelangt, als der
Anschlag verrathen wurde. Hien wurde von seinen eigenen
Anhängern getödtet. Tsch’in-leng konnte mit Mühe entkommen.
Der Kaiser ernannte Tsch’in-leng in Rücksicht auf dessen Vater
zum Eröffnenden des Sammelhauses ( |jfj jfij- khai-fu) und liess
ihn zugleich die Krieger des Bezirkes leiten.
Als Kaiser Yang zu seiner Stufe gelangte, verlieh er
Tschin-leng die Stelle eines Heerführers der raschen Reiter.
Im dritten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (607 n. Clir.) er
nannte er ihn zum Anführer der kriegsmuthigen Leibwächter.
Drei Jahre später (610 n. Chr.) liess Tsch’in-leng mit
5i m Tschang-tsch’in-tseheu, dem an dem Hofe bitten
den Grossen, zehntausend Krieger von ||j|r Tung-yang aus-
rücken und schiffte sich von I-ngan aus auf dem Meere ein,
um das Reich Lieu-khieu anzugreifen. In einem Monate war
er daselbst angelangt.
Als die Menschen von Lieu-khieu zum ersten Male die
Schiffe sahen, glaubten sie, es seien reisende Kaufleute. Sie
begaben sich hin und wieder in das Lager und trieben Tausch
handel. Tsch’in-leng erstieg an der Spitze der Heeresmenge
die Uferhöhe, entsandte Tschang-tsch’in-tscheu und liess ihn
das Vordertreffen bilden.
Wi ■/£ Hoan-sse-sö-thse-teu, der Vorgesetzte
jenes Reiches, sandte eine Kriegsmacht aus, welche Wider
stand leistete und kämpfte. Tschang-tsch’in-tscheu griff sie
420
P fizmaier.
fortwährend an und zersprengte sie. Tsch’in-leng rückte bis
zu der Schlucht ^ ^ Ti-mö-than vor. ||j( ^
Hoan-sse-lao-mu, der kleine König jenes Landes, stellte sieh au
der Spitze einer Kriegsmacht entgegen und kämpfte. Tsch’in-leng
griff ihn an und schlug ihn. Er erbeutete das Haupt Lao-mu’s.
An diesem Tage fiel Nebelregen und war Finsterniss.
Den Anführern und Kriegsmännern bangte. Tsch’in-leng
schlachtete ein weisses Pferd und opferte es dem Meergotte.
Als dieses geschehen, heiterte es sich auf.
Er theilte sein Heer fünffach und wandte sich rasch
gegen die Hauptstadt jenes Landes. Hö-thse-teu stellte sich
ihm an der Spitze einer Menge von mehreren Tausenden ent
gegen. Tsch’in-leng entsandte Tschang-tsch’in-tscheu und hiess
ihn wieder das Vordertreffen bilden. Man schlug Hö-thse-teu
in die Flucht.
Tsch’in-leng, den Sieg sich zu Nutzen machend, verfolgte
die Fliehenden bis zu ihrem Pfahlwerk. Hö-thse-teu, den
Rücken durch das Pfahlwerk sich deckend, stellte seine Reihen
in Schlachtordnung. Tsch’in-leng griff ihn mit den gesaminten
ausgelesenen Streitkräften an. Man kämpfte von den Stunden
Tschin (5) bis Wi (8) einen harten Kampf, ohne auszuruhen.
Hö-thse-teu zog sich in Rücksicht auf die Ermattung
seines Heeres hinter das Pfahlwerk zurück. Tsch’in-leng ver
schüttete sogleich den Graben, sprengte im Angriffe das Pfahl
werk und erbeutete das Haupt Hö-thse-teu’s. Er bekam |l)j|
Tao-tsch’ui, den Sohn Hö-thse-teu’s, in seine Gewalt, machte
mehrere tausend Männer und Weiber zu Gefangenen und
kehrte in die Heimath zurück.
Der Kaiser hatte grosses Wohlgefallen. Er beförderte
Tsch’in-leng zu der Rangstufe eines Grossen des glänzenden
Gehaltes zur Rechten und liess ihn Anführer der kriegs-
muthigen Leibwächter wie früher bleiben. Tschang-tsch’in-
tscheu wurde Grosser des glänzenden Gehaltes von dem Gold
purpur. Zur Zeit der Dienstleistung von Liao-tung versetzte
man Tsch’in-leng für die Leibwache des Nachtlagers als Grossen
des glänzenden Gehaltes zur Linken.
Als im nächsten Jahre (613 n. Chr.) der Kaiser noch
mals einen Eroberungszug gegen Liao-tung unternahm, wurde
Tsch’in-leng verbleibender Statthalter von Tung-lai.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
421
In demselben Jahre erregte |Yang-hiuen-han
Aufruhr. Tsch’in-leng stellte sich an die Spitze einer Heeres
menge von zehntausend Menschen und führte einen Angriff
aus. Er beruhigte (^r Li-yang und erbeutete das Haupt
des von Yang-hiuen-han eingesetzten stechenden Vermerkers
7C W $ Yuen-wu-pen.
Indem er plötzlich die höchste Verkündung für das Lager
von Kiang-nan erhielt, gelangte er mit den Kriegsschiffen bis
Peng-tsch’ing. ||| Meng-jang, der Vorderste der Räuber,
besetzte mit einer Heeresmenge von etwa zehnmal zehntausend
Menschen den Palast von Tu-liang und machte den Fluss
Hoai zu einer Schutzwehr. Tsch’in-leng setzte heimlich an
der unteren Strömung über. Nach Kiang-tu gelangt, drang
er an der Spitze seiner Krieger gegen Meng-jang und zer
trümmerte dessen Macht. Man beförderte ihn seiner Dienste
wegen zu der Rangstufe eines Grossen des glänzenden Ge
haltes 1 und verlieh ihm das Lehen eines Lehensfürsten zweiter
Classe von Sin-ngan.
Später begab sich der Kaiser nach Kiang-tu. Plötzlich
setzte sich f f I Li-tse-thung in Hai-ling fest.
Tso-thsai-siang plünderte den Norden des Hoai.
ifc Mt Tu-fö-wei lagerte in ^ Lö-hö. Die Heeresmenge
eines Jeden betrug mehrere Zehntausende. Der Kaiser ent
sandte Tsch’in-leng mit dem Aufträge, sie an der Spitze der
Krieger der Leibwache des Nachtlagers anzugreifen. Tsch’in-
leng bewältigte sie zu Zeiten und machte Beute. Der Kaiser
ernannte ihn mit Ueberspringung zum Heerführer der ver-
theidigenden Leibwache zur Rechten. Tsch’in-leng übersetzte
wieder den Strom Thsing und machte einen Angriff auf
die Räuber von Siuen-tsch’ing.
1 Tsch’in-leng war zuletzt Grosser des glänzenden Gehaltes für die Leib
wache des Nachtlagers gewesen. Er ist es jetzt in Bezug auf die Rang
stufe. Kaiser Yang von Sui hatte Stellen der Grossen des glänzenden
Gehaltes von der ersten bis zur neunten Classe errichtet. Der Grosse
des glänzenden Gehaltes zur Linken gehörte zu der richtigen zweiten
Classe. Derjenige zur Rechten gehörte zu der nachfolgenden zweiten
Classe. Der Grosse des glänzenden Gehaltes von dem Goldpurpur ge
hörte zu der richtigen dritten Classe. Hier wird der für die Classe be
stimmte Name nicht genannt.
Sitzuagsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 27
422
Pfizmaier.
Unvermuthet wurde der Kaiser getödtet.
Yü-wen-hoa-khi führte das Kriegsheer nach Norden und ent
floh. Der Kaiser (Kaiser Kung) berief Tsch’in-leng zu sich
und liess ihn Kiang-tu bewachen. Tsch’in-leng sammelte die
Heeresmenge und liess sie in weissen Kleidern die Trauer um
den Kaiser Yang begehen. Er stellte eine Leibwache des
Verfahrens auf und besorgte die neue Bestattung an dem Fusse
der Erdstufe des Fürsten von U. Er begleitete den Zug mit
einem Trauerstahe und wandelte schmerzerfüllt des Weges.
Die Erörternden gaben ihm von Grund der Seele Recht.
Tsch’in-leng wurde später durch Li-tse-thung ins Ver
derben gestürzt und floh zu Tu-fö-wei. Dieser hatte gegen
ihn Abneigung. Unverhofft wurde Tsch’in-leng gemordet.
Das Reich Wo.
Das Reich ^ Wo liegt südöstlich von Pe-thsi und Sin-lo.
Es dehnt sich zu Wasser und zu Lande auf einer Strecke von
dreitausend Li in dem grossen Meere. Das Volk wohnt auf
Inseln. Zu den Zeiten der Wei verkehrt es durch Dolmetscher
mit dem mittleren Reiche. Seine dreissig Reiche nennen sich
Königreiche.
Die östlichen Fremdländer kennen nicht die Zahl der
Li, sie rechnen bloss nach Tagen. Was die Gränzen dieses
Reiches betrifft, so sind von Osten nach Westen fünf Monate
Weges, von Süden nach Norden drei Monate Weges. Ueberall
gelangt man zu dem Meere. Was die Eigenheit des Landes
betrifft, so ist es im Osten hoch, im Westen niedrig.
Die Hauptstadt ist J||| Je-mi-tui. 1 Es ist das
selbe, was in den Denkwürdigkeiten von Wei durch M ii
Je-ma-thai bezeichnet wird. Man sagte ehemals, es sei
von der Gränze der Landschaft Yö-yang und der umliegen
den Landschaften gleichmässig zwölftausend Li entfernt und
liege im Osten von Kuei-ki, nahe bei « + m ff Tan-ni. 2
1 Das Reich Jamato.
2 Tan-ni ist. das heutige Tan-tscheu, Kreis Khiung-tscheu auf der Insel
Hai-nan.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
423
Zu den Zeiten des Kaisers Kuang-wu von Han (25—57
n. Chr.) schickte das Reich an den Hof einen Gesandten.
Dieser nannte sich einen Grossen des Reiches.
Zu den Zeiten des Kaisers Ngan (107—125 n. Chr.)
schickte es wieder einen Gesandten an den Hof mit Tribut.
Man nannte es Reich li M Wo-nu.
Zu den Zeiten der Kaiser Hoan und Ling (145—-189
n. Chr.) gerieth dieses Reich in grosse Verwirrung. Man griff
abwechselnd einander an, und es hatte Jahre hindurch keinen
Vorgesetzten. Ein Mädchen, Namens fjy Ü Pf Pi-mi-hu, 1
vermochte es, durch den Dämonenweg die Menge zu berücken.
Die Menschen des Reiches erhoben sie hierauf in Gemein
schaft zur Königin. 2 Dieselbe hatte einen jüngeren Bruder
der ihr das Reich einfichten half.
Der König dieses Reiches besitzt tausend aufwartende
Mägde, die er selten von Angesicht sieht. Bloss zwei junge
Männer reichen dem Könige Speise und Trank, verkehren
mit ihm und tragen seine Worte weiter.
Der König hat Paläste, Häuser, Söller, Thorwarten, Festen
und Verschanzungen, welche sämmtlich mit Bewaffneten und
Leibwachen versehen sind. Man hält sehr strenge Ordnung.
Seit den Zeiten der Wei bis zu den Zeitaltern der Thsi und Liang
(221—556 n. Chr.) verkehrte man mit dem mittleren Reiche.
Im zwanzigsten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (600
n. Chr.) schickte der König von Wo, 3 mit dem Geschlechts-
namen O-mei, 4 mit dem Jünglingnamen m
■Wj MI Ta-li-sse-pe-hu, 5 mit dem Ehrennamen |JfjJ" ^ j|||
O-pei-khi-mi 6 genannt, einen Gesandten, der sich zu der Thor
warte begab. Der Kaiser hiess den Vorstehenden nach den
Sitten und Gewohnheiten jenes Reiches fragen. Der Gesandte
sprach: Der König von Wo hat den Himmel zu seinem älteren
Bruder, die Sonne zu seinem jüngeren Bruder. Zur Zeit, wo
1 Finae-mi-ko ,Kaisertochter*.
2 Es war die Kaiserin Zin-gu.
3 Es war die Kaiserin Sui-ko.
4 Wohl die Abkürzung von ama-tsu fi-isugi ,Sonnennachfolge des Himmels*.
Der Name wurde nicht aufgefunden. Der zu vermeidende Name der
Kaiserin Sui-ko ist Tojo-mi-ke-kasiki-ja fime-mikoto.
Vielleicht ama-gimi. Das Wort bezeichnet jedoch heutzutage eine Nonne.
27*
424
Pfizmaier.
der Himmel noch nicht hell ist, tritt er in das Gerichtshaus
und setzt sich feierlich nieder. Wenn die Sonne aufgeht, bleibt
er stehen, ordnet sein Bestreben und sagt: Mau lässt meinen
jüngeren Bruder herab. — Kaiser Ivao-tsu sprach: Dieses ist
grosse Unstatthaftigkeit. — Hierauf belehrte er den Gesandten
und hiess ihn die Worte verbessern.
Der Ehrenname der Gemahlin des Königs ist ||| jj||
Khi-mi. 1 In dem rückwärtigen Theile des Palastes befinden
sich sechs bis siebenhundert Mädchen. Dem grossen Sohne
gibt man den Namen *1 #:« £ 36 *) Li-ko-mi-to-fe-ki. 2
Es gibt zwölferlei
Die Festen haben keine Vorwerke,
innere Aemter. Dieselben sind:
Ta-te ,die grosse Tugend'.
y»J> Siao-te ,die kleine Tugend“.
* Ta-jin ,die grosse Menschlichkeit“.
* Siao-jin ,die kleine Menschlichkeit“.
|j|| Ta-i ,die grosse Gerechtigkeit“.
|Ü| Siao-i ,die kleine Gerechtigkeit“.
Ta-K ,die grossen Gebräuche“.
/J> äj|| Siao-li ,die kleinen Gebräuche“.
^ Ta-tschi ,die grosse Kenntniss“.
/j\ ^ Siao-tschi ,die kleine Kenntniss“.
Ta-sin ,die grosse Aufrichtigkeit“.
/J-* -j=§ Siao-sin ,die kleine Aufrichtigkeit“.
Die Inhaber dieser Aemter sind von keiner bestimmten Zahl.
Es gibt einhundert zwanzig Kiün-ni. 3 Dieselben
entsprechen den Landpflegern und Vorgesetzten () des
mittleren Reiches.
Ueber achtzig Thiiren des Volkes ist ein p & s
I-ni-yi 4 gesetzt. Dieselben sind gleich den heutigen Aeltesten
des Dorfes. Zehn I-ni-yl gehören zu einem Kiün-ni.
* Kimi ,Gebieter, Gebieterin*.
2 Dieses Wort wurde weder als allgemeiner, noch als Eigenname aufge
funden. Der zu vermeidende Name des Nachfolgers der Kaiserin Sui-ko
ist Ki-naga-tari-fi-firo-nuka mikoto.
s Die Abkürzung von ktmi-no kamt ,Statthalter des Reiches“.
4 Das zu Grunde liegende japanische Wort ist durchaus unbestimmbar.
Die fremdländische!! Beiche za den Zeiten der Sui.
425
Was die Kleidung betrifft, so tragen die Männer Röcke
und Hemden. Die Aermel sind unscheinbar und klein. Die
Schuhe sind gleich Schuhen mit einfachem Boden. Man firnisst
den Obertheil und bindet die Schuhe an die Beine. Die ge
wöhnlichen Menschen gehen häufig barfuss.
Man darf kein Gold und Silber zur Zierde verwenden.
In der alten Zeit kleidete man sich in schräge Breiten Lein
wand. Dieselben waren geknüpft und übereinander geschlagen,
hatten aber keine Naht.
Auf dem Haupte trägt man ebenfalls keine Mütze. Man
lässt nur das Haupthaar über beide Ohren herabhängen. Zu
den Zeiten der Sui liess der König zum ersten Male Mützen
zuschneiden. Man verfertigte sie aus Brocat und buntem Stick
werk, verzierte sie mit goldenen und silbernen geschnitzten
Blumen.
Die Frauen binden das Haupthaar rückwärts. Sie kleiden
sich ebenfalls in Röcke und Hemden. Die Hnterröcke haben
Säume. Feinen Bambus macht man zu Kämmen. Geheftete
Gräser macht man zu Matten. Vermischte Häute macht man
zu Beuteln. Zu den Säumen verwendet man gestreifte Häute.
Man hat Bogen, Pfeile, Schwerter, Lanzen, Armbrüste,
Hakenlanzen und Aexte. Gefirnisste Häute macht man zu
Panzern. Knochen macht man zu Pfeilspitzen. Obgleich es
Waffen gibt, kennt man keine Eroberungszüge und Kämpfe.
Wenn der König sich zu der Versammlung an dem Hofe
begibt, muss man den Stab des Verfahrens aufstellen und die
Musik des Reiches aufführen.
Die Thüren des Volkes mögen zehnmal zehntausend sein.
Die Mörder, Räuber und Eindringlinge pflegt man mit
dem Tode zu bestrafen. Bei Dieben berechnet man die zu
ersetzenden Sachen. Wer keine Güter hat, wird eingezogen
und zum Sclaven gemacht. Auf die übrigen Verbrechen steht
je nach der Leichte oder Schwere die Verbannung oder der
Stock.
Wenn man bei Streitigkeiten in Rechtssachen untersucht,
drückt man dem Unnachgiebigen mit einem Holze das Knie.
Bisweilen spannt man einen starken Bogen und sägt ihm mit
der Sehne den Hals an. Bisweilen legt man kleine Steine in
siedendes Wasser und heisst denjenigen, der etwas bestreitet,
426
Pfi zmaier.
sie heraussuchen. Man sagt, wenn er Unrecht hat, verbrennt
er sich sogleich die Hand. Bisweilen legt man eine Schlange
in einen Krug und heisst ihn sie nehmen. Man sagt, wenn er
Unrecht hat, heisst sie ihn sogleich in die Hand.
Die Menschen sind ziemlich friedfertig und ruhig. Sie
führen selten Streit. Es gibt wenige Diebe und Räuber.
Für die Musik bedient man sich der Harfen mit fünf
Saiten und der Flöten.
Männer und Frauen brandmarken häufig die Arme mit
Tinte, betupfen das Angesicht und bemalen den Leib. Sie
tauchen in das Wasser und fangen Fische.
Man hat keine Schriftzeichen. Man schneidet blos in
Bäume und knüpft Schnüre. Man ehrt die Vorschrift Buddha’».
Erst seit man von Pe-thsi die heiligen Bücher Buddha’s be
gehrte und erhielt, hat man Schriftzeichen.
Man kennt das Brennen der Schildkrötenschale und das
Ziehen der Wahrsagerpflanze. Man hat überaus grosses Ver
trauen zu Beschwörern.
So oft der erste Tag des ersten Monats kommt, muss
man sich mit Pfeilschiessen belustigen und Wein trinken. Die
übrigen Festtage hat man im Ganzen mit dom blumigen Reiche
gemein.
Man liebt das Brettspiel, die Versperrung (||g 5||) und
das Würfelspiel.
Die Luft ist mild und warm. Pflanzen und Bäume sind
im Winter grün, der Boden ist fruchtbar. Wasser ist viel,
festes Land w r enig.
Man hängt kleine Ringe an den Hals des Wasserraben,
heisst ihn in das Wasser tauchen und Fische fangen. Man
erlangt in einem Tage über hundert Fische.
Man hat gemeiniglich keine Teller und Schüsseln. Man
trägt die Speisen auf Steineichenblättern auf und verzehrt sie
mit den Händen.
Die Menschen sind von Gemüthsart gediegen und gerade.
Sie haben gefällige Sitten. Die Frauen sind viele, die Männer
wenige.
Bei Heirathen nimmt man nicht diejenigen, welche den
nämlichen Geschlechtsnamen führen. Wenn Männer und Frauen
an einander Gefallen finden, heirathen sie sofort. Wenn die
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
427
Frau in das Haus des Mannes tritt, muss sie früher über einen
Hund schreiten. Dann erst kommt sie mit dem Manne von
Angesicht zusammen. Die Frauen sind nicht unsittlich und
eifern nicht.
Die Todten hebt man in Särge. Die Verwandten und
Gäste treten zu dem Leichnam, singen und tanzen. Gattin,
Kinder und Brüder schneiden Kleider aus weissem Tuche zu.
Die Vornehmen werden durch drei Jahre auswärts aufgebahrt.
Bei gemeinen Menschen wahrsagt man den Tag für das Be-
gräbniss. Wenn man sie begräbt, legt man den Leichnam in
einen Kahn und zieht diesen auf trockenem Boden fort. Bis
weilen bedient man sich einer kleinen Sänfte.
In diesem Reiche liegt der Berg W iS O-su. 1 Es ist
der Berg, von dessen Steinen ohne Ursache Feuer aufsteigt
und sich an den Himmel legt. Man pflegt dieses für eine
Seltsamkeit zu halten. Desswegen geht man hin, betet und
opfert.
Man hat kostbare Perlen des Rosenkranzes. Dieselben
sind von Farbe grün und so gross wie Hühnereier. In der
Nacht leuchten sie. Man sagt, es seien Krystalle der Fisch
augen.
Sin-lo und Pe-thsi halten Wo für ein grosses Reich,
welches viele Seltenheiten enthält. Beide ehren es und blicken
zu ihm empor. Sie verkehren beständig durch Gesandte,
welche gehen und kommen.
Im dritten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (607 n. Chr.)
schickte Ta-li-sse-hu, 2 der König jenes Reiches, einen Gesandten
an den Hof mit Tribut. Der Gesandte sprach: Man hörte,
dass der P’u-sä im Westen des Meeres, der Himmelssohn
mächtig die Vorschrift Buddha’s hebt. Desswegen schickt man
mit dem Aufträge, an dem Hofe zu erscheinen und sich zu
verbeugen. Zugleich kommen mehrere Zehende von Bonzen,
um die Vorschrift Buddha’s zu lernen.
Der Brief jenes Reiches lautete: Der Himmelssohn des
Ortes, an welchem die Sonne aufgeht, schickt ein Schreiben
1 Der Vulkan A-so in dem Reiche Fi-go, Kreis A-so. Es befindet sich
daselbst ein Tempel.
: Die früher genannte Kaiserin Sui-ko.
428
Pfizmaier.
an den Himmelssohn des Ortes, an welchem die Sonne unter
geht. Befindet ihr euch wohl? u. s. w.
Der Kaiser sah das Schreiben und fand daran keinen
Gefallen. Er sagte zu dem Vorgesetzten der Gäste: Wenn
in den Schreiben der Barbaren Unhöflichkeiten Vorkommen,
so gebe man nicht wieder Gehör.
Im nächsten Jahre schickte der Kaiser den das Amt eines
Leibwächters des Schriftwaldes bekleidenden |>h *^| Fei-thsing
als Gesandten in das Reich Wo. Dieser Gesandte setzte nach
Pe-thsi über und gelangte auf seiner Reise zu der Bambus
insel. 1 Im Süden das Reich flfc li Tan-wei vor Augen
habend, kam er an dem Reiche «mm Tu-sse-ma 2 vor
über und befand sich im Herumkehren in dem grossen
Meere. Er gelangte ferner im Osten zu dem Reiche —•
Yi-tsch’i. 3 Er gelangte ferner zu dem Reiche ft ff Tschö-sse. 4
Er gelangte ferner zu dem Reiche des Königs von ^
Thsin. 5 Die Menschen desselben sind die nämlichen wie in dem
blumigen Reiche. Man hält das Reich für I-tscheu.
Der Zweifel konnte nicht aufgeklärt werden.
Ferner kam er an zehn Reichen vorüber und berührte die
Uferbänke des Meeres. Von dem Reiche Tschö-sse (Tsuku-si)
östlich gehörte alles zu Wo und wurde von diesem verwendet.
Der König von Wo schickte m » s O-pei-thai, den
Angestellten der kleinen Tugend. 0 Derselbe, von mehreren
hundert Menschen begleitet, stellte den Stab des Verfahrens
auf, Hess Trommeln und Hörner ertönen und zog entgegen.
Zehn Tage später schickte der König wieder ^ (flj^ Ko-
to-pi, den Angestellten der grossen Gebräuche. 7 Derselbe, von
zweihundert Reitern begleitet, bewillkommnete den Gesandten
ausserhalb der Stadt.
1 Eine Insel an der Südküste von Corea.
2 Das aus der Insel Tsusi-ma bestehende Reich.
3 Das aus der Insel I-ki bestehende Reich.
4 Das zu dem Wege des westlichen Meeres gehörende Tsuku-si, auch Kiu-
siü ,die neun Landstriche 1 genannt.
5 Mutliinasslieh Reich uud Insel O-ki.
6 Das oben verzeichnete Amt Siao-te ,kleine Tugend“.
7 Das oben verzeichnete Amt Ta-li ,die grossen Gebräuche“.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
429
Als man in der Hauptstadt jenes Reiches angekommen
war, traf der König mit Fei-thsing von Angesicht zusammen.
Er hatte grosses Wohlgefallen und sprach: Ich hörte, dass im
Westen des Meeres das grosse Sui, ein Reich der Gebräuche
und der Gerechtigkeit, sich befindet. Desswegen schickte ich
einen Gesandten an den Hof mit Tribut. Ich bin ein fremd
ländischer Mensch, ich befinde mich seitwärts in einem Winkel
des Meeres, ich hörte nichts von Gebräuchen und von Gerechtig
keit. Aus diesem Grunde verweilte ich innerhalb der Gränzen,
kam nicht sofort zum Besuche. Jetzt schmückte ich auf den
reinen alten Wegen die Wohngebäude und wartete auf den
grossen Gesandten. Ich hoffe zu hören, dass das grosse Reich
die neu erfolgten Umgestaltungen bedenkt.
Fei-thsing antwortete: Die Tugend des erhabenen Kaisers
gesellt sich zu dem zweifachen Verfahren, strömt wohlthätig
zu den vier Meeren. In Betracht, dass der König den Um
gestaltungen zugethan ist, schickte er mich, den wandernden
Menschen, hiess mich hierher kommen und alles verkünden.
Hierauf führte man Fei-thsing in sein Wohngebäude.
Später schickte Fei-thsing Leute und liess dem Könige sagen:
Der Befehl des Hofes ist bereits vollzogen. Ich bitte, für den
Weg Vorbereitungen treffen zu dürfen.
Indem man jetzt ein Fest veranstaltete und Fei-thsing
heimschickte, liess man nach ihm wieder einen Gesandten an
dem Hofe erscheinen und als Tribut Sachen der Gegenden
bringen. Nach dieser Zeit war der Verkehr unterbrochen.
Bas Reich Lin-yi.
Der Ahnherr von ^ Lin-yi ist Tse-khiü-
lien, verdienstvoller Richter von ^ 1^ Nei-hien ,Kreis des
Inneren'. Derselbe tödtete aus Anlass des gegen das Ende der
Han durch |^ jjjl] Tsching-tsi, ein Mädchen von Kiao-tschi,
erregten Aufruhrs den Befehlshaber des Kreises und nannte sich
König. Da Tse-khiü-lien keinen Sohn hatte, folgte ihm dessen
Neffe ^ j|j^ Fan-hiung. Nach dem Tode Fan-hiung’s wurde
dessen Sohn Yi zum Könige eingesetzt.
430
Pfizmaier.
3C F an - we Hj ein Mensch von Je-nan, trat aus Anlass
von Aufruhr als Knecht und kleiner Diener in die Dienste Yi’s.
In Folge dessen lehrte er Yi Paläste und Häuser bauen und
Werkzeuge und Waffen verfertigen. Yi schenkte ihm grosses
Vertrauen und liess ihn die bewaffnete Macht befehligen. Fan-
wen gewann in hohem Masse die Herzen der Menge. Er brachte
es dadurch zu Wege, dass er die Söhne und jüngeren Brüder
Yi’s ausschloss, von denen Einige entflohen, Andere weiter ver
setzt wurden. Nach dem Tode Yi’s war das Reich ohne Nach
folger, und Fan-wen bewerkstelligte seine eigene Einsetzung
zum Könige.
Später wurde -jijj; Fan-fö, einer der nachfolgenden
Könige, durch Tai-hoan, in Diensten von Tsin, die Macht
ausbreitenden Heerführer, geschlagen. Than-ho-tschi,
in Diensten von Sung stechender Vermerker von Kiao-tscheu,
griff ihn wieder an der Spitze einer Kriegsmacht an lind drang
weit über die Gränzen des Landes. Zu den Zeiten der Liang
und Tschin verkehrte man ebenfalls durch Gesandte, welche
gingen und kamen.
Dieses Reich dehnt sich über eine Strecke von mehreren
tausend Li. Der Boden enthält viele gewürzhafte Bäume, Gold
und Kostbarkeiten. Die Erzeugnisse sind im Allgemeinen mit
denen von Kiao-tschi gleich.
Man erbaut Festen aus Ziegeln und bestreicht die Mauern
mit Muschelkalk. Die nach Osten gekehrten Thüren sind die
geehrten.
Es gibt zwei Aemter. Das eine heisst m m .$? f
Si-na-p’o-ti. Das andere heisst ||| Sä-p’o-ti-ko. Die
zugetheilten Aemter sind drei. Sie heissen:
jfo Lün-to-sing.
IfjC ^ *rjj‘ Ko-lün-tschi-ti.
Zj # ij Yl-tha-kia-lan.
Die äusseren Aemter zerfallen in zweihundert Abtheilungen.
Die älteste Obrigkeit heisst i||j ||| Fe-lo. Die nächste heisst
15J* jpjjg Kho-lün. Es besteht ein Unterschied wie hei mö
,Landpfleger' und Tsai ,Vorgesetzter'.
Der König trägt auf dem Haupte eine Mütze mit goldenen
Blumen. Dieselbe ist von Gestalt gleich der Mütze j|f;
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
431
Tschang-fu. 1 Er kleidet sieh in Tuch des Morgeunebels und
schmückt sich mit Halsbändern von länglichen Perlen. An den
Füssen trägt er Schuhe von gefärbtem Leder.
Um die Zeit hat man wieder brocatene Mäntel. Die aus
guten Häusern stammenden Söhne, welche bei der Leibwache
dienen, sind zweihundert. Sie halten in den Händen mit Gold
verzierte Schwerter.
Man hat Bogen, Pfeile, Schwerter und Lanzen. Aus
Bambus verfertigt man Armbrüste und streicht Gift auf die
Pfeile.
Die Musikwerkzeuge sind Harfen, Flöten und Lauten mit
fünf Saiten. Sie sind ziemlich mit denjenigen des mittleren
Reiches gleich. Man schlägt immer die Trommeln und er
muntert dadurch die Pleeresmenge. Man bläst Muscheln und
tritt dadurch unter Waffen.
Die Menschen des Landes haben tiefliegende Augen und
hohe Nasen. Ihr Plaupthaar ist gekraust, ihre Farbe schwarz.
Sie gehen gemeiniglich barfuss und umwickeln den Leib mit
einer Breite Tuches. In den Monaten des Winters kleiden sie
sich in Mäntel. Die Frauen tragen Haarschöpfe gleich Mörser
keulen. Sie gebrauchen Cocosblätter als Teppiche.
Bei Heirathen heisst man den Vermittler mit goldenen
und silbernen Armbändern, zwei Töpfen Wein und einigen
Fischen in das Haus des Mädchens gehen. Hierauf wählt man
den Tag. In dem Hause des Mannes' versammelt man die Ver
wandten und Gäste. Man singt und tanzt einander gegenüber.
In dem Hause des Mädchens bittet man einen Pho-lo-men
,Braminen', das Mädchen in das Haus des Mannes zu begleiten.
Der Bräutigam wäscht die Hände in einem Becken. Dabei
führt man das Mädchen hin und übergibt es.
Wenn der König stirbt, erfolgt nach sieben Tagen die
Bestattung. Bei Inhabern von Aemtern geschieht dieses nach
drei Tagen, bei gemeinen Menschen nach einem Tage. Man
hüllt den Leichnam in einen Umschlag und geht unter Trommel
tönen und Tanz voran oder folgt nach. Wenn die Sänfte zu
der Haltstelle des Wassers gelangt, sammelt man Brennholz
und verbrennt den Leichnam. Man fasst die übriggebliebenen
1 Die Mütze Tsehang-tü ist eine Mütze des Zeitalters der Yin.
432
Pfizmaier.
Gebeine zusammen. Diejenigen des Königs verschliesst man
in einen goldenen Krug und versenkt diesen in das Meer. Die
jenigen der Inhaber von Aemtern versenkt man in einem kupfer
nen Kruge in das Meer. Diejenigen der gemeinen Menschen
schafft man in einem irdenen Gefässe in den Strom.
Männer und Frauen haben das Haupthaar geschoren und
folgen dem Trauerzuge bis zu der Haltstelle des Wassers. Nach
dem sie vollständig Trauer gezeigt, halten sie inne. Wenn sie
heimkehren, wehklagen sie nicht. Jeden siebenten Tag brennen
sie Weihrauch, streuen Blumen und wehklagen nochmals. Nach
dem sie vollständig Trauer gezeigt, halten sie inne. Nach sieben
mal sieben Tagen hat es ein Ende. Nach hundert Tagen ist
es durch drei Jahre ebenfalls so.
Die Menschen dieses Landes verehren Buddha. Ihre Schrift
zeichen sind mit denjenigen von Thien-tschö (Indien) 'gleich.
Nachdem Kaiser Kao-tsu von Sui den Frieden in dem
Reiche der Tsch’in wieder hergestellt hatte, schickte das Reich
Lin-yi einen Gesandten, der die Sachen der Gegend zum Ge
schenke machte. Später war das Erscheinen an dem Hofe mit
Tribut alsbald unterbrochen. Um diese Zeit gab es in der Welt
nichts zu thun. Sämmtliche Diener sprachen von Lin-yi, welches
viele wunderbare Kostbarkeiten besitze.
Gegen das Ende des Zeitraumes Jin-scheu (604 n. Chr.)
entsandte der Kaiser den grossen Heerführer ^jj Lieu-
fang als allgemeinen Leitenden des auf den Wegen von j|||
Kuan-tscheu einherziehenden Kriegsheeres mit dem Aufträge,
zehntausend Fussgänger und Reiter ^ jg Ning-tschang-
tsch’in’s, stechenden Vermerkers von ^ Khin-tscheu, i?j5 (jjf^
Li-yün’s, stechenden Vermerkers von j||| Kuan-tscheu, und
f-ps; Thsin-hiung’s, Eröffnenden des Sammelhauses, sowie
einige tausend Verbrecher zu befehligen und Lin-yi anzugreifen.
^ ^ Fan-tschi, König von Lin-yi, stellte sich an die
Spitze seiner Scharen, bestieg einen grossen Elephanten und
kämpfte. Das Kriegsheer Lieu-fang’s richtete nichts aus.
Lieu-fang grub viele kleine Gruben, bedeckte sie oben
mit Pflanzen und forderte mit der Streitmacht den Gegner
heraus. Fan-tschi stellte seine gesammte Menge in Schlacht
ordnung. In dem Kampfe ergriff Lieu-fang zum Scheine die
Flucht. Fan-tschi verfolgte ihn. Als er zu der Stelle der
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
433
Gruben gelangte, stürzten viele seiner Leute hinein und ver
breiteten Schrecken und Entsetzen. Sein Kriegsheer gerieth
hierauf in Verwirrung. Lieu-fang gestattete seinen Kriegern
anzugreifen und sprengte die Gegner vollständig auseinander.
Unter unaufhörlichen Kämpfen wurden diese ohne Weiteres
geschlagen. Sie verliessen hierauf die Feste und entflohen.
Lieu-fang drang in die Hauptstadt und erbeutete achtzehn
Vorgesetzte des Ahnentempels. Diese waren von gegossenem
Golde. Es gab nämlich achtzehn Geschlechtsalter des Reiches.
Lieu-fang musterte das Heer. Lieu-tschi kehrte in sein
früheres Land zurück. Er schickte einen Gesandten und ent
schuldigte sich wegen seines Verbrechens. Das Erscheinen
an dem Hofe mit Tribut ward in Folge dessen nicht unter
brochen.
Das Reich TschT-thu.
Das Reich -J- Tsch’I-thu ,die rothe Erde' gehört
einem besonderen Menschenstamme von Fu-nan und
liegt in dem südlichen Meere. Wenn man zu Wasser hundert
Tage reist, gelangt man zu seiner Hauptstadt. Die Farbe
seines Bodens ist häufig roth. Desswegen gab man ihm den
Namen.
Es gränzt im Osten an das Reich m $) P’o-lo-thse,
im Westen an das Reich jfe ||| Jgji P’o-lo-scha, im Süden
an das Reich gfij ||| Ho-lo-tan, im Norden an das grosse
Meer. Das Land hat mehrere tausend Li im Umfange.
Der Geschlechtsname des Königs ist Geschlecht Jj^| 4I§‘
Kiü-yün, sein Name ist ^|| ^ |j|5 Li-fu-to-sai. Man weiss
nicht, ob der Besitz des Reiches aus naher oder ferner Zeit
sich schreibt. Man gibt an, sein Vater habe der Königswürde
entsagt, sei ein Mönch geworden und habe die Würde auf
Li-fu-to-sai vererbt. Dieser befinde sich sechzehn Jahre auf
seiner Stufe.
Der König hat drei Gemahlinnen. Dieselben sind Töchter
der Könige der Nachbarreiche. Er bewohnt die Feste ft j®
Seng-tschi. Dieselbe besitzt dreifache Thore, welche je hundert
Schritte von einander entfernt sind. Auf jedes Thor sind Bilder
434
Pfizmaier.
von fliegenden Unsterblichen, unsterblichen Menschen und all
gemein helfenden Gottheiten (p’u-sa) gemalt. Man hängt Glöck
chen der goldenen Blumen daran.
Mehrere Zehende vorzüglicher Frauen und Mädchen führen
entweder Musik auf oder bieten goldene Blumen. Man schmückt
ferner vier Frauen, so dass ihre Gestalten nach Art der zur
Seite der Tempel Buddha’s befindlichen diamantenen starken
Kriegsmänner aufgeputzt sind. Sie stehen da, indem sie das
Thor einschliessen. Diejenigen ausserhalb des Thores halten
in den Händen Waffen. Diejenigen innerhalb des Thores
halten in den Händen weisse Wedel. Sie schliessen den Weg
ein und lassen ungefärbte Netze und zusammengenähte Blumen
herabhängen.
Sämmtliche Dächer des Palastes des Königs sind mehr-
fache Söller. Er sitzt an der nördlichen Thiire mit dem An
gesicht nach Norden gekehrt. Er sitzt auf einem dreifachen
Ruhesitze, ist in Tuch des Morgennebels gekleidet und trägt
auf dem Haupte eine Mütze mit goldenen Blumen. Er lässt
Halsbänder aus vermischten Kostbarkeiten herabhängen. Vier
Mädchen warten stehend zur Linken und Rechten auf. Die
bewaffnete Leibwache bilden hundert Menschen.
Hinter dem Ruhesitze des Königs errichtet man ein höl
zernes Gemach,' wobei man Gold, Silber und die fünf Arten
der wohlriechenden Hölzer mengt. Hinter das Gemach hängt
man eine goldene Leuchte, welche den Ruhesitz einsehliesst.
Fenier stellt man zwei goldene Spiegel. Vor den Spiegeln
stellt man goldene Krüge in Reihen. Vor jedem Kruge be
findet sich ein goldenes Rauchfass. An die Vorderseite stellt
man ein goldenes liegendes Rind. Vor das Rind stellt man
einen kostbaren Traghimmel. Zur Linken und Rechten des
Traghimmels befinden sich überall kostbare Windfacher. Mehrere
hundert Braminen (p’o-lo-men) gehen im Osten wiederholt um
her und setzen sich einander gegenüber.
Die Obrigkeiten sind:
Ein jH| Sä-tho-kia-lo.
Zwei [££ Tho-na-thä-ts.eh’a.
Kan .ein Gemacli an dem Fnsse eines buddhistischen Tempels*.
Die fremdländischen Keiclie zu den Zeiten der Sui.
435
Drei M M W Kia-li-mi-lda. Die Inhaber dieser
drei Aemter befassen sich mit den Sachen der Lenkung.
Ein '||L H§ 3^ ^ Kiü-lo-mö-ti. Derselbe befasst sich
mit Strafgesetzen.
In jeder Feste sind eingesetzt:
Ein 0$ 05 jJlP Na-ye-kia.
Zehn *jjj* Pö-ti.
Was die Gewohnheiten betrifft, so durchbohrt man die
Ohren und scheert das Haupthaar. Man hat nicht die Ge
bräuche des Niederknieens und der Verbeugung. Man bestreicht
den Leib mit wohlriechendem Oele. Man pflegt Buddha zu
verehren und schätzt die Braminen überaus hoch.
Die Frauen bilden die Haarschöpfe am Nacken. Männer
und Frauen tragen durchgängig Kleider aus Tuch des Morgen
nebels und der Morgenwolken von gemischter Farbe. In den
Häusern der hervorragenden Männer und der Reichen stellt
man willkürlich Pracht und Verschwendung zur Schau. Bloss
von goldenen Ketten darf man keinen Gebrauch machen, ausser
wenn der König sie schenkt.
Bei allen Heirathen wählt man einen glücklichen Tag.
In dem Hause des Mädchens führt man fünf Tage früher
Musik auf und trinkt Wein. Der Vater fasst das Mädchen
bei der Hand und übergibt es dem Bräutigam. Nach sieben
Tagen gesellt er es zu ihm. Nachdem die Vermählung statt
gefunden, theilt man die Güter und wohnt gesondert. Bloss
die jungen Söhne wohnen gemeinschaftlich mit dem Vater.
Wenn Vater, Mutter oder Brüder sterben, scheert man
das Haupthaar und kleidet sich in Weiss. Man begibt sich
an ein Wasser und legt aus Bambus und Holz einen Schrein
zusammen. Man schichtet in dem Schreine Brennholz und legt
den Leichnam darüber. Indem man Weihrauch brennt, Fahnen
aufpflanzt, die Muscheln bläst und die Trommel rührt, gibt
man das Geleite. Man legt Feuer an, verbrennt das Holz und
lässt dann den Leichnam in das Wasser fallen. Bei Vornehmen
und Geringen ist alles dasselbe. Bloss bei dem Könige des
Reiches fasst man nach der Verbrennung die Asche zusammen,
legt sie in einen goldenen Krug und verwahrt diesen unter
dem Dache des Ahnentempels.
436
Pfizm ai er.
Winter und Sommer sind beständig warm. Regen ist
viel, Aufheiterung wenig. Man pflanzt und säet zu unbe
stimmten Zeiten. Der Boden eignet sich für Reis, Buchweizen,
schwarze Bohnen und schwarzen Hanf. Die übrigen Erzeug
nisse sind häufig dieselben wie in Kiao-tschi.
Man bereitet aus Zuckerrohr Wein. Man mengt diesen
mit Wein aus Wurzeln der purpurnen Melone. Seine Farbe
ist gelb und roth. Sein Geschmack ist ebenfalls gewürzhaft
und angenehm. Man gibt auch der Cocosmilch den Namen Wein.
Als Kaiser Yang zu seiner Stufe gelangte, erliess er Auf
forderungen an diejenigen, welche im Stande sein mochten,
mit den abgetrennten Gränzgegenden zu verkehren. Im dritten
Jahre des Zeitraumes Ta-nie (607 n. Chr.) baten Tsch’ang-
tsiün, der den Sachen Vorgesetzte von den Lagerfeldern,
m iE Wang-kiün-tsching, der den Sachen Vorgesetzte von
der Abtheilung der Vorkehrung, () und Andere, als
Gesandte nach Tsch’i-thu geschickt zu werden.
Der Kaiser hatte grosses Wohlgefallen. Er schenkte
Tsch’ang-tsiün und den Anderen je hundert Stücke Taffet, ein
Doppelkleid der Jahreszeit und schickte fünftausend Werth
gegenstände als ein Geschenk für den König von Tsch’i-thu.
Im zehnten Monate dieses Jahres fuhren Tsch’ang-tsiün
und die Anderen von der Landschaft Nan-hai zu Schiffe ab.
Tag und Nacht durch zwei Decaden immer mit günstigem
Winde segelnd, gelangten sie zu dem Berge ^ Tsiao-sclü
und berührten im Südosten die Insel # $£ $C Kiao-po-phö
in Pö-ling. Diese liegt im Westen, dem Reiche Lin-yl
gegenüber. Es findet sich auf ihr ein göttlicher Tempel. Wieder
südwärts schiffend, gelangten sie zu dem Löwensteine (|fjj -f*
*)• Von hier folgten einander Inseln auf Inseln.
Wieder zwei bis drei Tage schiffend, sahen sie im Westen
die Berge des Reiches Lang-ya-siü. Hierauf trafen
sie im Süden auf die Insel J||| Khi-lung und gelangten
an die Gränze von Tsch’i-thu.
Der König dieses Reiches schickte ihnen den Braminen
jUI ||l |jf| Kieu-mo-lo mit dreissig Booten entgegen. Man
blies die Muscheln, schlug die Trommeln und führte für den
Gesandten von Sui Musik auf. Man reichte eine goldene
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
437
Kette und zog damit das Schiff Tsch’ang-tsiün’s fort. In einem
Monate gelangte man zu der Hauptstadt.
Der König schickte seinen Sohn m m m Na-ye-kia, 1
welcher bat, mit Tsch’ang-tsiün und den Anderen nach den
Gebräuchen eine Zusammenkunft haben zu dürfen. Früher
schickte er durch Leute eine goldene Schüssel, in welche wohl
riechende Blumen, sowie ein Spiegel und Haarnadeln gelegt
waren, zwei goldene Kästchen, in welche wohlriechendes Oel
gefüllt war, acht Krüge, in welche wohlriechendes Wasser ge
füllt war, und vier Längen Tuch aus weisser Häufung ( |Aj Jg).
Er bedeutete damit, dass er dem Gesandten Handwasser dar
reiche.
An diesem Tage, nach nicht langer Zeit, kam auch Na-
ye-kia unter einem Traghimmel, welcher die Gestalt eines
zweiköpfigen aufsitzenden Pfaues hatte, entgegen und Hess die
Leute zugleich eine goldene Schüssel mit goldenen Blumen
bringen. Er legte den Brief der höchsten Verkündung darauf.
Hundert Männer und Frauen Hessen Muscheln und Trommeln
ertönen. Zwei Braminen begleiteten sie auf dem Wege bis zu
dem Palaste des Königs.
Tsch’ang-tsiün und die Anderen überreichten die Schrift
der höchsten Verkündung und erstiegen den Söller. Von
dem Könige abwärts befanden sich alle auf ihren Sitzen.
Nachdem die höchste Verkündung bekannt geworden, führte
man Tsch’ang-tsiün und die Anderen zu ihren Sitzen. Man
führte die Musik von Thien-tschö auf. Nach beendeter Sache
kehrten Tsch’ang-tsiün und die Anderen in das Wohngebäude
zurück.
Der König schickte wieder Braminen, welche sich in das
Wohngebäude begaben und Speise brachten. Als Schüsseln
dienten Pflanzenblätter, von denen die grössten eine Klafter
im Umfange hatten. Dabei sagte man zu Tsch’ang-tsiün: Jetzt
haben die Menschen in dem grossen Reiche nicht häufig das
Reich Tsch’l-thu besucht. Getränke und Speisen sind grob
und schal. Es ist unser Wunsch, dass ihr es nach dem Sinne
des grossen Reiches verzehret.
1 Na-ye-kia wird oben als Name eines Amtes verzeichnet.
Sitztmgsber. d. plül.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft.
28
438
Pf izm aier.
Einige Tage später bat man Tsch’ang-tsiün und die An
deren, zu einem Feste einzutreten. Die Leibwache des Ver
fahrens, die Führung auf dem Wege und die Begleitung waren
wie bei der früheren Zusammenkunft. Man stellte vor den
König zwei Ruhesitze. Auf die Ruhesitze stellte man gleich-
massig Schüsseln aus Pflanzenblättern, welche eine Klafter
fünf Schuh im Umfange hatten. Auf denselben befanden sich
Kuchen von gelber, weisser, purpurner und rother Farbe,
Fleisch von Rindern, Schafen, Fischen, Schildkröten, Schweinen
und schuppigen Schildkröten, im Ganzen hundert Gattungen.
Man führte Tsch’ang-tsiün und liess ihn den Ruhesitz besteigen.
Das Gefolge sass auf der Erde. Den Wein stellte man jedes
mal in goldenen Weinkrügen hin, und Tänzerinnen brachten
abwechselnd Musik zur Aufführung.
Die Artigkeit bei der Absendung war sehr gross. Un-
vermuthet entsandte man Na-ye-kia, welcher Tsch’ang-tsiün
folgen und die Sachen der Gegend als Tribut bringen sollte.
Zugleich sollte er eine Mütze von goldenen Lotosblumen und
Wohlgeruch des Drachenhirns zum Geschenke machen. Man
goss aus Gold Blätter des Baumes ^ ||| To-lo, bildete in
verborgener erhabener Arbeit Schriftzeichen und machte daraus
eine Denkschrift. Man verschloss diese in einem goldenen
Umschlag und hiess einen Braminen zugleich mit wohlriechen
den Blumen und unter den Tönen von Muscheln und Trommeln
sie überbringen.
Als man in das Meer geschifft war, sah man Schaaren
von gelbgrünen Fischen über dem Wasser fliegen. Zehn Tage
auf dem Meere treibend, gelangte man nach Lin-yi. Im Süd
osten schiffte man neben zusammenhängenden Bergen. Das
Wasser des Meeres war daselbst tausend Schritte breit. Es
war von Farbe gelb und roch nach faulen Fischen. Während
einer eintägigen Fahrt hörte dieses nicht auf. Man sagte, es
sei der Koth grosser Fische. Indem man die nördliche Ufer
höhe des Meeres umschiffte, berührte man Kiao-tschi.
Tsch’ang-tsiün meldete sich im Frühlinge des sechsten
Jahres des Zeitraumes Ta-nie (610 n. Chr.) mit Na-ye-kia in
Hung-nung bei dem Kaiser. Der Kaiser hatte grosses Wohl
gefallen. Er schenkte Tsch’ang-tsiün und den Anderen zwei
hundert verschiedene Gegenstände. Zugleich übergab er Tsch’ang-
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
439
tsiün das Amt eines die Gerechtigkeit benützenden Beruhigers
(H ü HO- Was Na-ye-kia und Andere betrifft, so wurde
hinsichtlich des Amtes und der Belohnungen bei einem Jeden
ein Unterschied gemacht.
Das Reich Tscliin-lä.
Das Reich jjp£ Tscliin-lä liegt im Südosten von Lin-yl.
Es war ursprünglich ein von Fu-nan abhängiges Reich. Es
ist von der Landschaft Je-nan zu Schiffe sechzig Tagereisen
entfernt. Im Süden gränzt es an das Reich Jp[ j£j=| Tsch’e-
khiü. Westlich liegt das Reich JTschü-kiang.
Der Geschlechtsname des Königs ist Geschlecht m m
Thsä-li. Sein Name ist ^ ff M Tschi-to-sse-na. Seit
dem Grossvater erstarkte das Reich allmälig und blühte
auf, so dass zuletzt Tschi-to-sse-na das Reich Fu-nan einver
leibte und es behielt. Nach dem Tode des Grossvaters wurde
dessen Sohn fr # m I-sche-na, der Vorgänger des gegen
wärtigen Königs, eingesetzt.
Der König wohnt in der Feste fr m m I-sche-na.
An dem Fusse der Feste stehen zweimal zehntausend Häuser.
In der Feste befindet sich eine grosse Halle. Die gesammten
Festen sind dreissig. Sie enthalten mehrere tausend Häuser.
In jeder Feste befindet sich ein Vorderster der Abtheilung
^ M). Die Namen der Aemter sind mit denjenigen von
Lin-yi gleich.
Der König gibt in drei Tagen einmal an dem Hofe Gehör.
Er sitzt auf einem Ruhesitze der fünf Wohlgerüche und der
sieben Kostbarkeiten. Er macht von einem kostbaren Zelte
Gebrauch. Für dieses Zelt verfertigt man Stangen aus ge
streiftem Holze. Aus Elfenbein und goldenen Glöckchen bildet
man die Wände. Es ist wie ein kleines Haus gestaltet. Man
bängt eine goldene Leuchte auf, was gerade so, wie in Tschi-
thu. An dem Vordertheile befindet sich ein goldenes Rauch
fass. Zwei Menschen warten zur Seite auf.
Der König kleidet sich in Morgennebel, 1 in dunkle Flock
seide der alten Muscheln, die von den Lenden und dem Bauche
1 1 uch des Morgenneb'els.
440
Pfizmaier.
bis zu den Schienbeinen herabhängt. Auf dem Haupte trägt
er eine goldene Mütze von kostbaren Blumen. Er legt ein
Halsband von echten Perlen über. An den Füssen trägt er
lederne Schuhe, an die Ohren hängt er goldene Ohrringe. Seine
gewöhnliche Kleidung ist weisse Häufung. 1 Er hat Schuhe von
Elfenbein. Wenn er das Haupthaar sehen lässt, gibt er kein
Halsband hinzu. Die Kleider der Diener und Untergebenen
sind im Ganzen nach dem Zuschnitt einander ähnlich.
Es gibt fünferlei grosse Diener. Dieselben heissen:
lü Ku-lö-tsch’i.
JrI $§ Kao-siang-ping.
Ar
Ar
SA
|fg P’o-ho-to-ling.
Sche-mo-ling.
Jen-to-liü.
Wenn die kleinen Diener an dem Hofe des Königs er
scheinen, senken sie sofort unter den Stufen dreimal das Haupt.
Der König ruft ihnen zu, dass sie die Stufen ersteigen mögen.
Sie umfassen dann knieend mit beiden Händen die Schulter
seite, gehen um den König herum und setzen sich in einem
Kreise nieder. Wenn die Berathung in Sachen der Lenkung
beendet ist, werfen sie sich auf die Kniee und entfernen sich.
An den Stufen, in dem Vorhofe, an den Thoren und der
Thorwarte sind die Aufwartenden tausend Menschen. Dieselben
sind mit Panzern bedeckt und halten Waffen in den Händen.
Das Reich ist mit den Reichen Thsan-puan und
* u Tschü-kiang befreundet. Es war mehrmals mit den
Reichen Lin-yi und Isß te Tho-hoan im Kampfe. Die Be
wohner tragen immer Panzer und Waffen. Wenn Eroberungs
züge und Angriffe Vorkommen, machen sie davon Gebrauch.
Es ist Sitte, dass kein Anderer als der Sohn der recht
mässigen Gattin des Königs die Nachfolge erhalten darf. An
dem Tage der Einsetzung des Königs werden die Brüder, welche
er hat, sämmtlich verstümmelt. Einigen entfernt man einen
Finger, Einigen schneidet man die Nase ab. Sie werden an
einen besonderen Ort gebracht und dürfen weder dienen, noch
vortreten.
1 Das bei dem Keiche Tsch’i-thu erwähnte Tuch der weissen Häufung'.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
441
Die Bewohner sind von Gestalt klein und von Farbe
schwarz. Unter den Frauen gibt es auch einige, welche weiss
sind. Sie haben insgesammt krauses Haupthaar und herabhän
gende Ohren. Von Gemüthsart sind sie kühn und gewaltthätig.
Die Wohnorte und Geräthschaften sind ziemlich von der
Art derjenigen von Tsch’i-thu. Man hält die rechte Hand für
rein, die linke Hand für unrein. Jeden Morgen wäscht man
sich und reinigt mit Weidenzweigen die Zähne. Man liest mit
lauter Stimme die heiligen Bücher, wäscht sich wieder und nimmt
dann Speise. Wenn man gegessen hat, reinigt man sofort mit
Weidenzweigen die Zähne und liest wieder mit lauter Stimme
die heiligen Bücher.
Die Getränke und Speisen bestehen häufig in Basilien
kraut, Milch, Zucker, kleberlosem Beis, 1 Hirse und Reiskuchen.
Wenn man essen will, nimmt man vorher allerlei Fleischbrühe
und mengt sie mit den Kuchen. Zum Essen bedient man sich
der Hände.
Wer eine Gattin nimmt, übersendet blos ein Kleidungs
stück. Man wählt den Tag, schickt den Vermittler und geht
dem Weibe entgegen. In dem Hause sowohl des Mannes als
des Mädchens geht man durch acht Tage nicht aus. Man zündet
ohne Unterlass Lampen an. Sobald der Mann verheirathet ist,
theilt er mit den Aeltern die Güter und wohnt an einem anderen
Orte. Wenn die Aeltern sterben, geben ihm die jungen Kinder,
welche noch nicht verheirathet sind, die übriggebliebenen Güter.
Sind sie verheirathet, so werden die Güter durch die Obrig
keit eingezogen.
Was Trauer und Bestattung betrifft, so verzehren Kinder
und Töchter durch sieben Tage keine Speise. Sie scheeren
das Haupthaar und wehklagen. Bonzen, Nonnen, Männer des
Weges, Verwandte und Bekannte kommen, versammeln sich
und geben unter Musikklängen das Geleite. Man verbrennt
den Leichnam in einem aus dem Holze der fünf wohlriechenden
Bäume angemachten Feuer, fasst die Äsche zusammen, füllt sie
in einen goldenen oder silbernen Krug und schafft diesen in
ein grosses Wasser. Die Armen gebrauchen bisweilen ein
irdenes Gefäss, bemalen es aber mit bunten Farben. Es kommt
keng, eine Reisart, welche keinen Kleber enthält.
442
Pfizmaier.
1 ;
ihn
dass man den
das Gebirge
m
Leichnam nicht verbrennt. Man
und lässt die wilden Thiere ihn
auch vor
schafft
verzehren.
Im Norden dieses Reiches sind viele Berge und Anhöhen.
Im Süden gibt es Flüsse und Sümpfe. Boden und Luft sind
überaus heiss. Schnee und Reif gibt es nicht. Es ist Ueber-
fluss an Pestluft und giftigen Scorpionen.
Der Boden eignet sich für grosse Hirse, Reis, kleine Mohr-
hirse und Hirse. Früchte und Gemüse sind von der Art der
jenigen von Je-nan und jjj[ Kieu-tschin. Besondere Arten
von Bäumen sind:
Der Baum mm P’o-na-so. Derselbe hat keine
Blüthen. Die Blätter gleichen denjenigen des (chinesischen)
Feigenbaumes (pjifjj j. Die Früchte gleichen der Wintermelone.
Der Baum jj|| Ngan-lo. Die Blüthen und Blätter
desselben gleichen denjenigen des Brustbeerbaumes. Die Früchte
gleichen denjenigen des Zwetschkenbaumes (^)-
Der Baum [5}|j §f^ Pi-ye. Die Blüthen desselben gleichen
denjenigen der Papaya. Die Blätter gleichen denjenigen des
Aprikosenbaumes (^ j, die Früchte denjenigen des Papier
baumes
Der Baum |JJ ||| P’o-thien-lo. Die Blüthen, Blätter
und Früchte desselben gleichen denjenigen des Brustbeerbaumes,
sind aber kleiner.
Der Baum J5. Jj§. I-ko-pi-tho. Die Blüthen des
selben gleichen denjenigen des Apfelbaumes, die Blätter den
jenigen der Ulme (/j'fjjj ), sind aber dicker. Die Früchte gleichen
denjenigen des Zwetschkenbaumes (^5)- Sie sind so gross
wie ein Gantang.
Unter den übrigen Bäumen sind viele mit denjenigen von
^ Kieu-tschin gleich.
In dem Meere findet man einen Fisch Namens fbl
Kien-thung. Derselbe hat vier Füsse und ist ohne Schuppen.
Seine Nase ist wie bei einem Elephanten. Er athmet das
Wasser ein und sprudelt es fünfzig bis sechzig Schuh hoch in
die Höhe.
Man findet einen Fisch Namens jjjjj Feu-hu. Der
selbe gleicht von Gestalt einem Aale. Er hat einen Schnabel
wie ein Papagei und acht Füsse.
Die fremdländischen Keiche zn den Zeiten der Sui.
443
Viele grosse Fische kommen mit halbem Leibe aus dem
Wasser hervor. Man sieht sie von ferne wie Berge.
Im fünften und sechsten Monate des Jahres zieht immer
giftige Luft umher. Man opfert ihr dann weisse Schweine,
weisse Rinder und weisse Schafe vor dem westlichen Thore
der Feste. Thut man dieses nicht, so schiessen die fünf Getreide
arten nicht empor, die Hausthiere sterben häufig, die Menge
der Menschen erkrankt an Seuchen.
Nahe bei der Hauptstadt liegt der Berg m # ifc ^
Ling-kia-pö-p’o. Auf demselben befindet sich ein göttlicher
Tempel. Man lässt diesen immer durch zweitausend Krieger
bewachen.
Im Osten der Feste befindet sich ein Gott Namens ^
% m P’o-to-li. Zu dem Opfer für ihn gebraucht man
Menschenfleisch. Der König tödtet im Jahre besonders zu
diesem Zwecke Menschen und opfert und betet in der Nacht.
Man hat ebenfalls tausend Menschen zur Bewachung. In einem
solchen Masse verehrt man die Dämonen.
Man nimmt häufig die Lehre Buddha’s an und hat über
grosses Vertrauen zu den Männern des Weges. Sowohl vor
Buddha als vor Männern des Weges stellt man Bildsäulen in
den Amtgebäuden auf.
Im dreizehnten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (617 n. Chr.)
schickte man einen Gesandten mit Tribut und Geschenken.
Der Kaiser behandelte ihn mit grosser Auszeichnung. Später
war dieses ebenfalls unterbrochen.
Das Reich P’o-li.
Was das Reich m P’o-li betrifft, so schifft man von
Kiao-tschi aus auf dem Meere, kommt im Süden an Tschi-thu
und -£J- Tan-tan vorüber und gelangt dann zu diesem Reiche.
Was dessen Ausdehnung betrifft, so reist man von der östlichen
Gränze bis zu der westlichen vier Monate, von der südlichen
Gränze bis zu der nördlichen fünf und vierzig Tage.
Der Geschlechtsname seines Königs ist m m m #
444
Pfizmaier.
Von den Aemtern hat das erste den Namen S *ä 3t
Thö-ho-ye-na. Das zweite heisst gtjf $5 Thö-ho-schi-na.
Die Menschen dieses Reiches verstehen sich gut auf das
Werfen des Radschwertes. Dieses ist so gross wie ein Spiegel,
in der Mitte hat es eine Oeffnung, auswendig eine Spitze gleich
einer Säge. Man wirft es von Weitem auf die Menschen, und
alles ohne Ausnahme wird getroffen. Die übrigen Waffen und
Geräthe sind mit denjenigen des mittleren Reiches durchschnitt
lieh gleich. Die Sitten sind von der Art derjenigen von Tschin-
lä. Die Erzeugnisse sind mit denjenigen von Lin-yi gleich.
Den Mördern und Dieben haut man die Hand ab. Den
Verräthern kettet man den Fuss an. Jedes zweite Jahr hört
man damit auf.
Die Opfer muss man im Neumond bringen. Man stellt
Wein und zubereitete Speisen in Schüsseln und lässt diese auf
einem fliessenden Wasser schwimmen. In jedem eilften Monate
des Jahres muss man ein grosses Opfer herrichten.
Das Meer bringt Korallen hervor. Es gibt einen Vogel
Namens & M Sche-li. Derselbe versteht die Sprache der
Menschen.
Im zwölften Jahre des Zeitraumes Ta-nie (616 n. Chr.)
schickte das Reich einen Gesandten an den Hof mit Tribut.
Seitdem ist dieses unterbrochen.
Um diese Zeit waren in der südlichen Wüste die Reiche
ft ft Tan-tan und jjjSt Puan-puan vorhanden. Deren
Gesandte kamen ebenfalls und brachten als Tribut Sachen der
Gegenden. Man sagt, die Sitten und Gewohnheiten, die Sachen
und Erzeugnisse dieser Reiche seien im Allgemeinen von einer
und derselben Art.
Das Reich Thu-kö-hoeu.
fffc jfjt Thu-kö-hoen war ursprünglich der Sohn
ܧ Ho-sche-kuei’s, eines Genossen des Volksstammes j|l
Sien-pi in Liao-si. Sche-kuei hatte zwei Söhne. Der gemeine
und ältere hiess Thu-kö-hoei. Der jüngere hiess Jjjig
Jö-lö-wei. Als Sche-kuei starb, lenkte an dessen Stelle Jö-lö-wei
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
445
die Niederlassungen der Abtheilung. Derselbe ist das Geschlecht
H Mu-yung.
Thu-kö-hoen vertrug sich nicht mit Jö-lö-wei. Er über
schritt im Westen |ijH Lung und hielt im Süden von -H*# Kan-
sung und im Westen des Flusses j^)|> Schao inne. Im Süden
erreichte er den Berg [A| j||j Pe-lan. Es war ein Land von
mehreren tausend Li im Umfange. Später machte er Thu-kö-
hoen zum Geschlechtsnamen des Reiches. In der Zwischenzeit
der Wei und Tscheu nannte er sich zum ersten Male W ff
Kho-han (Khan).
Die Hauptstadt ist die Feste Fö-sse. Dieselbe
liegt fünfzehn Li westlich von dem grünen Meere. 1 Es gibt
Festen und Vorwerke, aber man bewohnt sie nicht. Man zieht
dem Wasser und den Gräsern nach.
Die Obrigkeiten sind König, Fürsten, Vorgesetzte des
Pfeilschiessens, oberste Buchführer, Mittlere der Leibwächter,
Heerführer. '
Der Vorgesetzte des Reiches trägt eine Kopfbedeckung
von schwarzem Taffet. Dessen Gattin trägt auf dem Haupte
goldene Blumen. Die Geräthschaften und Kleidungsstücke sind
durchschnittlich mit denjenigen des mittleren Reiches gleich.
Der König, die Fürsten und Vornehmen tragen häufig auf dem
Haupte Netzwerk. Die Frauen kleiden sich in Röcke und kurze
Kleider. Sie flechten das Haupthaar und besetzen es mit Perlen
und Muscheln.
Man hat keine beständigen Abgaben. Die Mörder und
Pferdediebe werden mit dem Tode bestraft. Bei den übrigen
Verbrechen fordert man Sachen zum Loskaufe.
Die Sitten und Gewohnheiten sind mit denjenigen der
Türken ziemlich gleich.- Für die Trauer hat man Kleider nach
einer gewissen Vorschrift. Wenn die Bestattung vorüber ist,
legt man sie ab. Von Gemüthsart ist man immer habgierig
und ausdauernd.
Das Land bringt Gerste, Hirse und Bohnen hervor.
Das grüne Meer hat über tausend Li im Umfange. In
der Mitte desselben liegt eine kleine Insel. Es ist Sitte, bei
Der See Kokonor.
446
Pfizmaier.
dem ankommenden Winter sofort eine Stute auf ihr loszulassen.
Man sagt, dadurch erlange man eine Drachenart.
Thu-kö-hoen erhielt einst ein persisches Pflanzenpferd.
Er trieb es in das Meer, und es brachte dann ein hurtiges
Füllen zur Welt. Dasselbe konnte in einem Tage tausend Li
weit laufen. Desswegen nannte man es um die Zeit das hurtige
Pferd des grünen Meeres.
Es gibt viele Rinder der Kuhschweife. 1 Man hat Ueber-
fluss an Kupfer, Eisen und Zinnober.
Das Land begreift das Gebiet von -j- ß) Isfg. Sehen
sehen in sich. Zudem sind im äussersten Nordwesten mehrere
hundert Li fliessenden Sandes. Im Sommer vexletzt dort ein
heissen Wind die Reisenden xxnd wirft sie zu Boden. Wenn
der Wind im Anzuge ist, wissen dieses die alten Kameele
voi'her. Sie dehnen den Hals und schreien. Sie stellen sich
zusammen xxnd vergraben Mund xxnd Nase in dem Sande. Wenn
die Menschen dieses sehen, erkennen sie es. Sie verdecken
dann mit Filz Mund und Nase xxnd vermeiden das Unglück.
S Y Liü-kua, der König des Reiches, plünderte zu den
Zeiten der (späteren) Tscheu öfters in den Gränzgegenden. Ira
Anfänge des Zeitraumes Khai-hoang (581 n. Chr.) drang er mit
seinen Streitkräften in Hung-tscheu ein. Kaiser Kao-tsu,
in Beti-acht ziehend, dass das Gebiet von PIxxng-tscheu ausge
dehnt, die Bewohner muthig waren, that ihm Einhalt. Er
entsandte Yuen-hiai, obersten das Reich als Pfeiler
Stützenden, mit dem Aufträge, an der Spitze von mehreren
zehntausend Fussgängern und Reitern ihn anzugreifen.
Die Räuber schickten sämmtliche in ihrem Reiche be
findlichen Streitkräfte hervor. Von Man-teu bis
Schü-tschün zogen gepanzerte Reiter ohne Unterbrechung.
Der von ihnen eingesetzte allgemeine Leitende von Ho-si,
König m m m Tschung-li-fang und dessen zxxr Nachfolge
bestimmter Sohn Wfivf Kho-pö-han kamen vorher und
nachher, stellten sich entgegen und kämpften. Yuen-hiai griff
sie fortwährend heftig an und zertrümmerte ihre Macht. Die
jenigen, die er gefangen nahm oder deren Köpfe er erbeutete,
waren eine sehr grosse Menge.
1 Rinder, deren Schweife zu Zeichenfahnen dienen.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sni.
447
Liü-kua ward von grosser Furcht befallen. Er stellte
sich an die Spitze der ihm nahestehenden Krieger und entwich
in die Ferne. Dreissig von ihm abhängige namhafte Könige
stellten sich je an die Spitze der Niederlassungen ihrer Ab
theilungen und ergaben sich.
Kaiser Kao-tsung zog in Betracht, dass unter ihnen ^
I-thse-feu, König von Kao-ning, geradezu die
Herzen der Menge gewonnen. Er ernannte ihn zum grossen
Heerführer, setzte ihn in das Lehen eines Königs von Ho-nan
und liess ihn die Menge, welche sich ergeben hatte, leiten.
Bei den übrigen Vorgesetzten waren die Belohnungen für jeden
Einzelnen verschieden.
Nach nicht langer Zeit erschien Liü-kua wieder und
plünderte die Gränzgegenden. & f- m Pi-tse-sin, stechen
der Vermerker von Ä Hiö-tscheu, liess eine Streitmacht zum
Widerstande ausrücken und wurde von den Bäubern geschlagen.
Pi-tse-sin fand dabei den Tod.
Hc IM, Liang-yuen, allgemeiner Leitender von Wen-
tscheu, griff Liü-kua mit auserlesenen Kriegern an und er
beutete über tausend Köpfe. Liü-kua floh und entwich. Un-
vermuthet drang er wieder plündernd in J|jj Kuö-tscheu ein.
Die Krieger dieses Landstrichs griffen ihn an und schlugen
ihn in die Flucht.
Liü-kua befand sich hundert Jahre auf seiner Stufe und
äusserte häufig Vorliebe und Zorn. Er setzte seinen zur Nach
folge bestimmten Sohn ab und tödtete ihn. Später fürchtete
der grosse Sohn, dass er abgesetzt und beschimpft werden
könne. Er machte einen Anschlag, demzufolge er Liü-kua fest
nehmen und sich ergeben wollte. Er erbat sich von den An
gestellten der Gränzgegenden Waffen.
Der allgemeine Leitende von Tschin-tscheu, König
Plung von Ho-kien, bat, an der Spitze einer Streitmacht
sieh mit ihm ins Einvernehmen setzen zu dürfen. Der Kaiser
erlaubte es nicht. Der Anschlag des grossen Sohnes wurde
entdeckt und dieser wurde durch seinen Vater getödtet.
Liü-kua setzte wieder seinen jungen Sohn gjj Ho, König
V011 JÜ Wei, zum grossen Sohne ein. Tu-tsan, stechen
der Vermerker von gub Tie-tscheu, bat, über Liü-kua aus An-
448
Pfizmaier.
lass der Blosse, welche dieser sich gegeben, Strafe verhängen
zu dürfen. Der Kaiser erlaubte es wieder nicht.
Im sechsten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (586 n. Chr.)
fürchtete Ho, König von Wei, wieder, dass sein Vater ihn
' hinrichten lassen werde. Er machte einen Anschlag, dem zu
folge er sich an die Spitze von fünfzehntausend Menschen der
Niederlassungen der Abtheilung stellen und dem mittleren
Reiche sich zuwenden wollte. Er schickte einen Gesandten
mit dem Aufträge, sich zu der Thorwarte zu begeben und um
eine Streitmacht, mit der man sich vereinigen wolle, zu bitten.
Der Kaiser sagte zu den aufwartenden Dienern: Die
Räuber von Hoen 1 sind nach ihren Sitten und Gewohnheiten
eine Gattung besonders verschiedener Menschen. Da der Vater
nicht wohlwollend ist, ist der Sohn wieder nicht kindlich. Ich
belehre die Menschen durch Tugend. Wie könnte es sein,
dass ich ihre Schlechtigkeit und Empörung zu Stande bringe?
Ich soll sie nur von der Seite der Gerechtigkeit belehren.
Hierauf sprach er zu dem Gesandten: Ich empfing den
Befehl von dem Himmel, ich beruhige und erziehe alles inner
halb der vier Meere. Ich hoffe zu bewirken, dass sämmtliche
Geborene in Folge von Gerechtigkeit und Menschlichkeit sich
einander zuwenden. Um wie viel mehr Vater und Sohn? Wie
könnten sie bei der Eigenschaft des Himmels anders, als gegen
seitig befreundet sein und sich lieben? Der Vorgesetzte von
Thu-kö-hoen ist der Vater des Königs von Wei. Der König
von Wei ist der grosse Sohn des Vorgesetzten von Thu-kö-
hoen. Wenn der Vater Unrecht thut, muss der Sohn Vor
stellungen machen. Wenn er Vorstellungen macht, diese aber
nicht beachtet werden, soll er die nahestehenden Diener, die
nahen Verwandten von mütterlicher Seite, diejenigen, welche
innerhalb und ausserhalb sich befinden, es Vorbringen heissen.
Muss man ihn nicht durch Thränen bewegen? Alle Menschen
haben ein Gefühl. Man soll ihn rühren und zur Besinnung
bringen. Man darf nicht im Geheimen Anschläge machen,
nicht der Vorschrift zuwider auf sich den Namen der Unkind
lichkeit laden. Unter dem gesammten Himmel sind Alle meine
Diener und Dienerinnen. Jeder verrichte gute Dinge, er rühme
1 Die Abkürzung von Thu-kö-hoen.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
449
dann mein Herz. Der König von Wei hat bereits gute Ge
danken, er will kommen und sich mir in die Arme werfen.
Ich bin in der Lage, den König von Wei über die Vorschrift
für Diener und Sohn zu belehren, ich kann nicht in die Ferne
Krieger und Pferde schicken und schlechte Dinge verüben
helfen. — Der König von Wei stand von seinem Vorhaben ab.
Im achten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (588 n. Chr.)
bat der namhafte König % Tft M Tschl-p’ö-mö-mi, sich
mit tausend Häusern den Umgestaltungen zuwenden zu dürfen.
Der Kaiser sprach: Unter dem gesammten Himmel heissen
Alle meine Diener. Hat man sich auch aus grosser Ferne
gemeldet, man kennt noch nicht Sitte und Belehrung. Bei
Beruhigung und Erziehung mache ich Menschlichkeit und Kind
lichkeit zur Grundlage. Die Räuber von Hoen sind unbesonnen
und wahnsinnig. Gattinnen und Kinder sind voll Bangen im
Herzen. Sie möchten sich den Umgestaltungen zuwenden, sich
retten vor Gefahr und Untergang. Jedoch Abtrünnige und
Solche, welche sich von dem Vater wegwenden, kann man
nicht aufnehmen. Auch ist ihre ursprüngliche Absicht, geradezu
dem Tode zu entgehen. Wenn man jetzt zum Widerstand
aussendet, verdoppelt man wieder die Unmenschlichkeit. Wenn
nochmals Mittheilung der Absicht sein sollte, ist es bloss ge
ziemend, zu trösten und zu beruhigen. Man duldet es, dass
sie sich selbst entreissen, man braucht nicht Krieger und
Pferde auszusenden, sich ins Einvernehmen zu setzen und mit
ihnen sich zu vereinigen. Wenn die Schwäger und Neffen
kommen wollen, überlässt man es ebenfalls ihrem Willen. Man
bewillkommet sie nicht, ermuntert sie nicht und ladet sie
nicht ein.
In diesem Jahre starb I-thse-feu, König von Ho-nan.
Kaiser Kao-tsu hiess dessen jüngeren Bruder ^ ||| Schü-
kuei-si die Menge leiten und nach dem Hause Tsch’in den
Frieden wieder herstellen. Liü-kua gerieth in grosse Furcht.
Er entfloh, bewachte die unwegsamen Gegenden und getraute
sich nicht zu plündern.
Im eilften Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (591 n. Chr.)
starb Liü-hoa und wurde sein Sohn Fö eingesetzt. Dieser
liess durch IflE Wu-fung, den Sohn seines älteren Bruders,
eine Denkschrift darbieten und sich einen Diener des Gehäges
450
Pfizmaier.
nennen. Zugleich machte er die Sachen der Gegend zum
Geschenke und bat, seine Tochter in den Vorhof der Rück
seite senden zu dürfen.
Der Kaiser sprach zu dem Könige von ^ Theng: Dieses
ist nicht äusserste Wahrhaftigkeit, es ist bloss hastige Be-
rathung.
Hierauf sprach er zu Wu-fung: Ich weiss, dass der Vor
gesetzte von Hoen seine Tochter mir dienen heissen will.
Wenn ich mich an die Bitte des Kommenden halte und andere
Reiche es hören, werden sie es sogleich nachahmen. Einmal
erlauben, einmal verwehren, dieses nennt man: nicht billig.
Wenn ich es in allen Fällen erlaube, ist es wieder kein gutes
Vorbild. Meine Gefühle weilen bei Beruhigen und Pflegen,
ich will bewirken, dass ich den Gefühlen folge. Wie könnte
ich Söhne und Töchter zusammenlesen und mit ihnen die Rück
seite des Palastes füllen? — Schliesslich erlaubte er es nicht.
Im zwölften Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (592 n. Ckr.)
schickte er ¥ £ 583 Yü-wen-pi, obersten Buchführer von
der Abtheilung der Strafen, mit dem Aufträge, Fö zu beruhigen
und zu trösten.
Im sechzehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (596
n. Chr.) gab er Fö die Kaisertochter von * -ft Kuang-hoa
zur Gemahlin. Fö reichte eine Denkschrift empor, in welcher
er der Kaisertochter den Namen V B Thien-heu ,Himmels
kaiserin' gab. Der Kaiser erlaubte dieses nicht.
Im nächsten Jahre gerieth jenes Reich in grosse Ver
wirrung. Die Menschen des Reiches tödteten Fö und setzten
dessen jüngeren Bruder ik % Fö-yün zum Vorgesetzten ein.
Man schickte einen Gesandten mit dem Aufträge, die Sache
der Einsetzung und der Absetzung darzulegen, und zugleich
wegen des Verbrechens, dass man ausschliesslich den höchsten
Befehl ertheilte, Entschuldigungen vorzubringen. Ueberdiess
bat man, dass der Sitte gemäss eine Kaisertochter zur Ge
mahlin gegeben werde. Der Kaiser gewährte dieses.
Seitdem erschien man alljährlich an dem Hofe mit Tribut,
aber man fragte immer um Nachrichten von Reich und Haus.
Dem Kaiser war dieses sehr zuwider.
Als Kaiser Yang zu seiner Stufe gelangte, schickte Fö-
yün seinen Sohn j||| Schiin an den Hof. Um diese Zeit
Die fremdländischen Beiclie zn den Zeiten der Sui.
451
verletzte das Reich ^ Ifjjj Thie-li die Versperrungen. Der
Kaiser entsandte den Heerführer 7^1 Fung-liiao-thse
mit dem Aufträge, aus Tün-hoang hervorzuhrechen und sie zu
vertheidigen. Fung-hiao-thse richtete in dem Kampfe nichts
aus. Das Reich Thie-li schickte einen Gesandten, entschul
digte sich wegen seines Verbrechens und bat, sich unterwerfen
zu dürfen.
Der Kaiser entsandte ^{5 Pei-khiü, aufwartenden
Leibwächter des gelben Thores, und liess Thie-li trösten und
beruhigen. In einer Verkündung hiess er Thie-li das Reich
Thu-kö-hoen angreifen und sich dadurch auszeichnen. Thie-li
willigte ein. Er beorderte eine Streitmacht, welche in Thu-
kö-hoen einfiel. Dieses Reich erlitt eine grosse Niederlage.
Fö-yün floh nach Osten und bewachte die Gränze von m ^
Si-ping.
Der Kaiser hiess wieder Hiung, König von Kuan,
aus jä| Kiao-ho hervorbrechen. Yü-wen-sckö,
Fürst von Hiü, brach aus Si-ping hervor und überraschte
Fö-yün. Er zersprengte in grossem Masse dessen Menge. Fö-
yün entwich und floh. Aus den Niederlassungen seiner Ab
theilungen kamen zehnmal zehntausend Menschen mit dreissig-
mal zehntausend Hausthieren und ergaben sich.
Yü-wen-schö verfolgte Fö-yün in Hast. Dieser fürchtete
sich und entwich im Süden in die Gebirgsthäler. Sein ehe
maliges Gebiet war jetzt vollständig leer. Westlich von der
Feste ^ Lin-khiang in Si-ping, östlich von Jjf Tsie-
yung, südlich von jü m Khi-lien, nördlich von dem Schnee
gebirge, von Osten nach Westen viertausend Li, von Süden
nach Norden zweitausend Li Landes, fiel alles an Sui. Man
bildete daselbst Landschaften, Kreise, Niederhaltungen, legte
Besatzungen und schickte die leichten Verbrecher der Welt
dahin zur Ansiedlung.
Hierauf behielt man Schün, den Sohn Fö-yün’s, zurück
und wollte ihn nicht mehr fortschicken. Fö-yün hatte nichts, um
sich erhalten zu können und begab sich mit zweitausend Reitern,
seinen Genossen, als Gast in das Reich "jg* 1 j|| Tang-hiang.
1 In dem Zeichen 4=** ist hier an der Stelle von Jj] das C'lassenzeiclien
JJj zu setzen.
452
Pfizmaier.
Der Kaiser setzte Sclnin zum Könige ein, schickte ihn
über ^ Yö-men hinaus und hiess ihn die noch übrige
Menge leiten. Den König Ä M JÜ Ni-lö-tscheu von ||
Ta-pao ernannte er zu dessen Stützenden. Als man nach Si-
ping gelangte, ward Ni-lö-tscheu durch die Untergeordneten
seiner Abtheilung getödtet. Schün konnte nicht in Wirklich
keit eintreten und kehrte zurück.
Gegen das Ende des Zeitraumes Ta-nie (616 n. Chr.)
gerieth die Welt in grosse Unordnung. Fö-yün besass wieder
sein altes Gebiet und plünderte öfters die Landschaften und
Kreise zur Rechten des Flusses. Man war nicht im Stande,
sie zu vertheidigen.
Das Reich Tang-hiang.
Die Schafhirten (3g khiang) von H*’ Jff Tang-hiang
sind Abkömmlinge der drei 'jjjjj Miao. Zu ihnen gehören die
Stämme fjy ^ Thang-tsch’ang und ö M Pe-lang ,weisse
Wölfe'. Sie selbst nennen sich fi|j| Mi-heu ,Affen'. Das
Land gränzt im Osten an >£)|c Lin-schao und gEj 2p. Si-ping.
Im Westen kehrt es sich gegen Ye-hu. Im Süden
und Norden wohnt man auf einer Strecke von mehreren tausend
Li in den Gebirgsthälern.
Jedes Geschlecht bildet die besondere Niederlassung einer
Abtheilung. In den grössten befinden sich fünftausend Reiter,
in den kleinsten tausend Reiter.
Man stellt aus gewebten Kuhsehweifen und Schafwolle
Häuser her. Man kleidet sich in Reize und Wolltuch. Ge
spaltenen Filz hält man für die höchste Zierde.
Es ist Sitte, Kriegsmuth und Stärke zu schätzen. Es
gibt keine Gesetze und Gebote. Jedermann verschafft sich
seinen Lebensunterhalt. Wenn man Kämpfe und Aufstellungen
hat, sammelt man sich in Lagern.
Man hat keine Dienstleistungen und Abgaben. Es findet
kein gegenseitiges Gehen und Kommen statt. Auf den Weide-
Dieses Zeichen ist auf dieselbe Weise wie am Ende des vorhergehenden
Abschnittes verändert zu setzen.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
453
platzen hält man Rinder, Schafe und Schweine, wodurch man
für Nahrungsmittel sorgt. Man kennt kein Säen und Ernten.
Die Sitten sind ausgelassen und unrein. Hinsichtlich in
Missbrauchung der Niederen durch Höhere, der Höheren durch
Niedere ist es bei ihnen unter allen Fremdländern am ärgsten.
Man hat keine Kalenderrechnung. Man beobachtet bloss
die Pflanzen und Bäume und erkennt dadurch die Jahre und
Jahreszeiten. In drei Jahren versammeln sie sich einmal,
schlachten Rinder und Schafe und opfern dem Himmel.
Wenn ein Mensch achtzig oder mehr Jahre alt stirbt, so
halten sie dieses für ein gutes Ende. Die Angehörigen und
Verwandten wehklagen dann nicht. Wenn er jung stirbt, sagen
sie, es sei ein grosses Unrecht. Alle bedauern ihn dann und
wehklagen über ihn.
Man hat Lauten, Querpfeifen und schlägt auf Schüsseln
den Takt.
In der Zwischenzeit der Wei und Tscheu störte man
mehrmals die Ruhe der Gränzgegenden. Als Kaiser Kao-tsu
noch Reichsgehilfe war, gab es im Felde viel zu thun. Jene
Stämme plünderten daher in grossem Masse. Nachdem '^h tjpjt
Liang-jui, Fürst von Tsiang, die Empörung gjji Wang-
kien’s niedergeschlagen hatte, bat er, dass man jetzt das Heer
zurückführen und über dieselben Strafe verhängen möge. Kaiser
Kao-tsu erlaubte es nicht.
Im vierten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (584 n. Chr.)
wendeten sich tausend Häuser jener Stämme den Umgestal
tungen zu.
Im fünften Jahre desselben Zeitraumes (585 n. Chr.)
stellten sich Tschi-p’o-ning-tsung und Andere
je an die Spitze einer Heeresmenge, zogen nach Ä Hiö-tscheu
und schlossen sich im Inneren an. Man übergab Tschi-p’ö-ning-
tsung die Stelle eines grossen Heerführers. Was die Unter
geordneten der Abtheilung betraf, so wurde bei einem Jeden
ein Unterschied gemacht.
Im sechzehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (596
n. Chr.) plünderten jene Stämme wieder 1^? Hoei-tscheu. Eine
höchste Verkündung befahl, die Streitmacht von Lung-si aus
zusenden und Strafe zu verhängen. Die Heeresmenge jener
Stämme wurde im grossen Masse zertrümmert. Dieselben
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. XCVIT. Bd. II. Hft. 29
454
Pfiz maier.
gingen wieder einander voran und baten, sich unterwerfen zu
dürfen. Sie wünschten Diener und Dienerinnen zu werden,
schickten die Söhne und jüngeren Brüder an den Hof und
liessen wegen ihrer Verbrechen Entschuldigungen Vorbringen.
Kaiser Ivao-tsu sprach zu den Abgesandten: Kehret zu
rück und saget euren Vätern und älteren Brüdern, die als
Menschen Geborenen müssen bestimmte Wohnsitze haben. Sie
müssen die Alten ernähren, die Jungen aufziehen. Indem ihr
aber bald zurückkehret, bald entlaufet, schämet ihr euch da
nicht vor den Strassen der Bezirke? —- Seit dieser Zeit wurde
das Erscheinen mit Tribut an dem Hofe nicht unterbrochen.
Das Reich Kao-tsck’ang.
Das Reich m H Kao-tsch’ang ist das Gebiet |g ^ f|
Tsien-wang-ting in dem zu den Zeiten der Han bestandenen
Reiche $ m Tsch’e-sse. Es ist von Tün-hoang dreizehn
Tagereisen entfernt. Von seiner östlichen Gränze bis zu der
westlichen sind dreihundert Li, von der südlichen bis zu der
nördlichen fünfhundert Li. An den vier Seiten befinden sich
viele grosse Berge.
Einst entsandte Kaiser Wu von Han Krieger, damit sie
im Westen Strafe verhängen. Die Schaaren des Heeres waren
müde und erschöpft. Die am meisten Erschöpften liessen sich
wohnhaft nieder. Zu den Zeiten der Han befand sich auf dem
Gebiete der Lagerwall rw Hl Kao-tsch’ang. Nach diesem be
nannte man das Reich.
Der Volksstamm l]|b‘ Jüen-jiien setzte zuerst |jJ] '(('[
m Kan-pe-tscheu zum Könige von Kao-tsch’ang ein. Nach dem
Tode Kan-pe-tcheu’s wurde dessen Sohn ||g I-tsch’ing ein
gesetzt. Derselbe wurde von seinem Neffen tr m Scheu-
kuei getödtet. Scheu-kuei bewirkte seine eigene Einsetzung
zum Könige und wurde wieder von lir äl m
Kao-tsch’e O-fö-tschi-lo getödtet.
Man setzte jetzt Tschang-meng-ming, einen
Menschen von Tün-hoang, zum Vorgesetzten ein. Dieser
wurde von den Menschen des Reiches getödtet. Man machte
Die fremdländischen Reiche zu den* Zeiten der Sui.
455
dann Jf ft Ma-jü zum Könige und die zwei Männer Üjf; jjgj|
Kung-ku und ^j||j ^|E Khiö-kia zu ältesten Vermerkern zur
Linken und Rechten.
Ma-jü verkehrte wieder durch Gesandte mit dem späteren
Wei. Er bat, sich an das Innere anschliessen zu dürfen. Die
an das Innere angeschlossenen Menschen liebten ihren Boden
und wünschten nicht, nach Osten versetzt zu werden. Sie
tödteten in Gemeinschaft Ma-jü und setzten Khiö-kia zum
Könige ein.
Khiö-kia führte den Jünglingsnamen ||| Jl^ Ling-fung
und stammte aus Yü-tschung in Kin-tsch’ing. Nach
dem er eingesetzt worden, war er wieder den ^ ^ Jü-jü 1
unterthan. Als der über die Jü-jü herrschende König durch
^fj fjt. Kao-tsch’e getödtet wurde, war Khiö-kia wieder Kao-
tsch’e unterthan und von diesem abhängig.
Das Reich ^=| AS" Yen-khi wurde durch das Reich tili.
Yi-tan zertrümmert. Die Menge desselben konnte sich nicht
selbst lenken und bat Khiö-kia um einen Vorgesetzten. Khiö-kia
schickte seinen zweiten Sohn und liess ihn König von Yen-khi
werden. Hierdurch erhielt er zum ersten Male grossen Zu
wachs und wurden die Menschen des Reiches zur Unterwerfung
bewogen.
Als Khiö-kia starb, folgte ihm sein Sohn Kien. Die
Feste, welche dessen Hauptstadt war, hatte eintausend acht
hundert vierzig Schritte im Umfange. In seinem Sitzzimmer
liess er ein Bild malen, welches den Fürsten Ngai von Lu dar
stellte, wie er Khung-tse um die Lenkung fragt.
In dem Reiche sind achtzehn Festen. Die Obrigkeiten sind:
Ein Ling-yün ,gebietender Vorgesetzter'.
Zwei Fürsten (^-)-
Die Leibwache (^) zur Linken und Rechten.
Acht älteste Vermerket - (tschang-sse).
Fünf Heerführer (tsiang-kiün).
Acht Vorsteher der Pferde (sse-ma).
Aufwartende Leibwächter (# m-
1 Die Jü-jü sind der Volksstamm, dem in frühester Zeit die Türken unter-
tkan waren. Ueber Kao-tsch’e konnte, wenigstens in dem Buche der
Sui, nichts mehr aufgefunden werden.
29*
456
Pfizmaier.
Untersuchende Leibwächter (# J$>
Den Registern Vorgesetzte
0-
Den Geschäften Nachgehende
Die Geschäfte Ueberblickende (ÜF •)■
Grosse Sachen werden durch den König- entschieden.
In kleinen Sachen urtheilen und entscheiden der älteste Sohn
und die Fürsten. Man macht keine schriftlichen Verzeichnungen.
Die Männer kleiden sich wie in Hu. Die Frauen tragen
Röcke und kurze Kleider. Auf dem Haupte bilden sie einen
Haarschopf. Die Sitten und Gewohnheiten, die Lenkung und
die Gebote sind durchschnittlich dieselben wie in dem
blumigen Hia.
In dem Lande gibt es viele Stein wüsten. Die Luft ist
mild und warm. Das Getreide wird zweimal reif. Das Land
eignet sich zum Seidenbau und bringt viele Früchte hervor.
Es gibt eine Pflanze Namens ^|J Yang-thse ,Schafstachel',
auf welcher Honig wächst. Der Geschmack desselben ist sehr
angenehm. Man erzeugt rothes Salz, welches gleich dem
Zinnober ist, weisses Salz, welches gleich dem weissen Edel
steine ist. Man hat vielen Traubenwein.
Es ist Sitte, den Göttern des Himmels zu dienen. Zugleich
glaubt man an die Vorschrift Buddha’s.
In diesem Reiche weidet man die Schafe und Pferde an
versteckten und abgelegenen Orten, indem man den auswärtigen
Räubern aus dem Wege geht. Mit Ausnahme der vornehmen
Menschen sind diese Orte Niemandem bekannt.
Im Norden des Reiches liegt der Berg der rothen Steine
Siebzig Li nördlich von diesem Berge liegt der
Berg Ä ft Tan-wu. Derselbe ist im Sommer mit' Schnee
bedeckt. Nördlich von diesem Berge ist die Gränze des Reiches
H K| Thie-li.
Nordwestlich von 5t jj£ Wu-wei liegt ein Beuteweg
(
... «)• Man tritt in die Sandwüste über. Auf einer Strecke
von tausend Li findet sich an allen vier Seiten weit und breit
kein Fussweg. Wenn man weiter gehen will, zeigen sich dort
plötzlich Gebeine von Menschen und Thieren und verschwinden.
Auf dem Wege hört man bisweilen den Ton von Gesang und
Wehklagen. Wenn der Wanderer darnach sucht, geschieht es
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
457
häufig, dass er sich verirrt. Es sind nämlich alte Dämonen
und Berggeister. Desswegen nehmen die Kaufleute, wenn sie
gehen und kommen, häufig den Weg über ® I-ngu.
Im zehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (590 n. Chr.)
zerstörten die Türken vier Festen dieses Reiches. Zweitausend
Menschen kamen und wendeten sich dem mittleren Reiche zu.
Als König Kien starb, folgte ihm sein Sohn iä m Pe-
ya. Die Mutter desselben war ursprünglich die Tochter des
Kho-han’s der Türken. Die Türken hiessen Pe-ya, nachdem
sein Vater gestorben war, türkische Sitten annehmen. Pe-ya
gehorchte nicht. Nach längerer Zeit drängten ihn die Türken.
Er konnte nicht umhin zu gehorchen. Als Kaiser Yang zu
seiner Stufe gelangte, bewerkstelligte Pe-ya, dass das Reich
sich zu den Gehägen zählte.
Im vierten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (608 n. Chr.)
schickte man einen Gesandten mit Tribut und Geschenken.
Der Kaiser behandelte den Gesandten mit grosser Auszeichnung.
Im nächsten Jahre erschien Pe-ya an dem Hofe. Bei
dieser Gelegenheit folgte er dem Kaiser bei dem Angriffe auf
Kao-li. Nach der Rückkehr erhielt er eine Tochter des Stamm
hauses, die Kaisertochter von igjt Hoa-yung, zur Gemahlin.
Im Winter des achten Jahres des Zeitraumes Ta-nie (612 n. Chr.)
kehrte er in das Gehäge zurück.
Er erliess jetzt in seinem Reiche einen Befehl, welcher
lautete: Indem man das Reich einrichtet, die Menschen liebt,
schätzt man Bewahrung und Fortbestand hoch. Indem man
das Reich beruhigt, die Zügel der Lenkung führt, hält man
Vollständigkeit und Zunahme für gross. Die Vorfahren, in
Betracht, dass das Reich seitwärts an den Wüsten gelegen,
dass die Gränzen mit denen der kühnen nördlichen Fremd
länder zusammenstossen, hüllten sich, mit den Menschen über
einstimmend, ohne Arges in das Haupthaar, trugen links den
Brustlatz. Jetzt leitet und lenkt das grosse Sui den Erdkreis,
stellt den Frieden wieder her unter dem gesummten Himmel, geht
voran auf der Erde, nichts ist, das nicht geglichen wird und sich
zuwendet. Ich habe mich bereits gebadet, befreunde mich mit
den Sitten, mit den gleichmässigen grossen Umgestaltungen.
Von den gemeinen Menschen aufwärts sollen Alle die Haar
flechten lösen, den Brustlatz abschneiden.
458
Pfizmai er.
Der Kaiser hörte dieses und hatte grosses Wohlgefallen.
Er erliess eine höchste Verkündung, welche lautete: ,Die
prangende Tugend schön und gut, durch den höchstweisen
Verstand wird sie erhöht. Sie offenbart das Wahrhaftige, folgt
dem Trefflichen. Sie steht den Berathungen vor, verleiht das
Muster. Pe-ya, der Grosse des glänzenden Gehaltes, der Fürst
von ^jl. Pien, König von Kao-tsch’ang, erkennt das Mass,
durchzieht das Ferne. Bei Fähigkeit hegt er Milde und Gross-
muth, sein aufrichtiger Wunsch wird frühzeitig kund. Seine
leuchtende Umschränkung verbreitet sich weithin. Von den
Ländern des blumigen Reiches als dem Stamme macht er den
Segen übergehen zu der westlichen Erde.'
,Einst erfuhr er vieles Ungemach. Er wurde bedrängt
von den westlichen Fremdländern. Mehrmals erschöpft, zer
störte er die Edelsteinmütze, schnitt ab und verfertigte Kleider
von Hu. Seit unser erhabenes Sui in dem ganzen Erdkreis
den Frieden wieder hergestellt, die neun Umwallungen durch
Umgestaltung verschloss, legt sich die Tugend an die vier
Aussenseiten. Pe-ya überschritt den Sand, vergass auf die
unwegsamen Strecken. Er reichte Ehrengeschenke, kam zu
dem Vorhofe. Er betrachtete die Gestalt der Gebräuche in
ihrem alten Schmucke. Er bewunderte die vollkommenen
Vorschriften des Verfahrens der Macht. Hierauf trug er Mützen
schnüre, löste die Haarflechten, zerschnitt den Brustlatz, zog
den Saum des Kleides nach. Er veränderte die Fremdländer,
folgte den Menschen von Plia. Der Glanz der Gerechtigkeit
wurde vorher eingetragen. Man kann ihm die Geräthe für
Kleider und Mützen verleihen und dabei die Muster für Zu
schnitt und Verfertigung ordnen.'
,Zugleich schickt man einen Abgesandten. Der Leiter
der Abtheilung wird ihn aussenden. Man kleide sich in bunt
schimmernde Farben. Man sehe wieder die Schönheit der
Wagen und Kleider. Mau verwerfe jenen Filz und die Wolle
und werde nochmals ein Reich der Gürtel und Mützen.'
Der Vorfahr Pe-ya’s hatte sich jedoch das Reich Thie-li
ünterthänig gemacht. Dasselbe schickte beständig einen an
gesehenen Diener, der sich in dem Reiche Kao-tsch’ang be
fand. Wenn Kaufleute in der Ferne gingen und kamen, for
derte man von ihnen Abgaben und geleitete sie nach Thie-li.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
459
Ungeachtet dieser Veranstaltung’ erntete man das Wohlgefallen
des mittleren Reiches ein. Zuletzt fürchtete man Thie-ll und
getraute sich nicht, es zu verändern.
Seit diesem Jahre hiess man einen Abgesandten als Tribut
Sachen der Gegend bringen.
Das Reich Khang.
Das Reich Khang ist nach dem Reiche JUjA ^ Khang-
kiü übrig geblieben. Man wanderte zu unbestimmten Zeiten
aus und bewohnte nicht lange das alte Gebiet. Gleichwohl
hörte man seit den Zeiten der Han nicht auf, einander bei
zustehen.
Der ursprüngliche Geschlechtsname der Könige dieses
Landes ist & Wen. Dieselben stammten aus dem Reiche
ft J* Yue-tschi und bewohnten ehemals die im Norden des
Berges ns m Khi-lien gelegene Feste AS Ä Tschao-wu.
Das Reich wurde von den Hiung-nu’s zerstört. Der König
überstieg im Westen das Gebirge Tsung-ling und nahm das
gegenwärtige Reich in Besitz. Die Mitglieder des Stammhauses
trennten sich einzeln und herrschten über das alte Reich
Khang. Die Könige der zur Linken und Rechten entstandenen
Reiche machten zugleich den Namen der Feste ÄS Ä Tschao-
wu zu ihrem Geschlechtsnamen. Sie zeigten dadurch, dass sie
ihren Ursprung nicht vergessen hatten.
Der König führt den Jünglingsnamen ft Tai-
schi-pi. Er ist ein freisinniger, ansehnlicher Mann, der in
hohem Masse die Herzen der Menge gewinnt. Seine Gemahlin
ist die Tochter Thä-tu’s, Kho-han’s der Türken. Seine
Hauptstadt ist die Feste ISJ j* O-lö an den Ufern des Flusses
IHi ^ Sä-pao. In der Feste sind viele Wohnsitze des Volkes.
Drei grosse Diener handhaben in Gemeinschaft die Sachen
des Reiches.
Der König bindet das Haupthaar, trägt als Mütze Blumen
der sieben Kostbarkeiten und kleidet sich in feinen Seiden
flor, Brocat, buntes Stickwerk und weisse Häufung. 1 Dessen
1 Das in früheren Abschnitten zweimal erwälinte Tuch der weissen Häufung.
460
Pfizin&ier.
Gemahlin trägt einen Haarschopf und hüllt sich in schwarze
Tücher. Die Männer scheeren das Haupthaar und tragen
brocatene Mäntel.
Khang steht in dem Rufe, ein starkes Reich zu sein, und
die Reiche der westlichen Gränzgegenden wenden sich ihm
häufig zu. Die Reiche Mi, jjl Sse, Thsao, 'fnf Ho,
3^ N S an > (I + 15) 1% tfc Na-sl-po, jjft Jf, U-na-hö
und Mo wenden sich zu ihm und schliessen sich an.
Man hat die Gesetze des Landes Hu und stellt sie
in dem Tempel des Erdunglücks (üsft M) auf. Bei Bestim
mung der Strafe entscheidet man nach ihnen. Auf schwere
Verbrechen steht die Ausrottung der Verwandtschaften. Auf
die nächsten Verbrechen nach den schweren steht die Todes
strafe. Räubern wird der Fuss abgehauen.
Die Menschen haben tiefliegende Augen, hohe Nasen und
vieles Barthaar. Sie verstehen sich gut auf den Kaufhandel.
Die handeltreibenden Fremdländer versammeln sich oft in
diesem Reiche.
Man hat grosse und kleine Trommeln, Lauten, fünfseitige
Harfen, hohle Harfen und Flöten.
Die Einrichtungen bei Heirathen und Trauer sind mit
denjenigen der Türken gleich.
In dem Reiche baut man Ahnentempel auf, in denen man
im sechsten Monate des Jahres opfert. Von Seite der anderen
Reiche kommt man und leistet bei den Opfern Beistand. Es
ist Sitte, Buddha zu verehren und die Schrift von Hu
herzustellen.
Der Himmelsstrich ist mild. Die fünf Getreidearten
kommen in ihm fort. Man ist bemüht, Gartengemüse zu
bauen. Die Bäume sind saftig und blätterreich.
Das Land liefert Pferde, Kameele, Maulthiere, Esel, grosse
Rinder, Goldplatten, den Wohlgeruch yjf (j=I + fr) Scha-han,
den Wohlgeruch ßpf pH (jj + |i>) O-sä-na, den Edelstein
m Sl-sl, Hirschhäute, Filz, brocatene Häufung Jg).
Es hat vielen Traubenwein. Die reichen Häuser verschaffen
sich davon bisweilen tausend Scheffel. Er verdirbt nicht
durch Jahre.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
461
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte das
Reich zum ersten Male einen Gesandten mit Tribut und den
Sachen der Gegend. Später ward dieses unterbrochen.
Das Reich Ngan.
Das Reich Ngan ist das Reich jJ Ngan-si zu
den Zeiten der Han. Der König führt den Geschlechtsnamen
A3 Üt Tschao-wu und gehört zu demselben Seitengeschlechte
wie der König des Reiches Khang. Sein Jünglingsname ist
Wt $ Sche-li-teng. Seine Gemahlin ist eine Tochter des
Königs des Reiches Thang.
Die Hauptstadt liegt im Süden des Flusses |Jß Na-mi.
Die Feste ist fünffach und wird von fliessendem Wasser um
ringt. Die Paläste haben flache Firsten.
Der König sitzt auf dem Ruhesitze des goldenen Kameeles,
welcher sieben bis acht Schuh hoch ist. So oft er in Sachen
der Lenkung Gehör gibt, befindet er sich seiner Gemahlin gegen
über. Drei grosse Reichsdiener schlichten und ordnen die An
gelegenheiten des Reiches.
Die Sitten und Gewohnheiten sind die nämlichen wie in
dem Reiche Khang. Bloss die Gattin beobachtet mit ihren
Schwestern und Mutter und Söhnen abwechselnd Vögel und
vierfüssige Thiere. 1 Dieses ist der Unterschied.
Nachdem Kaiser Yang zu seiner Stufe gelangt war, schickte
er ff m Tu-hang-muan, Vorsteher der kleinen Diener
und in Geschäften sich Anschliessenden, als Gesandten nach den
Ländern der westlichen Gränzen. Als derselbe in diesem Reiche
ankam, fand er fünffarbiges Salz und kehrte dann zurück.
Hundert Li westlich von diesem Reiche liegt das Reich
ip. Pi. Dasselbe mag tausend Häuser enthalten. Dieses Reich
hat keine Gebieter und Aeltesten. Das Reich Ngan leitet es.
Im fünften Jahre des Zeitraumes Ta-nie (609 n. Chr.)
schickte man einen Gesandten mit Tribut und Geschenken.
Später erfuhr dieses eine Unterbrechung.
1 Die Beobachtung verschiedener Gegenstände dient zum Zwecke der
Wahrsagung.
462
Pfizm a ier.
Das Reich Schi.
Das Reich ^ Schi liegt an dem Flusse Yö-schl.
Die Feste, welche seine Hauptstadt ist, hat zehn Li im Um
fange. Der Geschlechtsname des Königs ist Schi, der
kleine Name yö J.
I111 Südosten der Feste des Reiches hat man ein Haus
aufgebaut und in demselben einen Ruhesitz angebracht. Am
sechsten Tage des ersten Monats und am fünfzehnten Tage
des siebenten Monats stellt man einen mit den nach dem Ver
brennen übrig gebliebenen Gebeinen der Aeltern des Königs
gefüllten goldenen Krug auf den Ruhesitz und geht im Kreise
umher. Man streut Blumen und vermischte wohlriechende
Früchte. Der König, den Dienern und Untergebenen voran
schreitend, stellt das Opfer hin. Wenn die Feierlichkeit be
endet ist, tritt der König mit seiner Gemahlin hinaus und be
gibt sich in ein besonderes Zelt. Die Diener und Untergebenen
setzen sich der Reihe nach nieder, veranstalten ein Fest und
lassen es dabei bewenden.
Das Land besitzt Hirse, Weizen und viele vortreffliche
Pferde. Man versteht sich gemeiniglich gut auf das Kämpfen.
Das Reich war einst gegen die Türken doppelherzig. Der
Ko-han Jjjij' |jF Sche-khuei bot eine Streitmacht auf und ver
nichtete es. Er hiess den mit dem Amte eines The-li
bekleideten ^ Thien-tschl die Sachen jenes Reiches leiten.
Dasselbe ist gegen Süden von dem Reiche ( j -j- ) ftiPö’-
han sechshundert Li entfernt. Gegen Südosten ist es von
jJK Kua-tscheu 1 sechstausend Li entfernt.
Thien-tschl schickte im fünften Jahre des Zeitraumes Ta-
nie (609 n. Chr.) einen Gesandten an den Hof mit Tribut.
Später kam kein Gesandter mehr an.
Das Frauenreich.
Das Frauenreich Ok H niü-kue) liegt im Süden des
Gebirges Tsung-ling. In diesem Reiche setzt man Frauen an
1 Kua-tscheu liegt in dem heutigen Tim-hoang.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
463
der Stelle der Könige ein. Der Geschlechtsname der Königin
ist ^ (5^ Su-pi, ihr Mädchenname ist ^ Mö-hö.
Sie befindet sich zwanzig Jahre auf ihrer Stufe. Den Mann
der Königin nennt man Kin-tsiü. Derselbe befasst
sich nicht mit Sachen der Lenkung. In dem Reiche betreiben
die Männer bloss den Krieg.
Die Höhe eines Berges ist die Feste. Dieselbe hat fünf
bis sechs Li im Umfange. Die Einwohner leben in zehntausend
Häusern.
Die Königin wohnt in einem neunstöckigen Söller. Ihre
Aufwärterinnen sind mehrere hundert. Binnen fünf Tagen gibt
sie einmal an dem Hofe Gehör.
Es gibt noch eine kleine Königin. Dieselbe nimmt an der
Lenkung des Reiches Theil.
In dem Lande ist es Sitte, dass die Frauen die Männer
verachten. Ihr Gemüth ist jedoch von Eifersucht und Hass frei.
Männer und Frauen bestreichen sich das Angesicht mit
bunten Farben. Sie nehmen bisweilen mehrmals in einem Tage
damit Veränderungen vor.
Die Menschen hüllen sich in ihr Haupthaar und verfertigen
Schuhe aus Fellen. In den Abgaben ist keine Beständigkeit.
Der Himmelstrich ist grossentheils kalt. Man beschäftigt
sich mit Pfeilschiessen und Jagd.
Das Land bringt Rauschgold, Zinnober, Moschus, Rinder
der Zeichenfahnen, schnelle Pferde, Pferde von Scho und
überaus viel Salz hervor. Man führt das Salz nach Indien aus und
gewinnt bei dem Handel das Mehrfache des Werthes. Man führte
auch mehrmals mit Indien und dem Reiche Thang-hiang Krieg.
Wenn die Königin stirbt, häuft man in dem Reiche Massen
Geldes zusammen und sucht unter den Verwandtschaften der
V erstorbenen zw r ei weise Frauen. Die eine wird die Königin,
die Andere wird die kleine Königin.
Wenn ein vornehmer Mensch stirbt, zieht man ihm die
Haut ab. Man mengt Knochen und Fleisch mit Goldstaub,
fiillt sie in einen Krug und vergräbt sie. Nach einem Jahre
gibt man wieder die Haut in ein eisernes Gefäss und ver
gräbt sie.
Es ist Sitte, den Gott jfej ||| O-sieu-lo zu verehren.
Hs gibt auch einen Gott der Bäume. Im Anfänge des Jahres
464
Pfizraaier.
opfert man einen Menschen. Bisweilen gebraucht man einen
Affen. Wenn das Opfer beendet ist, geht man in das Gebirge
und bewerkstelligt die Anrufung.
Es gibt einen Vogel gleich einer Fasanhenne. Derselbe
kommt und setzt sich auf die Handfläche. Man reisst ihm den
Bauch auf und betrachtet diesen. Wenn darin Hirsekörner
sind, so ist das Jahr fruchtbar. Sind darin Sand und Steine,
so hat man Himmelsunglück. Man nennt dieses die Wahr
sagung durch den Vogel.
Im sechsten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (586 n. Chr.)
schickte man einen Gesandten an den Hof mit Tribut. Später
wurde dieses unterbrochen.
Das Reich Yen-khi.
Die Hauptstadt des Reiches ^j| ^ Yen-khi liegt siebzig
Li südlich von dem Berge Ö |il Pe-schan. Es ist ein altes
Reich aus den Zeiten der Han. Der Geschlechtsname des
Königs ist Lung, sein Jünglingsname ist ^ Tö-khi.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat zwei Li im Um
fange. Das Reich enthält neun Festen und kann tausend Krieger
stellen. Das Reich hat keine Leitung.
Es ist Sitte, Buddha zu verehren. Die Bücher sind von
der Art derjenigen der Braminen.
Die Gebräuche bei Heirathen hatten etwas mit denen des
blumigen Hia gemein.
Die Todten verbrennt man. Man behält die Trauerkleider
durch sieben Tage. Die Männer scheeren das Haupthaar.
Das Land hat Gewinn von Fischen, Salz, Binsen und
Schilfrohr.
Im Osten ist es von Kao-tsch’ang neunhundert Li entfernt.
Im Westen ist es von ^ ^ Kuei-thse neunhundert Li, die
lauter Sandwüste sind, entfernt. Im Südosten ist es von
Kua-tscheu zweitausend zweihundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605- 616 n. Chr.) schickte
man einen Gesandten mit Tribut und den Sachen der Gegenden.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
465
Das Reich Kuei-thse.
Die Hauptstadt des Reiches ^ Kuei-thse liegt ein
hundert siebzig Li südlich von dem Berge Pe-schan. Es ist
ein altes Reich aus den Zeiten der Han. Der Geschlechts
name des Königs ist Q Pe, sein Jünglingsname ist HÄ®
Su-ni-hi. Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat sechs Li
im Umfange. Das Reich kann mehrere tausend Krieger stellen.
Den Mörder pflegt man mit dem Tode zu bestrafen. Dem
Räuber wird ein Arm und auch ein Fuss abgehauen. Die
Sitten sind sonst mit denjenigen von Yen-khi gleich.
Der König bindet an das Haupt einen Gürtel von bunter
Seide und lässt ihn rückwärts herabhängen. Er sitzt auf einem
Ruhesitze des goldenen Löwen.
Der Boden trägt viel Reis, Hirse, Bohnen und Weizen.
Es ist Ueberfluss an Kupfer, Eisen, Blei, Plirschhäuten, Filz,
Sandsalz, grünem Gummigutt, Kreide, Wohlgeruch von 7^ j|l
Ngan-si, vortrefflichen Pferden und grossen Rindern.
Das Reich ist im Osten neunhundert Li von Yen-khi
entfernt. Im Süden ist es von ^ 1 Yü-thien eintausend
vierhundert Li entfernt. Im Westen ist es von M. ® Su-ll
eintausend fünfhundert Li entfernt. Im Nord westen ist es von
dem Elfenbeinzelte der Türken sechshundert Li entfernt. Im
Süden ist es von Kua-tscheu dreitausend einhundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte es
einen Gesandten mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Das Reich Su-ll.
Die Hauptstadt des Reiches ^ ^jj Su-li liegt hundert
Li südlich von dem Berge Pe-schan. Es ist ein altes Reich
aus den Zeiten der Han.
Der König heisst mit dem Jünglingsnamen |Jpf i||| O-mi.
An dessen Händen befinden sich sechs Finger, an den Füssen
sechs Zehen. Wenn die Söhne, die ihm geboren werden, nicht
sechs Finger und sechs Zehen haben, zieht er sie nicht auf.
466
Pfizmaier.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat fünf Li im
Umfange. In dem Reiche gibt es zwölf grosse Festen und
mehrere Zehende von kleinen Festen. Dasselbe kann zwei
tausend Krieger stellen. Der König trägt auf dem Haupte
eine goldene Löwenmütze.
In dem Lande findet sich viel Reis, Hirse, Hanf, Kupfer,
Brocat, Gummigutt. Man bringt jedes Jahr regelmässig diese
Gegenstände den Türken.
Im Süden des Reiches befindet sich der gelbe Fluss. Im
Westen umgürtet es der Tsung-ling. Im Osten ist es von
Kuei-thse eintausend fünfhundert Li entfernt. Im Westen ist
es von dem Reiche (& + ») ff P’ö-han tausend Li ent
fernt. Im Süden ist es von Tschü-kiü-po neun
hundert Li entfernt. Im Nordosten ist es von dem Elfenbein
zelte der Türken tausend Li entfernt. Im Südosten ist es von
Kua-tscheu viertausend sechshundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte
man einen Gesandten mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Das Reich Yü-thien.
Die Hauptstadt des Reiches -(p ||| Yü-thien liegt zwei
hundert Li nördlich von dem Tsung-ling. Der Geschlechts
name des Königs ist Wang, sein Jünglingsname
HE) $$. Pi-schi-pi-lien.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat acht bis neun
Li im Umfange. In dem Reiche gibt es fünf grosse Festen
und mehrere Zehende von kleinen Festen. Es kann mehrere
tausend Krieger stellen.
Es ist Sitte, Buddha zu verehren. Es gibt überaus viele
Mönche und Nonnen. Der König hält sich immer an das
Beten und Fasten.
Fünfzig Li südlich von der Feste liegt das Kloster
Üt Tsan-mo. Man sagt, es sei von der heiligen Nonne
)bH Pi-lu-tan erbaut worden. Daselbst befindet sich auf
einem Steine der Abdruck des blossen Fusses Pl-tsch’i-
Buddha’s.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
467
Fünfhundert Li westlich von dem Reiche Yü-thien liegt
das Kloster ||f Pi-mo. Man sagt, es sei der Ort, wo
Lao-tse in Hu sich in einen Buddha verwandelte.
Man hat gemeiniglich keine Angemessenheit der Ge
bräuche. Es gibt viele Räuber, Diebe, Ausschweifung und
Zulassung.
Der König trägt Kappen von Brocat und Mützen der
goldenen Ratte. Seine Gemahlin trägt auf dem Haupte goldene
Blumen. Man sorgt dafür, dass die Menschen das Haupthaar
des Königs nicht sehen. Man sagt, wenn man das Haupthaar
des Königs sieht, ist das Jahr gewiss dürftig.
Der Boden bringt reichlich Hanf, Weizen, Hirse, Reis
und Früchte hervor. Es gibt viele Gärten und Wälder. Die
Gebirge enthalten viele schöne Edelsteine.
Im Osten ist das Reich eintausend fünfhundert Li von
Schen-schen entfernt. Im Süden ist es von dem Frauenreiche
dreitausend Li entfernt. Im Westen ist es von
Tschü-kiü-po tausend Li entfernt. Im Norden ist es von Kuei-
thse eintausend vierhundert Li entfernt. Im Nordosten ist es
von Ivua-tscheu zweitausend achthundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte
man fortwährend einen Gesandten an den Hof mit Tribut.
Das Reich P’ö-han.
Die Hauptstadt des Reiches ) y'-f* P’ö-han liegt
fünfhundert Li westlich von dem Tsung-ling. Es ist das alte
Reich ||i Khiü-seu. Der Geschlechtsname des Königs ist
ifiu Tschao-wu, der Jünglingsname ist [JpJ" ^|J O-li-thse.
Oie Feste, welche die Hauptstadt ist, hat vier Li im Umfange.
Bas Reich kann mehrere tausend Krieger stellen.
Der König sitzt auf einem Ruhesitze des goldenen Schafes.
Dessen Gemahlin trägt auf dem Haupte goldene Blumen. Man
gebraucht gemeiniglich vielen Mennig, Goldsand und Eisen.
Im Osten ist das Reich eintausend Li von Su-ll entfernt.
Im Westen ist es von dem Reiche m m & SB Su-tui-
sclia-na fünfhundert Li entfernt. Im Nordwesten ist es von
468
Pfizmaier.
dem Reiche Schi fünfhundert Li entfernt. Im Nordosten ist
es von dem Elfenbeinzelte der Türken zweitausend Li entfernt.
Im Osten ist es noch von Kua-tscheu fünftausend fünfhundert
Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte
man einen Gesandten mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Das Reich Thu-ho-lo.
Die Hauptstadt des Reiches nt 'K HH Thu-ho-lo liegt
fünfhundert Li westlich von dem Tsung-ling. Man wohnt mit
den Menschen des Reiches % ft Yi-tan vermengt. Die
Feste, welche die Hauptstadt ist, hat zwei Li im Umfange.
Das Reich kann zehnmal zehntausend kampfgeübte Krieger
stellen.
Es ist Sitte, Buddha zu dienen. Brüder haben eine Gattin
gemeinschaftlich und schlafen abwechselnd. Jeder, der in das
Gemach tritt, hängt zum Zeichen seine Kleider vor die Thür.
Die Kinder gehören dem ältesten Bruder.
In einer Berghöhle dieses Landes lebt ein göttliches Pferd.
Man weidet jedes Jahr Stuten an dem Orte, wo diese Höhle
sich befindet. Sie müssen dann berühmte Füllen zur Welt
bringen.
Im Süden ist das Reich von dem Reiche Thsao ein
tausend siebenhundert Li entfernt. Im Osten ist es von Kua-
tscheu fünftausend achthundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte
man einen Gesandten an den Hof mit Tribut.
Das Reich Yi-tan.
Die Hauptstadt des Reiches « 'Ifi Yi-tan liegt zwei
hundert Li südlich von dem Flusse U-hu. Die
Bewohner sind ein Stamm des grossen % R Yue-tschi. Fs
kann fünf- bis sechstausend kampfgeübte Krieger stellen.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
469
In früherer Zeit war das Reich in Verwirrung gerathen.
Die Türken schickten einen Vorgesetzten der Waffen hin und
Hessen es durch diesen zurecht weisen und mit Gewalt leiten.
Die Feste, welche die Hauptstadt des Reiches ist, hat
zehn Li im Umfange. Es gibt viele Klöster und Tempel,
welche sämmtlich mit Gold verziert sind.
Die Brüder haben eine gemeinschaftliche Gattin. Wenn
ein Weib einen Mann hat, trägt sie als Mütze eine Kappe
mit einem Iiorne. Hat sie zu Männern mehrere Brüder, so
bildet man je nach deren Zahl Hörner.
Im Süden ist das Reich von dem Reiche Thsao ein
tausend fünfhundert Li entfernt. Im Osten ist es von Kua-
tscheu sechstausend fünfhundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte es
einen Gesandten mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Das Reich Mi.
Die Hauptstadt des Reiches Mi liegt im Westen des
Flusses M Wi Na-ml. Das Reich ist ein altes Gebiet von
Khang-kiü. Es hat keinen König. Der Vorgesetzte seiner
Feste führt den Geschlechtsnamen m & Tschao-wu. Er ist
ein Abkömmling der Könige des Reiches Khang. Sein Jüng-
Hugsname ist ffl n P’i-tschö.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat zwei Li im
Umfange. Das Reich kann einige hundert Krieger stellen.
Im Nordwesten ist dieses Reich von dem Reiche Khang
Hundert Li entfernt. Im Osten ist es von dem Reiche ijSsj'
$ IR Su-tui-scha-na fünfhundert Li entfernt. Im Südwesten
ist es von dem Reiche Sse zweihundert Li entfernt. Im
Osten ist es wieder von Kua-tscheu sechstausend vierhundert
Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) brachte es
fortwährend als Tribut Sachen der Gegend.
Sitznngsler. d. phü.-hist. CI. XCVJI. Bd. II. Hft.
30
470
Pfizmaier.
Das Reich Sse.
Die Hauptstadt des Reiches Sse liegt zehn Li süd
lich von dem Flusse (pT Thö-mö. Das Reich ist ein altes
Gebiet von Khang-kiü. Der Geschlechtsname des Königs ist
J}fj Tschao-wu, sein Jünglingsname ist Thi-tsclie.
Der König ist ebenfalls ein Abkömmling der Könige des
Reiches Khang.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat zwei Li im
Umfange. Das Reich kann tausend Krieger stellen. Die Sitten
sind mit denjenigen des Reiches Khang gleich.
Im Norden ist das Reich von dem Reiche Khang zwei
hundert vierzig Li entfernt. Im Süden ist es von Thu-ho-lo
fünfhundert Li entfernt. Im Westen ist es von dem Reiche
m & ® Na-si-p’o zweihundert Li entfernt. Im Nordwesten
ist es von dem Reiche Mi zweihundert Li entfernt. Im Osten
ist es von Kua-tscheu sechstausend fünfhundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie (605—616 n. Chr.) schickte
man einen Gesandten mit den Sachen der Gegend als Tribut.
Das Reich Thsao.
Die Hauptstadt des Reiches ^ Thsao liegt einige Li
südlich von dem Flusse ijEjjj 92*' Na-mi. Das Reich ist ein altes
Gebiet von Khang-kiü. Es hat keinen Vorgesetzten. Der König
des Reiches Khang hiess seinen Sohn ^ ||| U-kien es leiten.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat drei Li im
Umfange. Das Reich kann tausend Krieger stellen.
In diesem Reiche hat man den Gott Te-si. Die
Reiche ostwärts von dem westlichen Meere verehren ihn. Man
opfert ihm täglich fünf Kameele, zehn Pferde und hundert
Schafe. Es sind gewöhnlich tausend Menschen, welche dieses
unvollständig verzehren.
Im Südosten ist das Reich hundert Li von dem Reiche
Khang entfernt. Im Westen ist es von dem Reiche 'föf H°
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
471
einhundert fünfzig Li entfernt. Im Osten ist es von Kua-
tscheu sechstausend sechshundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie schickte es einen Gesandten
mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Das Reich Ho.
Die Hauptstadt des Reiches 'fäf Ho liegt einige Li süd
lich von dem Flusse m w Na-mi. Das Reich ist ein altes
Gebiet von Khang-kiü. Der König führt den Geschlechts
namen AS ft Tschao-wu. Er ist ebenfalls ein Abkömmling
des Reiches Khang. Sein Jünglingsname ist ^ Tün.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat zwei Li im
Umfange. Das Reich kann tausend Krieger stellen. Der König
sitzt auf einem Ruhesitze des goldenen Schafes.
Im Osten ist das Reich von dem Reiche Thsao einhundert
fünfzig Li entfernt. Im Westen ist es von dem kleinen Reiche
7^ Kg an dreihundert Li entfernt. Im Osten ist es noch von
Kua-tscheu sechstausend siebenhundert fünfzig Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie schickte es einen Gesandten
mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Das Reich U-na-hö.
Die Hauptstadt des Reiches U-na-hö liegt im
Westen des Flusses U-hu. Das Reich ist ein altes
Gebiet von Ngan-si. Der König führt den Geschlechtsnamen
1)3 ]j£ Tschao-wu. Er ist ebenfalls von dem Stamme des
Reiches Khang. Sein Jünglingsname ist Fö-schi.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat zwei Li im
Umfange. Das Reich kann mehrere hundert Krieger stellen.
Der König sitzt auf einem Ruhesitze des goldenen Schafes.
Im Nordosten ist das Reich von dem Reiche Ngan vier
hundert Li entfernt. Im Nordw r esten ist es von dem Reiche
1§> Mö zweihundert Li entfernt. Im Osten ist es von Kua-
tscheu siebentausend fünfhundert Li entfernt.
30*
472
Pfizmaier.
In dem Zeiträume Ta-nie schickte es einen Gesandten
mit den Sachen der Gegend als Tribut.
Das Reich Mo.
Die Hauptstadt des Reiches ^ Mo Hegt im Westen des
Flusses ; ||| U-hu. Das Reich ist ebenfalls ein altes Gebiet
von Ngan-si und dem Reiche U-nä-hö benachbart. Der König
führt den Geschlechtsnamen m ä Tschao-wu. Er ist eben
falls von dem Stamme der Könige von Ngan. Sein Jünglings
name ist wes O-lan-mi.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat drei Li im
Umfange. Das Reich kann zweitausend Krieger stellen.
Im Nordosten ist das Reich von dem Reiche Ngan fünf
hundert Li entfernt. Im Osten ist es von U-na-hö zweihundert
Li entfernt. Im Westen ist es von dem Reiche Po-sse vier
tausend Li entfernt. Im Osten ist es noch von Kua-tscheu
siebentausend siebenhundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie schickte es einen Gesandten
mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Das Reich Po-sse.
Die Hauptstadt des Reiches Po-sse ist die Feste
pHj vSu-lin im Westen des Flusses ||t Thä-hö. Das
Reich ist das alte Gebiet von £ Tiao-tsch’i. Der Jüng
lingsname des Königs ist W- B fr Khu-sä-ho.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat zehn Li im
Umfange. Das Reich kann zweimal zehntausend Krieger stellen.
Man reitet im Kampfe auf Elephanten.
In dem Reiche gibt es keine Todesstrafe. Man haut in
manchen Fällen die Hand oder den Fuss ab, zieht auch die
Güter des Hauses ein. Bisweilen vertilgt man den Bart oder
bindet ihn zum Zeichen an den Hals.
Von fremden Menschen erhebt man, von ihrem dritten
Lebensjahre angefangen, je vier Stücke Geldes. Man gibt zu
Gattinnen die Schwestern.
Die fremdländischen Reiche zn den Zeiten der Sui.
473
Wenn ein Mensch stirbt, setzt man den Leichnam in dem
Gebirge aus. Man behält die Trauerkleider durch einen Monat.
Der König bedeckt sich mit einer Mütze der goldenen
Blumen und sitzt auf einem Ruhesitze des goldenen Löwen. Er
trägt auf seinen Bart Goldstaub zur Zierde auf. Er kleidet
sich in einen brocatenen Mantel und legt ein Halsband darüber.
In dem Lande findet man viele vortreffliche Pferde, grosse
Esel, Löwen, weisse Elephanten, die Eier grosser Vögel, ächte
Perlen, Glas, Bernstein, Korallen, Smaragd, Agat, Krystall, .
Edelsteine ^ Si-si und 7^ Ho-thsi, Diamanten,
Gold, Silber, Rauschgold, Stahl, Eisen, Zinn, Brocat, Tuch der
Häufung, feines Tuch, Filz, Goldfäden, rotlie Gewebe, Hirsch
häute, Zinnober, Quecksilber, Wohlgerüche, Pfeffer, Steinhonig,
halben Honig, Brustbeeren der tausend Jahre, Galläpfel, Salz,
Alaun und Gummigutt.
Die Türken vermochten nicht, in dieses Reich zu gelangen,
doch sie leiteten und zügelten es ebenfalls. Po-sse schickte
immer zu ihnen Gesandte mit Tribut und Geschenken.
Das Reich ist im Westen mehrere hundert Li von dem
Meere entfernt. Im Osten ist es von dem Reiche Mo vier
tausend Li entfernt. Im Nordwesten ist es von O + #)
Fe-lin viertausend fünfhundert Li entfernt. Im Osten ist es
noch von Kua-tscheu eintausend siebenhundert Li entfernt.
Kaiser Yang schickte Li-yö, Beruhiget’ der Wolken-
reiter, als Gesandten mit dem Aufträge, mit Po-sse zu ver
kehren. Po-sse schickte sofort einen Gesandten, welcher Li-yö
auf dem Fusse folgte und als Tribut die Sachen der Gegend
brachte.
Das Reich Tlisao.
Das Reich Thsao 1 liegt im Norden des Tsung-ling.
Es ist das Reich ( «m -j- Khie-pin aus den Zeiten
der Han. Der König führt den Geschlechtsnamen Tschao-
1 Das hier angeführte Reich 'ydli Thsao ist von dem früher vorgekommenen
Reiche Thsao verschieden. Beide Namen haben eine vollkommen
gleiche Aussprache.
474
Pfizmaier.
wu, den Jünglingsnamen j|[|j ^ Schün-thä. Er ist von einem
Seitengeschlechte des Stammhauses der Könige des Reiches
Khang.
Die Feste, welche die Hauptstadt ist, hat vier Li im Um
fange. Das Reich kann zehntausend Krieger stellen.
Die Gesetze des Reiches sind streng und geregelt. Mörder
und Räuber werden mit dem Tode bestraft.
Es ist Sitte, auf übermässige Weise zu opfern. Ih dem
Gebirge Tsung-ling befindet sich der Gott m % Schün-thien.
Die Einrichtungen für das Verfahren sind äusserst glänzend.
Man baut ein Haus aus Gold- und Silberplatten. Aus Silber
bildet man den Boden. Die Menschen, welche daselbst opfern,
sind täglich über tausend. Vor dem Tempel befindet sich ein
Fischrückgrat, durch dessen Oeffnungen man hindurchgeht, auch
heraus und herein reitet.
Der König des Reiches trägt eine Mütze des goldenen
Fischhauptes und sitzt auf einem Ruhesitze des goldenen Pferdes.
In dem Lande gibt es vielen Reis, Hirse, Bohnen und
Weizen. Es ist Ueberfluss an Elephanten, Pferden, grossen
Rindern, an Gold, Silber, Stahl, Eisen, Filz, Zinnober, an grüner
Augenbrauentinte ( p| J, grünem Holz von Ngan-si und
anderen Wohlgerüchen, an Steinhonig, halbem Honig, schwarzem
Salze, an der Arznei m m O-wei und weissen Galläpfeln.
Das Reich ist im Norden siebenhundert Li von ^ &
Fan-tsching entfei'nt. Daselbst ist es noch von dem Reiche
J Khie sechshundert Li entfernt. Im Nordosten ist es von
Kua-tscheu sechstausend sechshundert Li entfernt.
In dem Zeiträume Ta-nie schickte es einen Gesandten
mit Tribut und Sachen der Gegend.
Das Reich Fu.
Das Reich m Fu liegt zweitausend Li nordwestlich von der
Landschaft Jjjjjq Scho. Es ist das Reich der südwestlichen Fremd-
länder aus den Zeiten der Han.
Es gibt noch ein Fremdland ^ Kia-liang. Dasselbe
wird von der östlichen Abtheilung des Reiches bewohnt. Die
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sni.
475
Geschlechter dieses Stammes leiten sich gegenseitig selbst. Die
Sitten sind mit denjenigen des Reiches Fu gleich. Die Sprache
ist etwas verschieden. Man vereinigt sich nicht zu einem Ganzen.
Ebenso haben jene Menschen keine Geschlechtsnamen.
Der Jüngiingsname des Königs des Reiches Fu ist
|| I-tsing.
Die Ausdehnung des Reiches ist von Süden nach Norden
achthundert Li, von Osten nach Süden eintausend fünfhundert
Li. Es hat keine Festen. Man legt nahe an den Flüssen, in
Thälern und zur Seite der steilen Bergabhänge Pfahlwerk.
Man nimmt gemeiniglich gerne Rache. Man baut daher
aus gehäuften Steinen Steinnester, 1 in welchen man wohnt und
das Unglück vermeidet. Die höchsten dieser Steinnester sind
bis zehn Klafter hoch, die niedrigsten sind bis fünf oder sechs
Klafter hoch. Jede Stufe misst eine Klafter und man schliesst
sie durch Bäume ab. Die Versperrung hat drei bis vier Schritte
im Umfange. Die Höhe der Steinnester hat zwei bis drei
Schritte im Umfange. Sie sind von Gestalt Pagoden ähnlich.
An der unteren Stufe eröffnet man ein kleines Thor. Man
steht von innen mit dem oberen Theile in Verbindung. In der
Nacht schliesst man fest zu und sichert sich dadurch vor Räubern.
Das Reich enthält zweimal zehntausend Häuser. Die Ver
ordnungen gehen von dem Könige aus. Die Erlässe der Lenkung
für das Fremdland Kia-liang bindet man an die Häuptlinge und
Vordersten. 2 Schwere Verbrechen werden mit dem Tode be
straft. Auf leichte Verbrechen steht eine Rinderbusse. 3
Die Menschen sind leicht, hurtig und geschickt im An
griffe mit Schwertern. Man verfertigt grosse Panzer aus ge
firnissten Häuten. Die Bogen sind sechs Schuh lang. Die
Sehnen verfertigt man aus Bambus.
Man gibt zu Gattinnen Mütter und Schwägerinnen. Wenn
Kinder und jüngere Brüder sterben, nehmen Väter und ältere
Brüder ebenfalls deren Gattinnen.
Man liebt Gesang und Tanz. Man hat Trommeln, Quer
flöten und lange Flöten.
1 Durch das Zeichen thsao ausgedrückt.
- Man macht sie für die Ausführung verantwortlich.
3 Man wird an Rindern, welche die Stelle von Geld vertreten, gestraft.
476
Pfizmaier.
Bei Todesfällen hat man nicht die Einrichtung der Trauer
kleider. Man legt den Leichnam auf ein hohes Bett. Man
badet ihn und legt ihm Gewänder an, bekleidet ihn mit einem
grossen Panzer und überdeckt ihn mit Thierfellen. Die Söhne
und Enkel wehklagen nicht. Sie kleiden sich in Panzer, tanzen
den Schwerttanz und rufen: Unser Vater wurde von einem
Dämon entführt. Wir wollen uns rächen, den Dämon zu
Schanden machen, ihn tödten.
Die übrigen Verwandten erheben dreimal ein Klagegeschrei
und halten dann inne. Wenn Frauen wehklagen, verhüllen sie
mit beiden Händen das Angesicht. In dem Sterbehause schlachtet
man ein Rind, die Verwandten schicken Schweinefleisch und
Wein. Man trinkt und isst gemeinschaftlich und bewerkstelligt
dann die Bestattung. Zehn Jahre nach dem Tode bewerkstelligt
man die grosse Bestattung. Bei dieser Bestattung versammelt
man Verwandte und Gäste und schlachtet Pferde bis zu einer
Anzahl von mehreren Zehenden. Man stellt den Geist des
Grossvaters und Vaters auf und verehrt ihn.
Man pflegt aus Fellen Kopfbedeckungen zu verfertigen,
welche rund wie eine Schüssel sind. Man kleidet sich viel in
Wolltücher, Häute und Pelze. Man zieht als ein Ganzes die
Fusshaut der Rinder ab und macht sie zu Schuhen. An den
Hals bindet man eiserne Ketten. An die Arme legt man eiserne
Armbänder. Der König, die Häuptlinge und Vordersten bilden
einen Kopfputz aus Gold. Vor die Brust hängen sie goldene
Blumen von drei Zollen im Durchmesser.
Das Land ist hochgelegen, der Himmelsstrich frostig. Es
gibt viel Wind und wenig Regen. Der Boden eignet sich zu
kleinem Weizen und grüner Hirse. Aus den Gebirgen kommen
Gold, Silber und viele weisse Fasanen. In den Flüssen findet
sich ein schöner Fisch, welcher vier Schuh lang und fein
schuppig ist.
Im vierten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (608 n. Chr.)
schickte der König dieses Reiches einen Mann Namens ^ jfg
Su-fö und noch Andere, im Ganzen acht Menschen, als Gesandte
mit dem Aufträge, an dem Hofe von Sui einzutreten.
Im nächsten Jahre schickte er wieder ^ I-lin, den
Neffen Su-fö’s, an der Spitze von sechzig Menschen des Fremd
landes Kia-liang an den Hof mit Tribut. Man wollte vortreff-
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
477
liehe Pferde zum Geschenke machen. Da aber die Wege un
gangbar waren, bat man, dass man zur Ordnung des Tributes
die Gebirgswege eröffnen möge. Kaiser Yang, in Betracht
ziehend, dass man dadurch die Menschen abmühen würde,
erlaubte es nicht.
In Kia-liang gibt es einen Fluss, welcher sechzig bis sieb
zig Klafter breit ist. In dem Reiche Fu gibt es einen Fluss,
welcher hundert Klafter breit ist. Beide laufen nach Süden.
Man übersetzt sie in Kähnen von Fellen.
Im Süden des Reiches Fu liegt das Fremdland ^
P’u-yuen. Die Sitten und Gewohnheiten desselben sind eben
falls die nämlichen. Im Westen liegt das Frauenreich. Im
Nordosten ziehen sich Berge über eine Strecke von mehreren
tausend Li und stossen an Tang-hiang. Plin und wieder findet
man Volksstämme von Khiang. 1 Sie alle leben in dem
tiefen Gebirge und in verschlossenen Thälern ohne grosse Ge
bieter und Aelteste. Ihre Sitten und Gewohnheiten sind durch
schnittlich mit denjenigen von Tang-hiang gleich. Einige ge
hören vermöge ihrer Dienstleistungen zu dem Reiche Thu-kö-
hoen. Andere haben sich dem Reiche Fu angeschlossen.
In dem Zeiträume Ta-nie erschienen diese Volksstämme
an dem Hofe mit Tribut. Sie vertraten die südwestlichen
Gränzgegenden. Man setzte allgemeine Leitende der Wege ein,
wodurch man sie in der Ferne leitete.
Der Volksstanim Hi.
Der Volksstamm ^ Hi heisst ursprünglich Jljl ^
Khu -mö-hi. Er ist ein zu der östlichen Abtheilung von
j|j)j gehörender Volksstamm. Derselbe wurde durch das Ge
schlecht ijNj“. Mu-yung zerschmettert. Was von der Nieder
lassung zurückgelassen wurde, entschlüpfte und barg sich
zwischen ;j>£V Sung-tscheu und der Sandwüste.
1 Ihre Namen, deren etwa 12 sein mögen, werden durch 38 Zeichen wieder
gegeben, die sich jedoch nicht mit Sicherheit abtheilen lassen, wesshalb
die Namen hier nicht angeführt werden.
478
Pfizm aie r.
Die Gewohnheiten dieses Volksstammes sind sehr unrein.
Man ist jedoch im Pfeilschiessen und Jagen geschickt. Man
liebt Plünderung und Raub.
Derselbe war anfänglich den Türken unterthänig. Später
wurde er allmälig stark und mächtig. Er theilte sich in fünf
Abtheilungen. Deren Namen sind:
Jö-hö-wang.
^ Mö-ho-fe.
% jgj Khi-ko.
ft Jfc Mö-kuen.
^ Sclll-te.
In jeder Abtheilung ist ein ^ Jy Sse-kin der Vorderste.
Man zieht dem Wasser und den Gräsern nach und ist hierin
ziemlich den Türken gleich.
Es gibt ein Geschlecht m # O-hoei. Dasselbe ist
unter den fünf Abtheilungen das mächtigste, und alle Ab
theilungen wenden sich ihm zu. So oft zwischen ihm und ^
ft Ivhi-tan TJeberfälle und Angriffe stattfanden, machte es Ge
fangene und erbeutete Güter und Vieh. Es erhielt bei diesem
Anlasse Belohnungen.
Bei Todesfällen hüllt man den Leichnam in Schilf und
Binsen und hängt ihn hoch an einen Baum.
Nachdem die Türken sich ein Volk des Gehäges genannt
hatten, schickte auch Ili einen Gesandten an den Hof. Der
Volksstamm unterhielt bisweilen den Verkehr, bisweilen unter
brach er ihn. Er bekundete grosse Treulosigkeit. Während
der Dauer des Zeitraumes Ta-nie schickte man alljährlich einen
Gesandten mit Tribut und den Sachen der Gegend.
Der Volksstamm Khi-tau.
Die Vorältern des Volksstammes Khi-tan waren
von Khu-mö-hi hinsichtlich der Abstammung verschieden, aber
mit demselben von Art gleich. Beide Volksstämme wurden
durch das Geschlecht Mu-yung zerschmettert. Sie entschlüpften
in Gemeinschaft und bargen sich zwischen Sung-tscheu und der
Die fremdländischen Keiche zu den Zeiten der Sui.
479
Sandwüste. Später vergrösserte sich Klii-tan allmälig und wohnte
einige hundert Li nördlich von j|f |||j Hoang-lung.
Die Gewohnheiten sind mit denjenigen von tj;|| Mö-
hö ziemlich gleich. Man liebt Plünderung und Kaub. Bei dem
Tode der Aeltern trauern und wehklagen, hält man für un
männlich. Man legt bloss den Leichnam auf einen Baum des
Gebirges. Nach drei Jahren sammelt man die Gebeine und ver
brennt sie. Dabei bringt man das Weinopfer und ruft die
Worte: In den Monaten des Winters kehren wir uns der Sonne
zu und speisen dich. Wenn wir mit Pfeilen schiessen und
jagen, lasse uns viele Eber und Hirsche erlegen. — In Bezug
auf Unartigkeit, Albernheit und lärmendes Wesen treibt man
es unter allen Fremdländei'n am ärgsten.
Um die Zeiten der späteren Wei wurde von Seite Kao-
li’s ein Einfall gemacht. Zehntausend Menschen aus den Nieder
lassungen der Abtheilungen begehrten, sich an das Innere an-
zuschliessen und hielten an dem Flusse [Aj Pe-pi. Später
wurde der Stamm von den Türken bedrängt. Man begab sich
wieder mit zehntausend Häusern unter den Schutz von Kao-li.
Im vierten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (584 n. Chr.)
kam man an der Spitze der Menschen von J^L ''ßi ijjj Mö-ho-fä 1
und meldete sich. Kaiser Kao-tsu nahm diese Menschen auf.
Im fünften Jahre desselben Zeitraumes (585 n. Chr.) kam
man mit der gesummten Menge und klopfte an die Versperrungen.
Kaiser Kao-tsu nahm die Menschen auf. Er erlaubte ihnen,
auf ihrem alten Gebiete zu wohnen.
Im sechsten Jahre desselben Zeitraumes (586 n. Chr.)
griffen die Abtheilungen sich gegenseitig an. Sie hörten damit
lange Zeit nicht auf. Ferner fanden zwischen ihnen und den
Türken gegenseitig Einfälle statt. Kaiser Kao-tsu liess ihnen
durch einen Gesandten Verweise geben. Jenes Reich schickte
einen Gesandten, der sich zu der Thorwarte begab, das Haupt
zu Boden senkte und wegen des Verbrechens um Entschul
digung bat.
Später wendeten HJ « Tsch’ö-fö und andere besondere
Abtheilungen von Klii-tan sich von Kao-li ah und schlossen
' Mö-lio-fe ist, wie in dem vorhergehenden Abschnitte angegeben worden,
eine der fünf Abtheilungeu des Volksstammes Hi.
480
Pfizmaier.
sich mit ihrer Menge an das Innere an. Kaiser Kao-tsu nahm
sie auf. Er versetzte sie nach dem Norden von M H Iß
Khö-hi-na-ke.
Gegen das Ende des Zeitraumes Khai-hoang (600 n. Chr.)
wendeten sich in einer besonderen Abtheilung viertausend
Häuser von den Türken ah und kamen, sich zu ergeben. Der
Kaiser schloss eben mit den Türken Friede und Freund
schaft. Er mochte nicht die Zuneigung der fernen Menschen
verscherzen. Er befahl, dass man alle Angekommenen mit
Lebensmitteln versehe und sie in ihre Heimath zurückkehren
lasse. Zugleich forderte er die Türken auf, sie zu beruhigen
und aufzunehmen. Jene weigerten sich beharrlich und zogen
nicht fort. Die Niederlassung ihrer Abtheilung wurde allmälig
volkreich. Sie wanderten hierauf nach Norden aus und folgten
dem Wasser und den Gräsern nach. Gerade zweihundert Li
nördlich von Liao-si Hessen sie sich an dem Flusse
Tö-hö-tschin nieder.
Das Land breitet sich von Osten nach Westen fünfhundert
Li, von Süden nach Norden dreihundert Li weit. Der Volks
stamm zerfällt in zehn Abtheilungen. Seine Krieger sind, wenn
er viele stellt, dreitausend, w 7 enn er wenige stellt, eintausend.
Er geht der Kälte und Hitze nach, folgt dem Wasser und
den Gräsern, den Weideplätzen der Hausthiere.
Bei Eroberung und Angriff berathen sich die Häuptlinge
und Vordersten untereinander. Wenn man die Kriegsmacht
aufbietet und die Menge in Bewegung setzt, legt man Abschnitts
röhre zusammen, yj/ Scha-p’ö-liö, Kho-han der Türken,
schickte den die Stelle eines Fth t hu-thün bekleidenden
Fan-thl mit dem Aufträge, sie zu leiten.
Was die Stämme von Khi-tan betrifft, so führt der süd
liche den Namen Khi-tan. Derjenige im Norden wird
Schi-wei genannt. Der letztere besteht aus fünf Abtheilungen,
welche nicht zu einem Ganzen vereinigt sind. Sie heissen:
Das südliche Schi-wei.
Das nördliche Schi-w r ei.
P’o-schi-wei.
ik 'Ifi Scbin-mö-tan-schi-wei.
Das grosse Schi-wei.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
481
Sie sind sämmtlich ohne Gebieter und Aelteste. Die
Menschen des Volkes sind arm und schwach. Die Türken
bewerkstelligen die Leitung derselben immer durch drei ßfc Tß
Thu-thün.
Das südliche Schi-wei befindet sich dreitausend Li nörd
lich von Khi-tan. Das Land ist niedrig und feucht. Zur Zeit
der Ankunft des Sommers zieht man gegen Nordwest, an die
zwei Borge ^ ^ Tai-p’ö und ^ ^J- Khien-tui über. Es
hat viele Pflanzen und Bäume und Ueberfluss an Vögeln und
vierfüssigen Thieren. Es hat auch viele Mücken. Die Men
schen wohnen in Nestern, um diesem Ungemach zu entgehen.
Der Stamm theilte sich allmälig in fünf und zwanzig
Abtheilungen. Jede Abtheilung hat einen * * in ar m
Yü-mö-fe-men-tö. Derselbe ist gleichsam ein Häuptling und
Aeltester. Wenn er stirbt, wird dessen Sohn oder jüngerer
Bruder in die Stelle eingesetzt. Ist keine Nachkommenschaft
da, so wählt man einen weisen, ausgezeichneten Mann und
setzt ihn ein.
Was die Gewohnheiten betrifft, so lassen die Männer
das Haupthaar wachsen, die Frauen theilen es. Die Kleidung
ist mit derjenigen von Khi-tan gleich. Man fährt in Wagen,
welche mit Rindern bespannt sind. Aus Bambusmatten baut
man Häuser,von der Art der Filzwagen der Türken. '
Wenn man einen Fluss übersetzt, bindet man Brennholz
zusammen und bildet eine Flösse. Bisweilen geschieht es, dass
man aus Fellen Kähne verfertigt.
Für die Pferde macht man gewebte Gräser zu Heu. Ge
knüpfte Schnüre macht man zu Zügeln. Als Schlafstätte bildet
man ein gekrümmtes Häuschen und überdeckt es oben mit
Bambusmatten. Wenn man wegzieht, ladet man es auf einem
Wagen und nimmt es auf den Weg mit.
Man verfertigt Teppiche aus Schweinsleder und Matten
aus geflochtenem Holze. Die Frauen und Mädchen umfassen
im Sitzen ihre Kniee.
Der Himmelsstrich ist sehr kalt, die Ernte auf den Feldern
sehr karg. Schafe sind nicht vorhanden. Es gibt wenige Pferde,
1 In dem Zeichen
ist statt
|Ej das Classenzeichen JjJ zu setzen.
482
Pfizmaier.
aber viele Schweine und Rinder. Die Weinbereitung und die
Speisen sind wie bei den Mö-hö.
Bei Heirathen ist es Sitte, dass beide Häuser dem Schwieger
sohn erlauben, die Frau ohne weiteres zu rauben. Erst wenn
er sich entfernen will, schickt er Rinder und Pferde und wirbt.
Wenn die Frau dann einziehen will, wartet man in ihrem Hause
die Schwangerschaft ab. Man folgt ihr hierauf und kehrt wieder
nach Hause zurück. Die Frau heirathet nicht zweimal. Man
hält sie für die Gattin eines Todten und mag nicht mit ihr
wohnen.
In der Niederlassung der Abtheilung baut man in Gemein
schaft ein grosses Gerüst. Wenn ein Mensch stirbt, legt man
den Leichnam darüber. Man trauert drei Jahre. In einem
Jahre wehklagt man nur viermal.
Das Land hat kein Eisen. Man nimmt dieses als ein
Geschenk von Kao-li. Es gibt viele Wiesel.
Wenn man von dem südlichen Schi-wei zwölf Tage lang
reist, gelangt man zu dem nördlichen Schi-wei. Dasselbe ist
in neun Abtheilungen und Niederlassungen getheilt. Man wohnt
um den Berg P± Thu-hö herum.
Den grossen Vordersten dieser Abtheilungen und Nieder
lassungen nennt man £ 41 M n i« Khi-yin-mö-ho-tö.
Jede Abtheilung hat drei H % Mö-ho-fe, welche Jenem
zur Seite stehen.
Der Himmelsstrich ist sehr kalt. Der Schnee ist so tief,
dass in ihm die Pferde versinken. Im Winter tritt man in
das Gebirge und wohnt in Erdhöhlen. Rinder und andere
Haustliiere erfrieren häufig. Es ist Ueberfluss an Rehen und
Hirschen. Indem man sich mit Pfeilschiessen und Jagen Mühe
macht, nährt man sich von Fleisch und kleidet sich in Felle.
Man hackt das Eis auf, taucht in das Wasser und fängt mit
Netzen oder schiesst mit Pfeilen Fische und Schildkröten.
In dem Lande gibt es vielen aufgehäuften Schnee. Aus
Furcht, in Gruben zu versinken, hält man sich im Gehen an
Bäume. Man beschäftigt sich allgemein mit Wieselfang. Man
trägt Mützen von Fuchspelz und kleidet sich in Fischhäute.
Wenn man nördlich tausend Li weiter reist, gelangt man
zu ^ JpTP’ö-schi -wei. Man wohnt daselbst an dem Berge
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
483
Hu-pu. Die Menschenmenge ist sehr zahlreich. Wie
viele Abtheilungen und Niederlassungen dieses Schi-wei ent
hält, ist unbekannt. Man deckt die Dächer mit Birkenrinde.
Das Uebrige ist wie bei dem nördlichen Schi-wei.
Wenn man von Pö-schl-wei in südwestlicher Richtung vier
Tage lang reist, gelangt man zu Schin-nm-tan-schi-wei. Dieser
Name stammt von einem Flusse (Schin-mö-tan). In den Monaten
des Winters wohnt man daselbst in Höhlen, um der Luft des
grossen Urstoffes der Finsterniss zu entgehen.
Reist man wieder in nordwestlicher Richtung mehrere
tausend Li, so gelangt man zu dem grossen Schi-wei. Die
Fusssteige und Wege sind daselbst steil und ungangbar. Die
Sprache wird nicht verstanden. Es gibt iu dem Lande über
aus viele Wiesel und grüne Ratten.
Das nördliche Schi-wei schickte zu Zeiten Gesandte mit
Tribut und Geschenken. Von den übrigen Stämmen kam
Niemand.
Das Reich Mö-hö. 1
+ ^c) (^ + 41) Mö - hö lie s t im Norden des co-
reanischen Reiches Kao-li. Die Städte und Niederlassungen des
Landes haben sämmtlich Vorderste und Aelteste. Sie sind zu
keinem Ganzen vereinigt. Es gibt sieben Stämme. Die Namen
derselben sind:
^ Li-wi-pu , Abtheilung Ll-wP.
Dieser Stamm, dessen Gebiet an Kao-li gränzt, stellt
mehrere tausend Krieger. Er ist sehr kühn und kriegerisch.-
Lr plündert immer das Innere von Kao-li.
te um» Pe-tö-pu ,Abtheilung Pe-tö‘.
Die Wohnsitze dieses Stammes befinden sich nördlich
von denjenigen der Abtheilung Li-wi. Er stellt siebentausend
Krieger.
. 3S Ngan-tsch’e-kö-pu ,Abtheilung Ngau-
tsch’e-köb
Mö-hö wird zu den östlichen Fremdländern gezählt.
484
Pfizmaier.
Die Wohnsitze dieses Stammes befinden sich nordöstlich
von denjenigen der Abtheilung Pe-tö'.
m m m Fe-I-pu ,Abtheilung Fe-I‘.
Die Wohnsitze dieses Stammes befinden sich östlich von
denjenigen der Abtheilung Pe-tö.
m mm Hao-scln-pu ,Abtheilung Hao-schi‘.
Die Wohnsitze dieses Stammes befinden sich östlich von
denjenigen der Abtheilung Fe-I.
He-schui-pu , Abtheilung des schwarzen
Wassers 1 .
Die Wohnsitze dieses Stammes befinden sich nordwestlich
von denjenigen der Abtheilung Ngan-tsch’e-kö.
ÖHl« Pe-schan-pu ,Abtheilung des weissen Berges'.
Die Wohnsitze dieses Stammes befinden sich südöstlich
von denjenigen der Abtheilung Li-wi.
Die letztgenannten fünf Stämme stellen zusammen nicht
mehr als dreitausend Krieger. Die Abtheilung des schwarzen
Wassers ist jedoch die mächtigste.
Von Fe-I ostwärts hat man überall Pfeile mit steinernen
Pfeilspitzen. Die Menschen sind das ehemalige Geschlecht
'|S|| Sö-schin. Die Wohnsitze derselben befinden sich häufig
an Berghängen und Gewässern.
Die grossen Vordersten heissen ijjj flUj Ta-
mö-fe-muan-tö. Mö-hö gilt unter den östlichen Fremdländern
für ein starkes Reich.
Es gibt einen einzelnen grossen Berg. Man bezeigt dem
selben gemeiniglich grosse Ehrfurcht. Auf ihm leben Bären,
Leoparden und Wölfe, welche dem Menschen nichts zu Leide
thun. Auch die Menschen getrauen sich nicht, sie zu tödten.
Das Land liegt niedrig und ist feucht. Man wirft Erde
gleich einem Damme auf, bohrt Höhlen ein und wohnt daselbst.
Man macht Oeffnungen nach oben, durch die man auf Leitern
aus- und ein steigt.
Man gesellt sich zu einander, um die Felder zu bebauen.
Der Boden bringt vielen Weizen, Hirse und nicht kleberigen
Reis hervor. Wasser und Luft sind salzig, wodurch bewirkt
wird, das Salz auf den Rinden der Bäume wächst.
Man hält viele Schweine. Aus gekautem Reis bereitet
man Wein, welchen man trinkt und der auch berauscht.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
485
Die Frauen tragen Kleider von Tuch. Die Männer
kleiden sich in Felle von Schweinen und Hunden. Man pflegt
mit Harn Hände und Gesicht zu waschen. Diese Menschen
sind unter allen Fremdländern die unreinlichsten.
Die Sitten sind ausschweifend und herrscht zugleich Eifer
sucht. Wenn die Gattin nach aussen sich verfehlt und Jemand
es meldet, so tödtet der Mann ohne weiteres die Gattin. Wenn
er sie getödtet hat und es ihn später reut, so tödtet er gewiss
den Angeber. Aus diesem Grunde werden geheime Einver
ständnisse niemals offenbar.
Alle Menschen des Landes beschäftigen sich mit Pfeil
schiessen und Jagd. Die hörnenen Bogen sind drei Schuh
lang. Die Länge der Pfeile beträgt einen Schuh zwei Zoll.
Im siebenten und achten Monate des Jahres bereitet man
immer Gift, mit welchem man die Pfeile bestreicht. Man
schiesst damit Vögel und vierfüssige Thiere. Was getroffen
wird, ist auf der Stelle todt.
Im Anfänge des Zeitraumes Khai-hoang (581 n. Chr.)
ging man einander voran und schickte einen Gesandten mit
Tribut und Geschenken. Kaiser Kao-tsu erliess an den Ge
sandten eine höchste Verkündung, worin er sagte: Ich, der
Kaiser, hörte, dass die Menschen jener Erde viele Fähigkeiten
besitzen, muthig und kühn sind. Jetzt kommen sie, mich zu
sehen. Sie sind wirklich zugetheilt meinem, des Kaisers Busen.
Ich, der Kaiser, blicke auf euch wie auf Sohne. Ihr sollet
mich, den Kaiser, ehren wie den Vater.
Man antwortete: Wir Diener wohnen seitwärts in einer
der Gegenden, auf Wegen weit und fern. Wir hörten, dass
es in dem inneren Reiche einen höchst weisen Menschen gibt.
Desswegen kamen wir an den Hof, uns zu verbeugen. Bedeckt
mit Bewillkommnung und Verleihung, nehmen wir in Empfang
unter den Augen des Höchstweisen. Das Gemütli kann diese
Freude nicht ertragen. Wir bitten, dass es uns vergönnt sei,
dauernd Sclaven und Knechte zu sein.
Dieses Reich gränzte im Nordwesten an m ft Khi-tan
und zwischen beiden fanden immer Einfälle und Plünderungen
statt. Später, bei Gelegenheit der Ankunft des Gesandten,
richtete Kaiser Kao-tsu an diesen die ermahnenden Worte: Ich
bedenke mit Bedauern, dass zwischen Khi-tan und euch kein
Sitzungaber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 31
486
Pfizmaier.
Unterschied ist. Es ziemt sich, dass ihr beide die Gränzen
der Erde bewachet. Solltet ihr nicht zufrieden sein und euch
freuen? Wie kommt es, dass ihr ohne weiteres euch überfallet
und angreifet? Ihr handelt sehr meinem Willen zuwider.
Der Gesandte entschuldigte sich wegen des Verbrechens.
Kaiser Kao-tsu tröstete ihn in grossem Masse und hiess ihn
bei dem Feste, welches vor dem Kaiser stattfand, trinken.
Der Gesandte und alle seine Leute erhoben sich und tanzten.
In der Weise des Tanzes war häufig die Vorstellung von Kampf
und Streit. Der Kaiser blickte hin und sprach zu den auf
wartenden Dienern: Zwischen Himmel und Erde gibt es also
diese Dinge. Man bekundet immer die Absicht, von den Waffen
Gebrauch zu machen. Warum ist dieses so arg?
Dieses Reich verblieb jedoch Sui gegenüber in Abge
schlossenheit. Bloss die Stämme Li-wi und Pe-schan hatten
sich genähert.
Als Kaiser Yang zum ersten Male sich in den Kampf
mit Kao-li einliess, schlug er fortwährend dessen Heeresmenge.
M f§ Tu-ti-ki, einer der grossen Vordersten von Mö-hö,
erschien an der Spitze seiner Abtheilung und unterwarf sich.
Man ernannte ihn zum Grossen des glänzenden Gehaltes zur
Rechten und hiess ihn in » m Lieu-tsch’ing wohnen.
Mit den Menschen der Gränzgegenden kommend und
gehend, fand er an den Sitten des mittleren Reiches Gefallen
und bat, Mütze und Gürtel tragen zu dürfen. Der Kaiser
hiess dieses gut. Er beschenkte ihn mit Goldbrocat und ge
streiftem Taffet, rühmte und begünstigte ihn.
Zur Zeit des Kriegszuges nach Liao-tung stellte sich
Tu-ti-ki au die Spitze seiner Leute und schloss sich an. Er
erwarb sich in allen Kämpfen Verdienste. Die ihm zu Theil
gewordenen Belohnungen und Geschenke waren überaus be
deutend.
Im dreizehnten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (617 n. Chr.)
folgte er dem Kaiser auf dessen Zuge nach Kiang-tu. Unver-
muthet wurde er entlassen und kehrte nach Lieu-tsch’ing zurück.
Während er sich auf dem Wege befand, ereignete sich
der Aufstand ^5 Li-ml’s. Li-mi entsandte eine Streitmacht,
um ihm den Weg abzuschneiden. Tu-ti-ki bestand vorher und
nachher zehn Kämpfe. Er konnte mit genauer Noth entkommen.
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
487
Als er nach Kao-yang gelangte, wurde er wieder durch J
^ Wang-siü-pö 1 ins Verderben gestürzt. Nach kurzer
Zeit entzog er sich und wandte sich zu |j|| Lo-I. 2
Das Reich Sin-lo. 3
Das Reich IjH Sin-lo liegt im Südosten von Kao-li
und umfasst das Gebiet der zu den Zeiten der Han bestandenen
Landschaft ^ Lö-lang. Einige nennen es |||| Sse-lo.
Als jjj: 'jjnt Wei-khieu-kien über Kao-li Strafe ver
hängte und es zertrümmerte, flohen die Bewohner von Sin-lo
nach Wö-tsiü. Später kehrten sie wieder in ihr altes
Reich zurück. Die Zurückgebliebenen bildeten das Reich Sin-
lo. Die Bewohner sind daher mit Menschen von Hia, Kao-li
und Pe-thsi gemischt. Das Reich besitzt zugleich Gebiete von
Wö-tsiü, * jjfif Pu-nai und Fu-yü.
Der König stammt ursprünglich aus Pe-thsi. Er trat
von dem Meere her als Flüchtling in Sin-lo ein und herrschte
dann über dieses Land als König. Er vererbte seine Würde
bis jpt 2p Kin-tschin-p’ing.
Im vierzehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (594 n.
Chr.) schickte das Reich einen Gesandten mit Tribut und den
Sachen der Gegend. Kaiser Kao-tsu ernannte Kin-tschin-p : ing
zu einem Angestellten des oberen eröffnenden Sammelhauses,
zum Fürsten der Landschaft Lö-yang und Könige von Sin-lo.
Früher war Sin-lo dem Reiche Pe-thsi tributbar. Später,
als Pe-thsi einen Eroberungszug gegen Kao-li unternahm,
konnten die Menschen von Pe-thsi keine Kriegsdienste leisten.
Sie gingen einander voran und wendeten sich nach Sin-lo.
Dieses Reich wurde hierauf stark und mächtig. Es überfiel
daher Pe - thsi und machte sich das Reich Ü Kia-lo
tributbar.
’ Wang-siii-pö hatte sich in Heng-ting gegen Sui erhoben.
2 Lo-I hatte sich in |^[ Yeu-tscheu gegen Sui erhoben.
3 Sin-lo zählt zu den östlichen Fremdländern.
31*
488
P f izra aier.
In Sin-lo gibt es siebzehn Classen von Obrigkeiten. Die
selben heissen:
I-li-kan. Diese Classe ist so vornehm wie dis
Reichsgehilfen.
I-tsch’i-kan.
T Ying-kan.
^ §Ü P’o-mi-kan.
Ta-o-tsch’i-kan, ,der grosse 0-tsch’i-kan‘.
m O-tsch’i-kan.
2^ ^ Yl-ke-kan.
f> Bit i" 1 Scha-tö-kan.
Khi-fö-kan.
A S?JS f Ta-nai-mo-kan, ,der grosse Nai-mo-kan'.
^ Nai-mo.
R ^ Ta-sche, ,das grosse Haush
/]'» ^ Siao-sche, ,das kleine Haush
^ Fe-thu, ,die glückliche Erdeb
Ta-u, ,der grosse Rabeb
/Jn Siao-u, ,der kleine Rabeb
& Tsao-wei.
Auswärts hat man Landschaften und Kreise. Die Schrift-
zeichen, die Panzer und Angriffswaffen sind mit denjenigen
des mittleren Reiches gleich.
Man wählt unter den Menschen die kräftigsten aus und
lässt sie sämmtlich in das Kriegsheer eintreten. Man hat Leucht
feuer, Besatzungen und Plänkler. Zugleich gibt es Lagerungen,
Musterungen, Abtheilungen und Genossenschaften von fünf
Menschen.
Sitten und Gewohnheiten, Strafen, Verwaltung, Kleidung
sind im Ganzen wie in Kao-li und Pe-thsi.
Am Morgen jedes ersten Monates des Jahres wünscht
man einander Glück. Der König veranstaltet ein Fest mit
einer Zusammenkunft und beschenkt nach der Ordnung die
Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
489
Obrigkeiten. An diesem Tage verehrt man den Gott der
Sonne und den Gott des Mondes.
Am fünfzehnten Tage des achten Monates des Jahres
lässt der König Musik aufführen und gebietet den Menschen
der Aemter, mit Pfeilen zu schiessen. Er belohnt sie mit
Pferden und Tuch. Wenn es grosse Angelegenheiten gibt,
versammelt er die Obrigkeiten und heisst sie berathschlagen
und darüber Beschlüsse fassen.
Als Farbe der Kleidung schätzt man das Weisse. Die
Frauen flechten das Haupthaar und wickeln es um das Haupt.
Aus vermischten bunten Seidenstoffen und Perlen verfertigt
man Zierrathen.
Was die Gebräuche. bei Heirathen betrifft, so hat man
nichts weiter als Wein und Speise.
Hochschätzung und Geringschätzung richtet sich nach
Reichthum und Armuth.
An dem Abend der Vermählung verbeugt sich das Mädchen
zuerst vor den Schwiegerältern. Zunächst verbeugt sie sich
dann vor dem Manne.
Bei Todesfällen hat man Sarg, Zusammenfässen, Begraben
und wirft einen Erdhügel auf. Bei der Trauer um den König,
um die Aeltern, um Gattin und Söhne behält man die Kleidung
durch ein Jahr.
Die Felder sind sehr trefflich und bewässert. Man säet
sowohl im Wasser als auf trockenem Boden. Die fünf Ge
treidearten, die Früchte und Gemüse, die Vögel und vier-
füssigen Thiere, die Gegenstände und Erzeugnissse sind im All
gemeinen dieselben wie in dem blumigen Reiche.
Seit dem Zeiträume Ta-nie (605 n. Chr.) schickte das
Reich alljährlich an den Hof Tribut.
Sin-lo besitzt viele Berge und steile Anhöhen. Obgleich
es mit Pe-thsi Zerwürfnisse hatte, war Pe-thsi ebenfalls nicht
im Stande, es zurecht zu bringen.
490
Pfizmaier. Die fremdländischen Reiche zu den Zeiten der Sui.
Bemerkung.
Bei mehreren der hier angeführten Reiche lässt sich der
Name, unter welchem sie sonst bekannt sind, oder die Lage
bestimmen. Dieselben sind nebst Wo (Japan) und Po-sse
(Persien) die folgenden:
Lin-yi, Cochinchina.
Tschin-lä, Cambodja.
Thu-kö-hoen, ein Volksstamm nächst dem See Kokonor.
Tang-hiang, ein tibetischer Volksstamm.
Kao-tsch’aug, Uiguren.
Khang, Sogdiana. Früher Khang-kiü genannt.
Ngan, Parthien. Früher Ngan-si oder Ngan-si genannt.
Yen-khi, die kleine Bucharei nächst dem See Lop.
Su-li, Gebiet von Kaschgar.
Yü-thien, Khotan.
Khi-tan, östliche Tatarei. Dieser Volksstamm beherrschte
später (916—1125 n. Chr.) einen Theil China’s.
Sin-lo oder Sse-lo, ein coreanisches Reich, japanisch Si-
ra-ki, d. i. Si-ra-kuni ,Reich Sse-lo' genannt.
Hoernes. Alterthümer der Hercegovina.
491
Alterthümer der Hercegovina.
Von
Moriz Hoernes.
(Mit 34 Abbildungen.)
In der vorliegenden Arbeit sind keineswegs gleichmässig
die Alterthümer der ganzen Hercegovina aufgezählt und be
schrieben, wie es mir nach vollständiger Bereisung des Landes
und längerer ausschliesslicher Beschäftigung mit den eigen-
thümlichen Denkmälern desselben vielleicht möglich gewesen
wäre. Ich habe bisher (Mai 1880) nur einen Theil des Landes
aus eigener Anschauung und diesen ,vorzugsweise zum Zwecke
der Aufsuchung und Beschreibung römischer Alterthümer £
kennen gelernt. Der Auftrag, mit welchem mich das hohe
k. k. Unterrichtsministerium zu diesem Zweck betraute, er
streckte sich auch auf Bosnien, und ich musste die Hercegovina
schon nach einmonatlichem Aufenthalt (vom 25. Mai bis zum
24. Juni 1879) verlassen, ohne von derselben mehr als den
Landestheil zwischen der Narenta, der dalmatinischen Grenze
und der Linie Imoski-Mostar mit der nöthigen Müsse bereist
zu haben. Aus diesem Gebiet stammen meine Notizen und
zahlreiche flüchtige Skizzen, von welchen hier nur eine kleine
Auswahl vorliegt. Sie mag indess hinreichend sein, eine im
Allgemeinen richtige Vorstellung zu geben von jener Unzahl
merkwürdiger altslavischer Grabsteine, welche bisher so wenig
bekannt wurden, trotzdem sie für Bosnien und die Hercegovina
geradezu charakteristisch sind. Bei dem massenhaften Vor
kommen dieser Monumente im ganzen Lande gewährt das von
mir bereiste Gebiet, welches ich nicht um dieser Denkmäler
willen aufgesucht, nur eine aus dem Vollen geschöpfte Probe,
die ich hiemit als ersten Beitrag zur Erforschung hereegovini-
scher Alterthümer vorlege.
492
Hoernes.
Um wenigstens innerhalb des von mir bereisten Landes-
theils einen möglichst vollständigen Nachweis der Denkmäler
zu geben, nahm ich mir einen Zeugen, der alle Monumente
dieses Landestheils kannte und beschrieb, der mich in dieser
Richtung eben so sehr unterstützte, als ich viele seiner An
gaben nunmehr aufzuhellen glaube — nämlich den Verfasser
des Schematismus der Franciskaner-Ordensmission, P. Bakula. 1
Indem ich diese Quelle vollständig heranzog, erweiterte
sich mein Gebiet nördlich bis an die bosnische Grenze, und
so handeln denn die folgenden Blätter in ausführlicher Weise
nur von den Älterthümern der nordwestlichen Hercegovina
zwischen der Narenta, der bosnischen und der dalmatinischen
Grenze oder jenes Landestheils, der, fast ausschliesslich von
Katholiken bewohnt, die Diöcese des katholischen Bischofs von
Mostar, das apostolische Vicariat der Hercegovina bildet.
Nachdem der gedachte Schematismus, obwohl gedruckt,
ausser dem Lande so gut wie gar nicht verbreitet und nicht
besser bekannt ist, als die seltene Handschrift irgend eines
unedirten Werkes, nachdem ich ihn als verlässlichen Führer
durch den von mir bereisten Landestheil erprobt, nachdem ich
endlich hoffen darf, die Mängel seiner naiven Nachrichten
durch commentirende Worte und Abbildungen theilweise aus
zugleichen, so dass auch die von mir nicht controlirten Angaben
1 Schematismus topographico historicus vicariatus Apostolici et custodiae
provincialis Franciscanico Missionariae in Hercegovina pro a. d. 1873,
Mostar 1873. Eine neuere Ausgabe liegt nicht vor. Die ältere pro a. d
1867 erschien Spalato 1867, ist besser gedruckt, im topographisch
historischen Inhalt reichhaltiger und nur in den statistischen Angaben
veraltet. Diese Ausgabe liegt den flüchtig gearbeiteten und unvollstän
digen Auszügen in Blau’s ,Keisen in Bosnien und der Hercegovina 1 ,
Berlin 1877, S. 198 ff., zu Grunde. (Die Auszüge sind von H. Kiepert
in Berlin gemacht und konnten nur als Wink zur Benützung der Origi
nalquelle dienen.) Der Verfasser des Schematismus, der sich am Schluss
der Vorrede bescheiden Compilator nennt, hat in Italien seine Bildung
empfangen, bekleidete in der Hercegovina die Pfarrämter von Grabovica,
Gradnici, Goriea und Ruzicii, bereiste zum Zweck obgenannter Arbeit
das ganze Missionsgebiet und starb 1873 zu Mostar als Träger vieler
geistlicher Würden. Seine übrigen neun, grösstentheils ordensgeschicht
lichen Schriften in slavischer, italienischer und lateinischer Sprache ver
zeichnet der Schematismus p. 252 f.
Alterthümer der Hercegorina.
493
in ein helleres Licht treten, glaubte ich am Besten zu thun,
wenn ich, einem Editor gleich, hinter den Text des genannten
Autors zurückträte und seine auf die Alterthümer des Landes
bezüglichen Notizen wörtlich mittheilte.
In diesem Sinne ist den folgenden Blättern der Text
beider bisherigen Ausgaben des genannten Buches: 1873 und
1867 (letztere subsidiär, wo die ältere Ausgabe vollständiger
ist), zu Grunde gelegt. Um jedem Verdacht der Entlehnung
fremder Federn auszuweichen, lasse ich dem einheimischen
Autor auch da, wo seine Wahrnehmungen sich vollständig mit
meinen eigenen decken, das Wort allein und beschränke mich
ganz auf die nothwendigen Berichtigungen und genaueren Aus
führungen seiner oft vagen und kurzen Notizen.
Die gegenüber der Masse altslavischer Denkmäler nume
risch fast verschwindenden römischen Alterthümer, welche ich
zusammenhängend im ersten diesjährigen Hefte der ,Archäo
logisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich', S. 32
bis 47, vorlege, sind hier, mit Ausschluss der epigraphischen
Denkmäler, theilweise wieder aufgenommen, weil ich glaube,
dass zum Verständniss der altslavischen Gräbersculpturen die
Kenntniss der im gleichen Rayon gefundenen spätrömischen
Bildwerke nothwendig ist. Wie die mittelalterliche Cultur in
den Wohnsitzen und Communicationen das Erbe des Alterthums
antritt, so ist auch die künstlerische Hinterlassenschaft des
letzteren an Ort und Stelle ihr Besitz und Vorbild für die
eigenen schwachen Leistungen. Wenn die Römer in der bilden
den Kunst als Schüler der Griechen erscheinen, und von
ihnen bei solchen Meistern ebensowenig ebenbürtige als ganz
verwerfliche Schöpfungen hervorgebracht werden konnten, so
waren die Slaven des Mittelalters auf dem Boden einstiger
römischer Provinzen in der Kunst die armen, doch nicht ganz
enterbten Nachfolger jener halbbarbarischen spätrömischen
Steinmetzen, denen wir die Mehrzahl römischer Provinzialdenk-
mäler verdanken.
Dies zeigt sich zumeist in den Formen und Sculpturen
jener Steine, welche die Hauptmasse der erhaltenen hercego-
vinischen Denkmäler bilden. Von diesen muss ich noch Einiges
vorausschicken. Zunächst die allgemeinen Bemerkungen des
einheimischen Autors über diese Monumente:
494
Hoernes.
Nullibi locorum in Europa invenire est tantam multitu-
dinem veluti consitam antiquorum monumentorum et ut ajunt
gentilitium sepulcrorum, quemadmodum in Hercegovina. Est
autem singulum sepulcrum circa corpus solide constructum et
saepissime etiam fornice instar cubicelli armatum ad terrae
superficiem, tumque summa sepulcri plus minusve magno et
plano praemunita lapide. Huic demum alium insidentem videre
est tarn magnae grossitiei ut reapse obstupescat etiam exper-
tissimus vir, et maxime si cogitaverit tarn immensam molem
quibus mediis transtulerint ad montes et colles non semel prae-
ruptos. Ubi duos indicatos lapides demiratus fueris, haud non
frequens etiam tertium secundo insidentem videbis isque ad
formam parvuli templi aut domus figuram referens diversa tibi
emblemata praesentans in aliquid magnifici tuam rapiet mentem.
In huiusmodi enim lapidibus sat affabre elaboratis praeter fami-
liarum stemmata etiam regia de stirpe prodeuntium multa alia
est excisa ibidem videre, significantia qua occasione ibi sepultus
oceubuerit vel quibus in vita speciatim occuparetur. Inscrip-
tiones autem glagoljiticae saepissime in monumentis desi-
derantur ... 4
Ich selbst habe den ersten äusseren Eindruck, den ich
im Mai 1879 von diesen Gräbern empfing, mit folgenden
Worten geschildert: Halb oder ganz umgestürzt, in die Erde
gesunken, von Gras und Gebüsch überwuchert, bemoost, grau
und verwittert liegen diese Steine da, wie seit Anbeginn der
Geschichte, wie Denkmäler einer uralten Vergangenheit, von
der ,kein Lied, kein Heldenbuch' meldet (,Wr. Abendp.' 1879,
Nr. 188). Und angesichts einer andern, besonders ausge
dehnten Gräberstätte auf einer Hügelwelle der Hochebene
von Glasinac suchte ich das melancholische Bild, zu welchem
die trostlose, von hier weit übersehbare Oede den passenden
Hintergrund gewährte, in folgender Schilderung festzuhalten:
,Gut 250—300 meist sarkophagförmige Steine von enormer
Grösse bedecken den ganzen oberen Plan der Kuppe und einen
Theil des anstossenden Bergriegels. Viele sind so tief in die
1 Auf den Rath der competentesten Persönlichkeit lasse ich die von mir
gefundenen Inschriften bis auf zwei kurze und leicht verständliche vor
läufig unedirt, da der Schlüssel zur vollständigen Lesung bosnischer In
schriften noch nicht gefunden ist.
Alterfchümer der Hercegovina.
495
Gruft hinabgesunken, dass nur 1 mehr die Dachflächen sichtbar
sind, andere ganz in der Erde verschwunden und von Gras
und Moos überwuchert; doch erkennt man mit Auge oder
Fuss noch die Stellen, wo sie gestanden. Theils liegen sie
reihenweise dicht neben einander, theils in pittoresker Unord
nung, wie um den heutigen Eindruck hervorzurufen, zerstreut,
theils halb oder ganz umgesunken, aneinandergelehnt, theils
absichtlich umgestürzt oder zerschlagen. Ueberall ist der Ver-
witterungsprocess sehr weit vorgeschritten, dem es vielleicht
zuzuschreiben ist, dass ich nirgends Sculpturen oder Inschriften
linden konnte. Einzelne Steine sind so verwittert, dass man
sie in anderer Umgebung zweifellos für natürliche Felsblöcke
halten würde' (,Wr. Abendp.' 1880, Nr. 84). Dieser Eindruck
des höchsten Alters hat H. Sterneck, der zuerst in zusammen
hängender Weise von jenen Denkmälern sprach, 1 verleitet,
ohne nähere Prüfung der Sculpturen, ohne Beachtung der un
zweideutig sprechenden Inschriften die , alten Grabmal er Bos
niens und der Hercegovina' für prähistorische Monumente
zu erklären, — ein gewaltiger Irrthum, denn das Alter der
selben zählt nur nach wenigen Hunderten, nicht nach Tausenden
von Jahren. Dann hat sich der Wunsch, in den genannten
Ländern Spuren der ostgothischen Herrschaft, die sich im fünften
und sechsten Jahrhundert auch über die weströmische Provinz
Dalmatien erstreckte, zu entdecken, in einem Falle (Blau, Reisen
in Bosnien und der Hercegovina, Berlin 1877, S. 25) an Denk
mäler dieser Classe geknüpft. Sterneck und Blau waren auch
die Ersten, welche einzelne dieser Monumente durch gute Ab
bildungen zugänglich machten. Lediglich Entstellungen der
Originale sind die flüchtigen Skizzen zweier anderer, in Zeit
schriften erschienenen Arbeiten: 1. Itineraires en Herzegovine
par E. de S te -Marie (Extrait du Bulletin de la societe de
geographie — avril et mai 1876 — Paris 1876). Der Ver
fasser bereiste gleichfalls den katholischen Landestheil, seine
Aufnahmen lassen sich daher durch die folgenden Mittheilungen
controliren. 2. Starine bosanske od Martina Nedica (Arkiv
1 Geogr. Verhältnisse, Communicationen und die Reisen in Bosnien, der
Hercegovina und Nord-Montenegro. Mit IV colorirten Tafeln. Wien 1877.
Alte Grabsteine* S. 45—56, und Bl. IV vgl. Bl. I zur Uebersicht der
geographischen Verbreitung.
496
Hoernes.
za povjestnicu jugo-slavensku, IV. Bd., Agram 1857, p. 142
bis 162 und Tafel). Die Abbildungen — sieben bildlich ver
zierte Grabsteine aus der Umgebung von Livno — konnte ich
auf meiner diesjährigen Reise mit den Originalen vergleichen.
Von den mitpublicirten römischen Denkmälern verräth nament
lich das untere Basrelief des Grabsteines von Putacevo bei
Travnik (C. J. L. III, 2765, jetzt' unter den Sculpturen des
k. k. Münz- und Antiken-Cabinets im untern Belvedere zu
Wien) eine auffallende Verwandtschaft mit den altslavischen
Reliefs und könnte sich nach Object und Schema der Dar
stellung ebensogut auf einem altslavischen Grabsteine finden.
Eine genauere Kenntniss dieser eigenthümlichen Denk
mäler hatte die österreichisch-ungarische Occupation [Bosniens
und der Hercegovina zur natürlichen Folge. Als die Frucht
wissenschaftlicher Nebenbeschäftigung eines einberufenen Re
serve-Militärarztes liegen umfassende Nachweisungen alter
Gräber im nordöstlichen Bosnien von Dr. F. v. Luschan vor
(,Altbosnische Gräber' im Feuilleton der ,Deutschen Zeitung'
vom 14. Sept. 1879). Aus ihrer Vergleichung mit den Denk
mälern derselben Classe im Südwesten des Landes und in der
Hercegovina, ergibt sich bei grosser Aehnlichkeit in den
Formen, Dimensionen und emblematischen Verzierungen der
Steine mancher gewichtige Unterschied. Namentlich sind die
hercegovinischen Grabsteine reicher an bildlichen Darstellungen
und tragen bei fast gänzlichem Fehlen spiraler Verzierungen,
die im Nordosten entschieden vorherrschen, häufig das dort so
seltene, von Sterneck als bedeutsames Symbol vollständig
bezweifelte Kreuz. Ich selbst habe in einer Reihe von Reise
skizzen vermischten Inhalts (,Archäolog. Streifzüge in der Her
cegovina', Beilage der ,Wr. Abendp.' 1879, Nr. 184—188,
210 f., 231 f., 239—241, 289 f.) von den Resultaten meiner
Tour durch die obere Hercegovina, soviel sich ohne Abbil
dungen und allzugrosse Ausführlichkeit mittheilen Hess, dem
Rahmen einer allgemeinen Reiseschilderung eingefügt. Eine
zweite Artikelreihe (,Reiseskizzen aus Bosnien', das. 1880,
Nr. 14—16, 41-43, 82—84, 103—105, 133—136, 156—158)
enthält in gleicher Form Nachweisungen mannigfacher Denk
mäler und Alterthümer im südöstlichen Bosnien, deren genauere
Beschreibung und Abbildung demnächst erscheinen soll. Die
Altertliüraer der Hercegovina.
497
Munificenz des hohen Ministeriums für Cultus und Unterricht
hat mich in den Stand gesetzt, auch in diesem Jahre eine Reise
nach Bosnien und der Hercegovina zur Aufsuchung dortiger
Alterthümer zu unternehmen, und so darf ich hoffen, dem mir
ertheilten Aufträge bald durch ausgedehntere Arbeiten zu ent
sprechen. 1
Es erübrigt mir nur noch, dem hohen Unterrichtsmini
sterium für dessen Munificenz, sowie dem hohen Reichs-Kriegs
ministerium und den Stationscommanden im Occupationsgebiet
für deren mannigfache Unterstützung meiner Arbeiten den
schuldigen Dank auszusprechen.
In der Anordnung der folgenden Auszüge und Mitthei
lungen bin ich von Mostar, der Landeshauptstadt, und deren
Umgebungen ausgegangen, umschrieb zunächst das von mir
bereiste Gebiet so, wie ich es kennen lernte, setzte dann an der
Hand meines einheimischen Führers die Beschreibung bis an die
nördliche Landesgrenze fort und gab zum Schluss eine Ueber-
sicht des Wenigen, was mir von den Alterthümern der südlichen
Hercegovina vor meiner zweiten Reise bekannt geworden.
Den allzeit schwankenden Umfang der Hercegovina habe
ich gleich jenem des Kreises Mostar der neuen Landesein-
theilung mit Einschluss des Bezirkes Duvno (Zupanjac) des
Kreises Travnik, also gleich den Sandschaks Mostar und Gaöko
der letzten türkischen Landeseintheilung angenommen. Die
Hercegovina hat ja seit 1865 aufgehört, ein politischer Begriff
zu sein, und nur im Volksmund lebt ihr Name noch mit be
stimmten, sehr ausgedehnten Grenzen, die sich im Norden bis
zur Krajna, im Osten uud Südosten bis Serbien und Albanien
erstrecken, 2 historischen Grenzen, welche die Hercegovina
unter diesem Namen nur wenige Jahre (1448 bis 1463) wirklich
besessen.
1 Siehe die nachträgliche Bemerkung am Schluss dieser Blätter.
>A Kraina Scodrensem usque circulum“ (Schern, p. 12 f,). Mileaeva,
zwischen Priepolje und Sjenica, Kolasin im Süden von Bjelopolje liegen
nach dem Volkslied in der Hercegovina. Als ich bei Rudo, von Visegrad
kommend, den Lim überschritt, befand ich mich nach Aussage meines
1 ührers in der Hercegovina. Ebenso in Öajnica und in Gorazda.
498
Hoernes.
I. Mostar.
a. Die Narentabrüeke.
1. Beschreibung. Schern, p. 116 s. Pons iste suis co-
lossalibus basibus cis et ultra Narentam solidissima praemit
antra. Omnis et singulus in eo lapis etiam fundamentalis albus
et durissimus est summa peritia sectus atque perpolitus ita ut
connexiones vix distinguens unum potius quam plures lapides
intuearis. Unico constat arcu alto XC pedes romanos (nach
Blau, Reisen S. 36, vom Wasserspiegel aus 19 M., 100 röm. =
94 Wiener F.). Ad quatuor latera quaternis turribus pontis
bases strenue sustentantur. Igitur iste majestosus pons, si quem
habet defectum, is est ex ejus plus aequo acuminato arcu.
Interim nimia exuberantia Narentae etiam istum defectum fors
tenuem reddit: etenim non multurn retro contigit ut ascen-
dente alluvione et arbores ex Bosna devebente totam arcus
altitudinem occupaverit; dumque pons minaretur ruinam, auda-
cem quemdam in corbe appensum deponere oportuit, qui serra
quosdam arborum ramos recidens pontem a tristi casu liberavit.
Audax autem ille erat Antonius An die de Mostar. Pons est
longus brachia LXIII latus vero VI (nach Blau 1. c. beträgt
die weiteste Spannung des Bogens 27-34, die Breite des Bettes
38-50, die Breite der Brücke 4-55 M.) crepidine ex colossali-
bus lapidibus instructus ad altitudinem semi alterius brachii et
in crepidine sunt aliqui lapides viginti unius palmi, latitudinis
autem plus quam novem palmorum (100 Palmi der italienischen
Architekten = 71 Wiener F.).
Pontem istum cum suis quatuor turribus, inter quos sunt
binae magnae portae hinc et inde, vulgo ,grad' (arcem) vocant.
Turres sunt ad quatuor contignationes (a fundamentis autem
ad plures) serviuntque partim pro duris carceribus partim autem
pro pulveris pyrei promptuariis. Turres certo certius ab suis
exordiis ad actualem supra pontem altitudinem non fuerant
evectae, inferior enim labor manus nobilis, superior fors turci-
cum signat opus, uti ibidem turcica insex-iptio fert ad funda-
menta turris orientalis, in quo anno reparatio indicatur. (Tur
cica inscriptio in lapide existente in boreali latere pontis
ejusdem tum Constructionem tumque reparationem et turcis
Alterthümer der Hercegovina.
499
adlegat et sat recentes refert, nempe constructionem contigisse
Mahumetis egirae anno 974 [1596 n. Chr.] reparationem autem
anno 1087 [1709 n. Chr.]. Der Autor hält die Brücke nämlich
für ein römisches Werk aus der Zeit Hadrians. Wenn Blau
1. c. sagt: ,Das Ganze ist, architektonisch betrachtet, aus einem
Gusse und Style, selbst die Steine der untersten zugänglichen
Schicht zeigen keine Spur eines älteren Unterbaues', so steht
die schärfere Beobachtung hinsichtlich der erwähnten Restau
rationsspuren entschieden auf Seiten des einheimischen Autors,
der die Brücke täglich vor Augen hatte. Um mehr als ein
Jahrhundert irrt Blau in Berechnung des Alters der Brücke,
wenn er ihre Erbauung um 1483 ansetzt in Folge ungenauer
Lesung der arabischen Jahreszahlen. Abbildung der Brücke
bei Wilkinson, Dalmatia and Montenegro II landschaftlich S. 58,
architektonisch S. 59, die Inschriften S. 61, letztere auch
Ste-Marie I. c. p. 52.)
2. Erbauung. Hadschi Chalfa (f 1648), Rumeli und
ßosna, geographisch beschrieben. Aus dem Türkischen von
Hammer, S. 175 f. ,In Mostar ist eine sehr merkwürdige, aus
einem Bogen gewölbte Brücke, i. J. 974 erbaut; da die meisten
Gärten jenseits des Flusses liegen' (im Thal der Radobolja,
die sich dicht an der Brücke in die Narenta ergiesst), ,so
passirte man denselben ehemals auf einer grossen, in Ketten
hangenden hölzernen Brücke, die aber, da sie keine Pfeiler
hatte, so schwankte, dass man nur mit Todesfurcht hinüber
ging. Nach der Eroberung baten die Einwohner den Sultan
Suleiman, ihnen eine steinerne Brücke bauen zu lassen. Dieser
schickte den Baumeister Sinan' (es war dies der grösste tür
kische Architekt aller Zeiten), ,der nach eingenommenem Augen
schein es für unmöglich erklärte, hier eine Brücke zu wölben.
Man stand also damals davon ab. Späterhin verbürgte sich
ein geschickter Tischlermeister des Ortes' (wenn wir die heutige
Landessitte auch für jene Zeit gelten lassen, gab es in Mostar
keinen Meister, der blos Tischler und Zimmerer, nicht auch
Maurer und Baumeister war) ,für die Ausführbarkeit des Vor
schlages, und die Brücke kam zu Stande. Sie hat einen ein
zigen Bogen, dessen Durchmesser 150 Ellen misst, ein Kunst
werk, das alle Baumeister der Welt' (Schein, sagt nur: cui
similis in tota europaea turcica possessione non invenitur)
500
Ho er ne s.
,schachmatt machte. Die Mauer, worauf der Bogen ruht, hat
in der Breite beiläufig 8 Eilend
In der früher allgemein angenommenen Voraussetzung,
dass die Brücke römischen Ursprungs sei, einigte sich die
archäologische Gesellschaft zu Berlin (Arch. Anzeiger 1865,
S. 115) angesichts einer Photographie derselben mit Rück
sicht auf die steil anstrebende Höhe des Bogens, sowie auf
manche andere Besonderheiten in der Construction des Werkes
dahin, dasselbe vielmehr den Zeiten Justinians, als einer ältern
römischen Epoche, zuzuschreiben (Adler). Sax hielt den Bau
meister für einen Dalmatiner oder Venetianer. Die einheimi
schen Franciskaner stützen sich auf die Etymologie des Namens
Mostar von Most star (pons vetus), der fünf Jahrhunderte hin
auf zu verfolgen sein soll und nur die heutige Brücke, welche
schon damals alt (star) gewesen, bezeichnen könne, überdies
auf die Uncultur der Türken, deren Auftreten nur den Rück
gang des Landes in jeder Beziehung hervorgerufen (scimus
quippe qua infausta epocha Hercegovinam occuparunt. Schern.).
Bei den Mostarer Türken ist die Tradition ihrer Urheberschaft
des Werkes (praetensio qua ingerunt se huius pontis auctores,
1. c.) nie erloschen gewesen.
Bei den Orthodoxen knüpft sich an den Bau der Brücke
eine mythologisch interessante Volkssage, die von einem ein
geborenen Naturdichter in der üblichen Weise versificirt ist
und zur Gusla vorgetragen wird.' Darnach erkauft sich der
von den Türken gefangene Baumeister Rade die Freiheit durch
dieses Werk, das ihm trotz aller Anstrengung nicht gelingen
will, bis er auf den Rath der Vila (altheidnische Naturgottheit
der Slaven) vom Berge Velez ein Liebespaar in die Grund
festen der Brücke vermauert. Die Vila, die ihr Naturreich
durch Menschenwerk nicht stören lässt, bis sie durch ein Bau
opfer (dergleichen auch die alten G.ermanen, wie die Römer
und Griechen kannten) beschwichtigt wird, spielt hier zugleich
die Rolle des Wassergeistes, der keine Brückenfessel duldet.
Im Volkslied von der Erbauung Skadars (Scutaris, Karadzic
1 Der Anfang lautet: Mila braco, cuda golemoga!
Kad se gradi kamena cuprija
U Mostaru na vodi Neretvi . . .
Alterthümer der Hercegovina.
501
nar. srpsk. pjesm. II 26, deutsch Talvj, Volkslied, der Serben
I, S. 78) stört die Vila so lange den Festungsbau, bis sie durch
ein Bauopfer versöhnt wird, und noch vor zehn Jahren, als
die Trebinjaner (in der südlichen Hercegovina) eine Brücke
über die Trebinöica bauen wollten, vermauerten sie in das
Fundament derselben eine auf ragusäischem Gebiet gestohlene
Kindesleiche.
3. Ueber die pittoreske landschaftliche Wirkung und
einige Details des Bauwerkes schrieb ich unter dem unmittel
baren Eindruck seines ersten Anblicks folgende Schilderung
(vgl. ,Wiener Abendpost' 1879, Nr. 184 f.): Unvergleichlich ist
der smaragdgrüne Wasserspiegel der Narenta, die zwischen
aufragenden Klippen und herabgestürzten Blöcken tief unten
rauschend dahinschiesst, unvergleichlich der schmale Bogen,
der wie ein steinernes Seil oder besser wie eine versteinerte
Iris hoch über den Abgrund gespannt ist; in der Mitte des
Bogens, an seiner höchsten Stelle, hat ein Feigenbaum seine
Wurzeln in den Stein geschlagen, reiche Vegetation grünt auf
den geborstenen, Besorgniss erregenden Strandpfeilern, und
als sei es des Wassers nicht genug da drunten, ergiesst sich
in mehreren Strahlen ein von der Radobolja abgeleiteter Mühl
gang dicht neben der Brücke am rechten Ufer, über Fels
blöcke sprudelnd, in den Strom. Die Narenta ist hier so tief,
dass kecke Burschen es wagen, gegen ein geringes Entgelt
vom höchsten Punkt der Brücke, bei 90' über dem Wasser,
sich kopfüber in die reissende Fluth zu stürzen, — ein Unter
nehmen, das auch unsere kühnsten Schwimmer nicht nachahmen
werden, wenn sie von der schwindelnden Höhe hinabsehen in
das von Felsblöcken eingeengte Gewässer. Riesige Schuttkegel
am linken, herabgestürzte Mauern am rechten Ufer bezeichnen
die Wirkung der letzten Regengüsse, die vor einigen Wochen
die breite Konakstrasse, sowie die Mühlgänge am jenseitigen
Ufer zu zerstörenden Giessbächen umgewandelt haben. Man
kann sagen, dass fast jeder Regen die Physiognomie der Na-
rentaufer bei Mostar verändert, je nachdem bald Trümmer
einer Mühle oder Ruinen eines Hauses, bald ein Stück blühen
den Gartens, auf die Strandklippen hinabgestürzt, Zeugniss
ablegen von der Vergänglichkeit dessen, was Menschenhand
übermächtigen Naturgewalten zum Trotz an dieser Stelle erbaut.
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 32
502
Hoern es.
, Eisige Badgemächer', wie einst König Jugurtha das römi
sche Tullianum nannte, sind die beiden halbkreisrunden Wart-
tlnirme an jedem Brückenköpfe mit ihren über klafterdicken
Mauern, die den Eintretenden mit kühlem Schauer umfangen,
unter den Türken bald als Kerker, bald als Pulvermagazine
verwendet. 1 Jeder der beiden Kulas entspricht eine weitere
in dominirender Lage, links beim Konak am Abhange des
Podvelez, rechts auf einem vorspringenden Felsen des Hum,
so dass die Brücke im alten fortificatorischen Style mehr als
hinreichend geschützt erscheint. Jetzt freilich haben diese
Befestigungen ihren Werth verloren, wie die in einer der Kulas
rostenden Haufen von Geschützkugeln und ihr vermorschtes
Treppenwerk eindringlich bezeugen.
Beim Uebersehreiten der Brücke fällt deren starke Stei
gung auf, die durch Staffeln vermittelt wird; dafür belohnt
vom höchsten Punkte, wo ehemals eine Art von Pranger be
standen haben soll, eine fesselnde Schau stromauf- und abwärts,
sowie hinunter in die schwindelnde Tiefe. Man glaubt es kaum,
was von den besten Gewährsmännern versichert wird, dass der
rapid anschwellende Strom manchmal durch mitgeführte Baum
stämme den Scheitel des Bogens bedroht, so hoch steigt die
Fluth nach starken Begengüssen! Hier gewahrt man auch die
bedrohlichen Risse im rechtsseitigen östlichen Brückenpfeiler,
deren Beobachtung wahrscheinlich der Grund war, weshalb
die Türken das Befahren der Brücke mit Wagen nicht zu-
liessen. Während der Occupations-Campagne passirten lange
Fuhrwerks-Colonnen hinüber und herüber, bis eine Erweiterung
der erwähnten Risse neuerdings das Einstellen des Wagen
verkehrs nothwendig machte. Uebrigens sind Fuhrwerke in
der Hercegovina bekanntlich eine seltene Erscheinung, 2 und
so gleicht dieses Verbot keineswegs einem Unterbinden der
Verkehrsader zwischen beiden Stadttheilen (anima civitatis,
Sehern.), da in wie ausserhalb derselben fast alles zu Trans-
portirende auf Tragthieren fortgebracht wird.
’ Im Jahre 1861 hat einer derselben Feuer gefangen, seitdem wurden die
Pulvervorräthe der Stadt in neugebauten Thürmen im Bilopolje nördlich
von Mostar aufbewahrt.
2 Nach dem amtlichen Volkszählungs-Ausweis Tab. II vom 15. Juli 1819
existiren im Lande nur 40 Pferde- und 252 Ocbsenwagen.
Alterthümer der Hercegovina.
503
Dem ist noch.beizufügen, dass die türkische Regierung
letzthin im Plan hatte, das alternde Bauwerk, auf dem ein
guter Theil des Verkehrs zwischen Bosnien und Metkovic be
ruht, durch den Bau einer zweiten Steinbrüeke oberhalb der
alten theilweise zu entlasten. Es kam jedoch nicht dazu. Nur
eine Anzahl grosser Quadern ist an der zum Bau bestimmten
Flussstelle vorbereitet worden und liegt noch dort.
b. Radobolja-Brüeken.
Sehern, p. 17. Supra Humen Radobolja sunt viginti
■pontes in Mostar. Alle liegen auf einem kleinen Fleck kurz
vor der Einmündung der Radobolja in die Narenta beisammen
und überspannen in malerischen, kreuz und quer gestellten
Steinbögen, bald tief über dem Wasser, bald hoch zwischen
Felsen, den in unzählige Arme und kleine Adern zerrissenen
und zerfaserten Gebirgsfluss. Die meisten sind uralt und so
stark, dass selbst in grösster Nähe vorgenommene Dynamit
sprengungen, durch die man sie geopfert glaubte, ihr festes
Gefüge nicht erschütterten.
c. Kirehenruinen.
Schern. 122. Ecclesiae nostrae antiquae quantum ex tra-
ditione hausimus tres erant in Mostar: S. Stephani, S. Lucae,
cuius etiam hodie turris campanaria existens commune horo-
logiuin sustinet et ecclesia cum conventu Franciscanorum S.
Antonii Patavini ad Radobolja sub Hum. Est porro sub
l'ukodo ad mediam noctem in suburbio Podhum moschea
quam recensent fuisse S. Annae ecclesiam, et ibidem proximum
antiquum ponticulum etiam hodie pontem S. Annae compellant.
In proximo autem pago occidentali Iliici duae antiquae erant
ecclesiae una ad descensum fontis Babun S. Rosae Viter-
biensis, cuius muri etiam hodie existunt turcicae servientes
moscheae, et altera in Smrcenjaci S. Mariae ad Nives in
rudus redacta. (Zerstörung des Klosters Schein, p. 29. Turcae
persecutionis furore acti Episcopum Duvnensem fratrem Da-
nielem Vladimirovid insequentes cum rescivissent illum ad
conventum S. Antonii in Mostar divertisse, et quum eum
ibidem minime deprehendissent, religiosos conventum inhabi-
tantes laesae Majestatis crimine insimulant morte crudeli eosdem
afficientes conventum in rudus converterunt 1570.)
32*
504
Hoernea.
d. Das mittelalterliche Castell.
Wie alle städtischen Ansiedlungen Bosniens und der Her-
cegovina, war auch Mostar im Mittelalter nur die Unterstadt
(suburbium) einer Burg oder Akropole, deren Namen mit Vor
gesetztem pod (sub, sotto) sie führte. Bei den meisten anderen
ist diese Vorsilbe weggefallen und der Name der verfallenden
Burg ganz auf die Stadt übergegangen. Anders in Mostar.
Hier führt jetzt der Burghügel den Namen des Castells, und
die Stadt nennt sich nach dem wichtigen Flussübergang, der
hier schon in alter Zeit bestand, ,Brückenstadt' (Mostar).
Sehern, p. 118. Civitas Mostar est veluti in faucibus
montis Velez et magni collis Hum. Velez ab Oriente, Hum
autem ab occasu adjacentes hinc et inde angustam relinquunt
secus Neretva planitiem civium domibus consitam .... Uni-
cum habet suburbium (Vorstadt) Zahum tendens ad occasum
versus Iliißi. P. 149 heisst es bei Erwähnung des grossen
Sees, den die Narenta einst in den Niederungen um Mostar
gebildet haben soll: Hoc nos etiam magis confirmat ut identidem
repetamus, antiquissimam gentem et civitatem Humska in
elevato Hum ad magnum lacum habuisse sedem, et actu exi-
stentia magnae arcis rudera Novi in Hum dictae civitatis de-
fensioni serviisse, nihil obstat quin credamus. Und p. 11 zur
Unterstützung der Hypothese, dass der alte Name der Herce-
govina, Humska, von dem Berge Hum bei Mostar zu erklären
sei: In hoc enim colliculo et suis vicinitatibus etiam hodie
prostant non ignobiles reliquiae antiquarum arcium ad defen-
dendam civitatem Podlium optime dispositarum.
Von dieser, durch Localtradition und Ruinen also be
zeugten Niederlassung weiss die Geschichte wenig. 1 Nicht
einmal den Namen des Castells kennt sie und nennt dasselbe
(1452) nur ,die Schlösser an der Narentabrücke' (do castelli
al ponte de Neretva; Jirecck, Handelsstrassen und Berg
werke von Serbien und Bosnien während des Mittelalters,
S. 79 und Anm. 269). Und wie die Brücke hier zur Bezeich
nung der Veste dient, gibt sie bald nachher (1499, 1513) auch
1 Eine unsichere Ueberlieferung will, dass Radivoj-gost, Burgvogt des
Herzogs Stephan, Mostar im Jahre 1440 ummauert und befestigt habe.
s
Alterthiimer der Hercegovina.
505
der städtischen Ansiedlung den Namen (Pont, Most, Mostici,
Mostari). Die Blüthe der letzteren datirt von dem Zeitpunkt
der türkischen Invasion, durch welche Blagaj, der nahegelegene
Hauptsitz der christlichen Landesherren, verfiel.
Nach dem Ausdruck der citirten handschriftlichen Quelle
ist anzunehmen, dass sich zwei feste Schlösser zum Schutze
der Brückenköpfe an den beiden Ufern der Narenta gegen
über standen, so wie heute die beiden Rundthürme von
den Abhängen des Hum und Podvelez auf die Brücke
herunterschauen. Diese sind von den Türken und wahrschein
lich gleichzeitig mit den Thorthürmen der Brücke selbst er
baut. Allein so wie sich auf dem Hum die Ruinen einer
älteren, ausgedehnteren Burg finden, sind auch an den Ab
hängen des Podvelez unter den Häusern, welche den Konak
umgeben, spärliche Reste einer stattlichen älteren Baulichkeit
vorhanden. Ein isolirtes Portal stand noch vor Kurzem da
selbst, eine Säule und Mauerreste stehen noch jetzt und dürften
die Stelle bezeichnen, wo das zweite der Castelli al ponte de
Neretva errichtet war. 1
Konstantin Porphyrog. de admin. imp. 33 nennt im ,Zach-
lumer'-Lande (der südlichen Hercegovina bis zur Narenta) un
weit des Flusses Bsva (Buna) zwei Schlösser auf einem Berge:
to Bsva y.a: t6 Xkobp. Bona erklärt Jirecek 1. c. S. 25 zweifel
los richtig für Blagaj, Chlum aber hält er für den zweiten
Namen derselben Burg. Er sei ein allgemeines slavisches
Appellativ (= collis), das jeden Berg bezeichnen könne und
frühzeitig ausser Gebrauch gekommen. Zur Stütze dieser An
sicht könnte noch Schern, p. 11 dienen, wo es heisst: Existit
quidem in planitie Biüce (hora una a Mostar — was in die
Gegend von Blagaj führt) ,Humka‘, sed ibidem nullis civi
tatis aut fortalitiorum existentibus signis vix possibile ibidem
fuisse aliquando locum principalem provinciae. Darnach wäre
der zweite Name von Bona nicht einmal ganz erloschen, denn
Chlum, später Ohmn, und Hum sind ein und dasselbe Wort.
1 Jetzt hat Mostar ausser einigen Geschützständen am Konak keine Be
festigung, aber noch 1684 wollten die Yenetianer ,das veste Schloss
Mostar am Flusse Vissera‘ überfallen (Boethius II, 230), und 1717 ver-
liessen sie nach langwieriger Belagerung .das Castell zu Mostar am Fluss
Karenta‘, ohne es einnehmen zu können (Imhof, Bildersaal VIII, 416).
i
506
Ho er ne s.
Dennoch nimmt der Verfasser des Schern, an, dass der Name
des Landes vom Berg; und Schlosse Hum bei Mostar ausge
gangen sei, und fraglich bleibt es, ob Konstantin mit dem
Schlosse Chlum unweit von Bona (Blagaj) nicht doch das auf
dem heutigen Hum bei Mostar gelegene bezeichnen wollte.
Andere halten für das Chlum des Porphyrogennetos die Ruine
Zalom Palanka (Zalom = Zachlum) östlich von Nevesinje, wo
auch eine römische Inschrift gefunden wurde. Doch liegt diese
Ruine fast dreimal so weit von Blagaj als Mostar, und der
Podvelez, an dessen Südfuss der Burgfels von Blagaj ansteigt,
erstreckt sich nicht nach Osten, sondern nach Nordwesten,
gerade in der Richtung auf Mostar, und fällt dicht gegenüber
dem Hum zur Narenta ab, so dass die Angabe, beide Schlösser
lägen auf einem Berge, nur auf einem nicht allzugrossen
Irrthum beruhen würde.
II. Umgebungen von Mostar.
a. Blagaj und Bisce.
Schern, p. 147 s. Blagaj (locus thesauri vel pacifiea
silva vel demurn mitis climatis locus 1 Hercegovinae dueum
postrema sedes fuit. A Mostar est ad ortum horis duabus ad
radices apricas montis Velez ac in fundo boreali plani Bilde.
Ex dicti montis radicibus assurgit saevus scopulus altus plus-
quam sexcentis pedibus romanis procero fonti fluminis Buna
(turbans — falsche Ableitung vom slav. Worte buna ,Empörung 1 )
insidens. In scopulo igitur isto ceu in elevato et undique vix
scandibili acervo est per antiquum adhuc in bono statu soli-
dum de minoribus fortalitium tribus provisum cisternis. Priscis
temporibus fortalitium hoc in plano ad scaturiginem conside-
rabilem defendebat civitatem Blagaj nunc autem nonnisi paucas
1 Locus thesauri vielleicht mit Bezug auf den im Volke verbreiteten Glauben,
dass in und um Blagaj noch grosse Schätze aus der Zeit Herzog Stephans
vergraben sein sollen. Was das Klima betrifft, so gedeihen in der Ebene
selbst Oelbäume; ,Granaten, Feigen, Vitex agnus castus, Plumbago europaea
und Ruscus aculeatus herrschen vor 1 , Blau, Reisen S. 47 Anm. Am freund
lichsten ist der geschützte Winkel von Blagaj. Von der offenen Ebene
sagt Sehern, p. 150: Bisce arboribus destitutum magno boreali vento
patet ita ut subinde transitum praepediat.
Altertbümer der Hercegovina.
507
domus et unam moscheam habet. Usque acl duo retro annos
turcae in Blagaj bellica tenebant tormenta (ein deutsches Ge
schützrohr mit schönem Bild- und Wappenschmuck, deutschem
Sprüchlein und lateinischer Inschrift, 1569 gegossen, kam aus
Blagaj nach Mostar, ein anderes angeblich nach Constantinopel)
ex quo est colligere, praerecitatum foVtalitium etiam a turcis
aestimari. Totum apricum pedimontium a Blagaj Mostar us
que minus ferax quam amoenum est.
Buna ex Blagaj profluens intra meridiem ac occidentem
in Neretva influit; sed antequam confluant, duos recipit anti-
quae manus lapideos pontes, in Blagaj unum et alterum in
pago dicto de flumine Buna viam in Stolac per Gubavica
transmittens. Iste ultimus pons IX arcubus constat estque
opus tum pulchrum tumque solidum, censetur esse romanum.
Nach Jireceks (1. c. S. 25 f.) unzweifelhaft richtiger Er
klärung, ist Blagaj (von blag, altslavisch bonus) das Schloss
Bova des Konstantin, am gleichnamigen Fluss im Zachlumer-
lande gelegen, der spätere? Name einfach die slavische Ueber-
setzung des ursprünglich lateinischen, der noch heute an dem
Flusse haftet. 1 Nach handschriftlichen Quellen war der
Name des unter Blagaj liegenden Ortes Bisce, genauer Bisde
u podgradju (in der Unterstadt, 1382). Bisce ist jetzt der
Name der zwei Stunden langen, eine Stunde breiten, beiderseits
derNarenta von Mostar nach Südosten sich erstreckenden Ebene,
durch welche rechts die Jasenica, links die Buna der Narenta
zuströmt. 2 Im 13. und 14. Jahrhundert Hauptort von Chlum,
ward Blagaj sammt dem ganzen Lande zu Beginn des 15. Jahr
hunderts (1404) von dem bosnischen Grossvojvoden Sandalj
eingenommen und von seinem Nachfolger Stephan der neu
gegründeten Hercegovina einverleibt. Mit seinem Suburbium
erscheint es mehrfach als beliebter Fürstensitz und als Han
delsstation , zwei Tagreisen von Ragusa, fast alljährlich in
1 Blau, Reisen S. 47, sucht Bona des Konstantin irrthümlich im heutigen
Orte Buna an der Einmündung des gleichnamigen Flusses in die Narenta,
fünf Kilom. von Blagaj, — einem ganz unbedeutenden, zerstreut liegenden
Dorfe von nicht 200 Einwohnern.
2 Auch der Name Podgradje haftet noch an der Gegend nördlich von
Blagaj, Siehe Umgehung von Mostar Taf. VIII der ,Occupation Bosniens
in der Hercegovina 1 (k. k. Generalstabswerk).
508
H oernes.
ragusanischen Acten des 14. und 15. Jahrhunderts (Jirecek
1. c. Anm. 17). Mit dem Untergang der nationalen Selbststän
digkeit begann auch der Verfall von Blagaj (türkisch ,Balagaj‘),
das seine Rolle bald ganz an das aufblühende Mostar, wo der
türkische Statthalter residirte, abtrat. 1
Die gegenwärtige*, Stjepans-Grad genannte Ruine lässt
nur wenig von dem einstigen Glanz des Ortes erkennen. Zwar
gewährt sie, auf einem kahlen, steil in die Ebene abfallenden
isolirten Kalkfelsen im Winkel zwischen dem Podvelez und
dem Dubrava-Plateau gelegen, dem Wanderer aus Nord und
Süd schon von weitem einen imposanten Anblick, allein die Be
steigung der Burghöhe ist nicht lohnend und wird daher selten
unternommen. Sie geschieht durch jenen Engpass im Osten
der Unterstadt, der auch über die südlichen Abhänge der
Velez auf einem sehr beschwerlichen Wege nach Nevesinje
führt und den Verkehr zwischen Mostar und diesem Orte ver
mittelt. Der Eingang zur Burg befindet sich im Südosten der
Höhe; der Bau bildet ein unregelmifesiges Viereck und bedeckt
den ganzen schmalen Grat des Felsenkegels. Ringsumher läuft
eine crennelirte Mauer, zwei Thürme schützen den schwachen
Punkt der Feste, die zugängliche Ostseite, ein dritter erhebt
sich am südwestlichen Rande der Burg.
Lohnender als die Ersteigung des Burgfelsens ist ein
Besuch der Bunaquelle am Fusse desselben, einer Loealität,
an die sich, ausser dem topographischen, ebenfalls archäolo
gisches Interesse knüpft. Man passirt den kleinen, jetzt durch
Truppenbaraken vergrösserten Ort Blagaj (ungefähr 600 Ein
wohner, wovon nur etwa 100 Christen), die alte Steinbrücke,
nächst welcher ein kauzeiartiger Steinbau auf natürlicher
Terrasse auffällt, und gelangt auf einem Engweg zwischen
1 Die Volkssage knüpft an den Verfall von Blagaj eine aus Historischem
und Erdichteten gemischte Erzählung, nach welcher Grujica, der Sohn
Herzog Stephans, von den Türken aufgereizt, sich wider den Vater
empört und denselben in seiner Burg Blagaj belagert habe. Es wird
noch ein Punkt, durch spärliche Ruinen markirt, gezeigt, von welchem
der rebellische Sohn die Burg in Trümmer gelegt. Historisch ist, dass
einer der Söhne Stephans als Achmed Hercegovic Renegat, Pascha und
Grossvezier wurde. Uebrigens zeigt man auch bei Sarajevo den Punkt,
von welchem die Grk-Veste Starigrad von den Türken beschossen wurde.
Alterthümer der Hereegovina.
509
Fels und Fluss, gesäumt von üppigem Granatgebüsch, in
einen von senkrechten Felswänden gebildeten Winkel, aus
welchem dem Wanderer, dessen Stirn von dem Sonnenbrand
der Ebene draussen noch glüht, eine fast eisige Kühle ent
gegenweht. Der Weg endigt unter den furchtbarsten, über
hangenden Felsbarrikaden an einem kleinen Complex von
Gebäuden und Ruinen. Man durchschreitet noch die Hälften
einer mitten entzwei gespaltenen Moschee, die Ali-Pascha
Rizvanbegovic (Vezier und Usurpator der Hercegovina 1832
bis 1849), Besitzer naheliegender Landgüter bei Buna, an
diesem seinem Lieblingsort erbaut. Felsblöcke, die sich von
den überhangenden Wänden gelöst, haben den zierlichen Bau
zertrümmert und liegen noch in den Ruinen desselben. Dann
gelangt man zu einem niedrigen Häuschen, das dicht vor dem
Ursprung des Flusses gebaut ist und diesen dem Blick ent
zieht. Es ist das von muhammedanischen Wallfahrern viel
besuchte Grab eines türkischen Heiligen. Da die verschlossene
Thüre auf wiederholtes Pochen und Rufen nicht geöffnet wurde,
stieg ich auf das mässig geneigte Steindach des Häuschens,
und gelangte auf diesem ungewöhnlichen Wege zum Anblick
des merkwürdigen Naturschauspieles, das die Bunaquelle bietet.
Aus einem in gleicher Höhe mit dem Flussbett liegenden
übervollen Schlunde strömt geräuschlos eine gewaltige Wasser
masse, die im tiefen Schatten der Felswände und vom Wider
schein der bemoosten Ufer dunkelgrün aussieht; es ist der
fertige Fluss, wie er in gleicher Breite nach kurzem Lauf in
die Narenta mündet. Die Anwohner behaupten, er sei iden
tisch mit der Zalomska, deren Quellen in der Gegend von
Gaöko liegen, und die sich über 20 Kilom. östlich von Blagaj
bei Ljubovici am Rande des Nevesinsko-polje in einen Berg
schlund ergiesst. Dies soll neuerlich durch Säcke voll Säge
späne, die man in jenen Schlund der Zalomska warf und die
bei Blagaj wieder zum Vorschein kamen, bewiesen worden sein.
Unmittelbar vom Dache des erwähnten Häuschens führt
eine kleine Treppe empor zu einem zweiten Schlund, der etwa
fünf Klafter über dem ersteren mit Anfangs mässiger, später
stärkerer Neigung ins Innere des Berges abfällt. Er ist ebenso
breit wie der untere und so hoch, dass ich aufrecht etw^a
zehn Schritte in denselben eindringen konnte. Weiter vor-
510
Hoernes.
zudringen verhinderte mich der jähere Abfall, die Finsterniss
der gähnenden Tiefe und ein Gefühl des Schauers, das
mich momentan übermannte, als eine Schaar wilder Tauben,
die in den Felshöhlen nisteten, mit lautem Flügelschlag blitz
schnell und dicht an mir vorüber das Freie suchte.
Als ich wieder übers Dach zurückgeklettert war, fand
ich die früher verschlossen gewesene Thüre geöffnet und betrat
das enge und düstere Grabgemach des erwähnten türkischen
Heiligen. Zwei bedeckte Holzsärge umschliessen die Leiber
des frommen Gottesstreiters und seines treuen Dieners, der
neben ihm bestattet ist. Ein alter Säbel und ein Streitkolben
hängen an der Wand — dieselben Gegenstände sind aussen,
an der dem Fluss zugekehrten Wand, in bemaltem Relief dar
gestellt — Schaffelle und Teppiche bedecken den Boden. Es
gibt noch Wassergefässe, Schälchen, Tücher und in einigen
Fächern allerlei gottesdienstliche Requisiten. Das Ganze macht
einen keineswegs feierlichen, sondern dumpfen und ärmlichen
Eindruck. Nur die Wahl des Ortes, der im höchsten Grade
das vereinigt, was der Türke von der Natur verlangt: kühle
Schatten, Wasserrauschen, Ruhe und Einsamkeit, bringt diese
fremdartige Grabstätte auch unserem Gefühle näher.
Unweit der Einmündung der Buna in die Narenta, am
Südende der Ebene Bisce, ist der Felsdurchbruch Zaton (hoc
est, quasi diceres Submergens, Schern.), zwischen den Bergen
Gubavica im Osten und Trtre im Westen, welcher der Narenta
durch ein zwei Stunden langes Defilee den Ausweg aus der
Ebene öffnet, merkwürdig. Hier liegt am linken Ufer das
serbische Kloster 2itomislic, angeblich 1585 von Miloslav Milora-
dovic gestiftet und reich beschenkt.' Die Localsage hält den
ganzen Felsdurchbruch für ein altes Menschenwerk (quern-
dam Graecorum imperatorem aut Egypti regem Ptolemaeum
altam confregisse rupem), im Zusammenhang mit der Ueber-
lieferung, dass die Ebenen um Mostar, Bisce im Süden und
Bilopolje im Norden, einst einen grossen See gebildet, der
erst in historischer Zeit durch jene Felsspalte seinen Abfluss
gefunden. Hoc et stratum glabri fluvialis sabuli ubique alta
1 Die Familie Miloradovic wanderte später nach Russland aus. wo sie zu
hohen Ehren kam und noch gegenwärtig blüht.
AltertMmer der Hercegovina.
511
congerie occurrens, et in multis elevatis circa planitiem rupibus
ferrei confixi circuli, navibus adligandis qui deserviebant, nitide
testificantur. Sehern, p. 148 s. Doch fällt auch das Ende jener
Fluthepoche in sehr alte Zeit. Etenim famosa nobilium sepul-
chra plurimum antiqua esse certe novimus, cumque haec in
planitiebus quondam inundatis passim occurrant, nec priora
alluvionibus supponi queant, certum efficitur exsiccationem
quocumque modo operatam pariter vetustam esse. 1. c. 149.
Zu diesen Angaben erinnert Blau an Skylax, peripl. 24, wonach
die Narenta 80 Stadien oberhalb ihrer Mündung aus einem
weiten See heraustrat, in dessen Mitte eine 120 Stadien lange
Insel Platz hatte. Aehnliche alte Fluthsagen finden sich übri
gens, wie in anderen Theilen der Hercegovina (s. unten Duvno),
fast bei allen Völkern der Erde. Alte Gräber, oben nicht
näher bezeichnet, hat Bisce in
Rodoc, (eine Stunde südlich von Mostar am Abhange des
Ruinenhügels Hum). Auf dem katholischen Friedhof am Fusse
des Hum liegen mehrere grosse altslavische Grabsteine unter
den kleinen, neueren. Ein hoher, viereckiger mit horizontaler
Oberfläche zeigt an den Seiten ringsum 14 Frauenfiguren (5 auf
jeder Lang-, 2 auf jeder Schmalseite), die sich zum Tanz —
dem nationalen ,Kolo‘ — die Hände reichen. 1
Ferner liegen an dem Wege von Mostar nach Blagaj
an zwei Stellen altslavische Grabsteine, meist Platten, in
grösserer Anzahl auf künstlichen kleinen Hügeln. Eine ein
zige Platte zeigt die Sculptur eines langen geraden Schwertes
mit Kreuzgriff und rundem Knauf. 2
1 Ein serbisches Volkslied (deutsch Kapper II, 259) singt:
,Vor den Höfen Jovan Beg, des Begen,
,Tanzt ein Reigen in Hercegovina;
,Doch zu schauen ist kein Mann im Reigen,
,Nur zu schauen sind Mädchen d’rin und Frauen.“
Noch im siebzehnten Jahrhundert war es nach einem anderen Volkslied
(Kapper II, 147) Sitte, bei der Bestattung eines Helden ,umgekehrt“
den Kolo zu tanzen und ein Trauerlied dabei zu singen.
2 Viele kegelförmige Erdhöhlen, die man an diesem Wege kurz vor Blagaj
antrifft, sind nichts weiter als die Backöfen eines ehemaligen türkischen
Truppenlagers, da ein grosser Theil der Garnison von Mostar lange Zeit
hier auf dem Felde campirte.
512
Hoernes.
b. Bilopolje.
(Ebene nördlich von Mostar zwischen der Narenta und den Bergen Velez und Porim.)
Schein, p. 151. Bilopolje (campus albus) fors vel ideo
apellatus quod post dissicationem ex sabulo totus albesceiet
prout hodie quoque multis in locis albescit Romanos
suum nunquam ultra hoc planum extendisse dominatum cen-
setur. Nach dieser Ansicht hätte das Gebirge Porim als Grenze
der römischen Besitzung gegen Osten zu gelten. Sie stützt
sich dabei einerseits auf eine unstatthafte Etymologie des
Gebirgsnamens (Po-rim = sub Roma), andererseits auf die
Bedeutung, welche dieser Gebirgszug in den Grenzbestim
mungen späterer Zeit gewonnen hat. Blau, Reisen S. 32, hält
ihn für identisch mit dem mons Beiram, der gegen Ende des
10. Jahrhunderts als triplex confinium zwischen Bosnien, Rascien
und Dalmatien erscheint, und Jirecek 1. c. S. 80, cf. Anm. 270,
weist nach, dass er im späteren Mittelalter allgemein als Grenz
scheide zwischen Chlum und Bosnien angesehen wurde, ob
wohl sich die wahre politische Grenze jenseits des schwierigen
Gebirgsüberganges befand. Pagi circa Bilopolje existentes
singularis fecunditatis haud sunt; ex multis autem antiquis
coemeteriis circa planitiem existentibus antiquitus quoque co-
piosiorem fuisse actuali productionem non ambigerem.
Interim in Bilopolje pagis sequentes principales habe-
mus antiquitatis reliquias.
In Suhodo (zwei Stunden nördlich von Mostar) circulus
magnus ferreus ab alta rupe pendens (s. o.) plura quoque no-
bilium sepulcra sunt.
In Vrcibcici (eine Stunde nördlich von Mostar) coeme-
terium ,Kraljevine‘ (regalia) dictum; multa et magnifica
sepulcra antiqua et ad unum illorum lapidea crux tribus brac-
chiis eminens.
In Kuti (drei Stunden nordöstlich von Mostar am Abhange
des Porim) item circulus ferreus et bina antiqua magnifica
coemeteria.
Livac (zwei Stunden östlich von Mostar am Abhang des
Velez) parvum flumen habens tumque amplae antiquae rudera
arcis (welche die k. k. Generalkarte irrig bei dem gleich-
Alterthümer der Hercegovina.
513
namigen Ort im Narenta-Defilee sechs Stunden nördlich von
Mostar ansetzt) atque magnatorum plurima sepulcra.
Potoci (zwei und eine halbe Stunde nordöstlich von
Mostar am Südfusse des Porim) jfluentes' a parvo flumine ibi
dem scaturiente, ad cuius proximitatem extant antiquae eccle-
siae rudera tumque magna sepulcra . . . Hic loci extant tres
antiquae turres quarum una nondum penitus in rudus redacta
,Ivan-Beg' vocatur (h. e. Joannis-Nobilis). Ivan-Beg autem
istum generum fuisse herois Georgii Skender-Beg dicti,
multorum opinio est; item istum eundern esse Ivan-Beg cuius
antiquum hodie Montis Nigri (Montenegro) incolae dominatum
ex cineribus evocare vellent, etiam multi adjudicant. Ivan-Beg
ist der Name, den die Türken, wie es heisst, noch heute mit
bangem Schauer, dem montenegrinischen Nationalhelden Ivan
Crnojevib (f 1490) geben. Zur Erklärung des an dem er
wähnten Thurme haftenden Namens könnte die Nachricht
dienen, dass in einem Kriege zwischen Stephan Crnojevic,
dem Vater Ivan-Begs, und Stephan Kosaca, dem Herrn der
Hercegovina, um 1450 ein Sohn des Ersteren in die Gefangen
schaft des Letzteren gerieth. Dann hätte die Tradition an
Stelle eines nicht näher bekannten Bruders des Ivan-Beg
diesen selbst gesetzt und jenen Thurm als sein Gefängniss be
zeichnet. Aehnlich knüpft sich die Sage von einer längeren
Gefangenschaft des serbischen Nationalhelden Kraljevic Marko,
der in Geschichte und Sage manche Aehnlichkeit mit Ivan-Beg
zeigt, an einen halbverfallenen Thurm des Schlosses Vise-
grad an der Drina. Interim praeter Ivan-Beg turrim plurium
ibidem fabricarum rudera extant et etiam sacellum pulchrae
elaborationis. Ferunt quosdam Dalmatas ex hoc sacello
lapidem descriptum abstulisse paucis retro annis, in quo praeter
alia sequens annus 1480 signatus apparebat.
In Lisani (vier Stunden nördlich von Mostar im Porim-
gebirge), pago perennibus fontibus multis proviso, multa et
magnifica reperiuntur sepulcra etiam regia ex familia oriun-
dorum stemmata referentia. Crucem pariter antiquam lapideam
sepulcralem altam ad tria bracchia ibidem est cernere.
Prigradjani (drei Stunden nördlich von Mostar) multa anti-
qua nobilium numerat sepulcra, in coemeterio autem catholico
(der ebenfalls alt ist, da heute nur eine katholische Familie
514
H o e r n e s.
im Orte lebt), habitatores loci indicant sepulcrum sat antiquum
cuiusdam ignoti Franciscani aquis Narentae submersi, dum de
Konjic iter ageret.
Citluk (sechs Stunden nördlich von Mostar, nicht mehr
in Bilopolje), ferme ex adverso ingressus fluminis Dreznica in
Neretva, arcis rudera ecclesiae atque plurium aedificiorum
habet. Inter multa in sepulcralibus lapidibus ibidem excisa
curiosa sunt quaedam visu. Im Narentathale südlich von Sje-
nice-Han, was in die Gegend von Citluk führt, sollen sich nach
mündlicher Mittheilung, die mir leider zu spät gemacht wurde,
als dass ich den Platz hätte aufsuchen können, im dichten
Gestrüpp links von der Strasse bei dreissig alte Grabsteine
finden. Unter den Sculpturen werden drei Darstellungen auf
den Seitenflächen eines Steines hervorgehoben: 1. Ziegenbock
oder Steinbock, 2. Ring oder Kranz, 3. knieende Figur mit
ausgebreiteten Armen, in der Rechten ein mit der Spitze
nach abwärts gekehrtes Schwert.
In Vojno atque inter Vojno et Rastani (beides circa
zwei Stunden nördlich von Mostar am rechten Narentaufer),
sunt famosi ferrei circuli in alta rupe plumbo obfirmati.
Hic etiam in Neretva occurrit singularis canalis dictus
Skakala (eine Viertelstunde nördlich von Mostar). In plano
non quidem nimium inclinato ad meridiem Neretva ad CL
longitudinales passus inter duos scopulos vix uno bracchio in-
vicem distante tantam alvei profunditatem nacta est ut quam-
quam sit magnum Humen, dummodo extraordinarie non redundet,
totum ab illo canali absorbetur, ita ut ex uno scopulo ad alium
sicco passu cuique transitus pateat. Hic proxime extabat anti-
qua rotundiformis turris magno duplici solido muro cincta tran-
situ per scalam cochleae instar constructam. Anno elapso
(1866) turris haec reparata promptuariis pulveris pyrei deservit
(drei neue Pulverthürme wurden später am gleichen Orte hinzu
gebaut), antea autem praesidio deserviebat, ne cui inimieo per
Skakala über transitus pateret.
Diesen ausführlichen Notizen des Sehern, ist nur wenig
hinzuzufügen. So, dass sich nach meiner Bemerkung auch beim
Han Podporim (zwei und eine halbe Stunde nördlich von Mostar)
zwischen der Strasse und der Narenta, dicht an letztei'er, an
zwei Stellen grosse altslavische Grabsteine, doch ohne Sculp-
Altertümer der Hercegovina.
515
turen finden. Eine römische Inschrift soll nach S te -Marie, der
eine Abschrift davon bekam (1. c. S. 50), ein römischer Wart
thurm nach dem Ingenieur Moiza (Blau, Reisen S. 33) am
Südabhange des Porim entdeckt worden sein. Ami Boue, La
Turquie d’Europe II, 362, fand auf einem alten Grabstein ,in
Bjelopolje' ein griechisches Kreuz, von einem Kreis umschlossen,
überhaupt alte Gräber von der allgemein vorkommenden Form
,beim Han von Bjelopolje (Han Podporim?) am Westfusse des
Berges Porim, sowie auf der Höhe desselben Berges', an letz
terer Stelle (richtiger auf der Batijevica) einen Stein mit
Sculptur: ,dargestellt sind zwei Gladiatoren im römischen
Costüm mit Sandalen und dem römisch-albanesischen Phistan
(Fustanella), in den Händen lange Schwerter mit grossen
Griffen'. Nach S t0 -Marie’s unverlässlicher Abbildung (1. c.
p. 55) halten sich die Duellanten bei den Händen und kreuzen
(hinter dem Rücken!) die Schwerter. S t6 -Marie zählt an dieser
Stätte ,auf der Batijevica' 1 unter sechzig Steinen zwei bis drei
mit Sculpturen, und theilt mit, dass die Volkssage von einem
durch plötzliche Kälte umgekommenen Hochzeitszug erzählt,
dessen Gräber hier gesucht werden. Hierauf bezieht sich fol
gende Stelle des Schematismus p. 16: Batievica mons tran-
situ periculosus, in quo videre est plura sepulcra viatorum
frigore peremptorum.
Ich gestatte mir hier einen kleinen weiteren Excurs in
südlicher Richtung. Auf dem Wege von Nevesinje nach dem
Narentadorfe Ulok, acht Stunden vom ersteren Ort, liegen viele
altslavische Grabsteine zu beiden Seiten des über die rauhe
Morine-planina führenden Weges. Sie sind als Svatovsko-
Greblje (Hochzeitsgräber) bekannt und auch in der k. k. Ge
neralkarte bezeichnet. Hier wird erzählt, dass einst ein ganzer
Hochzeitszug, der aus Zagorje jenseits der Narenta mit der
Braut eines Ljubovic-Beg nach Ljubovici südlich von Nevesinje
ging, an dieser Stelle von einem heftigen Schneegestöber über
fallen worden und durch die gleichzeitig hereinbrechende
furchtbare Kälte umgekommen sei. Nur die Braut — so heisst
1 Blau, Reisen S. 32, fand ,mehrere Gruppen monolither Grabdenkmäler
mit halbverwitterten Sculpturen 1 am Rand der Batijevica, welche das
Hochthal Zemje östlich begrenzt, und Sterneck (1. c. Bl. I) bezeichnet ,
das letztere selbst als Fundort altslavischer Grabsteine.
516
Hoernes.
es im Volkslied weiter —entkam auf gutem Pferd aus dem Gebirg
nach Ljubovici vor die Thüre ihres Verlobten, war aber so er
starrt und ermattet, dass sie nicht rufen konnte. Erst auf das
Wiehern ihres Pferdes, da es Nacht war, wurde sie bemerkt
und ihr Hilfe gebracht. Ihr Geleit aber wurde da, wo es seinen
Tod gefunden, bestattet. 1 Mehrere ähnliche Sagen von plötz
lich umgekommenem Brautgeleite wird man im Folgenden an
ihrer gehörigen Stelle finden. Ihre Erklärung finden sie in dem
gewaltigen Unterschied der Temperatur und des Klimas, den man
beim Aufstieg aus dem Narentathal zu den Hochebenen von
Gacko und Nevesinje beobachtet. Im untern Narentathal bis zum
Fusse des Porim sinkt das Thermometer in der schlechten Jahres
zeit nicht unter 1—2 Kältegrade, und die Wiesen bleiben auch im
Winter grün, im April aber entfaltet die Vegetation schon ihre
volle Thätigkeit. Auf den genannten Hochebenen hingegen
dauert der Winter sieben bis acht Monate, der Schnee beginnt
um Mitte October zu fallen und bedeckt den Boden oft bis
Ende April, -die Gebirge aber starren von Eis. 2
1 Nach Roskievicz, Studien S. 138, soll ,die Passage über die Morine-planina
im Winter, abgesehen von den Schneeverwehungen, wegen der aus dem
Cervanj-Gebirge hervorbrechenden Wölfe höchst gefährlich sein und wird
nur in grossen, von 40—50 Mann begleiteten Karavanen gewagt (?). Zahl
reiche am Wege befindliche Grabsteine scheinen diese Gefahr zu con-
statiren, obwohl bei einigen derselben sich Erzählungen anderer Art
daranknüpfen 1 . So erzählt Sterneck 1. c., der fast den ganzen Weg von
Nevesinje bis Ulok als Fundstätte altslavischer Gräber bezeichnet, von
einer Gruppe derselben S. 51 die Sage, dass sich hier zwei Hoehzeitsziige
begegnet hätten und wegen der Braut in Streit gerathen seien; bei dem
darauf folgenden Kampfe seien alle Tlieilnehmer des einen Zuges getödtet
und als Andenken ihres Todes diese Steine errichtet worden, welche Divjeci
greblje (Mädchengräber) genannt würden. Letztere sind wahrscheinlich
identisch mit den oben genannten ,Hochzeitsgräbern 1 . Das 1328 M. hohe
Plateau, auf dem sie liegen, ist nach Sterneck nur stellenweise mit Gras
bedeckt, sonst äusserst rauh und zerklüftet, wird nur im Sommer von
einzelnen Sennern (Humljaci), die in Felshöhlen wohnen, bezogen, und
sind die nächsten Orte, Ulok im Narentathal und Kifino-selo am Nevesinsko-
polje, von diesen Gräbern etwa zwei Meilen entfernt. Ueber die mittelalter
liche Karavanenstrasse, welche von Nevesinje über Ulok nach Zagorje
und weiter ging, s. Jirecek 1. c. S. 83 und Anm. 290.
2 In einem Volkslied weigert sich ein Mädchen aus Kolasin, einem Freier
nach Gacko zu folgen:
,Viel erzählen hört’ ich schon die Leute
,Von dem Felde, von der Gadko-Landschaft.
Alterthüraer der Hercegovina.
517
Nach Bilopolje zurückkehrend, haben wir noch einer
Gattung von Grabdenkmälern Erwähnung zu thun, die unsere
Wissens in der Hercegovina nur hier Vorkommen: alte Juden
gräber. Eine Viertelstunde von Mostar liegen rechts an der
Strasse acht verwitterte Grabsteine, die obenhin betrachtet den
im ganzen Lande vorkommenden alten Adelsgräbern sehr ähn
lich sind. Sie sind sarkophagförmig aber länger und niedriger
als diese; die hohe Basisplatte trägt auf der Stirnseite die In
schrift, welche alle Zweifel an der Herkunft dieser Denkmäler
aufhebt: wir sehen jüdische Zeichen, erhaben gemeisselt. Auch
in Bosnien haben die sogenannten ,Spaniolen', Nachkommen
einer spanisch-jüdischen Einwanderung, die noch heute der
Mehrzahl nach das hebräische Bevölkerungselement des Landes
bilden, abweichend von der sonst üblichen jüdischen Bestattungs
weise, ihren Todten solche Grabsteine gesetzt, und es ist eines
jener Probleme, die uns die Denkmälerkunde Bosniens stellt,
wie gerade diese Fremdlinge dazu kamen, in ihren Grabsteinen
die Denkmalformen des alten autochthonen Adels zu copiren.
Das Thatsächliche der Formentradition ist sehr einfach. Die
Sarkophagform ist römischen und altchristlichen Denkmälern
nachgebildet, daneben findet sich, wenigstens in der Hercegovina
überall die mittelalterliche Plattenform, oft mit einem Kreuze
zu Häupten des Grabes, sehr oft sich zur Form der sogenannten
Tumba erhebend. Während nun die zum Islam übergetretenen
Landesbewohner auch ihre Gräber nur mehr nach türkischer
Sitte bezeichnen, fällt die eine der älteren Denkmalformen,
die Sarkophagform, welche merkwürdiger Weise auch in frü
herer Zeit sehr selten mit dem christlichen Emblem des Kreuzes
vorkommt, 1 den Juden zu, die andere wird von den Christen
,Rings umher erhebt sieh weites Hochland,
,Eines eben und das andre hüglig
,Und das dritte nichts als kahler Felsen.
,Niemals, Mutter, höret dort der Schnee auf,
,Ewig liegt dort ein Scheee überm andern —
,Nimmer, Mutter, wähl’ ich diesen Freier! 1
(Kapper II, 125). Sie schlägt auch einen Zweiten, von Nevesinje, aus
und folgt erst dem Dritten nach Mostar.
1 Desshalb wurden die altslavischen Grabsteine Bosniens, wo sie beinahe
ausschliesslich Sarkophagform zeigen, nach ihrem ersten ungenauen Be
kanntwerden fast allgemein niclitchristlichen Urhebern, prähistorischen
Landesbewohnern oder den Römern zugeschrieben.
Sitzungsbar. ü. phil.-hist, CI. XCVII. Bd. II. Hft. 33
518
Hoernes.
adoptirt, nur tritt an die Stelle der kostbaren und schwer zu
beschaffenden Steinplatte oder Tumbaein aus mehreren behauenen
oder unbehauenen Steinen ähnlich zusammengesetzter Aufbau,
später und bei Aermeren bloss ein viereckig geschlichteter Stein
haufen auf oder neben den häufig das niedrige Steinkreuz ge
setzt wird, wie es noch jetzt Sitte ist. Eine solche Grabstätte
heisst schon tumulus nobilis (Sehern, p. 104), ein grösseres
modernes Grabmonument aber, wie das des 1863 verstorbenen
Bischofs Barisic in Öirokibrig, bestehend aus einem mannshohen
oblongen Aufbau mit Basis und Karnies, darauf zu Häupten ein
kleines Steinkreuz, Alles ganz glatt und schmucklos, gilt als
magnificum sepulcrum (1. c. p. 37) und wird als ein Wunder
von Pracht angestaunt.
Ausser Bisce, Bilopolje und Porim haben in der Umge
bung von Mostar-, noch Iliici und Cim (ersteres 1, letzteres
1V 2 Stunden westlich von jenem, an der Radobolja gelegen) plu-
ribus in locis nobilium sepulcra ... In primo pagorum est
locus Smröenjak (pinetum vel potius locus juniperis consitus,
vgl. o.) in quo ecclesiam S. Mariae ad Nives fuisse traditio
ruderaque ferunt. Sehern, p. 150. Unweit von diesen (1 Stunde
westlich von Mostar), liegt der Ort Kozica habens vel aliqua
antiquiora rudera (Schern, p. 11), den der citirte Autor für den
Stammort des Hauses Kosaba hält, aus welchem Sandalj, der
eigentliche Schöpfer und Stephan Hranib de Kozak, der vom
deutschen Kaiser mit der Herzogswürde belehnte Stifter der
Hercegovina hervorging.
III. Brocnopolje.
(Vier Stunden lange fruchtbare Hochebene zwischen Mostar und Ljubuäki.)
Sehern, p. 90 s. Brocno miti aere donatum solo gaudet
excellentissimae fecunditatis, omnis generis colonalium, hor-
tensium et frugiferorum procurationi egregie se praestat. Colli-
culis amoenis hic inde ex planitie assurgentibus delectabili-
tatem oculi plurimum commendat Pridem quoque
Universum Brocno maxime vero partem nordicam plani inter
fecundissimas terras habitas fuisse antiquorum nobilium oppi-
dorum tumque hinc inde sparsorum palatiorum insignia rudera
antiquitatumque frequentes detectiones palam ostendunt. (Alte
Alterthümer der Hercegovina.
519
Cultur dieser Gegend bezeugt auch die urkundliche Erwäh
nung eines ,Gregorius banus de Bronch 1 im Jahre 1273.)
Post tot saecula ac nequissima lata ab Ozrnje supra
Amzici Neretva usque (d. h. in dem fruchtbaren mittleren
Theile der Ebene, 4 Stunden lang */ 4 -—1 Stunde breit), adhuc
est numerare et admirare plus quam 150 solidissimas domo-
rum fornices quos sane solae magnae divitiae condere poterant.
item et frequentia et magnificentia sepulcrorum in Brocno aeque
ejus eminentiam loquitur.
a. Pfarrsprengel Gradniöi
(grösserer östlicher Theil der Ebene bis zur Narenta).
Gradnici (seit 1429 Hauptort der früher Brotnjo ge
nannten Pfarre) a Gradina vocatur, h. e. ab exiguae molis
arce, quae quondam sibi adjacebat, alioquin in rudus facta.
Nobilia sepulcra pauca habet, ignobilia vetusta multa
Srebrnica (argentina) est locus in Medjugorje (Dorf
1 Stunde südlich von Gradni6i, erst seit 1843 an Stelle des
dichten Eichwaldes Dubrava) magnae quondam ecclesiae ac
aliorum circum circa multorum ruderum, item magni nobilium
plebisque antiqui coemeterii. Hoc in loco saepissime et a
inultis testibus lux copiosissima et valde rutilans observata est;
et vulgus juxta consuetum magnum ibidem thesaurum recon-
ditum flammas emittere censet (daher wohl der Name Srebr
nica). Adsunt quoque nobilia sepulcra in Rasier st je atque
famosa duo in Stanjevctc. Arces dirutas nominatim numerat
Medjugorje: Miletine, Zezulj, SipaSva et Beden prope
Cerno. Possidet ad viginti antiquas cisternas.
Vionica (,Weindorf', 2 Stunden südlich von Gradnici)
habet in tribus locis magnitica antiquorum sepulcra.
Gradac ('/ 2 Stunde südlich von Gradnici) ab arce deri-
vatum nomen, cuius hodie quoque copiosa cernuntur rudera.
Gradac sine dubio fuit quondam si non eivitas sane oppidum
praenobile: etenim prope Krein-dvor ad multam extensionem
terrae palatiorjjm rudera copiosissime absternuntur. Ibidem in
loco Grudine (lapidum acervi) extant ultra centum nobilium
et magnatum sepulcra. Ecclesiam quoque ibidem fuisse et tra
ditio et superstites affabre secti lapides palam eloquuntur. Imo
33*
520
Ho er n es.
tradunt nobilem dominum Ivanovic, nunc autem Kreovic
turcam duo sua existentia palatia (das obgenannte Gehöft
Krein-dvor) ex integro de sectis ecclesiae lapidibus constru-
xisse, quod non modo a catholicis sed etiam a turcis excepi.
Crescit autem ratio asserti ubi circumcirca palatia observaveris
et in multis lapidibus signa alterius prioris fabricae deprehen-
deris, translatos non negabis. (Römische Denkmäler in Krein-
dvor : Inschrift, Sarkophagdeckel, Aschenkiste u. dgl. s. Arch.-
epigr. Mitth. 1. c. S. 33 f.)
Gradac praeter magnum antiquum coemeterium Gru-
dine adhuc tria nobilia antiqua numerat Ploca (d. i. in dem
sogenannten Theil der Ortsflur) ad contiguitatem fontis Ploßa
et ibidem existentis turcicae moscheae. Ehic loci ad unum anti-
quorum sepulcrorum est crux quatuor bracchiorum et dimidii
altitudinis transversalibus tarnen a turcis decussis ex lapide
nostrati albo durissimo in cuius sola verticali sunt decem exa-
rati gladii bicipites in signum nobilis tumulati. (S. Figur 1.)
Figur 1.
Unweit davon liegen zwei gleich grosse Platten neben
einander auf einem künstlichen flügel. Die eine zeigt im Klee
blattrahmen Schild und Schwert, die andere ist leer. Darunter
sind tiefe ausgemauerte Grüfte. Das Volk erzählt hier, ähnliche
Alterthümer der Hercegovina.
521
Sagen beinahe parodirend, ein Mädchen habe die beiden Steine
für sich und ihren todten Bruder in der Schürze herbeigetragen.
Auf dem Hügel liegen ausserdem noch zwei grosse und drei
kleinere Gruftplatten.
Aliud nobilium coemeterium copiosissimum est Kruska
(pyrus) in quo non tarn magni quam singulariter elaborati
lapides deprehenduntur. (Es sind unter schlichteren Grabplatten
mehrere reich profilirte Bausteine eines sehr ansehnlichen mittel
alterlichen Bauwerkes, wahrscheinlich einer Kirche. Die An
wohner nennen den Platz auch Zaimiste ,Markt' und erzählen,
dass in älterer Zeit daselbst Zusammenkünfte des katholischen
Volkes zur Ausübung seines verpönten Cultus sowie zu Handel
und Verkehr — daher der Name — stattgefunden hätten. An
einem, etwas abseits auf einer Wiese liegenden Stein, angeb
lich dem Altarstein der ehemaligen Kirche, sei die Messe ge
lesen worden. Einmal jedoch wurde die Versammlung von
den Türken überfallen und zerstreut, der Priester und Sieben
der Aeltesten aber an einem nahen Birnbaum, von dem der Ort
den Namen Kruska hat, aufgehängt.)
Isto in coemeterio duo singularissima adinveni: crucem
S. Andreae in uno parvulo sepulcro (vielmehr auf zwei Steinen)
et in alio sequentem latino sermone ac litteris inscriptionem
; L. Livio. Rufino. Filio. Pia. Elia.' (Vgl. Arch.-epigr. Mitth.
1. c. S. 34.) Verum ibidem singularitatem non effugit unica
crux antiquitatem referens et christianorum more tumulo nobili
(einem länglichen Steinhaufen) infixa, habens ab imo ad summi-
tatem arborem velut serpentem torturn per medium longitudi
nale ac laterale transversalium; cuius in vertice est quoddam
magnum pomum ad extremitates autem duorum ramorum trans
versalem occupantium duae pulcherrimae stellae (vielmehr
Rosetten) adnectuntur et in medio crucis isti arabici numeri
1216, quibus si Redemptionis annuin significatum volueris (ut
est prudens praesumptio) crux alioqui de recentioribus non erit.
(Das Kreuz ist durchaus nicht alt, denn die Jahreszahl bezieht
sich nach einem auch sonst bei den Katholiken der Hercegovina
hie und da vorkommenden Brauch auf die türkische Aera und
bezeichnet das Jahr 1838 n. Chr.)
Tandem quartum antiquum coemeterium est ad fontem
Lemisevac. Igitur tarn multa tamque magnifica coemeteria
522
Hoernes.
antiquam in Gradac numerosam ac divitem populationem sine
dubio indicant. Est porro Gradac amoenitate fertilitate fon-
tium perennium copia inter primarias in Brocno terras.
Pao6a (V 2 Stunde östlich von Gradnici) ab uno nobi-
lium copioso coemeterio nobilitatur.
Biletici (2 Stunden östlich von Gradnici) antiquum
unum exiguum nobile coemeterium habet. Sed in plano liuius
pagi Biletidko-polje ad ripam Neretvae est unica crux se-
pulcralis quinque bracchiorum altitudinis sine ullis nobili-
tatis signis.
TepSici (2 */ 2 Stunden nördlich von Gradni6i) pariter in
plano ad Neretva est copiosissimum et summe magnificum
nobilium coemeterium cum multiformibus stemmatibus familia-
rum. (Nach mündlicher Mittheilung sollen auch figurale
Darstellungen von Kämpfen zwischen Reitern mit Lanzen
und Kriegern zu Fuss daselbst Vorkommen; bei einem dieser
Steine ein grosses Kreuz. Die Bemerkung Blau’s, Reisen
S. 39: ,Tepöi6 hat reiche Fluren, die sich bis an die
Narenta heranziehen und einen alten Friedhof voller Grab
steine mit Wappen adeliger Familien aus vortürkischer Zeit)
ist wie man leicht erkennt, nur eine nachlässige Uebersetzung
des vorstehenden Satzes, in der ,copiosissimum' statt auf den
Friedhof auf die Ortsflur bezogen wird.)
Blizanci (1 Stunde östlich von Gradnici, im schönsten
und fruchtbarsten Theil von Broöno). Ob pauca in hac villa
nobilium sepulcra non improbabile est antiquos in contiguo
Gradac habitatores etiam in Blizanci suas sativas solum
habuisse possessiones. Verum etsi levioris armaturae existunt
tarnen etiam in Blizanci rudera trium arcium: Casak,
Ripnoglava et in Obala, hoc est supra Narentam.
Krucevici (2 Stunden östlich von Gradnici), antiquis
Kruch, suo quondam proprio gaudens comite. Pagus iste hodie
in aspero colle situs est, antiquitus vero ad planitiem secus
Humen Neretva habitabatur uti perplura ibidem rudera testantur.
(Gegenüber dem Kloster Zitomisli6 am Beginn des Narento-
Defilees. Die Burg Krusevac wird in Documenten des Mittel
alters erwähnt. S. Jirecek 1. c. S. 79 und Anm. 268.)
In loco dicto Kruöeviöi ubi turca Cehaja suum non
multo pridem aedificavit palatium praeexistebat nobilium anti-
Altertliümer der Hercegovina.
523
quorum praemagnificum coemeterium a dicto turca penitus
sublatum. Supra dictum actuale palatium in loco Di’aga non
spernenda arx extabat. Item infra palatium ad meridiem anti-
qui habebant fabricam terrae hodie dictam Pe6 (fornax) sci-
licet locus ubi excoquebantur lateres et tegulae. Generatim
autem locus vocatur Dunajac a fonte. Sur man ci in suo
plano ad Narentam magnifica habet nobilium sepulcra, et in
summitate collis Cr nie a arcis rudera tumque magna cisterna
conspiciuntur.
Citluk (1 St. westlich von Gradniei, richtiger Ciftlik,
türkische Bezeichnung der alten Ortschaft Karlovac in höchst
anmuthiger und fruchtbarer Gegend), hodie quoque conspicienda
offert magnae arcis rudera, item ecclesiae non multum distan-
tis a fonte Svetivan (Sti Joannis) unde intelligi datur eccle-
siam quoque S. Joannis fuisse.
Karlovac ubertate et amoenitate alioquin numerosos
attraxerat habitatores nobiles genere divitiis potentes ut ibidem
Figur 2.
fere innumera civilium domorum rudera item praemulta prae-
tnagnifica sepulcra testantur. Quaedam numismata et annuli in
524
Hoernes.
Karlovac reperti etiam sunt testimonio dominali conditioni
incolarum; sed neque hodie Citluk nobilium turcarum domi-
bus caret. (Die Umgebung- von Citluk s. Taf. VII des General
stabs-Werkes über die Occupation Bosniens und der Herce-
govina. Auf einem kleinen künstlichen Hügel östlich der als
Lakisic-Han bezeicbneten drei Gebäude liegen fünfzehn platten
förmige Steine um einen sarkophagförmigen von 1-15 II., 2-03
L. und 0-72 Br. [mit Perlenstab unter dem Dache] gruppirt.
Nur zwei derselben zeigen Sculpturen, einer Schwert und
Schild im Kleeblettrahmen, der andere ein Kreuz. Etwa zehn
Minuten nördlich vom Han liegt im Gebüsch, rechts von der
Strasse nach Mostar, der Figur 2 abgebildete Stein.)
Dobroselo (1 Stunde nördlich von Mostar, die sehr ver
minderte Fruchtbarkeit entspricht nicht mehr dem alten Namen)
antiquae ecclesiae rudera deplorat et ubinam quoque parochi
residerent di^ito prodit. Ad locum antiquae parochi residen-
tiae est insigne mortarium in magno sepulcrali lapide elabo-
ratum ad tres palmites profunditatis, vocaturque mortarium
fratrum. Dobroselo unum habet antiquum nobilium coeme-
terium cisternas autem antiquas plures.
b. Pfarrsprengel Öerin
(westlicher Theil der Hochebene Brocno).
V
Cerin (im anmuthigsten Theile der hier quellenreichen
Ebene, am Luko6 gelegen), etiam priscis temporibus capitalis
districtus hujus locus fuit. Etenim a fonte Cerin (der am
Fusse des Pfarrhügels entspringt) ad orientem multum terrae
spatium civilium domorum ruderibus stratum est. Item singu-
laris multitudo et magnificentia sepulcralium monumentorum hic
existentium nobilem quondam fuisse locum certo indicant. Loci
incolae putant, Cerin quondam fuisse sat magnam civitatem
et arcem Gradina in suam defensionem.
Ne vero singularia sepulcra penitus praeteream vel ali-
quid de his proloqui expedit. Nullibi in nostra missione mihi
observare licuit tarn multas cruces diversarum magnitudinum
sepulcrali bus lapidibus insculptas ut hic passim occurunt. Alibi
stemmata diversae compositionis sunt — hic autem ferme
omnia constant scuto gladio et stella in medio scuti. Alibi
Alterthümer der Hereegovina.
525
nimphae circa lapidem cboreas ducunt — hic vero de multis
a me examinatis vix in uno aut altero nimphas inveni. (Diese
Unterscheidung, wodurch den Gräbern von Cerin — als einer
alten Klosterstätte — ein besonderer, christlich frommer Cha
rakter vindicirt werden soll, ist nicht stichhältig. Die tanzen
den Yilen und alles Uebrige kommt hier in demselben Ver-
hältniss wie anderwärts vor.)
De reliquo quemadmodum alibi ita hic quoque sepul-
crorum magnificentia inscriptionibus orbatur. In unico quaedam
goticae (richtig altcyrillische) antiquae litterae legibiles depre-
henduntur: ,Ase leii Radovan Rakoivic; proklet tko ce
tugin 1 e6i vece njegovo pleme ( (Figur 3). Latine autem
Figur 3.
A € ßl§©@4 w
O P® cc a (£m !> ® tfäs (HlA
ACÄ® ©£Ä(|^ |l @ TUACMd
ita reddi potest. ,Ehic jacet Hilarius Rakoivid; omnis hic
sepultus sit maledictus excepta stirpe ejus/ Quod monumentum
quamquam non sit de majoribus ejus ame dimensam magnitudinem
referre lubet. Jacet prope novam domum parochi (auf dem
erwähnten Pfari’hügel über der Quelle) in recente catholico
coemeterio (der neue katholische Friedhof liegt vielmehr am
Fuss des Hügels.) Longitudo lapidis est venetarum unciarum
94, latitudo 79, altitudo horizontalis 23.
In uno sepulcrorum huius loci cranium humanum x-eper-
tum est medietatenx abundantem venetae unciae sua crassitie
exaequans, item molai-es dentes transvei’sali crassitie unciam
referentes, crura autem tibialia tres spitamas aut novemdecim
uncias longitudinis. Vulgus noster saepius consimilis extraoi--
dinarias magnitudines in sepulci’is deprehendens dicere con-
seuvit; ,antiquos Graecos sic colossales fuisseh (Die ,Gi’k',
denen das heutige Volk in Bosnien und Hex-cegovina Alles
zuschreibt, was ihm aus alter Zeit überliefert ist: Sagen und
Lieder wie Bauten und Gräber.)
Interim in vicinitatibus Cerin in quinque locis numerosa
sepulci-eta existunt. (Die umstehenden Abbildungen, worunter
Figur 5 b.
\
Alterthüraer der Hercegovina.
527
die Jagdscene [Figur 4] auf einem riesigen Steine hervorragt,
stammen von zwei Stellen des ,Kirchfeldes‘ — Crkvine — öst
lich vom neuen Friedhof. Einer Erklärung bedarf nur die
Stirnseite des sarkophagförmigen Steines [Figur 6], in deren
scheinbar roh-ornamentaler Verzierung ich die primitive sche
matische Darstellung einer menschlichen Gestalt — Frau mit
klagend aufgehobenen Armen — erkenne, da Aehnliches [ein
mal in Crkvine zwei kleine Figuren in gleicher Haltung zur
Seite der grossen] auch sonst vorkommt. Auf einem platten-
Figur 6.
förmigen Steine sind zwei Thiere, wahrscheinlich Pferd und
Hund über dem Schild- und Schwert-Emblem anscheinend
von zweiter Hand ohne Rücksicht auf die frühere Sculptur
eingemeisselt. In der Mitte einer andern Platte sehen wir
einen kleinen Reiter auf ausgreifendem Pferde. Auf einer
dritten Schild und Schwert über einem oben kleeblattförmig
gestalteten Kreuz. Eine vierte mit Kleeblattguirlande ist
schildförmig zugehauen.)
Ex parte orientis proxime fonti adjacent copiosa et in-
signia rudera tum ecelesiae tumque civilium aedificiorum. Inter
528
Hoern es.
plurimos bene elaboratos lapides quosdam deteximus excellen-
tioris qualitatis (weisser Marmor) nostra in regione haud exis-
tentis sicut videre est ad ingressum nostrae novae domus
(Basrelief-Bruchstücke von Weinranken mit Trauben und Vö
geln , rohe spätrömische Arbeit mit stehen gelassenen Bohr
löchern.) Haec species lapidis referentis candidissimum marmor
in capella circulari majoris altaris ecclesiae (oder, wenn es
ein antikes Bauwerk war, in der Apsis desselben) prominebat,
apparentibus in eo quatuor capitibus quadrilateratim dispositis
ast plurimum destructis; vulgo censebantur quatuor evangelistae.
Sed adhibito a me circumeffossionis labore et liberato
lapide primum cognovi etsi nunc magnum multo quoque ma-
jorem fuisse, secundo didici quatuor evangelistas haud referri.
(Statt der nun folgenden ausfühi’lichen aber vielfach ungenauen
Beschreibung stehe hier eine kurze Erklärung der nebenstehen
den Figur 8. Die Vorderseite des Denkmals, eines römischen
Grabsteines, zeigt über dem ganz verwitterten Inschriftfeld
das Brustbild des Verstorbenen in Tunica und Toga; die Rück
seite einen Reiter, der vorgebeugt sein schreitendes Pferd zur
Eile anzutreiben scheint [die Köpfe fehlen. Sehern, sagt noch:
in plano ad pedes equi venatilis canis veloci cursu pergit, was
ich nicht sehen konnte], Rechts steht eine nackte weibliche
Gestalt, Andromeda, nach voi'n gewendet, die Füsse sind zu
sammengefesselt, und Ketten gehen von jedem der nur wenig
erhobenen Anne zu den Füssen herab. Links unten erhebt ein
nur bis zur Brust auftauchendes Thiei - , das Seeungeheuer, den
spitzohrigen Kopf. Auf der andern, linken Seitenfläche steht
eine nackte männliche Gestalt, Perseus, nach voi'n gewendet,
in der Linken die Hai’pe, in der Rechten wahi'scheinlich das
Medusenhaupt, von dem jedoch nur eine Schlange sichtbar ist.
Beiden Figui’en fehlen die Köpfe, der letztem auch die Füsse.
Rohe Arbeit, plumpe Formen.)
Non multis ab hinc annis ecclesiae campana circa cen
tum librarum pondei'is in loco pi’aximo inventa fuit et ab in-
discretis rusticis in Metkovic vendita.
Ecclesia (vulgo S. Stephani) tumque adjacentia aedificia
sine dubio igni combusta sunt, palanx testantibus signis. Quon-
dam hucusque latus aedificii detectum angustas offei’t cellulas
solido muro intei-sectas circumcingente eas angusto trän situ
Alterthüoier der Hercegovina.
529
lapidibus laboratis strato. Ad angulum unius cellae ossa hu-
mana et septem erania velut in cumulo interque incendii vesti-
gia reperta sunt. Signum hoc indubie loquitur in aedificio
habitatores praeclusos igni enecatos fuisse, sed quinam ii fuerint
Figur 8.
nionaci — Basiliani ? Franciscani? coilegialis capituli membra?
~ fortuna destituimur ut respondeamus. Alias (p. 79) dixi ac
repeto, localem traditionem vigere, in Cerin Franciscanos suum
babuisse conventum, neque aliud certius occurrit quod referam.
530
Ho er nes.
Supra saepius laudatum fontem Ce rin insidebat ab im-
memorabili lapis de iliis nobilioribus supra memoratis leoninis
pedibus suffultus (eine antike Marmorbasis). Is alioquin naturae
sat bene scindibilis ferro, lactantibus feminis optime se prae-
stabat votis. Feminae enim etiam a remotioribus locis con-
currebant et abrasi lapidis pulveres ad defectum superandum
lactis veluti miraculosum medicamen cum aqua sorbebant.
Quod an Omnibus profuerit prudens dubitarem, sed etiam si
nulli profuisset certe per tot saecula tamque constans rei usus
non fuisset. Interim de dicto lapide nunc temporis pro ecclesia
loci pila aquam lustralem continens excisa est, manentibus
tarnen decussionibus reservatis populi ex communi desiderio
apud loci sacerdotem. (Zu gleichem Zwecke wird in Kakanj,
an der Mündung der Ribnica in die Bosna, das Pulver eines
altslavischen Grabsteines von säugenden Müttern eingenommen.
In Skadar [Skutari] aber pilgern ,Frauen, die der Mutter
milch ermangeln — um des Wunders, um der Heilung willen',
wie das Volkslied besagt, nach einer Mauerstelle der alten
Festung, an welcher Kalksinter hervorquillt. Die Sage er
klärt das Phänomen dadurch, dass hier eine säugende Mutter
als Bauopfer eingemauert worden, s. o. S. 500. Aehnliche
Heilwirkungen werden an verschiedenen Orten Bosniens den
altslavischen Grabsteinen zugeschrieben, und zwar ihrem Pulver,
sowie dem blossen Anblick und der Umgehung derselben.)
Denique communiter ferunt de isto quodammodo miraculoso
lapide quod bis aut ter nobilis turca Kr ei 6 (Kreovic, s. o.
S. 520) laudatum lapid'em ad suuin in Gradac palatium devehi
curaverit usui profano destinatum, quodque idem lapis nemine
revehente tres ad suum pristinum locum Cer in restitutus com-
paruerit. Aliurn quoque hic erutum habemus lapidem, Ada-
mum et Evam in paradiso fructus prohibitos ex arbore carpentes
referentem. (Entweder identisch mit dem an der Mauer des
Pfarrhofes aussen, links vom Thore, eingefügten antiken Relief
bruchstück, das neben einem mächtigen gekrümmten Weinstock
eine lang bekleidete Frau, Bacchantin, welche die Doppelflöte !
1 Diese ist bekanntlich ein bei den Siidslaven noch jetzt in der antiken Form
gebräuchliches Instrument. Schöne Abbildung eines verzierten Exemplars
der ,Svirala‘ in Lay’s Ornamenti jugoslavenske narodne i umjetna obrtnosti
(Ornamente siidsl. nation. Haus- und Kunstiudustrie) III. 9—10. F. 2o.
Alterthümer der Hercegovina.
531
bläst, darstellt, oder ein verloren gegangenes Bruchstück der
selben bacchischen Darstellung, zu welcher sicher die vorer
wähnten Fragmente mit Weinlaub,
Trauben und Vögeln gehörten. An
tike Marmorfragmente von Geräthen
sowie eine Broncefibel [Figur 9]
werden im Pfarrhause bewahrt.
Diese, dann eine Münze des Kaisers
Philippus aus der Mitte des 3. Jahr
hunderts n. Chr. und eine grosse
Backsteinplatte mit dem Stempel PANSIANA, letztere angeb
lich von einem aus solchen Platten bestehenden Grabe, sind
auf dem neuen katholischen Friedhof in ziemlicher Tiefe ge
funden worden. Dort an ihrer Fundstelle liegen auch der vorhin
beschriebene Grabstein, eine Votivstele, ein altchristlicher Sar
kophag, über eine Klafter lang, von weissem Marmor und ein
Mühlstein zum 0 eipressen mit umlaufender Rinne und Ausfluss
öffnung, unten am Rande Zapfenlöcher, R. 1 M.)
Amzici ('/ 2 Stunde westlich von Cerin, grösstes Dorf
der ganzen Pfarre) duobus significantibus fontibus gaudet
Kripovac et Sritnice (confortans, fortunantes). Circa hos
fontes Kripovac est quod admiramur opus. Linter adaquandis
lavandisque vestibus destinatus est sane eximium vas in soli-
dissimo albo lapide excisum (aus einem der gewöhnlichen
Grabsteine, wie solche in Dobroselo als Mörser, in Cerin als
Brunntröge, in Sirokibrig als Cisternenstein, an dem noch vier
tanzende Figuren zu erkennen, ausgehöhlt und verwendet sind),
habens longitudinis bracchia 3 latitudinis, 2 altitudinis, 1 et
quadratae vaeuitatis bracchia 4 3 / 4 . Ad unam lateralem oram
sex habet choream ducentes nymphae ad aliud latus maje-
stosum equitem perlonga lancea cervum confodientem, (vgl. die
ganz ähnlichen Darstellungen auf zwei Grabsteinen von Ledinac)
et a summitate ad fontem conversa tres comparent robusti viri
diversi generis arma tenentes quasi diceres in defensionem
fontis (?) et illi tres utique erunt omnium circa fontem extruc-
torum generosi auctores (?) Pagus Amzici antiquitus Kri-
povo vocabatur, Amzici autem a turcis qui in Kripovo suam
commorationem fixerunt (nach dem Namen eines daselbst woh
nenden Plamza-Beg).
Figur 9.
I. O-O^At.
532
Ho er ne s.
Apud alterum fontem Sritnice in Amzici (nicht zu ver
wechseln mit dem Dorf Sritnice 1 Stunde nördlich von Grad-
nici auf dem Wege nach Mostar) extant amplae arcis rudera
item in Dugangici, coemeteria autem antiqua: in Calici
('/ 2 Stunde nördlich von Cerin) 1, in Dragicina (>/ 2 Stunde
südlich von Cerin) 3, in Dugangici 1, in Ogradjenik ve-
liki ( 3 / 4 Stunden südlich von Cerin) 2, in quarum uno extat
ex durissimo lapide crux altitudine vel altissimum hominem
Figur 10.
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superans, eiusque in fronte est numerus aerae christianae (?)
200, et quidem magnilica in Balcri (halbwegs zwischen Citluk
und Cerin) ubi quoddam magnificum sepulcrum haec verba
exhibet: Ase lezi Ivanis KomlinoviC (auf der rechten Dach
seite eines sarkophagförmigen Steines [Figur 10], eine zweite
längere Inschrift, von der jedoch nur zerstreute Buchstaben
kenntlich sind, bedeckt die ganze rechte Seitenwand eines
Alterthümer der Hercegovina.
533
andern sehr grossen Steines von gleicher Form. Die Steine
liegen beiderseits des Weges auf einem mit alten Eichen be
standenen Hügel, die bedeutenderen nördlich vom Wege. Hier
stehen auf einer Unterplatte zwei sarkophagförmige Steine dicht
zusammengerückt, der eine, zur Rechten, auf der Stirnseite mit
einem Kreuz, auf der Langseite mit einem wie vom Dach herab-
hängenden Halbmond geschmückt. Die Gruppe rechts vom Wege
besteht im Ganzen aus 9 plattenförmigen Steinen [1 mit Klee
blattrahmen, 1 mit besterntem Schild, 1 mit Rosetten und Halb
monden, 1 1 mit Kreuz, Halbmond und Sternen], 18 höheren
oblongen Blöcken mit horizontalen Deckflächen und 6 sarkophag
förmigen, wovon einer umgeworfen ist). Blatnica (1 Stunde
östlich von Cerin) 1 etiam magnificum, in Lipno (2 Stunden
südlich von Cerin) 2, in Cerno (2 Stunden südlich von Cerin
an der Strasse nach Ljubuski) 1, (nach mündlicher Mitthei
lung mit figuralen Darstellungen, worunter eine Hirscbjagd er
wähnt wird) apud Kripovac nobile unum. (Unter dem Titel
antichitä di Brocno ed una ara di Silvano hat der gegen
wärtige serbische Unterrichtsminister Stojan Novakovic im Bull,
di archeol. e stör. Dalm. 1877, Nr. 5, p. 70—76, einen Aus
zug aus den die Alterthümer von Cerin und Amziöi betreffen
den Abschnitten des Schematismus gegeben.)
IY. Ljubuskopolje
(breites Thalbecken des TrebiSat, südlich und westlich von Ljubuski).
a. Pfarrsprengel Humac
(untere Hälfte des Thalbeckens, südlich von Ljubuski).
Die archäologischen Mittheilungen aus diesem und den
folgenden Sprengeln sind nur im Schern, pro 1867, p. 174 ss.,
1 In den von einem Kreuz gebildeten vier Feldern der Platte stehen,
diagonal gegenüber gestellt, zwei Rosetten (Sterne) und zwei Halbmonde.
Sinn und Herkunft dieser auch in den Katakomben von Jaice und
sonst vorkommenden Grabverzierung verräth ein byzantinisches Denkmal
(Deckel eines Reliquienschreines) aus dem 11. Jahrhundert (in der Kirche
zu Lenczyea in Polen, s. Mon. du moyen äge et de la renaiss. dans l’anc.
Pologne, par Przezdziecki et Rastawiecki, Warschau 1855—1858, Taf. I).
Das Kreuz ist da, Halbmond und Rosette, die hier wohl die Sonne vor
stellen soll, in den oberen Feldern ganz wie auf den bosnisch-hercegovini-
schen Denkmälern, in den unteren Feldern aber Maria und Johannes
und auf dem Kreuze Christus.
Bitznngsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 34
534
Hoernes.
enthalten. Die nächstfolgenden beziehen sich auf römische
Alterthümer. Humac ist unzweifelhaft die römische Station
Bigeste beim XIII. Meilenstein von Narona, an einer Strasse,
die von dort aufwärts im Thal des Trebizat nach Novae (Kuno-
viöi) und über die Brücke des Tilurius nach Salona führte.
(Cf. Tab. Peut. und Mommsen C. I. L. III, p. 1029 IX, a).
Od Soline do Nonne (von Salona nach Narona) nennt das an
wohnende Volk noch heute die Richtung der stellenweise wohl
erhaltenen Strasse, die ,Sekulan' heisst und von der die Sage
geht, dass sie dem Wetteifer zweier Brüder in der Bewerbung
um ein Mädchen — als eine der gestellten Preisaufgaben —
ihre Entstehung verdankt. Von slavischen Alterthümern besitzt
das Kloster Humac nur eine im Klosterhofe eingemauerte In
schrift, die in drei Zeilen, viermal gebrochen, um die vier
Seiten der Tafel herumläuft. Trotz der ziemlich deutlichen
Schriftzüge ist sie bisher nicht entziffert. Sie scheint zu be
ginnen : f u ime otca i (sina) . . ,1m Namen des Vaters und 1
(des Sohnes etc.).
Humac ('/ 2 Stunde südlich von Ljubuski) et vicinias
ejus antiquis in aestimio fuisse, circumstantia magnifica rudera
haesitare non sinunt. Sunt etenim duae lapideae tabulae latinis
exaratae litteris (C. I. L. III, 6362. 6363) hic prope ultra
Humen (nach mündlicher Mittheilung der Klostergeistlichen
vielmehr diesseits am linken Flussufer) erutae, in quibus etsi
omnia ordine legere denegetur illud tarnen nitido colligere est:
lapides illos Romanorum templo ,vetustate corrupto columnis
et porticibus adjectis a Romanis Consulibus restaurato 1 po-
sitos fuisse. Lapides porro recensiti nostrae domus frontispicio
inserti sunt. (Jetzt nicht mehr, s. Arch. epigr. Mitth. S. 39.)
Sed ibidem in loco Grad eine (magnae arces) plurimi existunt
lapides perita manu elaborati tum aggeres aedificiorum divi-
siones lateres imbrices atque tegulae magna in copia. (Auch
hier fand ich eine römische Inschrift, s. a. a. 0. S. 40.)
Pontis quoque pei;vetusti bases ibidem se offerunt (Qua
derbau mit Eisenklammern unter dem Wasserspiegel des Flusses,
abwärts der Stelle, wo selber gegenwärtig überbrückt ist) et
Romanorum antiquae viae etiam aliquos milliares lapides habentes
reliquiae passim occurrunt (nicht in unmittelbarer Nähe der
Ruinenstätte, sondern 1 Stunde und 3 Stunden von Humac,
Alterthümer der Hercegovina.
535
an letzterer Stelle schon nahe bei Vid — Narona —, so dass
über das Ziel der Strasse in dieser Richtung kein Zweifel sein
kann.) De Veljaci quod tetigi (s. unten) hic quoque reitero:
in istis duabus parochiis numismata, anulos, deorum simulacra,
arma et id genus pluries ac pluribus in locis inventa fuisse.
(Blau, Monatsb. der Berl. Akad. der Wissensch. 1870, S. 626,
erwähnt als Fundstücke aus Humac einen Ziegelstempel der
VIII. Legion, Marmorplatten und ,Münzen mit Octavians Namen'.
Mir wurde daselbst u. A. eine Silbermünze aus den letzten
Regierungsjahren Diokletians und eine Carneolgemme — Sitzfigur
mit Scepter und Tiara — gezeigt. Eine römische Familien
münze fand ich selbst auf dem Felde bei Mlade im Sprengel
Veljaci.) Et ne oblivione tectum maneat, hoc quoque notare
lubet: de nobis senioribus in Missionis negotio nullum sane
esse, qui vel aliqua antiquitatis excerpta ad Conventum (nach
Öirokibrig) non miserit, quidam etiam plura frustra laudabilis-
simae Conservationis gratia. (Jetzt besitzt das genannte Kloster
nichts mehr von diesen Sammlungen; Alles scheint durch
croatische und dalmatinische Reisende wie Paulinovic u. A. in
Privatbesitz oder verschiedene Sammlungen gekommen zu sein.)
Ljubuski (,amabilis locus' p. 169, nunc autem et Parvam
Salonam dictam fuisse commemoro) sub supercilio ad mediam
horam elevati collis apricum occupat declivium sat ripidi
ascensus In summitate asperrima collis oppido ‘ supra-
eminet arx solidae constructionis cum suis turribus irregula-
ribus. Arx ista a turcis repetitis vicibus restaurata atque aucta
fuit sed ejus primordia antiqua nimis censentur. Est in illa
turris cum ergastulo ,Hercegusa' dicta, ac ideo a Stephano
Herceg reputatur facta (welcher Stadt und Burg seiner Gattin
[oder Tochter] geschenkt und zu ihren Ehren Ljubuski genannt
haben soll, entweder als Denkmal seiner Liebe — ljuba —
oder nach dem Namen der Empfängerin, die Ljubica, ,Veilchen',
geheissen habe. Die Burg Ljubuski erscheint unter den Haupt
orten der Hercegovina in den ungarisch-türkischen Friedens
verträgen 1503 und 1519).
De antiquitatibus autem religionis nostrae in Ljubuski
rudera extant duarum ecclesiarum: S. Antonii nec non S. Ca-
tharinae virginis et martyris cum sibi adnexo franciscanorum
conventu a turcis igni combusto, uti alias monstravimus
34*
536
(p. 28, Turcae enim hie Danielem Episcopum [den Bischof
von Duvno, Dan. Vladimiroviö, der vor den Verfolgungen der
Muhammedaner nach Mostar, und als das dortige Kloster eben
falls zerstört worden, nach Ljubuski geflohen war], repertum
solito furore Martyrio afficiunt, conventum autem penitus deva-
stant et quidem eodem anno [1570] eodemque occasione, qui-
bus et Mostariense subverterant monasterium. Nach Norin.
p. 79 wäre der genannte -Bischof am 10. Mai 1563 in Lju
buski von den Türken getödtet, und geniesst daselbst, entweder
in der Klosterkirche St. Catharina begraben oder von den
Türken sorgfältig verborgen, fromme Verehrung. Hiezu Schern,
p. 31 s.: sed notandum praefatae ecclesiae nonnisi tenuissima
extare rudera; et ibidem nihil turcas religiöse servare, explo-
ratum nobis est. Ast communiter vulgo ferunt, in arce Lju
buski Danielem martyrii corona donatum in quadam arcis
turre a turcis zelosissime custodiri ob quandam invictam vim
supranaturalem prohibentem turcis in illam turrim ingressum.
Es ist ein ganz gewöhnlicher Vertheidigungsthurm, der im
Erdgeschoss keinen Eingang zeigt; der Zugang zu der oben
befindlichen Thüre ist verfallen. Man spricht auch von Minen,
die in demselben gelegt sein sollen, weshalb die Türken den
Thurm nicht zu betreten wagen. Aehnliches wird von einem
Thurm der Veste von Livno erzählt, dessen Thüre die Türken
nicht zu öffnen wagten, da nach der Sage eine Art von Höllen
maschine darin verborgen sein sollte. Einen zweistöckigen
halbrunden Thurm ohne äusserlich sichtbaren Eingang, in
welchen nach der Volkssage ein unterirdischer Gang von der
nahen Burgruine führt, erwähnt Blau, Reisen S. 161 von
Prozor im Ramathal. An ihn knüpft sich die Sage vom Tode
der letzten bosnischen Königin Catharina.) Sunt quoque in
Ljubuski bina nobilium antiquorum coemeteria.
Radiscici (1 Stunde nördlich von Humac) rudera arcis
habet, nomine ,Krvnice‘ (sanguinariae) apud quam magnam
quandamstragemcontigissetradunt, ideoque,Krvnice‘ nominal!.
Zvirici (2 Stunden südlich von Humac) innominatae
arcis rudera intuetur. Denique magnatum magnifica sepulcra
sequentibus in locis reperiuntur:
Studenci (2 Stunden östlich von Humac, dort soll sieh
eine lateinische Felsinschrift finden; auch soll ein alter Zweig
Alterthümer der Hercegovina.
537
der Römerstrasse von Humac über Studenci nach Gradmci
und Mostar geführt haben).
Vitaljina (*/ 2 Stunde südlich von Humac, ebenfalls
Fundort einer römischen Inschrift, s. Ber. der Berl. Akad. der
Wissensch. 1870, S. 627, 6).
Biaca (2 Stunden südlich von Humac).
Luke (?).
Karamanovine (in der Nähe der Trebizat-Brücke bei
Humac südlich von Ljubuski).
Crveni-grm (iy 2 Stunden westlich von Humac) in Sobaö.
Rudnice (?).
RadiSSici (s. o.) in quatuor locis.
Ausserdem finden sich altslavische Gräber in Kutac
(1 Stunde westlich von Humac) auf dem katholischen Friedhof.
Ein massives Steinkreuz daselbst trägt vorn, sowie rückwärts
Ornamente, die P. Bakula wie bei Figur 1 als gladii bicipites
bezeichnen würde, die Platte ein gerades Schwert. Die
römischen Inschriften von Ligat, einem Vorort von Ljubuski,
s. Arch.-epigr. Mitth. S. 37 f.
b. Pfarrsprengel Veljaci
(oberer Theil der Ebene, westlich von Ljubnäki).
Mlade (Brückenstelle an dem hier gleichnamigen Fluss,
welcher im Oberlauf Tihaljina, im Unterlauf Trebizat ge
nannt wird, zwischen Veljaci und Ljubuski), ad novurn lapi-
deum magnum ae pulchrum pontem populi beneficentia factum
1863 erant antiqua rudera ecclesiae S. Eliae prophetae (dem
die ursprünglich in Ljubuski, dann der Reihe nach in Voinici,
Sipovaöa und Veljaci installirte Pfarre gewidmet war); supra
haec rudera 1863 P. Gregorius Skari6 populo concurrente
novae ecclesiae muros coepit. (Auf dem terrassenförmig zwi
schen Fluss und Feld etwa 100 Schritt abwärts der Brücke
am rechten Ufer angelegten alten und noch jetzt benützten
Friedhof sind altslavische und neuere Grabsteine vermischt
[unter ersteren ein sarkophagförmiger mit einem Kreuz an der
Stirnfläche]. Ein römisches Grabdenkmal ist Arch.-epigr. Mitth.
S. 42 beschrieben. — Zum Theil aus alten Bau- und Grab
steinen besteht ein kleines offenes Kapellchen, in dessen
Innenwand zwei römische Inschriftfragmente [s. a. a. 0.] ver-
538
Hoernes.
mauert sind. Hinter demselben liegen, von Gras und Gebüsch
überwuchert, die vorgenannten Grundfesten.)
Hinc ultra Mlade ad coemeterium Vitinci (1 Stunde
östlich von Veljaci) antiqua erat ecclesia S. Stephani Protom.
honoribus aedificata, de qua multa laborati etiam marmoris
frusta adinveniuntur. (Nach mündlichen Mittheilungen, die mir
an Ort und Stelle gemacht wurden, soll bei einer Ausgrabung
am Fusse des schrägliegenden katholischen Friedhofs ungefähr
klaftertief ein kunstvolles Mosaikpflaster und Mauerreste,
nach einer Version von einem Badehause, nach einer andern
von einer Kaufhalle mit kleinen Läden gefunden worden sein.
Münzen werden hier und in Kutac oft gefunden; zwei römische
Inschriften s. Arch.-epigr. Mitth. S. 41.)
Utvica prope Vitina, ubi nunc conspiciuntur rudera,
ferunt ibidem monasterium cum ecclesia fuisse titularis hodie
ignoti. (Utvica est amarae recordationis pro catholicis utpote
locus, in quo 1832 dum pro Capitanio de Ljubuski adacti ac
decepti dimicarent et in conflictu a Capitanio proditorie aut
certe effeminate desererentur, multi in illa strage insontes
perierunt per manus turcarum, Ali-Pasa Rizvanbegovid
causam agentium.)
Grab (1 Stunde östlich von Veljaci) in Kostenica, Juri-
öovac quondam ,Mali Veljaci/ ecclesiam S. Joannis Bapti-
stae F atque monasterium fuisse certo tradunt, quemadmodum
Fi pecuniam atque ceram multam circa haec
rudera in terram depositas fuisse. 'Et quoad
ceram in adjacentibus arvis aratores sae-
pissime de illa etiam majora frusta re
perisse res probati facti est. (Die seltsame
Notiz erklärt sich durch die südslavische
Sitte, Wachs als Opfer darzubringen.
,Gelbes Wachs und weissen Weihrauch'
bringen Mönche nach dem Athos: Karadzic,
nar. srpske pj. II, 22, eine Saumlast Wachs t
nebst zweien Weihrauch und Oel ent
richtet Hassan Pascha jährlich dem heiligen Sava inMileseva,
1. c. III, 22. i)
1 Eine ragusanisehe Karavane mit einer Ladung "Wachs wurde 1399 in Drob-
njak yon den Türken geplündert: Pucitf, sporn, srpski (Belgrad 1855), I, 22.
Alterthümer der Hercegovina.
539
Hic loci etiam magnatum ac populi antiqua sepulcra
plura extant. (Obenstellende Abbildung [Figur 11] eines kleinen
Kreuzes mit Halbmond und Stern stammt vom Friedhof Koste-
nica der Ortschaft Grab.)
Ml ade, prope S. Eliae ecclesiam (s. o.) praemagnifica
atque multa nobilium sepulcra cernuntur, sic pariter in Gorica
de Veljaci.
Arcis antiquae in tota hac parochia unius tantum est
recordatio in Oraliovlje.
Kleinere römische Funde im Pfarrsprengel s. o. S. 535.
Mitten auch durch diesen Sprengel läuft die Römerstrasse,
ist aber hier fast völlig im einstigen Sumpf-, jetzigen Acker
lande verschwunden. Sehern, p. 169: Flumen Mlade (Novae)
dictum, cum non multo pridem post terrae motum ex magna
scaturigine de novo prosiliisset, 1 totam pretiosam planitiem
perennibus inundabat aquis, in quibus palustres ignobiles
herbae ac silvae crescentes vix tenuissimam incolis porrige-
bant utilitatem penes etiam aerem corruptissimum. En igitur
ferme hesterna die quid Subljubuski erat: locus stagnantium
et putridarum aquarum, immensam culicum multitudinem pro-
creantium. In diesem jetzt theilweise entwässerten und bebauten
Inundationsgebiet stehen mehrere alte Brücken von verschie
dener Grösse, aus unbehauenen Bruchsteinen roh aber solid
erbaut, wahrscheinlich Reste einer mittelalterlichen Communi-
cation, die sich an die Trace der Römerstrasse anschloss,
aber bereits mit der beginnenden Stagnation des Flusses zu
kämpfen hatte. — Das Dorf ,Velijaki im Lande Hund er
scheint schon 1395 in einer Urkunde des Königs Stephan
Dabisa, der es seiner Tochter Stane unter der Bedingung
schenkt, dass es nach ihrem Tode an den Fürsten von Hum,
Georg Radivojevic, und dessen Nachkommen zurückfalle.
1 Es muss dahingestellt bleiben, ob diese Erklärung des Flussnamens
richtig ist, oder ob derselbe nicht vielleicht eine Uebersetzung des lateini
schen Namens Novae (j. Runovici), der römischen Stadt am Oberlaufe
desselben Flusses, ist und an dem Flusse haften blieb, wie der Stadt
name Bona (Blagaj) am Bunaflusse.
540
Hoernes.
Y. Das obere (Eng-) Thal des Trebizat.
a. Pfarrsprengel Klobuk. 1
(Gegend am Austritt des Flusses vom Engthal in die Ebene von Ljubuski.)
Klobuk (1 Stunde nördlich von Veljaci, pileus aut bulla
consueta assurgere nimio cadente imbre) sic denominatus a
sua figura, collis ex plano alto assurgentis et undique velut
foeni acervum recisi et valde praecipitis. (Die gleiche Forma
tion hat auch andern Bergen und Oertern des Landes diesen
Namen gegeben. Am bekanntesten ist seit 1878 die gleich
namige [schon im Mittelalter oft genannte] Burg an der monte
negrinischen Grenze.) Singulare Klobuk hoc est, ut multum
elevatus et cum nullo colle a se majori conjunctus fontibus
multis perennibus etiam ad summitatem gaudet... In cacumine
aliquantisper complanato collis huius ecclesiae omnium Sancto-
rum rudera extant, cujus major ara adhuc integra conservatur.
Borje atque Gracina in circulo Klobuk praemagnifica
atque rnulta uobilium sepulcra cernuntur ... sic pariter in
Velika Sipovaca (1 Stunde westlich von Klobuk).
Unmittelbar hinter dem (erst 1873 erbauten) Pfarrhause auf
dem mittleren Ostabhange des ,Hutberges' lag einer der soge
nannten Gomile, 2 die mir besonders im östlichen Theil des
Brocnopolje durch ihre Häufigkeit und Grösse aufgefallen
waren. Schern, p. 19 sagt über diese in Bosnien und der Her-
cegovina stark vertretene Denkmälerclasse: Acervi autem
lapidum inordinate accumulatorum (Gomile) etiam in Ilerce-
govina ferme innumerabiles sunt, semperque in colliculis et
magis elevatis locis congesti, magnitudine autem et lapidum
copia tanta ut vere stupefias. In fundo huiusmodi acervorum
est invenire carbones ossa humana vel vasa cum cineribus aut
perpetui luminis. Igitur etiam isti acervi lapidum sui generis
sepulcrorum qualitates sunt. Ich gewann erst hier Einblick in
1 Diese Angaben finden sich gleichfalls nur im Sehern, pro 1867 übrigens
vor der Errichtung obiger Pfarre unter den Notizen über Veljaci p. 171 s.
2 Auch in Grabovica lag das erste, 1828 erbaute Pfarrhaus nach Schern,
p. 196 sub gomila, d. h. die Erbauer machten sichs bequem und be
nützten aus grösster Nähe das von alten Händen angehäufte Material,
wodurch gewiss noch an vielen andern Stellen solche Tumuli abgetragen
und zerstört wurden.
Alterthümer der Hercegovina.
541
eines dieser Denkmäler. Der Steinhaufen war vollständig aus
einander geworfen, auf dem Grunde sah ich in einer grab
artigen Vertiefung zwischen Steinschutt menschliche Gebeine.
Man muss hienach wohl die Ansicht Sternecks (1. c. S. 54 f.)
fallen lassen, dem die Gomile den Eindruck von angehäuften
Klaubsteinen machten, die man, als noch eine schwache Erd
decke den zerklüfteten Felsboden bedeckte, sammelte, um das
Erträgniss desselben zu steigern. Sie sind unstreitig Gräber,
von deren Entstehung die noch heute übliche Bestattungsweise
der Christen jener Gegend ein anschauliches Bild gewährt.
Gegenüber dem Hutberge erhebt sich ein kleinerer Hügel mit
alten Grabsteinen (einer mit drei Kränzen geschmückt). Oben
liegt um eine zum Theil aus altem Material erbaute Kapelle
der neue katholische Friedhof. Da die Christen von Klobuk
arm sind, erschwingen nur wenige ein Steinkreuz auf die
Gräber der Ihrigen, die meisten bedecken den Erdenfleck,
unter dem der Todte ruht, einfach mit einem länglichen
Steinhaufen. Weil aber die Hügelkuppe beschränkten Baum
gewährt, liegen die Gräber sehr eng beisammen, indem so
lange als möglich zwischen je zwei noch ein dritter Todter
gebettet wird. So vermengen sich die Steinhaufen] theils von
selbst, theils werden sie auch wohl von den Angehörigen der
Todten durch Steinschutt mit einander verbunden, damit die
Erde nicht noch einmal aufgewühlt und die Ruhe der Längst
entschlafenen gestört werde. Wahrscheinlich stellen auch die
Gomile, welche so häufig auf beschränkten Hügelräumen an-
getroffen werden, jeder für sich gleichsam einen geschlossenen
Friedhof dar, der durch genügende Anhäufung von Steinen
— oft bis zu fünf und mehr Klafter Höhe — consecrirt
und der weiteren Benützung entzogen wurde. Zur Datirung
dieser Denkmäler liegt noch wenig Material vor. In einem
derselben bei Han Podromanjom auf der Hochebene Glasinac
sind höchst merkwürdige Bronzegegenstände gefunden worden,
die zwar nach unsern bisherigen Kategorien den prähistorischen
Alterthümem zugezählt werden müssen, aber entschieden auf
geschichtlich sehr wohl bekannte Zeiträume hinweisen. 1 Auch
1 Von den beiden Hauptstiicken dieses Fundes, der in die anthropologische
Sammlung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums gelangte, gleicht ein
542
H oern es.
Herr Evans in Ragusa fand in den Gomile ,charakteristische
Bronzeornamente und Steinkisten'.
Die altslavischen Adelsgräber von Borje liegen in dem
Felsensattel, durch welchen, an einer Burgruine vorüber, der
Saumpfad nach Tihaljina führt, rechts und links vom Wege,
die grössten links den steilen Abhang hinauf, unter ihnen eine
durch ihren Figurenreichthum vor allen Monumenten dieser
Classe ausgezeichnete Gruftplatte (Figur 12), auf welcher in zwei
Figur 12.
über einander geordneten Reihen ein Turnier und ein Reigen
tanz (Kolo) dargestellt sind. Oben sprengen zwei Reiter in
kurzen Röcken und kalpakartigen Kopfbedeckungen mit ein
gelegten Lanzen aufeinander los. Zwischen ihnen stehen, etwas
Krug mit dreitheiliger (kleeblattförmiger) Mündung vollkommen der
antiken griechischen ,Oinochoe‘; ein kleiner Wagen mit seltsam aufein
ander sitzenden Vogelgestalten erinnert ebensosehr an ein national-
russisches Ornament, das in zahllosen Variationen durch textile Ueber-
lieferung vorliegt. Vgl. Stassoff, L’orn. nat. Kuss.
Altertliümer der Hercegovina.
543
höher, wohl im Hintergründe zusehend zu denken, zwei Frauen
gestalten in langem Gewände und eigenthümlicher Haartracht.
Sie fassen sich an den erhobenen Händen und halten sowohl
in diesen, als auch in den erhobenen freien Händen kleeblatt
förmige Blumen, den Preis des Siegers im ritterlichen Kampf
spiel. 1 Die untere Reihe besteht aus neun Figuren, fünf
männlichen und vier weiblichen, in den oben beschriebenen
Trachten. Männer und Frauen fassen sich abwechselnd bei
den erhobenen Händen und halten dabei kleeblattförmige
Pflanzen, die beiden Männer zu Anfang und Ende stemmen
die freien Hände in die Seite. Die Darstellung, obwohl noch
roh genug, ist doch viel freier und natürlicher, als bei den
rein schematischen Frauenreigen auf sarkophagförmigen Steinen.
Auffallend ist nur, dass die Frauenfiguren mit schräg abge
schnittenen Gewandsäumen und — in der unteren Reihe —
ohne Andeutung der Füsse vollkommen frei, und sogar ziem
lich hoch in der Luft schweben. Sie springen oder werden,
wie es scheint, von den Männern, welche ausschreitend dar
gestellt sind, im Schwünge einhergetragen, jedenfalls ein eigen-
thümliches Mittel zur Belebung der etwas einförmigen Figuren
reihe. Das Volk erklärt diese und ähnliche Darstellungen für
Scenen himmlischer Lust, wobei die Verewigten in den Reigen
der Heiligen aufgenommen erscheinen. Letztere sind nämlich
die langgewandeten schwebenden Gestalten, deren rundlicher
Kopfputz für den sogenannten ,Heiligenschein' gehalten wird.
Sculpirt sind noch die beiden Seitenflächen zu Häupten und
Füssen obiger Reihen, die eine mit einem Kreuz, die andere
mit einem Schild, auf dem ein schräger Balken, Halbmond
1 Vielleicht ist hier keine der mannigfachen Formen mittelalterlichen ,Ge
stecks* oder ,Rennens*, deren es nach den Tournierbüchern am Ende des
Mittelalters etwa sechzehn gab, sondern ein national-südslavisches
Reiterspiel dargestellt, von dem ein serbisches Volkslied in einer
Schilderung heiterer Lust sagt:
,Wer ein gutes Ross hat, dreht es kunstvoll,
,Freut am Spiel sich, mit dem Wurfstock schleudernd.*
Die Kunst in diesem Spiele besteht in der Geschicklichkeit des Reiters,
den horizontal geworfenen, vier Fuss langen Stab des Gegners (d^ilit)
aufzufangen. Es soll noch heutzutage ein Lieblingsspiel der Slaven und
Albanesen der Balkanhalbinsel sein.
544
Hoernes.
und Stern zu sehen, und unter welchem zwei Schwerter ein
ander mit den Spitzen zugekehrt sind. Hier wie auf mehreren
andern Steinen derselben Grabstätte ist die Kreuzform in eigen-
thümlicher Weise durch Ansätze, Schwellungen, Ausnehmungen
u. dgl. modificirt. Halbmond und Stern, Schild (viereckig) und
Schwert finden sich ebenfalls noch auf einigen Platten dieses
Friedhofes. S te -Marie hat mehrere derselben S. 57 f. abgebildet,
aber so ungenau, dass z. B. auf dem grossen Stein (Figur 12)
die Reiter neben den Pferden stehen, die beiden Frauenfiguren
unter ihnen; der Kolo besteht bei ihm nur aus fünf Figuren,
die ganz falsch gezeichnet sind, wenn es überhaupt derselbe
Stein ist.
b. Pfarrsprengel Ruzici
(rauhe Gebirgsgegend von Klobut aufwärts bis zum See Krenica).
Ruzici parochiam de antiquissimis esse in Hercegovina
tum historiae fragmenta tumque traditio docent ... De Police
( 3 / 4 Stunden westlich von Ruzici, wo früher die Pfarrer resi-
dirten) ferunt non solum fuisse parochi domum sed etiam par-
vum Franciscanorum conventum, dictum hodie quoque locum
,Fratarski Manastir' (fratrum monasterium).
Sehern. 1867, p. 165. Dragicina (iy 2 Stunden nördlich
von Ruzici), duas quondam magnificas arces habebat, S. Marci
ecclesiam, sepulcra autem potentum plura recenset.
Tihaljina (2 Stunden südlich von Ruzi6i) unum insigne
habebat fortalitium, ecclesiam S. Eliae prophetae, cuius etiam
hodie muri sat eminent, multaque magnifica magnatum admi-
rantur sepulcra, item reliquiae antiquae Romanorum viae quae
Naronam ducebat. Sehr schwache Spuren parallel des Flusses
in einiger Entfernung vom linken Ufer. Eine breite Bahn
scheint sich in geschickter Führung ziemlich gerade zwischen
Karsthöhen und Buschwald hinzuziehen. Nur an wenigen
Stellen und auf kurze Distanzen erkennt man an dem in den
Boden eingestampften Staub des zerriebenen Steinpflasters,
dass man eine alte Kunststrasse unter den Füssen hat, die
durch starke Benützung wahrscheinlich während des ganzen
Mittelalters und der Neuzeit bis auf den heutigen Tag fast
total zerstört ist. Bei Tihaljina sollte nach mündlicher Mit
theilung, die ich in Humac bekommen, ein Meilenstein erhalten
Alterthümer der Hercegovina.
545
sein; ich hörte später, dass er vor zehn Jahren daselbst ge
funden, jedoch zerschlagen worden sei. — Die altslavischen
Grabmäler von Tihaljina liegen zu beiden Seiten der alten
Strasse, circa eine Viertelstunde vor dem genannten Orte. Sie
sind stark verstümmelt und
zum Theil in die Steinum
fassung eines Grundstückes
eingefügt, was auch bei Klobuk
und an anderen Orten der Fall
ist. Von drei verschiedenen
Kreuzformen ist besonders die
an der Stirnseite eines sarg
förmigen Steines merkwürdig.
Auf zahlreichen Steinen ist eine
dem sogenannten Maltheser-
kreuz ähnliche Form vorherr
schend. Daneben findet sich
mehrmals Halbmond, Halb
mond und Stern (Figur 13,
vgl. o. S. 533, Anm.), einmal
zur Seite eines von halbovalem Schild bedeckten Schwertes
(Figur 14). Vgl. das aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts
Figur 13.
stammende Grabdenkmal von Münchengrätz im Orte Kloster:
Lind, Mittelalterl. Grabdenkmäler im ,Oest. Jahrb/ des Freih.
v - Belfert, V, S. 18, 10). Weiter finden sich auf demselben Wege
gegen Drinovci zu, da wo die Karte den OrtDragotin (Dragidina?)
und eine Burgruine ansetzt, rechts im Gebüsch und Wald zahl
reiche Grabsteine, darunter ein sarkophagförmiger, an dessen
546
Hoernes.
Seitenwand ein Pferd mit gesenktem Haupt und aufgeschnalltem
hohen Sattel dargestellt ist, wie mir vorkam, eine charakte
ristische Illustration des ritterlichen Wahlspruchs: ,Die Lust
der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde' (Figur 15). Ein an
derer Stein, sargförmig, doch mit abgeplatteter Dachkante und
ohne Basis, zeigt an der Seitenwand zwei grosse Sterne).
Schern. 1867, p. 179. (Appendix) ,Markoviste in Ruzici
supra Nikic traditionem nomen Gradina atque existentia
rudera confirmant, scilicet ibidem non ignobilem fuisse arcem.
Id ipsum ex adverso ad habitionem Yranjcsi similiter intellige
Figur 15.
nempe de antiquae existentia arcis. In eodem pago est locus
Pavicevine magni conservans palatii rudera, in quo ferunt
comitem famosum Paulum Mikulid a latronibus dolosa via
occisum fuisse suasque omnes substantias domesticas ablatas.
In Mali6 supra actualem parochialem domum (einem rauhen
Felshügel, auf dem einst die Pfarrer von Ruzici ihre Zuflucht
gesucht und eine Cisterne gegraben, die noch heute darnach
benannt ist) est maximae profunditatis vorago dicta ,Zvona-
nara‘ (campanaria), et putant tale sortitani nomen ob duas
campanas in eadem voragine reconditas dum turcae eas rapere
et confringere molirentur.'
Alterthümer der Hercegovina.
547
,In Seline ( 3 / 4 Stunden nördlich von Ru2i6i) est magna
multitudo nobilium sepulcrorum cum magnifica varietate stem-
matum atque aliarum insculptionum/ (Eine flache Kuppe des
öden Karstgebirges Mamicko-brdo, an dessen Abhängen das
Figur 16.
Dorf Seline zerstreut liegt, ist ganz bedeckt mit grossen, meist
plattenförmigen Grabsteinen. Fünf derselben zeigen das vom
Schild gedeckte Schwert, dessen Griff zweimal von einer kleinen
Figur in langem Jdocke, die einmal neben [Figur 16], einmal
auf dem Schilde steht, gehalten wird. Einmal sehen wir daneben
Stern, Bogen und Pfeil,' einmal Halbmond und Rosette, einmal
den Halbmond auf dem Schilde. Ein Stein ist mit Zickzack
streifen umrahmt, in denen ankerförmige Figuren, wahrscheinlich
1 ;
'
I
548
Hoernes.
Lilien vorstellend [Figur 17], eingezeichnet sind. 1 Einmal
sehen wir zwei Thierfiguren, seltsam gruppirt mit Kranz, Kreuz,
Halbmond und Stern [Figur 18]. Hier wie in Cerin [S. 527]
scheinen sie über den emblematischen Figuren später einge
graben zu sein. Halbmond, Stern und ein kleeblattförmiges
Kreuz erscheint noch auf einem Stein. Räthselhaft ist auf
Figur 18.
einem andern die zwischen Halbmond und Stern gezeichnete
Figur. Am merkwürdigsten ist eine grosse, auf der oberen
und drei Seitenflächen sculpirte Platte. Die Oberfläche zeigt
im Zickzackrahmen zwei verschieden geformte Kreuze, die
eine, sculpirte Schmalseite [Figur 19 a] zwischen zwei grossen
Sternen unter Zickzacklinien eine kleine langbekleidete Figur,
welche klagend die Arme erhebt; 2 die Langseite rechts [Figur 19&]
1 Symmetrisch innerhalb Zickzackstreifen nach auf- und abwärts stehende
Randverzierungen zeigt das byzantinische, vom russisch-slavischen auf
genommene Ornament des 11. Jahrhunderts. S. Hist, de l’orn. Russe du
X.—XVI. si&cle, Paris 1870, II, Taf. 11. In der Hereegovina gehört diese
Verzierung zu den häufigeren.
2 Sie ,klagt zu den Sternen“. Ueber den allgemeinen, wohl der Poesie aller
Völker angehörigen Gefühlsausdruck hinausgehend, bietet die serbische
Volkspoesie gerade hier schlagende Analogien in Wechselgesprächen
zwischen Mädchen und Sternen, die als ,Bundesbrüder 1 angerufen werden:
Karadzic, I, 728, oder wenn der Geliebte durch den Stern seiner Lieb
sten Botschaft sagen lässt: 1. c. I, 341. Sonne, Mond und Sterne helfen
den Mädchen als Bundesgeschwister 1. c. I, 232.
Alterthümer der Hercegovina.
549
einen schrägliegenden Todten mit einwärts gekehrten Füssen und
über den Leib gelegten Armen, zu seinen Füssen sitzt ein
Figur 19 a.
grosser Vogel, die Langseite links Halbmond und blattförmiges
Kreuz. Der Vogel ist wahrscheinlich der Kukuk, den die
Serben noch heute oft auf ihren Gräbern abbilden und welcher
als Todtenvogel der Südslaven in ihren Liedern eine grosse
Rolle spielt. Die Mutter eines Verstorbenen klagt wie ein
Kukuk, eine Schwester klagte so lange um den todten Bruder,
bis sie in einen Kukuk verwandelt wurde, die hinterlassene
Frau und die Schwestern eines Todten heissen geradezu ,Ku-
kukinnen' [Karadzic I, 597 u. f.]. Wahrscheinlich soll auch die
kleine klagende Figur der Schmalseite eine Verwandte des
dargestellten Todten bedeuten, vielleicht jedoch nur ein Klage
weib, dergleichen es in Montenegro und der Hercegovina geben
sollte, obwohl Karadzic diesen Gebrauch nur mehr in Dalmatien
theilweise erhalten fand.)
,Kod Topale in planitie sunt quatuor nobilium prae-
magnifica sepulcra variis etiam liominum imaginibus circum-
ornata existente quoque in uno sepulcrorum magnifico vexillo;
paranimphos ex latronum insidiis hic cecidisse localis traditio
auditd (Diese interessante Gräberstätte war mir leider, obwohl
ich sie aus der Ferne sah, nicht zugänglich, denn sie lag im
Sitzungsber. d. phil.-hist. 01. XCVII. Bd. II. Hft. 35
I
550
Ho er nes.
Juni v. J., als ich von Ruüidi aus die Alterthiimer der Gegend
besuchte, auf einem flachen Inselchen inmitten einer viele
Meilen langen Wasserfläche, welche damals alle Thäler und
Niederungen dieses Landestheils von der österreichischen Grenze
hei Imoski bis Rasno unweit Sirokibrig — bei 25 Km. in
gerader Richtung — bedeckte. Mein Weg führte am Süd
rande des Mamicko-brdo, dessen bewaldeter Fuss steil und tief
in den See abfiel, nahe dem jenseitigen Ufer lag die erwähnte
Insel. Ein ,Vexillum‘, und zwar mit Sternen zwischen einem
schrägliegenden Balken soll sich auf einem Grabsteine bei
ö ö
Stolac finden, und die Sage vom Untergang eines Brautgeleites
durch Feindeshände haftet auch anderwärts an altslavischen
Grabstätten.)
,In Cerovido (l'/ 2 Stunden östlich von Ruzidi) sunt arcis
rudera dicta Bandica grad a familia etiamnum existente
Ban die quae quondam in dicta arce fertur suam exereuisse
dominationemJ
,Grude (l'/j Stunden nördlich von Ruzici) in Pivöevo-
grebje (galli coemeterium) duorum duellum referentium sunt
bina magnifica sepulcra, in quorum uno putant reconditum
Pivac cognomine dictum, cuius familiae nondum sunt extincta
germina. Sub Kristelica pariter nobilium aliquot sepulcra
cernuntur. Penes Corluke in Grude magnifici alieuius aedi-
ficii abundant ruderaJ (Die folgenden Notizen führen uns
wieder zurück in das Trebizatthal und die Gegend von
Tihaljina.)
,Muk al fortalitium ibidem (in Eile kuce) tradunt a
Stephano Herceg aedificatum fuisse. Etiam in summitate
Malic (dem schon erwähnten Hügel über Ruzici) magna arx
fuit antiquab
,In Markova glcivica suh Jaksanica magnificae arcis
copiosa rudera existuntü
,In Basine njive (Barbarae campi) ecclesia S. Nicolao
dicta extabat, penes quam multa magnatum magnifica sepulcra
cernuntur
,In Kordica Grehje (Kordiba coemetei-ium) sunt stu-
penda simul ac plura nobilium sepulcra crucibus signanter
abundantia; idem quoque in Jelinacko-polje (cervorum Cam
pus) videre esP.
Alterthümer der Hercegovina.
551
c. Pfarrsprengel Drinovei
(Gegend am See Krenica bis zur dalmatinischen Grenze).
Sehern. 1867 p. 164 s. Drinovei in eollis extremitate ad
planum sacerdotalis domus tumque ecclesia S. Lucae perhi-
bentur fuisse (zur Zeit, als die Pfarre Ruzici von Drinovei
aus verwaltet wurde; die heutige Pfarre Drinovei besteht erst
seit 1871). Multa ibidem solidorum aedificiorum copiosa extant
rudera, inter quae in fornice quodam medio retro saeculo in-
eola quidam in solida cista totum sacrum sacerdotalem appa-
ratum detegens occulte in Imoski cuidam saeculari levissimo
vendidit pretio. Verum venditor ille tumque sua familia, post-
quam continuis partialibus flagellis multos per annos exagita-
retur, opinatus de sacrilegio id fieri, P. Marianum Miletid,
tune temporis parochum, consuluit, a quo quum plura sacra
pro defunctis solvendi onus suscepisset et exequeretur flagella
quoque in illa familia desierant ad tempus; attamen de illa
familia Herkapid hodie nullus est. (Auch im serbischen Volks
liede wird die Strafe Gottes und der Heiligen nie ganz zurück
genommen. Die Frevler an Kirchengut erlangen durch Bitten
und reiche Opfergaben Verzeihung und Erlösung von den
ärgsten Uebeln, aber sie ,werden nimmer, was sie einst ge
wesen'. Karadäie, Narodne srpske pjesme III. 22 in fin.)
Drinovei tribus in locis fortalitiorum rudera habet, in
pluribus autem magnatum sepulcra.
Blazevici (1 Stunde östlich von Drinovei) arcis rudera
atque multa ac magnifica nobilium sepulcra numerat. (An den
Bergschlund Vrbina in Blazevidi, sowie an die See’n Prolozac,
Krenica und mala Krenica knüpft das anwolmende Volk in
seinen Liedern dieselbe, im Sehern. 1867, p. 180 ausführlich
erzählte Sage vom ,reichen Gavan', welche ein serbisches
Volkslied von der Entstehung des Balatina- [Platten-] See’s
überliefert.)
Schern. 1867 p. 181 (Append.). ,Drinovei supra domum
Vrcan sunt reliquiae magni fortalitii in quo antiquitates non
sunt infrequentes repertu, suntque inibi sex subterranea magna
solidissima abside donata. Hic prope est etiam sepulcrum cuius-
dam sacerdotis presbyteri. Prope Plavilo extant rudera eccle-
siae titularis ignoti'.
35*
552
Hoernes.
d. Pfarrsprengel Gorica
(fruchtbare Ebene an demselben See, nördlich von Drinovci).
(Sehern. 1867. Gorica mitissimo gaudens climate estadapricas
extremitates magnae planitiei, quae a Prolozac usque Baran
per sex horas longitudinis ad semialteram autem latitudinis horam
protenditur. Habet porro iste magnus campus tum a naturali
pinguedine terrae tumque ab aquis de hieme inundantibus fera-
citatem grandem . . . duos lacus Prolozko jezero ac Kre-
nica, flumen unicum Vrljika (Trebizat) fontes autem plures
hinc inde consitos, quae omnia simul sumpta planum Gorica
amoenissimum reddunt).
Gorica (silvula) arcis ruderababet et in antiquo coeme-
terio penes ecclesiam plusquam bis centum magnatum sepulcra
babebat, quorum magni lapides ferme omnes novae ibidem
aedificatae ecclesiae muro inserti sunt. Ad partem borealem
adjacentem coemeterio fuerat quondam magnum oppidum in
cuius ruderibus unum balneum ex diversi coloris lapillis affabi'e
resectis (mosaico) circumstratum inveni 1856. Etiam in medio
magni coemeterii Gorica antiquae S. Stephani ecclesiae rudera
diu illacriinata est, vivacissimam conservans erga sacrum locum
devotionem. Ex dissitis quoque locis ad exsolvenda pietatis
vota disjectos sacros lapides osculaturi convolabant, ruderaque
circum circa genibus nudis obibant. (Vgl. weiterhin: interim
antiqua ecclesia, semel atque iterum per Franciscanos reaedi-
ficata, parvula erat, puta XV. bracchiorum longitudinis cum
circulari capella altaris majoris fornice armata.)
Soviel (2 Stunden östlich von Gorica) in Krstina habe
bat parvam arcem, nobilium vero sepulcra pluribus in locis
numerat. Sub Vlasiöi ad puteum ex meridie laterum fabrica
quondam fuit et in Bobanova-draga plurium magnorum aedi-
ficiorum rudera extant.
VI. Gebirgsgegend zwischen den See’n Krenica und
Mostarsko-blato.
(Pfarrsprengel Ledinac, Koßerin, Rasno.)
Sehern, p. 72 sub Sirokibrig (die obigen Pfarren sind
erst seit 1872, 1873 und 1874 von Sirokibrig abgezweigt). Ex
tant gentilicia sepulcra:
Alterthümer der Hercegovina.
553
in Mamici (l‘/ 2 Stunden westlich von Sirokibrig, 1 Stunde
von Koöerin, nach letzterem Orte eingepfarrt);
in Kocerin (2 1 / 2 Stunden westlich von Sirokibrig. Im
Pfarrhause daselbst ist jetzt eine meterhohe Grabstele mit
fünfundzwanzigzeiliger Inschrift eingemauert, welche auf dem
zu Cerigaj — Pfarre Sirokibrig — gehörigen Felde Privalj,
zu Häupten einer viergetheilten Platte mit diagonal gestellten
Halbmonden und Sternen, gefunden wurde. Koöerin wird schon
1452 in ragusanischen Gesandtschaftsacten erwähnt, Jirecek 1.
c. S. 83 und Anm. 287) und erscheint in der gedachten In
schrift als Kocerina zur Zeit König Ostoja’s [f 1435]);
in Vranic (Podvranic 2V 2 Stunden westlich von Siro
kibrig, wahrscheinlich im Sprengel von Koöerin, erscheint
jedoch nicht im Ortsverzeichniss dieser Pfarre).
Basno (2 Stunden südlich von Sirokibrig. Die kleine
Anzahl verwitterter Grabsteine, an denen keine Sculptur zu
bemerken war, liegt unweit des Pfarrhauses von Rasno zu
beiden Seiten des nach Sirokibrig führenden Weges).
Ledinac (2‘/ 2 Stunden südlich von Sirokibrig, zwischen
ßuziöi und Rasno), sed in hoc coemeterio sunt quinque sepulcra
habentia stemmata regio sanguine prognatorum aut sane summe
nobilium dominorum. (Auf welche Besonderheit im Einzelnen
der Verfasser diese Behauptung gründet, ist schwer zu sagen.
Kaum dürften ihm dabei die Lilienrahmen dreier Gruftplatten,
welche allerdings auf das Wappen des königlichen Hauses
Anjou und [die Zeit Ludwigs des Grossen, der durch seine
Gattin Elisabeth, Tochter Stephans IV., Ban’s von Bosnien,
Herr der Hercegovina geworden, hinweisen, insofern massgebend
sein, dass sich vielleicht eine Tradition von der Bedeutung
der heraldischen Lilie im Lande erhalten habe. Denn einer
seits sind andere, naheliegende und dem Verfasser bekannte
Gräber mit Lilienrahmen, wie die von Seline in Ruzici und
Steöki in Ljutidolac nicht, dafür aber andererseits solche, auf
denen jene Zier nicht vorkommt als Denkmäler königlicher
Sprösslinge bezeichnet. Doch lassen sich, wie die Abbildungen
zeigen, leicht fünf sculpturenreiche Steine als die von P. Ba-
kula gemeinten hervorheben. Der reichste [Figur 20] ist an
der Oberfläche und drei Seiten sculpirt. Die erstere ist durch
einen Querbalken zweigetheilt und zeigt einerseits drei Quer-
554
Hoernes.
streifen andererseits Schild und Schwert, Halbmond und Stern.
Die Langseiten zeigen Reigentänze von je sechs Frauen, die
Figur 20.
sculpirte Schmalseite eine Hirschjagd. Der berittene Jäger folgt
mit eingelegter Lanze einem gewaltigen Hirschen, den sein
Altertkümer der Hercegovina.
555
Hund gleichfalls von rückwärts angreift. Eine sehr ähnliche
Darstellung findet sich unter den Gräbern derselben Stätte an
Figur 22.
JMMMOTZ
der Seitenwand eines sarkophagförmigen Steines, der vertical
mitten entzwei geschlagen ist [Figur 21]. Ein zweiter platten-
556
Hoernes.
förmiger Stein [Figur 22] zeigt an den Langseiten Frauen
reigen von je neun Figuren, oben in einem von einfachen
Lilien gebildeten Rahmen eine Jagdscene. Der berittene
Jäger schwingt mit beiden Händen hoch die lange Lanze,
vor ihm hat sein Hund das Wild, wie es scheint ein Raub
thier, gestellt. Unter letzterem sieht man einen grossen Kranz.
Zwei andere Platten haben gleiche Rahmen von Zickzack
streifen mit auf- und abstehenden Lilien. Darin die eine
Schild, Schwert, Halbmond und zwei Rosetten, die andere
längsgetheilte [Figur 23] links Schild und Schwert, rechts eine
nackte männliche Figur mit erhobenen Armen, darüber Halb
mond und Stern. Merkwürdig sind auf einer nicht umrahmten
Platte [Figur 24J vier Figuren in einer um die Ecke fort
laufenden Reihe. Ein Mann in langem Gewände hält links ein
Kreuz, über dem ein Halbmond steht, und berührt mit der
andern Hand ein Thier, daneben stehen zwei ähnliche Fi
guren ohne Füsse [Frauen] die sich die Hände reichen. Ein
sargförmiger Stein zeigt vorn Halbmond und Stern an einem
schiefgestreiften Stiele befestigt, wahrscheinlich ein Feldzeichen,
wie anderwärts [S. 550] Fähnlein Vorkommen, rückwärts ein
ähnliches Zeichen mit Ranken und Lilienkrone. Eine vierge-
theilte Platte hat in zwei Feldern Kreuze, in den beiden
andern Halbmonde. 1 Von Singularitäten kommt eine dem
griechischen Gorgoneion nicht unähnliche Fratze [hier wahr
scheinlich rein ornamental, wie im russischen Ornament des
11. und 16. Jahrhunderts; s. hist, de l’orn. Russe, Paris 1870,
II. Tf. 6 u. 73] und ein eigenthümliches Ornament, das an
St. Petri Schlüsselpaar erinnert, vor. Zu Häupten einer Platte
ist ein grosses plumpes Kreuz erhalten. Ein grosser Kranz in
der Mitte, drei kleinere, die mit den eingezeichneten Kreuzen
wie Räder aussehen, in den Enden, verzieren dasselbe. Eine
Grabinschrift von Ledinac [,Wir Jakob und Marko Petrovifi
Söhne des Hauses Voiminib haben diesen Stein unserer Mutter
setzen lassen 1 etc.] theilt S te -Marie 1. c. p. 56 mit.)
1 Wie verbreitet diese unseren landläufigen Begriffen widerstrebende Ver
bindung bei den Slaven des Mittelalters gewesen, sehen wir auf dein
Wappenschild eines Taufbeckens aus dem 15. Jahrhundert. Mon. de
l’anc. Pologne Tf. K.
Altertbümer der Hercegovina.
557
558
H o e r n e s.
••!
II
M
VII. Das Gebiet des fllostarsko-blato
(im weiteren Umfang mit den umgebenden Gebirgen).
(Mostarsko-blato est una de famosioribus in missione
planitiebus, longa h. duas, lata unam, foeno procreando ac
segetibus plurimum ferax. Hinc aliqui in geographicis descrip-
tionibus ac tabulis Mostarsko-blato nomine lacum depin-
gentes aberrant, fors quod aliquis eorum viator hiemali
tempore transiens, ut solet fieri, planitiem ab aquis inundatam
lacum putaverit. His porro ab aquis planities aut ex integro
aut sane maxima ex parte liberari solita fruges ac foenum
annuatim egregie praestat. Zur Zeit als ich die Gegend be
reiste — bis halben Juni 1879 — war das Becken der Ebene
ganz mit Wasser gefüllt, es scheint aber ein Ausnahmsjahr
gewesen zu sein. Das Gebiet des Mostarsko-blato bildete im
Mittelalter die Blatna-zupa, auch ein Ort Blato wird erwähnt.
Die Gegend war durchschnitten von einer zur Meeresküste
parallellaufenden Strasse, die von Livno in’s Narentathal und
nach Nevesinje führte, Jirecek 1. c. S. 83 f.)
a. Pfarrsprengel Sirokibrig
(westlich \om Blato).
ln hac parochia (— quae quondam cognominabatur de
Blato p. 70 —) sunt rudera duarum ecclesiarum, quarum
memoria extat, in cacumine collis supra Buhovo (2 Stunden
südlich von Öirokibrig) Ozrnje ,S. Georgii et in Mokro
(1 Stunde südlich von Sirokibrig) Podgradinom ignoti
titularis.
Plus minusve insignia sepulcra gentilicia in XVII locis
numerantur (davon sind die der drei Pfarren des vorigen Ab
schnittes in Abrechnung zu bringen): scilicet Trn in niatrice,
Oklaje in Mokro duo coemeteria, et unum de illis Podje-
linak habet aliquot sepulcra magna ac magnifica. In uno illo-
rum ad formam templi facto haec tantum edax tempus poste-
riora verba cyrillice scripta legenda reliquit
jPlemenitomu Gospodinuh
In summitate plani Blato ad radices collis et pagi Uza-
rici (1 Stunde östlich von Sirokibrig) in quatuor distinctis
Alterthümer der Hercegovina.
559
locis sunt magnifica gentilicia sepulcra, sed in loco Saram-
povo duo adsunt stupendae magnificentiae. Utrique magno
plano et horizontali lapidi alter ad formam casulae insidet et
servata proportione magnae grossitiei ad hominis altitudinem
summitas casulae alioqui pertingit. Sunt porro ex utraque
laterali casulae parte quinque largi bicipites gladii suis cum
manubriis ab alto acuminibus autem ad solum conversis, sat
accurate insculpti.
In hoc ipso coemeterio adsunt duae magnae cruces trans-
versalibus minus protensis quam apud Latinos est moris. Am-
bae sunt stupendae magnitudinis ac molis, signanter autem
una, vero sensu colossalis, superans duabus spitamis quemque
altissimum hominem. In istis ambabus crucibus ex utraque
parte longitudinis verticalis extant superius commemorati quin
que gladii bicipites nihil diversi ab illis aut minores. Igitur
consueto magno saxo sepulcrum premente ad cuius occiden-
talem summitatem dictae cruces plantatae sunt, indubios nos
reddunt paganos ad christianam religionem conversos antiquae
suae nobilitatis insignia etiam cum novae religionis monumentis
conjunxisse. Est qui opinetur, Christianos ex jam extantibus
gentilium sepulcralibus monumentis sibimet cruces efformasse,
relictis tarnen gladiis, sed res penitius examinata neque decori
publico Christianoruin neque elaborationi crucum convenire
videtur; quod si cui mea opinio minus placet, monumentorum
examen accuratius ne displiceat.
In utroque pago Crnac (gornji 2, donji 1 Stunde nörd
lich von Sirokibrig) in Dobrinj (einem angenehmen und sehr
fruchtbaren Thale, wo sich reiche Eisen- und Kupferlager, so
wie Marmorbrüche linden) extant gentilicia sepulcra, Cerigaj
(1 Stunde westlich von Sirokibrig) in Privalj ... in Buhovo
(sind gleichfalls alte Friedhöfe).
Arces dirutae: Lisse ( 1 / 2 Stunde nördlich von Sirokibrig)
m Borak, supra fontem Listica in Mokro, Cerigaj in
Magonik, Buhovo in Ozrnje.
Während meiner Anwesenheit in Sirokibrig besuchte ich
von dort aus folgende Grab erstatten:
1. Tm, y 2 Stunde westlich vom Kloster, jenseits des
Bettes der Ugrovaöa, im Ueberschwemmungsgebiet dieses
Torrente. Flacher Rasenhügel mit uralten Bäumen und vielen
560
Hoern es.
Gruftplatten und Kreuzen, keine sargförmigen Steine. Zwei
Platten sind durch Kreuzbalken in je vier Felder getheilt,
deren eines — das obere linke — mit einem Kreuze geschmückt
ist. Die drei anderen Felder sind auf der kleineren Platte
leer, auf der grösseren zeigen sie rechts neben dem Kreuz
einen schwertschwingenden gepanzerten Arm, darunter Stern
und Halbmond. Eine Schmalseite des letzteren Steines zeigt
Figur 25.
Mann und Pferd einander gegenüber, oben verstümmelt. Eine
Platte mit Stern und Halbmond im Zickzackrahmen ist schild
förmig zugehauen. Eine stark verstümmelte ist geschmückt
mit einem gepanzerten Arm, der ein grosses Schwert (Beiden-
händer) zur Erde stützt. Darüber ein Halbmond (Figur 25).
Eine wohlerhaltene ist seltsam dreigetheilt und zeigt im Felde
links Schild (viereckig mit einem halbrunden seitlichen Aus-
Altertliümer der Hercegovina.
561
biss zum Einlegen der Turnierlanze), Schwert und Halbmond,
unten das Pentagramma in einen Kreis eingezeichnet. Zwei
alte Kreuze mit oben abgerundeten Längsarmen stehen auf je
einem oblongen Aufbau behauener kleinerer Steine, welcher
die Form der monolithen Platten nachzuahmen scheint. In
den Querarmen rückwärts liegen schräghin zwei divergirende
Kreuze, deren untere Enden sich einmal im Längsarme schneiden.
Ein kleineres Kreuz mit dem Halbmonde rückwärts steht zu
Häupten einer grossen oblongen Umfriedung aus gewöhnlichen
Figur 26.
Feldsteinen (Figur 26), ein neueres Grabkreuz zeigt Stern,
Kranz und Kreise rückwärts, pyramidale Buckel an den
Balkenenden.
Unter zwei Grabplatten liess ich die Erde aufgraben und
stiess ungefähr 1 M. tief auf Steinplatten von unregelmässiger
Form, doch ziemlich gleicher Dicke, wie sie seit alter Zeit
zum Eindecken der Häuser im Lande verwendet werden. 1
1 Solche Steinplatten werden an bestimmten Orten in grosser Zahl ge
brochen und yerführt. Ploci ( 3 / 4 Stunden von Drinovci) lapideas tabulas
excellentes domibus tegendis porrigit. Schein. 1867, p. 165. Ein anderer
nicht ferner Ort, wo sie gewonnen werden, ist Osoje, V2 Stunde von Posusje.
562
Hoe r nes.
Nach ihrer Entfernung fand ich in einem ganz aus solchen
Platten zusammengesetzten Sarge die wohlerhaltenen, doch
nicht mehr zusammenhängenden Knochenreste je dreier mensch
licher Leichen, ohne jede Spur mitbegrabener Schmuck- oder
Gebrauchsgegenstände, weder Waffen, wie man nach den
Emblemen der Gruftplatten vermuthen sollte, noch Spuren
von Kleidungsstücken. Die auffallend kurzen Schädel mit
breitem Gesicht waren im besten Zustand und zeigten, auch
bei einem ersichtlich bejahrten Individuum, tadellose Gebisse,
prognathen Typus, starke Augenbogen, fast horizontal vor
springende Nasenwurzel; einer derselben hatte mitten auf der
Stirn einen runden, scharf begrenzten Knochenauswuchs von
der Grösse eines Kreuzerstückes. 1 Es ist mir räthselhaft,
auf welche Weise in dem engen Raum des erwähnten Stein
plattensarges, der nur eine frische Leiche bequem umschliessen
konnte, die Reste dreier Todten hinterlegt worden sind, und
ich muss die Möglichkeit zugeben, dass die später Gestorbenen
erst nach solchen Zeiträumen zu den Vorgängern beigesetzt
wurden, welche genügten, um die Leichen dieser Letzteren
auf ein bescheidenes räumliches Maass zu reduciren.
2. ZaimiSte, alter, noch jetzt benützter Friedhof an der
Listica, nahe dem Austritt derselben aus enger Felsschlucht,
'/ 2 Stunde nordwestlich vom Kloster. Gleichfalls unter mäch
tigen Bäumen liegt hier eine kleinere Anzahl platten-, sarg-
und kreuzförmiger Steine, die sich durch Plumpheit der
Formen und Rohheit der seltsamen Sculpturen selbst unter den
Denkmälern dieser wenig ansprechenden Classe unvortheilhaft
auszeichnen. Zwei sargförmige Steine mit Kleeblattfriesen
unter dem Dach stehen dicht zusammengerückt, doch auch
an den zusammenstossenden Seiten sculpirt, unter den neuere«
Gräbern, von welchen ein Kreuz mir dadurch auffiel, dass es
oben, statt eines Buckels wie die Seitenarme, eine runde,
schalenförmige Vertiefung, wie zum Einguss einer Opferspende
zeigt. Im Hintergründe der umfriedeten und, wie mir scheint,
künstlich aufgeworfenen Terrasse liegen gewaltige Platten,
zwei davon mit Zickzackrahmen und in der Mitte getheilt,
1 Dieser Schädel befindet sich jetzt im k. k. naturhistorischen Hofmuseum
(anthropologische Abtheilung).
Alterthümer der Hereegovina.
563
die eine regellos, (Figur 27) die andere symmetrisch in beiden
Feldern mit Rosetten, Halbmonden, Kleeblättern und Haken
kreuzen geschmückt. 1
Figur 27.
3. Olilaje, felsiges und bebuschtes Hügelland im Bezirk
von Mokro, 1 Stunde südlich von Sirokibrig. Zwei nahe bei
sammen liegende, ausgedehnte Gräber
stätten, die Steine sind meist halb in die
Erde gesunken und von Gestrüpp über
wuchert, es finden sich niedere und hohe
Platten, sowie sargförmige Steine. Ein
hoher, nahezu kubisch geformter Stein
1 Aelinliches wie auf der grossen, symmetrisch verzierten Platte findet sich
im russischen Ornament: Hist, de l’orn. Russell, 75, wo auch das Haken
kreuz eine Rolle spielt: L’orn. nat. Russe de Stassoff, Petersb. 1872,
p. XIII, Taf. XIV u. s. — Eine Platte, deren Rahmen von grossen herz
förmigen Blättern gebildet wird, sah S te -Mario 1. c. p. 52, 1 in ,Chai'-
vichche 1 (Zaimiste).
564
H o e r n e s.
(Fig-. 28 a) zeigt oben ein von den Klostergeistlichen für die
päpstlichen Schlüssel erklärtes Emblem (Figur 28 b), das sehr
Figur 28 b.
ähnlich auf einem Stein in Ledinac (s. o. S. 556) vorkommt.
An der Seitenwand sehen wir eine seltsame thierische Zwitter-
Alterthümer der Hercegovina.
565
bildung. Der Vorderleib scheint einem Pferde zu gehören,
dessen Hals bis zum Rücken hinab Schwungfedern trägt, der
Hinterleib mit dem mächtigen hochgetragenen Schwanz und
die Füsse mit gespaltenen Klauen sind eher die eines Raub-
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 36
566
Ho er ne 8.
thiers (Löwen). So scheinen liier zwei antike Fabelthiere:
Pegasus und Greif, in eine doppelte Mischbildung verschmolzen
zu sein. Auf einer grossen Platte (Figur 29) zeigt sicli im
Zickzack- und Lilienrahmen eine anscheinend nackte männ
liche Figur, welche beide Hände zum Kopf erhebt. Ueber
letzterem Kranz und Halbmond. Die Seitenwand eines sarg
förmigen Steines (Figur 30) schmückt im Zickzackrahmen ein
Reigen von vier Figuren, zwei männlichen und zwei weib
lichen ; die letzteren unterscheiden sich von den ersteren nur
dadurch, dass ihre Füsse nicht sichtbar sind, so dass sie in der
Luft zu schweben scheinen.
Figur 30.
4. Uzarici. Die Gräberstätten liegen entlang dem Ufer
des Sees, der Ort südlich davon am Bergabhange. Auf der
Strandfläche zwischen den Gräbern und dem Seeufer steht die
ziemlich wohl erhaltene Südwestecke einer anscheinend aus
gedehnten Schlossruine, bestehend aus einem vorspringenden
Rundthurm mit dicken Mauern und Schiessscharten — jetzt
von Hirten und Landleuten zur Unterbringung von Geräth
benützt — und aus halbverfallenen Bruchsteinmauern, die nahe
der Erde von Fenstern durchbrochen sind und langhin, nörd
lich zum See, östlich parallel dem Südufer desselben, ver
laufen. Dieser Anlage nach scheint der Bau eher ein Palast
als eine Veste gewesen zu sein. Nur etwa hundert Schritte
südlich davon entfernt liegen an drei Stellen ausgezeichnete
alte Gräber. Die theils bebaute, theils wüste Haide führt den
Namen Sarampovo (Schanzenfeld); es gibt kein Dorf dieses
Alfcerthümer der Hercegovina.
567
Namens, am wenigsten Hegt ein solches, wie Blau und die
k. k. Generalkarte wollen, am Nordufer des Sees.
Gerade südlich von der Schlossruine liegen die grössten
Grabsteine auf einer terrassenförmig erhobenen und umhegten
Fläche, die noch jetzt als Friedhof benützt wird. Hier stehen
vor Allem auffallend die im Sehern, (s. o. S. 559) beschriebenen
zwei aufrechten Steine auf breiten Platten 1 neben einander,
doch sind sie nicht wie Häuschen (casulae), sondern wie breite
unten verjüngte Stelen geformt; um den oberen Rand läuft
ein Fries mit Kleeblattranken, unter welchem auf beiden Breit
seiten fünfmal jene eigenthümliche Verzierung wiederkehrt,
Figur 31.
die wir in Citluk am Ploöaquell (s. o. Figur 1) und in Kutac
(S. 537) als Kreuzdecoration gefunden haben. Aehnlich wie
in Kutac sehen wir sie auch hier an einem übermannshohen
plumpen Steinkreuz zu Häupten einer von Kleeblattranken
umrahmten Platte angebracht, und etwas abweichend schmückt
sie die Vorder- und Rückseite eines andern kleineren Kreuzes
auf der westlich vom neuen Friedhof liegenden Gräber-
1 Die unmittelbar darunter liegenden gemauerten Grüfte fand ich von Osten
geöffnet, und die Morgensonne, schräg in die dunkeln Kammern sehend,
beschien weisse Knochen und verfaultes Holzwerk.
36*
568
Ho ernes.
stätte. Unzweifelhaft sind dies die beiden Kreuze, an welche
der Verfasser des Schematismus seine obcitirten Reflexionen
knüpft. Dieselbe Decoration finden wir auf dem umhegten
Friedhof noch dreimal an zwei Platten eines aus vier Steinen
ganz ungewöhnlich zusammengesetzten Aufbaues (Figur 31).
Von dem stelenartig aufgerichteten Steine, der vorn und rück
wärts damit verziert ist, scheint Blau’s Abbildung dieses Orna
mentes, Reisen S. 25, genommen zu sein. Unter den neueren
Gräbern fand ich einen den alten Gruftplatten nachgeahmten
Sockel aus roh behauenen Steinen mit aufgesetztem kleinen
Kreuz bemerkenswert!!.
Sowohl westlich als auch östlich vom gegenwärtigen
Friedhof liegen minder geschützt und daher vielfach beschädigt
Figur 32.
alte Grabsteine im Gestrüpp und Geklipp der Karsthaide. Alle
drei Stellen scheinen zu einer grossen Gräberstätte, die mit
der nahen Burgruine in Verbindung zu denken ist, zusammen
zu gehören. An der westlichen Stelle lag jener plattenförmige
Stein, dessen vier sculpirte Seitenflächen Blau a. a. 0. abge
bildet hat. Ich fand ihn zerschlagen, doch zeigten sich auf
den Bruchstücken (eines davon Figur 32) noch Reste aller
Sculpturen, mit Ausnahme der östlichen Schmalseite, wo neben
einer einzelnen Lilie ein Kreis mit räthselhaften Figuren dar
gestellt war. Das vorhin erwähnte Kreuz, eine schildförmige
Platte mit Zickzackrahmen und zerstörten Sculpturen, und
eine andere mit Kleeblattrahmen, Schild, Schwert und Stern
Alterthümer der Hercegovina.
569
zeigen keine Besonderheiten. Reich an Formen und Figuren
ist die östliche Gräberstätte. Hier findet sich an der Vorder-
Figur 33 a.
Seite eines sargförmigen Steines ein aufrechtes und auf der
Oberfläche einer Platte ein in den Diagonalen liegendes Kreuz,
^wei Platten sind durch Querbalken getheilt, eine zeigt blos
570
Hoern es.
Rankenschmuck in den Rändern, die andere Schild und Schwert
im oberen Feld. Ein sargförmiger Stein hat einerseits eine Hirsch
jagd, den beiden Darstellungen von Ledinac (Figur 20 und 21)
sehr ähnlich, andererseits einen Frauenreigen unter Kleeblattfries.
Eine gewaltige Platte (Figur 33 a) zeigt oben in reichem Zick
zackrahmen einen, wie es scheint, gepanzerten Ritter, der in der
Rechten ein mannslanges Schwert, in der linken einen Schild
trägt. Auf einer Langseite desselben Steines sehen wir den Rest
einer halbzerstörten Friessculptur, eine Frau, welche in der
Linken einen Kranz hoch hält, führt mit der rechten ein ge-
Figur 34.
satteltes Pferd. 1 Die rechts anstossende Schmalseite (Figur 33 b)
zeigt einen Reigentanz von drei Männern und zwei Frauen, der
sich nach rechts bewegt. Der vorausschreitende Mann hält in
der freien Hand einen Schild empor, der zuletzt folgende stützt
den rechten Arm in die Seite. Eine tanzende männliche Gestalt
mit in der Rechten erhobenem Kranz und in die Seite ge
stemmter Linken sehen wir auf einer schildförmigen Platte
1 Auch im serbischen Volkslied werden die Rosse der Helden von Frauen
geführt, gepflegt und geliebkost. S. z. B. Karadzic I, 407, 295.
Alterthümer der Hereegovina.
571
(Figur 34). Auf einer sehr grossen Platte erscheint in plumper
und grosser Sculptur ein auf stehendem Pferde sitzender Reiter
mit nach vorn gewendetem Antlitz. Die Füsse des Reiters
hängen unnatürlich lange herab, als wenn das Vorbild des
Steinmetzen eine aus Kartenpapier geschnittene Figur gewesen
wäre, der Schwanz des Pferdes ist länger als dessen Flinterbeine.
Eine Viertelstunde von Sarampovo, auf dem Wege nach
Ljutidolac und Mostar, sind abermals Gräber mit einigen
Sculpturen. Eine Platte ist in der Mitte längs getheilt (links
Schild und Schwert, rechts ein Stern) und zeigt an der vorderen
Schmalseite einen Frauenreigen. Eine andere ist mit Schild
und Schwert geziert und hat eine niedrige Basisstufe aus dem
selben Steinblock. Zweihundert Schritte weiter auf unserem
Wege finden wir links einen Hügel mit sehr grossen, aber un-
verzierten Gruftplatten, und nach ferneren hundert Schritten
in einem Weingarten rechts, Glavica genannt, einen dritten
Begräbnissplatz mit kleineren Steinen und unkenntlichen Sculp
turen. Dies sind die citirten vier Gräberstätten der Ortschaft
Uzarici.
b. Pfarrsprengel Ljutidolac
(südlich vom Blato).
(Blato . . . . a meridie infra silvas continuas Trtre et
planitiem continuatis incolis populatur. Est igitur plaga ad
meridiem fecunda quam plurimum uvis bonis et multiformis
generis fructuum. Singulärem liaec planities epocham sumpsit
ab adventu in eam Vesirii Pasa Kukavica 1760.)
Ad plagam meridionalem quasi in meditullio longitudinali
est locus dictus Kraljevine (Regalia) et senes habitatores
traditione acceperunt ibidem regem ignotum cum turcis acerri-
mum commisisse bellum, ipsum regem ibi peremptum et se-
pultum nomen reliquisse loco. Addit traditio etiam tune
quemdam Pasa cecidisse et putant se indicare tumulum ei ibi
conditum. Verum quidquid sit in re, sepulcra tarnen ibidem
christiana et turcica permulta sunt, quaedam quoque magnifica.
Alia autern traditio est utut historiae fragmentis consentiens:
Kraljevine ideo vocari, quod regis filius inter alia loca sibi
in pheudum data etiam illum possideret; quisque amplectatur
quam praeadamaverit sententiam.
572
Hoernes.
Interim non ommittam etiam hodie in illis coemeteriis
subinde reperiri arma remotioris temporis cum cadaveribus
sepulta. Nuper dierum extractae sunt tres sepulcrales cruces
coem. Kraljevine; illae sunt minoris molis ast de duro la-
pide et ferunt annum Cbristi 200. 203. 211.
In Ljutidolac extant praemagnificae arcis abundan-
tissima rudera, in quibus saepius diversi generis arma reperta
sunt. Hic loci nempe inter coemeterium et viam regiam
anno elapso (1866) P. Michael Nikolic excepit sclopeti igni-
tabulum (,öarak‘) libellas duas ponderans etiam sine quibus-
dam partibus deficientibus et a rubigine exaesis. Magnae forti-
tudinis erant sane similia qui tractabant sclopeta.
In Biograci ('/ 2 Stunde westlich von Ljutidolac) quoque
arcis rudera magnificentiam operis antiqui et praegrandis in-
dicant.
Sub Podgorje (1 Stunde östlich von Ljutidolac) extat
numerosum coemeterium dictum vulgo ,Krvia' (locus sanguinis).
Ferunt, juxta nationis consuetudinem (non multo pridem
extinctam) in loco Krvie hostes in sponsae traductionis comi-
tivam irruisse ut illam raperent et certamine inito magnum
terrae spatium cadaveribus constratum ibidem sepulturae de-
disse locum. Lapides sepulcrales sunt plures magni et magni-
fici et in quibusdam incisiones vere traditionem confirmant.
(Vgl. o. S. 549 und u. S. 580.)
De sepulcris in Ljutidolac Kraljevine jam innui et
addere lubet in quibusdam eorum femoris ossa reperta esse
quatuor magnarum spitamarum, item crania et dentes tarn
magnas ut stuporem injiciant. In Biograci quoque duo an-
tiqua coemeteria numerosam quondam et praedivitem popula-
tionem produnt. In Krivodö (2 Stunden östlich von Ljuti
dolac) extat antiquae manus opus cisterna extraordinariae
magnitudinis et soliditatis.
In Jare (1 Stunde westlich von Ljutidolac) est fons Bla-
zevo-vrilo, et praetenditur ibidem fuisse templum S. Blasii,
et in vicinia est antiquum christianum coemeterium Milanovac.
Fast alle diese Fundorte liegen auf dem AVege von
Sirokibrig nach Mostar. Eine halbe Stunde vom AVeingarten
Glavica steht rechts mitten im Saatfeld auf kleinem gras
bewachsenem Hügel eine unten verjüngte Stele, welche nach
Alterthümer der Hercegovina.
573
Form und Sculptur genau den beiden S. 567 erwähnten Steinen
des umhegten Friedhofs von Sarampovo entspricht. Das Feld
heisst Ceresovci und gehört zur Ortschaft Jare, welche auf der
Generalkarte unrichtig im Brocnopolje am Lukoc angesetzt
ist. Dann kommt Biograci, auf der Karte ebenfalls am un-
rechten Orte angesetzt. Hier sind zu beiden Seiten des Weges
wenige und unbedeutende alte Gräber, rechts auf der Höhe
des waldigen Trtre eine noch ziemlich erhaltene Burgruine.
Eine Viertelstunde weiter liegt links gegen den See hinab die
malerische Ruine einer Moschee: drei halbverfallene Wände
und ein Minaret, Alles von dichtem Epheu überwuchert. Nach
der Ortssage hätten noch im vorigen Jahrhundert bis zu einer
grossen Pest viele Türken die jetzt rein katholische Gegend
bewohnt. Bald nachher folgt rechts vom Wege ein noch in
Benützung stehender Friedhof mit kleiner Kapelle und einigen
alten Gräbern; mehrere derselben sollen von den Türken zer
stört worden sein. Dies ist Kraljevine. Das Grab des in der
Schlacht daselbst gefallenen ,Königs' wird hinter der Kapelle
gezeigt. Von den Waffenfunden, die der Schematismus er
wähnt, konnte mir der eingeborene Ortspfarrer, der seit vier
zehn Jahren seine Stelle bekleidet, nichts mittheilen und hält
die Nachricht für unverbürgte ältere Ueberlieferung.
Aus diesem Friedhof stammen drei kleine Steinkreuze
mit Jahreszahlen und Inschriften, jetzt im Pfarrhause von
Ljutidolac aufbewahrt und wahrscheinlich identisch mit den
im Schematismus erwähnten Kreuzen, welche freilich andere
Jahreszahlen tragen sollen. (Obwohl die Schriftzüge auf allen
dreien vollkommen deutlich sind, ist ihre vollkommene Lesung
bisher doch noch nicht gelungen. Lesbar sind nur die ersten
Zeilen: 1160 e ovo je grob ; 11101 ovo je ;
11601 ovo je grob Es folgen dann noch zwei, drei
und vier Zeilen. Ungenau publicirt S te -Marie 1. c. p. 55.)
Eine Stunde östlich von Ljutidolac, im Bezirk von Pod-
gorje (das, sowie Ljutidolac selbst, auf der Generalkarte zu
weit nach Süden gerückt ist), führt nahe dem Ostrande des
Sees ein Seitenpfad rechts zu einer Stelle, die schon von weitem
durch ihre gewaltigen Bäume auffällt. Unter letzteren liegt
em noch gegenwärtig benützter Friedhof mit einem Kapellchen
aus alten Grabsteinen, deren noch mehrere umher zu finden
574
Ho e rnes.
sind. Unweit dieser Stelle verbirgt sieb unter Felsklippen
und niederem Gestrüpp eine ansehnliche Menge zum Theil
bildgeschmückter Gruftplatten und sargförmiger Steine. Einer
der letzteren ist auf drei Seiten mit Basreliefs verziert. Vorn
hält eine kleine weibliche Figur links einen Schild, rechts ein
gewaltig langes Schwert; rückwärts sehen wir zwei tanzende
Frauen. Die sculpirte Langseite zeigt einen Reiter mit hori
zontal gehaltener Lanze, der umblickend ein zweites lediges
(Beute-) Pferd am Zügel führt. Vier grosse Gruftplatten —
die grösste mit um den Rand laufender Inschrift — liegen
dicht neben einander. Hier das einzige Beispiel von Rand
schrift in der Art, wie sie sonst für die mittelalterlichen Grab
denkmäler charakteristisch ist. Ein anderer Inschriftstein zeigt
Schild und Schwert in Lilienrahmen. Andere Umrahmungen
an den Seitenflächen zweier Platten zeugen von einem selt
samen, primitiven Ornamentsystem. Eine Stele auf horizontaler
Platte gleicht ganz denen von Sarampovo und Ceresovci. Eine
Platte zeigt Schild und Schwert, auf ersterem Stern und Halb
mond. Der wüste Ort, wo diese und noch eine Unzahl un
bedeutender alter Grabsteine liegen, ward mir Stecki genannt.
Es ist dies ein Gattungsname, der jede solche Gräberstätte
bezeichnen kann, denn die altslavischen Grabmonolithen führen
im Volksmunde diesen Namen. 1 Der Lage nach könnte dieser
Friedhof mit dem vom Schematismus oben Krvia genannten
identisch sein.
Auf den Mostarer Weg zurückgekehrt, sieht man nach
zehn Minuten mitten im Felde unter einem alten Nussbaum
einen sargförmigen Stein von solcher Grösse, dass er aus einiger
Entfernung einer steingebauten Hütte gleicht. In der Nähe
erscheinen die Dimensionen nicht mehr so bedeutend, doch
dürfte dieser Stein einer der grössten derartigen in der Herce-
govina sein. Eine Platte ist viergetheilt (Kreuz, Stern und
zwei Halbmonde füllen die Felder), auf dem Bruchstück einer
andern ist eine Thierfigur (Hund oder Wolf) erhalten.
1 ,Grobni kamenovi i stupovi, koje narod zove stevei (po jedan steeale) a
turski masat. 1 Arkiv za povj. jugosl. IV, p. 142.
Alterthümer der Hercegovina.
575
c. Pfarrsprengel Gradac und Goranci
(nördlich vom Blato).
(Nach der Vernichtung der Ordensanstalten in Mostar
durch die Türken 1570 umfasste die alte Pfarre Gradac auch
die Umgebungen von Mostar, und verschiedene näher an Mostar
liegende Orte werden als einstige Pfarrsitze genannt. Seit
1871 ist der nordwestliche Theil des Sprengels als eigene
Pfarre Goranci constituirt, doch werden die Alterthümer beider
Sprengel noch im Sehern. 1873 unter Einem aufgezählt.)
Zeljetus (3 Stunden nördlich von Goranci). Tempore
belli Viennensis tradunt etiam in hoc pago religiosos Francis-
canos suam habuisse domunculam, incendio dein vastatam
quemadmodum et alias saepius alibi existentes; turcae enim
retro temporis hoc facinoris indulgentiae atque gloriae sibi
ducebant.
Gjubrane (3*/ 2 Stunden östlich von Goranci) nostro in
coemeterio colossalis crux extat altitudinem hominis superans
in qua sat perito celte sculpta est virilis majestosa imago
habens in digito annulari annulum etiamnum bene distingui-
bilem, et loci vulgus refert ibidem episcopum tumulatum fuisse.
Sehern. 1867. Goranci donji in nostro coemeterio Po-
djela 1814 quidam Stanislaus Knezevic peste tune grassante
puerum dum sepelire vellet et quoddam antiquissimum sepulcrum
aperire adlaboraret inopinato ipsi contigit ut ibidem ex optimo
albo lapide sarcophagum detegeret. Rei prius invisae novitate
in admirationem adductus vulgari ex persuasione opinatus
thesaurum in illa magna cista tutatum esse. Quare operculum
affabre aptatum celer dimovens magna cum spe aperire de-
sudat. Ast ubi lieuit illum intento potiri, tune velut emortuus
prae timore in terram cadens vel aliquid temporis ex pectore
dum sibi fuit quousque animum viresque colligeret. Cadaver
enim puellulae circa XV annorum in statu plenae integritatis
tum carnium tumque vestium dominalium et albi in capite
bireti, Stanislao abs dubio timorem incussit, neque id -minim.
Tandem ubi primum Stanislaus se colligere potuit et
attentissime cadaveris pulchritudinem admirari quasdam fun-
dendo preces operculum suo restituit loco, et juxta idem sarco-
576
Hoernes.
phagum puerum a se delatum sepeliens, stupens abiit aliisque
quoad vixit recensebat; praeter quam quod non longe abessent
a loco pastores dum Stanislao factum accidisset. Hodie nemo
est, qui praecisum locum facti tangere nosset
In amoenissima parva planitie Podruzje extant ad viginti
putei antiquissimae et praesolidae non minus quam extraordi-
nariae constructionis, scilicet planum et largum habentes fun-
dum muros autem sensim arctatos usque ad angustum ostium.
Putant quidam illos puteos quondam pro borreis inservisse sed
hodiedum scaturiente in eos aqua vix possibile alteri rei illos
inserviisse quam aqua.
Goranci habet planum montanum non grande quidem
sed aspectu delectabilissimum et, quatenus rigidior aura sinit
summopere fecundum. Antiquae permultae cisternae item coe-
meteria valde numerosa tum nobilium tumque plebis indubios
nos reddunt, Goranci quondam fuisse majoris momenti nec
non multae populationis.
Knezpolje (comitis campus, 2 l / 2 Stunden südlich von Gra-
dac an der nordwestlichen Seespitze, Uzarici gegenüber) in
summitate boreali Blato locum apricum amoenum et summe
feracem occupat. In isto pago permulta palatiorum rudera locum
fuisse quondam magni momenti certo indicant. Idipsum praestant
copiosissima et magnifica antiqua sepulcra. Ecclesiae quoque
rudera (s. Joanni dicatae) et alia circa eam existentia semper
magis antiquum loci splendorem in mentem reducit. Est qui
adserat se audivisse parochos de Blato hic loci suam habuisse
residentiam; opinioni circumstantiae forent, neque ego inficiari
auderem. (tlierher gehört noch folgende Stelle p. 79: Ad
summitatem huius plani occidentalem nordicam et in loco
Zvatic tanta vis borealis ventus fieri potest ut similem in
Hercegovina non experieris. Est porro circa hoc extraordinarium
phaenomenon vulgaris traditio: in illis viciniis quondam missio-
narios Jesuatas vel Jesuitas religionis catholicae causa a Turcis
trucidatos fuisse. Constat vero ex Farlati narratione vere ali-
quos Jesuitas in istis partibus cecidisse, sed an accurate in
Zvatic, hoc liquido non patet.)
Polog (2 Stunden östlich von Gradac) ad radices monti-
culi Bile ab ortu ad occasum circa mediam horam planities
jnsignis fecunditatis protenditur. Antiquos quoque sua attraxisse
Alterthümer der Hereegovina.
577
feracitate multa et magnifica sepulcra tumque plebis coeme-
teria omne abscindunt dubium. In extremitate occidentali ad
famosum fontem Grkus 1 arcis praenobilis existunt rudera no
mine Zvonigrad. Arcem autem istam fuisse nobilis familiae
Zvonimir vel Z vonimirovid vulgaris opinio est.
Zu den Ortnamen des Sprengels macht der Verfasser des
Schematismus folgende Bemerkung: Omnem huius parochiae
pagum etymologice aliquem involvere significatum scito nostrae
linguae ac consideranti facile patebit. Ex quo casu alibi passim
haud reperibili mihi inferre tuto licet, istis in partibus non modo
linguam Slavam jam dudum introductam fuisse, sed etiam turcas
supervenientes locorum nomina minus quam alibi deturpavisse.
VIII. Hochebene Posusje
(Pfarrsprengel Posugje und Vir, östlich von Imoski).
(Schern. 1867. Posusje (dissicatum) multa et consueta
exhibet signa quod quondam magnis inundationibus pateret.
Et reipsa: nisi Zivkus IV. supra Vir ad Ricice rupes discindi
curavisset, etiamnum Posusje magna ex parte sub aquis
esset. Planities Posusje quatuor horas cum dimidio longitudine
durat, unam vero horam latitudine et ab ortu ad occasuin ferme
insensibilem declinationem habet )
De antiquis in Posusje ecclesiis tres tantum certo comme-
morantur: Gradac (3 Stunden südlich von der in Jukica mahla
installirten Pfarre) ignoti titularis, Rastovaca (1 Stunde öst
lich von der Pfarre) ,Crkvina‘ S. Antonii Abbatis, RiSina
(Torrente, westlich von der Pfarre) B. Mariae V. assumptae.
In Gradac ecclesiae campanas ferunt circa LXXX annos pri-
dem inventas schismaticis sub Imoski venditas occulte fuisse.
Ibidem supra ecclesiae locum praemagnificae arcis rudera copio-
äissima extant et lapides elegantis scissionis. Numismata arma
et alia plura antiqua hic loci saepius eruuntur.
1 Dieser Quell ist in der Generalkarte verzeichnet aber viel zu weit nach
Norden geruckt jenseits Dreznica und Rakitno. Auch der Name Grkus
— nicht Grgus, wie dort steht — erinnert wieder an die ,Grks‘ der
Volkssage.
578
Hoernes.
Tria in Gradac sunt nobilium magna ac singulariter magni-
fica coemeteria.
Batin (1 Stunde südlich von der Pfarre, locum internum
significans lingua arabica) famosum suo de nomine puteum habet
ad viginti cubitorum profunditatis excisum ferme ex integro
in mollis lapidis visceribus. Potentum sepulcra duobus in locis
numerat. (Priscos liuius parochiae parochos diutius in abditis
silvis supra Batin habitavisse id ipsum rudera tumque cisterna
dicta Fratrum testificantur.)
Prope locum antiquae ecclesiae et praecise ad torrentis
(Riöina) ripam sunt aliquot nobilium vere nobilia mausolea.
Vir (seit 1871 eigene Pfarre, 8 Stunden westlich von
Jukica malila — gurges, et dum inundaretur Posusje vere
gurges debuit esse) singularis fecunditatis pagus, pluribus in
locis nobilium sepulcra rarae magnificentiae habens ac in situ
,Glavica‘ arcis praegrandis rudera copiosissima cum quibus-
dam adbuc integris arcubus videns admiratur. Sunt hic etiarn
turcarum moscbeae rudera aliquotque eorumdem ignobilia
sepulcra.
Zagorje (postsilvalis loeus — */ 2 Stunde nördlich von
Vir) fecunditate commendabilis duo antiqua fortalitia habebat,
in quorum ruderibus antiquaria frequentius occurrunt.
Jukica malila in colle Radovan magna arx multaque
civilia aedificia locum obtinebant.
Rastovaca (quercinetum) quinque in locis splendidae
magnificentiae nobilium sepulcra recenset et in Ivovik forta-
litium in rudus effectum. In Sobac ac Staropolje nobilium
sepulcra, hocve in postremo colossalis rudera arcis, in qua
antiquae monetae annuli armaque subinde adinveniuntur.
Vucipolje (campus lupi) in Musliica klanac est forta-
litium in ruderibus, duoque antiqua nobilium coemeteria. In
studena vrila (fontes frigidi) reliquiae extant antiquae laterum
fabricae.
IX. Ebene Roskopolje
(zwischen Imoski und Zupanjac).
Der gleichnamige Pfarrsprengel ist einer der ältesten im
Lande. In dieser Pfarre wirkte eine Zeitlang der vor Kurzem
selig gesprochene P. Sim. Pilopovic a Seona. Die Ebene ist
Alterthümer der Hercegovina.
579
klein, aber anmuthig und fruchtbar wie auch quellenreich.
Sehern. 1867. Ab ortu mons Zavelim multorum ditatus fon-
tium copia praeclarisque pascuis ferax assidet. Prope montem
Zavelivi antiqua erat ecclesia S. Joannis et ab hac ad meri-
diem arx eminebat. Sub pago vero Hamhar (V-i Stunde öst
lich vom Orte Roskopolje) moscheae rudera existunt ubi per-
hibent prius S. Eliae ecclesiam fuisse. Hic prope atiam duae
fuerant arces, una de iis Mosnjaca dicta.
X. Tiefebene Busko-blato
(Pfarrsprengel Grabovica, südlich von Livno).
(Schern. 1867. Grabovica ad suos pedes habet planitiem
tarn pulchram et magnificam ut consimilem vix ullibi invenias
cuius protensio usque in Kraina pertingit. Frumentis et ma-
sime foeno abundat. Planities laudata etsi continua usque
Kraina in diversis tarnen locis diversas quoque nomenclationes
recipit (Livanjsko-polje bei Livno, Öevarovo-blato noch weiter
nördlich etc.), sub Grabovica autem Busko-blato vocatur.
Hane perhibent planitiei partem lacum fuisse perpetuum, quo-
usque regina quaedam magnum non curavisset aggerum fieri
a media nocte ad meridiem tribus continuis horis. Septem
bracchia latitudinis agger habet, Kraljicina prispa [reginae
agger] prohibetque de sub Livno aquis in Busko-blato in-
gressum.)
Prisoje (1 Stunde nördlich von Grabovica) in Malje-
vme rudera extant ecclesiae ss.-mae assumptionis, et supra
Grabovica S. Marci Ev. Kazaginac (2 Stunden südlich
v on Grabovica) ad L bracchia quaedam magnifica extenduntur
rudera dicta vulgo Han, sub quibus ruderibus sunt continui
fornices supra hasque plurima plebis sepulcra. (Ruinen statt
licher Gebäude, Karavansereien, traditionell ,Hans‘ genannt,
obwohl sie den gegenwärtig als solche bestehenden Einkehr-
häusern durchaus nicht gleichen, gibt es hie und da an alten
Handelsstrassen, so in Mokro an der Romanja-planina, in Vi-
segrad und in Gorazda. Kazaginac ist der erste Ort, den man
von der dalmatinischen Einbruchsstation Arzano erreicht. Die
Ruinen daselbst bezeugen die alte Bedeutung dieses noch jetzt
wichtigen Strassenzuges.)
580
Hoernes.
In Grabovica penes aquas Mukiznica arcis rudera,
item in Korita ('/ 3 Stunde südlich von Grabovica) et demum
in Renjici (l‘/ 3 Stunden südlich von Grabovica) extant. Hoc
in ultimo pago etiam multa existunt nobilia sepulcra et in
quibusdam incisiones manifestant, paranymphos ibidem ceci-
disse occasione traductionis sponsae. Korita atque Prisoje
nobilium numerant sepulcra, et in hoc postremo est locus ru-
derum turcicae moscheae. Catholicum coemeterium in Korita
vocatur Nakida ob nobilem virum Nakid cuius ibidem
distinguitur sepulcrum.
XI. Hochebene Duvno
(Pfarrsprengel Seonica, Zupanjac, Soica). 1
Die Controverse über die Lage der altberühmten und
früh zerstörten Hauptstadt Dalmatiens zur Römerzeit: Dalmi-
nium oder Delminium, kann uns hier nur soweit beschäftigen,
als wir der Ueberzeugung P. Bakula’s von der Identität Dal-
miniums mit Duvno, welche in Farlatis vorwiegend etymo
logischer Argumentation (Illyr. sacr. IV, p. 168—189) wurzelt,
die abweichende Ansicht Mommsen’s entgegenstellen, wornach
Delminium an der Brücke über den Tilurius (Cetina), welche
nach inschriftlicher Ueberlieferung 184 n. Chr. von den Del-
miniern, Riditanern und Novensern restaurirt wurde, zu suchen
war. 2 Dieser Annahme ist nunmehr auch Tomaschek, nach
dem er früher (Oesterr. Gymnas. Zeitschr. 1874, S. 694 ff.)
die entgegengesetzte verfochten, beigetreten. (S. dessen ,Vor-
slavische Topographie der Bosna u. s. w.‘, Wien 1880, S. 10 f.)
Unzweifelhaft ist (nach Jirecek 1. c. S. 28) die Identität von
Duvno, das im Mittelalter Dlumno, Dumno geschrieben und
oft erwähnt wird, mit der ackerbauenden, binnenländischen
£upa, ~'o AaXsv der Narentaner (bei Konstantin Porph. de
adm. imp. 33), deren Hauptort das noch heute nach dem alten
Grafentitel genannte Zupanjac war.
' Sehern. 1867, p. 131. Igitur nunc in regione Duvno versamur, quod sub
tali denominatione aecurate tres hodie comprehendit parochias: Seonica,
Zupanjac atque Suica.
2 Vgl. Zippel, Die röm. Herrsch, in Illyrien; Leipzig 1877, S. 131.
Altertbümer der Hercegovina.
581
Sehern. 1867 (nach einer Beschreibung des Glanzes und
Falls der alten Stadt). Verum tarnen antiquae tarn colossalis
civitatis esto ferro ac igni in rudus redactae rudera ipsa minus
copiosa ibidem esse, hoc mirum haud parum est. Etenim
praeter multa hinc inde fortalitia, de quibus singillatim in-
ferius, nihil ferme habes, ubi magnae civitatis locum indigites.
Cum igitur magnam fuisse urbem certo credamus, rudera
autem exigua prostent, quid superest, nisi ut concludamus,
magni Delminii domus ut plurimum de lignis fuisse etiam
quoad partes murum constituentes atque sic post ignem aut
nihil aut parum superfuisse. Hac in suppositione duobus con-
firmamur: primo, quod in capite planitiei Duvno ubi Delmi-
nium censetur fuisse, carbones terraque exusta passim appareant,
secundo, quod etiam hodie, fors antiquo insistentes usui, Duvnen-
ses eorumque vicini, etiam ubi minus necessitas urgere videtur,
ex trabibus domorum mures componere amant; alias enim si de
lapideis in Duvno propugnaculis sat abundantia etiam a strage
manserunt rudera de civitate ex lapidibus etiam mansissent.
Itaque totus antiquae civitatis Duvno splendor hodiedum
non nisi in cineribus est.
Denomination! vigenti Duvno variae tribuuntur etymo-
logicae deductiones.
1. Duvno (o mutatum in u) debuisseque fieri ,Dovno‘
h. e. locus pietati deditus.
2. Duhovno = audaces, magnanimos procreans.
3. Duvno a verbo usitato ,dünut‘ i. e. vehementer et
cum impetu flare; atque ideo Duvno significaret locum ubi
impetuose dominantur venti.
Duas primas significationes duvnensibus alienas esse mi
nime adjudico, ast istam tertiam Duvno plenissime convenire
res facti est. In Duvno enim silvis destituto tum in plano
tumque in circumvicinis montibus ac collibus t.antus ventus
fieri consuevit, ut in tota Hercegovina in proverbium transierit,
ubi vehementiorem ventum flare contingat: ,Kako je dunulu,
k6 na Duvnu!' (Quam impetuose flat, ut in Duvno!) Hinc
fit in Duvno ut ventus non modo nives impellens iter saepis-
sime reddat periculosum et subinde impossibile, sed etiam
ipsam terram radens arenamque conglomerans et in altas
assurgere columnas cogens magna damna maximamque mole-
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVXI. Bd. II. Hft. 37
582
Hoernes.
stiam causet. Quapropter aliud nationis proverbium ,Duvno,
zlatno guvno' (Duvno, aurea area) minus sane hodiedum
habet locum, sique Duvnenses vellent antiqui proverbii veritate
potiri sane illos oporteret strenue inseminationibus ac implan-
tantionibus arborum operam navare; alias ,Duvno golo guvno'
(Duvno, area nuda) propter ventum, auctum frigus imminutasque
serotinas pluvias. Magis itaque conduceret ejus futurum erigere
statum quam ejusdem exactas in pulveribus quaeritare glorias.
Planitiem Duvno sat rigido climati subjectam intra ortum
ac mediam noctem item intra occasum atque mediam noctem suam
obtinere longitudinem quatuor horarum res facti est, latitudinem
autem maximam huius plani semialtera hora constituit.
Pars occidentalis ad orientalem leviter inclinata ipsa est
fundus actualis oppidi Zupanjac censeturque etiam antiquitus
caput fuisse totius regionis, estque ista pars et amoenior et
fecundior quam illa orientalis. Planities descripta undique
circumsternitur colliculorum corona majoribus vero ab aquilone
inter quos maximus est Lib.
Totam istam planitiem aliquando irrigabilem fuisse habi-
tantium mens est, quam maxime confirmari putant nonnullis
ferreis circulis in collium scopulis confixis, ad quos naves ad-
ligari expediebat. Tale opinamentum traditionale etiam con
firmari videtur quod reapse sine irrigatione plani ab antiquis
Duvno feracitas singularis minime decantari potuisset. In-
firmatur autem opinio ex eo, quod Duvno actu nullum babeat
tale flumen cuius aquae irrigationibus sufficerent. Facti huius
objectionem Duvnenses alia declinant traditione: insigniores
scilicet fontes ab hostibus praeclusos fuisse signanter coriis
boum, quae an plus fabulosi quam veri scirent ipsi viderint.
Alii autem et fors verius ferunt post quemdam horrendum terrae
motum flumen in capite Duvno ad semel penitus desiisse . . •
a. Pfarrsprengel Seonica
(südöstlicher Theil der Hochebene).
Seonica fontem Alibegovac insignem habet turcicaruin-
que duarum rudera moscbearum (jetzt wohnt kein Türke mehr
im Ort, die 21 muhamedanischen Familien des Sprengels
wohnen in drei Dörfern, deren jedes von Seonica 2 Stunden
entfernt ist).
Alterthümer der Hercegovina.
583
Crvenice ('/ 2 Stunde östlich von Seonica) Humen parvum
Miljacka habens item ignotae ecclesiae rudera etiam ab una
de majoribus protegebatur arcibus Skenderia. Intra colles
Jaram atque Ostrc est via antiqua in duro incisa silice ad
quingentos passus ubi excellentem perennem fontem invenire est.
Ad fortalitii situm magna extat antiqua cisterna, in qua
aliquot retro annis pastor quidam ceu soleam mediocrem ad-
invenit monetam in Imoschi venditam. Circa fortalitium in-
numera sparsa sunt sepulcra plebis boc est militum ibidem
occisorum a Romanis uti et traditio audit. Nobilia quoque
multave sepulcra in Crvenice existunt.
Bucici ( 3 / 4 Stunden südlich von Seonica) rudera ecclesiae
S. Eliae habet, ad quam tantum videtur pertinuisse terreni,
quantum hodie quatuor numerosis colonorum familiis sufficere
potest, totum enim boc terrenum ,Crkvine' vocatur; et se
pulcra nobilium neque hic desunt.
Bukovica ('/ 2 Stunde südlich von Seonica) locus nunc
parvi fontis Bagarica, antiquitus autem quod hinc proflueret
fluvius Duvno irrigans, quodque praeclusus in Cetina suas
deposuerit aquas, localibus habitatoribus referre lubet.
Ancici, pagus ab antiquissima familia Ancid, a quibus
etiamnum pagus inhabitatur terris sibi per Turcas direptis,
ecclesiam habebant ,Ognjene Marie', sc. S. Mariae Magda-
lenae, quae carnali tumque spirituali nimio exarsit igne. Fuisse
autem ecclesiam S. Magdalenae, hinc colligo. Nos in officii
Directorio babemus haec duo consecutiva festa (quondam de
praecepto utrumque) S. Eliae et Mariae Magdalenae.
Hoc posito, en quomodo a nostratibus etiam ipse inter-
rogatus fuit: ,Sveti Ilia i Ognjena Maria, od ovih sve-
tacah, Otöe! koji je zesöi?' (Sanctus Elias et ignea Maria
de istis, pater! sanctis, quis magis ignitus? Richtiger wird
die ,feurige Maria' der Südslaven sonst für die Gottesmutter
und der Beiname aus heidnischen Reminiscenzen, wonach sie
die Göttin des Blitzes ist, erklärt. Der von allen Stämmen
der serbischen Nation hochverehrte St. Elias ist im Volks
glauben der ,Donnerer' [gromovnik]; daher obige Parallele.)
Mrkodö (l*/ 4 Stunde südlich von Seonica) duas in suo
districtu habebat ecclesias S. Praxedis unam (dictam vulgo
jSveta Oprlja') alteram Apostoli Petri. Huic multum ad-
37*
584
Hoernes.
dixerant terreni, totum illud scilieet, quod in Brisnik ac
Cebora (beides 2 Stunden südlich von Seonica) hodie tres
turcaeBeg possident, scilieet Capetan de Ljubuski, Teske-
redjid atque Adjialibeg a Travnik, a quibus etiam illa
terrena ,Crkvine‘ inscribuntur h. e. ecclesiastica. Iste locus
possidebat sat amplam arcem.
In Ancici cuius immediate mentionem fecimus, est quo-
dam stupendum antrum a natura ad quamdam templi simili-
tudineni fortnatum, in quo diebus festis multa populi catholici
centenaria sacro adesse solent.
In remotioribus angulis huius specus adsunt gurgites aut
parvi lacus perennein optimae qualitatis porrigentes aquam.
Est prope quaedam magna crypta cui insidentem lapidem qui-
dam dejicientes ac sepiderum aperientes in eo reperierunt duos
falcatos gladios, duos ex auro annulos duoque honoris insignia
ad formam stellae conflata. Sunt denique etiam duarum arcium
rudera in Ancici.
Cehora in duobus locis arcis rudera, in tribus autem
praemagnifica nobilium sepulcra habet.
Omerovici (2 Stunden südlich von Seonica) multis an-
tiquorum aedificiorum ruderibus, plurimisque nobilium sepulcris
consitus cernitur. Supra hunc pagum pendebat ex rupe magnus
ferri circulus, quem quidam Jurcevic extractum in vomerem
convertit. (Die gespenstigen Erscheinungen einer dort befind
lichen Grotte, worin allnächtlich zahllose Fusstapfen von
Menschen und Thieren entstehen, werden von den Christen
den Vilen, von den Türken aber guten Geistern zugeschrieben.)
Kovaci (2 Stunden südlich von Seonica, über einem ge
waltigen Bergschlunde — ,Ponor' — gelegen, der die aus der
Ebene zusammenfliessenden Gewässer aufnimmt und unter
irdisch zum Busko-blato abführt) unius maximae arcis rudera
conspicit, sepulcra item cum plurimis stemmatibus ac imagini-
bus copiosa numerat. Privala (collis et via communis in
Busko-blato) duas quondam habebat solidas arces, sepulcra
quoque insignia ibidem multa sunt, in quorum uno praetendunt,
Jankovid Stanislai viscera condita esse postquam in Duvno
a Turcis occisus occubuisset. Verum sanior opinio aliorum
censenda est, qui a 2upanjac Kolo versus ( 1 /j Stunde süd
westlich von ersterem) in uno sepulcrorum Jankovic vocato
Alterthümer der Hercegovlna.
585
Jankovic quoque tumulatum fuissa tenent. (Jankovid war ein
seiner Kühnheit und seiner Erfolge wegen weit berühmter und
gefürchteter Partisan der Yenetianer in deren Türkenkrieg von
1683 bis 1699. Besonders in den Jahren 1685—1687 nennt
die Zeitgeschichte seinen Namen fast auf jedem Blatt. Mit
4000—5000 Morlaken, ungefähr dem Dritttheile aller streit
baren Mannschaft dieses Stammes, der sich freiwillig an dem
Kampf der Republik gegen den Erbfeind betheiligte, unter
nahm er, manchmal in Verbindung mit venetianischen leichten
Truppen und im Auftrag der General-Proveditoren, meist aber
selbstständig und aus eigenem Antrieb, zahllose Streifzüge tief
ins feindliche Gebiet, eroberte und zerstörte viele Festungen
und offene Plätze und versicherte sich reicher Beute und an
sehnlicher Gefangener. Hauptschauplatz seiner Thaten war
die Gegend um Sign und die ,blutgetränkte' Lika. Die Re
publik verlieh ihm einen Monatsgehalt von zwanzig Ducaten,
dann den Rang eines Cavaliers und Capitäns der Morlaken,
die ihn ihrerseits ,Voivoda‘, Herzog, nannten. Ygl. ,Die frei
willige Theilnahme der Serben und Kroaten an den vier letzten
Österreichisch-türkischen Kriegen' [von Dr. Vidakovic], Wien
1854. Sowohl er, Stojan Jankovic, als auch sein Vater leben
noch in den Volksliedern der Serben, von welchen zwei —
,Stojan und Slatia' und ,Stojans Rückkehr aus der Gefangen
schaft' — besonders charakteristisch sind. Er erscheint darin
ebenso schlau und zäh, als stark und tapfer, wie in seinen
historisch verbürgten Thaten. An historische Ueberlieferung
erinnert im ersten Liede nur die Schilderung Slatia’s, wie
Stojan mit seinen türkischen Gefangenen durch Lika und Ud-
bina zog. Seine Gefangenschaft, von der das zweite Lied
handelt, ist zwar historisch, jedoch von vierzehn Monaten zu
dem typischen Zeitraum von neun Jahren ausgedehnt. Literar
historisch merkwürdig ist die Aehnlichkeit vieler Züge dieses
Helden mit dem homerischen Odysseus. Jankovic ist der sild-
slavische Odysseus, der als Bettler verkleidet zum Vater Slatia’s
kommt, durch geschickte und gründliche Lügen sich in den
Dienst des Türken schwindelt, ein Jahr lang dessen Schafställe
ausmistet — ein Zug, der an Herakles’ Knechtschaft bei
Augeias erinnert — und endlich im entscheidenden Moment,
wobei sogar das Erkenntnissmal mitspielt, verwandelt hervor-
586
Hoernes.
tritt in aller Pracht des weitberühmten Helden und die Ge
liebte entführt. Noch odysseischer ist das zweite Lied. Nach
neunjähriger Gefangenschaft in Stambul, wo es ihm, wie dem
Odysseus bei Kalypso, an nichts als an der Heimat und seiner
Gattin fehlt, entflohen und glücklich heimgelangt, geht er zu
erst in den Weinberg und trifft dort seine alte Mutter, die mit
ihren Thränen die Reben benetzt und laut wehklagt um ihren
Sohn und dessen Gattin, weiche am selben Tage einem Andern
vermählt werden soll. Er spricht sie unerkannt an, und man
glaubt den homerischen Helden zu hören, wenn er sagt:
,Sag’, o Mutter, hast du niemand Jüng’ren,
,Der für dich das Weingebirg bebaue.
,Dass du alt und schwächlich selbst herauskommst? 1
Sie erzählt ihm nun, was zu Hause vorgeht, er fliegt dahin,
mischt sich unter die Hochzeitsgäste, singt ein Lied, das der
Gattin seine nahe Ankunft verkündet, wird dann von der
Schwester erkannt, und den Ausgang bildet nicht, wie wir er
warten, eine Mnesterophonie, sondern Stojan ,gibt dem Bräut’gam
seine liebe Schwester* und beschenkt reichlich die Hochzeits
gäste, welche in Frieden von dannen ziehen. Seine Mutter
aber, die Abends klagend vom Feld heimkehrt, sinkt bei der
Nachricht von Stojans Leben und Anwesenheit, und als sie
ihn selbst nun nochmals wiedersieht, vor freudigem Schrecken
todt zu Boden. Auch das hat dieser kleine Cyklus mit der
Odyssee gemein, dass er heiter ausklingt und der Tod des
Helden ausserhalb des von der Sage umsponnenen Kreises bleibt.)
Zbanica, fons insanae ac periculosae aquae, a quo Sti-
panjidi ( J / 3 Stunde südwestlich von Zupanjac) versus rudera
extant cujusdam permagni aedificii, et tum hic tumve ad fontem
nobilium sepulcra plurima sunt.
Mandinoselo (2 Stunden nordwestlich von Seonica, a qua-
dam principe famosa Magdalena) plura videtur habuisse fortalitia,
et antiquae regiae Delminii viae residua adhuc cernuntur.
Lippa (wie voriges, tilia) 1 duobus famosissimis fontibus
gaudet, estque fere undique locus antiquis arcis ruderibus
1 Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen und nicht sehr entfernten
Dorf Lippa der Pfarre Öuklic im Kreise von Livno. Auch dieses besitzt
altslavische Denkmäler, worüber Schern, prov. Bosn. 1877, p. 68, und
Arkiv za povjestn. jugosl. IV, p. 155.
Alterthümer der Hercegovina.
587
cinctus, sepulcris autem magnatum veluti consitus. Ecclesiam
quoque hie fuisse certo tradunt, ast titularis nulla est re-
cordatio.
Kongora (wie voriges) ad egregium fontem Klisac
ignotae ecclesiae rudera habet, quae ,kod Jele‘ vocant, h. e.
ad abietem hodie existentem. Supra hunc pagum majus Omni
bus fortalitiis de Duvno unum fuit in Lib promontorio. Iiic
plurimum reperiuntur antiquitatis multigeniae res. Fortalitia,
quae totum hoc promontorium occupabant, igni exusta fuisse,
locus ipse testatur. Penes majorem inibi arcem est quaedam
plana area, in qua nunquam nives aut gelu subsistere possunt.
Bor Sani ( 3 / 4 Stunden nordwestlich von Seonica) offert
partem fundamentorum civitatis, lateres ac tegulas in copia
terrae exustae mixtos. Tribus retro annis supra hunc pagum
unum nobile cubile infra rudera tumque fornicem detegere
lieuit. Sepulcris magnatum non caret Borcani.
0 mol je (V 4 Stunde nordwestlich von Seonica) cui tres
antiquae insident arces, sepulcra autem nobilia plura numerare
licet. Locum quoque ecclesiae ignoti titularis habet, dictum
,Crkvine £ .
b. Pfarrsprengel Zupanjae
(westlicher Theil der Ebene Dnvno).
Zupanjae oppidum in amoena parte plani jacet intra
boream et zephyrum media hora suam extendens longitudinem
quadrantem autem horae latitudinem Parvum actuale oppi
dum antiquae Delminii civitatis locum occupare, etsi signa minus
certa occurrant (nach S te -Marie befindet sich im katholischen
Pfarrhause daselbst eine sechszeilige römische Grabinschrift,
die er 1. c. p. 50 mittheilt) ego sane infieias non ibo; ast ipsum
oppidum esse illam ,parvam urbenP a Scipione Nasica factam
post magnae eversionem urbis, nullatenus assentiri possum.
Etenim praeter quod apud Farlati ex relatione ultimi Duvnen-
sis episcopi legam: hunc vel ideo sua potitum sede non fuisse,
quod in Duvno veniens neque domos neque gentem invenisset,
est etiam cuique perspectum, actuales oppidanas domunculas
recentioris aetatis opus esse.
Quod vero nomen Zupanjae attinet, a sede magni 2upan
a quibusdam deductum, tali opinioni non contradicam; utpote
588
Hoer ues.
non improbabili tempore Illyricae dominationis. Q.ui etiam a
nobili familia Zupanovic Zupanjac deductum vellet, mea
pace id faciat.
A Zupanjac ad septemtrionem sunt rudera magnae arcis
locusque cum fonte ubi ecclesiam S. Joannis fuisse tradunt,
traditionemque etiam Turcae confirmant, qui omni anno re-
currente festo S. Joannis Baptistae (den die Muhammedaner
als Jahja, Profeten und Verwandten Christi verehren, s. Koran
III, 38—41. XIX, 2—15. XXI, 89 f.) nondum orto sole ceu
pro medicinalibus abluitionibus ad fontem convolant. Item
intra zephyrum et boream alia etiam magna rudera jacent
S. Marci sub nomine, ubi quotannis camporum benedictio fieri
consuevit die S. Marco dicata.
Istis a ruderibus ad austrum semialterae horae tractu
agger aut moeniorum fundamenta continuatim sternuntur, et
idipsum ex altera ad austrum parte ad semi horam observare
est usque ad collis summitatem superantem Ostrozac, ubi et
antiquae viae residua cernuntur multaeque antiquitatis res re-
periuntur. Ad eurum infra oppidum est antiquum magnatum
coemeterium dictum ,Latinum', bocve specialitatis habere vide-
tur, quod non ,Graecum' uti communiter similia sepulcra sed
latinum dicatur.
Zupanjac favet: Suica in Strzaj effluens et Ostrozac,
a borea supra Zupanjac fontem babens ex ibidem ferme ob-
turato lacu a regina Tauta (?), quae sic dicitur duvnense planum
ab inundationibus liberavisse. Ad ostium Ostrozac fontis est
magnum saxum quadratuni quo dimoto aestivis temporibus major
aquae copia scaturire solet; timent autem incolae penitus revol-
vere lapidem, ne nimia aquarum copia planum occupare possit.
Est demum traditio, aquas Ostrozac per ductus toti antiquae
civitati necessitatibus serviisse.
Mokronoge (1 Stunde nördlich von Zupanjac) ad pro-
fluentem Suica insignem quoque fontem Vucac babens. Sed
quondam castella defensioni loci erant: Livno versus tria, ad
Suica autem alia tria. Hic penes Suica in rupibus ferrei
circuli confixi cernuntur, qui adlegandis navibus alioquin de-
serviebant.
Eminovoselo (im Ortsverzeichnis Eminovopolje, l /% Stun
de nördlich von Zupanjac) fontem insignem ,aquam puellae'
Alterthümer der Hercegovina.
589
possidet (Divojaöka voda, eine gleichnamige Quelle hatMostar
am Südrand des Bilopolje, dort wird sie so genannt, quod quae-
dam puella suis impendiis dictam aquam in sua scaturigine in
ductum colligens et ad viarn regiam deducens perenni fonte
viatoribus beneficium praeparaverit, Sehern, p. 104, eine dritte
Quelle desselben Namens findet sich nördlich von Stolac als Zu
fluss der Bregava), tumque magnificam turrim nondum dejectam
,Jankova kula‘ dictam, est vel ideo probabile istam turrim
Stanislai Jankovic fuisse.
Emin familia catholica vicinias pagi omnes possidebat,
quum Turca Hercegovinam subjugaret. Verum pater familias,
veritus ne sibi juxta turcicum morem diriperentur Kadi quo-
dam usus est ut a Sultano firmano obtento Emin possessiones
ineolumes manerent sibi.
Kadi, ex tonsione capillorum patrinus, spondet Emin
amico patrino dum Constantinopoli rediret optatum adlaturum
ferm an, prout etiam attulit — sed quäle? Iinmediate ab ejus
perlectione Emin suspendio enecandi bona vero ejus omnia ad
fiscum transferendi, quod et executus est, Emin rebellionis
insimulata nota. Sic perit, qui Turcae credit!
In Eminovoselo multis cum incisionibus multa existunt
nobilium sepulcra locusque ab ecclesia dictus ,Crkvine‘.
Blazuj (V, Stunde nördlich von Zupanjac) duo habebat
fortalitia et magnatum sepulcra multa habet.
Vukovine (das Ortsverzeicbniss hat nur den wahrschein
lich identischen Ort Vuöipolje l'/ 2 Stunde nördlich von Zupan
jac) catholicum coemeterium, item antiqua plurima sepulcra, in
quibus armati equites comparent, cervi, capreae, scuta, nympbae
et similia. Hic loci magna ecclesia fuit bonoribus Divi Hiero-
nymi aedificata. In Suica infra fluente extat pulcher lapideus
pons .... Vuökovine (sic! Vucko ist diminutiv von Vuk,
Wolf) denominatae sunt a praenobili familia Nemanovid, cui
natus fuerat filius Vudko; ab isto autem prognati Vuckovidi
dicti fuerunt. Anno 1506 Vuckovidi plures in Duvno erant,
cumque ultra turcicum jugum ferre non possent, in varia sub
Veneta republica loca confugerunt, tumque venetarum militarium
copiarum primis adscripti ducibus erga Turcas vere fuerunt
lupi Vuckovidi ultra quam in quindecim conflietibus illos
strenue debellando.
590
Hoernes.
Lug pagus (Lug-Kuk 1 Stunde nördlich von 2upanjac)
ecclesiae trium regum rudera habens item unius magnae arcis
atque perpulchra plurima nobilium sepulcra multiformibus in-
cisionibus imaginum ac ornamentorum decorata.
Kuk unicam quondam habebat arcem.
Sarajlije (1 Stunde nördlich von Zupanjac) plura habet
nobilium singularia sepulcra cum imaginibus quarum nec a
procul est capere sensum; arces quoque quatuor erant aliquando
hunc defendentes locum.
Letka (wie voriges) non nisi duo nobilium habet sepulcra
sed vere magnificae nobilitatis digna. Supra pagum duarum
rudera arcium extant cum reliquiis antiqui Delminii viae. P. 182
(Append.) ,Sub Letka Mrko-öelo antiquae ecclesiae etiamnum
sufficiens quantitas murorum existit, item crux una magnifica
ac circum circa multae extensionis rudera. A Letka Zupanjac
versus ultra Suicam magna sacra aedes fuit, tribusque consta-
bat alis. Huius ecclesiae lapidibus ferunt Turcam Verusi6 in
Zupanjac fortalitium aedificavisseh
Vedasic (l'/ 4 Stunde nördlich von Zupanjac) de pulchriori-
bus pagis, duarum arcium praesidio quondam gaudebat, et ali
quot magnatum sepulcra nobilissima habet. Hac in pago XVII
retro annis quidam pagensis annulum unum ex mundissimo
auro et pretiosis lapillis invenit et a quodam Dalmata miseram
exsolutionem trium lirarum austriacarum accepit. Dalmata autem
pro eodem divendito annulo neque bis mille florenis argenti
contentus fuit.
P. 182 (Append.) ,Supra Vedasib in Ljubusa est catho-
licum coemeterium, in quo et in ejus proximitatibus ad jactum
sclopeti nemo umquam recordatur grandines cecidisse. Imo inter
alios quidam Antonius Krizanac (mortuus XII retro annis)
120 annorum vitae suae postquam exegisset toto suo tempore
in praecitato loco grandinem nunquam cecidisse, sed etiam
a suis antenatis eamdem veritatem constanter confirmatam
accepisse omnibus ingerebat. Posita hac quodammodo mira-
culosa observatione dicto im coemeterio sancti alicuius corpus
quiescere incolae recte concluduntb
Oplecani (1 Stunde östlich von Zupanjac) tres magnas
habebat arces ecclesiam quoque et multitudinem nobilium ibi
dem sepulerorum.
Alterthümer der Hercegovina.
591
P. 182 (Append.) ,In coemeterio catholico Opledane est
una crux colossalis, quam dicunt esse multis cyrillicis litteris
descriptam'.
Serdjani (im Or't'sverzeichniss Sargiani l'/ 4 Stunde nörd
lich von 2upanjac) sex magnificarum arcium rudera habet plu-
rium item aedificiorum veterum. Ferunt quod ab hoc pago ad
Lib usque antiqui Dalminii moenia essent.
Rastani tarn supra quam infra magnarum arcium ruinis
veluti obruitur. Ad inferiorem pagi partem putant magnum
fuisse palatium officiorum civilium atque criminalium quodque
palatii istius continuatio usque ad Mandinoselo pertingeret.
Hic fuisse ecclesiam S. Nicolai certum est. Nuper enim anno-
rum in hujus ecclesiae ruderibus schismatici sigillum invenerunt
cum in medio Sancti Nicolai imagine atque hac cyrillicis litteris
exarata inscriptione ,Peöot Svetog Nikole' (Siegel des heiligen
Nikolaus). Schismatici hujus sigilli se legitimos haeredes aesti-
mantes in ecclesia Nicolai nomini aedificata reperto illo utun-
tur sigillo jure alioquin non aequo. In hoc quoque pago
plurium nobilium sepulcra multiformibus incisionibus insignita
reperiuntur.
Est omnium in Duvno traditio, quod irruentibus Turcis
nemo Christianorum in Duvno manserit, quodque eorumdem
restitutio post tres emigrationis annis a Franciscanis peracta
fuerit.
In colle Vran-baba (nigra vetula) sunt quaedam magna
sepulcra in quorum uno sunt plures agni atque haedi sculpti.
Istius facti extraordinarii teiditionalis explicatio sequens est.
Erat quaedam vetula pecuaria famosissima dives atque superba
quae suos numerosos greges signanter in monticulo indicato
pascebat, cumque jam in Februario sui agni haedique bene
succrevissent tempestas tarnen immineret nivis et grandinis,
audacter ei insultans vetula edixit, ,suorum agnorum haedorum-
que jam dura cornua cujuscumque tempestatis rigorem superare
posseh Verum horibilissimam tempestatem tantum frigus sub-
secutum est ut non modo totus vetulae grex periret, quin et
ipsa vetula glacie constricta interiit. Opportune itaque ejus in
sepulcrali lapide agni haedique excisi sunt atque locus pro-
clamatus est Vran-baba. (Die Quelle der obigen ,Tradition'
!8t, wie man leicht erkennt, ein legendenhaftes Volkslied, hier
592
Hoernes.
localisirt, wie die Sage vom reichen Gavan bei Blazevi6i, s. o.
S. 551.)
e. Pfarrsprengel Suica
(nördlich von Zopanjac, zwischen Livno und Kupres).
A domo Capellani (jetzt Pfarrers) ad austrum sunt rudera
insignissimae arcis Strzaj, dictae etiam ,Ungaracgrad‘.
Ex eo quod Divus Hieronymus Stridonii in confinibus
Pannoniae et Dalmatiae se natum fuisse scribat, plures opi-
nantur, Strzaj mox dictum reapse locum natalem fuisse prae-
clari ecclesiae doctoris Hieronymi. Hujusmodi opinamento
nihil habeo solidi quod objiciam, habeo potius ut adliaeream,
nomen enim antiquae civitatis Strzaj a Stridonio haud nimis
dissonare videtur, confinia autem illac per montes Pannoniam
interque Dalmatiam fuisse Historici omnes nos docent, igitur,
si non certum, probabilissimum est, accurate in Strzaj Hiero-
nymum locis coepisse usuram. 1
Strzaj in Öuica antiqua civitas de principalioribus in
Illyrio, quam ante Turcarum adventum traditio adserit, suum
habuisse principem et quadraginta millia habitantium. Penes
istam localem licet splendidam de Strzaj traditionem, ego
Divi Hieronymi in Catalogo verbis innixus vix crederem, Strzaj
unquam nobili oppido aliquid majus fuisse; etenim si quando
tarn magna fuisset civitas, qui vis Hieronymurn istud splen-
doris suae originis non modo non notavisse quin et oppidanae
addixisse humiliationi? Quid porro ista exuberans traditio pro
se adferet si vel locum ipsum magnae ineptum civitati fuisse
observaverimus ?
Major itaque tum nobis tumque Hieronymo accederet
bonor si cum eodem fassi fuerimus illum in oppido licet parvo
Strzaj magnum tarnen ecclesiae doctorem prodivisse. Ceterum
Strzaj antequam a Turcis occuparetur vel ipso Hieronymo
vivente multo pridem a Gotis demolitum fuisse ejusdem Hiero
nymi testimonio indubiam adhibere fidem sanae rationis debitum
est. Et mehercle qui vagas vulgi traditiones indubiae Hiero-
1 Tomaschek 1. c. S. 7 vermuthet Stridon (,oppidum quod a Gotis eversum
Dalmatiae quondam Pannoniaeque fuit confinium 1 ) bei Topusko a. d.
Glina (C. J. L. III, 3929—3941).
Alterthümer der Hercegovina.
593
nymi narrationi anteferet ipse se decipi Studio quaereret.
(Cf. ,Arkiv‘ etc. IV, 153.)
Ung'aracgrad etiain historico non caret fundamento:
Hungarorum scilicet dominationis his in locis et in Strzaj
singularis arcis reaedificationis. De sub huius famigeratae arcis
pedibus poetico, ut ita dicam, antro flumen Suica profluit
De antiquis in Suica ecclesiis nihil ferme accepimus
traditum; sepulcra autem magnatum habet in diversis locis,
sed unum solum in plano magnificum, dicitur esse Mariani
ex sorore filii Michaelis Tomid famosissimi Turcarum insecta-
toris, comite etiam Mariano.
Pag. 181. (Append.) ,Ubi nunc moschea est ad Strzaj
ibidem fuisse ecclesiam S. Pauli habitatores Suica affirmant,
item alteram sat magnam fuisse ecclesiam ad locum ruderum
Bara ignoti tarnen titularis incolae depredicant.
,Fons Jankovac a Stanislao Jankovid suum censetur
accepisse nomen, dum ibidem Jankovic Turcas expugnando
suo cum exercitu substitisset. Hic putant Aethiopem a Mariano
consobrino Michaelis Tomid occisum fuisse eo quod Aethiops
proditorie Michaelem in Doljani occidisset.
,Putant loci incolae, locum Suica ab Aethiopis dicti hu-
matione pluries extraordinariis tempestatibus flagellatum fuisse.
(Gegenstück zu dem sturmfreien Pleiligengrab von Vedasid
S. 590; vgl. Kongora S. 587.) A Suica Duvno versus tribus
m locis magnatum occurrunt sepulcra.‘ (Altslavische Gräber
nordöstlich von Suica erwähnt auch Ami-Boue II, 363.)
,Est quoque locus multis consitus ruderibus: Koljace
(jugulationis locus), in quo potentis familiae Gudak personae
a Turcis jugulati perhibenturd
XII. Hochebene Rakitno
(südöstlich von der Hochebene Duvno).
(Planum Rakitno vero sensu est planum leviter ad ortum
mclinatum; est longum duas horas, unam vero latum. A parte
boreali altum habet collem Stitar, ab Oriente vero ac meridie
tumque ab occasu minoribus circumdatur collibus. Aequor
campi huius tum fertilitate tumque amoenitate se commendat
Rakitno [locus sileribus consitus] fors a nimia copia
594
H o e r n e 8.
sileris [Rakita] nomen traxit. Rakitno foeno optimo cerea-
libusque tum pecudum copia pluribus in Hercegovina antecellit
locis, item in apibus.)
Inter reliquias antiquitatis Rakitno numerat duarum
ecclesiarum rudera Desnjovaöa in Sutina (*/ 2 Stunde vom
Pfarrort Poklecani) ignoti Sancti, atque in Vrpolje (1 Stunde
von demselben) S. Marci Evangelistae. Arcem quoque in
Sutina habebat, sed alteram in Vrpolje valde insignem fuisse
rudera produnt tumque tertiam Tribistov.o versus. Nobilium
etiam sepulcra cum variis eorum stemmatibus reperiuntur co-
piosa: Sutina, Korita, Desnjovaöa, Poklecani et in Vrpolje
duobus in locis.
Folgende Notizen verdanke ich mündlichen Mittheilungen
eingeborener Geistlichen. P. Raphael Radoi, geboren zu Rakitno
(derzeit in Sirokibrig), kennt daselbst eine merkwürdige Höhle,
an Umfang nicht geringer als das Kloster Sirokibrig (nach
Sehern, p. 54 164 Meter lang und 19 Meter breit), 1 doch mit
so schmalem und niedrigem Eingang, dass man nur einzeln
und gebückt in dieselbe gelangen kann. Die Wände des
Innenraumes sind roh abgeglättet, der Fussboden besteht an
geblich aus einer Art von Cement und ist wie auch die Wände
mit Inschriften bedeckt, die sich, in Reihen übereinander, bis
in den hintersten Winkel der Grotte hinziehen. Dieselben
sind angeblich gut erhalten und vollkommen lesbar, waren
jedoch meinem Gewährsmann, da ihm die Kenntniss der cy
rillischen Schrift mangelt, nicht verständlich. Wahrscheinlich
haben wir es hier wie bei der Grotte von Anßibi (oben S. 584,
wo noch jetzt Gottesdienst stattfindet) mit einer altslavischen
Grabstätte vielleicht aus der ersten Zeit türkischer Bedrückung,
als noch viele adelige Krypto-Christen im Lande lebten, zu thun.
Bekannt ist die Grabschrift der letzten Grafen Dobretic beim
gleichnamigen Orte zwischen Jaice und Skender-Vakuf, welche
besagt, dass der Genannte ,in summa persecutione Turcarum
in viros nostros hic subtus in spelunca .... (fugien)do plenus
1 Im Karstgebiete der genannten Ebene ist daran nichts Auffälliges, denn
es gibt in diesem Landestheil zahlreiche Grotten, die nach der landes
üblichen Massbezeichnung sechstausend und mehr Schafe bequem auf
nehmen können und theilweise auch als natürliche Stallungen verwendet
werden.
Alterthümer der Hercegovina.
595
dolore, oppressus dura captivitate obiit circa a. D. 14 . / Aehn-
lichen Inhaltes dürften die Höhleninschriften von Rakitno sein.
Zum Pfarrsprengel von Rakitno gehört, wenngleich ausser
halb der gleichnamigen Hochebene liegend, das Feld Blidinje,
dessen mittleren Theil ein Sumpfsee bildet. Im östlichen Theile
desselben finden sich nach Mittheilung des obgenannten Geist
lichen viele altslavische Grabsteine mit Sculpturen, unter welchen
Jagdscenen mit Reitern, die Wild verfolgen, bemerkenswerth
sind, ferner die Reste einer alten Burg. Aus einem der Gräber
von Blidinje stammt nach Angabe des P. Augustin Skoko,
Pfarrers in Ruzici eine im Besitz desselben befindliche Bronze
fibel. Auch die Hügelkette Bardonja, welche das Feld Blidinje
westlich abschliesst, ward mir als Fundstätte altslavischer Grab
denkmäler mit Sculpturen bezeichnet.
XIII. Tiefthal Dreznica
(östlich von Rakitno).
(Dreznica fors convenientius ,Dereznica‘, h. e. summa
asperitas, compellanda esset, etenim hujusmodi locum unde-
cumque horribilissimis praecipitiis saeptum vix alibi invenies.
Quum summus in ima profunditate situs Dreznica asper-
rimi montes et maxime praerupti ita altum undique petunt
ut ipsas coelum tangere putemus, hocve tetriferum spectaculum
eo magis nosmet afficit, quo minoribus horis etiam aestivis
solis radios accipere possumus Intra igitur hujusmodi
horribiles montium fauces perfluit Humen exiguum Drezanjka,
Dreznicam trajiciens a media nocte ad orientalem plagam
ubi in flumen Narentam influit. Montes Dreznicam obsi-
dentes ad mille octingentos romanos pedes ascendere periti
dijudicarunt. Inter istos montes ad profundum Dreznicae
locum non nisi tres accessus possibiles sunt, ab Oriente scilicet
et ab aquilone secus flumen Drezanjka et per montes ab
occasu, ita tarnen quovis dictarum semitarum ut multo plus
repere quam incedere debeas; imo hiemis tempore ille ob nives
ln montibus tertius descensus evadit, penitus impossibilis factu.
Igitur vel ex istis adumbratis horroribus loci fors tu non tarn
illos admirareris quam homines et maxime priinos abyssi hujus
habitatores.
596
Hoernea.
Yerum inter recordatos tetriferos montes est secus Dre-
zanjka angustissima planities, haec quoque incerta ob fluminis
haud infrequentes exundationes, ast suminae feracitatis subque
aura haud nimis rigida. Vallis Dreznica non ignobilibus
uvis, ficubus aliisque multigeniis fructibus procreandis commen-
dabilem se reddit, cerealia quoque omnis speciei item hortensia
ebic eo magis prospere crescunt, quod ut plurimum irrigari
quoque possunt, atque sic respective ad loci angustias Dreänica
multae populationi sustentationem propinat, sc. 855 personis.)
Inter idiotum bercegovinensem populum habitatores Drez-
nicae sunt idiotissimi non minus quam bardi et silvestres,
sed hujusmodi etiam (magis?) erant quadraginta scilicet retro
annis tune quam minus civitatem Mostar frequentarent IX horas
distantem; ast etiam hodie maxima pars illorum hominum rmn-
quam ex nativo loco pedem extulit; maxime provectiores Turcae.
Ast antequam Mahometis sectam amplecterentur, illi naturalibus
montium propugnaculis defensi multis annis turcicae invasioni
sesemet strenue opposuerunt; cumque tandem cedere debuissent,
et mahumedanismum profiteri, hoc tali conditioni addictum vo-
luere ut quisquam suarum possessionum dominus manens etiam
a quibuscumque contributionibus velut promeriti heroes exi-
merentur, et instante communi imperii causa bello, ut Drez-
naci suis impendiis pro imperatore dimicare tenerentur. Huic
primitivae stipulationi accessit, ut Drezniaci rarissimae speciei
et pulchritudinis in illorum antris falconem capientes Turcarum
imperatori dono illum transmitterent, 1 quod ipsis praestitit ut
etiam redonarentur perpetuo duratura contributionis exemptionis
gratia, quae etiam sarta incolumisque permansit usque ad vesiria-
tum Alipasa Rizvanbegovib in Hercegovina sc. usque ad
1 Der Fällte, welcher in den Volksliedern der Südslaven so oft zu poe-
tischen Vergleichen und sinnvoller Ausschmückung der Scenerie ver
wendet wird, ist gleichsam das nationale Wappenthier des bosnisch-her-
cegovinischen Stammes. Wer diese ßace in ihrer ßeinheit kennt, wie sie
sich z. B. in Dreznica erhalten hat, wird den Vergleich ihrer Männer
mit dem felsenbewohnenden, magern, aber scharfklauigen und scharf
äugigen Raubvogel jedesmal passend finden. Bekannt sind die häufig
vorkommenden Namen von Burgen, Oertern und Geschlechtern: Sokol,
Sokolovic, ,Falke, Falkennest 4 . In einem neueren serbischen Heldenliede
heissen speciell die hercegovinischen Muhamedaner .Falkentürken 4 , und
die Montenegriner nennen sich bekanntlich mit Stolz crnogorische Falken.
Alterthümer der Hercegovina.
597
annum 1835 vel circiter intereunte dicto favore imperiali
Drezniaci reliquis hercegovinensibus coaequati extiterunt
prout existunt quoque
De antiquis nobilioribus coemeteriis in Dreznica nihil
est. Quidam ibidem mons bodiedum quoque Petralj denomi-
natur fertque traditio quondam extitisse Petrum comitem
Dreznicae, cujus palatii rudera ejusque sepulcrum putant se
incolae etiamnum indigitare item lintrum ab eodem factum ad
fontes Cesma. Duas ecclesias in Dreznica fuisse rudera
commemorant S. Mariae scilicet prope alia rudera arcis deno-
minata Petralj, et alterius ecclesiae rudera sunt ad locum
dictum Sveci licetque inferre titularem fuisse Omnium Sanc-
torum. Item alia [magnifica rudera detecta sunt penes Raid
ignoti usus; fornices quoque binc inde existentes maxima in
parte disjecti antiquae manus opus designant.
Habitatores in Dreznica autumant, eorum primos patres
plurimum divites fuisse multosque tbesauros in coemeteria
aliaque loco occultasse, ac proinde saepenumero hinc inde
flammas erumpere aureas argenteasque. (Cf. p. 519.)
In huiusmodi opinamentis Drezniaci etiam arctius alio-
rum quoque Hercegovinae incolarum praejudicia fovent, et
maxime dum adjudicant hujusmodi deposita vel ideo adinveniri
non posse quia Diaboli tutelae commissa sunt. (Dies ist eine
der häufigsten, auch anderwärts herrschenden Vorstellungen
zur Erklärung der inneren Armuth altslavischer Grabstätten).
Verum anno 1867 Asan Kumric ibidem in Dreznica plura
centenaria aureorum adinvenit quibusdam in ruderibus. Numis-
mata de optimo auro ponderis babebant ad VI granea supra
actuales quinque-florenos austriacos auri. Una ex parte Deipara
coronam capiti imponit hominis genuflexi cum ista inscriptione
,Tlieotocon Romano*, alia ex parte circa Christi imaginem se-
dentem et Evangelia tenentem haec est inscriptio ,1. Xtus rex
regnantium*. Numismata itaque ista undecimi saeculi et ejus-
dem Romani imperatoris Byzantini etiam alibi reperta sunt.
Ast idem Asan ibidem duos annulos majoris valoris reperit
cum eadem massa pecuniae.
Nach mündlicher Mittbeilung des P. Rados findet sich
an der Drezanjka, etwa 100 M. von ihrer Mündung, in der
senkrechten Felswand des rechten Ufers klafterhoch von der
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 38
598
Ho er n es.
Erde eine altslawische Inschrift (Grösse 1 QM.) des Inhaltes,
dass hier der Hof eines Vladimir gestanden. (. . . . .Verflucht
sei, wer dies Gehöft zerstört!') Gegenüber der Einmündung des
Flüsschens, am rechten Narentaufer, liegt Citluk, dessen Alter-
thümer bereits unter den Umgebungen Mostars (S. 514) erwähnt
sind. Hiemit schliesst sich der Kreis, den wir, von Mostar aus
gehend, um den zwischen der Narenta, Dalmatien und Bosnien
liegenden Theil der Hercegovina gezogen, und es bleiben uns
nur noch die an der oberen und unteren Narenta liegenden
Bezirke des bosnischen Grenzortes Konjic und des dalmatini
schen Gabella.
XIV. Stadt und Umgebung von Konjic
(Thal der mittleren nnd oberen Narenta).
Schern. 1867. Konjic temporibus Bosnae reguui nobile
oppidum erat adeo ut regni Comitia exeipere mereretur. (Den
durch seine Beschlüsse gegen die Bogomilen historisch bedeut
samen Landtag von 446. Die Stadt gehörte im Mittelalter
zur Grafschaft Chlum, als deren Grenzort gegen Bosnien sie
in rasrusanischen Gesandtschafts-Dochmeuten erscheint: Chomc
O
1382, Cbognic 1405 unter Sandalj, der daselbst eine Zollstätte
besass, Jireöek 1. c. p. 80 und Anm. 271). Pro communi-
catione tum oppidanorum turnque pro transitu viae regiae de
Bosna in Hercegovinam elegans solidusque pons in medio
oppidi usum praestat, quem a Falimiro Dalmatiae rege X. sae-
eulo aedificatum fuisse accepimus, quamquam Turcae id nobilis
operis sibi adscriptum vellent. (Der Erbauer ist Achmed So-
kolovic. Die bei S te -Marie 1. c. S. 52 abgebildete Inschrift
— türkische Jahreszahl 1093 = 1715 n. Chr. — befindet sich
an einem wandförmigen gemauerten Steinpfeiler über der Mitte
der östlichen Brüstung, der als Rückenlehne einer Bank und
zum Aufhängen einer Laterne dient.) Igitur in Konjic uti
de antiquo nihil est praeter pontem sic etiam ibidem aliquid
magnifici frustra quaereres. Sunt autem in Konjic mosclieae
IV quas dicunt esse in totidem ecclesiarum fundis praeter es-
tantia S. Eliae ecclesiae rudera, in Musala S. Catharinae
turnque S. Joannis ecclesiae ac conventus nostri. (Cf. p-
Conventus S. Joannis Baptistae Konjicii 1534 a Turcis solo
Alterthümer der H^rcegovina.
599
aequatus fuit, de quo hodie vix aliqua rudera ex terra promi-
nentia dolens inspexi.)
Sunt porro intra confinia hujus parochiae multae antiquae
arces sepulcra quoque nobilium etiam multa nec non quaedam
ecclesiarum rndera.
Sic: Glogosnica (6 Stunden westlich von Konjic, an
der Narenta) in Ka ursk ogrebj e (Christengräber) multa habe-
raus sepulcralia monumenta et ex adverso ultra profluentem
Biela arcis in colle rudera eminent. In Zavne (Ravno?),
turcieo pago, arx l'uerat, in Lug (wie ersteres), etiam Tur-
carum villa, tum arx tumque nobilium monumenta extant . . .
Dobrigosce (2'/ 2 Stunden westlich von Konjic) areem anti-
quam cum magnificis sepuleris habet.
Ostrozac (wie voriges), a Turcis ac Schismaticis popu-
latus, grandia, habet monumenta sepulcralia tumque moscheam
quondam S. Eliae prophetae consecratam. In Ribicici (zwei
Stunden), RadeSine (3 Stunden westlich von Konjic) arces
fuerant, sepulcra autem magnifica nunc extant et unius ecclesiae
rudera. Celebici (1V 2 Stunden westlich von Konjic) trium
arcium rudera habet et novam Schismaticorum ecelesiam, cujus
supra majorem portam est statua ex pulchro lapide sanctum
indeterminatum repraesentans, qui dum latino stylo exaratus
esset, Schismatici alioquin imperiti inepto instrumento orien
talem statuae formam tribuendi praesumentes ipsam haud parum
deturparunt. Statua porro dicta tempore P. Michaelis Kobaca
in Donji-Celebici penes domum cujusdam Hacim Arnau-
tovic Schismatici e terra eruta est, quam ubi primum Kobaca
suadente sacra veneratione coli eoeperunt quoad animalium in-
ürmitates ceu prodigiosam experti sunt, hodieque experiuntur.
Dolendum tarnen ad pedes hujus statuae latinas aliquas extantes
litteras significatum non referre. (Vgl. Arkiv za povjestn.
jugoslav. knj. IV, Agram 1857, p. 158.)
Oraovica (1 Stunde westlich von Konjic) locus conflictus
(1849) inter Mostarienses Turcas et Omer-Pasa milites (im
Krieg des Letzteren gegen den Usurpator Ali-Pascha Kizvan-
hegovid) in duobus locis antiqua habet coemeteria nobilium . . .
Biela (1 Stunde südlich von Konjic) duas quondam habebat
arces . . . Fert minus probabilis traditio (Rakov, Laz) in
Biela Caesarem Diocletianum caulas animalium ferocium
38*
600
Ho er nes.
habuisse, interque multa ibidem aedificiorum extantia rudera
putant incolae quaedam insigniora ecclesiam fuisse. (,Der Blick
ins Bjelathal begegnet an mehreren Punkten Resten alter, an
scheinend weitläufiger Baulichkeiten oder Steinbrüchen, die
durch das Waldesgrün schimmern/ Blau, Reisen, S. 29 f.)
Ex lapidibus sectis qui quondam in Bi ela aedificia constitue-
bant vulgo putant pontem constructam esse. Montes undique
Biela circumcingentes animalibus silvestribus sunt abundantes
. . . . Bord (pinetum, 2 Stunden südlich von Konjic) pauca
habet antiqua sepulcra, et turrim (nunc Adzovi6) Turcae
dicunt tempore Bosnae regis extitisse. Hic existunt diversoria
pro viatoribus .... (,einige Gruppen von Bauernhäusern und
Hans . . . Nach Aussage des Handzi, welche der Bericht
erstatter der Bosanski Vestnik 1866 bestätigt, befinden sich
y 4 Stunde entfernt von diesen Hans mehrere von Menschen
hand vollendete Höhlen, die für römische Grabstätten gelten(?).
Auch sollen in der Nähe ein paar grosse 4 Fuss hohe pyra
midenförmige Grabsteine existiren, an deren Facaden Reste
von Schriftzügen, aber bis zur Unkenntlichkeit verwittert, er
kennbar seien, welche vom Volke den Grk zugeschrieben
werden/ Blau, Reisen, S. 30.) Hic loci et in sequenti Kula
(1850 ad initium) Mostarienses Turcae dum contra Omer-
Pasa dimicare vellent superati cadunt. (Diese Niederlage ent
schied bekanntlich das Schicksal Ali-Paschas. Seine mehr
fanatisirten als tüchtigen Truppen stellten sich auf der alten
Strasse von Mostar nach Sarajevo, die über den Porim und
das Plateau von Borke nach Konjic führt, der Armee Omer-
Paschas entgegen. Dieser entsendete von Konjic den Obersten
Skender Bei, einen Polen vordem Namens Jelinski, der in
einer Stunde die Befestigungen der Hercegoviner bei Borke
und Bjela in Trümmer legte und den Feind zwang, sich in
Hast auf Mostar zurückzuziehen. Von der Höhe des Porim
warf er seine Bomben unter die durch Bjelopolje fliehenden
Insurgenten, welche nicht wagten, in Mostar Stand zu halten,
sondern bei Gabella und Ljubuski die dalmatinische Grenze zu
erreichen suchten.) Cikovo a Kula in orientem exiguus pagus
pauca antiqua sepulcra habet et ultro penes Neretva Baktian-
sko-polje occurrit cum ruderibus ,ecclesiasticis‘ nominatis.
Glavaticevo (7 Stunden südöstlich von Konjic) locus famosus
Alterthümer der Hercegovina.
601
propter copiosam piscationem piscium glavatice dictorum et
etiam propter pulchrum antiquum in Neretva pontem, tum
propter moscheam. (Nach Roskiewicz, Studien, S. 43, bestünde
bei Glavatiöevo derzeit nur eine Holzbrücke, wahrscheinlich
mit steinernem Unterbau. Nach der mündlichen Mittheilung
eines katholischen Geistlichen gäbe es unter andern Alter-
thümern daselbst auch römische Inschriften.) Ladjanica pagus
ad flumen Krupac ac Ladjanica in aliquo ulteriori in ortum
progresso secus Neretva in Goriöka glavica ecclesiae rudera
tumque magnifica sepulcra numerantur. Ultro quoque ad me
diana horam alterum antiquum celebi'e occurrit coemeterium
in loco dicto ,Episcopalia‘, quo in loco quidam eminens sco-
pulus ,Episcopus‘ vocatur (Biscup). Tradunt autem mahumedani
incolae locum non invanum ,Biskup‘ vocari, quum episcopus
ibidem et commorationem et seminarium habuerit. Duzanj
unius ecclesiae rudera ac nobilium aliquot sepulcra habet.
Ribari (6 Stunden südöstlich von Konjic) etiam hodie
naemoriam retinet nobilis familiae Kominovic arcisque ibidem
existentia rudera Komin vocant.
Kasic (nahe bei vorigem), ubi quondam argenti metalla
depurgabantur, habet arcis rudera Öibenik, h. e. ab hominibus
de Sibenik (Sebenico) in Dalmatia, qui ibidem circa metalla
laborabant
Ab antro Kornjaca Spiljane versus in elevato scopulo
arcis Galat rudera supersunt. (Kornjaca est civilis meta
Hereegovinensis ac Bosnensis vesiriatus.)
In DobaSani familia Helez non multis retro annis Mu-
hamedanismum amplexata est, quae fuerat postrema sequax
deliriorum Bogomili. 1
Spiljani (2 Stunden östlich von Konjic) habet in tribus
locis arcium rudera, sepulcra autem magnatum in pluribus
locis, sed in duobus signanter magnifica.
Ovcari (1 Stunde westlich von Konjic, nach der General
karte vielmehr östlich), recens pagus a Catholicis populatus,
antiqui nihil offert nisi rudera arcis Tresnjovac. Vrbljani,
1 Diese hochinteressante Notiz ist eine gewiss schlagende Bestätigung der
Worte: Religionis rerumque sacranim Hercegovinenses sunt tenaces,
Schern, p. 24.
602
Hoernes.
Tesanj atque Konjine (alle drei östlich von Konjic) arces
possidebant, postrema haec adhuc multa moenia conservans in
elevatissimo scopuli cacumine sub monte Presljica admira-
tionem provocat. Extant quoque in hoc pago multa magni-
fica sepulcra.
Omolje (1 1 / 2 Stunden westlich von Konjic); ferunt in
hoc pago ecclesiam fuisse (cujus extant rudera) aedificatam a
quadam pia puella orphana Catharina, cujus facti descriptio
lapidaria supra portam majorem non multo pridem interiit.
Locus ubi fuerat ecclesia est ,Breber“ hodie dictus, et putant
incolae id provenisse a turcico ,bre!‘ (hei! significante), quo
saepius utebantur dum ibidem quemdam episcopum et socios
martyrio affecissent. (Vgl. ,Achalm‘ in Uhlands ,Schlacht bei
Reutlingen'.)
Repovci (2 Stunden westlich von Konjic) ab antiqua
christiana familia nobili Repovac, turcicam amplectata sectam,
nuncve domina loci est sub nomine Bezi Repovici. Aliquot
nobilium sepulcra etiam hic extant. Donjeselo (1 Stunde
westlich von Konjic) aliquot magnifica numerat sepulcra.
Pokoiste (2'/ 2 Stunden westlich von Konjic, ,requietio‘,
quod hic praenobilis familia Ostoic aestivas caperet distrac-
tiones) . . . magnatum sepulcra neque hic desunt.
Dbar (wie voriges) duas habebat arces atque ecclesiam,
cujus locus hodie quoque ,ecclesia“ dicitur (crkva). In
monte Tisovica (südlich von Konjic), aestivis temporibus ob
pascua nunc habitari consueto, nostris temporibus ecclesiastica
campana inventa est librarum quadraginta circiter, dicuntque
ibidem ecclesiam fuisse, a qua neque multum distant quaedam
nobilia sepulcra.
E regione adversa Kosor atque Konjic secus Humen
Tesanica (nördlich von Konjic) est locus hodie compellatus
Zlatar (aurifex); fert traditio ibidem copiosas latitare atiri
fodinas. Zaslivlje atque Turin (beide 1 Stunde südlich von
Konjic) non habentes nisi pauca antiqua sepulcra arcem autem
nullam sed neque alicuius ecclesiae memoriam; nihil dubitarem
istos pagos serius impopulatos. Locus vinearum dictorum
pagorum vulgo ,Vitan‘ audit fors a voce latina ,vitis‘.
Diesen ausführlichen Notizen habe ich nur beizufügen,
dass im Tesanieathal, durch welches die Strasse nach Sarajevo
Alterthümer der Hercegovina.
60B
Konjic und die Hercegovina verlässt,, 1 Stunde nördlich von
dieser Stadt, rechts von der Strasse, eine Burgruine auf hohem
Felsenkegel liegt. Der Zugang zu der Höhe ist in den Stein
gehauen. Die Ruine führt den Namen Giaurski-Grad (Christen
burg). Unterhalb derselben, hart an der Strasse, sind bei fünf
zig alte Grabsteine ohne bemerkenswerthe Sculpturen im dichten
Schwarzdorngebiisch versteckt. Als man eines der Gräber
öffnete, fand man in der blossen Erde ein Skelet derart ge
krümmt, dass man annehmen durfte, der Todte sei in sitzen
der Stellung beerdigt worden.
XV. Stadt und Umgebung von Gabella
(Thal der unteren Narenta).
,Gabella 1 est vox italice data huic loco tempore occupa-
tionis venetae ob confinaria vectigalia, quae ibidem exsolve-
bantur inter Turcam et venetam rempublicam; prius autem
cum antiquissima civitate Narona coalescebat, cuius Gabella
suburbium erat. Gabellam Humen Neretva ab ortu atque
a meridie lambit, et quia Neretva etiam ultro ad Tasovcidi
usque navigabilis est, Gabella quondam fuit locus sat mer-
catilis, uti refert Petrus Gorzoni in Historia Reipublicae
Venetae p. 157 et alibi, quod etiam fieri posse nihil vetat.
(,Das Centrum des ganzen Narentahandels war das mercatum
oder forum Narenti, slavisch Driva oder Drieva genannt, ein
offener, gegen Ueberschwemmungen durch Dämme geschützter
,burgus“ mit einem grossen Zollamt, Salzmagazinen, einer
ragusanischen Colonie u. s. w.; an seiner Stelle wurde in
späteren Jahrhunderten das venetianische Castell Gabella er
baut, das noch heute wohl bekannt ist. Westlich von diesem
Emporium liegen am Bache Norin die Ruinen des römischen
Narona. König Stephan Tvrdko gründete 1383 eine Burg
Brstanik bei Poöitelj — jetzt dort ein Dorf dieses Namens —
und übertrug die Zollstätte in dieselbe; jedoch seine Schöpfung
ging bald ein und wird nach 1395 selten mehr genannt [1499
als Ruine], Auch Herzog Stipan versuchte den Narentahafen
anderswohin — nach Orman — zu übertragen, aber ebenso
vergeblich.“ Jirecek 1. c. p. 79.)
Gabella ab Oriente pagi vel mavis oppidi sat splendidi
fortalicii moenia habet adhuc non undequaque detrita. Con-
stant diversis turribus irregularibus. Anno 1559 fortalicium
hoc naronense reparatum auctumque fuit de mandato Sulimani
Sultani; id ipsum curavit fieri de duabus turribus in occiden-
tali parte pagi, quae jam pridem vocabantur turris S. Stephani
et S. Antonii. Fortalicio et turribus Solimanus dederat arabi
cum nomen ,sedeislam ( (ager musulmanicus. Hadji Chalfa
f 1648 ed. Hammer, p. 175: ,Hier ist ein Schloss Seddisläm
genannt, wo ein Aufseher und Hauptmann residiren'.) Eadem
occasione etiam turris in Citluk, hoc est ultra Hamen Krupa,
reparata atque munita fuit et universim tum huic loco tumque
hodiernae Gabellae nomen Citluk a Turcis positum fuit.
Verum antequam praefata exequerentur, in Gabella jam ex-
tabant tres ecclesiae: S. Stephani protomartyris in colle occi-
dentali, S. Antonii in meditullio pagi, S. Mariae prope arcem.
Turcae illam S. Stephani devastarunt, alteram S. Antonii in
moscheam verterunt, tertiam quoque S. Mariae dejecerunt. Ad-
fuit vero tune quidam Turca loci, ceu propheta, qui dixerat,
Sulimanum non diu fortaliciis potiturum, quae ecclesiae lapidi-
bus reparaverat. Verum quidquid de natura praesagii opinan-
dum, anno tarnen 1694 Delphinus, venetarum militarium co-
piarum Generalis Gabellam tum obsidione tumque strenuis
armis militaribus Turcis praeripuit. Hac occasione Turcae in
singulis nominatis fortalitiis ac in turri supra Struge exitialem
receperunt plagam qua de multis millibus vix pauci mortem
effugerunt (V. Gorzoni qui supra).
Pons quoque lapideus in Struge, ne Turcis effugio esset,
tune temporis demolitus fuit et nunquam amplius de lapide
consurrexit. Interim Delphinus, non minus armis quam pietate
praestans, omnes praecitatas ecclesias antiquo sacro catholico
restituit decori et quartam parvam militarem ecclesiam ignoti
titularis in ipso fortalicio de novo aedificavit, aucto quoque
moeniis fortalicio tumque turribus reparatis et omnibus egregu
dispositis Gabellae multiplicem adjunxit splendorem.
(Ausführlicher Bericht über diese Unternehmung bei Merian
Theatr. Europ. contin. 1694, S. 589: ,1m Monat Junio nahm
ihm der General Proveditor in Dalmatien Delfino vor, die Festung
Ciklut in Dalmatien, an dem Fluss Narenta gelegen, anzugreiffen.
Alterthümer der Hercegovina.
605
Als er von derem Zustand im Geheim einen genügsamen Bericht
eingezogen, so ging er den 12. Junio zu Spalatro mit der In
fanterie und den Morlaken zu Segel und liess dieselbe, als er
sich bis auf eine Meile dem Fluss Narenta genähert, den 15.
allda an Land setzen, wohin auch der General Proveditor
Stephano Capello seinen Marsch richtete und sich mit jenen
zwischen den Festungen Opus und Norino conjügirte, dergestalt,
dass sie ein Corpo von 8000 Mann zu Fusse und 4000 zu
Pferde ausmachten. Dieses rückte bis auf eine Meile an Ciklut,
und damit alle Zugänge und Succurs dahin verhindert wurden,
so fertigte der General Delfino den Obristen Canagetti, einen
Mann, der bei ihm in grossem Aestim stund, mit 3000 Mann
ab, mit Ordre, sich aller Zugänge sammt der Brücke von
Trebisat bis Gabella hin, woher sonsten der Feind den Platz
secundiren könnte, zu versichern, die Brücke war bei 3 Meilen
von der Stadt und zwischen dieser und dem Zollhause daselbst,
noch auf halbem Weg eine Schantze gelegen. Gemeldeter
Obrister trat auch alsobald mit solchen Truppen in der Nacht
seinen March an, um sich der Stille und Dunkelheit zu be
dienen, und sich des Ufers des Flusses zu bemächtigen, welches
ihm auch dermassen glückte, dass er die Hälfte der Brücke
abbrach und der Cavalier Noncovick mit 5000 Mann die Schantze
zwischen der Stadt und dem Zollhause einnahm, sich zugleich
daselbst festsetzte, auch vermittelst Aufwerfung der Erde den
Ort vor Musquettenschiessen deckte und den Feinden den Pass
verwehrte. Ob nun wohl die Türken vermeinten, eine kleine
Diversion zu machen und nach halb abgebrochener Brücke
mit einem Corpo Infanterie und 500 Pferden mit Barquen über
zusetzen, so empfingen sie doch die Morlacken so übel, dass
sie sich eilends retiriren müssen. Und weil die Venetianische
Generalität sich ihrer Retirade und Unordnung bedienen wolte,
so liess selbige in aller Eyl die Artillerie aus den Schiffen,
die Morlacken aber in Ordnung und im Uebrigen die gesammte
regulaire Militz in gehörige militairische Linien bringen und
solchem nach die beiden Thürme, welche auf dem St. Stephans
Berge lagen und zur Defension der Stadt viel dienen konnten,
canoniren. Sie ergaben sich aber nach wenigen Widerstand,
da inzwischen der Obrist Canagetti auch denjenigen Thurn,
welcher die Brücke von Trebisat beschützen sollte, attaquirte
606
H oernes.
und nach einer fast schlechten Gegenwehr zur Capitulation
nöthigte. Die folgende Nacht wurden die Vorstädte angegriffen
und von des Cavaliers Fansogno Bataillon und des Obristen
Pizzamano Leuten, wie auch den Abruzzesern ohne Schwierig
keit eingenommen. In eben dieser Nacht mussten noch die
Ruderknechte von den Galeeren unaufhörlich an zwei Batterien
arbeiten, wovon die eine mit Stücken und die andere mit Feuer
Mörsern bepflanzet, und hierauf mit Canoniren und Bomben-
einwerffen ein Anfang gemacht, anbey der Commandant der
[Jebergabe erinnert ward, nach deren Verweigerung man bei
anbrechendem Tage alle Canonen und Feuermörsel auf einmal
losbrennen lassen. Und weil die Bomben guten Effeckt thaten,
und durch das unaufhörliche Canoniren ein grosser Theil Mauern
und des Walles, indem beide nicht viel nütz waren, nieder-
geworffen und also eine gute Breche eröffnet worden, so wollten
die Belagerten fernere Gewalt nicht abwarten, sondern steckten
eine weisse Fahne auf und schicketen 3 von ihren Officieren
in das Venetianische Lager, w T oselbsten, weil jene in dem Accord
keine Schwierigkeiten zu machen beigehoben, man geschwinde
einig ward und sich auf folgende Weise beglich, dass nemlich
die Türken ohne Waffen und Pferde ausziehen und anders
nichts als ihre Bagage mitnehmen solten, welches dann also
den 20. Juni erfolget, und man hat selbige mit der ordinairen
Venetianer Militz convoyiret. Als auch ausser der Stadt annoch
nahe dabey unterschiedliche feste Thürme gelegen, welche mit
besonderer Besatzung versehen, so begehrten dieselben nun
mehr, nachdem es mit dem Hauptplatz gethan, sich auch nicht
länger zu sperren und zog solchem nach die ganze Besatzung
aus der Stadt und Thürmen in 500 Mann stark und sonst in
die 3000 Personen aus. Wobey dann insonderheit merkwürdig,
dass sich die Venetianer innerhalb drei Tagen von einem so
wichtigen Posten nebst 7 starken Thürmen und der Stadt
Gabella, so nur 3 Meilen davon liegt, Meister gemacht und
nicht mehr als 14 Mann verloren. Man fand in der Festung
18 Stücken Geschützes, 1700 Tonnen Pulver, eine grosse
Quantität Reiss, gesalztem Fleisch sammt anderen Proviant
und Kriegs-Munition; und erhielt dadurch die Republick einen
fruchtbaren Strich Landes nebst dem Eintritt in das Herzog
thum Nieder-Herzegovina oder, wie es die Franzosen nennen,
Alterthümer der Hercegovina.
607
St. Sabba, und zugleich in das übrige Theil von Bosnien. Und
weil der General wohl vermuthet, dass die Türken diesen im
portanten Ort so leicht nicht vergessen würden, so liess er
ohne Verzug die Vestungswerke repariren, auch sonsten mit
aller Nothwendigkeit versehen, anbey auch 3000 Personen,
welche sich in dem Venetianischen Gebiete niedergelassen und
unter der Republik Schutz leben wollten, ungleichen zweyer
türkischer Städtlein Geissei, welche sich ebenfalls der Venediger
Herrschaft unterwürfig gemacht, wohl empfangen und begab
sich darauf wieder nach Spalatro.' — In den nächsten Monaten
folgten zwei Versuche der Türken, den Platz wieder einzu
nehmen, welche jedoch an der Tapferkeit der Belagerten
scheiterten. Jedesmal wird Stadt und Festung Gabella ange
griffen, erscheint also auch hier als /Hauptplatz', wie sie in
der obigen Schilderung genannt ist. Es entsteht nun die Frage:
was war und wo lag ,Ciklut', wie der Bericht schreibt, eine
Frage, die auch der Schein, nicht klar beantwortet [turris in
Citluk h. e. ultra — citra ist Druckfehler —- flumen Krupa].
Doch schliesst letztere Angabe die Behauptung S te -Marie’s,
dass Citluk mit Pocitelj identisch sei, aus 1 und führt, zusammen
gehalten mit der Angabe des Berichtes, dass ,ein so wichtiger
Posten' [Ciklut] 3 italienische Meilen von der Stadt Gabella
lag, genau zu dem Punkte am Abhang eines in die Ebene vor
springenden Bergriegels jenseits der Krupa und des Utovo-blato,
wo die Generalkarte den Ort Kljuci änsetzt. Hier muss der
alte Thurm gelegen haben, den Sultan Soliman zugleich mit
dem Fort von Gabella ausbessern liess. Der Name des heu
tigen Ortes ,Schlüssel' bewahrt noch die Erinnerung an die
Bestimmung der beiden Werke: Gabella und Citluk waren die
Schlüssel ,Klju6i‘ des Narentathales, wer sie besass, hatte den
Zugang zur Landeshauptstadt in seinen Pfänden. ,Das Schloss
Kuludsch', welches Hadji Chalfa 1. c. p. 175 ,in der Nähe
von Balagaj' [Blagaj] fand, scheint mit der Feste Citluk iden-
1 Potchitelj sise k quatre heures ii l’A. de Stolatz, sur la Narenta, est
l’aneienne Citluk des Venitiens (en turc ,Seid Esselam* — ein zweiter
Irrthum —); eile est cdlebre par les lüttes que ces derniers ont soute-
nues lii au dix-septieme et au dix huitiüme siede contre l'es Turcs,
S le -Marie, l’Herzegovine, Paris 1875, p. 51.
608
Hoe rnes.
tisch und die Namensform Ciklut im obigen Kriegsbericht eine
Verschmelzung der beiden Namen Citluk und Kljuö zu sein.)
Ex albo marmore leo, qui principali arcis insidebat portae
cum consueta inscriptione ,Pax tibi Marce, Evangelista Meus'
etiam hodie ad Ihnen portae dejectus cernitur. Sed licet
Gab eila multis annis sub leone a turcicis vanis conatibus
tecta advenit tandem ipsam itidem ad Turcarum manus de-
venire, sub quibus etiam nunc est. Turca post viennense
bellum, pacem universalem vel invitus quaerens et obtinens,
Gabellam suis dominiis readnecti confiniorum signatione re-
cuperavit. (Im venetianischen Tractat des Karlovicer Friedens
1699, VIII. Artikel. ,Die Türken verstanden sich dazu, dass
sie die Kette der den Venetianern in Dalmatien bleibenden
Festungen durch das denselben einzuräumende Gebiet anein
ander hängen wollten, doch müsse das Land über der Narenta
von Gabella oder Ciclut bis Castelnuovo wegen der Verbin
dung mit Ragusa umsomehr ihnen bleiben, als sie dasselbe
durch Vidosca und andere Schlösser bis dahin behauptet.'
Hammer, Gesch. der Osmanen III, S. 923. Angeblich war
hiebei ragusanische Eifersucht gegen Venedig mit im Spiele.)
Verum loci sorte aeque iniqua ac prius: ecclesias enim S. Ste
phani ac S. Mariae destruens, alias duas in moscheas vertit,
quemadmodum hodierna earum rudera testantur. Ante aram
majorem S. Stephani est sepulcrum nobilis familiae Santic
suo cum stemmate inciso. Gabella igitur multo ampliora
habet in historiarum fragmentis tumque in extantibus ruderibus
suae antiquae specialitatis famosa vestigia, quam ut nos re-
censeamus- erat quippe antiquissimae ac potentissimae Illyrii
capitalis civitatis Naronae suburbium, et hoc me dixisse peritis
satis esto. De reliquo nomen Gabella non modo determinato
ac paucis descripto loco vulgo adnectitur sed toti planitiei
hodie a Turcis in Citluk occupatae aeque applicatur, quam vis
singuli pagi singularia quoque nomina habeant; et ubi volueris
indicare oppidulum Gabella, ad distinctionem aliorum in Ga
bella oportebit connectere ,Stara-Gabella' (Alt-Gabella)
In Stara-Gabella ac suis pagis nonnisi pauca numera-
mus antiqua nobilium sepulcra. Arces autem antiquae erant
supra Goricam ( l / 3 Stunde nördlich von Gabella, nach Jirecek
1. c. ,1 Stunde nördlich von Driva an einem wichtigen lieber-
Alterthümer der Hercegovina.
609
gangspunkte über den Fluss') supra Capljina (1 Stunde nörd
lich von Gabella, vielleicht das Schloss Novi oberhalb von
Oorica, Jirecek 1. c. u. Anm. 268) et in Dugangie (3 Stunden
nördlich von Gabella).
Der Pfarrsprengel reicht östlich nicht über die Narenta
hinaus. Die Ruinen von Citluk (ultra Humen Krupa), wenn
solche vorhanden, bleiben daher unerwähnt. Desgleichen die
alte Steinbrücke, welche die Bregava kurz vor deren Einmün
dung in die Narenta in einem Bogen überspannt und ihrer
berühmten Schwester in Mostar wie ein kleineres Ei dem
grösseren gleicht. Sie ist älter als jene, denn nach einer
ragusanischen Instruction (Jirecek 1. c. S. 86, Anm. 298) reiste
Mustapha-Pascha Sandschak-Beg von Bosnien (1517) aus Sara
jevo in die Nähe von Poöitelj und Dubrave, um seine neue
Brücke über den Fluss Vidoustiza (Bregava) zu sehen. Un
erwähnt bleiben ferner die altslavischen Grabsteine von Tasov-
öi6i, welche man auf der Fahrt von Met.kovic nach Mostar bei
dem genannten Ort zu beiden Seiten der Strasse liegen sieht;
unerwähnt endlich das romantische Felsennest Poöitelj am Aus
gang der langen Narentaschlucht. Die genannten Orte gehören
zur Pfarre Dubrave des Bisthums Trebinje, dessen Schema
tismus den Alterthümern der Diöcese keine Beachtung schenkt,
obwohl sich im Umkreis derselben slavische Bau- und Grab
denkmäler in gleicher, wenn nicht grösserer Zahl, wde im
nördlichen Landestheil, finden. Sterneck, der im letzteren nur
fünf altslavische Gräberstätten verzeichnet, setzt in der süd
lichen Hercegovina deren dreizehn an, doch gibt es hier wie
dort mindestens zehnmal mehr derselben. Als Fundorte in
diesem Gebiet bezeichnet der Genannte: Stolac, zwei Stellen
südlich von der Krupa bei Metkovic, fünf auf der Strecke
Nevesinje-Ulok, vier zwischen Trebinje und Niksic, eine bei
Bilek. Nach meinen nur auf eigenthümliche oder besonders
merkwürdige Denkmäler gerichteten Erkundigungen sind fol
gende von mir nicht besuchte Fundstätten hervorzuheben:
Stolac, */ 2 Stunde vor dem Ort auf dem Wege nach Mostar.
Reicher altslavischer Friedhof mit vielen bildlichen Darstel
lungen, von welchen seit Beginn der Occupation bereits mehr-
610
Hoernes.
fach Skizzen und Abbildungen gefertigt wurden. Es finden
sich unter anderem: Reigentänze von Männern und Frauen;
Reiterkämpfe (drei Kämpfer gegen einen vierten, erstere mit
gespanntem Bogen, letzterer mit eingelegter Lanze oder um
gekehrt und variirt, 3—4 mal),- Jagdscenen (drei hinterein
ander laufende Hirsche); Reiter und Reigentanz nebeneinander
auf anstossenden Seiten desselben Steines; Geharnischter, die
Hand in die Hüfte stemmend; eine Fahne mit zwei Sternen
in dem diagonal getheilten Feld; eine crennelirte Thurmzinne
mit Schiessscharten (?). Sterneck, S. 46, fand bei Stolac tanzende
Frauenreihen rings um einen Stein, auf einem andern einen
Reiter, der drei zu Fuss streitende Männer bekämpft; Blau,
S. 48 f. nebst zwei von ihm mitgetheilten, aber kaum lesbaren
slavischen Inschriften, Steine ,mit Relieffiguren und kriegeri
schen Emblemen als: Bogen, Köcher, Schwert und Schild.
Einzelne Sarkophage sind 6 Fuss hoch und Monolithen auf
Unterbau von Steinplatten*. Etwa zehn von den Gräbern sind
bis zum vorigen Jahre geöffnet worden. Es fanden sich in
denselben wie anderwärts nur Knochenreste und zwar sowohl
von Erwachsenen als von Kindern, neben den menschlichen
angeblich auch Pferdeknochen. Auf einem Hügel bei Stolac
liegt eine alte Kirche, die als Grabstätte eines christlichen
Wojwoden von Stolac und seiner Familie bezeichnet wird. Es
sollen daselbst Inschrift- und Reliefsteine Vorkommen. Einem
Theil der Citadelle von Stolac wird hohes Alter zugeschrieben.
Ygl. Blau 1. c. S. 49.
Nevesinje, alte Burg, angeblich zum Theil auf den Ruinen
eines serbischen Klosters, im Mittelalter oft genannt, Jirecek,
S. 83 und Anm. 288. Knapp vor dem Orte auf dem nach
Osten führenden Wege liegen bei einer Kirchenruine sieben
alte Grabsteine. Weiter östlich an mehreren Stellen andre
mit Schwertern, Streitäxten, Bogen und Pfeil, Kreuz und Halb
mond, auch mit figuralen Darstellungen. An einem Punkte
im Nevesinsko-Polje findet die k. k. Generalkarte: ,Alte Gräber*.
Zwei Steine dieser Gruppe sind bei Sterneck Blatt I\ ab
gebildet: ein sarkophagförmiger mit spiralem Ornament, und
ein flacher, auf dem ein Lamm abgebildet scheint. Bei Odziak
daselbst sind Münzen in einem Grabe gefunden worden. An
diesen Denkmälern haftet die Sage von einem Kriegszuge der
Alterthümer der Hercegovina.
611
; Grk‘ bis ans Meer; letztere sollen solche Riesen gewesen sein,
dass sie die grossen Steine einzeln auf dem Rücken herbei
getragen. Die Gräber der Morine-Planina zwischen Nevesinje
und Ulok sind schon oben S. 515 f. besprochen.
Nevesinje-Gacko. Auf dieser alten Strassenstrecke liegt
zwischen Zalom-Palanka (Ruinen eines uralten Schlosses, Fund
ort 'einer römischen Inschrift) und Fojnica die Gräberstätte
Kamenicki-Düb (Steineiche). Eines der Denkmäler zeigt einen
beilschwingenden Arm, in dessen Beuge ein Doppelkreuz steht;
unten nach abwärts: Bogen mit aufgelegtem Pfeil. Auch ein
fache Kreuze kommen daselbst vor, und eine cyrillische In
schrift lässt den Kamen Christi und eine von einem Oval um
schlossene Jahreszahl in vier Buchstaben erkennen.
Weitere Nachrichten decken sich zum Theil mit den
eigenen Wahrnehmungen meiner zweiten Reise, die mich von
Ragusa über die denkmälerreichen Fluren von Ljubomir, Bilek,
Korito, Gacko nach Foöa und Plevlje führte und in den ge
nannten Theilen der südlichen Hercegovina ein stattliches Er-
trägniss an slawischen Denkmälern, meist Grabsteinen, mit
reichen figuralen, ornamentalen und tektonischen Verzierungen,
lieferte. Diese Ausbeute, sowie das Gesammtergebniss meiner
vor- und diesjährigen Excursionen im eigentlichen Bosnien und
im occupirten Theile des Sandzaks Novibazar, bleibt einer
folgenden Publication Vorbehalten.
612
Hoernes. Alterthümer der Hercegovina.
INHALTS-VERZEICHNISS.
Seite
Einleitung 491
I. Mostar 498
a. Die Narentabrücke —
b. Radobolja-Brüeken 503
c. Kirehenruinen —
d. Das mittelalterliche Castell 504
II. Umgebungen von Mostar 500
a. Blagaj und Bisce —
b. Bilopolje 512
III. Brocnopolje 518
a. Pfarrsprengel Gradnici 519
b. Pfarrsprengel Öerin 524
IV. Ljubuskopolje 533
a. Pfarrsprengel Humac —
b. Pfarrsprengel Veljacf 537
V. Das obere (Eng-) Thal des Trebizat 540
a. Pfarrsprengel Klobuk —
b. Pfarrsprengel Ruzici 544
e. Pfarrsprengel Drinovei 551
d. Pfarrsprengel Gorica 552
VI. Gebirgsgegend zwischen den See’n Krenica und Mostarsko-blato —
VII. Das Gebiet des Mostarsko-blato 558
a. Pfarrsprengel Sirokibrig
b. Pfarrsprengel Ljutidolac 571
c. Pfarrsprengel Gradac und Goranci 575
VIII. Hochebene Posusje 577
IX. Ebene Roskopolje 578
X. Tiefebene Busko-blato ., 579
XI. Hochebene Duvno 580
a. Pfarrsprengel Seonica 582
b. Pfarrsprengel Zupanjae 587
c. Pfarrsprengel Suica 592
XII. Hochebene Rakitno 593
XIII. Tiefthal Dreznica 595
XIV. Stadt und Umgebung von Konjic 598
XV. Stadt und Umgebung von Gabella •
L am bei. Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
613
Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
Herausgegeken von
Hans Lamtael.
(Mit einer Tafel.)
Durch die Güte des Herrn Jos. Truhlär, Scriptor an
der Prager Universitätsbibliothek, bin ich in der erfreulichen
Lage ein Bruchstück einer dritten, bisher unbekannten Hand
schrift des Heliand mittheilen zu können. Er entdeckte das
selbe auf dem Einbande von Marcus Hassaeus Ecclesiastes
Humanarum rerum actionumque summa Salomone colligente
subducta et metrica paraphrasi secundum Ebraicam veritatem
in Sapphicum carmen conversa. Rostochii, typis Stephani
Myliandri, anno MDIIC. 12°, und theilte mir den Fund, den
er als zum Heliand gehörig bereits erkannt hatte, alsbald mit.
Ihm wie dem Herrn Bibliothekar Zeidler, der das Bruchstück
auf meine Bitte ablösen liess, statte ich hiemit öffentlich meinen
herzlichsten Dank ab.
Das Fragment, das jetzt unter der Signatur 16. D. 42
aufbewahrt wird, und das ich nach seinem Fundorte mit P
bezeichne, umfasst leider nur ein einziges aber glücklicher
Weise vollständiges Blatt, 24" 1 Ctm. h., 17 Ctm. br., mit den
Versen 958 uuili bis 1006 thana; nur die vier Ecken sind im
stumpfen Winkel abgeschnitten, wodurch auf der Vorderseite
ein Buchstabe verloren ging, auf der Rückseite nur der erste
und letzte Buchstabe der ersten Zeile ganz wenig beschädigt
wurde. Durch das Umbiegen des Pergamentes am Rande des
Einbandes, wurde dieses im Laufe der Zeit durchgerieben,
und es fiel ein Theil der zweiten Zeile aus, die auf der
Vorderseite auch sonst noch durch Schmutz und Abreibung
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. II. Hft. 39
614
Lambel.
undeutlich wurde. Mehr oder weniger verblichen und abge
rieben sind von den 23 Zeilen, welche auf jeder der beiden
Seiten stehen, nur noch Zeile 11—16 der Vorderseite, welche
mit Ausnahme der letzten auf den Rücken des Bandes zu
liegen kamen und daher der Abnützung besonders ausgesetzt
waren. Die Rückseite ist bis auf einen Buchstaben in Zeile
11 vollkommen erhalten. Die schönen gleichmässigen Züge
der Schrift weisen das Blatt dem neunten Jahrhundert zu.
Linien sind der Zeit entsprechend mit dem Griffel auf der
Vorderseite eingeritzt. Die fortlaufend geschriebenen Verse
sind durch regelmässig gesetzte Punkte nach Langzeilen ab-
getheilt, wie dies mit solcher Zuverlässigkeit bekanntlich weder
in M noch C der Fall ist; ausserdem sind die Versanfänge
durch grössere Buchstaben meist in Uncial- oder Halbuncial-
form ausgezeichnet. Fine spätere durch schwärzere Tinte deut
lich unterscheidbare Zuthat ist die einigemale begegnende
Trennung der Halbverse durch Semicolon; doch trifft dies
jedesmal mit Satzschlüssen zusammen, und will vielleicht nur
diese bezeichnen. Punkte, die vereinzelt nach dem ersten
Halbvers zu stehen scheinen, erweisen sich bei näherer Prü
fung als kleine täuschende Flecken auf dem nicht durchweg
reinen Pergamente.
Die Sprache, im wesentlichen sächsisch, zeigt eine dialec-
tische Färbung ähnlich der in C. Sievers hebt für die letztere
S. XIV seiner Ausgabe namentlich die Diphthongierung von
e und 6 zu ie lind uo hervor: in P ist uo für 6 (niemals aber
wie in C für o) die Regel, für het (M) steht V. 1000 Met und
der einmal erscheinenden dem Brauche von M entsprechenden
Pronominalform he 993 steht mindestens zehnmal (974 ist er
loschen) wie in C hie und ausschliesslich thie (thea M) 969.
(the) 985. 1 (the M) 992 (überall als Artikel) gegenüber. Einige
weitere Uebereinstimmungen in Lauten und Formen, aber auch
Abweichungen von C werden sich aus folgender Zusammen
stellung ergeben, in welcher ich aber keineswegs alles erschöpfen
sondern nur vorwiegend charakteristisches hervorheben will.
1 Wo die in ( ) beigefügten Lesarten der beiden andern Hss. unbezeichnet
bleiben, sind sie in M und C gleich.
Ein nenentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
615
Als eine solche charakteristische Eigentümlichkeit des
Bruchstückes P darf die Consequenz bezeichnet werden, mit
welcher im Gen. und Dat. Sing, des Masc. und Neutr. der
A-Stämme durchaus nur -as und -a, nie -es oder -e erscheint;
so auch in der Infinitivflexion te gifulleanna (-e) 976. Ebenso
wird beim Adjectiv und Pronomen a vor e bevorzugt im Gen. Dat.
Sing. Fern, und Gen. Plur., die durchaus nur auf -aro enden:
Gen. Sing, diurlicaro (-ara M) 988. Dat. minaro (-e-) 971,
thinaro (-e-) 972, ihefaro 999 (-an C fehlt M) 1003. Gen.
Plur. allaro (-e- C) 973. 981. 993 und ohne Vai'iante 975. 991,
giborenetro (-e- C) 993; im Acc. Plur. Masc. managet (-e M)
966; im Nom. Plur. Masc. fiel, (fie M) 996. Neben der alten
Form des Acc. Sing, tliana 990. 1002. 1006 erscheint kein
thena wie C 990. 1002, oder thane, wie M 990 (1005 fehlt M)
schreibt. Wie in dieser Form ist ursprüngliches a regelmässig
erhalten im Praeteritalausgang: doptet (-e M) 967. 978, fcolda
(-e M) 972, muofta (-e M) 994, uuelda (-e M) 994, uuunoda 989,
gruotta 990, fagda 999, gideda 995; im Nom. Acc. Sing, der
A-Stämme: ftemna (-e M) 1000, lera 959 und im Adjectiv
worüber später. Sonst steht a in Ableitungs- und Stammsilben
gegenüber e: liebem- (-en M) 980. 997. (fehlt M) 1002, afteir
(-er C) 989. 995, obanet (-e M) 986, forduuetrdas (-er- C) 976,
aber giborenaro (-a-) 993; i in der Adjectivbildung auf -ag:
kraftag (-ig C) 982, craftagoft (-ig-) 973; o gewöhnlich in
fem (fon M) 960. 983. 989. 990. 992. (fehlt M) 1002, aber
fon (fein C) 986; afftuop (of- C) 984, otana (-o- C) 986,
aber obor {-ar) 989; flexivisch steht a für o öfter im Acc.
Sing. Masc. der An- und Jan-Stämme: lierretn (-on) 968. (-en
C, heran M) 980, felbetn (-Oil) 990, uuillean (-On) 964. 977;
aber auch herron 997. alouualdon (-an C) 986, bezton 991,
helagon (-gna C) 1002.
Das Praefix ga- erscheint als ge-: geriful (gi-) 975,
gelicneffia (gil.) 987, wahrscheinlich auch gehuilic (gih-) 975,
überwiegend (16 Mal) als gi-. Die Praeposition te erscheint
sechsmal 969. 972. 976. 981. 986 und 971, wo aber der Vocal
unlesbar ist, ti, wie C 976 schreibt, findet sich darunter nicht.
In dem angeführten gelicneffia stimmt e zu gilieneffe C gegen
gilicniffie M, aber dem e in lcneo 982 M C steht in P i gegen
über: hnio.
39*
616
Lambel.
Neben gewöhnlich erhaltenem älterem i begegnet zweimal
auch e: neben dopi 971 stellt auch einmal dope (-£ C, fehlt
M) 961, neben den Optativen habdi 963. 991, licodi (-e C)
992, uuari 993, fcoldi, (fehlt M) 1004 (vgl. uuüi 958) auch
einmal gifauue (-i) 1001.
Neben u in den Instrumental- und Praeteritalendungen er
scheint altes oder älterem a entsprechendes u gewöhnlich als
o in der Nominalflexion: durchaus funo (-u C, fehlt M) 961.
(-u M) 992. 997. (fehlt M) 1005. handon (? -un M) 980. -
mannom (-On C, -un M) 996, aber uuortfun (-on C) 969; und so
auch im Adjectiv Dat. Sing, beztom (-on) 981, hohom (-on) 990,
aber finum (-un M, -on C) 992, Dat. Plur. ßnom (? -on C,
-Un M) 980. Auch in der Flexion der A- und Aw-Stämme
erscheint o: tliiodo (-u M) 963, dvbon (-un), ahflon (vgl.
S. 618) 988. Sonst steht u gegen o in uuunoda (uuon-) 989,
radura (-ore C) 990; aber doru (dum C) 985.
Neben einmaligem iu in diurlicaro 988 steht gewöhnlich
io: diorlic (-iu- C, fehlt M) 961. 1005. diorlico (-iu-) 967.
liodi (-iu-) 966. liodio (-iu-) 984; aber kein eo: lioboft (eo-
C, vgl. Hof 984) 993, kein ie: thiodo (-ie- C) 963. thiodgumono
(thiedgumo C) 972.
Im Consonantismus ist zunächst die sorgfältige Scheidung
von b und b, d und d hervorzuheben, die bekanntlich in M
sehr häufig vernachlässigt ist. So steht regelmässig felbo 973.
992. felban 990. heban- 980. 997. (fehlt M) 1002. dubon f-f-
C) 988. otor 989. gilobon 958; nur in lioboft 993 und durch
weg im Praeter, von hebbian (habdi 963. 991. habdun 997)
steht b einem b in C gegenüber. If bietet in allen diesen Bei
spielen nur b, in C rührt das b ausgenommen 958. 989. 1002
von der zweiten Hand her (vgl. Sievers, S. XIV).
Aehnlich verhält es sich mit der Dentalis: d steht aus
lautend in uuard (-th C) 968 (aber uuard 984), quad 991. 992.
993. 997 (fehlt M) 1004 und nach vielleicht nicht ganz sicherer
Lesung, die aber durch die sonstige Consequenz an Wahrschein
lichkeit gewinnt, 975, forduuardas (foruu. C) 976, und beachtens
wert in gerijid (-it C) 975 (3. Sing.; vgl. ags. -ed, got. -ith, fries.
-eth) und mid (mid) 963. (fehlt M) 1004 neben einmaligem
zweifelhaften mid 969 (vgl. got. fries. müh; an. med darf selbst
verständlich nur mit Vorsicht herangezogen werden). Der be-
Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
617
sonders in C beliebte Ueberg'ang in t, wie er in quat und
gerifit erscheint, findet sich nicht. — Inlautend steht d in Midi
968, friäu- 983, bado (-th- C) 981; tli wird inlautend gemieden,
wie früher /, aber auch auslautend. 31 schreibt an allen diesen
Stellen nur zweimal d: quad 991 und bado 981, sonst überall d,
die inlautenden d sind in C von zweiter Hand.
Auslautend hat sich m in der Flexion nicht nur im Dat.
Sing, hohom 990, beztom 981, finum (-um 31, -on C) 992
erhalten, was besonderer Hervorhebung kaum bedürfte, son
dern auch, was bekanntlich in unsern altsächsischen Quellen
nur noch sehr selten begegnet, zweimal im Dat. Plur.: mannotn
(-on C, -um 31) 996 (sonst noch einige Male in 31 -um Zachers
Zs. VI, 479), finorn (-on C, -um 31) 980 (Fern.; noch einmal
als Neutr. 1838 31). Daneben -n in uuordun 969, handon 980.
Für anlautendes j vor o schreibt P durchweg gi: gio-
hannes 965. 977. 994. giordanaftroma 965, wo die beiden an
dern Hss. überall J haben. Inlautend in Ableitungssilben beim
Nomen und Verbum erhält es sich theils als i: gdicneffia
f-ie 31, -e C) 987 (vgl. liodio [-eo C] 984), gihorian (-ean) 995,
gewöhnlicher als e: rikea 992, urkundeo 998, uuilleo (-llo C)
969, uuillean 964, (-llon C) 977; leftean 959, fuokean (fehlt 31)
961, dopean 1000, (fehlt 31) 1005. gifulleanna (-llanne C) 976
und analog uuilleo 998; geschwunden ist es nur in heland
(-eand 31) 990.
Die Gutturaltenuis hat auslautend 979 oh (og 31) keine
Veränderung erlitten.
Anlautendes h ist abgefallen in uuand (huiland 31. JiUand
C) 999, sonst ist es erhalten: huand 973, Jiuar 1001, gehuilic
975; liluttro 958; hlud 990; gihneg 981. Inlautend wird altes hw
vertreten durch uu: gifauue (-lii 31) 1001, eine besonders C
geläufige Lautgebung, die aber auch 31 nicht ganz mangelt.
Gemination erscheint im Auslaut in mann (-n C, fehlt 31)
1003 (Acc. Sing.), thitt (-t 31, tliat C) 997 und wahrscheinlich
in npp (up) 982, Schreibungen die alle auch in C begegnen,
z- B. mann (Nom.) 72. 2103. 5044. (Acc.) 1479. thitt 2609.
4156. upp 2250. 5633; aber inlautend schreibt P nicht wie C 988
ujjes sondern ufas. Vgl. Schmeller II, 186 b . Zachers Zs. VI, 480.
Wie in 31 wird z verwendet in hast 972 (vgl. Anm.) 993,
beztom 981, bezton 991. (C durchweg st).
618
Lam bei.
Aus der Flexion des Nomens und Verbums hebe ich nur
einige vom Gewöhnlichen abweichende Formen heraus, insofern
sie nicht schon bei der Lautübersicht Erwähnung fanden.
Im Substantiv begegnet einmal der Dat. Sing. Fern, heda
(-v) 981, vgl. umgekehrt im Adj. diulicaro (-a M) 988 als
Gen. — Consonantisclies Thema steht dem vocalischen in MC
gegenüber: ahfion (Dat. Acc.? -u M, -a C) 988. — Einmal 991
findet sich die Accusativform Crifta (Crift), die 657 auch in M
erscheint: vgl. Crifte in (7 5082 (Krift M'), und 5920 (fehlt M).
Das Adjectiv zeigt im Acc. Sing. Masc. der starken
Flexion auch einmal die nicht häufig belegte alte Endung -ana:
langana (-an) 966, ausserdem erscheint mahtigna (-ina C) 996
und -an (niemals -en): lioldan (-en M) 968, allein 966. 978,
enigan 1003 (fehlt M), gicoranan 991. — Starke Flexion
gegenüber der schwachen in M C nach dem bestimmten Artikel
steht 990 fan tJiem hohom (-on) radura, ja sogar beim Super
lativ nach vorangehendem Genitiv 981 an allaro bado them
beztom (-on), dagegen 1002 thana helagon (-gna C) geft stellt
sich P mit der schwachen Form zu M gegen C. Vgl. Grimm,
Gramm. IV, 546.
Im Verbum ist einmal Vermischung der ersten und zweiten
schwachen Conjugation (-ja- und 6-Bildung) zu verzeichnen:
gilobon (-ean) 958, was auch in C zweimal (4140. 5229)
begegnet.
In der Composition alo-uuuldo 986, alo-uualdand 998 haftet
der thematische Vocal (Grimm, Gramm. II, 625) gegenüber al-
wie C 986 und an einigen anderen Stellen schreibt, s. Heyne
im Gloss. al-mahtig und al-uualdo.
In der Adverbialbildung stimmt reht, f-o M) 967 zu C.
Aus dieser Zusammenstellung, die ein vollständiges Bild
der Hs. zu gewähren natürlich schon aus dem Grunde nicht
beanspruchen kann, weil sie einem Materiale von wenig mehr
als fünfzig Versen entnommen werden musste, ergibt sich doch
so viel, dass die Hs. der P angehörte sprachlich im allge
meinen C näher stand als M, an Consequenz und Sauberkeit
der Lautgebung, zum Theil wohl auch an Alterthiimlichkeit in
Lauten und Formen aber beide anderen Hss. übertraf.
Auch für die Textkritik ist das Bruchstück, so kurz es ist,
nicht ohne Interesse durch die Varianten, die es darbietet. Auch
Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandsclirift.
619
gewinnen wir für einige Verse (961 f. 1002—1006), welche die
Flüchtigkeit des Schreibers von M durch gleiche Worte ver
leitet übersprang, in P wenigstens einen zweiten Zeugen.
Sehe ich nun ab von den bereits besprochenen lediglich
grammatischen Varianten, und vorläufig auch von Flüchtig
keiten und falschen Schreibungen, wie der Ausfall von quam
964, fo 975, tho 994 in C und ganzen Versen in M, bethuo für
batho 981 C, gifahan für gifehan 995 C, (alo-)uualdan (auch 979?)
für (alo-)uualdand 998 C, iungres für lungres 987 M, so stellt sich
P zu M 972 thiodgumono (-mo C) bezt (? oder bezto7) 997 tliitt
(that C) is, 976 forduuardas (foruu- C, vgl. 4250); zu C 965
Giordanaftroma (Jordanes ft. M) und 980 herran (heran M) heban-
kuning. Interessanter sind die P eigentümlichen neuen Lesarten.
Leider ist gerade an zwei Stellen die Schrift stark abgerieben
und nicht mehr vollständig zu entziffern, aber es gelang doch
soviel zu lesen um mit hoher Wahrscheinlichkeit ergänzen zu
können. So gleich 959 Tho ni uuas lang te thiu, wo das noch
erkennbare auf aftar thiu führt, und 969 f. endi fprak im tho
mit is uuordon to Suuido god gumo Johannes te Kriste, wo man
mit kaum anzuzweifelnder Ergänzung als Lesart von P auf
stellen darf: endi fprak mit is uuordun te im, also wieder wie
959 eine gleichberechtigte Redewendung, 970 fehlt P. Kein
Zweifel kann über die Lesung sein bei folgenden Varianten:
996. hie gideda it f'an aftar thiu Mannom gimarid (mari),
also das praedicative Particip statt des Adjectivs, und in den
letzten M fehlenden Versen 1003 an thefaro (thefan C) mid-
dilgard, also Vertauschung des Casus und Genus, und 1004
that, quad, that (fehlt C) fcoldi Crift uuefan, also ein für den
Sinn nicht unentbehrliches Wort mehr.
Endlich sei auch auf die Glosse aufmerksam gemacht,
die über lungras (987) von derselben Hand geschrieben steht:
gitalas, sehr merkwürdig, weil dieses Wort, so viel ich sehe,
zwar ahd. und mhd. (Graff V, 655, Lexer I, 999) nicht aber
aus dem Heliand selbst oder andern sächsischen Denkmälern
bisher belegt ist. Das Bedürfniss 'einer Glossirung in P oder
wahrscheinlicher schon in der Vorlage, lässt es übrigens um
so begreiflicher erscheinen, wenn der Schreiber von M an
unserer Stelle das seltene im Heliand selbst nur noch zweimal
erscheinende lungres verlas und iungres schrieb.
620
L amb el.
Die angeführten Varianten sind grösstentheils von der
selben Art wie die von Sievers Zs. f. d. A. XIX, 71 f. be
sprochenen und können, wenn von ihnen aus ein Schluss auf
die verlorene Hs. gestattet ist, im Ganzen das Gesammtresultat
seiner Untersuchung über den Werth der Ueberlieferung (a.
a. 0. 75) nur bestätigen. 1 Aber so viel wird aus dem in P
fehlenden V. 970, den ich beurtheile wie Sievers (a. a. 0. 41)
ähnliche Lücken in M C, jedenfalls klar, dass keine der beiden
andern Hss. aus P geflossen sein kann, was dem Alter nach
sonst vielleicht denkbar wäre. Aber auch das umgekehrte
Verhältniss ist nicht anzunehmen. Für M lässt sich die Un
möglichkeit evident erweisen. Wie wäre aus dem zuletzt er
wähnten iunyres wieder das richtige durch gitalas glossirte
lungras geworden, wenn P von ilf direct abhängig wäre? Und
wen auch das noch möglich dünkte, für den müssten doch die
in M fehlenden Verse ein unwiderlegbares Argument sein.
Gegen Unabhängigkeit von C würde schon, wenigstens nach
Sievers’ Schätzung (a. a. 0. 40, Ausgabe S. XIV), das Alter
sprechen. Aber wenn man auch davon absehen wollte, so ist
nicht wohl anzunehmen, dass P selbständig eine Reihe von
Versehen und fehlenden Wörtchen, von denen nur eines (quam
964) auch dem Sinn unentbehrlich ist, in Uebereinstimmung mit
M, ja 975 (fo) auch mit dem lateinischen (sic enim decet nos
implere omnem iusticiam) gebessert und ergänzt habe. Weiter
zu gehen und aus der dreimaligen Uebereinstimmung von MC
gegen P Folgerungen ziehen zu wollen, scheint mir weder die
Natur dieser Stellen noch die Kürze des Bruchstückes zu gestatten.
Diese selbständige Stellung des neuen Zeugen für die
Verbreitung der alten Dichtung neben den andern Hss. zu
sammen mit der augenscheinlichen Sorgfalt, womit P ge
schrieben ist, lässt es doppelt beklagen, dass uns die Hs.
bis auf das eine Blatt verloren ist, und es wäre höchst werth
voll und erfreulich, wenn weiteres Augenmerk auf andere
Exemplare des genannten Werkes von Hassaeus und andere
um dieselbe Zeit in Rostock gedruckte Bücher noch mehr ans
1 So ist Behaghels ansprechender auch von Rüdiger Anz. V, 285 gebü-
ligter Vorschlag 984 atftop für afftop zu schreiben, durch das neue
Bruchstück nicht bestätigt worden.
Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
621
Licht brächte. Freilich lässt sich nicht mehr ermitteln, ob das
Buch auch wirklich in Rostock gebunden wurde, ja nicht ein
mal, woher es an die Prager Universitätsbibliothek kam; wie
man mich versichert, wird man nicht irren, wenn man an
nimmt: aus einem Kloster.
Der folgende Abdruck gibt die Hs. buchstabengetreu
wieder. Auf der. Rückseite kann die Lesung nirgends zweifel
haft sein, aber auch auf der Vorderseite glücklicher Weise nur
in wenigen Zeilen. Unlesbare Buchstaben sind durch : ange
deutet, weggeschnittene oder durch Löcher ausgefallene ausser
dem durch ( ) bezeichnet. Auf die Raumverhältnisse ist überall
möglichst Rücksicht genommen, im Druck liessen sie sich
freilich nicht immer ganz nach Wunsch anschaulich machen.
Cursiv gedrucktes ist minder deutlich oder mehr oder weniger
unsicher. Im Allgemeinen glaube ich aber an den Stellen, über
welche die Anmerkungen nicht noch besonders Aufschluss
geben, nach wiederholter sorgfältiger Prüfung meiner Lesung
sicher zu sein. An den beschädigtesten Stellen wurde mit
schonender Vorsicht auch Schwefelammonium zu Hilfe ge
nommen. Die beigegebene Tafel, welche die besser erhaltene
Rückseite wiedergibt, ist freilich nicht ganz nach Wunsch aus
gefallen : es sind einzelne Buchstaben ausgeblieben, die im
Original deutlich sichtbar sind, auch stellt sie einige Male
den Charakter der Buchstaben nicht ganz correct dar; im
ganzen gibt sie aber ein annähernd richtiges Bild der Hs.
(TS.V.958) uuili hluttro giloboN . LefteaN if lera; thuo Niuua(:) 1
(960) lang aftar 2 (: :: : : :)at im fan g(: :::;:) giu :: t 3 god ::
1 Niuua (;)] das zu ergänzende f ist knapp hinter a weggeschnitten.
2 aftar] das anlautende a ist so ziemlich erkennbar, der Rest des Wortes
dagegen unsicher; auf / kann die Spur eines Hakens über der Zeile
führen, der durch das Reagens sichtbar wurde, am Schluss glaubte ich
anfangs ein N zu sehen, was aber weder zum Ueberlieferten te thiu stimmt
noch auf etwas passendes führt, einem N kommt aber ar sehr nahe,
namentlich wenn man den Zustand des Pergamentes an der Stelle erwägt.
Die erste Lücke und der Rest der Zeile erscheinen im Druck um un
gefähr fünf Buchstaben zu weit nach rechts verschoben.
3 giu :: t] auf einer mir vorliegenden Photographie, die auch sonst einzelne
Buchstaben deutlicher hervortreten lässt, ist das ganze Wort giuuet ziem
lich deutlich zu lesen, ebenso Z. 5 fo.
622
L amb el.
(965)
(971)
(975)
egaN barn . diorlic drohtinaf luno dope fuokeaN.
U uaf im thuo an if uuaftma uualdandaf barn . CHI
5 f: hie mid thero thiodo thritig habdi. Uuintro aN
if uueroldi thuo hie an if unilleaN quä . Thar
giohannef aN giordana ftroma . CHlan langana
dag liodf managa . clopta diorlico reht fo hie thuo
if drohtiN gifah . LoldaN herraN fo uuard im
10 if hugi blidi . Thef im thie uuilleo giftuod eNdi
fprak mid 1 if wuordwN <e:: 2 Nu cumif thu t: :::a 3
ro dopi drohftiV 4 fro miN 5 Thiod gumo : o bez: 6
fo fcolda ilc te thinnro 7 duaN. B : :: d s thu bii't aWaro
cuningo er aftagoCtj 9 crift feibo gibocl Unaldand
15 «warlico tha :h :: A T if: : ak : : h :: : ::: : d : than m ::
: neft thu that lü uf fo gerisid quacf hie allaro rehto
1 Ob mid oder mid ist nicht zu entscheiden, das Pergament ist gerade in
der Höhe des Querstriches umgebogen und in Folge dessen kann der
letztere weggeriehen sein.
2 te : : (erg. im)] e ist zum Theil abgerieben aber wahrscheinlich, da der
Strich unten nach rechts gekrümmt ist. Für im ist gerade Kaum. Zu
sehen ist nicht mehr als ein gekrümmter Strich, wohl der mittlere von
m, wie in der Zeile vorher; der Verspunkt ist unsicher. Das fg. N ist
durch ein kleines Loch theilweise zerstört aber deutlich.
3 t: : : : a] t ist sehr unsicher und der erkennbare Strich könnte auch von
einem e sein. Das a am Schlüsse der Zeile ist ziemlich sicher, vorher
glaubte ich auch noch iN und selbst von einem m eine unsichere Spur
zu erkennen.
4 drohliff] von der rechten Hälfte des h an sehr verblasst aber erkennbar.
5 Der Verspunkt nach miN ist hier so wenig als Z. 14 nach gibod mit
Sicherheit zu erkennen, T verblasst aber erkennbar.
6 Ob bez : oder bez : : d. h. bezt oder bezto anzusetzen, ist nicht mehr zu
entscheiden. Auf der Photographie tritt z, wovon auf dem Original nur
noch eine leise Spur zu sehen ist, ziemlich deutlich hervor; ebenso in
gumo: o zwischen den o ein Schimmer wie von N, was nach dem Kaum
zu erwarten ist.
7 thinoro] a ist schwach aber nicht zu bezweifeln.
8 £ : : : d] bei günstigem Licht glaubte ich JxuaNd zu erkennen.
9 cra/to(?oft] a sah ich so lange das Reagens wirkte.
10 that] das auslautende t ist durch eine Lücke theilweise zerstört, ebenso
in gerißd der obere Theil des d ober dem Querstriche, an dem ich nach
genauer Prüfung nicht zweifeln kann; in quad ist der Querstrich bis
auf eine schwache Spur erloschen.
Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
623
geliuilic 1 . tegifulleanna foräuuardal Nu . CfN
godaf uuilleaN; giohannef ftuod. dopta allajV dag
druht folc mikil. Uuerod aN uuatara eNdi ok
20 uualdand crift. JßerraN hebaN kuning handoN
finom 2 . CIN allaro bado them beztom eNdi im
thar te beda gihneg. Cl/N knio kraftag crift
upp 3 giuuet. fagar fan them fluoda fridit 4
barn godaf. Liof liodio uuard; fo hie thuo that
land af ftuop . (f: :::::: d)uN thu( : ::: :)laf 5 doru
eNdi quä thie helago geft. fon them alouualdoN
gitalaf
ohana te crifta . Uuaf im aN gelicneffia lungraf
5 fuglaf. diurlicaro duboN eNdi fat im uppaN ufaf
drohtinaf ahflo . UuuNoda im obor them uualdan
daf barna aftar quä thar uuord fan himila . 'Elud faN
them hohom radura eNdi gruotta thana heland felbaN.
C rifta allaro kuningo beztoN quad that hie ina 6 gicoranaN
10 habdi. felbo fan finum rikea quad that im thie funo
licodi. t)ez : 7 allaro giborenaro manno quad that
1 geliuilic] e (schwerlich i) wird richtig sein; auf der Photographie erscheint
es ziemlich sicher.
2 handoN finom] die o sind sehr zweifelhaft und u nicht ausgeschlossen;
in handoN sieht es aus als wären o und u aufeinander geschrieben: eins,
mir schien es das u, ist täuschender Schatten des sehr gedunkelten
Pergaments.
3 app] von dem ersten p ist wenigstens die obere Hälfte ziemlich deutlich,
das zweite weniger, doch ist ein dritter Buchstabe zweifellos.
4 fluoda frid?/] a ist verdunkelt aber an dem schrägen Strich zweifellos er
kennbar, e ist unmöglich, dagegen in fridu ist u kaum zu erkennen.
5 In den Lücken sind die Buchstaben / und d nur zum Theil, von den i
vor d und l nur noch die unteren Beste als Punkte erhalten, vom u in
thu(o) ist der zweite Strich zur Hälfte ausgefallen. Auch hier erscheint
im Druck die erste Lücke und von da an der Best der Zeile um einige
(etwa drei) Buchstaben zu weit rechts.
6 ina] hier, Z. 18 godaf, drohtinaf und minder deutlich Z. 5 fat nähert sich
das o, indem die Schlinge über den schrägen Strich hinausragt, mehr
oder weniger einem <e: dass es wirklich für ein solches zu nehmen sei,
glaube ich nicht; das e (auf der Tafel in godaf ist die überragende
Schlinge fast zu stark gerathen) wäre doch gar zu klein und auch sonst geht
die Schlinge des a öfters kaum merklich über den schrägen Strich hinaus.
1 bez:] von dem auslautenden t ist kaum noch ein unsicherer Schimmer
zu sehen.
624
L am bei. Ein neuentdecktes Blatt einer Heliandhandschrift.
he im uuari allaro barno lioboft. That muofta giohaniis
(995) thuo all fo it god uuelda . 3ifehaN eNdi gihoriaN hie
gideda it faN aftar thiu . IDannom gimarid that fia
15 thar mahtigna . herrolsT habduN thitt if quad hie
heban kuningaf funo . GN alouualdand ; thefaf uuilleo
ik urkundeo . UuefaN an thefaro uueroldi uuand it
(1000) fagdami uuord godaf. drohtinaf ftemna thuo hie
mi dopeaN hiet. Uuerof aN uuatara fobuar fo ik gifauue
20 uuarlico . Thana helagon geft fan hebanuuanga .
CtN thefaro iniddilgard enigaN maNN uuaroN .
C umaN mid eraftu that quad that fcoldi crift uuefaN.
(1005) d iorlic drohtinaf funo hie dopean fcal. CfN thana
Hans Lambel. ,Ein neuentdeoktes Blatt einer Heliandhandschrift. 1
’d&f: - L tpf tiodia
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Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissenseh. phil.-hist. Classe. XCVTI. Bd. II, Hft. 1880.
♦
XX. SITZUNG VOM 6. OCTOBER 1880.
Se. Excellenz der Präsident begrüsst die Classe bei ihrem
ersten Zusammentreten nach den Ferien und das neu ein
getretene Mitglied Herrn Custos Haupt insbesondere.
Dankschreiben sind eingelaufen von Herrn Professor
Dr. Rudolf von Roth in Tübingen für seine Wahl zum aus
ländischen Ehrenmitglied, und von den Herren Custos Dr. Ernst
Ritter von Bergmann und Professor Dr. Moriz Tliausing
in Wien für ihre Wahl zu correspondirenden Mitgliedern im
Inlande.
Herr Professor Dr. David H. Müller in Wien dankt für
die ihm bewilligten 500 Gulden, welche das w. M. Herr Alfred
Ritter von Krem er seinerzeit zum Zwecke der Drucklegung
einer Textesausgabe des Gazirat al Arab von Hamdäni hinter
legt hat.
Mit Begleitschreiben wurden folgende Werke eingesendet:
1. ,Die Polizeiverwaltung Wiens im Jahre 18790
2. ,Zur Geschichte der königlichen Museen in Berlin';
3. ,Geschichte des Benedictinerstiftes Admont vom Jahre
1466 bis auf die neueste Zeit' von P. Jacob Wichner;
4. ,Lekach Tob', kritisch bearbeitet und commentirt von
Salomon Bubner; v
5. ,Cachme Hadorot' von Friedländer.
Herr Regierungsrath Dr. C. Ritter von Wurzbach über
mittelt den 41. Theil seines ,Biographischen Lexikons des
Kaiserthums Oesterreich' mit dem Ersuchen um Gewährung
des üblichen Druckkostenbeitrages.
Von dem w. M. Herrn Dr. Pfizmaier wird eine für die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Darlegungen aus der
Geschichte des Hauses Sui' vorgelegt.
Sitzungsber. d. pliil.-liist. CI. XCVII. Bd. III. Hft.
40
626
Das w. M. Herr Sectionsratb Fiedler legt für die ,Fontes
rerum Austriacarum' ein ,Urkundenbuch des gewesenen Cister-
cienserstiftes Yictring in Kärnten', bearbeitet von Herrn Joseph
Fresacher, vor.
Die Vorlage geht an die historische Commission.
Von dem w. M. Herrn Professor Dr. Werner wird eine
für die Denkschriften bestimmte Abhandlung überreicht, welche
den Titel führt: ,Kant in Italien'.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Aeademie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique:
Bulletin. 49“ Annee, 2° Serie, Tome 49, Nos. 5—8. Bruxelles, 1880; 8".
— des Sciences, des Arts et Belles-Lettres de Dijon. 3° Serie. Tome 6 e ,
Annees 1878—1879. Dijon, Paris, 1879; 8°.
— des Inseriptions et Belles-Lettres: Comptes-rendus. 4° Serie, Tome VIII.
Paris, 1880; 8°.
Akademie der Wissenschaften, königl. preussische, zu Berlin: Monats
bericht. April, Mai und Juni 1880. Berlin; 8°. — Politische Correspon-
denz Friedrichs des Grossen. IV. Baud. Berlin, 1880; 4°.
— königl. bair., zu München: Sitzungsberichte der philosophisch-philo
logischen und historischen Classe. 1880. Heft I. München, 1880; 8°.
Alcademija, jugoslavenska znanosti i umjetnosti: Rad. Knjiga LII a LIII
U Zagrebu, 1880; 8°.
British Museum: Catalogue of oriental coins. Vol. V. London, 1880; 8°.
Ferdinandeum: Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg. 3. Folge. XXIV. Heft.
Innsbruck, 1880; 8°.
Gesellschaft, gelehrte estlinisehe zu Dorpat: Verhandlungen. IX. Band,
Dorpat, 1879; 8°. — X. Band, 1. Heft. Dorpat, 1880; 8°.
— deutsche morgenländische: Zeitschrift. XXXIV. Band. 2. Heft. Leipzig
1880; 8°. — Abhandlungen fiir die Kunde des Morgenlandes. VII. Band.
Nr. 3. Leipzig 1880; 8°.
M i tthei lungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Petei-
mann. XXVI. Band, 1880. VIII. und IX. Gotha; 4». — Ergänzungsheft
Nr. 62. Gotha, 1880; 4°.
— archäologisch-epigraphiselie aus Oesterreich. IV. Jahrgang, 1. Heft.
Wien, 1880; 8».
Society, the philosophieal of Adelaide South Australia: Transactions and
Proceedings and Report for 1878/79. Adelaide, 1879; 8°.
— the royal geographical: Proceedings and monthly Record of Geography.
Vol. II, Nr. 7—9. Jnly—September 1880. London; 8°.
Pfizmaier. Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
627
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
Von
Br. A. Pfizmaier,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Uie vorliegende Abhandlung enthält in der Form von
Lebensbeschreibungen eine Reihe von Darlegungen aus der
Geschichte des Hauses Sui (581—617 n. Chr.), welche, mit
einander in Verbindung stehend, grösstentheils auf die inneren
Vorgänge in dem damaligen China sich beziehen. Die vor
Augen geführten, in ihrer Art einzig dastehenden Ereignisse,
von den Geschichtschreibern zugleich als Lehren und als
Warnungen betrachtet, bieten in der ihnen hier zu Tlieil ge
wordenen ausführlichen Schilderung einen tiefen Einblick in
eigenthümliche, bisher ungekannte Verhältnisse. Am Schlüsse
der Nachrichten von den Söhnen des Kaisers Kao-tsu sagt das
Buch der Sui, von Alters her habe es Absetzungen achter
Söhne, Einsetzungen gemeiner Söhne, Umstürzungen der Seiten
geschlechter, Niederreissungen des Stammhauses viele gegeben,
untersuche man jedoch das Unglück der Zerrüttung und des
Untergangs, so sei noch nichts gleich der Verderblichkeit der
Männer, welche Sui besassen, vorgekommen. Man erklärt
daraus die kurze Dauer dieses Hauses.
Yung, König von Fang-ling.
J| Yung, König von Fang-ling, dessen Jüng
lingsname Hien-ti-fa, war der älteste Sohn Kao-
tsu’s, d. i. des Kaisers Wen von Sui. In dem Zeitalter der
tsu’s, d. i. des Kaisers Wen von Sui. In dem Zeitalter der
40*
628
Pfizmaier.
späteren Tscheu wurde er wegen seiner Verdienste in dem
Kriegsheere Thai-tsu’s zum Lehensfürsten von Pö-p’ing ein
gesetzt.
Als Kao-tsu die Lenkung stützte, wurde Yung zum Sohne
des Zeitalters ei’hoben, zu einem grossen Heerführer, ferner
zum Vorsteher der Leibwache zur Linken ernannt und in das
Lehen eines Fürsten der Landschaft Tschang-ning eingesetzt.
Hierauf austretend wurde er allgemeiner Leitender von
Lö-tscheu, kleiner Tschung-tsai 1 der östlichen Mutter
stadt und verwaltete das gesammte Gebiet des alten Hauses
Thsi. Später wurde er in die Mutterstadt zurückberufen und
hinsichtlich der Rangstufe zum oberen das Reich als Pfeiler
Stützenden, zum grossen Vorsteher der Pferde, leitenden inneren
Vermerker und kaiserlichen Richtigen befördert. Die Leib
wachen der verschlossenen Abtheilung des Palastes wurden ihm
zugetheilt.
Als Kao-tsu die Altäre der Landesgötter in Empfang nahm,
erhob er Yung zum kaiserlichen grossen Sohne und hiess ihn
in Sachen des Kriegsheeres und der Lenkung des Reiches,
ferner an Meldungen des obersten Buchführers an dem Hofe,
wo es sich um todeswürdige und geringere Verbrechen handelte,
theilnehmen und entscheiden.
In Betracht, dass das Volk des Landes im Osten der
Berge häufig auswanderte und sich zerstreute, schickte der
Kaiser einen Abgesandten und hiess ihn die Sache untersuchen.
Ferner wollte er das Volk nach Norden versetzen und mit ihm
die Versperrung der Gränzgegenden ausfüllen. Yung reichte
das folgende Schreiben empor, in welchem er hiergegen Vor
stellungen machte:
,Ich vermesse mich, zu meinen, hei Leitung der Gewohn
heiten solle man allmälig Vorgehen. Man darf nicht hastig
verändern. Die Erde lieben, in dem Busen das Alte tragen,
sind die Grundleidenschaften des Volkes. Wie Wellen zer
laufen, entfliessen und sich trennen, dessen kann es sich näm
lich nicht enthalten. Gegen das Ende der Thsi war der Ge
bieter abgeschlossen, der Zeitlauf verfinstert. Tscheu stellte
den Frieden wieder her in dem östlichen Hia. Er setzte es
1 Tschxmg-tnai bedeutet an sieh grosser Vorgesetzter.
Darlegungen aus der Geseliiehte des Hauses Sui.
629
fort durch Strenge und Bedrückung. Das Volk konnte die
Befehle nicht vollziehen. Man bewirkte, dass es entlief und
auswanderte. Es hielt sich keineswegs an Haus und Bezirk.'
,Ieh würde wünschen, dass man Einkehren errichte und
in sie die Ungehorsamen und Aufrührer der drei Gegenden aus
den vergangenen drei Jahren aufnehme. Man verlässt sich
auf die Menschlichkeit und höchste Weisheit desjenigen, vor
dem ich unter den Stufen stehe, vertraut in der Verborgen
heit auf Ernst und Klarheit. Sind Schwertspitzen und Klingen
auch weggenommen, die Wunden sind noch nicht geheilt. Wenn
man die Kopfwaschung, das Baden, 1 die kaiserlichen Sitten
mehrerer Jahre leiht, werden die entlaufenden und entweichen
den Genossen sich von selbst dem Stamme zuwenden. Sind es
auch die gewaltthätigsten der nördlichen Fremdländer, stürmten
sie auch einst gegen die Leuchtfeuer der Gränzgegenden, wenn
jetzt die Festen niedergehalten werden, die Wohnorte auf den
Höhen stark gesichert sind, wie könnte man Uebersiedelung
und Zusammengesellung erwarten und dadurch Beschwerlich
keit und Störung zuwege bringen? In Betracht beständiger
Vergeblichkeit und Irrung will ich zwei Zoll Wahrheit bieten,
leiten und sehen. Ich bringe ohne Weiteres das Längstver-
gangene zu Ohren'.
Der Kaiser überblickte die Schrift und fand sie gut. Er
liess hierauf die Sache auf sich beruhen.
In späterer Zeit gingen die Sachen der Lenkung nicht
von Statten. Es wurde vieles vermindert oder vermehrt. Der
Kaiser nahm es immer an.
Der Kaiser sprach einst leichthin zu seinen Dienern: In
früheren Zeitaltern versanken Kaiser und Könige in Begünsti
gung und Beglückung. Dieses war es, wodurch Absetzung
und Einsetzung entstanden. Mir zur Seite befinden sich keine
Nebengemahlinnen und Aufwärterinnen. Meine fünf Söhne
sind von einer und derselben Mutter. Man kann sagen, sie
sind wirkliche Brüder. Könnte es sein wie in früheren Zeit
altern, wo bei häufigen Begünstigungen im Inneren unächte
Söhne sich ereifernd stritten, den Weg untergehender Reiche
bahnten?
Kopfwaschung und Baden bezeichnet die Sitten des mittleren Reiches.
630
Pfizmaier.
Yung liebte ziemlich das Lernen. Er erklärte die ange
hängten Worte und die bilderlosen Gedichte. Von Gemüthsart
war er grossmüthig, menschlich, verträglich, ernst, entschlossen,
beharrlich. Im Wandel ohne Falschheit und Verstellung, brachte
er die Dinge ans Licht, konnte verzichten und weithin unter
suchen. mm m Lö-khai-ming und Andere waren seine
Gäste und Freunde.
Yung verzierte einst mit bunten Zeichnungen Panzer von
I||j Schö. Der Kaiser sah es und hatte keinen Gefallen daran.
Er meinte, dass Yung allmälig sich an Verschwendung ge
wöhnen werde. Bei diesem Anlasse ermahnte er ihn mit den
Worten: Ich habe gehört, der Weg des Himmels ist ohne nahe
Verwandte. Bloss die Tugend wird zugesellt. Wenn man der
Beihe nach die früheren Zeitalter betrachtet, so gab es unter
den Kaisern und Königen noch keinen, welcher verschwenderisch
und prachtliebend gewesen und langer Dauer theilhaftig ge
worden wäre. Du sollst dem Gebieter zugetheilt sein. Wenn
du nicht nach oben das Herz des Himmels abwägst, nach unten
auf die Gedanken der Menschen eingehst, wie kannst du das
Wichtige des Stammhauses und Ahnentempels in Empfang
nehmen, über den Millionen des Volkes das Verbleiben haben?
Ich habe von den Kleidern der Tage von ehemals je eines
zurückbehalten. Um die Zeit betrachte ich sie wieder und
lasse sie mir eine Mahnung sein. Jetzt schenke ich dir ein
Messer. 1 Du sollst daran mein Herz erkennen.
Später, um den Zeitabschnitt der Ankunft des Winters,
erschienen die Obrigkeiten bei Yung an dem Hofe. Yung liess
Musik aufführen und empfing die Glückwünsche. Kao-tsu er
fuhr dieses. Er fragte die Diener des Hofes: Ich hörte unlängst,
dass an dem Festtage die Obrigkeiten des Inneren und Aeusseren,
einander vorangehend, in dem östlichen Palaste an dem Hofe
erschienen. Welcherlei Gebräuche sind dieses?
y jjff Sin-tan, der kleine Beichsdiener des grossen Be
ständigen, antwortete: In dem östlichen Palaste findet Beglück
wünschung statt. Man darf nieht sagen: an dem Hofe erscheinen.
Kao-tsu sprach: Dass man den Zeitabschnitt wechselte
und Beglückwünschung vorgab, geschah gerade dreimal. Wenn
Woli] ein Messer oder kleines Schwert, welches zu dem Änznge gehörte.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sni.
631
mehrere Zehende von Menschen ihrer Leidenschaft nachjagen,
welche Mittel hat Jeder, sich zu entfernen? Die Inhaber der
Vorsteherämter rufen herbei, zu einer Zeit ist man allgemein
versammelt. Der grosse Sohn ist der Vorschrift gemäss ge
kleidet. Unter Aufführung von Musik empfängt er sie. Wenn
der östliche Palast also verfährt, so ist dieses ausnehmendes
Verstossen gegen die Anordnungen der Gebräuche.
Hierauf erging eine höchste Verkündung, welche lautete:
Die Gebräuche haben Abstufungen und Unterschiede. Gebieter
und Diener werden nicht mit einander verwechselt. Seit dem
nahen Zeitalter ward die Lehre der Höchstweisen allmälig ver
ringert. Im Verbeugen und Emporblicken jagte man der Leiden
schaft nach. Hierdurch brachte man im Umhergehen die Ge
wohnheiten auf. Hat der kaiserliche grosse Sohn auch seinen
Platz in der obersten Nachfolge, von Rechtswegen ist er
zugleich Diener und Sohn. Dass aber die Landpfleger der
Gegenden und der Berghöhen zur Zeit des richtigen Winters
an dem Hofe erscheinen und Glück wünschen, je nach dem
Boden den Tribut bestimmen, dann noch besonders zu dem
östlichen Palaste emporsteigen, diese Sache ist keineswegs den
Vorbildern gemäss. Es ziemt sich, mit all’ diesem aufzuhören
und es abzuschneiden.
Seitdem begannen Gnade Und Gunst zu schwinden, und
es kam allmälig zu Argwohn und Abschliessung.
Um die Zeit befahl Kao-tsu, die aufwartenden Obrigkeiten
der Leibwache des Stammhauses zu wählen und sie in die Leib
wache des Nachtlagers in ± igf. Schang-thai eintreten zu
lassen. ’yjäj Jp| Kao-ying machte eine Meldung an dem Hofe,
worin er vorgab, wenn man alle rüstigen Leute wegnehme, sei
zu fürchten, dass "die Leibwache des Nachtlagers für den öst
lichen Palast grosse Einbusse erleide.
Kao-tsu wurde rotli und sprach: Ich war lange Zeit in
Thäfigkeit. Die Leibwache des Nachtlagers muss tapfere und
ausgezeichnete Männer erlangen. Wenn der grosse Sohn die
Tagend pflegt, wozu brauchen dann in dem östlichen Palaste
die Leute der Umgebung stark und kriegsmuthig zu sein ?
Dieses ist äusserste Niederwerfung der Vorschrift, es sind
durchaus nicht meine Gedanken. So wie ich es ermesse, wendet
sich an dem Tage des Zusammentreffens der Wachen ein Theil
-UUÜÜ
632 Pfizmaier.
zu dem östlichen Palaste. Die Genossenschaften von fünf
Menschen in den oberen und unteren Umschliessungen sondern
sich nicht. Wie sollte dieses keine gute Sache sein ? Ich habe
genau die früheren Zeitalter betrachtet. Ihr brauchet euch
nicht an die alte Sitte zu halten.
Der Kaiser vermuthete nämlich, dass man dem Sohne
Kao-ying’s die Tochter Yung’s zur Gemahlin geben wolle. Er
äusserte sich mit diesen Worten, um es zu verhindern.
Yung schenkte im Inneren des Palastes Vielen seine Gunst.
j|J|| Tschao-liiiin von dem Geschlechte fpl Yün war angeb
lich die am meisten begünstigte. Sie wurde wie eine erste
Gemahlin behandelt. Die zu dem Geschlechte Yuen ge
hörende königliche Gemahlin Yung’s wurde keiner Gunst theil-
haftig. Dieselbe wurde einst von Herzweh befallen und starb
nach zwei Tagen. Die Kaiserin jgjj Hien 1 schrieb dieses einer
anderen Ursache zu. Sie blickte sehr vorwurfsvoll auf Yung.
Seitdem kümmerte sich Tschao-hiün von dem Geschlechte Yün
ausschliesslich um die Verwaltung des Inneren.
Die Kaiserin wurde immer unruhiger. Sie entsandte ab
seits Menschen, welche ausspähen und nach Verbrechen Yung’s
forschen sollten. Der König von Tsin 2 erfuhr dieses und
war noch mehr voll Falschheit und Verstellung. Von den
Nebenfrauen schaffte er bloss die Zahl herbei und wohnte nur
mit der königlichen Gemahlin von dem Geschlechte Siao. 3
Die Kaiserin schätzte desswegen Yung geringer imd rühmte
den tugendhaften Wandel des Königs von Tsin.
Als später der König von Tsin an den Hof kam, be
kundeten dessen Wagen und Pferde, die Aufwartenden und
Begleiter Sparsamkeit. Ganz ehrerbietig heim Zusammentreffen
mit den Dienern des Hofes, war er bei seiner Artigkeit äusserst
demüthig. Er erlangte einen sehr guten Ruf, den besten unter
den Königen.
Im Begriffe, nach Yang-tscheu zurückzukehren, trat
er in das Innere und verabschiedete sich von der Kaiserin.
1 Die Kaiserin Hien ist die Mutter dos Königs Yung.
2 Der König von Tsin ist der spätere Kaiser Yang.
3 Die spätere Kaiserin von dem Geschlechte Siao, Gemahlin des späteren
Kaisers Yang.
Dabei trug er ihr die Worte vor: Mein Niederhalten und Be
wachen hat eine Gränze, ich meide eben euer Angesicht. Die
Liebe des Dieners und Sohnes ist wirklich an das Herz ge
knüpft. Wurde einmal Abschied genommen an den Stufen und
dem kleinen Thore, habe ich kein Mittel, aufzuwarten und zu
huldigen. Die bestimmte Zeit für Verbeugung und Sehen ist
umnachtet in nicht vielen Tagen. — Alsbald schluchzte er und
vergoss Thränen. Er warf sich zu Boden und war unfähig,
sich zu erheben.
- Auch die Kaiserin sprach: Du bist im Begriffe, deine
Stadt niederzuhalten. Ich bin zudem von Jahren alt. Bei
dem gegenwärtigen Abschied ist durchaus eine immerwährende
Trennung. — Ihre Thränen rollten ebenfalls herab. Ihm gegen
über sich befindend schluchzte sie.
Der König sprach: Ich bin von Gemüthsart und Verstand
unwissend und untergeordnet. Ich bewahrte beständig durch
mein ganzes Leben den Gedanken der Brüderlichkeit. Ich
weiss nicht, welchen Verbrechens wegen ich der Liebe ver
lustig ward in dem östlichen Palaste. Man nährt fortwährend
vollkommenen Zorn, will Schlachtung und Einsinken hinzu
fügen. Ich fürchte immer, dass Verleumdung entsteht auf dem
geworfenen Weberschilf, das Gift des Giftvogels angetroffen
wird in dem Weinbecher und auf dem Löffel. Ich habe Kummer,
Sorge, häufe das Nachdenken. Bangend trete ich auf Gefahr
und Untergang.
Die Kaiserin rief erbost: Hien-ti-fä 1 ist nachgerade rdcht
zu ertragen. Ich suchte und fand für ihn eine Tochter des
Hauses Yuen. Ich hoffte auf die Beschäftigung des hohen Fuss-
gestells. Zuletzt hörte ich nicht, dass sie Mann und Weib sind.
Er schenkt seine Günst ausschliesslich m m O-yün. 2 Seine
Braut war ursprünglich frei von Krankheit und Schmerz,
ünvermuthet starb sie eines plötzlichen Todes. Er schickte
Menschen, welche ihr Arzneien zuwarfen, er brachte dieses
unzeitige Hinscheiden zu Stande. Da die Sache bereits so
\
!
1 Hien-ti-fä ist, wie im Anfänge angegeben worden, der Jünglingsname
des Königs Yung.
2 O-yün steht für den Namen Yün-tschao-hiün, d. i. Tsehao-hiün von dem
Geschlechte Yün.
634
Pfizmaier.
weit gekommen, kann ich auch nicht es erschöpfend schlichten.
Durch welches Mittel könnte ich dir Mittheilung machen? Da
Misshelligkeit in einem solchen Masse entstanden, glaubt er,
ich gebe dir den Vorzug. Nach meinem Tode wird er dich
wie Fischfleisch zerhacken! Ich denke immer an den östlichen
Palast. Zuletzt gibt es daselbst keine rechtmässige erste Ge
mahlin. Tausend Herbste, zehntausend Jahre nach dem Höchst
geehrten schickt man euch Brüder zu O-yiin. Meine Kinder
verbeugen sich vor ihr zweimal, werden befragt. Wie viele
grosse Bitterkeiten und Schmerzen bringt dieses mit sich!
Der König verbeugte sich wieder und konnte nicht auf
hören, zu klagen und zu schluchzen. Auch die Kaiserin war
bekümmert und ihrer selbst nicht mächtig.
Nach diesem Abschiede wusste man, dass die Vorsätze
der Kaiserin wechselten. Sie begann Pläne zur Entreissung
des Stammhauses zu entwerfen. Sie zog somit ^ Tschang-
heng an sich, damit er die Weise der Ausführung bestimme,
entsandte dann 3t Mk Yü-wen-schö, Fürsten von ^ Pao,
damit er sich fest mit ^ Yang-yö 1 verbinde und diesen
den hohen Willen ^ ^ Yang-su, Fürsten des Reiches ^
Yue, verkünden und ihm zugleich diese Worte der Kaiserin
ausrichten lasse.
Yang-su sprach zaghaft: Ich weiss nur nicht, wie es mit
der Kaiserin steht. Es ist gewiss, wie gesagt wird. Was gibt
es, das ich noch thun könnte?
Einige Tage später trat Yang-su ein und machte bei einem
Feste seine Aufwartung. Er rühmte verdeckter Weise die
Kindlichkeit, Brüderlichkeit, Ehrerbietung und Sparsamkeit des
Königs von Tsin, welcher dem Höchstgeehrten ähnlich sei.
Hierdurch forschte er die Kaiserin über ihre Absichten aus.
Die Kaiserin sprach weinend: Ihr redet recht. Mein Sohn
ist in grossem Masse kindlich und gehorsam. So oft er hört,
dass der Höchstgeehrte und ich einen Abgesandten des Inneren
schicken und anlangen, kommt er sicher an der vordersten
Gränze entgegen. Wenn von Weggehen und Trennung die
Rede ist, geschah es noch niemals, dass er nicht weinte. Ferner
ist seine Braut auch sehr zu bedauern. Ich lasse Mägde sich
* Yang-yö ist der jüngere Bruder Yang-su’s,
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
635
wegbegeben, damit sie bei ihr schlafen und mit ihr speisen.
Sollte es sein wie bei Hien-ti-fä, der mit O-yiin Gemeinschaft
hat, ihr gegenüber sitzt, des Weines sich freut, Feste gibt und
kleinen Menschen vertraulich sich nähert? Ich vermuthe, dass
er Fleisch und Knochen 1 abschliesst. Wesswegen ich m Ji 2
O-rna 3 noch mehr bedauere, es ist, dass er immer fürchtet,
man werde ihn auf heimliche Weise tödten.
Als Yang-su einmal die Gedanken der Kaiserin kannte,
sagte er frei heraus, der grosse Sohn sei untauglich. Die
Kaiserin übersandte hierauf Yang-su Gold. Sie richtete jetzt
ihre Gedanken auf Absetzung und Einsetzung.
Yung kannte ziemlich diese Anschläge und empfand
Kummer und Furcht. Er hatte nichts zum Ausgangspunkte
seiner Berathungen. Als er hörte, dass J jjäjjj Wang-fu-
hien, ein Mensch von Sin-fung, wahrsagen und erspähen könne,
berief er diesen und befragte ihn. Wang-fu-hien sprach: Ein
weisser Regenbogen umsehliesst das Thor des östlichen Palastes.
Das grosse Weiss 4 dringt gegen den Mond. Es sind Bilder
dessen, dass der kaiserliche grosse Sohn abgesetzt wird und
sich zurückzieht.
Man bildete aus fünf Arten von kupfernen und eisernen
Waffen die Erdrückungen und Ueberwindungen. Ferner er
baute man innerhalb des rückwärtigen Gartens ein Dorf der
gemeinen Menschen. Dächer und Vordächer waren unansehn
lich und niedrig. Der grosse Sohn schlief darin eine Zeitlang.
Er hoffte dadurch der Vorbedeutung entgegen zu wirken.
Kao-tsu wusste, dass Yung unruhig war. In dem Palaste
Jin-scheu sich aufhaltend, liess er Yang-su sich nach
Yung umsehen. Als Yang-su zu dem östlichen Palaste gelangte,
ruhte er aus und trat nicht sogleich ein. Yung gürtete sich
und erwartete ihn. Jener stieg geflissentlich lange Zeit nicht
empor, um Yung zum Zorne zu reizen. Yung war darüber
unwillig und gab es durch Worte und Mienen zu erkennen.
1 Fleisch und Knochen bezeichnet die Blutsverwandten.
2 In dem Zeichen JgS ist statt das Classenzeichen zu setzen.
3 O-ma ist der Jünglingsname des Königs von Tsin.
4 Das grosse Weiss ist der Planet Venus.
636
P f i z m a i e r.
Als Yang-su zurückk ehrte, sagte er, Yung sei von Groll
erfüllt, es sei zu fürchten, dass noch andere Veränderungen
geschehen. Es sei zu wünschen, dass man streng abwehre und
untersuche. Als Kao-tsu von den Verläumdungen und Ver
unglimpfungen Yang-su’s hörte, war er sehr im Zweifel. Die
Kaiserin schickte ferner Menschen zur Ausspähung. Die un
bedeutendsten Dinge des östlichen Palastes wurden an dem
Hofe zu Ohren gebracht. Man gab den GährungSstoff hinzu
und fügte somit Verbrechen zusammen.
Kao-tsu, durch die verkehrten Berathungen irregeführt,
hatte hierauf Abneigung gegen Yung. Er stellte jetzt von dem
Thore Hiuen-wu bis zu dem Thore |j£ ^ Te-men
nach Ermessen Späher auf, damit sie Thätigkeit und Ruhe
beobachten. Alles wurde sachgemäss an dem Hofe zu Ohren
gebracht. Ferner wurde befohlen, alle Namentafeln der Men
schen der Leibwache des Nachtlagers in dem östlichen Palaste,
von denjenigen der aufwartenden Obrigkeiten aufwärts, dem
Sammelhause der Leibwache zuzutheilen. Die starken Männer
schloss man sämmtlich ab und entfernte sie.
Der König von Tsin hiess ferner {3^ ^ Kia-thä für sich
Ki-wei, einen begünstigten Diener des östlichen Palastes,
Güter und Waaren übersenden und diesem auftragen, Nach
richten von dem grossen Sohne zu sammeln und sie Yang-su
zu hinterbringen. Hierauf gab es in dem Inneren und Aeusseren
Lärmen und Schmähen. Von Uebertretungen und Vergehen
wurde täglich gehört.
Kia-thä schüchterte Ki-wei ein, indem er sagte: Die Ver
brechen und Uebertretungen des östlichen Palastes sind dem
Vorgesetzten und Höchsten bekannt. Man hat bereits eine
heimliche höchste Verkündung empfangen. Es ist bestimmt,
dass man absetzen und einsetzen wird. Wenn ihr die Sachen
hinterbringen könnet, so werdet ihr in grossem Masse reich
und vornehm. — Ki-wei willigte alsbald ein.
Im neunten Monate des Jahres, Tag Jin-tse (49), kamen
die Wagen aus dem Palaste Jin-scheu angefahren. Am nächsten
Tage bezog der Kaiser die grosse Halle * J* Ta-hing. Er
sprach zu den aufwartenden Dienern: Ich bin eben erst nach
der Mutterstadt zurückgekehrt. Ich sollte offenbar Freude im
Darlegungen ans der Geschichte des Hanges Sui.
637
Busen tragen. Ich weiss nicht, was es bedeutet, dass ich so
traurig und bekümmert bin.
*yh Nieu-hung, oberster Buchführer von der Abtheilung
der Angestellten, erwiederte: Weil die Diener nicht ihre Pflicht
erwägen, desswegen ist der Höchstgeehrte bekümmert.
Kao-tsu, dem bereits mehrmal Verläumdungen zu Ohren
gebracht wurden, muthmasste, dass die Diener des Hofes wankel-
müthig seien. Er stellte daher diese Frage und hoffte, dass
er von den Vergehen des grossen Sohnes zu hören bekommen
werde. Die Antwort Nieu-hung’s war ganz gegen seinen Wunsch.
Er sagte jetzt zu den Obrigkeiten des östlichen Palastes: Der
Palast Jin-scheu ist von hier nicht weit entfernt. Aber man
heisst mich immer in die Mutterstadt zurückkehren, hält eine
starke bewaffnete Leibwache bereit, als ob ich in Feindesland
träte. Ich bin darob sehr besorgt. Ohne die Kleider auszu
ziehen, lege ich mich nieder. Gestern Nacht wollte ich einen
nahen abgeschlossenen Ort erlangen und befand mich desshalb
in einem rückwärtigen Gemache. Ich fürchtete, dass etwas
mich zur Eile mahnen werde, und zog in die vordere grosse
Halle hinüber. Wie sollte es nicht sein, dass ihr mein Haus
niederreissen möchtet?
Er liess hierauf Jg ❖ M Thang-ling-tsi und einige
Andere festnehmen, sie den betreffenden Vorstehern übergeben
und sie verhören. Er hiess Yang-su den Stand der Sachen des
östlichen Palastes darlegen und es den nahestehenden Dienern
melden.
Yang-su sagte es offen mit den Worten: Ich empfing den
kaiserlichen Befehl, wandte mich zu der Mutterstadt und hiess
den kaiserlichen grossen Sohn die noch übrigen Genossen ^jj
Jgj -j- Lieu - khieü- sse's in Untersuchung ziehen. Als der
grosse Sohn die höchste Verkündung empfing, ward er roth
und schnellte heftig empor. Er sagte zu mir: Die Genossen
Lieu-khieu-sse's wurden sämmtlich nach dem Gesetze schuldig
befunden. Wohin schickt man mich, damit ich es bis zur Er
schöpfung zurecht bringe? 5^ Wei-khi, welcher die Stelle
eines Vorgesetzten des Pfeilschiessens zur Rechten bekleidet,
verschmähte es nicht, sie in Untersuchung zu ziehen. Warum
mengt man sich in meine Angelegenheiten? — Er sagte ferner:
Wenn die grosse Sache nicht zu Stande kommt, werde ich
638
Pfizmaier.
zuerst hingerichtet. Derjenige, der jetzt als Himmelssohn auf-
tritt, heisst mich, nicht wie es hei den jüngeren Brüdern der
Fall ist, in einer Sache und noch darüber nicht die Selbständig
keit erlangen. — Er seufzte lange Zeit, sah sich um und sagte:
Ich bemerke im Ganzen, dass mir Hindernisse im Wege stehen.
Kao-tsu sprach: ,Dieses Kind ist schon lange nicht würdig,
die Nachfolge zu erhalten. Die Kaiserin rieth mir, ihn abzu
setzen. Er wurde zur Zeit, als ich noch niedrig und unbekannt
war, geboren, er ist wieder der älteste Sohn. Ich hoffte, dass
er allmälig sich ändern werde, ich ertrug es bis jetzt in der
Stille/
,Yung kam einst aus dem südlichen % Yuen-tscheu.
Er sprach mit dem Könige von Wei 1 und sagte: M
O-nang 2 ist mit mir nicht einig und mir nicht gut. Die Frauen
und Mädchen sind mir auch verhasst. — Dabei zeigte er auf
die Kaiserin. Die Aufwartenden sagten: Sie sind unsere Sachen.
— In diesen Worten sind manche Seltsamkeiten enthalten/
Als sein Weib gestorben war, beruhigte er die übrig
gebliebene alte Mütter durch einen Nösselvorhang. 3 Als seine
Braut gestorben war, hatte ich ihn sehr im Verdachte, dass er
,B| !|jj BJj Ma-sse-ming den Auftrag gegeben habe, sie durch
Arzneimittel zu tödten. Ich stellte ihn zur Rede. Er sagte
sogleich unwillig: Ich tödte Yuen-hiao-khiü/wenn
ich ihm begegne. Er will mich dadurch nur umbringen und
seinen Zorn anslassen/
,Als Tschang-ning 5 geboren war, nahmen ich und
die Kaiserin ihn gemeinschaftlich in die Arme und zogen ihn
auf. Seit man hier und dort im Busen trug, schickte man
fortgesetzt, liess kommen und suchte. Ueberdies befand sich
die Tochter £ Ä Yün-ting-hing's 6 auswärts. Sie hatte
die Vereinigung für sich und gebar: Wenn man diesen Ur
sprung bedenkt, wie könnte es gewiss die eigene Nachkommen
schaft sein? Einst heirathete der grosse Sohn von Tsin die
1 Der König- von Wei war ein Mutterbrnder des Kaisers Kao-tsn.
2 O-nang ist eine Benennung der Mutter nnd Kaiserin.
3 Ein kleiner Vorhang von der Gestalt eines umgestiirzten Massels.
4 Ynen-biao-kbiö ist der bei Kao-tsn inGnnst stehende Vater der Braut Tang s*
5 Tschang-ning ist Ten. König von Tschang-ning, der älteste Sohn Yang*?*
s Ynn-ting-hing ist der Vater der oben erwähnten Yun-tscbao-hitm.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Stri.
639
Tochter eines Fleischers. Das Kind liebte sofort das Fleischer
handwerk. Da jetzt die Genossen nicht seines Gleichen sind,
bringt er sofort in Unordnung Stammhaus und Altäre. Ferner
ist H?|J ^ -(- jfe) Licu-kin-lin 1 ein schmeichlerischer
Mensch. Er rief Yün-ting-hing und liess ihn als Greis des
nahestehenden Hauses auftreten. Yün-ting-hing ist ein thörichter
Mensch, er ging auf dieses Wort ein. Worüber ich mich vordem
in Bezug auf Lieu-kin-lin erklärte, war diese Sache/
.Y'ung zog einst jfy ||| Thsao-miao-thä 2 herbei. Er
war mit der Tochter Yün-ting-hing's im Gespräche, während
Thsao-miao-thä sich aussen befand. In dem Gespräche sagte
er: Ich kam jetzt dazu, die Königin 3 zum Weine zu laden.
Ich stelle geradezu die Söhne an die Seite der gemeinen. Ich
furchte, dass die Menschen sich nicht unterwerfen, desswegen
beschloss ich, es zu gestatten. Ich will nur die Hoffnungen
der Welt zusammen fassen/
,Ich schäme mich hinsichtlich der Tugend zwar vor Yao
und Sehün, doch ich geselle zuletzt die Zehntausende der Ge
schlechter des Volkes nicht einem entarteten Sohne zu. Ich
fürchte beständig, er wird das Umbringen hinzufugen. Es ist
als ob ich einen grossen Feind abwehrte. Ich will ihn ab
setzen, um die Welt zu beruhigen/
jq Yuen-min, Fürst von U-vuen, der grosse Heer
führer der Leibwache zur Linken, machte Vorstellungen und
sprach: In der grossen Sache der Absetzung imd Einsetzung
hat der Himmelssohn nicht zweierlei Worte. Wenn die höchste
Verkündung und der hohe Wille ausgeführt werden, ist später
die Reue nutzlos. Das Wort der Verläumdung hat keine
Gipfelung. Nur derjenige, vor dem ich unter der Stufe stehe,
möge es durchforschen. — Die Rede Yuen-min’s war gerade,
streitend und heftig. Seine Stimme war hart, seine Miene
ernst. Der Kaiser antwortete nicht.
Um diese Zeit reichte auch Ki-wei eine Denkschrift
empor, in welcher er die Ungesetzlichkeit des grossen Sohnes
1 Der Name Lien-kin-lin wird an keinem anderen Orte genannt.
* Auch dieser Name wird an keinem anderen Orte genannt.
5 -Königin 4 (M) wird die rechtmässige Gemahlin des grossen Sohnes
genannt. Yung benannte so mit Unrecht Yün-fschao-biän.
640
Pfizmaier.
meldete. Kao-tsu sprach zu Ki-wei: lieber die Sachen des
grossen Sohnes, deren Spuren man entdeckt hat, soll man sich
vollständig aussprechen.
Ki-wei antwortete: ,Der kaiserliche grosse Sohn redete
ursprünglich in meiner Gesellschaft. Seine Gedanken sind nur
auf Trug und Verschwendung gerichtet. Er wollte es dahin
bringen, dass von ^ J|| Fan-tschuen bis ^ San-kuan
alles zu einem Thiergarten ausgemessen werde. Zugleich sagte
er: Einst wollte Kaiser Wu von Han den Thiergarten von
± # Schang-lin anlegen. MJj M Tung-fang-sö machte
dagegen Vorstellungen. Der Kaiser beschenkte ihn mit hundert
Pfunden gelben Goldes. Wie lächerlich ist dieses! Ich habe
in Wirklichkeit kein Gold, das ich derartigen Leuten schenken
könnte. Wenn Jemand Vorstellungen macht, so lasse ich ihn
geradezu enthaupten. Ich werde nicht mehr als hundert Men
schen getödtet haben und man wird von selbst für immer
damit aufhörenh
,Als vordem ££ Su-hiao-thse das Amt eines Voran
gehenden (2p so) der Leibwache zur Linken 1 niederlegte,
breitete der kaiserliche grosse Sohn rasch die Ellbogen aus
und rief: Ein grosser Mann! Es wird ein Tag kommen. Ich
vergesse es niemals. Ich entschliesse mich eben, ich ent-
schliesse mich in Gedanken/
,Ferner hielt sich in dem, was innerhalb des Palastes
nothwendig war, der oberste Buchführer häufig an die Vor
schrift und war nicht mit ihm einverstanden. Der grosse Sohn
geriet!) sogleich in Zorn und rief: Von dem Vorgesetzten des
Pfeilschiessens abwärts metzle ich nach Umständen einen bis
zwei Menschen nieder. Ich lasse euch das Unglück der Rück
sichtslosigkeit gegen mich kennen/
,Ferner erbaute er in dem Thiergarten eine kleine Feste.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter liess er Frohndienste
leisten, ohne einzuhalten. Er führte Lusthäuser und grosse
Hallen auf. Am Morgen baute er sie, am Abend veränderte
er sie. Er sagte immer: Der Höchstgeehrte schilt mich immer
1 Su-hiao-thse bekleidete dieses Amt hei der Leihwache des grossen Sohnes.
Als die Absetzung Yung’s bevorstand, legte er es aus Rücksichten nieder,
behielt aber seine übrigen Aemter. Yung hielt auf ihn überaus viel.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
641
wegen der vielen gemeinen Söhne. Waren denn ^ Kao-
wei und ^ ^ Tsch’in-schö-pao 1 unächte Söhne? 1
,Er hiess einst die Meister in Glück und Unglück wahr
sagen. Er sprach mit mir und sagte: Das zu Vermeidende
des Höchstgeehrten fällt in das achtzehnte Jahr. 2 Diese be
stimmte Zeit drängt.'
Kao-tsu sprach unter Thränen: Wer wird ohne Vater und
Mutter gehören ? Dadurch hin ich so weit gelangt. Ich schickte
von jeher Frauen und Mädchen und liess sie nach dem öst
lichen Palaste sehen. Man meldete mir an dem Hofe: Man
heisse den König von 1 ¥ Kuang-p’ing 3 nicht bei dem
kaiserlichen grossen Sohne ankommen. Der östliche Palast 4
hasst die Frauen, und auch Kuang-p’ing lehrt ihn dieses.
jlf Yuen-tsan 5 kannte ebenfalls dessen verborgene Laster. Er
rieth mir, im Osten der linken Kammer noch zwei Abtheilungen
(gjt) aufzustellen. 6 Als man Tsch’in beruhigt hatte, gesellte
man die besten Bewohnerinnen des rückwärtigen Palastes sämmt-
lich zu der Frühlingsstrasse. 7 Wie ich hörte, kannte er nicht
die Genügsamkeit. In dem Aeusseren wurde noch gesucht.
Ich der Kaiser blickte jüngst in das Buch der 7j^. Thsi. Ich
sah, dass WJ Kao-hoan mit seinen Kindern Nachsicht hatte.
Er konnte den Zorn nicht bemeistern. Wie kann man es be
sonders nachalnnen?'
Hierauf wurde Yung und dessen Söhnen der Weg zu
Aemtern versperrt. Man griff deren Genossen getlieilt auf und
übergab sie Yang-su. Man spielte mit Schriften, brachte künst
lich Fälschungen zuwege und schmiedete die Anklage. In Folge
dessen war Yung alsbald zu Grunde gerichtet.
1 Tscli’in-scliö-pao, genannt, der letzte Vorgesetzte, ist der letzte Kaiser
der Tsch’ in.
2 Das achtzehnte Jahr des Zeitraumes Khai-lioang (598 n. Chr.), in welchem
Jahre das hier Erzählte sich ereignete.
3 Der König von Kuang-p’ing ist der Sohn eines Seitengeschlechtes des
Kaisers Kao-tsu. Er wird sonst auch Hiung, König von |pjl
Kuan-te, genannt.
4 ,Oestlicher Palast' bezeichnet bisweilen den grossen Sohn selbst.
5 Yuen-tsan wird sonst an keinem anderen Orte erwähnt.
6 Der Grund davon ist nicht klar. Ebenso werden die Kammern oder
Vorrathskammern ) in keinem Verzeichnisse der Aemter genannt.
1 ,Frühlingsstrasse' ist gleichbedeutend mit ,östlicher Palast'.
Sitzung&ber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 41
642
Pfizraaier.
Nach einigen Tagen unterstützten die Inhaber der Vor
steherämter die Meinung Yang-su’s und meldeten an dem Hofe:
JA Yuen-min, der Anführer der Leibwache zur Linken,
stellt selber die Leibwache des Nachtlagers her. Er verübt
beständig Unrechte Dinge bei Yung. Seine Leidenschaft be
steht in Anschliessen und Anvertrauen. Als man in dem
Palaste Jin-scheu war, nahm ^ ^ P’ei-hung ein Schreiben
Yung’s und übergab es Yuen-min in der Halle des Hofes. Die
Aufschrift des versiegelten Schreibens lautete: Man lasse es
keinen Menschen sehen.
Kao-tsu sprach: Als ich der Kaiser mich in dem Palaste
Jin-scheu befand, gab es unscheinbare und kleine Angelegen
heiten. Der östliche Palast wusste es gewiss. Man begehrte
schnell Postpferde. Ich verwunderte mich darüber sehr lange.
Sollten es nicht diese Leute gewesen sein?
Man entsandte Kriegsmänner und liess Juen-min und P’ei-
hung festnehmen. Man ging gegen ihre Verbrechen nach dem
Gesetze vor.
Vordem kehrte P’ei-hung einst aus dem Palaste Jin-scheu,
wo er an den Verrichtungen theilgenommen hatte, zurück. Auf
dem Wege sah er einen verdorrten Sophorabaum mit krummen
Wurzeln und Zweigen, welcher fünf bis sechs Umfassungen
dick sein mochte. Er wandte sich zu seinen Begleitern und
fragte: Welche Geräthe kann man hieraus verfertigen? —
Jemand antwortete: Ein alter Sophorabaum taugt noch immer
zum Feuermachen. — Hierauf trugen alle Männer der Leib
wache an den Gürteln Feuerzeuge. Yung hiess aus diesem
Anlasse die Handwerker mehrere tausend Stücke verfertigen.
Er wollte sie als Geschenk unter die Leute seiner Umgebung
vertbeilen. Sie wurden jetzt in der Rüstkammer mit Beschlag
belegt.
Ferner waren in Kisten der Arzneikammer mehrere Scheffel
Beifuss 1 aufbewahrt worden. Man suchte nach ihnen eben
falls und fand sie. Der grosse Anführer verwunderte sich und
fragte Ki-wei. Dieser sprach: Die Gedanken des grossen
Sohnes sind hier auf etwas Besonderes gerichtet. Er hiess
ununterbrochen die Seinen, von dem Könige von Tschang-mng
1 Der Beifuss dient als Zündstoff.
Darlegungen ans der Geschichte des Hanses Sui.
643
abwärts, sich in den Palast Jin-scheu begeben. Bei der Rück
kehr zogen sie immer hastig einher, sie waren über Nacht
sogleich hergelangt. Er hielt beständig tausend Pferde. Er
sagte: Man geht auf Fusswegen, fasst das Thor der Feste zu
sammen. Man verhungert dann von selbst.
Yang-su befragte Yung wegen dieser Worte Ki-wei’s.
Yung gestand nichts und sagte: Ich vermass mich, zu hören,
dass die Pferde der Fürstenhäuser mehrere Zehntausende sind.
Ich, der ich zudem nach der mir zugetheilten Rangstufe der
grosse Sohn bin, besitze tausend Pferde. Ist dieses wohl
Empörung ?
Yang-su brachte ferner aus dem östlichen Palaste die
Kleidungsstücke und Spielzeuge, welche mit Verzierungen ver
sehen zu sein schienen, breitete sie in dem Vorhofe aus und
zeigte sie den Obrigkeiten der Schrift und des Krieges. Er
leitete daraus die Verbrechen des grossen Sohnes ab. Kao-tsu
schickte Leute, welche diese Gegenstände Yung zeigten und
ihn zur Rede stellten. Auch die Kaiserin zieh ihn der Schuld.
Kao-tsu schickte einen Abgesandten, welcher Yung zur Rede
stellte. Dieser gestand nichts.
Der grosse Vermerker und Gebietende Yuen-khe
trat vor und sprach: Ich beobachtete den Schmuck des
Himmels. Der kaiserliche grosse Sohn wird abgesetzt werden.
— Der Kaiser sprach: Das himmelfarbene Bild ist schon lange
zu sehen.
Unter sämmtlichen Dienern getraute sich Keiner zu
sprechen. Hierauf entsandte man Leute, welche Yung vor
luden. Als Yung den Abgesandten sah, rief er erschrocken:
Kann ich es erlangen, dass man mich nicht tödtet?
Kao-tsu, mit einem Kriegskleide angethan, stellte die Be
waffneten in Reihen und trat in die grosse Halle Wü
te. Die versammelten hundert Obrigkeiten standen im Süd
osten. Die nahen Verwandten standen im Westen. Man führte
Yung und dessen Söhne vor. Dieselben standen in dem Vor
hofe der grossen Halle in Reihen. Der Kaiser befahl fjljfc
jlf Sie-tao-heng, die höchte Verkündung, durch welche
Yung abgesetzt wurde, bekannt zu geben. Dieselbe lautete:
,Die Rangstufe des grossen Sohnes ist in Wirklichkeit die
Grundlage des Reiches. Wenn er nicht der rechte Mensch ist,
41*
644
Pfizmaier.
darf er nicht eitler Weise eingesetzt werden. Seit dem Alterthum
gab es unter den Zugetheilten bisweilen Untaugliche. Das lange
Uebel hörte nicht auf. Man hiess sie dabei die Geräthe be
wachen. Alles kam von Ertränkung der Leidenschaft in Gunst.
Man wurde der äussersten Ordnung verlustig, man gab Ver
anlassung zu Umstürzen und Untergang des Stammhauses und
der Altäre. Gras wuchs auf den Wegen und auf der Erde.
Bespricht man es von dieser Seite, so sind Sicherheit und Gefahr
der Welt an die hohe Nachfolge gebunden. Das fortgesetzte Zeit
alter der grossen Beschäftigung, wie sollte es nicht wichtig sein?'
,Der kaiserliche grosse Sohn Yung hatte seinen Platz als
der älteste Sohn. Dieses war es, wodurch er in Zärtlichkeit
innig geliebt ward. Als er die grosse Stufe erstiegen hatte,
gründete ich sofort den Frühlingspalast. Ich hoffte, dass die
Beschäftigung der Tugend täglich sich erneuern, das hohe Ge
deihen auf den Schultern getragen werde. Doch in seinem
Gemüthe erkannte man beständige Finsterniss, von Menschlich
keit und Kindlichkeit wurde nichts gehört. Er näherte sich
vertraut kleinen Menschen, lässt sich ein mit Ränkemachern
und Schmeichlern. Bei seinen früheren und späteren Vergehen
und Mängeln ist es unmöglich, ihm Rechnung zu tragen. Allein
die hundert Geschlechter sind des Himmels hundert Geschlechter.
Ich der Kaiser ehre den Befehl des Himmels. Er gehört dem
jenigen, den man in Sicherheit aufziehen soll. Wollte ich auch
den Sohn lieben, ich fürchte in Wirklichkeit das hohe Geistige.
Wie könnte ich es wagen, durch einen entarteten Sohn die
Welt zu verwirren? Yung und dessen Söhne, die Töchter,
welche Königstöchter sind, kann man absetzen und zu ge
meinen Menschen machen. In Betracht ziehe ich nur che
Sache der Millionen gemeiner Menschen, welche ihres Auf
schwungs nicht theilhaftig werden.'
So weit ging die höchste Verkündung. Der Kaiser, tief
beschämt und seufzend, hiess Sie-tao-heng an Yung die Worte
richten: Deine Verbrechen und Laster werden von Menschen
und Göttern verdammt. Wolltest du auch trachten, nicht ab
gesetzt zu werden, kannst du es erlangen?
Yung verbeugte sich zweimal und sprach: Mir gebührt
die Ausspannung des Leichnams auf dem Markte der Haupt
stadt, auf dass es eine Warnung für die Zukünftigen sei. Ich
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
645
bin in Wahrheit glücklich, dass ich Erbarmen fand, unver
sehrt das Leben erhalte.
Nachdem er dieses gesagt, benetzten seine Thränen den
Brustlatz. Dann stampfte er tanzend auf und entfernte sich.
Unter der Umgebung des Kaisers war Keiner, der ihn nicht
im Stillen bedauert hätte.
Ferner sandte man die folgende höchste Verkündung
herab: ,Seit dem Alterthum haben bei Gefahr des Hofes, bei
Unordnung des Reiches Unrechte Diener, listige Schmeichler,
heillose Gefährten Berückung in Anwendung gebracht. Sie
gaben Veranlassung, dass das Unglück Stammhaus und Altäre
erreichte, Gift über die Millionen der gemeinen Menschen sich
ergoss. Wenn man die Vorbilder nicht ins Licht stellt, wo
durch könnte man ernstlich die Welt zu Reinheit anhalten?'
,Der grosse Heerführer der Leibwache zur Linken,
Yuen-niin, Fürst der Landschaft U-yuen, war betraut mit
der Leitung der bewaffneten Leibwache. Man übertrug ihm
Herz und Rückgrat, er nahm Theil an der Aufwartung zur
Linken und Rechten. Gnade und Gunst waren hoch und
dauernd. Er aber schloss in sich Ränke und Tücke. In
Trennen und Abscheiden der Nahestehenden des Gebieters,
Ausfüllen der Stelle des Aeltesten, Gefährden der Stufe war
er in hohem Masse der Vorderste und das Haupt/
jjfl" |UJ Thang-ling-tse, der linke gemeine Sohn des
grossen Sohnes, hatte in den Tafeln den Namen des Zuge
sellten und Zweiten, seine Rangstufe war diejenige eines ältesten
Gefährten des Palastes. Er gab sich durch Schmeicheln und
Krümmen ein Ansehen. Durch Geschicklichkeit in den Tönen
brachte er sich vorwärts, er erfasste eigenhändig die Musik
werkzeuge. Er selbst unterwies die Menschen des Inneren,
half Hochmuth und Verschwendung zu Stande kommen. Er
zeigte Ungesetzlichkeiten den Weg/
m * m Tseu-wen-theng, der Gebietende des Hauses
des grossen Sohnes, wandelte ausschliesslich den Weg zur
Linken, wurde abseits in die Nähe gezogen und zum Ver
trauten gemacht. Mit Herz und Bauch schloss er sich gefügig
an, im Grossen und Kleinen versperrte er das Wissen. Bei
Wahrsagung fragte er nach Reich und Haus, spähte nach
Unglücksfällen/
646
Pfiz maier.
,Der Vorangehende der Leibwache zur Linken, der Pferde
vorsteher W&m Hia-heu-fö betrieb nach innen Schmeichelei,
nach aussen hob er Macht und Stärke hervor. Er beschimpfte
und beleidigte Höhere und Niedere. Er beschmutzte und ver
düsterte das kleine Thor des Palastes/
>7C Yuen-yen, der den Speisen Vorgesetzte Beauf-
sichtiger, legte irrthümlich dar Liebe und Hass, eröffnete und
zeigte Groll und Zerwürfniss, brachte eitler Weise Lästerung
und Schmähworte vor. Er bewerkstelligte im Geheimen
Trennung und Abschliessung, empfahl und geleitete ungeheuer
liche Beschwörer, baute Dinge auf und unterdrückte die Gebete/
, jH 1 Siao-tse-pao, der frühere aufwartende Leib
wächter von der Abtheilung der Angestellten, wohnte einst in
dem Söller der verschlossenen Abtheilung, er war ehemals kein
Diener des Palastes. Von Gemüthsart flüchtig und rasch, trug
er sich mit Gedanken, verachtete die Gefahr. Er brachte vor
und entwarf verrätherische Anschläge, strebte nach Ehre und
Vortheil. Er baute auf, fügte in der Zwischenzeit zusammen,
eröffnete und bildete die Ausgänge des Unglücks/
,Der frühere Vorgesetzte des Siegels, der niedere vor
zügliche Mann 'faf Ho-sung verliess sich vorläufig auf die
himmelfarbenen Bilder, sprach eitler Weise von Ungeheuerlich
keiten und Wundern. Seine Absicht war, Unglück und Auf
ruhr vorzuzeichnen, seine Gedanken richteten sich auf schnelles
Hervorbrechen. Dass man gleichzeitig seltsame Geräthe, merk
würdige Kleidungsstücke anfertigte, ist alles die Bemessung
und Anleitung Ho-sung’s. Er vermehrte, machte wachsen Hoch-
muth und Verschwendung, er verdarb und vertilgte die hundert
Geschlechter/
,Das Unheil, welches diese sieben Menschen anrichteten,
ist ein arges. Sie werden zurückbehalten und enthauptet. Ihre
Frauen, Nebenfrauen, Söhne und Enkel verfallen sämmtlich
den Obrigkeiten/
,|Hj Yen-pi, Heerführer der Wagen und Reiter, ^
j|!ji Thsui-kiün-tschö, Fürst der östlichen Landschaft,
m g Tsch’in-fö-pao, Beruhigen der ausgebreiteten Reiter,
M Hl i: ü Tschang-khieu-thai-yi, der Mensch des Volkes
von ^||j Ying-tscheu, die von diesen vier Menschen verübten
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
647
Dinge sind widerwärtig und schlecht. Wenn man deren Be
schaffenheit erörtert, so stände auf ihre Verbrechen eine äusserst
schwere Strafe. Doch ich der Kaiser bin von Gefühl dem
Leben zugethan, ich bin nicht fähig, alle zu tödten. Man kann
ihnen ausdrücklich die Todesstrafe nachsehen und einem Jeden
hundert Streiche zuerkennen. Sie selbst, ihre Gattinnen, Kinder,
Güter, Felder und Wohnhäuser können gänzlich den Obrig
keiten verfallend
,Der zugetheilte Anführer und als grosser Werkmeister
Auftretende ^ ^ Kao-lung-tsch’a holte im Voraus die
Leute der Wache zurück und gesellte sie ohne Weiteres zu
dem östlichen Palaste. Indem er sie Frohndienste leisten und
Lusthäuser und Dächer aufbauen liess, führte er sie in die
Frühlingsstrasse ein. ^ ||| Tsin-wen-kien, der dem
Wechseln vorangehende Befehlshaber, verkehrte als gerader
aufwartender Leibwächter von den zerstreuten Reitern und ent
schied in Sachen des dem Ackerbau vorstehenden kleinen
Reichsdieners, yjj Yuen-heng leitete und bemass dieses
ausserhalb. Sie nahmen für sich Verleihungen vor, zernichteten
eitler Weise die Verdienste der Leute. Mit den Gärten und
dem Boden, den man eigenmächtig abschneidet, hat es ein Ende/
Hierauf versammelte man die Obrigkeiten vor dem Thore
j|| Kuang-yang, machte die höchste Verkündung bekannt
und vollzog die Hinrichtung.
Hiung, König von Kuang-p’ing erwiederte auf die
höchste Verkündung: Die Gnade des Höchstgeehrten, vermöge
deren er um der hundert Geschlechter willen Knochen und
Fleisch abschnitt, diejenigen, die ohne Tugend, absetzte und
zurückstiess, ist in Wirklichkeit ein grosser Anlass zu Freude.
Die Welt ist sehr beglückt.
Man führte jetzt Yung nach der verschlossenen Abtheilung
des inneren Vermerkers über und setzte ||| Kuang, König von
Tsin, zum kaiserlichen grossen Sohne ein. Dabei gab man
ihm Yung hinzu und brachte diesen wieder in den östlichen
Palast.
Man beschenkte Yang-su mit dreitausend Stücken Seiden
stoffes, ^ Yuen-tsch’eu und ^ Yang-yö mit tausend
Stücken, ^ H j|£ Yang -nan-thi mit fünfhundert Stücken.
648
P fizinaier.
Es waren Belohnungen für die Verdienste bei der Austragung
Yung’s.
Um diese Zeit reichte $1 # Yang - hiao - tsching,
Leibwächter des Schriftwaldes, ein Schreiben empor, in welchem
er Vorstellungen machte und sagte: Der kaiserliche grosse Sohn
wurde von kleinen Menschen irregeführt. Es ziemt sich, ihm
Belehrung zukommen zu lassen. Es ziemt sich nicht, ihn ab
zusetzen. — Der Kaiser zürnte und schlug ihn auf die Brust.
Unvermuthet gab ^ P’ei-sö, ältester Vermerken von
it Pei-tscheu, in einer Denkschrift vor, dass die Entsetzung
der gemeinen Menschen für ihre Verbrechen bereits lange ge
dauert habe, dass man sich überwinden und es neu einleiten
solle. Er bat, dass man sie mit kleinen Reichen belehne.
Kao-tsu wusste, dass die Entsetzung Yung’s nicht den Beifall
der Welt für sich habe. Er berief daher P’ei-sö zu sich.
Dieser begab sich an den Hof und legte seine Gedanken über
Absetzung und Einsetzung dar.
Um die Zeit bat Yung, in Betracht dass er unschuldig
abgesetzt wurde, häufig um eine Zusammenkunft mit dem
Kaiser, um sich in dessen Angesichte über seine Ueberführung
auszusprechen. Da ihn aber der kaiserliche grosse Sohn ab
hielt, konnte er es nicht zu Ohren bringen. Yung erstieg jetzt
die grosse Halle und rief mit lauter Stimme, so dass der Ton
von dem Kaiser gehört wurde. Er hoffte, dass man ihn vor
stellen werde. Yang-su meldete bei diesem Anlasse an dem Hofe:
Yung ist von Gemiith und Willenskraft umdunkelt und ver
stört. Er spricht, was Dämonen ihm eingeben. — Der Kaiser
hielt dieses für wahr, und Yung durfte zuletzt nicht erscheinen.
Auf solche Weise geschah es immer, dass Yang-su durch Lüge
den Aufbau in die Erde versinken machte, durch Zusammen
fügen den Verbrechen Yung’s Gestalt gab.
Kao-tsu lag in dem Palaste Jin-scheu krank danieder.
Er berief den kaiserlichen grossen Sohn zu sich. Dieser trat
ein und wartete mit Arzneien auf. Allein der Verrath, der
Aufruhr und die Vorgänge innerhalb des kleinen Palastthores
wurden von Kao-tsu in Erfahrung gebracht. Kao-tsu schlug
auf das Bett und rief: Ich habe mit Unrecht mein Kind ab
gesetzt. — Er schickte daher Leute mit dem Aufträge, Yung
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
649
herbeizuholen. Man war noch nicht dazu gekommen, den Ab
gesandten auszuschicken, als Kao-tsu plötzlich starb.
Man verheimlichte dieses und veranstaltete keine Trauer.
Indem man |jj|J gjb Lieu-schö und jq J|| Yuen-yen aufgritf
und sie in dem Gefängnisse jlfl. Ta-li. band, gab man fälsch
lich vor, dass Kao-tsu in einer Schrift des höchsten Befehles
die gemeinen Söhne mit dem Tode beschenke. Man verlieh
Yung nachträglich das Lehen eines Königs von Fang-ling, setzte
aber seine Nachkommen nicht ein.
Die Kaiserin Hien von dem Geschlechte Tö-ku.
Die Kaiserin von dem Geschlechte Tö-ku, ge
nannt Hien, die Gemahlin des Kaisers Wen 1 von Sui,
war die Tochter des aus Lö-yang in Ho-nan stammenden ^Ipj
^ Tö-ku-sin, in Diensten von Tscheu grossen Vorstehers
der Pferde und Fürsten von Ho-nei. Tö-ku-sin sah, dass Kao-
tsu von wunderbarer Erscheinung war und gab ihm desshalb
diese Tochter zur Gemahlin. Dieselbe war um diese Zeit vier
zehn Jahre alt. Kao-tsu schwor der Kaiserin, dass er keine
Söhne von einer anderen Gemahlin haben werde. Die Kaiserin
war ursprünglich auch sanft, gehorsam, ehrerbietig, kindlich
und liess den Weg des Weibes nicht ausser Acht. Ihre ältere
Schwester war die Gemahlin des Kaisers Ming von Tscheu,
die Tochter dieser letzteren war die Gemahlin des Kaisers
Siuen von Tscheu. Hinsichtlich des Glanzes der vornehmen
Verwandtschaften war Niemand mit der Kaiserin Hien zu ver
gleichen. Sie aber War immer bescheiden, demüthig und be
hutsam. Das Zeitalter hielt sie für weise.
Als Kaiser Siuen von Tscheu starb, befand sich Kao-tsu
in der verschlossenen Abtheilung des Palastes und leitete das
Amt der hundert Bemessungen ( pe-lchuei). Die Kaiserin
schickte Leute, welche zu Kao-tsu sagten: Die grosse Sache
ist bereits so beschaffen. Bei der Stärke, die man besitzt,
wenn man auf dem Thiere reitet, darf man gewiss nicht herab-
1 Für Kaiser Wen wird gemeiniglich Kao-tsu gesagt.
650
Pfizmai er.
steigen. Man bestrebe sich! — Als Kao-tsu das Reich über
nahm, setzte er sie zur Kaiserin ein.
Die Türken trieben einst mit dem mittleren Reiche Tausch
handel. Sie hatten ein Kästchen glänzender Perlen, welches
achthundertmal zehntausend Kupferstücke kostete. [&•
Yin-scheu, allgemeiner Beaufsichtiger von |^| Yeu-tscheu,
brachte der Kaiserin die Meldung, damit sie es erhandle. Die
Kaiserin sprach: Dieses sind keine Sachen, die ich brauche.
Gegenwärtig haben die Fremdländer des Westens und Nordens
mehrmals geplündert, die Anführer und Kriegsmänner sind
kampfunfähig und abgemüdet. Das Beste ist, die achthundert
mal zehntausend Stücke als Geschenk unter die Verdienst
vollen vertheilen. -— Die hundert Amtgenossen hörten dieses
und wünschten durchaus Glück.
Kao-tsu bezeigte ihr sehr viele Gunst und scheute sich
vor ihr. So oft der Kaiser die Berathungen des Hofes über
wachte, liess sich die Kaiserin ohne Weiteres zugleich mit
dem Kaiser in einem Handwagen hinauf fahren. Zu dem
Stockwerke gelangt, hielt sie an, und beauftragte die kleinen
Diener, den Kaiser zu beobachten. Wenn in der Lenkung
etwas verfehlt wurde, machte sie nach der Vorschrift richtige
Vorstellungen. Vieles wurde in grossem Masse vermehrt. Sie
wartete, bis der Kaiser sich von den Berathungen des Hofes
entfernte und kehrte dann zugleich mit ihm zurück.
Die Kaiserin hatte frühzeitig ihre Aeltern verloren und
trug die Liebe zu ihnen beständig im Herzen. Wenn sie sah,
dass Fürsten und Reichsdiener ihre Aeltern hatten, behandelte
sie diese immer auf das Aeusserste achtungsvoll.
Die Inhaber der Vorsteherämter meldeten an dem Hofe:
Nach den Gebräuchen der Tscheu stehen die Gattinnen der
hundert Obrigkeiten unter den Befehlen der Gemahlin des als
König Herrschenden. Die Abschnitte der Vorbilder kommen
in den Dingen von ehemals vor. Wir bitten, dass man sich
an die alten Einrichtungen halte. — Die Kaiserin sprach:
Dass man das Weib an der Lenkung theilnekmen liess, ist
bisweilen hiervon die allmälige Folge gewesen. Man darf
die Quelle dieser Sache nicht aufschliessen. — Sie erlaubte
es nicht.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
651
Die Kaiserin sagte immer zu den Kaisertöchtern: Die
Kaisertöchter des Hauses Tscheu 1 sind den älteren Brüdern,
welche keine Weiber haben, gleich. Sie lassen die Gebräuche
gegenüber den Oheimen und Muhmen ausser Acht, sie trennen
sich und schätzen Knochen und Fleisch der Menschen gering.
Dieses ist Unfolgsamkeit. Ihr sollet euch sehr davor hüten.
IM M fr Thsui-tschang-jin, grosser allgemeiner Be-
rahiger, war ein Mutterbruder der Kaiserin. Er sollte wegen
Uebertretung des Gesetzes enthauptet werden. Kao-tsu wollte
ihm_aus Rücksicht für die Kaiserin verzeihen. Die Kaiserin
sprach: Wie kann man in Sachen von Reich und Haus auf
die eigene Sache Rücksicht nehmen? — Thsui-tschang-jin wurde
zuletzt angeklagt und mit dem Tode beschenkt.
Tho, der jüngere Bruder der Stiefmutter der Kaiserin,
wurde angeklagt, durch Beschwörer-Wunnfrass des Katzen
dämons 2 Verwünschung der Kaiserin bewerkstelligt zu haben
und sollte mit dem Tode beschenkt werden. Die Kaiserin
nahm durch drei Tage keine Speise zu sich und bat um sein
Leben. Sie sprach: Wenn Tho als Holzwurm die Lenkung
zernagt, das Volk gemordet hätte, würde ich nicht zu reden
wagen. Da er aber meinetwegen angeklagt worden, wage ich,
um sein Leben zu bitten. — Die Strafe Tho’s wurde hierauf
um eine Stufe tiefer als der Tod bemessen. 3
Wenn die Kaiserin mit dem Kaiser über Sachen der
Lenkung sprach, stimmten Beide gewöhnlich in ihrer Meinung
überein. In dem Palaste nannte man sie die zwei weisen
Menschen.
Die Kaiserin war ziemlich menschlich und mitleidsvoll.
Sie hörte niemals von Urtheilen über Gefangene des Gefäng
nisses Ta-li, ■' ohne Thränen zu vergiessen. Sie war
jedoch überaus eifersüchtig und gehässig. In dem rückwärtigen
Palaste wagte Niemand, vor den Kaiser zu treten.
Die Enkelin Jjhj" }|jl m Wei-tschi-hing’s, welche mit
Schönheit begabt war, befand sich früher in dem Palaste. Der
Kaiser sah sie in dem Palaste Jin-scheu und hatte an ihr
1 Das vorhergegangene Haus der späteren Tscheu.
2 Diese Sache findet in dem folgenden Abschnitte ihre Erklärung.
3 Er wurde zu einem Menschen des Volkes herabgesetzt.
652
Pfizmaier.
Gefallen. Sie erlangte dadurch die Beglückung-. Die Kaiserin
erspähte den Augenblick, wo der Kaiser an dem Hofe Gehör
gab, und tödtete sie heimlich.
Der Kaiser gerieth darüber in grossen Zorn. Er ritt ohne
Begleiter aus dem Thiergarten und drang, ohne die Wege zu
benützen, zwanzig Li weit in die Gebirgsthäler. ^ |1J| Kao-
ying und ^ ^ Yang-su setzten ihm nach und erreichten ihn.
Sie schlugen nach dem Pferde und machten mühevoll Vor
stellungen. Der Kaiser sprach seufzend: Ich bin, was den
vornehmen Stand betrifft, der Himmelssohn, ich darf aber nicht
unabhängig sein. ■—■ Kao-ying sprach: Wie könnte derjenige,
vor dem ich unter den Stufen stehe, durch ein Weib dahin
kommen, die Welt zu verachten? — Das Gemüth des Kaisers
besänftigte sich ein wenig, und er hielt das Pferd an. Nach
längerer Zeit, um Mitternacht, war er erst im Begriffe, in den
Palast zurückzukehren. Die Kaiserin erwartete ihn innerhalb
des kleinen Thores.
Als der Kaiser ankam, vergoss die Kaiserin Thränen,
verbeugte sich und entschuldigte sich. Kao-ying und Yang-su
bewirkten die Versöhnung. Der Kaiser setzte Wein vor und
zeigte sich äusserst erfreut. Seitdem war die Kaiserin ziem
lich kleinmüthig und gebrochen.
Die Kaiserin hatte Kao-ying, weil derselbe ein Gast in
dem Hause ihres Vaters gewesen, sehr freundschaftlich be
handelt. Als sie jetzt hörte, dass Kao-ying sie ein Weib
genannt habe, hegte sie desswegen Groll. Weil ferner die
Gemahlin Kao-ying’s starb und dessen Nebenfrau einen Knaben
gebar, war sie ihm noch mehr abgeneigt. Sie fügte allmälig
Verläumdung und Verunglimpfung hinzu. Auch der Kaiser
richtete sich in allen Dingen nur nach den Worten der Kaiserin.
Als diese sah, dass die Könige und die Hofleute Nebenfrauen
hatten, welche schwanger waren, rieth sie dem Kaiser allen
Ernstes, sie zu entlassen.
Um diese Zeit schenkte der kaiserliche grosse Sohn im
Inneren seines Palastes Vielen seine Gunst. Als dessen Ge
mahlin, die Königin von dem Geschlechte Yuen, plötzlich
starb, glaubte die Kaiserin, dass die zu dem Geschlechte
Yün gehörende geliebte Nebenfrau des grossen Sohnes sie
gemordet habe. Sie redete hierauf dem Kaiser zu, Kao-ying
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
65B
seines Amtes zu entheben. Dass man zuletzt auch den grossen
Sohn absetzte und Kuang, König von Tsin, einsetzte, geschali
auf Anstiften der Kaiserin.
Im achten Monate des zweiten Jahres des Zeitraumes
Jin-scheu (602 n. Chr.), Tag Kiä-tse (1), hatte der Mond einen
vierfachen Hof. An dem Tage Ki-sse (6) machte das grosse
Weiss (Venus) einen Einfall in das Sternbild ijff ^ IJien-
yuen. In dieser Nacht starb die Kaiserin in dem Palaste ^
Yung-ngan. Sie war fünfzig Jahre alt geworden und wurde
Später standen die Gemahlin j|£ Siuen-hoa von dem
Geschlechte |Jsj| Tsch’in und die Gemahlin jtjl: Yung-hoa
von dem Geschlechte Thsai zugleich in Gunst. Der Kaiser
wurde ziemlich von ihnen berückt. Er zog sich daher eine
Krankheit zu. Als er ernstlich in Gefahr schwebte, sprach er
zu den aufwartenden Menschen: Wenn die Kaiserin lebte, wäre
es mit mir nicht so weit gekommen.
Tö-ku-lo.
M IÜ Tö-ku-lo, mit dem Jünglingsnamen ||g
Lo-jin genannt, stammte aus Yün-tschung. Sein Vater -j==
Sin stand in Diensten von Wei und war stechender Vermerker
von King-tscheu. Als Kaiser Wu in den Gränzpass drang,
verliess Sin seine Aeltern, seine Gattin, die Kinder und wandte
sich im Westen nach Tschang-ngan. Er füllte nacheinander
mehrere Aemter aus Und wurde berühmt und vornehm. Sein
Sohn Lo wurde hierauf durch das Geschlecht IW Kao in das
Gefängniss gesetzt. Später trat Sin in die Dienste von Tscheu
und wurde grosser Vorsteher der Pferde.
Lo wurde aus dem Gefängnisse erst befreit, nachdem
durch ^ §|| Yü-wen-hu über Sin die Hinrichtung ver
hängt worden. Er machte sich in pjj [Jj Tschung-schan an
sässig, war verwaist, arm und ohne Mittel des Unterhaltes.
^ M W M Tö-ku-yung-nie, ein Anführer von Thsi, be
suchte ihn aus Rücksichten der Verwandtschaft und hatte mit
654
Pfizmaier.
ihm Mitleid. Er kaufte für ihn Felder sammt einem Wolm-
hause und schickte ihm das zur Viehzucht Noth wendige.
Sin hatte sich, nachdem er in den Gränzpass getreten
war, zweimal wieder vermählt. Die Gattin von dem Geschlechte
Kö war die Mutter von sechs Söhnen. Dieselben hiessen
äfe Sehen, Mö, |j|| Thsang, j||l Scliün, Tho und ^
Tsching. Die Gattin von dem Geschlechte ^ Thsui war
die Mutter der Kaiserin j||j^ Hien.
Nach dem Untergange von Thsi wurde Kao-tsu allge
meiner Leitender von Ting-tscheu. Die Kaiserin Hien
schickte Leute aus, damit sie Lo aufsuchen. Als sie ihn fan
den und man einander sah, konnte sie in ihrem Leid sich nicht
fassen. Alle Aufwartenden weinten. Sie schickte ihm hierauf
in reichlichem Masse Wagen, Pferde und Werthgegenstände.
Bald nachher berief Kaiser Wu von Tscheu in Betracht
der Verdienste Lo’s als Diener und Sohn, sowie des Umstan
des, dass derselbe lange Zeit in den fremden Gränzgegenden
versunken gewesen, Lo zu sich und ernannte ihn zum Statt
halter der Landschaft Thsu-ngan. Lo gab in Folge
von Krankheit dieses Amt auf und wandte sich nach der
Mutterstadt.
Die jüngeren Brüder, welche sahen, dass Lo sowohl in
der Jugend als im reiferen Alter arm und niedrig gewesen,
verachteten ihn immer und behandelten ihn nicht als älteren
Bruder. Doch Lo war von einer Gemüthsart, dass er als der
Aelteste auch nicht mit den jüngeren Brüdern um den Vor
rang stritt. Die Kaiserin schätzte ihn deswegen hoch.
Als Kao-tsu bereits die Altäre der Landesgötter in Empfang
genommen hatte, erliess er eine höchste Verkündung, in welcher
Sin, dem Vater Lo’s, nachträglich das mit dessem Amte ver
bundene Lehen verliehen wurde. Lo wurde jetzt Fürst des
als ein solches Lehen betrachteten Reiches Tschao. Unter
seinen jüngeren Brüdern ernannte man äj|- Sehen zum Fürsten
der Landschaft Ho-nei. Mö wurde Fürst des Kreises Kin-
thsiuen. |j|| Thsang wurde Fürst des Kreises Wu-p’ing.
Tho wurde Fürst des Kreises Wu-hi. Tsching wurde Vor
bereitender von dem Amte der tausend Rinder. 1
1 Der früher genannte Sohn J|jjp Scliün wird hier nicht erwähnt.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sni.
655
Man ernannte Lo besonders zu einem zur Linken leiten
den Heerführer zur Linken und Rechten und versetzte ihn
alsbald zu der Stelle eines Heerführers der Leibwache zur
Linken. Die Belohnungen und Geschenke in früherer und
späterer Zeit waren unzählige. Nach langer Zeit trat er aus
und wurde allgemeiner Leitender von Liang-tscheu. Man
beförderte ihn zu dem Range eines oberen das Reich als
Pfeiler Stützenden. In dem Zeiträume Jin-scheu (601—604
n. Chr.) wurde er berufen und zum grossen Heerführer der
kriegerischen Leibwache zur Linken ernannt.
Als Kaiser Yang zur Nachfolge gelangte, setzte er Lo
in ein anderes Lehen, dasjenige eines Fürsten des Reiches
Scho ein. Nach nicht langer Zeit starb Lo im Besitze seines
Amtes. Der ihm nach dem Tode gegebene Name ist ^ Kung.
Der Nachfolger in dem Lehen Lo’s war dessen Sohn
Thsuan. Derselbe brachte es im Dienste bis zu einem Be-
ruhiger der Landschaft Ho-yang.
Wu-tu, der jüngere Bruder Thsuan’s, wurde
gegen das Ende des Zeitraumes Ta-nie (616 n. Chr.) ebenfalls
Beruhiger der Landschaft Ho-yang.
ü ü Khai-yuen war der gemeine älteste Sohn Lo’s.
Als ^ Yü-wen-hoa-khl den Kaiser Yang tödtete
und sich auflehnte, drang jgf j|j| P’ei-khien-thung an der
Spitze der Räuber in die grosse Halle Tsch’ing-siang.
Die bewaffneten Männer der Leibwache des Nachtlagers schlossen
sich den Aufrührern an. Khai-yuen war um diese Zeit Ange
stellter der hundert Rinder. Er kämpfte im Vereine mit
|SI Tu-kö-sching angestrengt unter dem kleinen Thore
und wurde von den Räubern ergriffen. Die Räuber hielten
ihn für gerecht und Hessen ihn los.
ijfe Sehen, ein anderer Sohn Lo’s, brachte es später im
Amte bis zu einem das Reich als Pfeiler Stützenden. Als er
starb, erhielt sein Sohn ’pljj Lan die Nachfolge in Ho-nei.
Derselbe brachte es im Dienste zu einem Heerführer der er
spähenden Leibwache zur Linken. Er starb gegen das Ende
des Zeitraumes Ta-nie (616 n. Chr.).
^§§ P3i( Tö-ku-tho, dessen Jünglingsname ^ ^
die Dienste von Tscheu und wurde ein zu-
getheilter oberer Kriegsmann. Seines Vaters Sin wegen in
■ Di-ye, trat in
656
P fi zra aier.
Anklagestand versetzt, wurde er zur Uebersiedlung nach der
Landschaft Scho verurtheilt. Erst nach zehn Jahren, als Yü-
wen-hu hingerichtet wurde, wandte er sich nach Tschang-ngan.
Als Kao-tsu die Altäre der Landesgötter in Empfang nahm,
ernannte er ihn zu einem zur Rechten leitenden Heerführer zur
Linken und Rechten in dem oberen eröffnenden Sammelhause.
Nach längerer Zeit trat, Tho aus und wurde stechender Ver-
merker von 3^ Ying-tscheu. Man beförderte ihn zu dem
Range eines grossen Heerführers. In wiederholter Umwendung
wurde er stechender Vermerker von Yen-tscheu.
Er liebte den linken Weg. 1 Seine Mutter und seine
Gattin befassten sich früher mit dem Katzendämon. Dieser
wälzte sich somit in Tho’s Haus. Der Kaiser hörte dunkel
davon, aber glaubte es nicht. Als die Kaiserin Hien und die
zu dem Geschlechte Jf|j Tsch’ing gehörende Gattin Yang-su’s
zugleich erkrankten, berief der Kaiser Aerzte, damit sie nach
ihnen sehen* Alle sagten: Dieses ist die Krankheit des Katzen
dämons. — Weil Tho der jüngere Stiefbruder der Kaiserin,
die Gattin Tho’s die jüngere Stiefschwester Yang-su’s war,
glaubte der Kaiser, dass dieses durch Tho bewerkstelligt wor
den. Er hiess im Geheimen dessen älteren Bruder ^ Mö
jenen die Meinung des Kaisers bekannt geben. Der Kaiser
sagte es auch Tho abseits von den Leuten der Umgebung.
Tho sagte, es sei unbegründet. Dem Kaiser gefiel dieses nicht.
Er machte ihn in linker Umwendung zum stechenden Vermerker
von Thsien-tscheu.
Tho sprach beim Austreten Worte des Unwillens. Der
Kao-ying, Vorgesetzten des Pfeilschiessens
zur Linken, $ Su -wei, Vorbringenden der Worte, jfl
Hoang-fu-hiao-tschü, Richtigen der grossen Ord
nung, m Yang-yuen, Gehilfen der grossen Ordnung, und
Andere die Sache in Gemeinschaft untersuchen.
Siü-O-ni, eine Sclavin Tho’s, sagte aus, es
sei ursprünglich aus dem Hause der Mutter Tho’s entsprungen.
Dieselbe habe sich beständig mit dem Katzendämon befasst.
Sie habe ihm immer Tag und Nacht einen Sohn geopfert.
Der Sohn sei eine Maus. Wenn dieser Katzendämon einen
Kaiser hiess ||fj ^
1 Eine Unrechte Kunst nennt man den linken Wes:.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
657
Menschen tödtet, gehen die Güter des Hauses des Verstorbenen
heimlich in das Haus über, in welchem man den Katzen
dämon hält.
Tho habe einst von den Leuten seines Hauses Wein be
gehrt. Seine Gattin habe gesagt: Wir haben kein Geld, dass
wir ihn kaufen könnten. — Tho habe daher zu Siü-O-ni ge
sagt: Man heisse den Katzendämon sich dem Hause des
Fürsten von j}|| Yue 1 zuwenden. Wir erlangen dadurch Geld
genug. — Siü-Ö-ni habe sofort dieses Haus verwünscht. Nach
einigen Tagen habe sich der Katzendämon dem Hause Yang-
su’s zugewendet.
Im eilften Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (591 n. Chr.),
als der Kaiser aus Ping-tscheu zurückgekehrt war, habe
Tho in dem Garten zu Siü-O-ni gesagt: Man heisse den
Katzendämon sich zu der Kaiserin wenden. Man bewirkt da
durch, dass sie uns viele Sachen schenkt. : — Siü-O-ni habe
jetzt wieder die Kaiserin verwünscht. Hierauf sei der Katzen
dämon in den Palast gedrungen.
Yang-yuen schickte jetzt Siü-O-ni in die unter dem Thore
befindliche äussere verschlossene Abtheilung, damit sie den
Katzendämon rufe. Dieselbe stellte um Mitternacht eine
Schüssel gewürzhafter Grütze hin, schlug mit dem Kochlöffel
darauf und rief ihn mit den Worten: Das Katzenmädchen
kann kommen. Es gibt kein Verweilen in dem Palaste. —
Nach längerer Zeit wurde Siü-O-ni im Angesichte geradezu
grün, wie Jemand, welcher weggezerrt wird, und sagte: Der
Katzendämon ist angekommen.
Der Kaiser liess die Sache an die Fürsten und Reichs
diener herab gelangen. Z|r. Nieu-hung, Fürst von -jjj- J|p
Khi-tschang, sprach r Die Ungeheuerlichkeit geht aus einem
Menschen hervor. Wenn man den Menschen tödtet, kann
man sie zunichte machen. — Der Kaiser befahl, Tho in einen
Kälberwagen zu setzen. Tho und dessen Gattin sollten in
ihrem Hause mit dem Tode beschenkt w T erden. Tsching,
Mittlerer der Aufwartenden von der Vorstehung der Königs
verdienste, ein jüngerer Bruder Tho's, begab sich zu der Thor
warte und bat um Erbarmen. Man erliess hierauf Tho die
' Der Fürst von Yue ist Yang-su.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCTO. Bd. in. Hft. 42
658
Pfizmaier.
Todesstrafe, beraubte ihn des Namens und machte ihn zu
einem Menschen des Volkes. Seine Gattin machte man zur
Nonne.
Vordem war ein Mensch, welcher Klage führte, dass
seine Mutter von einem Menschen vermittelst des Katzen
dämons getödtet worden. Der Kaiser, dieses für Ungeheuer
lichkeit und eitle Rede haltend, wurde zornig und schickte
ihn fort. Jetzt befahl eine höchste Verkündung, denjenigen,
über welchen Klage geführt worden, dass er sich mit dem
Katzendämon befasse, hinrichten zu lassen.
Tho starb nach nicht langer Zeit. Als Kaiser Yang zu
seiner Stufe gelangte, liess er ihn, der sein Oheim von mütter
licher Seite war, nachträglich den Gebräuchen gemäss begraben
und verlieh ihm die Stelle eines Grossen der richtigen Be
rathungen. In einer nochmaligen höchsten Verkündung ver
lieh er ihm weiter die Stelle eines Grossen des glänzenden
Gehaltes von dem Silbergrün.
Tho hatte zwei Söhne Namens ins Yen-fö und $£ 1?
Yen-scheu. Tsching, der jüngere Bruder Tho’s, brachte
es bis zu dem Amte eines stechenden Vermerkers von [£j£|
Yeu-tscheu. Er starb im Anfänge des Zeitraumes Ta-nie
(605 n. Chr.). Der Kaiser verlieh ihm nachträglich die Stelle
eines Grossen des glänzenden Gehaltes von dem Goldpurpur
und diejenige eines Lehensfürsten des Bezirkes 2p Ping.
Yang-su.
^ ^ Yang-su hiess mit dem Jünglingsnamen j|t ^
Tsch’u-tao und stammte aus Hoa-yin in Hung-nung. Sein
Grossvater fjjpf Pliuen war ein das Reich stützender Heerführer
und Vorstellung machender berathender Grosser von Wei. Sein
Vater Feu, in Diensten von Tscheu stechender Vermerker
von Feu-tscheu, verfiel an Thsi. 1
Yang-su war in seiner Jugend ungesellig und hatte grosse
Vorsätze. Er hielt sich nicht an kleine Umschränkungen,
Er wurde den Obrigkeiten des Hauses Thsi dienstbar gemacht.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
659
und seine Zeitgenossen verkannten ihn. Bios sein Grossoheim
^ Kuan, in Diensten von Wei oberster Buchführer und Vor
gesetzter des Pfeilschiessens, war über ihn höchst verwundert.
Er sagte immer zu seinen Söhnen und Enkeln: Tsch’u-tao
wird der Heerde entlaufen und sich vor seines Gleichen aus
zeichnen. Seine ungewöhnliche Begabung ist etwas, das ihr
nicht erreichen könnet.
Später hatte er mit 4 % Nieu-hung von Ngan-ting
gleiche Vorsätze. Er liebte das Lernen und schliff seinen
Geist unermüdlich ab. Vieles wurde von ihm durchdrungen
und durchwatet. Er verstand sich gut auf die angehängten
Schriften, war geschickt in der Pflanzenschrift, der Schrift der
Angestellten und war ziemlich aufmerksam auf die Ecken des
Windes. 1 Er hatte einen schönen Bart und das Aeussere
eines hervorragenden Mannes.
4 H§ Yü-wen-hu, grosser Vorgesetzter von Tscheu,
zog ihn herbei und machte ihn zum mittleren und äusseren
Verzeichnenden des inneren Hauses ||f). Später machte
er ihn im Umwenden zu einem Richter der Gebräuche
~^j ) und fügte das Amt eines grossen allgemeinen Beauf-
sichtigers hinzu.
Als Kaiser Wu für sich selbst die zehntausend Trieb
werke leitete, reichte Su, in Betracht, dass sein Vater, wegen
seiner Beharrlichkeit an Thsi verfallen, noch keinen Befehl
des Hofes erhielt, eine Denkschrift empor, in welcher er die
Ordnung darlegte. Der Kaiser bewilligte es nicht. Nachdem
dieses zwei und dreimal geschehen, gerieth der Kaiser in
grossen Zorn und befahl den Leuten seiner Umgebung, Su
das Haupt abzuhauen. Su rief mit erhobener Stimme: Ich
diene einem gesetzlosen Himmelssohne. Der Tod ist mein
fheil. — Der Kaiser hielt dieses Wort für ein starkes. Er
verlieh hierauf Feu, dem Vater Yang-su’s, nachträglich das
Amt eines grossen Heerführers und den nach dem Tode zu
führenden Namen & at Tschung-tschuang.
Er ernannte ferner Yang-su zu einem grossen Heerführer
der Wagen und Reiter und einem im Verfahren mit den drei
1 Er beobachtete die Winde der vier Gegenden und wahrsagte daraus Glück
und Unglück.
42*
660
Pfizmaier,
Vorstehern Uebereinstimmenden. Derselbe wurde allmälig nach
den Gebräuchen behandelt.
Der Kaiser befahl Su, eine Schrift der höchsten Ver
kündung zu verfassen. Su senkte den Pinsel und verfasste
sie auf der Stelle. Sowohl Worte als Sinn waren trefflich.
Der Kaiser war darüber erfreut. Er blickte auf Su und
sprach zu ihm: Lasse dir es recht angelegen sein! Besorge
nicht, dass du nicht reich und vornehm wirst. — Su antwor
tete in demselben Augenblicke: Ich fürchte nur, dass Reich
thum und vornehmer Stand kommen, mich zu bedrängen. Ich
habe keine Gedanken, Reichthum und vornehmen Stand zu
bemessen.
Bei der Dienstleistung der Wiederherstellung des Friedens
in Thsi bat Yang-su, dass man an der Spitze der unter der
Fahne seines Vaters stehenden Krieger voraus sprenge. Der
Kaiser befolgte dieses. Er beschenkte ihn mit einer Batnbus-
tafel und sagte: Ich, der Kaiser, will eben im Grossen die
Tafel des Einhersprengens beobachten. Deswegen beschenke
ich euch mit diesem Gegenstände.
Su schloss sich an ^ Wang-hien von Thsi und
kämpfte mit den Menschen von Thsi in Ho-yin. Er wurde
seiner Verdienste wegen zu einem Lehensfürsten vierter Classe
des Kreises Ho-thsing eingesetzt. Seine Lehensstadt waren
fünfhundert Thüren des Volkes. In demselben Jahre übertrug
man ihm die Stelle eines Grossen von n m Sse-tsch’ing.
Im nächsten Jahre schloss er sich wieder an Wang-hien
und entriss Tsin-tscheu. Wang-hien lagerte mit seiner
Streitmacht in der Ebene von Khi-thsi. Der König
von Thsi kam mit einem grossen Kriegsheer an. Wang-hien
fürchtete sich und entwich in der Nacht. Er wurde von der
Streitmacht von Thsi überrascht, seine .Heeresmenge wurde
geschlagen und zerstreut. Yang-su kämpfte im Vereine mit
zehn kühnen Anführern mühevoll mit äusserster Kraft. Wang-
hien entkam mit genauer Noth. In den späteren Kämpfen
erwarb sich Su immer Verdienste.
Als der Friede in Thsi wieder hergestellt war, fügte man
zu den Aemtern Yang-su’s dasjenige des eröffnenden Sammel
hauses hinzu und verlieh ihm als neues Lehen das Lehen eines
Fürsten des Kreises Tsch’ing-ngan. Seine Lehensstadt waren
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
661
eintausend fünfhundert Tliüren des Volkes. Man beschenkte
ihn mit Hirse, Tuch, Sclaven und Selavinnen und verschieden
artigen Hausthieren.
Sich an S fi Wang-khieu schliessend, zertrümmerte
er die Macht U-ming'-tsch’i’s, Anführers von Tsch’in,
in {z* Liti-liang. Bei dem Ereignisse von jj=f Tung-
thsu-tscheu setzte man seinen jüngeren Bruder '|js. Schin zum
Lehensfürsten von I-ngan ein.
Xßk ^ Fan-I, Anführer von Tsch’in, baute eine Feste
an der Mündung des Flusses ^jlj Sse. Su griff ihn an, schlug
ihn in die Flucht und zerstörte die von Fan-I erbauten Werke.
Als Kaiser Siuen zu seiner Stufe gelangte, verlieh er
dem Vater Su’s nachträglich das Lehen eines Fürsten des
Kreises Lin-tsching und ernannte Yö, den jüngeren Bruder
Sn’s, zum Fürsten von Ngan-tsch’ing.
Yang-su schloss sich an Jji Wei-hiao-kuan auf
dessen Zuge durch Iloai-nan lind brachte abgesondert Hu-I
und Tschung-li zur Unterwerfung.
Als Kao-tsu Reichsgehilfe wurde, verband sich Yang-su
innig mit ihm und trug sich an. Kao-tsu hielt ihn für sehr
brauchbar. Er ernannte ihn zum stechenden Vermerker von
Pien-tscheu. Derselbe waltete bis nach Lö-yang.
Ais JU* m Wei-hing Aufruhr erregte, setzte sich ^
% t Yu-wen-tsch’eu, stechender Vermerker von King-
tscheu in Wu-lao fest und verständigte sich mit Yü-
wen-tsch’eu. Yang-su konnte nicht vorschreiten. Kao-tsu er
nannte Yang-su zum grossen Heerführer und liiess ihn die
Kriegsmacht von Ho-nan aussenden. Su griff Yü-wen-tsch’eu
an und zertrümmerte -dessen Macht. Kao-tsu versetzte Su zu
der Stelle eines allgemeinen Leitenden von Siü-tscheu und
beförderte ihn zu dem Range eines das Reich als Pfeiler
Stützenden. Zugleich verlieh er ihm das Lehen eines Fürsten
der Landschaft Thsing-ho. Die Stadt dieses Lehens waren
zweitausend Tliüren des Volkes. .Hk Yö, ein jüngerer Bruder
Yang-su’s, wurde Fürst von Lin-tsching.
Als Kao-tsu die Altäre der Landesgötter in Empfang
nahm, fügte er zu den Aemtern Yang-su’s dasjenige eines
oberen das Reich als Pfeiler Stützenden hinzu. Im vierten
662
Pfizmaier.
Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (584 n. Chr.) ernannte er
ihn zu einem kaiserlichen Vermerker und Grossen.
Die Gattin Yang-su’s von dem Geschlechte ||ß Tsch’ing
war von Gemütlisart heftig. Yang-su zürnte über sie und
sprach: Wenn ich als Himmelssohn aufträte, würden die Reichs
diener bestimmen, dass du nicht zur Kaiserin taugst. — Die
Gattin von dem Geschlechte Tsch’ing meldete dieses an dem
Hofe. Su wurde in Folge dessen in Anklagestand versetzt,
aber freigesprochen.
Der Kaiser trug sich eben mit Entwürfen hinsichtlich
des Landes ausserhalb des Stromes. Vordem hatte Yang-su
schon mehrmals Entwürfe zur Wegnahme des Gebietes der
Tsch’in vorgelegt. Nach nicht langer Zeit ernannte man ihn
zum allgemeinen Leitenden von 'jpj Sin-tscheu, beschenkte ihn
mit einhundertmal zehntausend Stücken Geldes, mit tausend
Stücken Brocates, zweihundert Pferden und entsandte ihn.
Su weilte in zrc ^ Yung-ngan und baute grosse Schilfe,
welchen er den Namen ^ U-ya ,fünf Zähne' gab. Auf
denselben errichtete er fünfstöckige Thürme von der Höhe
von hundert Schuhen. Links, rechts, vorn und rückwärts
stellte er sechs schlagende Stangen von der Höhe
von fünfzig Schuhen. Ein Schiff fasste achthundert Kämpfer.
Man gab oben Fahnen und Wimpeln hinzu. Die nächste Art
Schiffe hiess jj|f j||| Hoang-lung ,gelbe Drachen - '. Man stellte
auf dieselben fünfhundert Bewaffnete. Die übrigen Bewaffneten
fuhren auf flachen Booten, unter welchen ein jedes von dem
anderen verschieden war.
Als man im Grossen den Angriff auf Tsch’in unternahm,
ernaunte man Su zum ursprünglichen Vordersten des einher
ziehenden Kriegsheeres. Derselbe eilte, das Schiffsheer führend,
Das Kriegsheer gelangte zu
den Stromschnellen von t)J| Lieu-teu.
jä « Tsi-hin, Anführer von Tsch’in, bewachte mit
hundert grünen Drachenschiffen und einigen tausend lagern
den Kriegern die Stromschnelle von Lang-wei und
wollte den Weg des Kriegsheeres abschneiden. Der Boden
war abschüssig und zerrissen. Die Anführer waren darob be
sorgt. Su sprach: Die grosse Berechnung von Sieg und Nieder
lage gründet sich auf diese einzige Unternehmung. Wenn wir
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
663
am Tage herabschiffen, so werden Jene uns sehen. Die Strom-
schnellen sind im Laufe reissend und brechen sich, die Ein
richtung geht nicht von Menschen aus. Wir werden dann
unseres Vortheils verlustig. Wir überraschen sie in der Nacht.
Su führte jetzt mehrere tausend gelbe Drachenschiffe an.
Man fuhr mit Knebeln in dem Munde abwärts. Zugleich ent
sandte er J m Wang-tschang-si, d§n Angestellten des
eröffnenden Sammelhauses, mit dem Aufträge, an der Spitze
der Fussgänger von der südlichen Uferbank aus das besondere
Pfahl werk Tsi-hin’s anzugreifen. Ferner hiess er den grossen
Heerführer «H= ® Lieu-jin-ngen an der Spitze der ge
panzerten Reiter zu der nördlichen Uferbank von Pe-
scha eilen. Spät am nächsten Morgen kam man an und machte
den Angriff. Si-hin wurde geschlagen und entfloh. Dessen
gesammte Heeresmenge wurde gefangen. Man bewillkommnete
sie und schickte sie fort. Man that ihr nicht im Geringsten
etwas zu Leide. Die Menschen von Tsch’in waren sehr
erfreut.
Yang-su fuhr mit dem Wasserheere ostwärts hinab. Die
Schiffe bedeckten den Strom. Su sass in einem flachen, grossen
Schiffe, sein Angesicht war männlich und kühn. Die Menschen
von Tsch’in blickten'auf ihn und sagten furchtsam: Der Fürst
von Thsing-ho ist der Gott des Stromes.
s #
Liü-tschung-sö, in Diensten von Tsch’in
innerer Vermerk er von Nan-khang, lagerte in
Khi-ting und hielt gerade die durch Berge eingezwängten
Stellen des Stromes besetzt. Er meisselte an der nördlichen
Uferbank die Felsen ein, befestigte an sie drei eiserne Ketten,
durchschnitt damit quer die obere Strömung und versperrte
den Kriegsschiffen den Weg.
Yang-su stieg mit Lieu-jin-ngen ans Land. In Gemein
schaft vorrückend, griff man zuerst das Pfahlwerk an. Das
Kriegsheer Liü-tschung-sö’s entzog sich in der Nacht dem
Kampfe. Su entfernte langsam die Ketten. Liü-tschung-sö
setzte sich wieder zu * ü Yen-tscheu in M PI King-men
fest. Su sandte tausend Kriegsleute von Pa und Tan.
Dieselben bestiegen vier Schiffe der fünf Zähne und zer
schmetterten mit Mastbäumen aus Pistazienholz zehn Räuber
schiffe. Die Räuber erlitten hierauf eine grosse Niederlage.
664
P fizmaier.
Man nahm zweitausend gepanzerte Kriegsmänner gefangen.
Liü-tschung-sö selbst entkam mit genauer Noth.
Der Vorgesetzte von Tsch’in entsandte |j|| Ku-kiÖ,
stechenden Vermerker von ^ Sin-tscheu mit dem Aufträge,
die Feste Ngan-schö nieder zu halten, jjjjl ^ Tsch’in-
ki, stechender Vermerker von ^)J King-tscheu, sollte ^ ^
Kung-ngan niederhalten. Beide fürchteten sich, wichen zurück
und entflohen. Von Pa-ling östlich wagte Niemand, sich zu
vertheidigen. B M 1t Tsch’in-schö-schin, König von Yö-
wang, der stechende Vermerker von Siang-tscheu schickte
einen Abgesandten und bat, sich unterwerfen zu dürfen.
Yang-su fuhr bis zu der Mündung des Han hinab und
hatte daselbst mit Hiao, König von Thsin, 1 eine Zusammen
kunft. Als er zurückkehrte, ernannte man ihn zum allgemeinen
Leitenden von m King-tscheu und beförderte ihn zu der
Lehensstufe eines Fürsten des Reiches Ying. Die Lehens
stadt waren dreitausend Thüren des Volkes. Er hatte die
wahren Einkünfte von tausend Thüren des Volkes in dem
Kreise Tschang-scheu. Man ernannte seinen Sohn £ Jf
Hiuen-kan zu einem im Verfahren Uebereinstimmenden |
[iffj, seinen Sohn Hiuen-tsang zum Fürsten der Land
schaft Thsing-ho. Man beschenkte Su mit zehntausend Gegen
ständen, mit zehntausend Scheffeln Hirse und fügte Gold und
Kostbarkeiten hinzu. Ferner beschenkte man ihn mit der
jüngeren Schwester des Vorgesetzten von Tsch’in und vierzehn
Sängerinnen.
Su sprach zu dem Kaiser: In eine Strasse Namens
Sching-mu ,die Mutter überwinden', trat Tseng-tse nicht
ein. Der Empörer |jjp Wang-I wurde vordem mit Ying
belehnt. Ich wünsche nicht, mit ihm gleich zu sein. — Man
veränderte jetzt sein Lehen zu demjenigen eines Fürsten des
Reiches jj|| Yue. Sofort ernannte man ihn zu einem die Worte
Vorbringenden und nach einem Jahre zum inneren Vermerker
und Gebietenden.
Unverhofft zogen ^ Li-leng, ein Mensch von Kiang-
nan, und Andere ihre Heeresmengen zusammen und erregten
Aufruhr. Die grossen Ansammlungen waren mehrere Zehn-
1 Hiao, König von Thsing, ist der dritte Sohn des Kaisers Kao-tsu.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
665
tausende, die kleinen mehrere Tausende. Gegenseitig Schatten
und Wiederhall, tödteten sie und mordeten die ältesten An
gestellten. Man machte Yang-su zum allgemeinen Leitenden
des einherziehenden Kriegsheeres. Derselbe stellte sich an
die Spitze einer Heeresmenge und verhängte Strafe.
Der Räuber ^ ^ Tschü-mö-wen nannte sich ste
chenden Vermerker von ^ Nan-siü-tscheu und besetzte
mit einer vollkommenen Streitmacht die Ausgänge der Mutter
stadt. Yang-su, das Schiffsheer befehligend, drang von der
Ueberfahrt ^ Yang-tse ein, griff im Weitei-segeln die
Räuber an und zertrümmerte ihre Macht.
Itft Ku-schi-hing von Tsin-ling nannte sich Statt
halter. Derselbe kam mit seinem allgemeinen Beaufsichtiger
jmS xH Pao-thsien und Anderen wieder zurück und stellte sich
zum Kampfe. Su, ihm entgegentretend, griff ihn an und zer
trümmerte dessen Macht. Er nahm Pao-thsien fest und machte
dreitausend Menschen zu Gefangenen.
Hierauf vorrückend, griff er (5^. Sche-liö, den Räuber
anführer von iE: £M, Wu-si, an und stellte ebenfalls die Ruhe
wieder her.
tlC Tsch’in-hiuen-tseng und ^ Tsch’in-khie
aus der Landschaft U und Andere belagerten mit ihren
Streitkräften Su-tscheu. Der stechende Vermerker "pjj ^
Fu-tsi kämpfte fortwährend, ohne etwas auszurichten. Su
unterstützte ihn mit einer Heeresmenge. Tsch’in-hiuen-tseng,
mit Macht bedrängt, entfloh und schlug sich zu ^
Lö-ineng-sün, Räuberanführer von Nan-scha. Su griff Lö-meng-
sün in Sung-kiang an, zertrümmerte in grossem Masse dessen
Macht und nahm ihn und Tsch’in-hiuen-tseng gefangen.
fjfc g Tsch’in-siue und % Tsch’in-neng, Räuber
anführer von (H + Vj) %K l - h i, besetzten Pfahlwerke und
verschanzten sich. Sxx griff sie ebenfalls an und entx-iss die
Pfahlwei-ke.
lil Ül Ü Kao-tschi-hoei, Räuberanführer von Tsche-
kiang, nannte sich stechenden Vermerker von ^ ^ Tung-
yang-tscheu. Derselbe lag mit tausend Schiffen vor ^ ^
Yao-hai und hielt es besetzt. Seine Streitmacht war sehr
stark. Yang-su griff sie an. Er kämpfte angestrengt vom
666
Pfizmaier.
Morgen bis zu der Stunde Scbin (9) und zertrümmerte sie.
Kao-tsclii-hoei entfloh und schiffte in das Meer. Yang-su folgte
ihm. Er fuhr von
Yü-yao auf dem Meere und eilte
nach Yung-kia. Kao-tschi-hoei kam wieder zurück und stellte
sich zum Kampfe. Su griff ihn an, schlug ihn in die Flucht
und machte mehrere tausend Gefangene.
Der Räuberanführer 'ÖE Sä Wang-wen-tsin nannte
sich Himmelssohn und besetzte die verschlossene Abtheilung
von Tung-yang. Dessen Genosse ^ ^ Thsai-tao-jin
wurde Vorsteher der Räume und bewachte Lö-ngan. Yang-su
rückte vor, verhängte Strafe und stellte gänzlich den Frieden
wieder her. Ferner zertrümmerte er die Macht ^
Tsch’in-hiao-tsch’i’s, des Räuberanführers von Yung-kia, wandte
sich dann auf Fusswegen nach ^ ^ Thien-thai, richtete
sein Augenmerk auf die Landschaft Lin-hai und vertrieb oder
fing die übriggebliebenen Räuber. Er bestand vorher und zu
letzt über hundert Kämpfe. Kao-tschi-hoei wich zurück und
bewachte Min und Yue.
Der Kaiser, in Betracht ziehend, dass Yang-su lange Zeit
auswärts sich abgemüht, hiess ihn in einer höchsten Verkün
dung von Standort zu Standort einherjagen und an dem
Hofe eintreten. Er fügte zu den Aemtern Hiuen-kan’s, des
Sohnes Yang-su’s, noch dasjenige des oberen eröffnenden
Sammelhauses und beschenkte ihn mit dreitausend Stücken
bunter Stoffe.
Da die übriggebliebenen Räuber noch nicht vernichtet
waren, fürchtete Yang-su, dass dieselben später ein Gegen
stand der Sorge sein werden. Er stellte wieder die Bitte, ab-
reisen zu dürfen. Der Kaiser Hess jetzt die folgende höchste
Verkündung herabgelangen:
,Ich .der Kaiser bin bekümmert um die hundert Ge
schlechter, an dem Abend des Tages vergesse ich, Speise
zu nehmen. Wenn eine Sache den Ort verfehlt, senkt sich das
Gefühl tief in die Gräben. Ausserhalb des Stromes ist man
rasend, fügt eitler Weise ungeheuerliche Widersetzlichkeit zu
sammen. Wurde auch durchgängig vernichtet und weggeschafft,
das Volk hat noch keine Erleichterung. Es gibt noch immer
Häuptlinge der Räuber, unselige Vorderste, welche entfliehen
und sich in den Schluchten der Berge verlieren. Es ist zu
Darlegnngen aus der Geschichte des Hauses Sui.
667
fürchten, dass sie sich sammeln und verbünden, dass sie schwer
beunruhigen die vielfachen Gehörnen/
,Su, innerer Vermerker und Gebietender, oberer das
Reich als Pfeiler' Stützender, Fürst des Reiches Yue, erkennt
und durchdringt Alterthum und Gegenwart. Er entwirft das
Dauernde und Ferne, er schob eben die Radnaben, verherr
lichte lange Zeit Macht und Namen. Es ziemt sich, ihn mit
der Stelle eines grossen Leitenden der Waffen zu betrauen,
ihn zum ursprünglichen Vordersten zu machen. Dass er die
Sitten des Hofes bekannt gibt, Macht und Kriegsmuth aus
breitet, Abtrünnige und Entlaufene gefangen nimmt und ab
schneidet, die Menge der Gemeinen tröstet und beruhigt, der
Sachen des Kriegsheeres und des Volkes sich befleissigt, dieses
einzig überlasse ich ihm/
Yang-su bestieg wieder den unterlegten Wagen und ge
langte nach Hoei-ki. Vordem gehörte Hl H f§ Wang-kue-
khing, ein Mensch von ^ Thsiuen-tscheu, zu einem ausge
zeichneten Seitengeschlechte von Nan-ngan. Derselbe tödtete
den stechenden Vermerker m & Lieu-hung, setzte sich in
dem Landstriche fest und erregte Aufruhr. Alle entwichenen
Räuber wendeten sich ihm zu. Weil er glaubte, dass die
Menschen des Nordens mit den Absperrungen des Seeweges
nicht vertraut seien, stellte er keine Vorposten auf. Su schiffte
auf dem Meere und überraschte ihn. Wang-kue-khing verliess
in Hast den Landstrich und entfloh. Seine noch übrigen Ge
nossen zerstreuten sich und bargen sich auf den Inseln des
Meeres. Einige bewachten die Bäche und Schluchten.
Su entsandte getheilt seine Anführer, welche zu Wasser
und zu Lande verfolgten und festnahmen. Er hiess jetzt heim
lich Menschen zu Wang-kue-khing sagen: Wenn man die Art
deines Verbrechens erwägt, so steht darauf nicht die Hinrich
tung. Du brauchst blos Kao-tschi-hoei zur Enthauptung zu
schicken und du kannst die Bezichtigung verschliessen. —
Wang-kue-khing nahm hierauf Kao-tschi-hoei fest und schickte
ihn zur Enthauptung nach Thsiuen-tscheu. Die übrigen Ge
nossen kamen sämmtlich, unterwarfen sich und schlossen sich
an. Kiang-nan erhielt im Ganzen seine Bestimmung.
Der Kaiser schickte :äj§jj Iö-ku-tho, leitenden
Heerführer zur Linken, damit er Yang-su bis j|| Siün-I
668
Pfizmaier.
entgegengehe und ihn bewillkommne. Als Yang-su eben in
der Matterstadt anlangte, kamen täglich Menschen, welche sich
nach ihm erkundigten. Man ernannte Hiuen-tsiang, den Sohn
Yang-su’s, zu einem im Verfahren Uebereinstimmenden. Su
selbst beschenkte man mit vierzig Pfunden gelben Goldes.
Man fügte hierzu einen mit Gold und Geldstücken gefüllten
silbernen Krug, dreitausend Stücke Seidenstoffes, zweihundert
Pferde, zweitausend Schafe, hundertmal Hundertmorgen öffent
licher Felder und ein Wohnhaus. Derselbe wurde an der
Stelle Su-wei’s oberster Buchführer, Vorgesetzter des
Pfeilschiessens zur Rechten und handhabte mit jijj Jfj| Kao-
ying ausschliesslich die Lenkung des Hofes.
Yang-su war von Sinn schlicht und verständig. Hohe
und Niedere waren Gegenstand seiner Gedanken. Innerhalb
des Kreises der Diener des Hofes zog er ziemlich Kao-ying
vor. Er ehrte Zjr. ^ Nieu-hung, verkehrte viel mit ^ ||J
Sie-tao-heng und blickte auf Su-wei mit Geringschätzung.
Unter den übrigen vornehmen Männern des Hofes waren viele,
deren Begabung und Fähigkeiten von ihm verachtet wurden.
Seine Sitten stimmten am meisten mit denjenigen Kao-ying’s
überein. Er eröffnete es selbst als eine Wahrheit, dass, als
das Reich seine Bestimmung erhalten, die Dinge geebnet
worden, die um die Zeit angestellten Vorgesetzten und Reichs
gehilfen an Kenntniss und Ermessen bei weitem Kao-ying
nicht gleich seien.
Unerwartet hiess man Yang-su den Palast H Jin-
scheu erbauen. Yang-su ebnete hierauf Berge, versperrte
Thäler und beaufsichtigte die Dienstleistungen streng und mit
Hast. Viele Arbeiter starben, zur Seite des Palastes hörte man
lange Zeit Klagetöne der Dämonen. Als der Palast vollendet
war, wurde Kao-ying von dem Kaiser beauftragt, ihn früher
zu besichtigen. Kao-ying sagte in seiner Meldung, er bedauere
ziemlich dessen Zierlichkeit, man habe in grossem Maasse
Arbeiter zugesetzt. Kao-tsu war nicht erfreut. Yang-su, be
sorgt und in Furcht, wusste sich nicht zu rathen. Er sprach
daher an dem nördlichen Thore zu der Kaiserin von dem Ge-
schlechte Tö-ku: Nach der Vorschrift der Kaiser und Könige
gibt es getrennte Paläste, besondere grosse Gebäude. Jetzt
hat die Welt grossen Frieden, man erbaute diesen einzigen
Darlegungen ans der Geschichte des Hauses Sui.
669
Palast. Wie könnte man genug zusetzen und verbrauchen? —
Die Kaiserin theilte diese Ansicht dem Kaiser mit. Der Un-
muth des Kaisers liess nach. Er beschenkte hierauf Yang-su
mit hundertmal zehntausend Kupferstücken und dreitausend
Stücken Seidenstoffes.
Im achtzehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (598
n. Chr.) verletzte der Türke Pp) Thä-teu Kho-han die Ver
sperrungen. Man ernannte Su zum allgemeinen Leitenden
des auf dem Wege von ||| Ling-tscheu ziehenden Kriegs
heeres. Er trat aus den Versperrungen und strafte Thä-teu
Kho-han. Man beschenkte ihn mit zweitausend Gegenständen
und hundert Pfunden gelben Goldes.
Vordem bedachten die Anführer in den Kämpfen mit
den Türken immer den Anstoss der Reiter von Hu. Sie
bildeten aus Streitwagen, Fussgängern und Reitern, die sich
untereinander mengten, viereckige Schlachtordnungen von der
Gestalt der Hirschgeweihe. Die Reiter befanden sich in dem
Inneren. Yang-su sagte zu den Leuten: Dieses ist wohl der
Weg, um sich zu sichern, es ist nicht das Mittel, den Sieg zu
erringen. — Er schaffte jetzt die alte Weise gänzlich ab und
hiess die Kriegsheere Schlachtordnungen von Reitern bilden.
Als Thä-teu dieses hörte, hatte er grosse Freude und sprach:
Hier macht der Himmel uns ein Geschenk. -— Dabei stieg er
vom Pferde, blickte zu dem Himmel empor und verbeugte sich.
Er erschien an der Spitze von zehnmal zehntausend aus
erlesenen Reitern. Yang-su griff mit Heftigkeit an und zer
trümmerte in grossem Maasse dessen Macht. Thä-teu erhielt
eine schwere Wunde und entfloh. Seine Todten und Ver
wundeten waren zahllos.. Die Scharen der Türken zogen unter
Wehausrufen fort.
Eine überschwängliche höchste Verkündung rühmte
Yang-su. Man beschenkte ihn mit zweimal zehntausend Stücken
Seidenstoffes und zehntausend kostbaren Gürteln. Seinem
Sohne Hiuen-kan verlieh man noch den Rang eines grossen
Heerführers, seinen Söhnen Hiuen-tsiang, Hiuen-tsung
und ijijäj äjfe TsI-sclien den Rang von oberen im Verfahren
Uebereinstimmenden.
Yang-su gebrauchte vielerlei Kriegslist. Die Triebwerke
sich zu Nutzen machend, eilte er gegen den Feind, er hatte
670
Pfizmaier.
keinen Ausweg, der den Veränderungen entsprach. Indessen
trieb er im Ganzen das Waffenhandwerk streng und richtig.
Wenn Jemand den Kriegsgesetzen zuwiderhandelte, liess er
ihn auf der Stelle enthaupten. Es gab nichts, das ihn zu
Nachsicht oder Umwandlung bewog. Wenn er auf die Räuber
herabblicken wollte, forschte er ohne Weiteres nach Menschen,
welche Fehler begangen hatten, und liess sie enthaupten. Die
selben waren in grosser Anzahl über hundert, in kleiner An
zahl nicht unter zehn. Während das fliessende Blut den Raum
vor ihm erfüllte, redete und lachte er wie früher.
Wenn man dann einer Schlachtordnung gegenüberstand,
hiess er früher ein- bis zweihundert Menschen sich auf den Feind
stürzen. Wenn sie die Schlachtordnung zum Einsinken brachten,
so that er nichts weiter. Wenn sie die Schlachtordnung nicht
zum Einsinken bringen konnten und zurückkehrten, so liess
er sie, ohne nach der Anzahl zu fragen, sämmtlich enthaupten.
Ferner hiess er zwei- bis dreihundert Menschen wieder vor
rücken und zurückkehren, als ob sie sich der Vorschrift zu
wendeten. Die Anführer und Kriegsmänner zitterten und hatten
den Muth der Verzweiflung. Dadurch bestand er nie einen
Kampf, ohne zu siegen, und wurde als vorzüglicher Anführer
berühmt.
Su legte lange Zeit Werth auf Einschmeichelung, und
jedes seiner Worte wurde befolgt. Diejenigen, welche sich
ihm auf seinen Zügen anschlossen, wurden, wenn sie auch die
kleinsten Verdienste hatten, in die Verzeichnisse eingetragen.
Bei anderen Anführern hingegen wurden viele, wenn sie auch
grosse Verdienste hatten, von den Angestellten der Schrift zur
Rede gestellt und zurückgesetzt. Ungeachtet der Strenge,und
Härte Yang-su’s wünschten aus diesem Grunde auch die Kriegs-
männer, sich ihm anzuschliessen.
Im zwanzigsten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (600
n. Chr.) wurde Kuang, König von Tsin, der ursprüngliche Vor
derste des auf den Wegen von j|j| Ling und |}Jj So einher
ziehenden Kriegsheeres. Su wurde ältester Vermerker. Der
König zeigte sich im Umgänge mit ihm unterwürfig. Dass
Kuang zuletzt der grosse Sohn wurde, war die Folge der Be
rathungen Yang-su’s.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
671
Im Anfänge des Zeitraumes Jin-scheu (601 n. Chr.) wurde
Su an der Stelle Kao-ying’s oberster Buchführer und Vorge
setzter des Pfeilschiessens zur Linken. Man beschenkte ihn
mit hundert vortrefflichen Pferden, zweihundert Stuten und
hundert Sclaven und Sclavinnen.
In demselben Jahre ernannte man Yang-su zum ursprüng
lichen Vordersten des einherziehenden Kriegsheeres. Aus ®
Yiin-tscheu hervorbrechend, griff er die Türken an und schlug
sie fortgesetzt. Die Türken wichen zurück und entflohen. Su
folgte ihnen mit seinen Reitern auf den Fersen. Als esJSfacht
wurde, erreichte er sie und wollte nochmals kämpfen. Er
fürchtete, dass die Räuber ihm entkommen könnten. Er hiess
daher die Reiter ein wenig Zurückbleiben. Er selbst mit zwei
Reitern und von zwei Türken, welche sich ergeben hatten, be
gleitet, zog mit den Feinden zugleich einher. Diese bemerkten
ihn nicht. Er wartete, bis sie anlialten und einkehren würden.
Sie hatten das Ziel noch nicht bestimmt, als die nachrücken
den Reiter sie unversehens angriffen. Sie brachten ihnen eine
grosse Niederlage bei. Seit dieser Zeit zogen sich die Türken
weit von dem Süden der Sandwüste zurück und man hatte
keinen Vorhof der nördlichen Fremdländer 1 mehr.
Wegen der Verdienste Yang-su’s erhob man dessen Sohn
Hiuen-kan zu der Rangstufe eines das Reich als Pfeiler Stützen
den. Der Sohn Hiuen-tsung wurde Fürst der Landschaft
Hoai-nan. Man belohnte Yang mit zweimal zehntausend Ge
genständen.
Als die Kaiserin Hien starb, wurden viele Einrichtungen
und Bemessungen der Bex-ge und Anhöhen 2 durch Yang-su
ms Leben gerufen. Der Kaiser billigte dieses und Hess eine
höchste Verkündung herabgelangen, in welcher er sagte:
,Der Gebieter ist das ursprüngliche Haupt. Die Diener
smd dann Schenkel und Arme. Sie bringen gemeinschaftlich
zur Ordnung die zehntausend Geschlechter. Dem Sinne nach
sind sie zusammen ein einziger Leib/
1 Im Chinesischen werden, wie auch an dieser Stelle, Türken und andere
nördliche Fremdländer häufig durch Lu ,Gefangene 4 bezeichnet, was
sich in Uebersetzung nicht wiedergeben lässt.
2 Die Berge und Anhöhen sind Grabstellen.
672
Pfizm aier 4
,Su, oberer das Reich als Pfeiler Stützender, oberster
Buchführer, Vorgesetzter des Pfeilschiessens zur Linken, grosser
Beaufsichtiger des Palastes Jin-scheu, Fürst des Reiches Yue,
von Vorsatz und Bemessung hoch und gross, mit Triebwerken
und Abspiegelung glänzend und weitreichend, trägt in dem
Busen die der Zeit zur Seite stehenden Entwürfe, hält in den
Armen die dem Reich als Muster dienende Begabung. An der
Königsbeschäftigung erstem Grundgestell, bei des oberherr
lichen Abrisses anfänglicher Aufstellung zeichnete er in die
Tafeln den Namen, ftberliess die Wesenheit. Das Altarfleisch
empfangend, schickte er das Heer aus. Er nahm gefangen
und schnitt ab unselige Häuptlinge, bewältigte und beruhigte
Kue und ||ß Tsch’ing. Er ordnete unausgesetzt die Rech
nungen des Ahnentempels, entfaltete die Zeichenfahnen in
dem Lande ausserhalb des Stromes. Wurde er beschenkt mit
den Gesetzabschnitten für die Waffen, sprengte er fortwährend
zu der Nordseite der Versperrungen. Er zeigte im Süden mit
dem Finger, und U und Yue waren ehrerbietig und rein.
Er blickte herab im Norden, und die Hien-yün waren zer
malmt und unterwarfen sich.'
,Seit er sich bei den Abmessungen des äussersten Endes
befand, nahm er Theil an dem Vorlegen der Triebwerke und
Wagebalken. An dem Hofe war er von richtigem Aussehen,
in seinen geraden Worten war keine Verheimlichung. Erörterte
er den Schriftschmuck, so legte sich das Hornblatt der Rede 1
schräg gegenüber. Besprach er die Kriegssachen, so kam das
Wunderbare seines Gewichtes zum Vorschein. War es Schrift
sache oder auch Kriegssache, er that nur, was ich, der Kaiser,
befahl. Wurde er betraut und beauftragt, früh und in der
Nacht, war keine Vernachlässigung. 4
,Die Kaiserin Hien trennte sich plötzlich von den sechs
Palästen. In fernen Tagen hatte sie gesagt: Wenn die Gränzen
des Grabes gezogen werden, übertrage man Su den Bau. —
Doch in der Sache der Bestattung richtete er sich nach den
Gebräuchen. Er brannte bloss die Schildkrötenschale für die
Quellensteine. Für Dinge wie Glück und Unglück bediente er
1 Die schriftlich ausgedrückten Worte. Mit den Streifen des Hornblatts
wird die Schrift verglichen.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
673
sich dieses Mittels nicht. Su in seiner Gerechtigkeit verblieb
bei der Darbietung für den Höchsten, sein Gefühl verkörperte
tief das Reick. Er wollte bewirken, dass Dunkles und Helles
gleich gross, dass Kostbarkeit und Segen ohne Ende. Er hielt
dafür, dass die Bücher des Yin und Yang von höchstweisen
Menschen verfasst worden, dass bei den Ordnungen von Glück
und Unglück einzig Untersuchung und Aufmerksamkeit noth-
wendig. Er schritt jetzt rings zu Flüssen und Ebenen, nahm
eigenhändig die Wahrsagung vor, wählte das Kleine und Ver
schlossene. War es nicht gut, so suchte er von Neuem. In
seinen Vorsätzen entwarf er das ursprünglich Glückliche, in
seiner Bestrebung hörte er nicht auf. Die Kraft seines Herzens
ward gänzlich aufgewandt, die Geister der Menschen waren ein
verstanden und halfen. Hierauf erlangte er die göttliche Markung,
die Erde des Segens. Er baute und gründete Berg und Anhöhe/
,Erörtert inan diese Herzenseigenschaft Su’s, so ist die
Sache gipfelnde Wahrhaftigkeit und Kindlichkeit. Wie könnte
es mit jener Beruhigung der westlichen Fremdländer, mit der
Abstellung der Räuber verglichen werden? Die Beschäftigung
bei solchen Verdiensten ist nicht bloss die mit den Geräthen
des Flurgangs und des Hofes, er ist in Wirklichkeit ein Diener
der Landesgötter. Wenn man ihm nicht Lob und Belohnung
zu Theil werden lässt, womit könnte man diese Ermunterung
zu Bestrebungen darlegen
,Man kann einen Sohn besonders in das Lehen eines
Fürsten der Landschaft ||jF I-khang einsetzen. Die Lehen
stadt seien zehntausend Thüren des Volkes. Von Sohn zu
Sohn, von Enkel zu Enkel sei die Gewährung des Geschenkes
nicht unterbrochen. Das Uebrige sei wie früher. Zugleich ver
leihe ich dreissig Hundertmorgen Felder, zehntausend Stücke
Seidenstoffes, zehntausend Scheffel Reis, eine goldene Schüssel
gefüllt mit Gold, eine silberne Schüssel gefüllt mit Perlen,
dabei Taffet und Brocat fünfhundert Stücke/
Um diese Zeit stieg Yang-su in Ansehen und Gunst immer
höher. Sein jüngerer Bruder Yö, sein Oheim ^
Wen-sse, sein jüngerer Bruder ^ Wen-ki und sein
Mutterbruder ( p, 4- m 2 I waren oberste Buchführer und
1 In dem hier dargelegten Zeichen ist unter zu setzen.
Sitzungsber. d. phil.-hibt. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 43
674
Pfizmaier.
Thsing-hien.
Reichsdiener. Seine Söhne gelangten ohne so viel Anstrengung,
als es bedarf, ein Pferd schwitzen zu machen, zu den Rang
stufen von das Reich als Pfeiler Stützenden und stechenden
Vermerkern. Seine Hausknaben waren .mehrere Tausende,
die Sängerinnen und Nebenfrauen des rückwärtigen Vorhofes,
welche Seidenflor nachsehleppten, waren tausend an der Zahl.
Seine Wohngebäude zeigten Pracht und Verschwendung und
waren mit Palästen und verschlossenen Abtheilungen des
Palastes zu vergleichen. Bei ihm befanden sich Ep Pao-
hiang, welcher sich gut auf den angehängten Schriftschmuck
verstand, und Yin-tsch’eu, welcher in der Pflanzen
schrift und in der Schrift der Angestellten geschickt war.
Beide waren vorzügliche Männer von Kuang-nan. Sie ver
fielen durch die Empörung Kao-tschi-hoei’s den Obrigkeiten
und wurden die Haussclaven Yang-su’s. Ferner befanden sich
bei ihm deren Verwandte, die früheren Angestellten ^i|j
P’u-lie und ^
Die Vollkommenheit des An
sehens, in welchem Yang-su stand, war in dem nahen Alter
thum unerhört.
Als der nachherige Kaiser Yang der grosse Sohn ge
worden war, empfand er Widerwillen gegen Sieu, König
von Schö. 1 Er machte mit Yang-su gegen ihn einen Anschlag
und brachte durch Zusammenfügung Verbrechen des Königs
zu Stande. Sieu wurde später abgesetzt.
Wenn Diener des Hofes sich Yang-su widersetzten, so
mochten es selbst solche sein, welche in äusserster Wahrhaftig
keit das Reich verkörperten, wie ^ ijpij Hö-jö-pe, ■
JH Sse-wan-sui, Li-kang, |J}|] Lieu-yö, er
stellte sie alle in den Hintergrund. Waren es solche, welche
sich ihm anschlossen und mit ihm sich vereinigten, oder seine
Verwandten, so mochten sie selbst ohne Begabung und un
brauchbar sein, er liess ihnen sicher Beförderung und Be
vorzugung zu Theil werden. An dem Hofe fürchteten ihn Alle
und schlossen sich ihm an. Bloss mm Lieu-schö, oberster
Buchführer von der Abtheilung der Waffen, trat vermöge seines
Ansehens als Eidam des Kaisers diesem öfter unter die Augen
und verklagte Yang-su.
1 Der König von Schö ist der vierte Sohn des Kaisers Kao-tsu.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
675
[ffj^ Liang-pi, Reiclisdiener der grossen Ordnung, hob
eine Denkschrift empor. In dieser Denkschrift sagte er, Su
stelle Macht zur Schau, stelle Glück zur Schau. Der Kaiser
wurde allmälig Yang-su entfremdet und abgeneigt.
In Folge dessen liess der Kaiser später einen höchsten
Befehl ergehen, in welchem es hiess: Der Vorgesetzte des Pfeil
schiessens, der Vorgesetzte und Stützende des Reiches darf
nicht selbst sich mit Kleinem beschäftigen. Er wende sich
bloss alle drei bis fünf Tage einmal der verschlossenen Ab
theilung zu und beurtheile und erörtere die grossen Angelegen
heiten. — Er zeigte äusserlich, dass er Yang-su übermässig
ehre, doch in Wirklichkeit beraubte er ihn des Einflusses. In
dem ganzen letzten Jahre des Zeitraumes Jin-scheu (604 n. Chr.)
führte Yang-su nicht mehr die Entscheidungen in Sachen der
verschlossenen Abtheilung herbei.
Der Kaiser beschenkte die Würdenträger, von den Königen
und Fürsten abwärts, bei dem Pfeilschiessen. Yang-su hatte
mit dem Pfeile die erste Geschicklichkeit. Der Kaiser be
schenkte Yang-su mit einer von den auswärtigen Reichen zum
Geschenke gemachten Schüssel von reinem Golde, welche einen
Werth von zehntausendmal zehntausend Kupferstücken hatte.
Im vierten Jahre des Zeitraumes Jin-scheu (604 n. Chr.)
folgte Yang-su dem Kaiser auf dessen Zuge nach dem Palaste
Jin-scheu. Er wurde bei den Festlichkeiten vielfach beschenkt.
Als der Kaiser erkrankte, trat Yang-su mit ^IjJJ Lieu-
schö, obersten Buchführer von der Abtheilung der Waffen, -jq
Jg Yuen-yen, aufwartendem Leibwächter des gelben Thores,
und anderen in den Söller und wartete bei der Krankheit auf.
Um diese Zeit trat der kaiserliche grosse Sohn ein und
bewohnte die grosse Halle ^ Ta-pao. Er bedachte, dass
bei dem Kaiser das Unvermeidliche eintreten werde und traf
alsbald Vorkehrungen. Er schickte ein eigenhändiges Schreiben
heraus, in welchem er Yang-su befragte. Dieser antwortete
dem grossen Sohne, indem er die Sache nach ihren Ab
zweigungen aufzeichnete. Die Palastmenschen brachten die
Aufzeichnungen aus Irrthum dem Kaiser. Der Kaiser über
blickte sie und wurde sehr unwillig. Auch das von ihm be
günstigte theure Mädchen von dem Geschechte ^ Tsch’in
sagte, dass der grosse Sohn sich unartig benehme. Der Kaiser
43*
676
P f i z m a i e i .
gerieth hierauf in grossen Zorn und wollte seinen Sohn, den
er zum gemeinen Menschen gemacht, zu sich berufen.
Der grosse Sohn berathschlagte sich darüber mit Yang-su.
Dieser verfasste eine falsche höchste Verkündung und schickte
an die Kriegsmänner des östlichen Palastes eine Schrift, welche
befahl, an dem Thore der übernachtenden Leibwache von H
ijfji Schang-thai den Ein- und Austritt zu verbieten und zu
gleich ^ jyT jtJl Yü-wen-schö und ^ jjj Kö-yen die Be
messung des Abschnittsrohres wegzunehmen. Ferner hiess man
jjrJI Tschang-heng bei der Krankheit aufwarten. An diesem
Tage noch starb der Kaiser. In Folge dessen gab es ziemlich
verschiedene Erörterungen.
Es ereignete sich, dass Liang, König von Han, 1 sich
empörte. Derselbe entsandte ^p iffij ^ Jü-jü-thien-pao,
welcher im Herankommen Ü u-tscheu besetzte und die
Brücke des Flusses abbrannte. Ferner entsandte er J
¥ Wang-than-tse an der Spitze von mehreren zehntausend
Menschen, damit er mit vereinter Kraft Widerstand leiste und
bewache.
Yang-su drang gegen sie mit fünftausend leichten Reitern.
Er setze an der Mündung des yP| Wei heimlich in der Nacht
über und griff sie spät am nächsten Morgen an. Jü-jü-thien-
pao wurde geschlagen und entfloh. Wang-than-tse hatte Furcht
und ergab sich mit der Feste. Eine höchste Verkündung be
rief Yang-su zurück. Dieser hatte, als er im Begriffe auszu
rücken war, die Tage berechnet, binnen welchen er die Räuber
schlagen würde. Alles stimmte jetzt mit seiner Berechnung
überein.
Der Kaiser ernannte ihn hierauf zum allgemeinen Leiten
den des auf den Wegen von pp- Ping-tscheu einherziehenden
Kriegsheeres, zum beruhigenden grossen Abgesandten des
Weges von Ho-pe und stellte ihn an die Spitze einer Menge
von mehreren Zehntausenden mit dem Aufträge, über Liang
Strafe zu verhängen.
Um diese Zeit erklärten sich die Landstriche pp- Tsin,
ipfT Kiang und Q Liü für Liang und vertheidigten ihre Festen.
Su legte vor jede Feste zweitausend Krieger und zog weiter.
1 Der Köiiig von Han ist der fünfte Sohn des Kaisers Kao-tsu.
Darlegungen ans der Geschichte des Hauses Sui.
677
Liang entsandte Tschao-tse-khai, der sich im
Besitze einer Menge von mehr als zehnmal zehntausend Men
schen befand. Derselbe hatte die Absicht, die Wege abzu
schneiden und lagerte in "jEfj ||| Kao-pi. Er breitete seine
Schlachtordnung über eine Strecke von fünfzig Li.
Yang-su hiess die Anführer mit ihren Streitkräften auf
ihn herabblicken. Er selbst führte die wunderbaren Krieger 1
und trat heimlich in das Gebirge ^ Hö. Die Uferbänke und
Thäler umkreisend, rückte er vor und wandte sich geradezu
gegen das Lager Tschao-tse-khai’s. Er kämpfte mit diesem
ein einziges Mal und schlug ihn vollständig. Die Getödteten
und Verwundeten des Gegners waren mehrere Zehntausende.
Als Liang-sieu-lo, der von Liang eingesetzte
stechende Vermerker von it Kiai-tscheu, den Anzug Yang-
su’s erfühl', fürchtete er sich, i'äumte die Feste und entfloh.
Yang-su gelangte im Vorrücken bis J|t Thsing-yuen und
war von gpi Ping-tscheu dreissig Li entfernt.
Liang kam mit seinen Anführern £ m Wang-schi-
tsung, Tschao-tse-khai, ^ ||t gpj" Siao-mo-ho und Anderen
an der Spitze einer Heeresmenge, welche zehnmal zehntausend
Menschen zählen mochte, und stellte sich zum Kampfe. Yang-
su griff ihn ebenfalls an, zertrümmerte dessen Macht und nahm
Siao-mo-ho gefangen.
Liang zog sich zurück und vertheidigte sich in Ping-
tscheu. Yang-su führte die Streitmacht vorwärts und um
zingelte ihn. Liang, ei’schöpft und kleinmüthig, ergab sich.
Dessen noch übrige Genossen wurden sämmtlich beschwichtigt.
Der Kaiser schickte Yang-su’s jüngeren Bruder Yö,
Fürsten von Sieu-wu, und hiess ihn eine eigenhändige Schrift
der höchsten Vei'kündung, in welcher er Yang-su bewillkomm-
nete, übergeben. Diese höchste Verkündung lautete:
,Dass wir den kaiserlichen Himmel von Sui besitzen, sind
gegenwärtig vier und zwanzig Jahre. Obgleich wieder von
aussen Fremdländer einfielen, sich lossagten, ist doch innei'es
Ungemach nicht erstanden. Man oi'dnete den Schriftschmuck,
hielt die Kriegssache ab, innerhalb der vier Meere war es
heiter
1 So werden gewisse Krieger mit Namen bezeichnet.
678
Pfizmaier.
,Ich, der Kaiser, weil Einbegreifen des Erbarmens durch
den Himmel nicht war, hatte eine lange Krankheit. Ich rief
zu dem Himmel, schlug gegen die Erde, es wurde nichts von
mir erreicht. Ich, der Kaiser, erhielt ursprünglich als König
des Gehäges irriger Weise die Zugesellung. 1 Ich nahm wieder,
weil die Verdienste leer, insgesammt die grosse Beschäftigung
in Empfang. Was die Welt betrifft, so ist sie der früheren
Kaiser Welt. Desswegen zitterte ich und bebte. Ich wagte es
nicht, sie zu verlieren und fallen zu lassen. Um wie viel mehr
ist dieses der Fall bei der Wiedererlangung der Wichtigkeit der
göttlichen Geräthe, der grossen Sache des geborenen Volkes!'
,Der Räuber Liang birgt in sieh ein unheilvolles Herz.
Er macht sich minderjährig, ist aber erwachsen. Er hat die
Gestaltung eines Schafes, das Herz eines wilden Thieres. Er
verliess sich vox-läufig auf den guten Klang des Namens, er
kannte die Vermeidungen des Reiches nicht an. Er plante
früher Abfall und Ungehorsam, widersetzte sich dem Befehle
des Gebieters und Vaters. Er verübte die allergrössten Ver
brechen. Er belog und berückte die Vortrefflichen und Guten
betraute Verrath und Unrecht. Er benannte Streitkräfte, be
schimpfte im Inneren, das Gift strömte über die hundert Ge
schlechter. Er bewex-kstelligte für sich voi-läufige Einsetzungen,
ging ausschliesslich zu Rathe über Tödtungen. Die Kleinen
erhoben sich gegen die Grossen, die Jüngeren thaten Ein
griffe gegenüber den Aeltex-en. Das Volk grollte, die Götter
zürnten. Die Menge fiel ab, die Nahestehenden trennten sich.
,Ich, der Kaiser, habe wenige Brüder, ich brachte es noch
immer nicht über mich, davon zu reden. Desswegen öffnete
ich das Thor des Gränzpasses und wartete, bis die Räuber
die Lanzen bergen und das Ausx-ücken untei-lassen würden.'
,Ich, der Kaisei-, habe es gehört: Der Himmel bringt
hervor das vielfache Volk und setzt ihm einen Gebieter. Mein
Aufblick war nur zu dem früheren hohen Willen, ich machte
immer die Söhne, das Volk zum Gegenstände des Denkens.
Wie könnte ich, der Kaiser, auf dem Polster liegen, in der
Strohhütte 2 niederstürzen, ohne zu retten ? £
1 Die Zugesellung ist die Ernennung zum grossen Sohne. Das Gehäge
ist das Lehenkönigreich.
2 Die Strohhütte ist die Trauerhütte.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
679
,Die grosse Gerechtigkeit tilgt die Verwandtschaft. Es
ist der Sinn des Frühlings und Herbstes. JE} Tan von Tscheu
bestrafte mit dem Tode die zwei Oheime. Khi von Han
tödtete die sieben Männer der Gehäge. Die Gerechtigkeit ist
hierin enthalten. Zu der Sache konnte ich mich nicht ent-
schliessen. Desswegen übergab ich das warnende Gesetz euch,
hiess euch nach des Verbrechens grosser Quelle fragen.'
,Ueberdiess ungehorsame Söhne, verderbliche Diener, in
welchem Zeitalter hätte es deren nicht gegeben? Wie konnte
ich_glauben, dass sie in der Jetztzeit, in der nahen Zeit zum
Vorschein kommen? Was Haus und Reich beseufzen, es ist,
dass das Gift des Enzians in grossem Masse sich auf diese
Sache erstreckte. Weil ich, der Kaiser, nicht fähig gewesen,
Eintracht unter Brüdern zu erhalten, war ich nicht fähig zur
Beruhigung des vielfachen Volkes, die Wohlthat der Tugend
war noch nicht bedeutend. Die Hakenlanzen der Krieger
kamen früher in Bewegung/
,Der Räuber und Aufrührer war bloss ein Einziger. Die
in Schlamm und Feuer fallenden waren eine Menge. Dass ich
nicht bloss die Macht des Himmels ehrte und fürchtete, dass
ich ihr noch den Rücken kehrte, hingehend mich auf die ge
ringe Tugend verliess, hierdurch war ich beträchtlich vor der
Welt beschämt/
,Ihr wäret der verdienstvolle Diener des früheren Hofes.
Königsverdienste trüget ihr mannigfache. Es war selbst etwas
wie roher Entwurf des kaiserlichen Fussgestells, die hundert
Dinge nahmen nur ihren Anfang. Sofort kehrte das Pferde
gespann an den Hof zurück. Wahrhaftigkeit und Erkenntniss
kamen zugleich herbei. Ihr theiltet schnell J||$ Tsch’ing-
tscheu, der Wind rollte den herbstlichen Bambusbast zusammen.
Im Süden von »I King, im Norden der Versperrungen war
es, als ob Feuer die Ebene erleuchtete. Ihr begründetet bei
Zeiten ausnehmende Königsverdienste, bekundetet am frühen
Morgen wahrhaftige Umschränkung. Als Weisheit an dem
Hofe abgeschafft war, blickte man gerade in Gesammtheit auf
euch. Man vertraute nur der gewechselten Stützung. Ich,
der Kaiser, selbst setzte über die Leiden der Zeit. Wie hätten
einst m m Tscheu-pö und ^ Hö-kuang etwas hinzu-
thun können?'
680
Pfizmaier.
,Die Räuber yermassen sieb jetzt, ^ P’u-tscheu zu be
setzen. Gränzpass und Brücke waren abgesperrt. Ihr machtet
mit Wenigen den Angriff auf eine Menge, brachtet, auf die
bestimmte Zeit deutend, zur Ordnung das Zerrüttete. Id
01 "Üi Kao-pi besetzte man die steilen Anhöhen, widerstand
dem Kriegsheere der Obrigkeiten. Ihr liosset durch tiefsinnige
Entwürfe das Unvermuthete zum Vorschein kommen. Der
Nebel zertheilte sich, die Wolken zogen fort, das Eis schmolz,
die Dachziegel gingen auseinander. Ihr sprengtet lange ein
her, zöget weit nach Norden, eiltet zu den Nestern und Höhlen/
,Im Süden von Tsiil-yang waren die Ameisenschaaren
mehrere Zehntausende. Liang beinass nicht seine Kraft und
wollte noch immer die Axt erheben. 1 Ihr, ausgerüstet mit
göttlicher Macht, verhängtet nach aussen Strafe, ereifertet euch
im Inneren. Ihr vergasset auf euch selbst, folgtet der Gerech
tigkeit. Ihr stelltet euch bloss den Pfeilen und Steinen. Die
Schneiden der Waffen mengten sich eine Weile, und die Fische
lenkten ab, die Vögel zerstreuten sich. Die liegenden Leich
name bedeckten die Wildniss, die Haufen der Panzer waren
gleich Bergen/
Liang vertheidigte hierauf die ohnmächtige Feste und
stellte sich der Axt entgegen. Ihr befehligtet geradezu die
vielen Tapferen, griffet an und umzingeltet von vier Seiten.
Ihr bewirktet, dass er kämpfen wollte, aber es nicht wagte,
dass er zu entfliehen'trachtete, aber keinen Weg hatte. Sein
Verstand und seine Kraft gingen zugleich zu Ende. Den
Rücken kehrend und gebunden, erschien er an dem Lager-
thore. Man enthauptete Anführer, entriss Fahnen. Man schritt
zu Angriffen gegen Abtrünnige, behandelte mild die Unter
worfenen/
,Nachdem das ursprüngliche Böse weggeschafft worden,
war das östliche Hia rein und ruhig. Ich preise die Ver
dienste um das Volk, die vielfachen kriegerischen Verdienste,
welche hier einbegriffen. In der ehemaligen Zeit stellte
Wu-ngan 2 den Frieden wieder her in Tschao. #£ It Hoai-
yin 3 gab die Bestimmung Thsi. Wie wären sie gleich euch,
1 Die Axt ist (las Kennzeichen des Heerführers.
2 Pe-khi, Gebieter von Wu-ngan.
3 Han-sin, Lehensfürst von Hoai-yin.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
681
die ihr fern und doch nicht ermüdet, schnell und doch sieg
reich gewesen seid?'
,Ich, der Kaiser, war tief bekümmert wegen der Ver
finsterung Liang’s. Ich durfte nicht selbst übernehmen die
Leitung der sechs Kriegsheere, ich war noch nicht fähig, nach
dem Wege zu fragen in dem oberen Lehrgebäude. Ich beauf
tragte euch dann, euch anzustrengen in den wandelnden
Schlachtreihen. Ich sagte: Bedenket dieses. Vergesset ja
nicht, zu schlafen und Speise zu nehmen. — Ihr begründetet
hierauf die ursprünglichen Königsverdienste der fortgesetzten
Geschlechtsalter, die hohen Vorsätze des einzigen Herzens.'
,Die Alten hatten ein Sprichwort, welches lautet: Bei
Sturmwind kennt man die starken Pflanzen. Bei Unordnungen
des Zeitalters gibt es wahrhaftige Diener. — In euch hat man
dieses gefunden. Ich lasse es eben als Inschrift eingraben
auf den beständigen Dreifüssen. Wie schriebe man die Königs
verdienste blos auf Bambus und Leinwand?'
,Die Verdienste können sich zugesellen, seufzend bewun
dere ich ohne Unterlass. Es wird allmälig kühl, ihr gehet,
die Schaaren des Kriegsheeres zu ordnen. Die Bestrebungen
sind vollkommen. Ich soll besonders bewillkommnen und es
bedenken. Deswegen schicke ich euren jüngeren Bruder, da
mit er, mit dem Finger zeigend, die in der Vergangenheit
gehegten Gedanken des Herzen verbreite, bei Irrthum das
nicht in der Reihe Befindliche verschliesse.'
Yang-su reichte eine Denkschrift empor, in welcher er
seinen Dank zu erkennen gab. Dieselbe lautete:
,Ich, der Diener, hege nur leere, geringfügige Vorsätze,
ich bin den Obliegenheiten in den fernen Landstrichen und
Landschaften nicht gewachsen. Durfte ich es wagen, durch
Anstrengungen Schande zu bringen über das Ehrenvolle der
Reichsdiener und Reichsgehilfen? Es war keine Stufe, auf die
ich hoffen konnte. Doch um die Zeit ward das glänzende
Los zu Theil, die Königsbeschäftigung nahm erst ihren Anfang.
Eilte die kleine Strömung auch zu dem Meere, das wahrhaftige
Herz war häufig erschöpft. Leichter Staub sammelte sich zu
einem Erdhügel, die Verdienste kamen nämlich zu Stande.
Ich schritt durch die Strassenthore von Nan-yang, durch |||-
Pung und Jjjj Pei. Meine Söhne und jüngeren Brüder er-
682
Pf i z m aier.
langten einen hohen Rang, ansehnliche Lehensstufen, Ehren
und Berühmtheit/
,Zu einer Zeit trat ich wieder ein und wohnte an dem
Rande des Hofes. Austretend, handhabte ich die Kriegsgesetze.
Dass ich Aufträge in Sachen der Schrift und des Krieges
erhielt, Vorkehrungen bei Berathungen der Zelte traf, wie
wären dieses meine, des Dieners Begabung und Fähigkeiten?
Es stammt in Wirklichkeit von der Wohlthat der Gnade. Was
ich vergelten möchte, gipfelt nach seiner Weise an dem hell
glänzenden Himmel. Mich niederwerfend, denke ich an des
Kaisers das vielfach Getrennte erleuchtende Licht, die pflegende,
den Himmel fortsetzende Tugend/
,Man hütet die Diener in der Abgelegenheit und Ferne.
Man erleuchtet die Diener durch den strahlenden Glanz. Im
Süden bewegt man zur Unterwerfung die Buchführer des krum
men Weges, die Obrigkeiten des Frühlings empfingen die schnell
zu Stande kommende Verkündung des hohen Willens. Indessen
halten Pflanzen und Bäume, ohne es zu erkennen, auf Blüthen-
schmuck und Verdorren, erspähen die Zeit. Um wie viel mehr
gilt dieses von mir, dem Diener, der ich die Wirklichkeit des
Herzens besitze. Ich ahme nach, ohne einen Weg zu haben. Am
Tage und in der Nacht wandle ich umher, schlafen zu gehen und
Speise zu nehmen, schäme ich mich, ich verschmähe es. Ich fürchte
beständig, dass der Morgenthau plötzlich fallt, dass ich vergebens
auf dem Rücken das Wohlwollen des Höchstweisen trage/
,Der Räuber Liang barg in sich ein unheilvolles Herz,
er war bereits gekommen. Dabei war es für ihn ein Glück
dass das Reich Trauer hatte. Sofort stellte er in Reihen die
Unseligen und Widersetzlichen, griff zu den Waffen in
Tsin und ^ Tai. Er versetzte in Aufregung den Osten der
Berge. Derjenige, vor dem ich unter den Stufen stehe, riss
mich, den Diener, aus der gemeinen Strömung, übergab mir,
dem Diener, die Kriegsgesetze. Ich empfing des Herzens und
des Rückgrats Ueberdach, mir ward die Bemessung der Er
drückung des Aufruhrs zu Theil/
, ® Siao und J Wang 1 hatten ein aufrichtiges Herz-
Beide starben bei dieser Sache. Der Kaiser von Han 2
1 Siao-mo-ho und Wang-schi-tsung.
2 Kaiser von Han steht an dieser Stelle für Liang, König von Hau.
Darlegangen ans der Geschichte des Hauses Sui.
683
berechnete im Grossen, dass die Welt wetteifernd sich ihm
zukehren werde. Dass man von den ungeheuerlichen Plünderern
befreit ist, wie könnte dieses durch meine, des Dieners Kraft
geschehen sein? Mit Unrecht ward mir ein abgesandter Diener
zu Theil. Der jüngere Bruder fit] Yö brachte eine Schrift
der höchsten Verkündung, in welcher nach den Mühen gefragt
wird. Bei der Kundgebung des hohen Willens, bei dem er
habenen Pinsel ist es, als ob der Himmel herabblickte. Die
überströmende Gnade, die grosse Wohlthat waren sofort mit
dem Umlaufe des Meeres gleich. Kummer und Freude, Scham
und Furcht, die fünf Leidenschaften regten sich und über
stiegen. Wäre auch hundertfacher Verfall, ein verschwinden
der Leib, es gibt nichts, um es ein einziges Mal zu vergelten.'
Yang-su kehrte in demselben Monate in die Mutterstadt
zurück. Bei diesem Anlasse folgte er dem Kaiser auf dessen
Fahrt nach Lö-yang. Man machte ihn zu einem den Bau der
östlichen Mutterstadt leitenden grossen Aufseher. Wegen der
Verdienste, die er sich durch die Niederwerfung Liang’s er
worben, ernannte man seine Söhne T|=jj Wan-schi,
Jin-hang und seinen Neffen ^ Hiuen-ting zu ,in dem Ver
fahren mit den drei Vorstehern Uebereinstimmenden'. Man
schenkte Yang-su fünfmal zehntausend Gegenstände, tausend
Stücke Seidenflors und zwanzig Sängerinnen und Nebenfrauen
Liang’s.
Im ersten Jahre des Zeitraumes Ta-nie (605 n. Chr.) ver
setzte man ihn zu der Stelle eines Gebietenden der obersten
Buchführer und schenkte ihm ein erstes Wohngebäude der
östlichen Mutterstadt, ferner zweitausend Gegenstände. Plötz
lich ernannte man ihn zum grossen Lehrmeister des grossen
Sohnes. In den übrigen Aemtern blieb er wie früher. Die
Belohnungen und Geschenke, welche er sowohl früher als später
erhielt, waren unberechenbar.
Im nächsten Jahre (606 n. Chr.) wurde er zum Vorsteher
der Scharen ernannt und ihm das gewechselte Lehen eines
Fürsten von Thsu verliehen. Die wirklichen Einkünfte des
Lehens bezog er von eintausend fünfhundert Thüren des Volkes.
In demselben Jahre starb er im Besitz seiner Aemter. Der
ihm nach dem Tode gegebene Name war jpj- King-wu.
684
Pfizmaier.
Man verlieh ihm nachträglich noch die Stellen eines
Grossen des glänzenden Gehaltes, eines grossen beruhigenden
Fürsten und Statthalters der Landschaften Hung-nung, Ho-tung,
Kiang, Liu-fen, Wen-tsch’ing, Ho-nei, Kl, Tschang-ping,
Schang-thang und Si-ho, gewährte einen Trauerwagen, vierzig
Schwertträger, voran- und nachziehende Abtheilungen, Flügel
dächer, Trommeln und Blasewerkzeuge, fünftausend Scheffel
Hirse und Weizen und fünftausend Gegenstände.
Der Kaiser Hess noch eine höchste Verkündung herab
gelangen, welche lautete: Die Gefässe des Ahnentempels, in
welche man die Verdienste eingräbt, die reichen Steintafeln,
auf welchen man die Tugenden verzeichnet, hierdurch lässt
man die Fussspuren des Namens hernieder auf das nicht Ver
faulende, pflanzt den Ton der Sitte in den versinkenden Zeit
altern. Desswegen erschöpfen die vielfachen Thaten, die ur
sprünglichen Königsverdienste, die Anstrengungen und Mühen
Su’s, des Fürsten King-wu von Thsu, für das Königshaus die
wahrhaftige Umschränkung, unterstützen übereinstimmend mich,
den Kaiser selbst. Desswegen wandelt er hinsichtlich des Weges
zu den drei Ausgezeichneten, 1 hinsichtlich der Verdienste ge
sellt er sich zu den zehn Ordnenden. 2 Er gelangte nicht zu
der fernen Langjährigkeit, er hat in Hast das reine Gute auf
bewahrt. In den abwechselnden Zeitaltern des Frühlings und
Herbstes setze man das jährliche Opfer fort. Man breite nach
dem Muster die eingegrabene Siegelschrift, zeichne durch sie
die Tugend der Königsverdienste. Man kann eine Steintafel
aufstellen, einrichten, folgen und das vollendete Schöne mit
Glanz umgeben.
Yang-su überreichte einst Sie-tao-heng, stechendem Ver-
merker von Fan-tscheu, ein siebenhundert Zeichen ent
haltendes, aus Versen von fünf Wörtern bestehendes Gedicht.
In den Worten war Geist, grosse hinreissende Leidenschaft,
der Reim war glänzend. Der Kaiser meinte ebenfalls, es sei
das vollkommenste Erzeugniss der ganzen damaligen Zeit. Es
währte nicht lange, als Yang-su starb. Sie-tao-heng sprach
seufzend: Wenn der Mensch sterben will, sind seine Worte
1 Die drei Ausgezeichneten des Kaisers Kao-tsu von Han.
2 Die zehn Ordnenden des Königs Wu von Tscheu.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
685
gut. Sollte dieses so sein? — Die Gedichte Yang-su’s waren
in zehn Büchern gesammelt.
Obgleich Yang-su Entwürfe zur Gründung des Reiches
gemacht hatte und die Niederschlagung ^ J=ljF Yang-liang's 1
sein Verdienst war, wurde er doch von dem Kaiser bearg
wöhnt und gemieden. Dieser zeigte äusserlich überaus grosse
Artigkeit, innerlich war seine Neigung zu ihm sehr gering.
Der grosse Vermerker, den Antheil von Sui besprechend, sagte:
In der Wildniss gibt es grosse Trauer um die Todten. — In
Folge dessen verlieh man Yang-su das gewechselte Lehen
Thsu. Thsu hat mit Sui gleichen Antheil. Man wollte das Vor
zeichen dadurch niederdrücken und ihm etwas entgegen stellen.
Von dem Tage an als Yang-su krank sich niederlegte,
hiess der Kaiser immer einen berühmten Arzt ihm den Puls
fühlen. Man verlieh Yang-su die Arzneien des Kaisers. In
dessen befragte dieser insgeheim die Aerzte. Er fürchtete be
ständig, dass Yang-su nicht sterben werde. Auch Yang-su
erkannte, dass sein Name und seine Rangstufe bereits die
Gipfelung seien. Er mochte keine Arznei einnehmen und war
nicht Willens, sich zu hüten. Er sprach immer zu seinem
jüngeren Bruder Yö: Wie könnte ich eine Weile leben?
Yang-su hielt viel auf Güter und Waaren und trug nach
ihnen Verlangen. Bei seinen Bauten trachtete er nach Erwerb.
Seine Wohngebäude in der östlichen und westlichen Mutter
stadt zeigten Verschwendung und Pracht. Am Morgen riss
er nieder, am Abend stellte er wieder her, Aufbauen und Aus
bessern nahmen kein Ende. Aus den Versammlungsorten der
Hauptstädte aller Gegenden, aus den Einkehrhäusern, Buden
und Wassermühlen zog er Nutzen. Seine Felder und Wohn
gebäude wurden nach Tausenden und Hunderten gezählt. In
den damaligen Berathungen verkleinerte man ihn aus diesem
Grunde.
Ihm folgte in dem Lehen sein Sohn Hiuen-kan.
Seine übrigen Söhne wurden dieses Sohnes Hiuen-kan wegen
angeklagt und mit dem Tode bestraft.
1 Liang von dem Geschlechte Yang, der mehrmals erwähnte fünfte Sohn
des Kaisers Kao-tsu.
686
Pfizmaier.
Tsiiin, König von Thsin.
^ Tsiün, genannt König ^ Hiao von |ps; Thsin, war
der dritte Sohn des Kaisers Kao-tsu. Er wurde im ersten
Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (581 n. Chr.) zum Könige
von Thsin erhoben. Im Frühlinge des zweiten Jahres desselben
Zeitraumes (582 n. Chr.) ernannte man ihn zum oberen das
Reich als Pfeiler Stützenden, Gebietenden der Buchführer der
Erdstufe des Wandels auf den Wegen von Ho-nan und stechen
den Vermerker von 'Jig- Lö-tscheu. Er war um die Zeit zwölf
Jahre alt. Man fügte hierzu die Stelle eines grössen Heer
führers der kriegerischen Leibwache zur Rechten und liess
ihn die Kriegsmacht des Ostens des Gränzpasses befehligen.
Im dritten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (583 n. Chr.) ver
setzte man ihn zu der Stelle eines allgemeinen Leitenden von
Thsin-tscheu. Sämmtliche Landstriche zur Rechten vod |(||
Lung wurden ihm zugesellt.
Tsiün war menschlich, rücksichtsvoll, wohlwollend und
mitleidig. Er verehrte den Weg Buddha’s und bat, ein Bonze
werden zu dürfen. Der Kaiser erlaubte es nicht.
Im sechsten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (586 n. Chr.)
versetzte man ihn zu der Stelle eines Gebietenden der Buch
führer der Erdstufe des Wandels auf den Wegen von Sclian-nan.
Bei der Dienstleistung des Angriffes auf Tsch’in machte
man ihn zum ursprünglichen Vordersten des auf den Wegen
von Schan-nan einherziehenden Kriegsheeres. Er beaufsichtigte
dreizehn allgemeine Leitende. Eine Macht von zehnmal zehn
tausend Menschen sammelte sich zu Wasser und zu Lande an
der Mündung des Han.
Die mit dem Amte von Bemessenden des Abschnittsrohres
für den oberen Lauf des Flusses betrauten ffi B(b + $)
Tscheu-lo-heu, m Siün-fä-schang und Andere, An
führer von Tsch’in, lagerten mit mehreren zehntausend starken
Kriegern auf der Flussinsel der Papageien. Der allgemeine
Leitende • 5tR Thsui-bung-tu bat, sie angreifen zu dürfen.
Tsiün, an die Tödtungen und Verwundungen denkend, erlaubte
es nicht. Tscheu-lo-heu stellte sich seinerseits an die Spitze
der Krieger und ergab sich.
Darlegung&n aus der Geschichte des Hauses Sui.
687
Tsiün schickte hierauf einen Abgesandten und beauftragte
ihn, mit einer Denkschrift sich zu der Thorwarte des Kaisers
zu begeben. Er sprach, während seine Thränen herabfielen,
zu dem Abgesandten: Ich rücke eben aus Irrthum die Wagen
naben, ich schäme mich, dass ich Verdienste nicht von der
Grösse eines Schuhes, eines Zolles habe. Hieraus entspringt
nur viele Schande. — Als der Kaiser dieses hörte, hiess er
es gut.
Man übertrug Tsiün das Amt eines allgemeinen Leitenden
von ^ Yang-tscheu, die Sache der Kriegsheere von vier und
vierzig Landstrichen und liess ihn Kuang-ling niederhalten.
Kach einem Jahre übertrug man ihm im Umwenden das Amt
eines allgemeinen Leitenden von Ping-tscheu und die Sache
der Kriegsheere von vier und zwanzig Landstrichen. Es gab
anfänglich ziemlich viele Erlässe und Anfragen. Kao-tsu, der
dieses hörte, hatte darüber grosse Freude. Er liess eine Schrift
herabgelangen, in welcher er ihn lobte und aufmunterte.
Später wurde Tsiün allmälig hoffärtig und verschwende
risch. Er handelte den Einrichtungen und Vorschriften zu
wider, gab Geld und begehrte Zinsen. Das Volk und die
Angestellten waren dadurch gequält. Der Kaiser schickte
einen Abgesandten, der die Sache untersuchte. Die Betheiligten
waren über hundert Menschen, allein Tsiün stand noch immer
nicht davon ab. Er stellte hierauf Palast und inneres Haus
vollkommen her und trieb Verschwendung und Pracht auf das
Aeusserste.
Tsiün hatte Vorliebe für Kunstfertigkeit. Er trug immer
Aexte und kunstreiche Geräthe in den Händen herum und
schmückte sie mit Perlen und Edelsteinen. Er verfertigte für
die Königin, seine Geinalin, Ueberdächer der sieben Kostbar
keiten. Ferner errichtete er eine grosse Wasserhalle mit wohl
riechenden Wegen, geschminkten Wänden, Stufen von Edel
stein und goldenen Treppen. Die Pfeiler und Balken umgab
er mit hellen Spiegeln und mengte kostbare Perlen dazwischen.
Er übertrieb die Schönheit der glänzenden Verzierungen. In
diesem Gebäude rührte er immer die Harfe und sang mit den
Gästen und Sängerinnen.
Tsiün war ein ziemlich grosser Freund von Begünsti
gungen im Inneren. Die Königin, seine Gemalin von dem
688
P fizmaiet.
Geschleckte -||| Tksui war von eifersüchtiger Gemüthsart und
mit ihm sehr uneinig. Endlich reichte sie ihm in einer Melone
Gift. Tsiün wurde in Folge dessen von Krankheit befallen.
Yon dem Kaiser berufen,, kehrte er in die Mutterstadt
zurück. Der Kaiser, ihn der Verschwendung und des Leicht
sinns beschuldigend, entsetzte ihn seines Amtes. Tsiün begab
sich als König in sein Wohngebäude. 0|J rjjh Lieu-sching,
Heerführer der kriegerischen Leibwache zur Linken, machte
dem Kaiser Vorstellungen und sagte: Der König von Thsin
hat sonst nichts verbrochen. Er verbrauchte bloss obrigkeit
liche Gegenstände, baute öffentliche Gebäude, dieses ist alles.
Ich glaube, es lässt sich ertragen. —- Der Kaiser sprach:
Dem Gesetze darf man nicht zuwider handeln. — Als Lieu-
4
selling bei seinen Vorstellungen beharrte, erglühte der Kaiser
zornig. Lieu-sching liess hierauf ab.
Später nahte ^ ^ Yang-su wieder mit Vorstellungen
und sagte: Bei den Vergehen des Königs von Thsin ist es
nicht angemessen, es so weit kommen zu lassen. Ich bitte,
dass derjenige, vor dem ich unter den Stufen stehe, es beur-
theile. — Der Kaiser sprach: Ich bin der Vater von fünf
Kindern. Wenn ich thue, wie ihr meinet, was könnte dann
nicht gesondert eingerichtet werden ? Bei den Gesetzen für
die Kinder des Himmelssohnes geht man davon aus, dass der
Fürst von Tseheu ein Mensch war, der es schätzte, ^ Kuan
und Thsai 1 mit dem Tode zu bestrafen. Ich erreiche
wahrlich den Fürsten von Tseheu nicht im Entferntesten. Wie
wäre ich im Stande, das Gesetz wegzulassen? — Schliesslich
ging er darauf nicht ein.
Tsiün war ernstlich krank und konnte sich nicht erheben.
Er schickte einen Abgesandten und liess durch ihn eine Denk
schrift überreichen, in welcher er Entschuldigungen vorbrachte.
Der Kaiser liess ihm durch den Abgesandten sagen: Ich
strengte meine Kraft an, um abzuschliessen und zu versperren,
ich gründete diese grosse Beschäftigung. Ich verfertigte Unter
weisungen, liess Muster herab. Die sämmtlichen Diener und
Untergebenen beobachteten es und Hessen es nicht ausser
Acht. Du bist mein Sohn und willst es abschaffen. Ich weiss
1 Kuan und Thsai, Oheime des Königs Tseh’ing von Tseheu.
Darlegungen aus dev Geschichte des Hauses Sui.
689
nicht, wodurch ich dich zur Rede stellen kann. — Tsiün
schämte sich und war von Furcht erfüllt. Seine Krankheit
war sehr arg.
Der grosse allgemeine Beaufsichtiger J|L t j|£ Hoang-
fu-tung richtete eine Denkschrift empor, in welcher er bat,
dass man den König wieder in sein Amt einsetze. Der Kaiser
gewährte es nicht. Nach einem Jahre ernannte er Tsiün in
Rücksicht auf dessen schwere Krankheit wieder zum oberen
das Reich als Pfeiler Stützenden.
Im sechsten Monate des zwanzigsten Jahres des Zeit
raumes Khai-hoang (600 n. Chr.) starb Tsiün in dem Wohn
gebäude von Tlisin. Der Kaiser stiess einige Male einen
Klageruf aus und liess es hierbei bewenden. Er befahl, die
von Tsiün angefertigten, von Verschwendung und Pracht
zeugenden Gegenstände sämmtlich zu verbrennen. In einem
höchsten Erlasse gebot er, dass man sicli bei den zum Geleite
des Verstorbenen dienenden Geräthschaften der Sparsamkeit
befleissige und dieses zur späteren Richtschnur nehme.
Die Amtgenossen des Sammelhauses des Königs baten,
eine Steintafel aufstellen zu dürfen. Der Kaiser sprach:
Trachtet man nach einem Namen, so ist ein Hauptstück in
den Büchern der Geschichtschreiber genügend. Wozu brauchte
man dieses durch eine Steintafel zu thun? Können Söhne und
Enkel ihn nicht bewahren, so errichten die Diener des Hauses
mit den Menschen nur einen niederhaltenden Stein.
Weil die Königin von dem Geschleckte Tksui den König
vergiftet hatte, liess man eine höchste Verkündung herab
gelangen, in welcher sie abgesetzt, losgetrennt und mit dem
Tode in ihrem Hause beschenkt wurde.
Hao, der Sohn Tsiün’s, war von der Königin von
dem Geschlechte Tlisui geboren. Der gemeine Sohn Tsiün’s ^
hiess m Tsch’an. Sämmtliche Diener sagten in ihrer Be-
rathung: Im Sinne des Frühlings und Herbstes ist die Mutter
durch den Sohn vornehm, der Sohn ist durch die Mutter vor
nehm. Da der vornehme Stand so beschaffen ist, lässt sich
das Verbrechen erkennen. Zu den Zeiten der Han war
El-I eines Verbrechens schuldig. Ihr Sohn wurde sofort abge
setzt. Die Kaiserin von dem Geschlechte ^ Kö wurde ab
gesetzt. Ihr Sohn wurde dann verstossen. Im Grossen ist es
Sitznngsber. fl. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 44
690
Pfizraaior.
so gewesen, im Kleinen soll es ebenso sein. Jetzt waren die
Mütter der zwei Söhne des Königs von Thsin eines Verbrechens
schuldig und wurden abgesetzt. Es stimmt nicht überein, dass
man ihre Söhne die Nachfolge erhalten lässt. — Hierauf machte
man die Obrigkeiten des Reiches Thsin zu Vorgesetzten der
Trauer.
Die älteste Tochter Tsiün’s, die Königstochter von
Yung-fung, war zwölf Jahre alt, als sie den Kummer um
ihren Vater hatte. Bedauernd und zärtlich, erschöpfte sie die
Gebräuche. Nachdem sie bei der Trauer die Mütze abgelegt
hatte, unterbrach sie den Genuss des Fischfleisches. Wenn der
Todestag wiederkehrte, vergoss sie sofort Thränen und nahm
keine Speise zu sich.
Tang-yen, ein Angestellter des eröffnenden
Sammelhauses, war von Gemüthsart redlich und ernst. Er
hatte durch zehn Jahre die nahestehenden und treuen Krieger
befehligt. Tsiiin hatte ihn mit grosser Auszeichnung behandelt.
Als Tsiün erkrankt war, befand sich Yang-yen beständig in
dem unteren Theile des Söllers, ohne an seinem Kleide den
Gürtel zu lösen. Später, als Tsiün gestorben war, kam durch
mehrere Tage kein Löffel voll Trank in seinen Mund. Er
magerte ab und seine Knochen standen hervor. Der Kaiser,
der dieses hörte, bedauerte ihn. Er beschenkte ihn mit kaiser
lichen Arzneien und übertrug ihm die Stelle eines Heerführers
der raschen Reiter. Er liess ihn der Leibwache des Nacht
lagers vorgesetzt sein. An dem Tage der Bestattung Tsiün s
stiess Yang-yen schmerzliche Rufe aus und verschied. Der
Kaiser seufzte und staunte über ihn. Er hiess die mit den
Sachen verkehrenden Hausgenossen bei dem Todten anfragen
und ihm das Opfer bringen. Eine höchste Verkündung befahl,
ihn neben dem Grabe Tsiün’s zu bestatten.
Als Kaiser Yang zu seiner Stufe gelangte, erhob er
Hao zum Könige von Thsin, indem er ihm die Nachfolge nach
dem Könige Idiao gewährte, und setzte y|jt Tsch’an zum Lehens
fürsten von Thsi-pe ein. Später machte er Hao zum allge
meinen Beruhiger von Ho-yang.
Als m & js Yang-hiuen-kan seine Auflehnung be
werkstelligte , . führte --J- yT j^jt Yü-wen-schö, grosser Heer
führer der stützenden Leibwache zur Linken, eine Kriegsmacht
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
691
vorwärts, um ihn zu strafen. Als er nach Ho-yang gelangte,
machte er Hao Eröffnungen. Dieser begab sich wiederholt in
das Lager Yü-wen-schö’s, und Streitkräfte zogen gegenseitig
hin und zurück. Die Inhaber der Vorsteherämter beschuldigten
Hao des Verbrechens, als Lehensfürst mit den Dienern des
Inneren in Verkehr getreten zu sein. Ilao wurde schliesslich
angeklagt, abgesetzt und dann begnadigt.
Als ^ 2^ Yü-wen-hoa-khi eben Tödtung und
Auflehnung bewerkstelligt hatte, erhob er Ilao zum Kaiser.
Nach seiner Niederlage in 3^1 |^r Li-yang floh er in den Kreis
^ Wei und masste sich den Namen eines Kaisers an. Bei
diesem Anlasse mordete er Hao.
Tsch’an war rasch und in Wirklichkeit kühn und muthig.
Er wurde im Anfänge des Zeitraumes Ta-nie (605 n. Chr.)
Statthalter von Yung-yang. Wegen seines Bruders Hao an
geklagt, wurde er begnadigt. Er wurde ebenfalls durch Yü-
wen-hoa-khi gemordet.
Sie«, König von Scho.
^ Sieu, nach seiner Absetzung der gemeine Mensch
Sieu genannt, war der vierte Sohn des Kaisers Kao-tsu. Im
ersten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (581 n. Chr.) zum
Könige von Yue erhoben, wurde er nach nicht langer Zeit
versetzt und mit Scho belehnt. Zu einem das Reich als
Pfeiler Stützenden und stechenden Vermerken von jL Yl-tscheu
ernannt, leitete er allgemein die Sachen der Kriegsheere von
vier und zwanzig Landstrichen.
Im zweiten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (582 n. Chr.)
beförderte man ihn zu der Stufe eines oberen das Reich als
Pfeiler Stützenden und zum Gebietenden der Buchführer der
Erdstufe des Wandels auf den südwestlichen Wegen. Sein
ursprüngliches Amt bekleidete er wie früher. Nach einem
Jahre wurde er entlassen. Im zwölften Jahre des Zeitraumes
Khai-hoang (592 n. Chi'.) wurde er wieder Gebietender der
inneren Vermerker und ein das Kriegsheer leitender grosser
Heerführer zur Rechten. Plötzlich trat er wieder aus, um Schö
niederzuhalten.
44*
692
Pfizmaier.
Sieu war von kühnem Geiste, wundervoll von Erscheinung
und hatte einen schönen Bart. Er verstand viele Künste des
Krieges und wurde sehr von den Dienern des Hofes gefürchtet.
Der Kaiser sagte immer zu der Kaiserin Hion: Sieu nimmt
gewiss ein schlechtes Ende. So lange ich lebe, wird es kein
Bedenken geben. Wenn es die Brüder sein werden, empört
er sich gewiss.
7C Hl Yuen-heng, aufwartender Leibwächter von der
Abtheilung der Waffen, wurde nach Scho gesandt. Sieu ver
band sich innig mit ihm und stellte Bitten hinsichtlich seiner
Umgehung. Als Yuen-heng in die Mutterstadt zurückgekehrt
war, bat er, dass man die Umgebung Sieu’s vermehre. Der
Kaiser bewilligte es nicht.
Als der grosse Heerführer 0|J p||r Lieu-khuai über das Land
® Üb Si-thsuan Strafe verhängte, erliess Kao-tsu an ^ jfjj
Yang-wu-tliung, Angestellten des oberen eröffnenden Sammel
hauses, den Befehl, mit Streitkräften die Vorrückung fortzu
setzen. Sieu Hess seinen Günstling Wan-tschi-
kuang in dem einherziehenden Kriegsheere Yang-wu-thung’s
Vorsteher der Pferde werden. Der Kaiser stellte Sieu, weil
derselbe nicht den rechten Menschen betraut hatte, zur Rede.
Dabei sprach er zu sämmtlichen Dienern: Diejenigen, welche
meine Gesetze Umstürzen, befinden sich gewiss unter den
Söhnen und Enkeln! Es ist wie bei einem reissenden Thiere.
Die Wesen sind nicht im Stande, es zu morden, aber es wird von
Insecten, welche zwischen seinen Haaren sind, geschädigt und
verzehrt. — Hierauf theilte er das von Sieu verwaltete Gebiet.
Sieu wurde allmälig hoffärtig und verschwenderisch,
handelte den Einrichtungen und Vorschriften zuwider. Seine
Wagen, Pferde und Kleidungsstücke waren denjenigen des
Himmelssohnes ähnlich. Als der grosse Sohn Yung m
Folge von Verläumdung und Verkleinerung abgesetzt und J||
Kuang, König von Tsin, der kaiserliche grosse Sohn wurde,
war Sieu sehr unruhig. Der grosse Sohn fürchtete, dass Sieu
zuletzt eine spätere Veränderung bewirken könne. Er hiess
im Geheimen Yang-su nach dessen Verbrechen forschen und
ihn verläumden.
Im zweiten Jahre des Zeitraumes Jin-scheu (602 n. Chr.)
forderte man Sieu auf, in die Mutterstadt zurückzukehreu.
tu
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
693
Der Kaiser sah ihn, aber sprach nicht mit ihm. Den nächsten
Tag liess er ihn durch einen Abgesandten scharf zur Rede
stellen. Sieu entschuldigte sich, indem er sagte: Ich trug zu
meiner Beschämung die Gnade des Reiches, trat aus und blickte
auf Gehäge und Berghöhen herab. Ich war nicht fähig, das
Gesetz in Empfang zu nehmen. Dieses Verbrechen verdient
zehntausendfachen Tod. — Der kaiserliche grosse Sohn und die
Könige brachten unter Thränen diese Entschuldigung zu Ohren.
Der Kaiser sprach: Vor Kurzem vergeudete der König
von Thsin Werthgegenstände. Ich belehrte ihn vermittelst der
Wege des Vaters. Jetzt schädigt Sieu wie ein Holzwurm das
geborene Volk. Ich weise ihn vermittelst der Wege des Ge
bieters zurecht. — Hiermit übergab er ihn den Bewahrern des
Gesetzes.
JH $1 Khing-tsching, Angestellter des eröffnenden Sammel
hauses, machte Vorstellungen und sagte: Der gemeine Mensch
Yung ist bereits abgesetzt, der König von Thsin ist gestorben.
Kinder und Söhne desjenigen^ vor dem ich unter den Stufen
stehe, sind nicht viele vorhanden. Wie kann man es so weit
kommen lassen? Doch der König von Schö ist von Gemüths-
art sehr empfindlich. Wenn man ihn ernstlich zur Rede stellt,
ist zu fürchten, dass er sich nicht unversehrt erhalten wird.
Der Kaiser war sehr zornig und wollte Khing-tsching
die Zunge abschneiden lassen. Hierauf sagte er zu den ver
sammelten Dienern: Man soll Sieu auf dem Markte enthaupten
und sich dadurch vor den hundert Geschlechtern entschuldigen.
— Er befahl jetzt Yang-su, ^ ^ Su-wei, Zjii ^ Nieu-hung,
m st Lieu-schö und Anderen, Sieu zu richten.
Der grosse Sohn verfertigte hierauf eine Bildsäule, schrieb
auf sie Geschlechts- lind Jünglingsnamen des Kaisers und des
Königs von Han, 1 band ihr die Hände, schlug ihr einen Nagel
durch das Herz und hiess Menschen sie an dem Fusse des
blumigen Berges vergraben. Er hiess dann Yang-su sie hervor
holen. Ferner verfertigte er eine schuhlange Tafel mit der
Aufschrift: Ungehorsame Diener, verderbliche Söhne spielen
ausschliesslich mit der Handhabe der Macht. Derjenige, vor
dem man unter den Stufen steht, bewahrt nur leere Geräthe,
1 Der König von Han ist Liang.
694
Ffizmaier.
kein einziges wird gekannt. Man legt das Vollkommene der
Panzer und Angriffswaffen in Reihen u. s. f. Als es an der
Zeit war, nach dem Verbrechen zu fragen, legte man diese
Tafel unter die Sachen Yung’s.
Man brachte alles an dem Hofe zu Ohren. Der Kaiser
sprach: Sollte es in der Welt dergleichen geben ? — Er setzte
hierauf Sieu ab, machte ihn zum gemeinen Menschen und
hielt ihn in der verschlossenen Abtheilung des Aufwartenden
des Inneren gefangen. Sieu durfte Gattin und Kinder nicht
sehen. Man gewährte ihm jetzt zwei Sclavinnen und brachte
in Hast Verwickelungen zuwege. Die Angeklagten waren
über Hundert an der Zahl.
Als Sieu gefangen gesetzt war, wusste er in seiner Be-
drängniss und voll Unwillen nicht, was er thun solle. Er
reichte eine Denkschrift empor, in welcher er sagte: ,Ich, der
Diener, in meiner vielen Beglückung setzte fort die segens
reichen kaiserlichen Aeste, nahm in Empfang das Wohlwollen
des Himmels, die erschöpfte Auferziehung. Durch neun Jahre
ehrenreich und vornehm, kannte ich nur Reichthum und Freude,
ich empfand noch niemals Kummer und Furcht. Leichthin
eigenwillig in dem Herzen des Unverstandes, versank ich in
dieses Netz der Strafe. Ich verlasse mich auf die Anhöhen
des tiefen Gebirges, habe Freude an den neun Quellen. 1 Ich
meine nicht die Gnade des Himmels, ich schätze die Dar
leihung des noch übrigen Durchsickerns. Da es so wie jetzt
gekommen ist, weiss ich eben, dass man dem Herzen der Un
wissenheit nicht Freiheit lassen kann, dass man die Gesetze
des Reiches nicht übertreten kann. Ich lege die Hand auf
die Brust, bedenke die Schuld/
,Seit neulich ward nichts erreicht. Ich hoffe noch immer,
mein Loos werde sein, den höchsten Befehl auf dem Rücken
zu tragen, dem Beginne des Wohlwollens ein wenig zu ent
sprechen. Nur weil die reingeistigen Erdgötter nicht Hilfe
leisten, sind Segen und Glück zergangen und zu Ende. Mann
und Weib hielten in den Armen ein Sehnen, sie überwanden
sich nicht, um es vorzubringen. Ich fürchte bloss, dass ich
für die Dauer Lebewohl sagen werde dem glänzenden Ge-
1 .Die neun Quellen sind die Unterwelt.
I
Barlegungen aus der Geschichte des Hauset Sui. 69b
schlechtsalter, auf ewig heimkehren werde zu der Erde der
Quellen. Mich niederwerfend, habe ich Begehren nach Wohl
wollen und Gnade, nach Verleihung des herabgelassenen Er
barmens, nach dem noch übrigen Athem in einer endlosen
Zwischenzeit. Ich hoffe, die verwaisten Söhne sehen zu
dürfen, ich bitte, dass man uns mit einer einzigen Höhle be
schenke, unsere Gebeine einen Platz haben heisse. Die ver
waisten Söhne sind meine geliebten Söhne.'
Der Kaiser liess jetzt eine höchste Verkündung herab
gelangen, in welcher er Sieu dessen Verbrechen vorhielt. Die
selbe lautete:
,Deine Stelle ist diejenige eines Dieners und Sohnes, dein
Gefühl begreift in sich Haus und Reich. Durch Schö ver
pflichtetest du dich zu etwas Wichtigem, man überliess es dir,
damit du es niederhaltest. Du verwirrtest in den Rechnungen
das Beständige, trügest in dem Busen Böses, freutest dich über
Unglück. Du schieltest nach den zwei Palästen, hofftest lange
Zeit auf Himmelsunglück und Zwiespalt. Du enthieltest und
brachtest herein das Unumschränkte, knüpftest und fügtest zu
sammen seltsame Endpunkte. Ich war mit dir nicht einig:
du beobachtetest sofort und spähtest. Es war Aussicht, dass
ich nicht aufkomme: du hattest sofort andere Gedanken.'
,Der kaiserliche grosse Sohn ist dein älterer Bruder, er
sollte in der Reihenfolge nach eingesetzt werden. Du verliessest
dich vorläufig auf ungeheuerliche Reden. Du sagtest: Er stirbt
nicht auf seiner Stufe. Du nanntest eitler Weise Ungeheuer
lichkeiten der Dämonen. Ferner sagtest du, du könnest nicht
in das Amt eintreten. Du sagtest, der Beobachtung der Knochen
gemäss seiest du kein Di° ne i' unter den Menschen, bei deiner
Beschäftigung mit der- Tugend seiest du würdig, die wichtigen
Geräthe in Empfang zu nehmen. Du sagtest eitler Weise,
1 m Thsing-tsch’ing schicke einen Höchstweisen hervor.
Du wolltest durch dich selbst diesem entsprechen. Du gäbest
fälschlich vor, in Yi-tscheu sei ein Drache erschienen. Du
sprachest zuversichtlich von glücklichen Vorzeichen, verdeut
lichtest wiederholt den Geschlechtsnamen ^ Mö-yi. 1 Du
1 Die zwei Zeichen 7h Mö-yi ,Wechseln des Holzes“ bilden, mit
Hinzusetzung eines Striches bei dem letzteren, das Zeichen Yang,
den Geschlechtsnamgn der Kaiser von Sui.
696
Pfizmai er.
bautest neu den Palast von & » Tsch’ing-tu, 1 erklärtest
eitler Weise den Namen IkK Ho-nai, 2 um den achttausend
Umdrehungen zu entsprechen. Du liessest schräg ungeheuer
liche Seltsamkeiten der Mutterstadt entstehen, um das Himmels
unglück von Vater und älterem Bruder zu bestätigen. Du
bildetest eitler Weise vollendete Glückszeichen des Landes
Scho, um deine eigenen Tafeln zusammen zu stellen. Wie
solltest du das Uebel von Reich und Haus, die Zerrüttung
der Welt nicht erlangen wollen ?'
,Du verfertigtest ohne Weiteres Handtafeln von weissem
Edelstein. Ferner verfertigtest du Pfeile mit weissen Flügel
federn, geschmückte Gegenstände, Zierathen der Kleider. Wie
sollte es scheinen, dass Tauben des Gebieters auf dem linken
Wege sich sammeln, auf das Abschnittsrohr Unterdrücken und
Niederhalten geschrieben wird?'
,Die Verwandtschaft des Königs von Han zu dir ist die
jenige des jüngeren Bruders. Du aber maltest sein Bildniss,
schriebst dazu seinen Geschlechtsnamen und Namen, bandest
ihm die Hände, triebst ihm einen Nagel durch das Herz, legtest
ihn in Halsfesseln, Ketten und Fussfesseln. Dabei sagtest du:
Ich bitte den wohlwollenden Vater, die höchstweise Mutter,
die neunmal hunderttausend göttlichen Krieger, die zehntausend
Reiter der westlichen Anhöhe, des blumigen Berges, zusammen
zu fassen die Seele =ijr Yang-liang’s, 3 sie zu verschliessen
an dem Fusse des blumigen Berges und nicht sich zerstreuen
und sich regen zu lassen/
,Meine Verwandtschaft zu dir ist diejenige des Vaters.
Du sagtest wieder: Ich bitte den wohlwollenden Vater, die
höchstweise Mutter der westlichen Anhöhe, des blumigen Berges,
mich zu beschenken mit der Eröffnung der Verwandlung ^
Yang-kien’s 4 und seiner Gattin, mit der Umkehrung der
Freude ihres Herzens. Ferner maltest du mein Bildniss, bandest
mir die Hände, fasstest mit den Fingern mein Haupt. Dabei
1 Tsch’ing-tu ist die Hauptstadt des Reiches Schö.
2 Die zwei Zeichen Ho und 7*J Nai bilden das Zeichen Sieu.
Was die Zerlegung dieses Namens besagen soll, lässt sich augenblick
lich nicht bestimmen.
3 Yang-liang ist Liang, der fünfte Sohn des Kaisers Kao-tsu.
4 Yang-kien ist Kaiser Kao-tsu.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
697
sagtest du: Ich bitte die göttlichen Krieger der westlichen
Anhöhe, zusammen zu fassen die Seele Yang-kien’s wie auf
diesem Bilde. — Ich kenne jetzt Yang-liang nicht, 1 aber was
für ein Verwandter zu dir ist Yang-kien?
,In sich bergen Unseligkeit und Heimtücke, Entwürfe
machen für das Ungesetzliche, dieses bezeichnet die Fussspuren
eines widerspänstigen Dieners. Auf das Himmelsunglück des
Vaters hoffen, daraus das eigene Glück aufbauen, dieses ist
das Herz eines verderblichen Sohnes. Hoffnung auf das, was
nicht der Antheil ist, hegen, das giftige Herz gegenüber
dem älteren Bruder völlig ausbreiten, dieses ist der Wandel
eines unordentlichen jüngeren Bruders. Mit dem jüngeren
Bruder eifern, nichts als Böses thun, dieses sind keine
sehr zärtlichen Gefühle. Den Einrichtungen und Vorschriften
zuwider handeln, dieses ist die Gipfelung der Zerstörung und
Zerrüttung. Viele Schuldlose tödten, dieses ist die Grausam
keit der wilden Hunde und Wölfe. Die Menschen des Volkes
schälen und zerschneiden, dieses ist die ärgste der Bedrückungen.
Bios nach Gütern und Waaren trachten, dieses ist die Beschäf
tigung der Brunnen und Märkte. Ausschliesslich sich mit Un
geheuerlichkeit und Verkehrtheit befassen, dieses bekundet eine
alberne, blödsinnige Gemüthsart. Nicht im Stande sein, Lasten
zu tragen, dieses ist der Untauglichkeit Befähigung/
,Diese zehn Dinge vernichten die Ordnung des Himmels,
widerstreiten den Classen der Menschen, du hast sie alle ver
übt. Es ist der unglücklichen Vorbedeutungen ärgste. Wolltest
du dem Unglück und der Sorge entkommen, für die Dauer
Reichthum und vornehmen Stand bewahren, könntest du dieses
erreichen?'
Später gab der Kaiser wieder zu, dass Sieu mit seinen
Söhnen gemeinschaftlich wohne. Als Kaiser Yang zu seiner
Stufe gelangte, verschloss er ihm, wie es früher der Fall ge
wesen, den Weg zu Aemtern. Als Yü-wen-hoa-khl Tödtung
des Höheren und Auflehnung bewerkstelligt hatte, wollte er
Sieu zum Kaiser erheben. Die Berathenden stimmten nicht
bei. Hierauf mordete er Sieu samrnt dessen Söhnen.
1 Liang war als König abgesetzt.
698
Pf izmai er.
Liang, König von Han.
Liang, nach seiner Absetzung der gemeine Mensch
Liang genannt, war der fünfte Sohn des Kaisers Kao-tsu. Sein
Jünglingsname ist i|p Te-tschang. Man erwähnt ihn auch
mit dem kleinen Namen jbfe Khie. Im ersten Jahre des Zeit
raumes Khai-hoang (581 n. Chr.) zum Könige von Han
erhöhen, wurde er im zwölften Jahre desselben Zeitraumes
(592 n. Chr.) Landpfleger von ||g Yung-tscheu. Hierzu gab
man ihm die Stellen eines oberen das Reich als Pfeiler Stützen
den und eines grossen Heerführers der Leibwache zur Rechten.
Nach einem Jahre wurde er im Umwenden grosser Heerführer
der Leibwache zur Linken.
Im siebzehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (597
n. Chr.) austretend, wurde er allgemeiner Leitender von ^
Ping-tscheu. Der Kaiser besuchte die Landstriche Wl W en
und ^ Thang und schickte ihn fort. Zwei und fünfzig
Landstriche östlich von den Bergen bis Thsang-hai
und südlich bis an den gelben Fluss wurden sämmtlich von
ihm beaufsichtigt. Man gestattete ihm besonders, nach Um
ständen sich nicht streng an die Gesetzabschnitte und Erlässe
zu halten.
Im achtzehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (598
n. Chr.), zur Zeit der Dienstleistung von Liao-tung, machte
man Liang zum ursprünglichen Vordersten des einherziehenden
Kriegsheeres. Als er an der Spitze der Heeresmenge an den
Fluss Liao gelangte, entstanden Krankheiten und Seuchen.
Er richtete nichts aus und kehrte zurück.
Im neunzehnten Jahre des Zeitraumes Khai-hoang (599
n. Chr.) verletzten die Türken die Versperrungen. Man machte
Liang zum ursprünglichen Vordersten des wandelnden Kriegs
heeres. Schliesslich blickte er nicht auf die Waffen herab.
Liang, in Betracht ziehend, dass er sich bei den Auf
stellungen der auserlesensten Krieger der Welt befinde, dass
der grosse Sohn verleumdet und abgesetzt wurde, lebte in be
ständiger Furcht und machte im Geheimen andere Entwürfe.
In einer Meldung an Kao-tsu sagte er, die Türken seien eben
stark, Thai-yuen sei eine wichtige Niederhaltung, es
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
699
zieme sich, kriegerische Vorkehrungen zu treffen. Kao-tsu
befolgte dieses.
Man entsandte hierauf in grosser Menge Handwerker und
Dienstleute, besserte Geräthe aus, häufte sie und brachte sie
nach ^ Ping-tscheu. Liang berief Scharen von Menschen,
welche sich durch die Flucht dem Befehle entzogen hatten,
zu sich. Die ihn umgebenden, zu ihm besonders gehörenden
Menschen mochten ziemlich mehrere Zehntausende gewesen sein.
EE + JO Wang-khi war der Sohn äs ff m
Wang-seng-pien’s, eines Anführers des Hauses der Liang. Der
selbe, etwas verständig und im Besitze wunderbarer Kriegs
entwürfe, wurde bei Liang ein fragender und berathender dem
Kriegsheere Zugetheilter. j|g gpf Siao-mo-ho war ein
alter Anführer des Geschlechtes jjijl Tsch’in. Diese zwei
Menschen hatten ihre Absicht nicht erreicht. Sie waren immer
verschlossen und erregten keinen Aufruhr. Beide wurden von
Liang in die Nähe gezogen und für vortreffliche Menschen gehalten.
Als der König von Schö seiner Verbrechen wegen ab
gesetzt wurde, empfand Liang noch mehr Unruhe. Als Kao-
tsu starb, berief man Liang an den Hof. Liang eilte nicht
sofort hin. Er sandte die Kriegsmacht aus und empörte sich.
Je. Üä Tloang-fu-yen, allgemein leitender Vorsteher der
Pferde, rieth ihm dieses ab. Liang, darüber zornig, liess ihn
aufgreifen und binden.
Wang-khi sprach zu Liang: Die Angehörigen der Häuser
der von dem Könige eingesetzten Anführer und Angestellten
befinden sich sämmtlicb im Westen des Gränzpasses. Wenn
man diese verwendet, so ist es angemessen, beständig fort-
zuspreugen, tief in das Land zu dringen und geradezu die
Mutterstadt zu besetzen. Dieses ist nur, was man nennt:
Schnell donnern und nicht zum Ueberraschen kommen. Will
man nur das alte Gebiet von Thsi abschneiden und besetzen,
so ist angemessen, Menschen des Ostens zu beauftragen.
Liang war nicht fähig, eine ausschliessliche Bestimmung
zu treffen, und er machte von den zwei Entwürfen zusammen
genommen Gebrauch. Er gab an, Yang-su habe sich empört,
und man werde über ihn Strafe verhängen.
SS Pei-wen-ngan aus ia. Wen-hi, Richter
der Waffen von dem allgemein leitenden Sammelhause, sprach
700
P f i i m a i e r.
zu Liang: Was westlich von Tsing-hing liegt, befindet
sich innerhalb der Handflächen des Königs. Die Kriegsmänner
und Pferde des Ostens der Berge sind ebenfalls in unserem Be
sitze. Es ist angemessen, sie sämmtlich ausrücken zu lassen. Man
entsende getheilt die herabgekommenen Krieger, lasse sie lagern
und die nothwendigen Wege bewachen. Man heisse sie dabei
je nach der Gegend die Gebiete durchstreifen. Man stellt sich
an die Spitze der auserlesenen und streitbaren Krieger, dringt
geradezu nach der Ueberfahrt von P’u. Ich, Wen-ngan,
bitte, die vorderste Spitze bilden zu dürfen. Der König mit
dem grossen Kriegsheere bildet rückwärts die Fortsetzung,
Man wandelt wie der Wind, führt Schläge wie der Blitz.
Man hält an den Ufern des ||| Pa. Oestlich von Hien-yang
kann man mit der Fahne zeigen und sich entschliessen. Die
Mutterstadt zittert in Aufregung. Ihre Krieger haben nicht
Zeit, sich zu sammeln. Höhere und Niedere beargwöhnen ein
ander, die Gemüther sind getrennt und voll Entsetzen. Wenn
wir dann die Kriegsmacht aufstellen, den Befehl ausrufen, wer
würde es wagen, sich nicht anzuschliessen? Innerhalb zehn
Tagen kann die Sache zu Stande gebracht sein.
Liang hatte hieran grosses Wohlgefallen. Er entsandte
den von ihm eingesetzten grossen Heerführer ^ ^ ^ Yü-
kung-li mit dem Aufträge, aus Ta-kö hervorzurücken
und nach Ho-yang zu eilen. Den grossen Heerführer ^
Khi-liang entsandte er mit dem Aufträge, von der Mündung
des Flusses (jf -|- Fu auszurücken und nach ^ Li-
yang zu eilen. Der grosse Heerführer ^|J ||| Lieu-kien sollte
aus Tsing-hing rücken und Yen und Tscliao durchstreifen. Der
das Reich als Pfeiler Stützende jj|| Kiao-tscliung-kuei
sollte aus der verschlossenen Abtheilung von Yen-men rücken.
Pei-wen-ngan wurde ein das Reich als Pfeiler Stützender.
Hö-tan-kuei, ^ fjjlj. Wang-tan, die grossen Heer
führer ^0 ^ "ßjc Jü-jü-thien-pao und ^ fÜt M
Heu-mö-tsch’in-hoei sollten geradezu auf die Mutterstadt los
gehen.
Man war noch nicht hundert Li weiter als die Ueberfahrt
von P’u gekommen, als Liang seinen Entwurf änderte. Indem
er Hö-tan-kuei die Brücke des gelben Flusses abbrechen und
P’u-tscheu bewachen hiess, berief er Pei-wen-ngan zu sich.
Darlegungen aus der Geschichte des Hauses Sui.
701
Dieser kam und sagte: Die Triebwerke der Waffen wurden
schnell zerstört. Ursprünglich wollte man ausrücken. Da un-
vermuthet der König nicht ausgezogen ist, ziehe ich, Wen-ngan,
mich selber zurück. Man liess jene Berechnung der Ausführung
grosser Dinge entschwinden. — Liang entgegnete nichts. Er
machte Wang-tan zum stechenden Vermerker von P’u-tscheu.
Pei-wen-ngan wurde es von Tsin-tscheu. gSjj Jjöji Sie-sui
wurde es von Kiang-tscheu. % ^ Ü Liang -pu- sä
wurde es von Lu-tscheu. % it jE Wei - tao-
tsching wurde es von fjjjsj; Han-tscheu. Tsch’ang-
pe-ying wurde es von yjp Tsch’f-tscheu.
Kaiser Yang entsaudte Yang-su. Dieser drang an der
Spitze von fünftausend Reitern gegen Wang-tan und Hö-tan-
kuei in P’u-tscheu und zertrümmerte deren Macht. Hierauf
eilte er an der Spitze von viermal zehntausend Fussgängeru
und Reitern nach Thai-yuen. Liang beauftragte
Tscbao-tse-khai mit der Vertheidigung von rm i! Kao-pi. Yang-
su griff Tschao-tse-khai rasch an und schlug ihn in die Flucht.
Liang hatte grosse Furcht und stellte sich Yang-su in
den Beifusssümpfen entgegen. Es fiel fortwährend starker
Regen. Liang wollte das Heer umwenden. Wang-khi wider-
rieth ihm dieses und sagte: In dem überhangenden Kriegs
heere Yang-su’s sind Kriegsmänner und Pferde abgemattet und
zerschlagen. Wenn der König mit den streitbaren Kriegern,
mit den eigenen Waffen es angreift, wird dessen Stärke gewiss
aufgehoben. Wenn man jetzt beim Anblicke des Feindes zu
rückgeht, zeigt man den Menschen, dass man feig ist, man
bewirkt die Abschliessung der Herzen der kämpfenden Männer,
vermehrt den Muth des westlichen Kriegsheeres. Der König
darf keineswegs zurückgehen.
Liang befolgte dieses nicht. Er zog sich zurück und
vertheidigte '^jjj JjjJ Thsing-yuen. Yang-su rückte vor und
griff ihn an. JLiang führte seine Streitkräfte und bestand mit
dem Kriegsheere der Obrigkeiten einen grossen Kampf. In
demselben fielen achtzehn tausend Menschen. Liang zog sich
zurück und vertheidigte sich in Ping-tscheu. Yang-su
führte seine Streitkräfte vorwärts und umzingelte ihn. Liang,
bedrängt und erschöpft, ergab sich an Yang-su.
702
Pfizmaier.
Die hundert Amtgenossen meldeten an dem Hofe, das
Verbrechen Liang’s verdiene den Tod. Der Kaiser sprach:
Ich, der Kaiser, habe zuletzt nicht viele Brüder, ich ertrage
es nicht, es zu gebieten. Ich will das Gesetz verdrehen und
Liang die Todesstrafe nachsehen. — Hierauf entzog man Liang
den Namen, machte ihn zu einem Menschen des Volkes und
vernichtete die ihm gehörigen Schriftstücke. Endlich starb er
in der Ein Sperrung.
Seinem Sohne (y| |j) King wurde der Weg zu Aemtern
verschlossen. Zur Zeit der Bewerkstelligung von Tödtung des
Höheren und Auflehnung durch Yü-wen-hoa-khl wurde er ge
mordet.
Y ueii-tsch'eu.
7C ft Yuen-tsch’eu stammte aus Lö-yang in Ho-nan.
Er war der Enkel des Kaisers Tschao-tsch’ing von Wei in
sechster Linie. Sein Grossvater j|pj Schün, dem Hause der
Wei angehörend, war König von Pö-yang. Sein Vater
Hiung war König von Wu-ling.
Yuen-tsch’eu war in seiner Jugend von überlegenem Geiste
und verstand viele Künste des Krieges. Er war durch Schön
heit des Bartes und der Augenbrauen ausgezeichnet. Er hatte
das Aussehen eines Mannes, den man nicht beleidigen darf. 1
^ Hien, König von Thsi aus dem Hause Tscheu, sah ihn
und hielt ihn für starkmüthig. Er zog ihn an sich und nahm
ihn unter die Leute der Umgebung auf. Yuen-tsch’eu folgte
dem Könige mehrmals bei Eroberungszügen und Angriffen.
Er brachte es im Amte bis zu einem grossen Heerführer.
Als der nachherige Kaiser Kao-tsu an den Hof berufen
ward und sich Berücksichtigung und Vertrauen erwerben wollte,
rief er zuerst Yuen-tsch’eu und erliess zunächst Befehle an
pj^) Thao-tsching. Beiden vertraute er seine Geheimnisse.
Sie übernachteten beständig in seinem Schlafzimmer.
1 Anspielung auf tsch’eu ,Helm‘, wele.hes der Name Yuen-tsch’eu’s ist.
In dem Li-ki heisst es: In Panzer und Helm hat man das Aussehen
eines Mannes, den man nicht beleidigen darf.
Darlegungen ans der Geschichte des Hauses Sni.
703
Als Kao-tsu Reichsgehilfe wurde, liess er Yuen-tsch’eu
immer der Kriegsmacht vorgesetzt sein und sich in der ver
schlossenen Abtheilung des Palastes aufhalten. Er zog ferner
dessen jüngeren Bruder Ä Wei an sich und liess ihn zugleich
in die aufwartende Leibwache eintreten.
Tschao, zu den Zeiten der Tscheu König von Tschao,
erkannte, dass Kao-tsu die Dreifüsse der Tscheu fortschaffen
werde. Er begehrte, dass Kao-tsu sich zu ihm in das Wohn
gebäude 1 begebe. Er führte Kao-tsu in den inneren Theil des
Gebäudes. Dessen Begleiter durften nicht dahin folgen. Bloss
Yang-hung, 2 Yuen-tsch’eu und der jüngere Bruder des
Letzteren sassen zur Seite der Thüre.
Der König von Tschao sprach zu seinen zwei Söhnen jp|
Yün und jf' Kuan: Ihr sollet eine Melone darreichen. Bei
dieser Gelegenheit ersteche ich ihn.
Als man sich des Weines freute, wollte der König von
Tschao Veränderungen entstehen machen. Er stach mit dem
an seinem Gürtel hängenden Messer in die Melone und liess
Kao-tsu fortwährend davon essen. Es mochte sein, dass es
ihm nichts nützte.
Yuen-tsch’eu trat vor und sagte: In dem Sammelhause
des Reichsgehilfen gibt es Geschäfte. Man darf sich nicht
lange auf halten.
Der König von Tschao schalt ihn und sagte: Ich bin mit
dem Reichsgehilfen im Gespräche begriffen. Was ist es, das
du tliust? — Dabei schrie er ihn an und machte ihn zurück
weichen.
Yuen-tsch’eu, mit aufgerissenen Augen und Unmuth zeigend,
schlug auf das Schwert und trat in die Leibwache. Der König
von Tschao fragte ihn um den Geschlechtsnamen und Namen.
Yuen-tsch’eu antwortete der Wahrheit gemäss.
Der König von Tschao sprach: Bist du es nicht, der
einst dem Könige von Thsi gedient hat? Du bist in Wahr
heit ein tüchtiger Kriegsmann. — Dabei beschenkte er ihn
1 Bas Wohngebäude der Könige, wenn sie in die Mutterstadt kommen.
2 Yang-hung, später König von Ho-kien genannt, war der Grossoheim des
Kaisers Kao-tsu.
704
Pfizmaier.
mit Wein und sprach: Wie sollte ich eine übelwollende Ab
sicht haben? Warum argwöhnet ihr so und warnet?
Der König von Tschao stellte sich, als ob er sich er
bräche und wollte in den rückwärtigen Söller treten. Yuen-
tscli’eu fürchtete, der König werde Veränderungen zu Wege
bringen. Er fasste ihn und hiess ihn zu dem Sitze empor-
steigen. Dieses geschah zwei bis drei Mal.
Der König von Tschao gab vor, dass ihm die Kehle
trocken sei. Er befahl Yuen-tsch’eu, sich in die Küche zu
begeben und ein Getränk zu bringen. Yuen-tsch’eu rührte
sich nicht.
Es traf sich, dass Tsch’ing, König von JJ^ Theng,
verspätet ankam. Kao-tsu stieg die Stufen hinab und ging
ihm entgegen. Yuen-tsch’eu flüsterte Kao-tsu ins Ohr: Bei
der Sache handelt es sich um grosse Ungewöhnlichkeit. Man
kann schleunig sich entfernen.
Kao-tsu besann sich noch immer nicht und sagte: Jener
hat keine Waffen und Pferde. Was w'äre er wieder im Stande
zu tliun?
Yuen-tsch’eu sprach: Die Waffen und Pferde sind sämrnt-
lich Gegenstände eines anderen Hauses. Wenn er einmal
zuerst die Hand herablässt, ist die grosse Sache sofort ent
schwunden. Ich weigere mich nicht, zu sterben. Doch wenn
ich sterbe, was nützt es? — Kao-tsu trat wieder ein und
setzte sich.
Yuen-tsch’eu hörte, dass hinter dem idause Gepanzerte
ein Geräusch machen. Er bat hastig und sprach: Die Ge
schäfte in dem Sammelhause des Reichsgehilfen sind, vielfältig.
Wie könnet ihr es so weit bringen? — Hiermit erfasste er
Kao-tsu, zog ihn von dem Ruhesitze herab und lief davon.
Der König von Tschao wollte ihn verfolgen. Yuen-
tsch’eu verdeckte die Thür mit seinem Leibe, so dass der
König nicht heraustreten konnte. Als Kao-tsu das Thor er
reichte, war Yuen-tsch’eu von rückwärts herangekommen. Den
König von Tschao verdross es, dass er nicht rechtzeitig los
geschlagen. Er schnellte mit dem Finger auf eine Weise,
dass das Blut hervorfloss.
Nachdem man den König von Tschao hingerichtet hatte,
wurden Yuen-tsch’eu unzählige .Verleihungen zu Theil.
Darlegungen aus der Geschichte dos Hauses Sui.
705
Als Kao-tsu die Altäre der Landesgötter in Empfang ge
nommen hatte, beförderte er Yuen-tscli’eu zu der Rangstufe
eines oberen das Reich als Pfeiler Stützenden und setzte ihn
in das Lehen eines Fürsten der Landschaft Wu-ling mit der
Lehenstadt von dreitausend Thüren des Volkes. Ferner er
nannte er ihn zum Heerführer der Leibwache zur Linken und
versetzte ihn dann plötzlich zu der Stelle eines grossen Heer
führers der Leibwache zur Rechten.
Kao-tsu sagte ruhig: Dass ich meinen, des Kaisers, Leib
bewahrte und beschützte, die Beschäftigung dieses Fussgestells
zu Stande brachte, ist das Verdienst Yuen-tsch’eu’s.
Einige Jahre später trat Yuen-tsch’eu aus und wurde
stechender Vermerker von Yü-tscheu, hierauf stechender
Vermerker der zwei Landstriche Li-pö und Tsche.
Um diese Zeit waren die Türken häufig eine Plage der
Gränzgegenden. An dem Hofe zog man in Betracht, dass
Yuen-tsch’eu einen ehrfurchtgebietenden Namen habe, und er
nannte ihn zum allgemeinen Leitenden von f|| Ling-tscheu.
Die nördlichen Fremdländer hatten vor ihm grosse Scheu.
Später wurde er wieder als grosser Heerführer der Leib
wache zur Rechten zurückberufen. Er wurde noch mehr in
die Nähe gezogen und berücksichtigt.
Einst, am fünfzehnten Tage des ersten Monats, stieg der
Kaiser mit den nahestehenden Dienern an einen hohen Ort.
Um die Zeit kam Yuen-tsch’eu gerades Weges herab. Der
Kaiser befahl, zu ihm hinzusprengen und ihn herbeizurufen.
Als Yuen-tsch’eu erschien, sagte der Kaiser zu ihm: Ihr stieget
mit den Menschen des Aeusseren an den hohen Ort. Es ist
noch nicht so viel wie das Zustandebringen meines Sieges. —
Er beschenkte ihn und war bei dem Feste äusserst vergnügt.
Kuang, König von Tsin, 1 behandelte Yuen-tsch’eu immer
mit aller Achtung. Die Absetzung des Königs von Fang-ling
wurde durch die Rathschläge Yuen-tsch’eu’s vorbereitet, und
der Kaiser schaffte eben in den Sachen des östlichen Palastes
vollständige Ordnung.
.. 7C I: Yuen-min, grosser Pleerfiihrer der Leibwache zur
Linken, machte dem Kaiser in dieser Sache bittere Vorstel-
1 Kuang ist der spätere Kaiser Tang.
Sitzungsber. ri. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 45
706
Pfizmaier. Darlegungen ans der Geschichte des Hauses Sui.
hingen. Yang-su verleumdete ihn. Der Kaiser wurde sehr
zornig und liess Yuen-min bei der bewaffneten Leibwache fest
nehmen.
Yuen-tsch’eu sollte um diese Zeit gerades Weges herab
kommen und ging nicht fort. Er meldete dabei an dem Hofe:
Dass ich nicht gerades Weges herabkomme, ist nur desswegen,
weil Yuen-min im Wege steht. — Er wollte durch diese Worte
den Kaiser wieder zum Zorne reizen. Der Kaiser liess hierauf
Yuen-min hinrichten und beschenkte Yuen-tsch’eu mit tausend
Stücken Seidenstoffes.
Als Sieu, König von Scho, 1 eines Verbrechens schuldig
war, wurde Yuen-tsch’eu angeklagt, mit ihm verkehrt zu haben.
Es wurde ihm der Name genommen. Als Kaiser Yang zu
seiner Stufe gelangte, konnte man die Sache nicht wieder gut
machen.
±AIE Schang-kuan-tsching, stechender Vermerker von
Tse-tscheu, wurde der Geschäfte wegen in Anklagestand
versetzt und nach dem Süden der Berghöhen verbannt. Der
Heerführer it Khieu-ho wurde ebenfalls eines Verbrechens
wegen abgesetzt. Yuen-tsch’eu hatte alte Beziehungen zu Khieu-
ho und begleitete diesen mehrmals auf Ausflügen.
Einst sagte Yuen-tsch’eu, als man sich des Weines freute,
zu Khieu-ho: Schang-kuan-tsching ist ein tüchtiger Kriegsmann.
Man verbannt ihn jetzt nach dem Süden der Berghohen. Man
hat es erlangt, dass es keine grossen Angelegenheiten gibt! —
Dabei schlug er sich auf den Bauch und sagte: Ein solcher
Fürst hat keine freie Zeit.
Khieu-ho meldete es den nächsten Tag an dem Hofe.
Yuen-tsch’eu wurde zuletzt in Anklagestand versetzt und erlitt
den Tod. Man forderte dann Schang-kuan-tsching vor und
machte ihn zum Heerführer der kühnen Leibwache. Khieu-ho
wurde zum stechenden Vermerker von Tai-tscheu ernannt.
1 Sieu ist der vierte Sohn des Kaisers Kao-tsu.
XXI. SITZUNG VOM 13. OCTOBER 1880.
Von dem k. u. k. Ministerium des Aeussem wird d§r
Akademie das Werk: ,Essai sur les principes regissant l’admini-
stration de la justice aux Indes orientales hollandaises par
C. P. K. WinckeP zur Verfügung gestellt.
Herr Professor Dr. David Heinrich Müller legt eine
zweite Abhandlung unter dem Titel: ,Die Burgen und Schlösser
Südarabiens nach dem Iklil des Hamdänk mit dem Ersuchen
um ihre Aufnahme in die Sitzungsberichte vor.
Die Vorlage wird einer Commission zur Begutachtung
überwiesen.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academy, the ameriean of arts and Sciences: Proceedings. N. S. Vol. VII.
Wliole series. Vol. XV, Part II. From Deeember 1879 to May 1880.
Boston, 1880; 8°.
— Transactions. Irish MannScript Series. Vol. I, Part I. Dublin, London,
Edinburgh, 1880: gr. 4°1
~ the royal Irish: Proceedings. Vol. II, Ser. II, Nr. 1. November 1871.
Vol. III, Ser. II, Nr. 4. April 1880. Dublin, London, Edinburgh; 8°.
Akademie, königliche, gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt: Jahr
bücher. N. F. Heft X. Erfurt, 1880; 8».
Bishop, Levi: Poetical Works. Albany, 1880; 8°.
Bibliothfeque de l’Ecole des Charles: Revue d’Erudition. XLI. Annee 1880.
2 e et 3 e et 4 e livraisons. Paris, 1880; 8°.
Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch für das
Jahr 1878. V. und VI. Heft. Wien, 1880; 8°.
— k. k. zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denk
male: Mittheilungen. VI. Band, 3. Heft. Wien, 1880; gr. 4°.
45*
708
Gesammtverein der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine: Corre-
spondenzblatt. XXVIII. Jahrgang 1880. Nr. 1—4. Januar—April. Darm
stadt; 4°.
Gesellschaft, kurländische, für Literatur und Kunst: Sitzungsberichte
nebst Veröffentlichungen des kurliindisclien Provinzial-Museums aus dem
Jahre 1879. Mitau, 1880; 8°.
— königlich böhmische, der Wissenschaften in Prag: Sitzungsberichte.
Jahrgang 1879. Prag, 1880; 8°.
Handels-Ministerium, k. k. statistisches Departement: Nachrichten über
Industrie, Handel und Verkehr während des Jahres 1879. XX. Band,
1. Heft. Wien, 1880; 4°.
Harz-Verein: Zeitschrift für Geschichte und Altertlmmskunde. XIII. Jahr
gang 1880. 1. und 2. Heft. Wernigerode, 1880; 8°.
Karpathen-Verein, ungarischer: Jahrbuch. VII. Jahrgang 1880. Kesmark; 8°.
Meyer, Gustav: Griechische Grammatik. Leipzig, 1880; 8°.
Societas scientiarum fennica: Acta. Tomus XI. Helsingforsiae, 1880; gr. 4°.
— Bidrag tili Kännedom af Finlands Natur och Folk. 32. Heft. Helsin-
fors, 1879; 8°.
Societe nationale des Autiquaires de France: Mömoires. Tome XXXIX.
4 e Ser. Tome IX. Paris, 1878; 8°.
Society, the american geographical: Bulletin. 1879. Nr. 4. New-York, 1880; 8°.
Uvyx, Dr.: Nicht geschriebene Gesetze oder kritisch-prosaische Be
trachtungen über die Licht- und Schattenseiten der modernen Civili-
sation mit specieller Berücksichtigung der Ursachen und Wirkungen des
jüngsten russisch-türkischen Krieges. Konstantinopel und Zürich, 1880; 8°.
Verein, militär-wissenschaftlicher in Wien: Organ. XXI. Band, 2. und 3. Heft.
Wien, 1880; 8°.
— für hessische Geschichte und Landeskunde: Zeitschrift. N. F. VIII. Band,
3. und 4. Heft. Kassel, 1880; 8°. — Mittheilungen an die Mitglieder.
Jahrgang 1879. 2.—4. Vierteljahrsheft; 8°. Jahrgang 1880. 1. und 2. Viertel
jahrsheft; 8°.
— historischer, von Oberbaiern: XLI. Jahresbericht für das Jahr 1878.
München, 1880; 8°. — Oberbaierisches Archiv für vaterländische Ge
schichte XXXVIII. Band. München, 1879; 8°.
— kroatisch-archäologischer: Viestnik. Godina II, Br. 3. Agram, 1880; 8°.
Wieden, k. k. Krankenhaus: Bericht vom Solar-Jahre 1879. Wien, 1880; 8°.
Win ekel, C. P. K.: Essai sur les principes regissant l’administration de la
justice aux Indes orientales hollandaises, surtout dans les lies de Java
et de Madoura et leur application. Samarang, Amsterdam, 1880; 8°.
XXII. SITZUNG VOM 20. OCTOBER 1880.
Die Handels- und Gewerbekammer für Schlesien über
sendet mit Begleitschreiben den ,Statistischen Bericht über die
Industrie Schlesiens im Jahre 1875'.
Von Herrn Professor Dr. Gerson Wolf wird die Schrift:
,Das Unterrichtswesen unter Kaiser Josef II., nach einer Dar
stellung von Sonnenfels 1 überreicht.
Die Direction des k. k. militär-geographischen Institutes
übermittelt achtzehn Blätter Fortsetzung der Specialkarte der
österreichisch-ungarischen Monarchie.
Das w. M. Herr Dr. Büdinger legt eine für die Sitzungs
berichte bestimmte Abhandlung vor, welche den Titel führt:
,Dio neuentdeckten Inschriften über Cyrus'.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie des Sciences, Belles-Lettres et Arts de Lyon: Memoires. Classe
des Sciences. Tome XXIII. Paris, Lyon, 1878/79; 8°. — Memoires. Classe
des Lettres. Tome XVIII. Paris, Lyon, 1878/79; 8°.
— imperiale des Sciences de St. Petersbourg: Bulletin. Tome XXVI, No. 2.
St. Petersbourg, 1880; 4°.
Accademia, regia di scienze, lettere ed arti in Modena: Memorie. Tomo XIX.
Modena, 1879; 4°.
710
Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch für das
Jahr 1877. III. und IV. Heft. Wien, 1880; 8«. 1879, I. und XI. Heft.
Wien, 1880; 8°. — Ausweise über den auswärtigen Handel der öster
reichisch-ungarischen Monarchie. V. Abtheilung. XL. Jahrgang. Wien,
1880; gr. 4°.
Gesellschaft, k. k. geographische, in Wien: Mittheilungen. Band XXIII
(N. F. XIII), Nr. S, 6, 7, 8, 9. Wien, 1880; 8».
Handels- und Gewerbekammer, schlesische, in Troppau: Statistischer
Bericht über die Industrie Schlesiens im Jahre 1875. Troppau; 8°.
Henry, James: Aeneidea, or eritical, exegetical and esthetical Remarks on
the Aeneis. Vol. II. Dublin, 1879; 8°.
Institute, the anthropological of Great-Britain and Ireland: The Journal.
Vol. X, Nr. I. August 1880. London; 8°.
Soeiete des Antiquaires de Picardie: Bulletin. Tome XIII. 1877, 1878,
1879. Paris, Amiens, 1879; S°. — Memoires. 3 e Serie, Tome VI. Paris,
Amiens, 1880; 8°.
— royale des Sciences ä Upsal: Nova Acta regiae societatis scientiarum
upsalensis. Ser. III, Vol. X, Fase. II. 1879. Upsaliae, 1879; 4°.
Society, the royal geographical: Proeeedings and monthly Record of Geo-
graphy. Vol. II, Nr. 10. October 1880. London; 8°.
State of Indiana: First Annual Report of the Department of Statistics
and Geology. 1879. Indianopolis, 1880; 8°.
Strassburg, Universität: Akademische Schriften pro 1878/79 und 1880.
66 Stücke. 8°, 4° und Folio.
United States, Department of the Inferior: Annual Report of the Coinpt-
roller of the Currency. Deeember 2, 1878. Washington, 1878; 8 1 *.
Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens: Zeitschrift. XV. Band,
1. Heft. Breslau, 1880; 8°. — Regesten zur schlesischen Geschichte von
Dr. C. Grünhagen. III. Lieferung bis zum Jahre 1238. Breslau, 1880;
4°. — Acta publica. Verhandlungen und Correspondenzen der schlesischen
Fürsten und Stände von Dr. Julius Krebs. V. Band: Die Jahre 1622
bis 1625. Breslau, 1880; 4°.
Wissenschaftlicher Club in Wien: Monatsblätter. I. Jahrgang, Nr. 10
und 11. Wien, 1880; 4«.
Büdiuger. Die neuentdeckten Inschriften über Cyrns.
711
Die neuentdeckteii Inschriften über Cyrus,
eine kritische Untersuchung,
** von
Max Büdinger,
wirk], Jlitgliede der k. Akademie der Wissenschaften.
Als ich am 21. April d. J. die Eine hatte, dei hohen
Classe die Abhandlung über den Ausgang des medischen
Reiches (S. B. XCVI, S. 477 flgde) vorzulegen, waren in London
bereits zwei für diese Frage erhebliche Inschriften bekannt
geworden, deren Entdeckung in den Trümmern von Babylon
Herrn Hormazd Rassam zu danken ist. Auf beide hat Herr
Dr. Victor Floigl in Graz mich zuerst aufmerksam zu machen
vor Kurzem die Güte gehabt.
Die eine dieser Inschriften, von der ich zunächst zu
sprechen habe, ist freilich erst nach Rassam’s Abgang von
seinen Beauftragten gefunden und anscheinend im Januar d. J.
nach London gekommen. So viel ich sehe, hat dann dieser
seit etwa vierunddreissig Jahren für die Ausgrabungen 1 thätige
Agent selbst durch irgend Jemandes Hilfe zuerst erkannt,
dass in dem Denkmale von der Einnahme Babylon’s durch
Cyrus die Rede sei, wenn er dieselbe auch in einem Vor-
1 Von ihm selbst geschildert: excavations and discoveries in Assyria, ein am
4. November 1879 gehaltener und in den transaetions of the society of
biblical archeology 1880, t. VII, p. 37 flgde abgedruckter Vortrag mit
dem ehrlichen Schlussbekenntniss (p. 58): I do not profess to know
anything about the reading of old Assyrian language.
712
B ü d i n g e r.
trage vom 2. Februar d. J. in dem Victoria-Institute etwas
ungenau als den officiellen Bericht von dieser Einnahme be
zeichnet zu haben scheint, falls die Fassung nicht von dem
Referenten in der ,Academy' (7. Februar, 8. 102) verschuldet
ist. Auf alle Fälle hat der General Sir Henry Rawlinson von
Anderer Meinung keine Notiz genommen, als er in dem vom
Januar d. J. datierten ersten Hefte des zwölften Bandes
des Journal of the royal Asiatic society (S. 70 flgde) mit der
ganzen Kraft und Sicherheit seiner Jugendarbeiten diese In
schrift erläuterte.
Es zeigt sich nun, dass dieselbe sich auf einem neun
Zoll langen Thoncylinder befindet, der iu einem babylonischen
Tempel — wie Rawlinson vermuthet: von Cyrus selbst —
niedergelegt war. Von den 45 Zeilen sehr kleiner Schrift,
welche das Denkmal ursprünglich zählte, ist nur ein Theil
mit Sicherheit lesbar und verständlich. 1 Eben dieser aber
enthält mehrere Modificationen des in meiner Abhandlung vom
21. April Gesagten.
Es werden hier zunächst Könige von Ansan oder Assan
bezeichnet. Rawlinson identificiert diesen Ort (S. 76) mit
einem Locale der Gegend von Shuster. Da nun eben die
gleich zu erwähnenden nächsten Vorfahren des grossen Cyrus
(S. 72 und 87) als Könige von Ansan oder Assan bezeichnet
werden, so muss man wohl annehmen, dass in der That die
ursprüngliche und einheimische Betitelung der Könige nach
einem begrenzten Locale dieses oder ähnlichen Namens statt
hatte, an welchen wohl schwerlich die Namensform 2 der Königin
Kassandane (Herodot II,- 1; III, 2, 3) erinnert. Hienach ist
die in späteren einheimischen Inschriften wie bei den Verträgen
1 and altogether the Cylinder is perhaps the most interesting cuneiform
document, that has been yet discovered p. 70.
2 Oppert, le peuple et la langue des Medes 111, erklärt das Wort freilich
als Schwanenhals, von kazanda, Schwan; da aber Darmesteter (revue
critique 1880, 21. Juni, S. 491 ff.) bei aller hohen Würdigung dieses
neuen Werkes doch gegen die Ableitungen der Eigennamen, denen auch
ich (Ausgang S. 478 und 499) Raum gab, erhebliche Einwände erhoben
hat, so möchte ich überhaupt erst weitere Aufklärung abwarten, bei der
wohl auch der Name dieser Königin neue Prüfung findet.
Die neuentdeokten Inschriften über Cyrng.
713
mit den Griechen nachweisliche Uebung (Ausgang S. 490),
den König ohne Beisatz zu bezeichnen, erst jüngern Ursprungs.
Gleich hier sei aber bemerkt, dass (vgl. unten S. 720 und 725)
Cyrus selbst, wie seine Vorfahren, Anfangs König von Ansan,
nach der Besetzung Mediens König von Persien genannt wird
und den babylonischen Künigstitel vermuthlicli erst im Früh
jahre 537 annahm.
Der volle Titel der drei Vorgänger des grossen Cyrus
lautet aber (S. 87, Z. 21) sarri rabbi sar ir Ansan: ,grosser
König, König der Stadt Ansan'. Es lässt sich daher noch viel
bestimmter, als in der Abhandlung (Ausgang S. 483) geschehen
durfte, sagen, dass keiner dieser Könige in einer Abhängig
keit von einem fremden Reiche gestanden haben kann.
Die drei Vorgänger bezeichnet die Inschrift ferner
folgendermassen. Des Eroberers Vater ist Kambyses, sein
Grossvater ist Cyrus, sein Urgrossvater Teispes. In der An
gabe, dass der Grossvater Cyrus hiess, stimmt sie sonach mit
der von mir (Ausgang 484, Z. 25) eben nur erwähnten Nachricht
Herodots I, 111 aus der medischen Relation, während derselbe
VII, 11 in der Stammtafel (Ausgang 484, Z. 17 flgde), welcher
ich den Vorzug gab, einen zweiten Teispes nennt, den ich für
des grossen Cyrus Grossvater hielt. Man wird aber keines
wegs jetzt in der Stammtafel eine Irrung anzunehmen, son
dern des Eroberers Grossvater Cyrus (II.), Sohn des Königs
Teispes (II.), vielmehr für den Bruder und nicht für den Vater
von Darius’ Urgrossvater Ariaramnes zu halten haben. So
weit bin ich von der Richtigkeit der Stammtafel, welche
Sir Henry Rawlinson jetzt aufgestellt hat, überzeugt. Aber
die Auskunft desselben, Ariaramnes und Arsames (Darius’
Grossvater) als den siebenten und achten der Achämeniden-
könige zu bezeichnen, halte ich für unzulässig. Die von mir
(a. a. 0. Z. 31) hervorgehobene Schwierigkeit, Arsames und
Ariaramnes überhaupt als Könige zu bezeichnen, glaubt Sir
Henry Rawlinson durch die freilich mit allem Vorbehalte auf
gestellte Vermuthung beseitigen zu können, dass Ariaramnes,
während sein Vater Teispes nach Ansan vorrückte, als König in
Persis geblieben sei und die Herrschaft auf seinen Sohn Arsames
vererbt habe, während dessen Sohn Hystaspes, Darius’ Vater,
714
B ü d i n g e r.
sich ueben Cyrus dem Eroberer nicht habe behaupten können.
Wenn Darius aber in der Behistan-Inschrift, Columne I, §. 4
am Schlüsse, sagt, das Königthum, das er als neunter Achä-
menide besitze, habe seine Familie in zwei Zweigen oder Ab
theilungen 1 bekleidet, so bleibt das ja auch bei der Zählung
nach der herodoteischen Stammtafel wahr, da Darius auf alle
Fälle einer andern Linie angehört, die sich eben nur auch
von Teispes ableitet — wie ich mit der Stammtafel meine: dem
Zweiten.
Die Stammtafel gestaltet sich daher vervollständigt nach
meiner Ansicht folgendermassen, indem ich die Namen der
urkundlich gesicherten Könige mit fetter, die der früheren mit
gesperrter Schrift gebe. Achäinenes’ Namen glaube ich zu
diesen früheren Königen nicht zählen zu können und gebe
ihn daher mit gewöhnlicher Schrift, da er allem Anscheine
nach nicht der wirkliche Ahnherr, sondern der mythische
Heros Eponymos der Achämeniden ist. 2 In dem persischen
Texte der Behistan-Inschrift, der wohl für diese Frage be
sonders ins Gewicht fällt, heisst er ,der Vater Hakamanish',
ohne dass, wie bei Darius’ vorhergehenden Ahnen, gesagt
würde, dass er des zuletzt genannten Teispes (Ariaramnes
Vaters) Vater sei; vorher aber nennt sich Darius: Hystaspes’
Sohn, Arsames’ Enkel, ,Achämenide‘; nachher sagt er: ,desshalb
wurden wir Achämeniden genannt'. 3
1 Oppert Medes 163, Sir H. Rawl. 1. 1. 74, George Ruwlinson Herodotus 1
II, 491.
2 In der erwünschtesten Weise werden nun, da Cyrus' gleichnamiger Gross
vater gesichert ist, die ,müssigen Vermutliungen 1 entbehrlich, die ich
(Ausgang S. 484, Zeile 11 von unten) wegen der Thatsache zu äussern
mich scheute, dass in der Behistan-Iusclirift die drei Almen zwischen
dem zweiten Teispes — dem ersten Könige unter Darius’ Vorfahren und
desshalb genannt — und Acliämenes fehlen; den Letzteren musste ich
damals irrig noch für einen wirklichen König halten, obwohl sich doch
eigentlich schon Cyrus selbst in der Murghäb-Inschrift ,Ich Cyrus König
Achämenide“ über die Natur der Ahnen so deutlich äussert, wie ein
spartanischer König, der sich für einen Herakliden erklärt.
3 Columne I, §. 2, u. 6: pita Hakamanish; §. 1, n. 8 und §. 3, u. 2:
Hakhamanishiya.
Die neuentdeckten Inschriften über Cyrus.
715
Achämenes
1. Teispes (I.)
2. Kambyses (I.)
i
3. Cyrus (I.) 2
I
4. Teispes (II.)
5. Cyrus (II.)
I
Ariaramnes
6. Kambyses (II.)
Arsames
7. Cyrus (III. der Grosse)
Ilystaspes
I
8. Kambyses (III.)
9. Darius I.
Xerxes
Die vielleicht befremdendste Nachricht bringt aber die
Inschrift dadurch, dass sie, ohne des doch sonst (Ausgang
S. 481 vgl. unten S. 718, Anm. 3) bezeugten Belsazar bei der
Einnahme Babylons auch nur mit einem Worte zu gedenken,
die Einnahme als eine ohne Gefecht ganz wesentlich durch
den Uebertritt der Babylonier geschehene schildert, nachdem
Cyrus’ grosses Heer die Stadt eingeschlossen und den Ueber
tritt ermöglicht hatte. 3 Nabunahid habe die Verehrung der
grossen babylonischen Götter, auch, wie es scheint, die Erhaltung
1 Dass die Namen Kambyses und Cyrus altarisches Eigen, von arischen
Volksnamen genommen oder ihnen verwandt sind, bemerkt H. Zimmer
(altindisches Leben 1870) S. 102 und 130, indem er von den indischen
Kamboja und Kuru handelt.
3 Wenn die aus Diodor stammende Relation über das kappadokische Königs
haus Grund hat (vgl. Ausgang S. 484, Zeile 35 ff.) — und es liegt kein
Anlass vor, sie zu bezweifeln —■ so muss hier wohl der erste Kam
byses als der Ahnmutter Atossa Bruder verstanden werden. Die Be
stätigung der Nachricht läge auch darin, dass der Name seines Sohnes:
Cyrus ist.
3 — he eonducted his army; his forces wide spreading, which like the waters
of the river, could not be known their numbers, and their precions swords (?)
expanded (the hearts of) his army (?) 5 without fighting and contest he
brought them to Calanna; his city of Babylon he besieged and conquered.
Nabonidus the king, who did nod worship him, he gave into his hand;
the people of Dindir, all of them, and many of the Sumir and Akkad
716
B ü d i u g e r.
der Befestigungen versäumt. 1 Cyrus habe dagegen durch
Frömmigkeit die Gunst der babylonischen Götter, namentlich
des grossen Gottes Merodach, gewonnen, die Bauwerke in
Stand gesetzt oder erhalten 2 und das Volk zu seinen religiösen
Uebungen ermuntert, auch die verlassenen Städte wieder mit
ihren Bevölkerungen versehen, ihre Götter restituirt, die alten
Ordnungen 3 hergestellt. (Z. 31 und 32). Ich wundere mich, dass
man nicht sofort einen Grundsatz von Cyrus’ Reichsregierung'
erkannt und namentlich nicht an die den Juden ertheilte Er
laubnis der Rückkehr gedacht hat. Das Ganze schlicsst mit
einem Gebete, in welchem Cyrus sich und seinen Sohn Kam-
byses der Fürbitte der Götter bei dem Obergotte Merodach
mit Rücksicht auf seine Frömmigkeit empfiehlt. Dem ent
sprechend ist eine von Abydenus 4 mitgetheilte Weissagung
in einem Traume Nebukadnezar’s, welche den Chaldäern zu
Gemüthe führt: ,das persische Maulthier wird kommen, Eurer
Gottheiten als seiner Helfer sich bedienend, und Knechtschaft
bringen'.
Schon am 9. Februar d. J. veröffentlichte aber der
selbe Meister der altorientalischen Geschichte, dem wir diese
Gabe danken, im Athenaeum (S. 215) eine kurze, mir
damals entgangene Notiz, in welcher er mittheilte, dass er
auf einer von Herrn Pinches als Annalen des Königs Nabo-
nedus erkannten Inschrift auch die Einnahme von Hagamatanu
(Ekbatana) und die Gefangennahme des medisclien Königs
Istuvigu (Astyages) in babylonischer Sprache erwähnt gefunden
(vgl. die treffliche Note S. 71, wonach dies nur Nieder- und Hochländer
sind) nobles and priests, who broke away and declined (?) to kiss his
feet, revolted against his sovereignty (and) changed their sides. Zeile 17
und 18, S. 86 f.
' while nothing was doing, the defences languished all of them; so über
setzt Sir Henry Rawlinsou S. 85, Zeile 8.
2 — the buildings of Babylon and all its strong cities in good Order I
cherished; Z. 25 der Inschrift, 8. 88.
3 Ueber das schwierige Wort: Sir Henry’s Bemerkungen 96.
4 f?:’. IKpori; 7)p.:ovoc toioiv upsrspoto! 6a!|j.oot ypEiopevo; crupuayounv • ir.&.v.
6e 8ou).oaiv7)V, osj 07, auvalno; ibrai MfjSri;, ~o ’Aoaüptov aüyrjpa. (Fr. 9 bei
Müller fragmenta hist. Graec. IV, 283.) Herr Dr. Jacob Krall hat mich
mit dieser merkwürdigen Notiz erfreut, deren letzte acht Worte unten
(S. 721) ihre Erklärung finden.
t)ie neuentcleckten Inschriften über Cyrus.
717
habe. Unter allem Vorbehalte -— wie sich nun zeigt in der
That irrig -— sprach er die Vermuthung aus, dass hier vielleicht
Annalen des grossen Königs Cyrus selbst vorliegen.
Gleichzeitig scheint Professor Sayce in Oxford von diesen
Annalen Notiz genommen zu haben; am 13. März d. J. gab
er in der Academy (Bd. XVII, S. 198) eine kurze Analyse
derselben, welche als die zuerst publicierte hier auch zuerst er
wähnt werden mag. Sayce beginnt mit einer Kritik der Raw-
linson’schen Vorlesung über den Cyruscylinder; er meint — was
doch mehr als problematisch ist und nachträglich von Sayce
selbst bezweifelt wird* — Cyrus habe den Inhalt derselben
kaum verstehen, noch weniger lesen können, und so hätten die
babylonischen Priester nach Belieben behaupten können, sie
seien längst Cyrus’ geheime Anhänger gewesen und die eigent
lichen Veranlasser der unblutigen Eroberung der Stadt. Denn
auf die von Sir Henry Rawlinson (Herodotus 2 1262) längst aus
technischen Gründen vergeblich bezweifelte Geschichte Herodots
(I 191) und Xenophons (Cyropädie VII 5) von der Ableitung
des Euphrat müssen wir in der That auf alle Fälle und gänzlich
verzichten, und ich persönlich auf meine Ausführungen über die
Dauer der Belagerung in der Abhandlung über Krösus’ Sturz
(Sitzungsber. XCII, S. 210). Wie weit die chaldäische, in der
Inschrift 2 niedergelegte Anschauung, dass Cyrus’ Armee den
Wassern des Eufrat vergleichbar sei, auf die Entstehung der
Sage eingewirkt hat, lässt sich wohl nicht sagen.
Sayce gibt hierauf seine vielfach recht ungenauen, in
einigen Hauptpunkten aber doch richtigen Notizen, darunter
auch die — mit Xenophons Darstellung so wohl stimmende —,
dass Gobryas den Hauptantheil bei der Eroberung der Stadt
Babylon am 16. (Duz hebräisch:) Tammuz, etwa Juli, hatte
und dass Cyrus’ Einzug auf den dritten Tag des Herbst
monates (Arach-Samna hebräisch:) Marcheswan, vielleicht wirk
lich October, erfolgte.
1 sinee Cyrus was hereditary king of Ansan, . . . may imply his acquaintance
with tlie Babylonian language and mode of writing; so schliesst der Auf
satz; aber vorher heisst es: the inscription . . . ean scarcely liave been
unterstood, much less read by Cyrus.
s Vgl. oben S. 715, Anm. 3, Zeile 1 und 2.
718
.R ü d i n g e r.
Schon in der Woche vor Sayce’s Publicatjon, am 2. März d. J.,
hatte aber Herr Theophil Gr. Pinches in der Gesellschaft für
biblische Archäologie über diese kostbare Inschrift einen Vor
trag gehalten, welcher inzwischen in den Verhandlungen der Ge
sellschaft erschienen ist und in dieser Gestalt durch Wiedergabe,
Transscription und Uebersetzung des Originaltextes allen billigen
Anforderungen entspricht. Das Denkmal ist ein nur in der
Sonne getrockneter Backstein von vier englischen Zoll Höhe und
dreieinhalb Zoll Breite, auf Vorder- und Rückseite in Doppel-
columnen bis auf mindestens 28 Zeilen mit freilich nur zum
Theile erhaltenen annalistischen Notizen bedeckt. Des Heraus
gebers Zählung ist freilich irrig, 1 da er Nabonedus’ erstes Jahr
nicht einfach mit seiner wirklichen Thronbesteigung beginnen,
sondern sich in zwei spalten 2 lässt und so für das letzte Jahr
desselben auf 539 statt 538 geräth. Auch auf seine Hannoni
sirungsversuche der Inschrift mit den griechisch-römischen
Nachrichten (S. 145 f.) kann man verzichten.
Es zeigt sich aber nun, dass Nabonedus ein höchst un-
thätiger Fürst war, der lange Jahre in einem Theile von Baby
lonien sass, seinen hier ungenannten, im zehnten Jahre (546/5)
zuletzt 3 erwähnten Sohn in einem anderen — im Norden, in
Sipara — mit der Armee schalten, den Götterdienst, namentlich
durch Vernachlässigung der Processionen, verfallen liess. Nur
in seinem ersten Regierungsjahre (555/4) hat er zwei Kriegs
züge, in seinem dritten (553/2) eine Holzfällexpedition nach
dem Amanusgebirge unternommen, Pliönikien besucht und viel
leicht auch irgendwo 1 gekämpft, wenn nicht die letztere ver-
1 Pinches ist dabei wohl noch von seinen eigenen, unmöglichen chronologi
schen Aufstellungen in den Transactions of the society of bihlicai arckeo-
logy VI, 487 beinflusst.'
2 Zu dem ,dritten Jahre“ bemerkte er nämlich S. 141: This may be the
accession, first and second year3; aber das Antritts- oder Proelamations-
jahr ,sanat subat“ ist eben nur der Theil des ersten Regierungsjahres, der
vom Tage der Thronbesteigung bis zum Beginne des Kalenderjahres am
ersten Nisan läuft, wie Oppert in denselben Transactions VI, 261 f., 265
aus den Privateontracten beweist.
3 Vorderseite, Colnmne II, Zeile 19, S. 160.
Erhalten sind nur die Worte: ,und die zahlreichen Krieger . . . gross,
die Stadt Sendini, seine Krieger“. (Vorderseite, Coiumne I, Zeile 18—20,
S. 155). Da vorher der Spätherbstmonat Kisiliv (Zeile 14) erwähnt wird,
Bip neu entdeckt eil Inschriften über Cyrus.
719
stümmelte Nachricht mit Herrn Pinches vielmehr gar auf Cyrus
zu beziehen ist. InNabonedus’ sechstem Jahre (550/49) gammelte'
ein Ungenannter ein Heer und zog ,gegen König Cyrus von
Ansan. Is(tuvegu) kam und' . . ., 1 sei es sich mit ihm zu
verbinden, sei es ihn zu bekämpfen; denn auch hier ist eine
Lücke. ,Istuvegu’s Armee revoltirte und nahm ihn in Hände,
dem Cyrus gaben sie ihn. In dem Lande von Agamtanu'
(Ekbatana, nach welchem hier also Medien bezeichnet wird)
,und der königlichen Stadt (fand er vor?) 2 Silber, Gold, Ge-
räthe und Waaren. Von Agamtanu führte er weg, nach Ansan
brachte er Geräthe und Waaren, welche 3 . . .' Die Lücke lässt
nicht erkennen, ob er Gold und Silber nicht mit sich führte.
Zweifelhaft bleibt hier noch, ob wir auf den von mir in
der Abhandlung über den Ausgang des medischen Reiches
(S.492) als Zerrbild des echten medischen Eroberers bezeichneten
Kyaxares der persischen Sage bei Xenophon verzichten müssen.
Es erhält aber der dort geführte Nachweis (a. a. O. S. 490, 498
und 503) des friedlichen Ueberganges der Herrschaft die er
wünschte Bestätigung, wenn auch die Bedingungen der Ueber-
nahme auf gleiches Recht mit den Persern nicht angegeben sind.
Zu der hieher gehörigen Thatsache der bei den Griechen
üblichen Bezeichnung der Perser als Meder stimmt aber aufs
Beste, dass auch in zwei egyptischen Denkmalen diese Be
zeichnung nachweislich ist: in der demotischen Chronik bei
Gelegenheit einer Vision des Königs Nectanebus und in einer
zur Zeit dieses Königs verfassten Inschrift. 4
Im neunten Jahre Naboneds (547/6), demselben, in welchem
am 5. Nisan, also 5 im Frühjahre 546, seine hochangesehene
und tiefbetrauerte Mutter- — vielleicht die eigentliche Reichs
erbin, wenn eine Tochter Nebukadnezars — stirbt, -wird ein neuer
so müssen die Expedition nach Phönicien, wie jener zweifelhafte Kampf,
schon in 552 fallen.
1 Vorderseite, Columne II, Zeile 1 bis 4, S. 155 flg-de.
2 Pinches meint vielmehr ,captured‘ zu ergänzen.
2 he had captured — nach Pinches.
4 Kevillout, premier extrait de la chronique demotique de Paris (ßevue
egyptologique I) 32, 80, 81. Mittheilnng Dr. Krall’s.
5 Vgl. unten S. 724.
720
B üdingef.
Feldzug von Cyrus wieder in der Inschrift erwähnt. 1 Noch
während der Trauer um die Königin - Mutter im Nisau hat er
den Tigris unterhalb Arbela überschritten, womit sich viel
leicht die xenophonteische Nachricht von dem Tode eines
Königs von Babylon bei dem ersten Kampfe 2 erklärt. Cyrus
wendete sich im nächsten Monate Air ,nacli dem Lande des
Is . . /; die Lücke wird doch wohl am einfachsten mit Istuvegu
ergänzt; 3 man hätte dann eine Art Restitution des Astyages
anzunehmen und hier die Quelle des xenophonteischen drohen
den Abfalles der Meder von Kyaxares 1 zu suchen; aber der
verstümmelte Zustand lässt weder dies, noch weiter sicher er
kennen, ob, wie Herr Pinches meint, es überhaupt Cyrus war,
der in dem Lande des Königs Is . . . ,Silber sammelte'; des
Königs ,Sprössling veranlasste er zu besteigen . . / Sollte das
Kyaxares-Gespenst für uns doch noch einmal aufsteigen? Bei
diesem Anlasse allein heisst Cyrus ,sar mat Parsu', König des
Landes Persien. Ob es damals, also im Jahre 546, zu einem
Kampfe mit den Babyloniern kam, •wird nicht gesagt.
Im letzten Jahre (539/8) erscheint Cyrus (ohne Beisatz) im
Sommermonate 5 Duz 538 als Feind. Da nach dem Cyruscylinder
— -wie nach Xenophon und Herodot 6 — Babylon in weitem
Umkreise angegriffen wurde, kann es nicht Wunder nehmen,
die erste Schlacht bei Rutu 7 erwähnt zu finden, das südlich
von Babylon lag. Ueber die Richtung seines Anmarsches, die
1 Vorderseite, Columne II, Zeile II flgde, Pinches S. 159 flgde.
2 Krösus’ Sturz S. 209 unten.
3 Pinches S. 171 bemerkt freilich: tlie name, which begius Is . . . can
hardly be that of Astyages, as there is. only room enough for one more
eliaracter. Aber der Schreiber war überhaupt ungenau; er hat einmal
das Wort Babylon ausgelassen (Pinches S. 172 zu Zeile 12) ein ander
mal, auf der Rückseite, Columne I, Zeile 13 (Pinches S. 164 ff.) fünf
irrige Worte gestrichen. Uebrigens ist bei Astyages’ früherer Erwähnung
(Vorderseite, Columne II, Zeile 1) von dem Namen zuerst ebenfalls nur
Is und erst dann (Zeile 2) das volle Istuvegu erhalten.
4 Ausgang a. a. O. S. 493 mit Anm. 5.
5 Ob in Herodot’s tb SsÜTEpov ?ap (I, 190) doch etwas Richtiges
für den Beginn des neuen Angriffes gegen Babylon steckt, lässt sich
nicht sagen.
6 Krösus’ Sturz S. 210.
1 Die Lesung des Wortes ist überdies recht unsicher. Pinches S. 174.
Die neuentdeckten Inschriften über Cyrus.
721
Xenophon wahrscheinlich richtig von Lydien aus geschehen
lässt, 1 darf man hieraus keinen Schluss ziehen. 2 Sachlich
erheben sich auch, wie es scheint gleichzeitig am 14. des
Monats, die Bewohner der nördlich gelegenen Landestheile
Akkad; ,die Krieger besetzten ohne Kampf' die etwa zwölf
Meilen nordwestlich von Babylon gelegene Stadt Sipar, jetzt
Sefeirah. ,Nabonedus floh; am 16. Duz stieg Ugbaru (Gobryas),
Statthalter des Landes Gutium (d. h. Kurdistan) 3 mit Cyrus’
Armee ohne Gefecht nach Babylon hinab, hierauf nahm er Na-
bonedus, nachdem er ihn gebunden hatte, nach Babylon.'
Aus dieser Erzählung, in welcher der Mitwirkung des
Statthalters der Guti oder Kurden gedacht ist, welche nun in
ihrem nördlich wohnenden Theile zu Medien wie früher ganz
zu Assyrien gehörten, werden sich zunächst die Schlussworte
in Nebukadnezar’s Weissagung 1 erklären: ,mit ihm (dem Perser)
zusammen (gegen Euch Chaldäer) wird der Meder wirken,
Assyriens Stolz'. Für die Erklärung des letztem Beisatzes
wird die freilich besonders für Xenophons eigene Quellen
benutzung erhebliche Thatsache auch zu erwägen sein, dass
Gobryas in der Cyropädie als überaus mächtiger assyrischer
Grosser 5 erscheint, der auch nach dem Uebertritte zu Cyrus
im Besitze seines Fürstenthums und seiner herrlichen Burg
verbleibt, Treue hält und nur Rache an dem schlechten Könige
von Babylon ersehnt, der ihm den einzigen Sohn gemordet
hat. Nabouedus’ Gefangennahme durch Gobryas wird aber von
Xenophon in einer die Inschrift vielleicht ergänzenden Weise
erzählt, indem der babylonische König von Gadatas und Go
bryas mit ihren zahlreichen Leuten mit gezogenem Säbel ge
troffen und unter Niedermachung seines Gefolges bewältigt
wird. 6 Eine Erhebung von ,Guti' am Ende dieses Monats
1 Krösus’ Sturz S. 208 flg.
2 Pinehes bemerkt richtig: the line of operations of Cyrus musst have been
very long. S. 148.
3 Sir Henry Rawlinson (Journal R. A. S. XII, 7S.) beweist, dass die Guti
mit den Kurden identisch sind.
4 Vgl. oben S. 716, Anm. 4.
5 ’Aooüpio? rrpcaßunjs IV. 6 und sonst V, 2.
0 tov ßctotWa . . . lorrj'/.o'ra . . . zal sarcaapivov rjorj ov sij(£v äzivctxrjv £üpi-
azouaiv. za: toütov piv 6: ouv laoara v.a: Porßpua TzoXkoX e^Etpouvro xai oi auv
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 46
722
Büdinger.
Duz fand doch noch in Babylon statt, scheiterte aber am
Mangel von Vertheidigungsmitteln. 1
Erst im vierten Monate darauf, im Herbste, (vgl. oben
S. 717) ,am 3. Arach-Samna kam Cyrus nach Babylon hinab 1
. . . ,er stellte Frieden für die Stadt her; Frieden durchaus ver
sprach er Babylon und bestellte Gobryas als Statthalter und
Beamte in Babylon 1 . 2
Wenn man nun die bei der Trauer am Jahresschluss
gebrauchten Worte schon hier verwenden und überhaupt genau
nehmen dürfte: ,alles Volk war von seinem Herrn frei 1 , 3 dazu
die beharrliche Nichterwähnung eines Königstitels bei Cyrus
seit Eröffnung des Feldzuges gegen Babylon in Betracht zieht,
so sollte man vermuthen, dass Cyrus während dieses ganzen
Kalenderjahres über den Herrschaftstitel, unter welchem er
Babylon regieren wollte, keine Verfügung getroffen habe.
In den vier nächsten Monaten, den letzten des Jahres
538/7, restituirte Cyrus übrigens auch nach dieser Inschrift
(vgl. oben S. 716) die von Nabonedus aus Alckad entführten
Götter; schon acht Tage nach seiner Ankunft aber, am 11. Arach-
Samna, starb Nabonedus: wie es scheint, auf Gobryas’ Befehl. 4
Die drei letzteii Tage dieses und die drei ersten des folgenden
Kalenderjahres, also des Frühjahres 537, wurden in Akkad
als Trauertage, 6 — wie es scheint, um den letzten, sonst ver
hassten König — gefeiert, als dessen vollen Rechtsnachfolger
sich somit Cyrus betrachtet haben muss. Am vierten Tage
autw 8s a~^öv7]a/'.ov. (Cyrop. VII, 5, 29 f.) Ich denke, dass s^eipouVTO
im Gegensätze zum Tode des Gefolges gesagt — in ähnlicher Weise
wie in unserer Inschrift die Bewältigung oder Fesselung des Königs
und nicht seine Tödtung bezeichnet.
1 At the end of the month Tammuz rebels of the land of Gutium the
gates of Esaggil (des Tempels?) closed; for its defence nothing in Esaggil
and the temples was placed and a weapon not then there was. Rück
seite, Columne II, Zeile 16 bis 18, S. 165 f., vgl. 149.
2 Rückseite, Col. II, Z. 18 flgde, S. 166.
3 Ebendas. Zeile 24 S. 167.
4 Erhalten sind nur etwas über zwei Worte, die Pinches (ebendas. Zeile 19
und 20 mit: ,Gobryas unto‘ wiedergibt, worauf nach einer kleinen Lücke
,and the king died‘ folgt.
5 weeping in Akkad there was; all the people from their chief were free.
Rückseite, Columne II, Zeile 24, Seite 167.
Die neuentdeckten Inschriften über Cyrus.
723
des neuen Jahres brachte ,Kambyses, Cyrus’ Sohn', beide ohne
weitern Titel, ein feierliches Opfer in einem Haupttempel und
andere sacrale Ordnungen des neuen Herrn folgten, unter denen
zuletzt ,eine Grabsäule' wohl Naboned’s, erwähnt wird.
Auf dem sonach etwas jüngeren Cyruscylinder heisst der
neue Herr: 1 ,Ich Cyrus der oberste (?) König, der grosse König,
der mächtige König, König von Babylon, König von Surnir
und Akkad, König der vier Küsten (Himmelsgegenden)'; in
den Annalen führt er, wie bemerkt, sowohl unmittelbar vor,
als nach der Einnahme Babylons überhaupt keinen Königs
oder Landesnamen.
Für die rechtliche Stellung zu Medien 2 resultirt nichts aus
beiden Inschriften, so erfreulich und belehrend auch sonst ihr
Inhalt ist.
Es sind nunmehr noch die aus der Inschrift sich ergeben
den chronologischen Thatsachen zu erläutern.
Zunächst ist hier zu erinnern, dass nach den glänzenden
Untersuchungen Opperts 3 in Bezug auf die Zeit der Regierung
des letzten Babylonierkönigs Folgendes aus einer Anzahl er
haltener Privatcontracte sich ergeben hat. Er trat die Regierung
an zwischen dem vierzehnten Tage des zweiten Kalender-
monates Air, hebräisch: Iyar, und dem fünften Tage des vierten
Kalendermonates Duz, hebräisch: Tammuz, des Jahres 555. Seine
Regierung endete zwischen dem 4. und 22. Air, des Jahres 538, 4
da unter dem ersten Datum noch nach Naboned’s, unter dem
letztem nach Cyrus’ Regierung Contracte ausgestellt sind.
1 Zeile 20, a. a. O. S. 87.
2 Nachzutragen habe ich zu dem (Ausgang S. 485 f., 497) über den Königs-
namen Sättarritta, persisch: Kshatrita, des Empörers Pirruvartis Gesagten,
dass Schräder, Keilinschriften und Geschichtsforschung S. 518—520 auf
einen den letzten Zeiten des Assyrerreiches angehörigen, in zwei In
schriften erwähnten Kastarit aufmerksam macht, dessen Name als Ehren
name von Pirruvartis angenommen sein könnte. Als Stadthauptmann von
Karkassi erscheint er unter den gegen Assyrien zu Felde Ziehenden
mit seinen Truppen; nach einer bei Schräder S. 520 angeführten Mit
theilung Boscawen’s soll dieser Kastarit auf einer Inschrift ,einmal sogar
König der Meder genannt 4 werden.
3 Oppert et Menant, documents juridiques de PAssyrie de la Chaldee.
(Paris 1877) p. 262. Oppert, revised chronology of the latest Babylonian
kings (Transactions of the societ.y of biblical archeology VI) 263, 267 f.
4 Ueber die Zählung des ptolemäischen Canon: Krösus’ Sturz 202.
46*
724
B ü d i n g e r.
Die Inschrift ist nun rein annalistisch, wie die frühen
lateinischen mittelalterlichen Klosterannalen, angelegt; die Jahre
sind durch Horizontalstriche geschieden, welche die ganze
Columne durchziehen. Das geht so weit, dass in einem Falle,
wie in unseren oder Nestor’s altrussischen Chroniken, das Jahr
ohne weitern Beisatz: ,das achte Jahr' auf einer Zeile allein
steht mit den Horizontalstrichen darüber und darunter. Nur
das siebenzehnte oder letzte Regierungsjahr läuft ohne Ab
schnitt oder trennenden Strich weiter über Naboned’s Tod, ja
über den Jahresanfang des zweiten Kalenderjahres bis zum
4. Nisan hinaus — eine Thatsache, die noch weiter zu er
örtern ist. Im Uebrigen kann nicht viel Zweifel bestehen, dass
die Annalen nach Naboned’s Regierungsjahren zählen. Aus dem
neunten Jahre (547/6) werden zuerst 1 Geschichten Babylons,
seines Herrscherhauses und seiner Gottheiten, dann Cyrus’
Zug gegen den König Is . . ., Beides in chronologischer Ord
nung behandelt. Im ersten Theile heisst es: ,der König bis
zum Monat Nisan in Babylon'; am 5. Nisan stirbt seine Mutter,
die im dritten Jahresmonate Sivan beweint wird; im zweiten
Theile wird dann Cyrus’ Tigrisübergang im Nisan, seine An
wesenheit im Lande des Is . . . im zweiten Kalendermonate
Air erwähnt. Im siebzehnten Jahre wird der sechste Kalender
monat Elul 2 vor Cyrus’ Angriff im Frühjahre des neuen
Kalenderjahres erwähnt. Genug, die Zählung nach Regierungs-
jahren Naboned’s ist ziemlich einleuchtend.
Dennoch begreift man, dass Sir Henry Rawlinson (vgl.
oben S. 717) zuerst auf den Gedanken kam, hier Annalen
nach Cyrus’ Regierungsjahren vor sich zu haben; denn die
Inschrift geht ja, wie bemerkt, ohne äusseres Zeichen eines
Regierungswechsels über Naboned’s Gefangennahme und Tod
hinaus, deren Daten vom 16. Duz (= Tammuz) oder einem der
nächsten Tage für das erstere, vom 11. Arach-Samna (hebräisch:
Marcheswan) für das letztere Ereignis früher 3 bemerkt wurden.
Ohne die Contracttäfelchen, welche das Ende von Naboned’s
’ Vorderseite? Columne II, Zeile 10 bis Mitte von Zeile 15, dann Cyrus-
geschicliten bis Ende Zeile 18 (Pinches S. .157.)
2 Rückseite, Columne I, Zeile. 10 (S. 164.)
3 Vgl. oben S. 722.
«
Die neuentdeckten Inschriften über Cyrus.
725
Regierung in den Air bestimmen, 1 würden wir auf den Tag der
Besetzung Babylons, der Gefangennahme oder des Todes seines
Königs das formelle Ende seiner Regierung setzen. Abgesehen
aber von dem aus der Datirung der Täfelchen sich ergebenden
Regierungsanfang ,des Königs' Cyrus von Babylon vor oder an
dem 22. Air ist aus dessen ersten oder Antrittsjahre 2 vom 16.
des neunten Kalendermonates Kisilev (hebräisch : Kislev) ein
Urkunde erhalten. 3
Noch vor der Einnahme Babylons wird also Cyrus’ Re
gierung gesetzlich datirt. Das wird sich wohl so erklären, dass
er dieselbe von dem Momente an — nach Herodot im ersten
Frühling 4 — datirte, da er des babylonischen Reiches Boden
betrat, oder die erste Stadt desselben besetzte.
Es kann aber die neue Zählweise schwerlich vor dem
4. Nisau 537 regulirt worden sein, da unser Annalist kein
neues Regierungsjahr zählt und weder Cyrus noch Kambyses
den Königstitel gibt. Wie Eusebius 5 die Sache überliefert fand,
lässt sich eben auch nicht mehr erkennen.
1 Oppert’s Meinung (revised chronology 268), dass die Einnahme von Ba
bylon selbst ,zwischen den 4. und 22. Iyar (Mai) 1 falle, ist freilich durch
die Inschrift widerlegt.
2 Vgl. darüber oben S. 718, Anm. 2.
3 Oppert, revised chronology 267.
4 Vgl. oben S. 720, Anm. 5.
5 Ueber die von mir (Ausgang S. 478) hervorgehobene Möglichkeit, in der
armenischen Einleitung zu Eusebius’ Chronik die Worte ,von Ariern und
Nichtariern 1 , welche doch keinen Sinn geben, durch Retroversion in das
Syrische zu erklären, hat Herr Professor David Heinrich Müller die Güte,
mir Folgendes mitzutheilen: ,Ab Ariis et Non-Ariis mag syrisch gelautet
haben, men ba'lai (oder b’näi) uräjta wadld uräjta ,von Männern (oder
Kindern) der Lehre und von Männern die keine Lehre besassen 1 . Unter
,Lehre 1 hätte man ,Religion 1 , und zwar offenbarte zu verstehen. So nennt
auch Muhammad ahl-al-kitäb ,die Leute der Schrift 1 alle jene Völker,
die offenbarte Religion hatten. Der Armenier kann nun aus den ,Kindern
Uräjta 1 ,Arii‘ gemacht haben. Ich muss jedoch ausdrücklich bemerken,
dass ,uräjta 1 ,Lehre, Gesetz 1 ein Wort ist, welches die Syrer den ara
mäisch sprechenden Juden entlehnt haben und dass dieses Wort, so weit
ich es in der Literatur beobachten konnte, speciell von dein jüdischen
Gesetz und der jüdischen Lehre, dem alten Testamente, gebraucht wird.
Ob man also diesem Worte die Bedeutung ,Religion 1 oder ,Religionsbuch 1
überhaupt vindiciren darf, kann ich bis auf Weiteres nicht entscheiden 1 .
XXIII. SITZUNG VOM 3. NOVEMBER 1880.
Die Direction der k. k. Staats-Unterrealschule in Währing
spricht den Dank aus für die Ueberlassung akademischer
Publicationen.
Der zweite Band des ; Aruch completum — auctpre Na
thane filio Jechielis', herausgegeben von Herrn Dr. Alexander
Kohut, Oberrabbiner in Fünfkirchen, wird im Drucke voll
endet der Classe vorgelegt.
Herr Professor Giuseppe Barone in Neapel übersendet
mit Begleitschreiben sein Werk: ,Epimenide di Creta e le
credenze religiöse de’ suoi tempi, studio storico-critico-filologico'.
Das w. M. Herr Regierungsrath Schenkl legt eine Ab
handlung des Herrn Professor Dr. Michael Petschenig in
Graz vor, welche betitelt ist: ,Passio sanctorum IIII corona-
torunp, und um deren Aufnahme in die Sitzungsberichte der
Herr Verfasser ersucht.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
überwiesen.
Die w. M. Herr Regierungsrath Schenkl und Herr Pro
fessor Hartei überreichen eine Abhandlung des Herrn Pro
fessor Dr. Anton Zingerle in Innsbruck unter dem Titel:
727
; Zu den Persius-Scholien 11 , mit dem Ansuchen des Herrn Ver
fassers um Veröffentlichung der Abhandlung in den Sitzungs
berichten.
Die Abhandlung wird zur Berichterstattung einer Com
mission zugewiesen.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie d’Areheologie de Belgique: Annales XXXV. 3“ Serie, Tome V.
' Anvers, Bruxelles, Londres, Edinbourg, 1879; 8°. — Bulletin. 2 C Partie,
II—V. Anvers, 1880; 8».
Commission imperiale archeologique: Comptes-rendus pour l’annee 1877.
St. Petersbourg, 1880; Folio. — Atlas. St. Petersbourg, 1880; gr. Folio.
Delisle, Leopold: Melanges de Paläographie et de Bibliographie. Paris,
1880; 8°. — Atlas. Paris. 1880; Folio.
Faculte des Lettres de Bordeaux: Annales. l ro Annde, Nos. 1—4. Bordeaux,
Paris, Berlin, 1879; 8°. — 2 C Aunee, Nos. 1—3. Bordeaux, Paris, Berlin,
1880; 8°.
Ferrari, Gaetano Dr.: Monoglottica. Modena, 1877; 8°.
Genootschap, Bataviasch van Künsten enWetenschappen: Tijdschrift voor
indische Taal-, Land- en Volkenkunde. Deel XXV, Aflevering 4, 5 en
6. Batavia ’s Hage, 1879; 8°. — Deel XVI. Aflevering 1. Batavia ’s
Hage, 1880; 8°. —Notulen van de Algemeene en Bestuurs-vergaderingen.
Deel XVII, 1879, Nr. 2 und 3 und 4. Batavia, 1879/80; 8°. Register op
de Notulen der Vergaderingen voor de Jaren 1867 4 / m 1878. Batavia,
1879; 8°. — Verhandelingen. Deel XXXIX, 2° Stuk. Batavia ’s Hage,
1880; 4°. Deel XLI. l c Stuk. Batavia ’s Hage, 1880; 4°.
Gesellschaft für Beförderung der Geschiehts-, Alterthums-und Volkskunde
von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften: Zeit
schrift. V. Band, 2. Heft. Freiburg im Breisgau, 1880; 8°.
— deutsche morgenländische: Zeitschrift. XXXIV. Band, 3. Heft. Leipzig,
1880; 8°.
— Oberlausitzische, der Wissenschaften: Neues Lausitzisches Magazin.
LVI. Band, 1. Heft. Görlitz, 1880; 80.
Hamburg, öffentliche Stadtbibliothek: Schriften der wissenschaftlichen An
stalten pro 1877/80. 4°. 109 Stücke.
Istituto veneto di scienze, lettere ed arti: Atti. Tomo IV, seria 5 tt . Dis
pensa 10“. Venezia 1877/78; 8°. Tomo V, seria 5“. Dispensa l a —10“.
Venezia, 1878/79; 8°. Tomo VI, seria 5 a . Dispensa l a —9 a . Venezia,
1879/80; 8°. — Memorie. Vol. XX, parte 2” e 3°. Venezia, 1878/79; 4°.
Vol. XXI, parte 1°. Venezia, 1880; 4°.
Littre, E.: De l’Etablissement de la troisieme llepublique. Paris, 1880; 8°.
728
Mittheilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter
mann. XXVI. Band, 1880. X. Gotha; 4°. — Ergänzungsheft Nr. 63.
Gotha, 1880; 4«.
Verein, historischer, für Steiermark: Mittheilungen. XXVIII. Heft. Graz,
1880; 8°. — Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschiehtsquellen.
XVII. Jahrgang. Graz, 1880; 8°. — Festschrift zur Erinnerung an die
Feier der vor 700 Jahren stattgefundenen Erhebung der Steiermark zum
Herzogtliume (1180). Graz, 1880; 8°.
XXIV. SITZUNG VOM 10. NOVEMBER 1880.
Der Landesausscliuss des Königreiches Böhmen über
mittelt den zweiten Band des Werkes: ,Böhmische Landtags
verhandlungen und Landtagsbeschlüsse vom Jahre 1526 an bis
auf die Neuzeith
Der Präsident der Central-Commission zur Erforschung
und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale gibt
Nachricht von der Auffindung mehrerer Taidingsliandschriften
durch den k. k. Conservator P. Albin Czerny in St. Florian.
Das w. M. Herr Professor Dr. Heinzei legt eine Ab
handlung des Herrn Professor Dr. Schönbach in Graz vor,
welche betitelt ist: ,Mittheilungen aus altdeutschen Hand
schriften IIP, und um deren Aufnahme in die Sitzungsberichte
ersucht wird.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Bericht
erstattung überwiesen.
Herr Dr. Richard Mayr hält einen Vortrag, welcher ,Die
Gliederung und Rangordnung der Wissenschaften, mit beson
derer Rücksicht auf deren Verhältniss zur Philosophie', und
zwar I. Das Alterthum und die Uebergangszeit bis auf Carl
den Grossen, behandelt.
Der Herr Vortragende ersucht um die Veröffentlichung
der Abhandlung, welche zur Begutachtung einer Commission
zugewiesen wird.
730
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Akademie der Wissenschaften, königl. bair., zu München: Sitzungsberichte
der philosophisch-philologischen und historischen Classe: Sitzungsberichte.
1880. Heft II und III. München; 8°. — königl. preussische zu Berlin:
Monatsbericht. Juli 1880. Berlin; 8°. — zu Krakau: Roeznik 1879.
W Krakowie, 1880; 8°. — Lud. Ser. XIII, Czesc 5. Krakow 1880; 8°.
— Sprawozdania Komisyi do badania historyi sztuki w Polsce. Tom II-
zeszyt I. Krakow, 1880; 4°. — Pamiijtnik: Wydzialy filologiczny i
historyezno-filosoficzny. Tom IV. W Krakowie, 1880; 4°. — Rozprawy
i Sprawozdania z posiedzen wydzialu filologicznego. Tom VII. W Kra
kowie, 1880; 8°. — Teofila kaplana i zakonnika o Sztukach rozmai-
tych ksiag troje; przeloisil Dr. Teofil Zebrawski. W Krakowie, 1880;
8°. — Legenda obrazowa o Swiet£j Jadwidze ksieznie Szlazkiej. W
Krakowie, 1880; 4°. — Obrazy legendy o iawietej Jadwidze. —■ Ka
talog Rekopisow biblijoteki uniwersitetu jagiellonskiego. Zeszyt 5. Krakow,
1880; 8°.
Dorpat, Universität: Akademische Schriften pro 1879/80. 36 Stücke 4°und 8°.
Gesellschaft der Wissenschaften, königl. sächsische zu Leipzig: Berichte
über die Verhandlungen der philosophisch-historischen Classe 1879. I. II.
Leipzig, 1880; 8 0 .-
1 n stituut, koninklijk voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-
Indie: Bijdragen. IV. Volgreeks, IV. Deel, 1“ und 2 e Stuk. ’S Graven-
hage, 1880; 8°.
Museum, germanisches: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. 1880.
Nr. 6. Juni. Nürnberg; 4°.
Oppert, Gustav Ph. Dr.: On the weapons, armyorganisation and political
maxims of the ancient Hindus with special reference to gunpowder aml
fire arms. Madras, London, 1880; 8°. —• Lists of Sanscrit Manuscripts
iu private libraries of Southern India. Vol. I. Madras, 1880; 8°.
Society, the american philosophieal: Proceediugs. Vol. XVIII, Nos. 104
und 105. Philadelphia, 1879—-1880; 8°.
Verein, kroatisch-archäologischer: Viestnik. Godiua II, Br. 4. U Zagrebu,
1880; 8°. — für siebenbiirgisehe Landeskunde: Archiv. N. F. XV. Band,
1., 2. und 3. Heft. Hei'mannstadt, 1879/80; 8°. — Der Hermannstädter
Musikverein. Hermannstadt, 1877; 8°. — Jahresbericht für das Jahr
1877/78 und 1878/79. Hermannstadt; 8°. — historischer zu Bamberg: XL1I.
Bericht über Bestand und Wirken im Jahre 1879. Bamberg 1880; 8°. —
historischer, der fünf Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug:
Der Geschichtsfreund. XXXV. Baud. Einsiedeln, New-York, Cincinnati
und St. Louis, 1880; 8°. — historischer, von Oberpfalz und Regensburg:
Verhandlungen. XXXIV. Band. Stadtamhof, 1879; 8°.
Zingerle. Zu den Persius-Scholien.
731
Zu den Persius-Scholien.
Von
Dr. Anton Zingerle,
Professor an der Universität zu Innsbruck.
Zu den Persius-Scholien sind nach den Arbeiten von
C. F. Hermann, 1 0. Jahn, 2 A. Kissel 3 auch in neuester Zeit
wieder dankenswerthe Beiträge, besonders mehrere genauere
Mittheilungen aus einzelnen Handschriften geliefert worden von
A. Göbel, 1 Thomas, 5 M. Zillober, 6 J. Ivvicala, 7 E. Kurz, 8
die vom gewiss richtigen Gesichtspunkte ausgingen, dass hier
zur Lösung mancher Fragen der Entwicklungsgeschichte, be
sonders aber zur Sichtung des Textes noch immer eine aus
gedehntere und genauere Handschriftenforschung nothwendig
1 Hier besonders zu beachten Disputatio de usu et auctoritate scholiorura
in Persii satiris emendandis I. XI. Marburg. 1842 (Abkürzung: Herrn. I
u. s. w.); Analecta de aetate et usu scholior. Pers. Gott. 1846 (Herrn.
Anal.).
2 A. Persii Fl. satir. über. Cum scholiis ant. ed. O. Jahn. Lips. 1843
p. CXIII ff. 245 fl'. (Abk. Jahn).
3 Speeimen criticum eontinens A. Persii Fl. codicum Leid, collationem.
Zalt-Boem. 1848. (Abk. Kissel.)
4 Ueber eine Wiener Persius-Handschrift s. X. mit Glossen und Scholien
im Philolog. 1859 p. 170 fl'. — Die zweite Wiener Persius-Handsehrift
im Philolog. 1860 p. 12S ff. (Abk. Göb. Vind. 1; Göb. Vind. 2.)
5 Zu Persius in den Sitzungsber. der k. Akademie zu München 1863
p. 254 ff. (Abk. Mon. Thom.)
6 Eine neue Handschrift der 6 Sat. des Persius (Ottoburanns). Augsburg
1862 (Abk. Ott. Zill.).
7 Scholioruni' Pragensium in Persii satiras delectus. Prag. 1873 (Abk. Prag.
Kvic.). *
9 Die I’ersius-Seholien nach den Berner Handschriften. Burgdorf 1875
(Abk. Bern. Kurz.).
732
Zingerle.
sei. Wenn sich dadurch schon Manches wieder mehr geklärt
hat, Manches aber noch immer besserer Aufklärung harrt, und
eine solche bei fortgesetztem Zusammenwirken in mehreren
Punkten durchaus nicht zu den Unmöglichkeiten und, ob wir
schon diese Scholien nicht überschätzen, doch nicht zum Un
nützen gehören dürfte, da, nachdem der Abdruck derselben
doch auch in neuerer Zeit noch für passend erachtet wird,
Beiträge für die Beurtheilung der Ueberlieferung und die Her
stellung des Textes nicht unnütz sein können, so ist es wohl
verzeihlich, wenn man auf diesem Gebiete, wie die genannten
Gelehrten, von der Ansicht Bernhardjs, der in einer etwas
flüchtigen Zeile seiner sonst so verdienstlichen Literaturge
schichte einmal schon vor Jahren diese Scholien fast über
Gebühr erörtert glaubte, 1 abweicht und noch durch einige
neue Mittheilungen mit gleichzeitiger Förderung der Uebersicht
der gegenseitigen Verhältnisse des bisherigen Materials, die
jetzt mehrfach recht wünschenswerth geworden ist, für die
betreffende Partie in einer künftigen neuen Ausgabe einen
kleinen Beitrag zu liefern sich anschickt. Eher könnte man
vielleicht eine Entschuldigung erwarten, wenn solche Mit
theilungen auf eine junge Handschrift sich beziehen, aber auch
diese Entschuldigung dürfte unnöthig sein, wenn sich, wie ich
hoffe, diese Handschrift im Verlaufe der Untersuchung von
selbst als zu jener Gattung jüngerer Exemplare gehörend dar
stellen wird, die auch nach den Regeln der neueren Kritik
noch wohl beachtenswerth sind. 2
Die Handschrift, von der ich spreche, traf ich in der
einst schon von meinem hochverehrten Lehrer Regierungsrath
Prof. Dr. K. Schenkt zur gelegentlichen Einsicht empfohlenen
Bibliothek des Benediktinerstiftes Fiecht (früher Georgenberg)
im Unterinnthale, wo sie nach der alten Eintheilung mit der
Signatur IV, 171 bezeichnet ist; 3 sie wurde nach einer Auf-
1 Köm. Lit. 5 p. 643.
2 Vgl. darüber gerade mit Rücksicht auf imser Gebiet bereits C. F. Her
mann II, 3.
3 Gegenwärtig ist vom Herrn Prälaten Albert Wildauer, einem eifrigen
Freunde der Wissenschaft, dem ich hier noch meinen Dank abstatteu
muss, eine nothwendig gewordene neue Ordnung der Bibi, in Angriff
genommen.
Zu den Persins-Scholien.
733
schrift auf der inneren Seite des Holzdeckels des Einbandes
(Liber monasterii montis S. Georgii, quem dominus Gaspar
abbas compauit) vom Abt Caspar Augsburger für das Stift er
worben, der 1469—1491 regierte und über welchen ich bei
F. A. Sinnacher einen ziemlich genauen Bericht fand, darunter
unter Anderem die interessanten Bemerkungen, dass er ,ein
ausbündig hochverständiger, hochgelehrter Mann' vom Landes
fürsten Sigmund dem Münzreichen 1 empfohlen wurde und dann
als Abt, ,ein Liebhaber gelehrter Leute, beide Libereyen fast
gemehret, diese mit Büchern erfüllet, auch selbst nicht wenige
mit eigener Hand geschrieben hat'. 2
Der Codex chart. forma maiore bietet zuerst das ,commen-
tum Cornuti' in fortlaufender Reihe, 3 dann zweitens ein ,aliud
commentum in Persium'; am Schlüsse des ersteren stehen die
Worte: Explicit comment. Corn. scriptum anno dom. 1463, des
zweiten: Explicit comment. super Persio poeta satirico feliciter.
Pridie Kal. Febr. 1463. Dass der Abschreiber ganz mecha
nisch ein älteres Exemplar copirte, beweisen sichtliche An
zeichen, wie die mehrfach unmittelbar sich folgende wörtliche
Wiederholung einer und derselben Zeile, die manchmal sich
findende zuerst ganz getreue Nachmalung der Formen und
Abkürzungen mit nachträglicher Beigabe der geläufigeren,
z. B. hndans abundans, anelat anhelat, oder umgekehrt, z. B.
omnis ois, exercitum ex’citum u. dgl., ferner Schreibweisen, wie
das öfter wiederkehrende substollitur (vgl. Vanicek WB. s. v.
sus, subs) und das auch sonst hie und da noch begegnende
Fehlen der Assimilation. Auffallend ist die oftmalige Ver
wechslung von u und o und die Bevorzugung des letzteren,
besonders vor nd, nt, mc, nc, z. B. abondantia, sibondante, ludi-
bondi, dicontur, circomcisus, uereconde u. dgl., aus welcher’
ebenso zum Theile im Altlateinischen, wie fortwährend in der
Vulgärsprache und im Spätlatein beim und nach dem Ueber-
gang in die romanischen Sprachen vorkommenden Erschei-
1 Ueber die Förderung der Wissenschaften und der Gelein ten durch diesen
Fürsten ygl. die Bemerkungen in meinen Beiträgen zur Geschichte der
Phil. I, xxxvr; LV, 139.
2 Beiträge zur Geschichte der Kirche Brixen III, 147 fl’.
3 Vgl. über ein paar andere solche Handschriften Jahn Proleg. p. CLXIII.
734
Zingerle.
nung 1 man hier jedoch nicht viel und zunächst wohl nur darauf
schliessen kann, dass die ältere Vorlage unserer Handschrift
und wohl auch diese selbst aus Italien stammen dürften. Die
griechischen Wörter, obwohl mit lateinischen Buchstaben ge
schrieben, sehen manchmal sehr traurig aus, nur ein paar Mal
jedoch sind sie auch durch lateinischen Ausdruck ersetzt,
z. B. Corn. Sat. I, 11 statt &tXeit]us sc. dicere (Jahn p. 249)
hier deest dicere, Sat. I, 36 statt per eipwvsiav (Jahn p. 256)
per irrisionem. Im ersten Theile, respective im ,comment.
Corn/ könnte aus mehreren sichtlich rein zufälligen kleineren
Umstellungen einerseits, wie andererseits aus einigen auffallen
deren, ganz ausserhalb des Zusammenhanges erst nachträglich
in den Text geflickten Stellen der gewöhnlichen, respective
Jahn’schen Fassung, die, wie schon aus unten mitzutheilenden
Proben hervorgehen wird, auch in einigen alten Hss. bezeichnend
genug fehlen, vielleicht der Schluss auf Entstehung aus einer
Vorlage mit Interlinear- und Randbemerkungen einigermassen
nahe liegen. Im zweiten Commentare fielen Umstellungen
weniger auf, mehrfach sind hier sogar Bemerkungen, die bisher
nur aus Cod. Prag, und Voss, bekannt waren, in der sichtlich
richtigeren Anordnung erhalten, wie wir später sehen werden-
Schliesslich will ich nach diesem kurzen Vorberichte nur noch
gestehen, dass ich mir von diesem Codex, den ich schon wegen
des jungen Alters, wie es Einem naheliegend gerne zu ge
schehen pflegt, nicht zu hoch anschlug und zunächst nur wegen
einiger Stellen im ^ornutus' kurz ansehen wollte, schon für
diesen Theil manche Ueberraschung sicher selbst am wenigsten
erwartet hätte, geschweige im zweiten Commentar — doch ich
will hier nicht vorgreifen, der kurze Bericht soll sich hoffent-
'lich im Weiteren selbst rechtfertigen. Nur das muss ich noch
bemerken, dass ich bei diesem Berichte eben der Kürze halber
die Mittheilungen vorderhand auf Corn. zu Prol. und Sat. I,
1—100 und sonst, besonders im zweiten Commentar, auf jene
Stellen beschränkt habe, die entweder nach den bisherigen ge
naueren Referaten über andere Handschriften zu einer Prüfung
mit der Hoffnung auf weitere Aufklärung einluden oder einen
1 Vgl. darüber Corssen Aussprache, Vocalism. d. lat. Spr. I, 260 f. Schu-
cliardt Vok. d. Vulg-I. II, 91 ff. Brambach Neugestalt, d. lat. Orthogr. 80 ff-
Zn den Persius-Scholien.
735
beachtenswertheii Heilungsvorschlag auf den ersten Blick an
die Hand gaben.
Der erste Theil bietet also nach der Ueberschrift Cornuti
und nach dem Verse: .Adsit prineipio virgo Maria ineo' die
bekannte ausführlichere Vita des Persius (Jahns Ausg. p. 233;
Reifferscheids Suetön p. 72); die Abweichungen vom Jahn’schen
Texte sind hier nicht sehr bedeutend und decken sich meist mit
bereits auch aus anderen Hss. notirten Varianten; bemerkens
wert!! nur zur Charakteristik etwa kurz Z. 1 nonarum decembrium
(nonarum V., nonarum decebris Prag.), Z. 21 quin in illo esse
uera poemata diceret; sua — faceret fehlt, vgl. z. St. jetzt Reiff,
p. 73, Z. 32 exemplo fuit sufficientis, Z. 38 Scriptitauit et
raro et tarde, Z. 40 ut quasi functus esset leuiter contraxit
Cornutüs, Z. 45 Omnium eorum autor fuit Cornutus matri(n)
ut abhorreret, Z. 51 cuius libri principium (= Prag; Bern.).
Nach dieser Vita folgen die Worte: Satirae proprium est
— significet und In hac praefatione — quin de Omnibus dicat,
die bei Jahn p. 241 Z. 13—20, zum Theil aber auch in den
Berner (Kurz p. 1) und Prager Scholien (Kvic. p. 6) und
im Voss. 1 (Kissel p. 15) sich finden, so dass Jahns Be
merkung zum zweiten Absatz dieser Stelle (In hac
praefatione dicit cef.j ,Sequentia habent tantum P 1 Erl. 4
jetzt durch den Zusatz von noch einer Reihe von
Codices zu erweitern ist. : Unsere Hs. stimmt in der Lese
art fallit audientes mit Voss, und Prag. Der Anfang jenes
zweiten Absatzes lautet hier: In hac praefatione dicit se non
poetam sed opopem esse et dicit se ferne coacfum sicut et
ceteros ad scribendi aspirasse conatum. Die in den von
Jahn benutzten Codices -an diese Reihe der Vorbemerkungen
sich anschliessende Stelle Hic tarnen fabulam tang-it cef., die,
wie schon Jahn (p. 241 A. 3), erkannte und wie es jetzt die
richtig erhaltene Anordnung im Prag. (Kvic. p. 7), Vind. 2
(Göbel p. 131), Mon. (Thom. p. 255), • Bern. (Kurz p. 2), sowie
das Lemma im Voss. 1 (Kissel p. 16) bestätigt, zum Anfang
des Prologes gehört, finden wir in unserem Codex im zweiten,
nicht den Namen des Cornutus tragenden Commentar
an der betreffenden Stelle des Prologes.
Hier im ersten Commentar reihen sich nun gleich an die
oben besprochenen Worte die Scholien zum Prolog und zu den
736
Zingerle.
einzelnen Satiren, welche zwar, der Ueberschrift entsprechend,
in der ganzen grossen Hauptmasse mit der unter des Cornutus
Namen gehenden Sammlung, wie sie uns nun bei Jahn abge
druckt ist, stimmen, dabei aber doch auch in Einzelnbeiten,
besonders der Fassung, manche und, wie ich denke, öfter nicht
uninteressante Abweichungen und Erscheinungen aufweisen.
Ganz abgesehen von sichtlich zufälligen Umstellungen, An
zeichen der Verwirrung, Wiederholungen, andererseits Aus
lassungen, wie sie in diesen Hss. öfter sich finden und hier
besonders leicht erklärlich sind (vgl. Jahn p. CLXIII), will ich
im Folgenden nur Proben für beachtenswerthcre Erscheinungen
nach den oben angegebenen Gesichtspunkten kurz zusammen
stellen.
Auffallend ist vor Allem das häufige Stimmen
mit den Prager und Berner Scholien, welches manchmal
selbst so weit geht, dass Einzelnes, was bisher jenen Codices
mehr oder weniger eigenthümlich schien, hier im Rahmen des
sonst, wie angedeutet, gegenüber der sonstigen Ueberlieferung
keine stärkere Ueberarbeitung aufweisenden Cornutus-Commen-
tars erscheint. Vgl. z. B. Prolog. 12 sq. Et est idem si spem
habuerint poetae ut acquirant nimium (Prag, nummum, Bern,
ut adquirerent nummos) pro poemate, omnes poetizabunt (=
Bern. 1; Prag, poetizabant — Kurz p. 4, Kviö. p. 8; doch
auch Ott. Zill. p. 19, wo poetizant); Sat. I, 8 Ncim Romae est
quis non . fas est dicere Romae sapientes et fatuos esse (Prag,
fuisse — Kvic. p. 10). Darauf: in populo, inquit, cet. = Jahn
p. 249; Sat. I, 11 Cum sapimus patruos cum aequiparamus
sapientiam patruorum (Bern, b 4 cum equiperamus patr. sap.
Kurz. p. 6 A., Ott. Zill. p. 19 cum aequiparo patr. sap. Prag'.
Bern. t. cum aliquid habemus ex moribus patruorum), dann
eleganter patruos cet. — Jahn p. 249, hierauf antiquae consuetu-
dinis erat — uerbera linguae = Prag. Kviö. p. 10, zum Theil
auch = Bern. Kurz p. 6, Mon. Thom. p. 257, Ott. Zill. p. 19;
Sat. I, 36 Cinis poetae felix est (Prag. Cinis felix dicitur poeta
esse sic/), quotiens cet. — Prag. Kviö. p. 12, Bern. Kurz p. 11-
Dann Veteres autem — dem letzten Theil bei Jahn p. 256;
Sat. I, 52 der IJaupttheil der Bemerkung = Jahn p. 260, je
doch ut quicquid ad animum ueniret (Jahn: in animum ueniebat)
= Prag. Kvic. p. 13; am Schlüsse des gewöhnlichen Scholion
Zu den Persius-Scliolien.
737
dann wieder noch eigens hinzugefügt: Nam ueteres spondas
cerabant ut si quid recte eis in mentem uenisset scriberetur, ne
statim periret = Vind. 1 Göbel p. 173, Bern. Kurz p. 12 A. (sic
et spond. cer., ut ibi in nocte, si quid recte in mentem ueniret,
notarent); Sat. I, 58 ist zwischen die verwirrt abgeschriebenen
gewöhnlichen Anmerkungen (Jahn p. 261) noch eingeschoben:
Per Janum intellige bonum poetam, qui a nullo potest facile
derideri nec ei potest a tergo sanna fieri, utpote quia uidet ante
et retro fast ganz wörtlich = Bern. Kurz p. 13; vgl. Prag. Kviö.
p. 14 (Signat autem istum poetam p. c. non facile ab aliquo posse
derideri utpote praecedentia et posteriora respicientem); Sat.
I, 69 lautet der Schluss der sonst wörtlich mit Jahn (p. 263)
stimmenden Bemerkung: cum neque uilia aut agrestia carmina
apti sint (= Bern. B 1, b 2 Kurz p. 14, Prag. Kvic. p. 15 und
Vind. — Jahn didicerint) explicare (= Bern, b 2 — Vind. appli-
eare — Prag, pangere — Jahn scribere); Sat. I, 88 sic et
poeta a me laudem non m. (Jahn p. 268 sicut et p.) = Prag.
Kvic. p. 16 vgl. Bern. Kurz p. 17 similiter poeta cet. Alles
Andere = Jahn; Sat. I, 92 Sed — affert = Jahn p. 269;
dann: ergo quemadmodum uersus semicrudus (Prag, ergo quem
aduersus sem. — Jahn semicr. cibus) lacerat mentes, sic et
cibus (Jahn uersus) semicrudus interficit = Bern. Kurz. p. 17,
doch auch mit Prag, eng verwandt und der richtigen, vom
Vind. 1 erhaltenen Leseart (Göbel p. 386) noch näher stehend
als die Fassung bei Jahn, vgl. Kviö. p. 16; Sat. III, 15 0
miser Responsio paedagogi . paedagogus igitur latine puerorum
ductor (Prag, paedag. graece, latine p. d. Kvic. p. 22), dann
erst o magis atque magis cet. = Jahn p. 295; Sat. II, 61 o
curuae in terris animae Exoleuisse dicit — more pecudum die
Passung ganz = Prag. Kviö. p. 20, dann humum spectantes
— e quibus originem ducunt, jedoch ohne das Citat aus Sallust,
= Jahn p. 290; die Fassung des ersten Theiles aber ebenso
bereits von Hermann aus seinen Codices, darunter Lugd. C.
als emendatior gegenüber der Vulg. notirt I, 29; ähnlich tritt
auch in kleineren Dingen die Aehnliclikeit unseres Codex mit
Prag, und Bern. 1 oft genug hervor, z. B. Sat. I, 6 ad aequanda
1 Im Vorbeigehen sei hier bemerkt, dass Sat. I, 15 in unserem Codex
die Stelle Verg. Georg. III, 366 citirt ist, wie Bern. b4 vgl. Kurz p. V
und 7.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCV1I. Bd. 111. Hft.
47
738
Zingerle.
pondera = Prag. Kviö. p. 9, Bern. B 1 Kurz p. 6 (Jalm ad
pondera adaequanda wie Bern, b 4), Sat. I, 24 massam runapit
= Prag. Kvic. p. 11, Bern. Kurz p. 9 (auch im Vind. 1 Göbel
p. 386 — Jahn m. corrumpit), Sat. I, 27 In tantum est scientia
tua ad nihilum redacta = Prag. Kviö. p. 11, Bern. Kurz p. 9
(ähnlich Mon. Thom. p. 257 in t. est sc. t. ad nihilum deducta
— Jahn hingegen p. 254 in t. scientia tua nihil est et ad n.
reducta), Sat. I, 39 ubi nulla memoria est = Prag. Kvic. p. 12,
Bern. Kurz p. 11 (die Stellung wie auch bei Isid. Or. XIV,
8, 21 — Jahn nulla est mem.), Sat. I, 67 qualiter apposuit
Thyestes ignoranti fratri membra filii comedenda, derselbe
Fehler wie Prag. Kviö. p. 15, Bern. Kurz p. 14 (sicuti Th.
qui apposuit cet., noch ähnlicher aber Vind. qualiter apposuerit
Th. cet.), Sat. I, 88 ab iis qui mendicantes cantant Prag. Kviö.
p. 15 quia mendicantes cantant (Jahn qui mendicant et cantant),
Sat. I, 93 in fine uersus suae (Prag, siue) cantilenae = Kvic.
p. 16, Bern. Kurz p. 17, Sat. I, 94 qui a piratis captus cum
uellent eum mittere in mare (Prag, mari), impetrauit ut cithara
caneret = Prag. Kvic. p. 16, Bern. Kurz p. 17, 1 dann aber
delphines uenerunt cet. = Jahn p. 269, Sat. I, 100 Quem
mater Libero faciente furore correpta sub im. vit. tr. Prag.
Kvic. p. 16, Bern. Kurz p. 18 Libero faciente ohne furore
correpta (Jahn Libero sacrä faciens f. c.), Sat. I, 99 Calandrus
111. rex ad Maced. cum cxercitu uenit. 111. cum discesserunt
— Bern, b 2 Kurz p. 18 (vgl. p. V), Vind. und zum Theil
Prag. Kvic. p. 16.
Mit dem Vind. 1, mit dem wir unseren Codex auch
im Bisherigen schon ein paar Mal zugleich mit Prag, und
Bern, übereinstimmend gefunden, hat er auch noch einige
Aehnlichkeiten für sich, doch fand ich diese in nicht so
auffallender Zahl; ich notirte in dieser Beziehung z. B. Sat.
III, 9 Ita rumpor clamoribus = Vind. Göbel p. 172 (Jahn
clamore), Sat. III, 16 columhos melius pueros intelligere est,
quos cum nutriunt cet., vgl. Vind. Göbel p. 173 uude palumbos
melius pueros intellegere est, quos quae nutriunt (Prag. Kviö.
p. 23 Palumbos pueros intelligite, quos cum cet., Jahn p. 296
1 Diese Fassung der Ueberlieferung der Sage viel mehr entsprechend als
bei Jahn. — Vgl. auch Serv. zu Verg. Ecl. VIII, 55 petit ab eis, ut
sibi cithara canere liceret.
Zu den Persius-Scholien.
739
Palumbo et columbo melius est, ut pueros intelligamus, quos
quae cet.), wobei jedoch zu bemerken, dass auch Hermanns
Codices, darunter Lugd. C., nicht nur in der Fassung (col.
melius puer . intelligere, quos qui cet.) mit Vind. und unserem
Codex stimmen, sondern mit dem unsrigen genauer auch
noch darin, dass sie, wie dieser, einzig die richtigere
Leseart columbo andeuten, vgl. Herrn. H, 33. Sat. VI, 51
non audeo prohibere quicquid uelis de hereditate tua quia
non audeo ager mihi plenus lapidibus non longe est quibus
me cet., vgl. Vind. Göbel 1. c. Non audeo, inquit, te pr., quia
non adeo ager pl. est lapidibus non 1. e., quibus (Jahn p. 346
Non te audeo pr. quicquid uel. d. h. t., ut non facias, quia
ager pl. 1. longe non est, quo). Das hier auch noch in non
audeo corrumpirte non adeo erklärt noch deutlicher die Ent
stehung der Leseart non audeo im Texte! Sat. VI, 63 Vis
etiam tu grates suscipere = Vind. Göbel p. 173 (Jahn p. 348
gratis accipere). Für die letzten Stellen fehlen die Scholien im
Prag, und kann daher über das Verhältniss zu diesem hier
kein Urtheil abgegeben werden.
Ebenso auffallend aber wie mit Prag, und Bern,
berührt sich unsere Hs. in diesem Theile auch öfter
mit dem Münchner Fragmente, welches Thomas be
sprochen hat, wovon wir auch schon früher Beispiele ge
troffen. Es sind aber weitere Uebereinstimmungen trotz der
geringen Zahl der Beste dieses Fragmentes geradezu bedeutend
zu nennen, doch zeigt sich auch hier gerne zugleich Verwandt
schaft mit Bern. Vgl. Prol. 8 Hoc dicit quod non omnes (Jahn
solummodo) natura sua sunt (sint) poetae, sed uentr. et eg.
nec. cogantur (Jahn cogüntur, Prag, cogantur scribere) et hoc
de auibus (Prag, de pauperibus) probat = Mon. Thom. p. 255,
Bern. Kurz p. 3. Die Worte bei Jahn dum semet studendo
— sine labore poetae fehlen in unserem Codex ebenso
wie Mon. Bern, und Prag.; auch Ott. Zill. p. 19, wo das Vor
hergehende auch = unserem Codex und Mon. Bern, und nur
die Worte sunt poetae fehlen; Prol. 2 qui dixit uidisse per
somnium cet., vgl. Mon. Thom. p. 254, Bern. Kurz p. 3 qui
se dixit uidisse somnium Prag. Kviö. p. 7 q. d. se uidisse per
somnium (Jahn p. 245 qui dicit se uid. somniando); bicipiti
autem pro duplici cacumine = Mon. Thom. Bern. Kurz 1. c.
47*
740
Lingerie.
(Jahn pro duplicis cac. — im Prag, erweitert); Prol. 4 Pirene
fons est in Elicone Musis consecratus die Wortstellung wie
Mon. Thenn, p. 255, Bern. Kurz p. 3 (Jahn Musis cons. in
Helicone); Prol. 6 finden sich im Zusammenhänge nur die
Worte semipaganus semipoeta. Et hoc ■— non nouerunt urbem
= Mon. Thom. p. 255. Das Andere bei Jahn p. 246 und
zum Theil auch im Prag. Kviö. p. 8 sich findende ist in
unserem Codex erst am Schlüsse des ganzen Prologes ausser
dem Zusammenhänge, wie Bern. Kurz p. 3 nur am Rande, fast
gleichlautend wie bei Jahn, angefügt. (Nur statt sum medio-
ximus hier: medioeris sum); Prol. 14 Cantare i. non solum
poterunt locpii humana uoce sed etiam carmina facere, vgl.
Mon. Thom. p. 256 non s. loqui poterant h. uoce, sed e. car
mina promere (Jahn p. 247 non s. cantare possint, sed e.
carmen effingere — fehlt im Prag. Die Jahn’sche Fassung
der Bemerkung folgt in unserer Hs. dann noch drei Zeilen
weiter unten nach den Worten: Coruos poetas et poetridas picas
id est uolucres poetriae studentes, quod coruino lucro cet.; ganz
wörtlich ebenso und getrennt auch dies wieder Mon. Thom.
p. 255); Sat. I, 10: Nach Nucibus r., lud. puer. depos. = Jahn
p. 249 stehen noch die Worte: Antiqui recedentes a turpi
seruitio nuces spargebant quarum ludo ante delectabantur ut
significarent se puerilia cuncta iam spernere e. i. r. u. u. mit
Ausnahme des Einschiebsels quarum — delectabantur = Mon.
Thom. p. 256, Bern. Kurz p. 6, Par. 8272, Jahn 1. c. A. 7;
Sat. I, 29. Nach Potest ex pers. — scholasticis (= Jahn p. 255)
folgt in unserer Hs. wie im Mon. Thom. p. 257 gleich: Nescis
(Jahn nescit) max. h. ae. uid. (das bei Jahn Zwischengestellte
Cirratorum, quoniam apud antiquos cet. ist hier nachgestellt);
Sat. I, 34 apud Lemnoii (Mon. Lemon) Jason deseruit = Mon.
Thom. p. 257, Bern. Kurz p. 10 (Jahn: apud Lemnios J. reli-
quit); ad suam patr. remeasse — Mon. Bern. 1. c. (Jahn re-
diisse); Sat. I, 43 ideo hoc dicit, quia cartae, in q. uilia c.
scribebantur (Mon. scribantur, Jahn scribuntur) q. n. n. aut
ad tus incidebantur (Jahn inciduntur), vgl. Mon. Thom. p. 257,
Bern. Kurz p. 11.
Mit dem Lugd. C, den wir bereits auch, und zwar
in bemerkenswerthen Dingen auf Grund einiger von
Hermann mitgetheilter Stellen heranziehen konnten,
Zu den Pereius-Scholien.
741
zeigt unser Codex, trotz der immer noch nur fragmentari
schen Mittheilungen über die Scholien jenes Leidner, auch
sonst noch manche Verwandtschaft; denn wenn, wie
Kissel p. 4 sicher behauptet, sein Leid. L identisch ist mit
dem Lugd. C Hermanns, so ergibt sich wieder eine auffallende
Stimmung mit ebendemselben Codex, wenn der unsrige ebenso
zu Sat. VI, 1 die sonst fehlenden Worte qui Ennius — ad
se uenisse (vgl. Kissel p. 6) beigibt. Vgl. ferner Sat. I, 17
3. Abs.: m. c. exquisito intellectu tamquam eo laueris et purum
cet. ganz = Herrn. II, 12, zuxn Theil Sat. I, 16 mit Herrn.
I, 15, über welche Stelle kurz noch später, u. dgl. — Mit
dem von Kissel aus Voss. Mitgetheilten hingegen fand ich in
diesem ersten Theile unserer Hs. keine Berührung als die
Zugabe Prol. 5: remitto i. concedo, relinquo, die dort als
Interlinear-Glosse steht (Kissel p. 19).
Aber abgesehen von solchen Uebereinstimmungen, die,
wie wir dann sehen werden, zu ein paar nicht uninteressanten
Schlüssen führen könnten, enthält dieses ,Commentum
CornutP in unserer Hs. auch noch einige Lesearten,
die für sich wohl zum Theil der Beachtung werth
scheinen. So lautet z. B. der letzte Theil der Bemerkung
zu Sat. I, 11 tune tune iteratum accipe: tune praecipue; uel
etiam asseueratio (Cod. assuefactio) ualde dolentis, ut cet.,
wenigstens klarer als die Fassung bei Jahn (p. 249 Tune
praecipue: uel est asseueratio), und darauf ist der an zweiter
Stelle angeführte Vers Vergils (Aen. VIII, 579 — nicht
587, wie Jahn angibt) richtig mit dem im vergilischen
Texte sich findenden Worten Nunc, nunc citirt (Jahn
tune tune). Sat. I, 45 Ordo est non ego laudari metuam; etiam
ego dico fauorem expetendum esse (Jahn p. 258 etiam dico
fauorem appetendum esse), wo das wiederholte ego nach dem
ganzen Sinne fast von selbst erwartet werden muss. — Sat.
I, 77 Pacuuius cet. legitur ab eis maxime, qui (Jahn p. 266
leg. ab ipsis). Sat. I, 86 qui obiectum crimen non breui ser-
mone diluit, sed ambagibus distulit (Jahn p. 268 qui breui
sermone obiectum er. non diluit cet.), wo die Wortstellung
unseres Codex dem ganzen Zusammenhänge gewiss viel besser
entspricht. Sat. II, 1 quem diebus laetis (Jahn p. 278 latis)
albo calculo more Cretens. iudicat (Jahn indicat) assignandum,
742
Z inff erle.
wo die richtigere Leseart unseres Codex auch kaum einem
Zweifel unterliegen kann. Sat. I, 88 ist die Wortstellung sola
suae cantilenae dulcedine (Jahn p. 268 sola dulcedine cantil.)
wenigstens gewiss eleganter. Sat. I, 50 Actius (sic) Labeo
poeta indoctus temp. ill., qui Iliadem Hom. uersibus foedissime
composuit ita, ut nec ipse postea intellexisset nisi elleboro
purgaretur (Jahn p. 259 ut nec ipse poeta, Bern, b 2 Kurz
p. 12 ut nec ipse inteil.) ist die Variante postea vielleicht
wenigstens noch erwähnenswerth. Sat. I, 61 fehlt in unserem
Codex der auch sonst ausser Prag, nur lückenhaft überlieferte
Zwischensatz quorum uita ex. debet esse. Sat. I, 63 Et uersus
ita deduci uel dirigi oportet (Jahn p. 263 et), was mit Rück
sicht auf das folgende Gleichniss (ut solent fabri dirigere) viel
leicht wohl entsprechender. Sat. VI, 1 Ilic igitur (Jahn p. 340
ergo) de Roma ad Sabinos decesserat (Jahn necessario transibat,
vgl. A. 1 das Bedenken gegen diese hs. Leseart). Die Stellen
Sat. I, 1 Semet ipsum arguit dicens, quod ipse reliquit carmina
(Jahn p. 247 Sem. redarguit, quod ipse relinquit cet. — arguit
auch Prag. Kviö. p. 9, Bern. Kurz p. 5, Ott. Zill. p. 18); Sat.
I, 13 quod autem ait inclusi ac si diceret ab omni cura remoti
aut certe inclusi metri lege coacti (Jahn p. 250, ohne ac si
diceret — ab omni; coarctati; coacti auch Bern. Bl Kurz p. 7);
Sat. I, 16 Albus aut festiua ueste indutus aut cogitandi pallore
confectus (Jahn p. 251 a. f. u. i. aut recitandi pauore ac med.
et scrib. taedio conf.; die bei Jahn dann noch folgenden Worte
uel ueste — dicitur fehlen in unserer Hs.), 1 dann am Schlüsse:
q. in natal. s. et consecratis diebus utuntur 2 (Jahn 1. c.: q.
i. n. s. usi sunt et sacris diebus) seien hauptsächlich nur zur
Charakteristik kurz notirt und da sie nach den dem Exemplare
der grossen Jahn’schen Ausgabe in der königlichen Bibliothek
zu München mit Bleistift beigeschriebenen Randbemerkungen
auch in einem der Münchener Codices sich gleichlautend zu
finden scheinen.
Jedesfalls aber wohl beachtenswert!» unter diesen Ueber-
einstimmungen Sat. I, 33 et hoc dicit: Refert quosdam uersus
1 cog. pallore conf. und die Auslassung uel — dicitur hier auch Lugd.
Hem. I, 15. Bern. Kurz p. 8.
2 Dieser Satz in gleicher Fassung auch Bern, b 4 Kurz p. 7.
Zu den Perßius-ScUolien
743
ita putide, ut uox eius per nares uideatur emitti repetita ex
uitio linguae (Jahn p. 256 et hoc ■— nares. ßelatio ex uitio
Iinguae!), da die Erklärung des Verses Rancidulum quiddam
balba de nare locutus so im Ganzen angemessen und verständ
lich wird und repetita ex uitio 1. eben auf balba d. n. Rück
sicht nimmt; Sat. I, 17 2. Abs. uel plasma lenis cantilena
ueluti deficienlis guttur. Bemerkung in dem Münchener Exem
plar und ebenso Bern, b 4 Kurz p. 8 A. ueluti deficientis
gutturis medicamentum (Jahn p. 252 uel def. gutt. med.), wo
durch das uns hier gebotene ueluti die lästige Wiederholung
der schon früher gegebenen Erklärung, beseitigt wird und so
auch noch mit Heranziehung der schon oben notirten Leseart
unseres Codex und des Lugd. für den letzten Absatz das ganze
Scholion auf hs. Grundlage ziemlich geheilt werden könnte:
\YtAz\i.y. dicitur medicamentum, quo recreantur fauces cet. uel
plasma lenis cantilena ueluti deficientis gutturis medicamentum.
m. collueris exquisito intellectu tanquam eo laueris et purum
reddideris guttur cet. Es wären sich so die zwei Erklärungen
von TtXc«7p.a, die auch in den neueren Commentaren erwähnt
werden (Jahn p. 82, Diibner p. 51) auch bereits im Scholion
nun ziemlich verständlich gegenübergestellt, von denen die
zweite auf Quintil. I, 8, 2 sich stützt 1 und von Klotz WB.
II, 802 deutsch durch ,weichliche Modulation der Stimme' ge
geben wird. Darauf würde passend die Erklärung von collueris
sich anschliessen.
Schliesslich sei hier noch erwähnt, dass die Lemmata in
unserer Hs. gerne ausführlich und, wofür wir schon früher
ein rocht auffallendes Beispiel (III, 16) getroffen, mit der
richtigeren Ueberlieferung des Textes stimmend geschrieben
sind, so z. B. auch Sat. II, 14 Nerio iam tertia ducitur uxor
(wo selbst Lugd. conditur Herrn. I, 27), Sat. III, 1 Ncmpe
haec assidue u. dgl.
Indem wir uns ein paar zusammenfassende Bemerkungen
über diesen ersten Theil wohl auch besser auf den Schluss
1 Die Stelle lautet wörtlich Ed. Bonn.: Sit autem in primis Iectio uirilis
et cuni suauitate quadam grauis, et non quidem prosae similis, quia et
carmen est et se poetae eanere testantur; non tarnen in canticum dis-
soluta nec plasmate, ut nunc a plerisque fit, effeminata.
744
Zingerle.
versparen, gehen wir nun zunächst zu einer ebenso gedrängten
Prüfung des zweiten Commentars unserer Hs. über.
Der zweite Commentar unserer Hs., vorne auf dem Deckel
mit ,Aliud Commentum in Persium' bezeichnet, hat an der
Spitze eine sehr abgekürzte Form jener Vita, die im Laur.
pl. XXXVII, cod. 20 gelesen wird (vgl. Jahn p. 238). Die
paar diesbezüglichen Worte, durch die eine bisher bei Jahn
lückenhafte Stelle geheilt wird, lauten: Auctor iste
Persius, natione Tuscus, genere clarissimus, carmine satiricus
philosopho prius Basso docente didicit (Jahn p. 239 Z. 1, 3,
4, 25). Postea uero disciplina (Cod. disciplinam) egressus ad
Cornutum se transtulit (Laur. Jahn Z. 25 disciplinam eius
egiss (?) et ad C. cet.) et ad utrumque eorurn primam satiram
scribit penultimam Cornuto, ultimam uero Basso (vgl. Jahn
1. c. Z. 25—28). Hic primum apud se deliberauit, utrum
scriberet necne (Jahn p. 240 Z. 13 num scr. necne). Inchoauit
(Jahn Incepit) ac destitit. Postea uero a tollerantia (sic! Jahn
intolerantia) uitiorum compulsus (Jahn commotus) incepit quod
et perfecit, in quo habet communem materiam omnium satir.
s. uitiurn. Habet etiam aliam communem intentionem eorundem
s. dehortari a uitio (vgl. Jahn 240 Z. 14, 15, 19, 21). Darauf
folgen Bemerkungen über utilitas, titulus u. s. w., sichtlich
wohl auch dasselbe oder Aehnliches wie im Laur. (vgl. die
Andeutung Jahn p. 238), was Jahn nicht mehr abdrucken liess.
Die in diesem Rahmen sich findenden Auseinandersetzungen
über satira berühren sich zunächst naheliegend zum Theil mehr
oder weniger auch mit denen im Voss. (Kissel p. 14), Bern.
(Kurz p. 1), Darmst. (Jahn p. CLII) Ott. Zill. p. 19, Ed. pr.
(Jahn p. 241), z. B. Satira dicitur a satura, quae erat quaedam
lanx i. clauus (sic Cod.! leg. clarnus) uel scutella, quae in
templis deorum diuersis ferculorum generibus replebatur. Ita
et satira diuersis generibus uitiorum repleta est u. dgl. In der
darauffolgenden näher betonten Hinneigung zur Ansicht vom
Zusammenhang mit satyri zeigt sich dann aber die innigste
Verwandtschaft mit jenem eigenthümlichen Stücke, das Kurz
p. VIII aus Bern. 539 b saec. XIII. mitgetheilt hat, z. B.
satyri enim sunt leues nudi dicaces derisores saltatores capri-
pedes Bern. 1. c. Illi enim nudi depinguntur capripedes et
saltantes . . sunt derisores dicaces u. s. w.
Zu den Persius-Scholien.
745
Die so schon durch den Anfang nahegelegte Vermuthung,
dass dieser zweite Commentar ziemlich verwandt sein
dürfte mit den Scholien im genannten Laur., wird noch
weiter bestätigt durch einen Vergleich mit den wenigen Stellen,
welche Jahn p. CLXII aus jenem mitgetheilt hat. Ein paar
Mal aber scheint auch hier unser Codex das Richtigere
erhalten zu haben. Wenn z. B. der Laur. nach Jahn zu
Sat. II, 55 nur bemerkt: Ouato sec. Cornutum a te optato et
desiderato, propter quod ouas et laetaris, so wäre hier die Be
rufung auf Cornutus allerdings bedenklich, da diese Erklärung
dort in der erhaltenen Fassung nicht gelesen wird. Der
Wirklichkeit entsprechender in unserer Hs.: ouato i. a te de
siderato propter quod (si) ouas et laet. Cornutus dicit ouato
ouo illito quod ouo perfundant statuas (Prag, perfundantur
statua, Jahn perfunduntur statuae) ut brachia (sic; Prag, brantea,
Jahn bractea) aurea uel argentea melius inaurescant (Prag,
inarescant, Jahn inhaerescat), so dass also jene erste Erklärung
ohne Gewährsmann, und erst die zweite hier angefügte, wirklich
auch bei ,Cornutus' sich findende (Jahn p. 289) mit diesem
Namen eingeführt wird, in einer Fassung jedoch, die auch im
Fehlerhaften noch wieder der im Prag. (Kvic. p. 20) mehr
ähnelt. 1 Die Bemerkung zu Sat. II, 64 hingegen: Cornutus
dicit — male procedit stimmt wörtlich mit der im Laur. Jahn
1. c. und hier gilt auch Jahns Bemerkung, dass dieselbe bei
Cornutus doch nicht gelesen werde; im Prag, steht sie, aber
da ohne Berufung auf Cornutus (Kvic. p. 20). Die Worte zu
Sat. IV, 2 ähneln in der Hauptsache auch auffallend dem Laur.,
wenn auch einmal hier noch eine etwas grössere Stimmung mit
dem Cornutus durchblickt: Nam cum Socrates de turpi amore
huius pueri s. Alcibiadis haberetur infamis (vgl. Cornutus Jahn
p. 311, Prag. Kvic. p. 29 diceretur infamis — de turpi amore
Ale.) accusatus est . inde et in purgationem succum cicutae,
qui nimio frigore interficit, hausit et illaesus euasit (Laur.
Jahn p. CLXII succum cic. potauit et illa uice euasit). Postea
uero quendam librum scripsit (Laur. 1. c. composuit quen-
dam libr.), quem ita intitulauit über de deo Socr., in quo dixit
1 Im ,Cornutus‘-Commentar unserer Hs., respective im früher besprochenen
ersten Theile stimmt auch der Conj. perfundantur mit Prag.; das Uebrige
jedoeh einschliesslich inhaerescat dort = Jahn 1. c.
746
Zi ngerle.
(Laur. praedicauit) deo et non diis immolandnm esse (Laur.
esse saerificandum). Unde ab auctore quodarn discipulo suo
accusatus est et in causam deductus (Laur. et ea causa secundo
accusatus est) cum ei offerrent imaginem u. s. w. im Wesent
lichen Alles gleich Laur., nur der Schluss etwas erweitert:
Sed quod uirum tantae auctoritatis non audebant publice punire,
succum cicutae ei dederunt et inde periit. Dass in dieser
eigenthümlichen Ausschmückung die obige Leseart unserer
Hs. illaesus euasit nach dem ganzen Zusammenhänge
wohl auch die richtigere, dürfte kaum einem Zweifel unter
liegen. Ebenso wird in der ebenfalls im Wesentlichen mit
Laur. zusammentreffenden Bemerkung zu Sat. V, 25 durch
unseren Codex ein unverständliches Wort klargestellt:
Plectoria uel deceptiones (Laur. Jahn d’xpnes) et tegmenta,
quia lingua fallax tegit, quod in corde est. Zu Sat. VI, 71
ut dicit Remigius cet. liest man in der Hauptsache auch ganz
dasselbe wie im Laur.
Doch solche Uebereinstimmungen mit dem Laur. in ähn
lichen, wie leicht ersichtlich, an sich mehrfach recht bedenk
lichen Bemerkungen würden im Ganzen diesem Theile unserer
Hs. nicht gerade besonderes Interesse zuzuwenden geeignet
sein, wenn auch die angeführten Beispiele wohl gewiss kurz
erwähnenswerth waren, weil sie für die Besprechungen dieser
Classe in den Prolegomena einer künftigen Ausgabe nun Manches
richtiger stellen, als dies bei Jahn der Fall war. Interessanter
aber dürften noch einige andere Erscheinungen vielleicht sich
darstellen, die wahrscheinlich wohl auch in dem von Jahn dann
nicht weiter geprüften Laur. sich finden dürften und zeigen
könnten, dass für die in neuester Zeit immer gründlicher an
gestrebte Sichtung und Entwicklungsgeschichte auch der Persius-
Scholien ein etwas näherer Einblick selbst in diese Classe noch
wohl nicht ganz unnütz ist. Vor Allem ist hier zu be
merken, dass eine Reihe von Erklärungen, worin Prag,
mit Voss, stimmt, in unserem Codex in diesem zweiten,
dem ,Cornutus‘ als ,aliud commentum' gegenübergestellten
Commentar mehr oder weniger genau, aber auffallend ver-
werthet erscheint. Vgl. Sat. II, 70 solebant uirgines quas-
dam statunculas i. pupas filiolas in modum filiarum sibi facere
uestibus obuolutas et adhuc faciunt. Sed posteaquam ad annos
Zn den Persius-Scholien.
747
nubiles perueniebant .... pupas illas Veneri sacrificabant: Voss.
Kissel p. 17, Prag. Kviö. p. 21 Puellae, quando deuirginandae
erant, faciebant popas et statunculas quasdam ex uestibus factas,
quas offerebant Veneri. Vgl. zum Theil auch Vind. bei Kvic.
1. c. A. 3; Sat. III, 29 Censores dicebantur quidam nobiles,
qui censebant de moribus cet. et quosdam eorum propter uitia
a senatu remouebant: Voss. Kissel p. 17, Prag. Kviß. p. 23
C. d. (Prag, dicuntur) qui mores senatorum censebant cet. et
quosdam a. s. p. m. u. repellebant; Sat. III, 32 quod pudor
sapientis est, stupor uero stulti (pudere) unde Boetius Pudore
an stupore siluisti? mallem pudore: Voss. Kissel p. 11, Prag.
Kviö. p. 23 quia stup. st. est, pud. u. s. ut B. pud. an stup.
mallem pud. Unser Codex hat also aus der Stelle Boet.
Cons. phil. I, 2, 5 auch das Wort siluisti aufgenommen; darauf
dann im Verlaufe noch die Bern, zu pingue ähnlich wie Voss.
(Kissel p. 11), Prag. (Kvic. p. 24), Paris. 8272 (Jahn p. 299
A. 3): et stultos reddit homines, quod probatur ex onagro, qui
quoniam prae ceteris animalibus cor habet pinguius stultior est
ut dicunt physici ceteris animalibus. Die Worte stehen in
unserer Hs. auch im ersten Commentar bei ,Cornutus ( dort in
der Fassung ganz gleich Paris. Sat. III, 83 sq. stimmt auch
das Meiste mit der breiten Auseinandersetzung im Voss, und
Prag., nur ist die Anordnung etwas verschieden; im Anfang:
philosophorum uaria fuit de mundi origine opinio, vgl. Kissel
p. 17, Kvic. p. 27 (aber da erst in der Mitte der Bemerkung):
uaria est opinio phil. de creatione m. Das folgende quidam
dixerunt (Voss. Prag, dicunt) cet. im Wesentlichen in allen drei
Codices gleich, nur in unserem noch erweitert; dann dem An
fang im Voss, und Prag, entsprechend: Epicurei uero dixerunt,
duo esse rerum principia cet., etwas abweichend gefasst nur:
corpus uolunt esse atomos, quasdam min. particulas, minutias
illas, quae uidentur in radio solis, ut ait Lucretius. Unde
dicuntur atomi i. sine sectione (Voss. Prag.: Et corp. uol. esse
atom. i. q. min. pari, quae tomum i. sectionem non recipiunt,
unde atomi sunt dictae, quas Lucret. minutiores (Voss, minu-
tissimas) esse dixit illis corporibus, quae infusis per fenestram
radiis solis uidemus). Im Satze: de quibus duobus principiis
uolunt quatuor elementa procreari, ist in unserem Codex
principiis, der Stelle Serv. ad Buc. VI, 31 entsprechend,
748
Zingerl e.
richtig erhalten, während Prag, (particibus) und Voss, (parti-
cipiis) hier fehlerhaft sind.
Dass die Anordnung dieser Partie in unserer Hs.
wohl auch die richtigere als in den zwei anderen sein
dürfte, da hier nach dem an die Spitze gestellten allgemeinen
Satze von den verschiedenen Ansichten die Durchmusterung
derselben und dabei dann der Uebergang zu den Epicurei
ohne die zweimalige Wiederholung folgt, liegt wohl auch so
ziemlich auf der Hand; 1 .Sat. IV, 31 weist die Bemerkung:
Caepe dicitur a cephal i. capite eo quod habeat grossum caput.
dicitur autem in singulari hoc caepe indeclinabile et secundum
cjuosdam in plurali caepae caepar. fern. g. (Voss. Kissel p. 18,
Prag. Kvic. p. 30 Facit hoc caepe sing. num. indeclin., plur.
num. hae caepae declin.) auch wieder auf dieselbe Quelle wie
Voss, und Prag.; 2 ebenso zu Sat. IV, 41 Filix herba est, quae
tenuissimas et tenacissimas habet radices (Voss. Kissel p. 18,
Prag. Kvic. p. 31 quae multas radices mittit); das Folgende in
unserer Hs. auch etwas erweitert: et non est facile posse auelli
quia quanto magis auellitur tanto magis pullulat. Filici ergo
comparat pilos propter tenacitatem (Voss. Filicem eniin’ uel
pilos dicit); Sat. II, 42 ist die Schlussbemerkung quia inquit
nimis comedis (Prag, nimium) sanus esse nequis (Prag, ideo
non potes esse sanus Voss, ideo non potest esse fortis cet.)
ebenfalls unserem Codex mit Voss. Kissel p. 13 und Prag.
Kvic. p. 19 eigenthümlich; das Vorhergehende, das überall und
auch in den Cornutus-Scholien bei Jahn p. 286 ziemlich ähn
lich lautet, berührt sich in der Fassung unserer Hs. einmal
ganz enge mit den von Jahn 1. c. A. 4 genannten Stellen
(Papias: Toceta, escae regiae [= Fulg. cf. Kvic. 1. c. A. 4],
salciciae uulgo . Jo . a Janua: Tucetiim a tondo .... cibus qui
fit ex carnium concisione, sicut salcicia est. Unde Persius cet),
denn sie lautet: uel sunt escae delicatissimae, carnes uidelicet
1 In unserem Codex ist also auch die Anordnung entsprechend der ge
nannten Stelle des Serv. zu Buc. VI, 31, auf welche sonst bereits Kvicala
für den Prag, richtig aufmerksam machte. Vgl. Serv. ed. Lion II, p. 131*
2 Mit dem ersten Theile ist allerdings Isidor. XVII, 10, 12 zu vergleichen
s. Kvic. p. 30; der zweite ähnelt aber mehr Bemerkungen wie Non.
p. 201 (p. 136 ed. Gerl. — Roth), vgl. auch die Stellen bei L. Müller
Lucil. p. 28.
Zu den Persius-Scholien.
749
concussae et in uulgari usu appeilantur salsicae, 1 et dicuntur
tuceta a tondis. Im ersten Commentar respective Cornutus
stehen in unserem Codex nur die Worte: apud Gallos cisalp.
bubulina (Jabn bubula) — durat (vgl. dazu die sogenannte
isidoriscbe Glosse bei Lerscb Fulg. p. 64) und dicunt autem
tuceta condimenta gul. del. — corrumpitur; dass die in mehreren
Hss., dann in der Ed. pr. und bei Jahn (p. 241) am Schlüsse
der Vorbemerkungen stehenden, vom Prag. Voss, (durch ein
Lemma), Vind. 2, Bern, (zum Theile am Rande) und Mon.
aber an die richtige Stelle des Prologes verwiesenen Worte
Hic fabulam tangit cet. in unserer Hs. nur in diesem zweiten,
erweiterten Commentar, ebenfalls dem Prolog eingereiht, sich
finden, haben wir schon oben kurz erwähnt und es dürfte uns
dann auch diese Erscheinung bei der kurzen Schlussbetrachtung
nicht uninteressant sein. Hier sei noch angefügt, dass die
Fassung dieser mit Fulgent. I, 26 und Sei - v. Aen. II, 616 2 sich
ganz nahe berührenden Stelle in unserem Codex manchmal im
Einzelnen dem Voss, und Prag., besonders aber auch in der
Stellung dem Mon. Thom. p. 255 ähnlich ist: Tres fuerunt
sorores: Stennio, Euriale (sic) et Medusa magis ditissimae prae
diis. Unde et dictae sunt Gorgones quasi georges i. e. terrae
cultrices. Ge enim terra interpretant (sic), orge cultura, . . .
quod uidens Perseus rex Asiae adhibito sibi clipeo Palladis
et Mercurii gladio detruncauit eam . de illa caede natus est Pe
gasus alatus equus, qui pede suo terram percussit u. s. w.,
Manches ist dann aber wieder einigermassen variirt. Die alle
gorische Deutung ist hier durch die Worte eingeleitet: Cornutus
ita allegorizat lianc fabulam, ganz wie im Erlang. (Jahn p. CLXI);
die Bemerkung zu Prolog 8 Psittacus est auis cet. ist hier
gegenüber ,Cornutus 4 3 auch in ganz ähnlicher Weise, nur mit
1 Die Stellen könnten nun bei Du Cange in dem sehr wenig belegten
Worte sals. VI, 44 nachgetragen werden. Auch Ott. Zill. p. 24 hat es
hier: grandes scntellae (et) salsittia (sic) pinguia. -— Zur Stelle des Fulg.
und weiter Verwandtem vgl. übrigens Fulg. de abstr. serm. ed. Lersch
p. 64.
2 Vgl. bereits Jahn 1. c. p. 241 und Kvic. p. 7.
3 Die diesbezügliche Stelle im ersten Theile unserer Hs. stimmt auch ganz
mit den bei Jahn im Texte des ,Cornutus' gegebenen Worten, ausser:
nascitur — ex natura salutat dicens = Isidor. XH, 7 — Nam cuncta.
2BI
■
np
750
Zingerle.
einigen Umstellungen, erweitert wie im Voss. Kissel p. 13,
Prag. Kviö. p. 8, wofür Kviö. bereits Isidor. XII, 7, Solin. c. 52
verglichen, und im Darmst. Jahn p. 246 A. 3: Vgl. rostrum
habens adeo rigidum, adeo ualens, adeo solidum, ut si quando-
que ex abrupto uolans se praecipitem dabit in saxum, nisu
rostri se excipiat et minime laedatur. Caput habet adeo durum
cet. (Cuius auis rostr. tantae duritiae est, ut cum se praecipitat
in sublimi in saxum Prag. Voss. — e sublimi se praecipitat
saxo Darmst. ■— nisu oris se excipiat Voss. — oris sui Prag. —
nisu se eius Darmst. -— Caput uero tarn ualens cet.) . . Inter
(Codex Item) plebeios et nobiles eorum discretionem facit
numerus digitorum (= Voss. Prag. Darmst.). Nobiles enim
admodum nobilium (Codex nobili) hominum quinque habent
ungues, plebei uero tres (Qui meliores sunt Voss. Prag. —
Qui praestant Darmst. — quinos digitos habent, ceteri uero
ternos). Die Worte quod Romanae delitiae ita sunt admiratae,
ut iam barbari psittacos merces (Codex mhertes) faciant (vgl.
Darmst. und Voss. 2) sind hier abweichend erst am Schlüsse
angefügt, also unser Codex auch in dieser Anordnung
ganz gleich Solin. 1. c., vgl. Ed. Mommsen p. 212. Mehr
fach hat aber auch dieser Theil Bemerkungen, die entweder
ganz oder wenigstens in solcher Fassung bisher vorzüglich nur
aus dem Prag, belegt scheinen. Vgl. Sat. I, 46 quasi dicat,
sicut (Codex sic) raro euenit, ut coruus albus et cygnus niger
inueniatur (Prag, ut c. sit albus), sic ipse raro scribere com-
mode et utiliter se dicit = Prag. Kvic. p. 13 (vergleichbar
sonst, aber durchaus nicht in der Weise, nur Vind., wo übrigens
auch der Phönix erwähnt wird, cf. Kvic. 1. c. A. 2); Sat. III,
48 dicit ergo paedagogus (Prag. Persius) q. d. erat paruus non
curabat de rebus philos.; sed eius Studium erat alea et trochus
et cetera puerilia (Prag, sed al. et tesserae ac troch. er. e. st.)
= Prag. Kvic. p. 24; Sat. IV, 9 Judiciariam sententiam (Prag.
Juditiarü sententia) insinuat, qua discernitur (Prag, cernitur),
quid sit iustum, quid non (Prag, quod iustum est quodue
uideatur iniustum) vgl. Prag. Kvic. p. 29; Sat. IV, 37 Gausape
dicitur mantile fimbriatum (Codex fibriatum) et uillosum, hic
autem apponitur pro barba, vgl. Prag. Kviö. p. 31 Gaus, uestis
uillosa est; hier jedoch noch näher stehend Ott. Zill. p. 28:
Gaus, est manutergium, sed ponitur hic pro barba, quia in
Zu den Persius-Scholien.
751
fine uillosum cet. Manchmal tritt aber auch an solchen Stellen,
wo, wie leicht erklärlich, auch hier ,Cornutus ( benutzt ist, in
kleineren Einzelnheiten des Ausdruckes noch Annäherung an
Aehnliches des Voss, und Prag, hervor, z. B. Sat. III, 79 nach
den Worten: Solon apud Athenienses philosophus — duas
tabulas legibus addidit (Jahn p. 305): Solones uero uocat
discipulos s. uel sapientes ei consimiles sicut a Catone Catones,
vgl. Prag. Kvie. p. 26 Solones dicit ut Catones a Catone (Jahn
1. c. Sol. autem sane more Romano dix., ut Catones, Camillos,
Drusos); Sat. VI, 10 namque dormiens in P. m. somniauit
animam Homeri se suscepisse, vgl. Voss. Kissel p. 19 Hennius
enim p. somniauit se esse Homeriun; dann unser Codex secon-
dum (sic!) Pythagoricam sententiam, qui dixit = Cornutus
Jahn p. 342 u. dgl.
Nicht Weniges hat jedoch dieser ziemlich ausgedehnte
Commentar auch wieder für sich eigen, und dass darunter dann
auch gar manche Sonderbarkeiten sich breit machen, bedarf
für den Kenner der Entwicklungsgeschichte kaum einer Be
merkung. Bei diesem im Ganzen weniger interessanten Punkte
kann ich mich wohl ganz besonders kurz fassen und notire
darum nur ein paar Beispiele, welche entweder für die Ent
stehungsgeschichte solcher Bemerkungen oder für die Ent
wicklung immer weiterer Zugaben bis schliesslich zum ganz
Lächerlichen herab in solcher Kürze vielleicht doch nicht ganz
unwillkommene Beiträge liefern könnten.
Sat. V, 185 weicht hier die Bemerkung zu Lemures von
allen anderen IIss. ab und ist die ovidische Herleitung d. Lern,
vom gewaltsamen Tode des Remus (Fast. V, 419) 1 verwerthet,
in einer Fassung jedoch', die nicht direct auf die ovidische
Stelle, sondern auf die diesbezüglichen Notizen bei Porphyr,
zu Hör. Ep. II, 2, 209 2 und Serv. zu Aen. I, 276 zu weisen
scheint. Occiso enim Remo a fratre suo Romulo regni inuidia
eius imago de nocte apparens fratrem nominabat. Quare ut
umbram eius placaret (Porphyr, cuius occisi umbram frater R.
cum placare uellet), (sibi) omnia regalia fecit coronam et
sceptrum et cetera insignia tamquam si frater uiueret (Serv.
1 Vgl. H. Peter Ov. Fast. II, 70 z. St.
2 II, 572 ed. Hauthal; p. 343 ed. W. Meyer.
752
Zingerle.
cum sceptro et corona et ceteris regni insignibus) . . . Unde
dictae sunt Lemures quasi Remures (Porphyr. Lemures esse
dictos quasi Rem.); Sat. V, 184 ähnelt der erste Theil zwar
verhältnissmässig auch wieder noch am meisten der Bemerkung
im Voss, und Prag.: Judaei recutiti dicuntur quasi retro cutem
habentes i. circoncisi (sic!). Carent enim anteriori pelle uirilis
membri (Voss. Kissel p. 19 quia extremam ueretri cutem non
habent Prag. Kvic. p. 38: extr. partem). Dann ist aber in
unserem Codex noch angefflgt: Unde Martialis: Nec recutitorum
fugis inguina Judaeorum (vgl. Mart. VII, 30, 5 Schneidew.)
unde Horatius: credat Judaeus Apella (vgl. Sat. I, 5, 100) i.
sine pelle (vgl. Acr. zu Hör. 1. c.); 1 Dichterstellen werden
auch sonst öfter abweichend von anderen Hss. beigegeben.
Z. B. Sat. IV, 49 nach den Worten uel quia totiens amitte-
batur ibi pecunia ac si in puteuin esset demissa (vgl. Corn.
Jahn p. 318, Prag. Kvic. p. 31) noch: Unde Ouidius: Qui
puteal Janumque timet celeresque Kalendas (vgl. Rem. Am.
561). Sat. I, 29 ist in die sonst ziemlich das Gewöhnliche
zu cirratus variirende Bemerkung noch eingeflochten: Unde
et Scylla filia Nisi dicta est Ciris, quia cecidit purpureum
crinem patris. Sat. IV, 21 den Worten Baucis nomen est qi
inopis anus (Corn. Jahn p. 313 nomen fictum inopis anus)
noch beigegeben: et uenditricis turpium et uilium carmi-
num u. dgl.!
Wir wollen nun an diesen möglichst gedrängten Bericht,
in dem sich eine Reihe von beachtenswerthen Beobachtungen
übrigens wohl von selbst fast aufgedrängt hat und in mehreren
Hauptabtheilungen auch durch gesperrte Schrift kenntlich ge
macht ist, doch dem Versprechen gemäss noch ein paar Be
merkungen anreihen, die Einiges, kurz zusammenfassend, viel
leicht nach der einen oder anderen Seite hin noch etwas klarer
stellen oder wenigstens anregend wirken könnten.
Ausser wohl gewiss zu beachtenden Berichtigungen und
Ergänzungen zu dem in den Jahn’schen Proleg. über das Vor
kommen gewisser Erscheinungen in den Codices Gesagten,
1 Hauthal II, 104 vgl. auch Porphyr. Hauthal II, 111. Die Erklärung in
neuester Zeit auch wieder aufgenommen von Fritzsche des Hör. Serm.
I, 147.
Zu den Persius-Scholien.
753
ausser dem durch diese Beiträge mit Vergleichung neuerer
Mittheilungen aus anderen Codices, dem Versprechen in den
Vorbemerkungen gemäss, hoffentlich in mehreren wesentlichen
Punkten nun ziemlich erleichterten Ueberblicke über gewisse
Verwandtschaftsverhältnisse solcher IIss., 1 vermittelte die kurze
Prüfung unseres Codex für ,Cornutus‘ auch bereits in diesen
Proben mehrere Lesearten, die auch bei der grössten Vorsicht
so ziemlich als Heilung zu betrachten sein dürften (z. B. zu
Sat. I, 11 im Schlüsse, I, 45; I, 63; I, 77; besonders aber zu
Sal. I, 17; I, 33; I, 86; II, 1) und bot im zweiten Commentar
sichtliche Herstellung einiger hei Jahn noch ganz ungeheilt
gedruckter Stellen (so z. B. zu Jahn p. 239, CLXII an drei
Stellen). Dass wir es bei solchen schon hier sich ergebenden
Verbesserungen etwa nicht mit Conjecturen des Abschreibers
aus der Humanistenzeit zu thun haben, sondern, trotz des
jungen Alters der Hs., mit Resten älterer Ueberlieferung, wird
schon aus den anfangs gegebenen Vorbemerkungen über die
Beschaffenheit des Codex und über den ganz mechanischen
Abschreiber klar genug, ebenso aber andererseits gerade auch
wieder aus auffallenden Uebereinstimmungen mit erst in neuerer
Zeit etwas näher geprüften, verhältnissmässig alten Hand
schriften. Und über diese Verhältnisse zu solchen Codices
und etwaige aus denselben sich ziemlich naheliegend ergebende
Resultate doch hier auch noch ein paar kurze Worte, die ich
wohl bescheiden wohlwollender Beachtung empfehlen darf,
ohne dem Urtheile Anderer über manche Einzelheiten des ge
botenen Materials vorgreifen zu wollen.
Wenn unser Codex im ersten Theile, der ausdrücklich
,CornutP überschrieben ist und auch wirklich gegenüber dem
gewöhnlichen ,Cornutus‘-Commentar etwa durchaus nicht eine
sichtlich veränderte Ueberarbeitung bietet, in manchen
kleineren, kaum mehr ganz zufälligen Zugaben oder Aus
lassungen, besonders aber in der Fassung so mancher Stellen
so auffallend mit Codices, wie Prag., Bern. 1 und Mon. stimmt,
1 E. Kurz, der bei seinen Mittheilungen über die Bern. Hss. im Jahre 1875
der Zeit nach am ehesten nun zugleich auch früheres übersichtlich hätte
heranziehen können, entschuldigt sich in der praef. p. IX durch fast
gänzlichen Mangel an Hilfsmitteln.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 48
754
Z ingerle.
und wenn davon Einiges dem Ursprünglichen auch wieder
wohl schon auf den ersten Blick wenigstens näher steht als
im gewöhnlichen Texte (z. B. Sat. I, 92; der erste Theil I,
94; wohl auch Prol. 4; Sat. I, 88, die kürzere Fassung Prol.
8, Sat. I, 27 u. dgl.), wenn ferner zu solchen Ueberein-
stimmungen, von denen übrigens manche eine die Gränzen
dieser Abhandlung überschreitende Einzelauseinandersetzung
verdienen dürften, noch die mit dem Vind. und Lugd., zum
Theil auch noch mit den älteren Resten des Ott., kommen
und auch hier manchmal das entschieden Bessere oder noch
Annehmbarere als gerade auch in unserem Codex noch erhalten
sich darstellt (vgl. z. B. zu Sat. II, 61; III, 16; I, 17 2. Abs.
u. dgl.), so könnte bei solchen Uebereinstimmungen des ,Cor-
nutus‘ in unserer zwar erst aus dem 15. Jahrhundert stammen
den, aber mehrfach schon für sich durch gute Lesarten hervor
ragenden Hs. mit Stellen in Hss. aus dem 10. (Prag. Bern. 1
Vind. Lugd.), 1 11. (Mon.), 12. (Ott.) Jahrhundert, selbst alle
hier denkbaren Zufälligkeiten in Rechnung gezogen, doch der
Schluss nicht zu ferne liegen, dass für das unter dem Namen des
Cornutus gehende Scholien-Conglomerat wix-klich ein in mehr
facher Beziehung besser als im Pai-isin. 8272 (11. Jahrhundert)
und in den alten Drucken, welche Hilfsmittel Jalm hauptsäch
lich zu Gi-unde legte, 2 ei'haltener Grundstock aus den gewiss
nicht mehr zufälligen Indicien eines Consenses diesbezüglicher
Stellen in beachtenswerthen Hss. vom 10. bis 15. Jahrhundert
zu verfolgen und nicht selten zur Hei'stellung eines verständ
licheren oder vernünftigeren Textes zu verwenden sein dürfte,
wodui’ch sich C. F. Hennanns Ansicht über das hier zu be
obachtende Vorgehen allerdings als etwas richtiger heraus
steilen könnte, 3 als 0. Jahns, dessen Verdienste auch um
1 So jetzt über Lugd. Kissel p. 4, Hermann hatte ihn dem 12. Jahrhundert
zugeschrieben I, 15 (doch auch in der bezeichnenden Fassung: saec., ne
nimium dicam, XII).
2 Vgl. darüber auch die Bemerkung bei Bernhardy Röm. Lit. 5 p. C43-
Kurz p. 9.
3 Vgl. Herrn. I, 22 Qua in causa illud sane dolendum est, quod tarn cor-
rupta huius commenti forma ad nos peruenit, ut interdum uix sententia
schol. intelligi possit .... neque tarnen desperandum est fore, ut pluribus
codicibus inter se collatis ad maiorem integritatem perueniamus cet. Vgl.
auch Herrn. Anal. p. 13 A. 23 und ööbel Phil. XV, p. 131.
Zu den Persiue-Scholien.
755
Persius wir übrigens gewiss am wenigsten schmälern wollen, 1
in der Scholienfrage doch etwas zu summarisches Verfahren. 2
Dass dabei, auch wo es sich selbst etwa hie und da um ein
gewisses eklektisches Verfahren handeln würde, dasselbe in
einem solchen Falle auch nach den Regeln der neueren Kritik
nicht immer zu verwerfen wäre, liegt auf der Hand, da bei
diesen so häufig nur zwischen den Zeilen und am Rande ge
schriebenen, so vielen Zufälligkeiten unterworfenen und in
manchen Hss. so frühe schon immer mehr erweiterten und
versetzten Scholien die Sache mehrfach anders liegt, als selbst
in den schwierigsten oder eigenthümlichsten Fällen der Ueber-
lieferung eines Autorentextes, obschon gerade auch für den
Text des Persius selbst in neuerer Zeit wiederholt hervor
gehoben wurde, dass es auch da unmöglich sei, einen Codex
zu ermitteln, der als Fundament der Texteskritik hingestellt
werden könnte. 3
Durch eine Bemerkung über die frühe Erweiterung dieser
Scholien sind wir hier nun naturgemäss auch zum zweiten
Theile übergeleitet. Wir haben in dem zweiten Theile unseres
Codex, der als ,aliud commentum' dem ,Cornutus‘ gegenüber
gestellt ist und der nach einer Reihe von Anzeichen eine
ähnliche Erweiterung bietet, wie der von Jahn nur kurz ein
gesehene Laur. (13. Jahrhundert), die gewiss interessante Ent
deckung gemacht, dass fast alle jene auffallenderen Stellen, in
denen nach den bisherigen Mittheilungen Prag, nur mit Voss,
stimmt und die so gerne durch Zugabe von Citaten und aus
führlichere Uebereinstimmung mit Servius, Solinus, Isidor,
' Vgl. in neuester Zeit auch die verdiente warme Anerkennung der Lei
stungen für den Text des Persius bei Bücheier Phil. Krit. p. 7.
2 Vgl. z. B. Ed. mai. p. CLXII unde factum est, ut liodieque in diuersis
codicibus non plane iidem exstent hi commentarii .... Sed ea omnia
in tali scriptore parui momenti sunt. p. CLXIV uel sermone paullum
immutato proferuntur, ita tarnen ut ad summam rem ea nullius mo
menti sint.
3 Vgl. Jahn Ed. mai. p. CXCIII. Ed. min. p. 5. Göbel Phil. XV, 130.
Teuffel Einl. zur Uebers. p. 51 (= Studien u. Char. p. 396 ff.) u. dgl.
Dagegen jedoch hier bekanntlich K. E. Hermann, der gerade das Zeug-
niss der Scholien als Häuptgrundlage der Textesgestaltung des Persius
betrachtete, vgl. Anal. p. 19, Ausg\ des Persius praef. p. 12.
48*
756
Zingerle.
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I
■
jj
8
Fulgentius sich bemerklich machen, 1 hier in diesem, nicht
mehr dem ,Cornutus‘ zugeschriebenen Theile sich wiederfinden,
woraus sich neue Anhaltspunkte dafür ergeben dürften, wie
sich bereits im 9. und 10. Jahrhundert 2 ein mehrfach schon
ganz bedeutend erweiterter Commentarzusatz zunächst beson
ders durch ausführlichere Ausschreibung anderer Schriften 3
herausgebildet hatte, woraus bereits in jenem 10. Jahrhundert
Manches in den Prag, und Voss, zwischen die ,Cornutus‘-
Scholien hinübergenommen wurde, wofür sich aber andererseits
doch wieder die ausdrückliche Scheidung vom ,Cornutus‘ bis
ins 15. Jahrhundert erhielt — eine Erscheinung, die für die
Beurtheilung und Aufklärung mancher Eigenthümlichkeiten
jener Hss. wohl nicht ohne Werth sein könnte.
Dass dann natürlich dieser Commentar in unserer jüngeren
Hs., wie nach den gegebenen Proben wohl auch schon im
Laur., sich noch mehr und mehr erweitert darstellt, ist leicht
erklärlich; doch ist auch das Diesbezügliche noch mehrfach
für die Entstehungs- und Erweiterungsgeschichte solcher Scho
lien instructiv und lässt bis zu den letzten Ausläufern des
Lächerlichen Anhaltspunkte für die Unterscheidung der Ent
wicklungsphasen durchblicken. So ist z. B. die hier eigen-
thümliche und nicht mehr aus Voss, und Prag, belegbare Be
merkung zu Sat. V, 185 mit ihrer Benützung der ovidischen
Ansicht über die Lemur, durchaus noch nicht ganz ungeschickt
und weist durch ihre Ausschreibung der diesbezüglichen Stellen
des Servius und Acro noch ganz auf die Methode ähnlicher,
auch schon im Prag, und Voss, vertretener Beispiele zurück,
ebenso die aus Acro genommene Zugabe zu Sat. V, 184; da-
1 Ueber gewisse derartige Berührungen auch im sogenannten Cornutus s.
Jahn p. CXXXII und gegen dessen Ansicht Herrn. Anal. p. 8 ft'. Jeden
falls sind dieselben nicht von der Art wie die hier in Rede stehenden,
viel ausführlicheren, und meist leicht von diesen zu unterscheiden.
2 Voss, könnte nach ICissel p. 10 selbst noch auf den Ausgang des 9. Jahr
hunderts zurückweisen (scriptus est nitidissime saec. X. uel IX. exeunte).
3 Denn dass es sich in diesen Fällen mehrfach um wirkliche Ausschreibung
handelt, kann ohnehin kaum mehr einem Zweifel unterliegen und dürfte
weiter auch dadurch bestätigt werden, dass unser Codex an solchen
Stellen, wo Voss, und Prag, einige Verwirrung der Anordnung zeigen,
auch noch letztere ganz gleich Serv. und Solin. erhalten hat.
-
Zu den Persius-Scholien.
757
gegen dürfte sich die dann wieder etwas spätere Zugabe zu
Sat. II, 42 (et in uulg. usu app. salsiciae) in unserer Hs.
(ähnlich wie im Ott.) schon durch die wörtliche Stimmung
mit Papias und J. a Jan. ziemlich verrathen u. dgl. Da auch
solche erweiterte Bemerkungen dann öfter neben anderen
an den Rand geschrieben wurden, so erklärt sich das frühe
Eindringen einzelner derselben selbst in sonst weniger mit
derartigem versetzte IIss. manchmal leicht, scheint sich
aber doch noch hie und da durch gewisse Anzeichen kund
zu geben.
Als derartiges Beispiel könnte vielleicht die oben be
sprochene Stelle hanc fabulam taugit cet. gelten, welche voll
ständig den Charakter jener stark erweiternden Zugaben trägt,
bedenklich gerne an falscher Stelle in den Vorbemerkungen
zum ,Cornutus‘ steht, während sie doch zum Pi-olog gehören
wüi’de, jedoch in dem, wie wir gesehen, mehrfach mit Aehn-
lichem versetzten Prag, und Voss, (in letzterem freilich auch
nur durch das übergeschriebene Lemma) der l'ichtigen Stelle
zugewiesen ei’scheint und in unserem Codex nur im zweiten
erweiterten Commentar an dieser Stelle sich findet — was
Alles dem Kenner den genannten Ursprixng nahe legen dürfte;
dabei aber doch auch in dem sonst nicht bx - eiten Mon. Thom.
und Vind. 2 (beide 11. Jahrhundert) 1 an die richtige Stelle
gerathen ist, was wohl auf die angegebene Weise der Ver
mischung in den Randbemerkungen älterer Exemplare zu er
klären sein dürfte.
Dagegen möchte ich Sat. I, 46 die Erklärung von rara
auis durch Beziehung auf den phoenix, die auch in unserem
Codex wirklich bei ,Gornutus‘ sich findet und die Schluss
bemerkung in dieser Fassung bietet: ,Et hoc prouerbialiter
dicit raram auem quam post longunx ternpus uidemus; et hoc
uerecunde Persius raro se commode dicit scribere, ceu phoenix
quae circa Indiae partes est et tai’de se ad uidendum hoxnini-
bus profert', 2 kaum einem zufälligen oder verhältnissmässig
späteren Eindringen in die unter dem Namen des ,Cornutus‘
1 Bern, steht sie zum Theil, wohl auch wieder bezeichnend, am Rande.
Kurz p. 2.
2 Vgl. mit dem letzten Theile Bern. Kurz p. 12.
758
Z ingerle.
gehende Sammlung- zuschreiben, so nahe dies auch auf den
ersten Blick liegen könnte und so sehr uus die auch aus dem
Alterthume belegbare Beziehung auf den schwarzen Schwan
und weissen Raben, wie sie Cod. Prag. 1 und das ,aliud
commentunp in unserer Hs. haben, gewiss besser gefällt.
Denn wenn wir bedenken, dass rara auis ein allgemeiner Aus
druck ist, der bei Horaz ebenso in anderem Zusammenhänge
auch für den Pfau erscheint (Sat. II, 2, 26), dann dass auch
der Phönix in der römischen Poesie besonders seit Ovid eine
so bedeutende Rolle spielt 2 und mehr und mehr mit fast ste
reotypen Ausdrücken, wie unica auis 3 u. dgl., bezeichnet wird,
so ist es wohl denkbar, dass, wenn auch nicht Persius selbst,
der den Ausdruck wohl allgemein sprichwörtlich nahm und
kaum an einen bestimmten Vogel dachte, doch bereits ein ver-
hältnissmässig alter Erklärer auf jenen Gedanken an den
Phönix kommen konnte, und jedenfalls ist es auffallend, dass
die andere Erklärung des Prag, in unserem Codex wieder in
dem durch Anderes genug charakterisirten, nicht mehr dem
Cornutus zugeschriebenen Commentar steht. 4
Kurz aufmerksam machen möchte ich dann auch noch
auf das durch diese Mittheilungen ein paarmal auch wieder
illustrirte Schwanken der Codices und Texte zwischen dem
Gebrauche des Präsens und des Präteritums an Stellen der
Scholien, wo es sich um Referate über Gebräuche des Alter
thums u. dgl. handelt; wenn da naheliegende Willkür der
Abschreiber manchmal ziemlich deutlich durchzublicken scheint,
so sieht man, wie auch hier gründliche Prüfung der Ueber-
lieferung- und grösste Vorsicht nöthig ist, wenn man aus Der-
1 Kvic. p. 13 und die Bern, praef. p. 3.
2 Vgl. z. B. besonders Martial und die Anthol. L. (Ind. p. 368 ed. Riese).
3 Vgl. meine Schrift Mart. Ovidst. p. 33 und dazu noch Carm. de phoen.
v. 31 (II, 189 Ries.).
4 Sollte hier vielleicht, da wir an solchen Stollen, wo Prag, mit unserem
zweiten Commentar stimmt, auch sonst schon sichtliche Benutzung von
Scholien zu anderen Schriftstellern getroffen, ein Einfluss von Scliol.
Juven. VI, 165, wo aber die ausdrückliche Beziehung auf den schwarzen
Schwan schon durch den Text des Dichters gegeben war, anzunehmen
sein? Einiges Sonstige über den Einfluss der Juven. Schob vgl. Kurz
p. IX.
Zu den Persius-Scholien.
759
artigem auf das grössere oder geringere Alter einer Bemerkung
schliessen will, wo nicht etwa noch andere Indicien, wie bei
einigen von Hermann 1 und Jahn 2 in dieser Beziehung be
sprochenen Stellen, noch hinzutreten.
Manches über solche anderweitige Indicien auch in
weiterer Beziehung für das Alter des Grundcomplexes sowohl,
wo sich bekanntlich die Ilermann’sche und Jahn’sche Ansicht
noch immer gegenüberstehen, 3 als für die zur Sichtung der
Ueberlieferung und Beurtheilung der Handschriften gewiss
noch immer interessante Unterscheidung bereits verhältniss-
mässig früher Erweiterungsphasen, 4 wie sich z. B. aus unserem
Codex auch Einiges für die Beurtheilung der Pi’ag. zu ergeben
schien, der mehrfach neben beachtenswerther, mit der besseren
Ueberlieferung stimmender Fassung des Grundstockes doch
auch ziemlich deutliche Anzeichen stärkerer Erweiterung wie
der Voss, aufweist, dürfte sich, wie man nach manchen Er
fahrungen nun wohl glauben dürfte, aus fortgesetzten, wenn
auch nur probeweisen Mittheilungen des Interessanteren vom
hier so reichen handschriftlichen Materiale noch mehr und
mehr ergeben. Gerade die Frage über das Alter des Grund
complexes dürfte dann erst mehr und allseitiger überzeugende
Fortschritte machen können als bisher, wo noch immer nur
ein Text vorliegt, der in einer so verwickelten Frage im
Grunde doch nur auf alten Drucken 5 und auf einer nicht etwa
nach durchgreifender Prüfung als die beste Quelle erkannten
Hs. beruht und Fehler bietet, bei denen man, gleichviel ob sie
der Hs. oder dem alten Drucke oder der Vermehrung im neuen
zuzuschreiben, von vorneherein auch in den nicht schlechtesten
1 Herrn. I, 17.
2 p. CXXX1V.
3 In neuester Zeit wieder mehr für die Hermann’sche. Kurz p. X.
4 Eine Verfolgung sichtlich erst späterer willkürlicher Erweiterungen oder
Zusammenziehungen hätte dagegen natürlich nicht viel Werth und hiesse
einer solchen Sache zu viel Ehre anthun; deshalb habe ich z. B. den
Ott. Zill-, der im Ganzen schon eine ziemlich freie Kürzung oder Ueber-
arbeitung zur Schau trägt, nur da kurz berührt, wo noch wörtliche
Stimmung mit Aelterem sich zeigt.
s Vgl. über Derartiges jetzt Bücheier Phil. Kritik p. 9.
7G0
Zingerle. Zn den Persius-Scholien.
Partien (vgl. z. B. in den von uns besprochenen Stellen I, 33;
II, 1) abgestossen und im Urtheile gehemmt war. 1
1 Die schon oben gelegentlich berührte, unläugbar etwas zu stiefmütterliche
Behandlung des Textes der Scholien in der sonst so verdienstvollen Per-
sins-Ausgabe Jahns erklärt sich leicht aus seinem allseitig sich zeigen
den geringen Interesse für dieselben, vgl. auch seine Aeusserung Zeitsch.
f. d. Alterth. 1844 p. 1107 und dazu Herrn. Anal. p. 4. Aber ist der
Text doch noch des Druckes werth, wie dies auch Jahn thatsächlich
zeigte, so verdient er auch jedenfalls aufmerksamere Behandlung.
Petödienig. Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coron. 761
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum
quatuor eoronatorum.
Von
Dr. Michael Petschenig,
Professor am k. k. zweiten Staatsgymnasium in Graz.
Seitdem W. Wattenbach die Aufmerksamkeit auf die
Legende von den fünf pannonischen Steinmetzen gelenkt hatte,
ist dieselbe der Gegenstand mannigfacher Untersuchungen,
besonders antiquarischer und historischer Art, gewesen. Nur
einem Punkte wurde nicht die gehörige Beachtung geschenkt,
obwohl derselbe für die Ermittelung des Alters und der Ent
stehungszeit der Legende von nicht geringerer Wichtigkeit ist,
als ihr archäologischer und geschichtlicher Inhalt; ich meine
die Sprache, das Latein ihres Verfassers. Zwar sind Büdinger
in seiner ,Oesterreichischen Geschichte 1 und Hunziker in den
,Untersuchungen zur Römischen Kaisergeschichte 1 auch auf
dieses Gebiet zu sprechen gekommen; aber da sie nur den
Zweck verfolgten, eine ursprüngliche griechische Abfassung der
Legende zu erweisen, zogen sie auch nur die hiefür in Betracht
kommenden vereinzelten Spracherscheinungen heran; eine Dar
stellung des ganzen Stoffes lag ihnen durchaus ferne. Dass ihr
Versuch, unsere Passio als Uebersetzung aus dem Griechischen
nachzuweisen, nicht gelungen ist, hat später Edmund Meyer
hervorgehoben. 1 Allein auch der von Meyer 2 allerdings mit der
nöthigen Vorsicht vorgebrachte Hinweis darauf, dass die Be
zeichnung des Kaisers durch rex (s. cap. 2 zu Anfang) unge-
1 Ueber die Passio sanctorum quatuor eoronatorum, in Forschungen zur
deutschen Geschichte 1 , 18. Band, S. 579—603.
762
Petschenig.
wohnlich sei, entbehrt alles Haltes. Schon die Scriptores hist.
Aug. bedienen sich häufig der Ausdrücke regnum, regius, regcilis,
regnare, regina statt Imperium u. s. w.; vgl. darüber Paucker,
De latinit. script. hist. Aug. p. 148. Und Hieronymus schreibt
geradezu (De uir. inl. cap. 89): Basilius.. sub rege Constantio
Macedonianae partis . . princeps fuit; nach ihm Victor von Vita,
wo er Roms Plünderung durch Geiserich erwähnt (I, 24):
exinde (Geisericus) reg um multorum diuitias cum populis cap-
tiuauit. Die Ansicht, dass die Passio aus dem Griechischen
übersetzt sei, ist also endgiltig ahzuweisen. Ist sie aber ur
sprünglich lateinisch niedergeschrieben, so wird sich aus einer
eingehenden Betrachtung ihres sprachlichen Charakters um so
leichter und sicherer ein Schluss auf die Abfassungszeit ziehen
lassen, da der Verfasser, unbehindert durch den Zwang, welchen
ihm eine fremde Sprache auferlegt hätte, sich frei in dem ihm
geläufigen Stil und Ausdruck bewegen konnte. Eine wesent
liche Förderung erhält die Untersuchung dadurch, dass wir uns
nun an eine weit ältere und bessere handschriftliche Ueber-
lieferung des Textes anschliessen können, als dies Wattenbach
noch in seiner zweiten Recension möglich war. Die Passio steht
nämlich auch in der Berner Handschrift Nr. 48 aus dem zehnten
Jahrhundert. Dieser Codex, welcher ehemals der berühmten
Benediktiner-Abtei Fleury angehört hatte, bietet einen im Grossen
und Ganzen mit den jüngeren Handschriften übereinstimmen
den, im Einzelnen aber vielfach und vortheilhaft abweichenden
Text. Bevor ich demnach an eine Besprechung der allen Hand
schriften gemeinsamen sprachlichen Erscheinungen gehen kann,
wird es nöthig sein, die Abweichungen des Bernensis (B) anzu
führen und ihre Bedeutung für die Kritik des Textes festzustellen.
Zu diesem Zwecke lasse ich zunächst die Varianten der Hand
schrift folgen, welche mit Wattenbach’s zweiter Recension (abge
druckt in Büdinger’s ,Untersuchungen zur Römischen Kaiser
geschichte', III. Band, S. 324—338) verglichen wurde; auf diese
beziehen sich auch die Seiten- und Zeilenzahlen. Kleinigkeiten,
wie e für ae und oe oder umgekehrt, bleiben unerwähnt.
Cod. Bernensis 48 fol. 77 b , col. 2 (minio): INCIPIT PASSIO
sanctorvmh'hcoronatorvm SIMPRONIANI • CLAV-
DII • NICOSTRATI • CASTORII • SIMPLICII ■ QVAE EST ///
VI//TO ID////////
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coronatorum.
763
pag. 324. 1 diocletianus (semper) 3 autem om. 4 inbutos
5 sympronianum (sic unclecies, simpronianum decies quinquies)
6 quadratoria (o corr. in am. 2) 7 quicquid operabantur artis
8 nostri om. 9 quadam 10 simulachrum (semper) 15 sculturae.
pag. 325. 4 intentio 5 sympronius, sed an s. 1. m. 1 ut
uid. — fide 7 discipulis 8 symplicio (sic saepe) 12 solis om.
14 partes 16 simulachrum deauratum et 17 unguentis 19 ut om.
20 porphiretico (semper) 21 incidi 23 per om. 24 peritia ///
(m eras.) — collumnarum.
pag. 326. 1 Uli haec 2 uenientes 7 quaecumque —
quadam 9 tibi ferramentum tuum confringitur — autem om.
12 sculturam 15 ferramenta sua 18 argumenta eras. et acu-
rnina s. 1. addit. m. 2 19 non ita 22 confortatus est — respondit
29 nos per sculturam artis fecimus et ipse.
pag. 327. 1 nihil 3 sympronius 7 mitteret — manum
om. — confringeba//hir (n eras.) — dixit ad sanctum sym
pronianum 12 simplicius dicens. Nescio quam praecationem
occulte agitis. Sed 14 praecationem — ut ecmea (sed ec mutat.
in et m. 2) — fruamini 17 sum 18 dicemus — sed om.
23 tardare nolite 24 nobiscum, sed corr. m. 1 — sim unanimis
— in ante religione om.
pag. 328. 2 relegatum, sed e corr. in i m. 1 ut uid. 6 sim-
plitio 7 cirillum 11 et ante respondentes om. 15 uidisti fili
16 lacrimis dicens 17 iubet, sed t delet. et s s. 1. addit. m. 2
— crudelitatem m. 1, corr. m. 2 21 credo quia in ueritate
ipse est uerus deus 22 catecumino, e in i mutat. m. 2 26 herba •
canitas 28 orabant ex orabantur — christi pro crucis 29 uidens
eos 31 crucis] christi — opera, a in e corr. m. 2.
pag. 329. 1 maice 2 quod om. — ad quam credulitatem
— ipsum pro illud 3 respondens (ens punctis delet. et it supra
script. in. 1) claudius dicens ei 6 philosophus dicens ei 8 tantum
— post, sed te s. 1. addit. m. 2 10 nostri delet. et mei supra
script. m. 1 15 docuit magister gentium paulus 20 dixit
24 nobis om.
pag. 330. 1 cum alis (m. 1, cum aliis m. 2) et herbar
cantaris 5 columnas cum capitellis foliatis ut 9 designarunt
11 et om. 12 colirium 13 cotidie 19 quasi — eis om.
20 columnam aliam 24 sculpantes factura.
764
Petschenig.
pag. 331. 4 uestri et 5 incideretur — omamentum om.
6 est 8 peritia om. 12 uictoriam 14 asclepium 16 optulerunt
17 laetatus 23 gentium multitudinem similitudine /// (rn eras.)
25 uero om.
pag. 332. 3 quicquid — fuerat, sed a delet. et i supra
script. m. 1 8 oboediunt 9 habere — dei] et 10 dicletianus
11 isti uiri 12 dixit claudio // Imperator 13 quo — dilexerit
14 pio] quo 15 oboeditis■, s s. 1. addit. m. 2 17 oboedimus —
uestrae. quae sequuntur et seruiuimus claritati tuae desunt in
codice 20 cofidunt, sed n s. 1. m. 2 23 superbo sermone locuntur
24 periti lj (a eras.) 25 dicentes 26 seruiant praeceptis pietatis
uestrae — nos om.
pag. 333. 1 secundum praeceptum pietatis uestrae 2 in
om. 3 peritia om. — Pphilosophi 4 se, sed corr. m. 1 10 in
om. — praecepto 11 oboeditis 16 quadratorios 17 proconisso
22 sculturae.
pag. 334. 1 oboedier, sed int s. 1. m. 2 — subgestionis
4 iuxta examinationem — quos 7 parari tribunal 12 et ante
simpronianum delet. 14 quadratarii, sed o supra script. m. 1
ut uid. 17 clamabant — adhuc terminata 19 caesari, s addit.
m. 2 27 iussit lampadius 28 inito 30 dicentes principi 31 per
magnum deum solem.
pag. 335. 1 oboedierint 6 ait 11 iusserunt nobis piissimi
imperatores 14 ait 16 speramus ■—- ad lucem om. 17 lux
clarior quam 20 inluminat 24 princeps noster 28 tantam
curam debet habere 29 ojfendat.
pag. 336. 9 praeconia, sed a ex - as. et s s. 1. addit. m. 2,
item uers. 20 15 non nos /// pauescimus (fuisse uidetur expa-
uescimus 21 contempnere 22 demonio 28 uetogatus.
pag. 337. 1 adsidebat 2 in om. 3 fluuium 5 martyres
pro nomine domini passi sunt sub 6 id 8 sirmas — niclio-
demus 10 syrme, sed e in a corr. m. 2 12 edißcare 14 in-
praecomas 16 seu om. — turificandum 17 copelleret 18 sacri-
jicandum 19 quidem cornicularii 20 hoc, sed o in i corr.
m. 1 26 etiam om. — iac //jj uerunt ibi (m. 1 iactauerunt ?)
27 uenit om.
pag. 338. 1 et om. — corpora eorum et 3 Contigit
autem ut post duos annos nomina eorum reperiri non possent-
Tune beatus Melciades episcopus iussit ut VI id nouembris sub
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coronatorum.
765
novrina et rel. 9 (litt, maior.) amen, explicit passio sanctorum
martyrum symproniani • claudii • nicostrati ■ castorii ■ et simplieii
et aliorum martyrum.
Unter den zahlreichen Varianten der Berner Handschrift
ist zunächst die Schreibung sim(sym-)pronianus bemerkens
wert. Schon der Chronograph vom Jahre 354 hat die Namens
form Semproniani. 1 Dass Simpronianus nichts Anderes ist als
die vulgäre Nebenform von Sempronianus, lässt sich leicht
erweisen. Schuchardt führt in seinem Werke ,Der Voca-
lismus des Vulgärlateins', I. Band, S. 340, die Formen Sim-
proniae und Simpronia aus zwei Inschriften an und fährt dann
S. 341 fort: ,Diese Schreibung wurde später ganz allgemein;
Simpronius wird ein Bischof von Arcavica im 7. Jahrh. n. Chr.
genannt; Sympronianus ist die regelmässige Schreibweise in
den Briefen des S. Pacianus; Simproniana Ortsname in einer
spanischen Urkunde von 780 n. Chr.; Sinprinianum in einer
sehr späten Inschrift von Anagnia. Der mons Sempronianus
heisst heute Simplon. 1 Was Schuchardt hier bemerkt, ist im
Ganzen richtig; einer Correctur bedarf nur das über die Hand
schriften des Pacianus Gesagte. Der Reginensis 331 saec. X
des Pacianus schreibt nämlich simpronianus, nicht sympronianus;
vgl. Reifferscheid, Bibi. patr. lat. ital. I, S. 391. Somit ist als
die richtige Namensform in der Passio Simpronianus herzu
stellen, 2 und ebenso nach B überall Diocletianus für Diocli-
tianus zu schreiben.
S. 324, 1 ff. Der Anfang der Passio lautet nach B:
Tempore quo Diocletianus Augustus perrexit Pannoniis ad metalla
diuersa sua praesentia de montibus abscidenda, factum est, dum
omnes artifices metallicos congregaret, inuenit int er eos magnae
peritiae artis inbutos ltomines. Bei Wattenbach steht nach
’ Vgl. Biidinger, Chronologische Bemerkungen, S. 359.
2 Auch De Rossi (I santi quattro coronati e la loro chiesa sul Celio, ßulle-
tino di archeologia crist. 1879, fase. II, p. 33) bemerkt: Sempronianus,
Simpronianus e la vera forma del nome. — Die vortreffliche Abhandlung
des berühmten Archäologen, die ich kurz vor dem Drucke dieses Auf
satzes kennen lernte, bietet zu vielen streitigen Punkten ein reiches Mate
rial und zeigt unsere Passio in ganz neuer und vortheilhafter Beleuchtung.
De Rossi stellt auch eine Textausgabe auf umfassender handschriftlicher
Grundlage in Aussicht.
766
Petsclienig.
abscidenda ein Punkt und nach factum est wird mit zwei Hand
schriften autem eingeschoben. Die Fassung des Bernensis wird
man als die unzweifelhaft richtige erkennen, wenn man folgende
Bibelstellen in Betracht zieht: Vulgat. Luc. 2, 1: factum est autem
in diebus illis, exiit edictum a Caesare Augusto; 6, 1: factum
est autem in sabbato secundo primo, cum transiret per sata, uelle-
bant discipuli eius spicas; 14, 1: et factum est, cum intranet
lesus in domum cuiusdam principis Pharisaeorum sabbato mandu-
care panem; et ipsi obseruabant eum. Vgl. Matth. 11, 1; 19, 1;
26, 1; Luc. 9, 57; 11, 1; 20, 1. Die Zeitbestimmung tempore quo
Diocietianus Augustus perrexit Pannoniis gehört also zu factum
est, und an dieses schliesst sich anstatt eines Satzes mit ut die
parataktische Construction inuenit inter eos et rel. — S. 324, 9
liest B quadam die, ebenso S. 326, 7 quadam uero die. Damit
stimmt, dass auch 325, 1 alle Handschriften quadam die und
327, 1 eadem die bieten, und dass die späte Latinität über
haupt mit Vorliebe dies als Femininum gebraucht; vgl. Vict.
Vit. histor. persec. Afric. provinc. (ed. Halm) I, 2; II, 33,
41, 73; III, 2, 6, 28.
S. 325, 4 liest man bei Wattenbach contentio, B bietet in-
tentio. intentio in dem Sinne von ,Streit', also gleichbedeutend
mit contentio, ist zunächst mittelalterlich und findet sich sehr
oft in den Leges Langobardorum (vgl. z. B. Edict. Rothar.
172, 366, 379, 388), wird aber auch schon von Schriftstellern
des sechsten Jahrhunderts gebraucht. So liest man bei Iordanis
(ed. Closs) cap. 33: ne inter ipsos de regni ambitione esset
intentio. In den Excerpt. Vales. §. 65 bietet der Meermannia-
nus saec. IX: eodem tempore intentio orta est in urbe Roma
inter Symmachum et Laurentium; Gardthausen hat nach dem
erst gegen Ende des zwölften Jahrhunderts geschriebenen Pala-
tinus mit Unrecht contentio in den Text aufgenommen. —
S. 325, 14 ibidem in parte Pannoniae praecepit aedificare
templum. Dass hier pars nicht die Bedeutung von ,Theil‘,
sondern von ,Land, Landschaft' habe, scheint mir nicht zweifel
haft. Der Ausdruck in parte könnte, die erstere Bedeutung
vorausgesetzt, nur den Theil im Gegensätze zum Ganzen be
zeichnen, so dass also gesagt wäre, Diocletian habe nur in
einem Theile, nicht im ganzen Pannonien einen Tempel bauen
wollen. Wollte aber der Verfasser nur angeben, dass dies
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coronatorum.
767
irgendwo in Pannonien geschah, so durfte quadam nicht fehlen.
in parte Pannoniae ist also gleichbedeutend mit in Pannonia.
— pars in dem Sinne von ,Land‘ findet sich bei Victor von
Vita I, 15: Senatorum atque honoratorum multitudinem primo
exilio crudeli contriuit, postea transmarina in parte proiecit;
d. h. er verwies sie über das Meer in’s Ausland. Doch ist der
Singular in dieser Bedeutung selten, häufiger der Plural. Vict.
Vit. II, 24: nostri episcopi in partibus Thraciae et aliis regio-
nibus constituti. II, 41: transmarinarum omnium partium. Dem
nach dürfte auch an unserer Stelle mit B und zwei jüngeren
Handschriften in partes zu schreiben sein. Die Verwechselung
der Casus bei in ist im vierten und fünften Jahrhundert schon
ziemlich häufig; ich brauche nur auf Ilalm’s Index IV zu Victor
Vitensis, sowie auf die Sammlung bei Rönsch, Itala und Vul
gata, 2. Aufl., S. 406 f. und 410 f., zu verweisen. Auch die
Passio selbst bietet weitere Beispiele: 329, 23 crediderunt in
uerbis seu doctrinis beati Simproniani; 331, 27 iussit omnia
in campo afferri; 334, 27 iussit eos retrudi in custodia publica;
337, 11 iussit in termas Traianas templum Asclepii aedificari.
Ferner gehört 327, 6 hieher, wo mit B zu lesen ist: Simplicius
uero quicquid in arte milderet, ilico confringebatur, statt des
unverständlichen quicquid in arte misisset manum jüngerer
Handschriften. Wie hier die Phrase ,ferramentum mittere in
arte‘ gebraucht erscheint, so steht 328, 27 ähnlich in qua hora
autem mittebant manus suas ad opera. — S. 325, 16 f. ibidem
constituit et posuit simidacrum et deaurauit. B liest richtiger:
posuit simulachrum deauratum, da das Standbild doch wohl
früher vergoldet und dann erst aufgestellt wurde, nicht umge
kehrt. 1 — S. 325, 19 ff. liest Wattenbach: praecepit ut colum-
nas 2 uel capitella columnarum ab artificibus inciderentur,
B dagegen: praecepit columnas . . . incidi. Der Accus, c. Inf.
nach praecipio ist seit dem silbernen Zeitalter ganz gewöhn
lich, Beispiele unnöthig.
S. 326, 2. Durch das von B gebotene uenientes für
uenientibus wird die Stelle grammatisch correcter: uenientes
autem ad montem . . . coeperunt incidere lapidem. Man erwartet
1 Siehe auch Benndorf, Archäolog. Bemerkungen, S. 347.
2 Wohl Druckfehler für columnue.
768
Petschenig.
allerdings cum uenissent, aber in der späten Latinität wird
das attributive Participium praesentis überaus häufig auch zur
Bezeichnung der Vorzeitigkeit verwendet. Vgl. z. B. Vict.
Vit. III, 32: quia ueniens Carthaginem sese pro defensione
ecclesiarum catholicarum uenisse iactabat; noch auffallender
I, 2, wo es absolut steht: transiens igitur quantitas uniuersa
calliditate Geiserici ducis, ilico statuit (Geisericus) omnern midti-
tudinem immerari. — S. 326, 18 quia numquam frangebantur
argumenta ferramentorum suorum. Gemeint kann nur die Schneide
der Meissei und anderer Werkzeuge sein, deren sich die Stein
metzen bedienen; aber der Ausdruck argumenta ist räthsel-
haft. Die Schreibung acumina, wie sie die zweite Hand des
Bernensis bietet, liefert eine dem Sinne nach richtige Correc-
tur, und die Entstehung von arguihta aus acumina ist auch
paläographisch nicht unwahrscheinlich. Indessen ist auch die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass ursprünglich acumenta
überliefert war; man vergleiche die vielen Bildungen auf men-
tum = men bei ßönsch S. 22 ff. Eine sichere Entscheidung
kann um so weniger getroffen werden, da argumenta sich
vielleicht aus dem italienischen argomenti ,Werkzeuge, Geräthe'
erklären lassen wird. -— Ob S. 326, 22 confortatus est statt
confortauit richtig ist, bleibt gleichfalls fraglich. Ich begnüge
mich, auf die zahlreichen Beispiele des Uebei’ganges aus dem
Activum in das Deponens, welche Rönsch S. 302 f. aus der
Itala anführt, zu verweisen.
S. 327, 12 ff. An dieser Stelle ist der Text von B vor
trefflich, eben so einfach als klar und verständlich: Respondit
Simplicius dicens: ,Nescio quam precationem occulte agitis. Sed
quaeso uos declarate mihi hanc precationem dei uestri, ut et rnea
uobiscum fruamini amicitia/ Die precatio, welche die Genossen
des Simplicius im Geheimen üben, ist die mehrfach betonte
Anrufung des Namens Christi; dieses Gebet will Simplicius
kennen lernen und so von seinen Genossen ganz in ihre
Freundschaft aufgenommen werden. — S. 327, 17 steht in
indirecter Frage in B der Indicativ operatus sum. Damit
vgl. man 326, 25 nesciens quid loqueris, 327, 8 ut dicas mihi,
quis est iste deus. Der Gebrauch des Indicativs in indirecten
Fragesätzen ist im späten Latein überaus häufig, namentlich
auch in der Itala; vgl. Rönsch S. 428 f.
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coronatorum.
769
S. 328, 17 ist wieder in B richtig überliefert et quo-
modo iubesj denn Simplicius spricht mit dem Bischöfe Cyrillus,
nicht mit seinen Genossen. Ebenso ist mit B S. 328, 22 zu
lesen et facto eo secundum ecclesiasticam consuetudinem cate-
cumino, statt catecuminum.
S. 329, 2. Statt per illud liest B mit drei jüngeren
Handschriften per ipsum. Genau so erscheint ipse für idem
und is an folgenden zwei Stellen gebraucht: 337, 7 in ipsis
autem diebus ambulauit Diocletianus exinde ad Syrme; 337, 20
hi compellebantur ad sacrificandum, sed ipsi reluctantes. Im
gleichen Sinne gebraucht es Victor von Vita nicht selten; vgl.
I, 19: referam factum, quod ipso gestum est tempore; I, 43:
ipso autem Geisericus praeceperat tempore. — S. 329, 3. Die
erste Hand von B liest respondens Claudius dicens ei, B 2 da
gegen respondit Claudius dicens ei. — dicens ei statt des et
dixit der jüngeren Handschriften ist unbedingt richtig, da
dieses Participium neben respondens überaus häufig gebraucht
wird. Vgl. 326, 22 und 24; 327, 10; 329, 17; 331, 2; 332,
1, 7 und 21; 334, 3, 21, 22, 30; 335, 18; 336, 5, 11, 15
und 21. Darnach müssen drei weitere Stellen nach B ge
ändert werden, nämlich 327, 12 respondit Simplicius dicens,
328, 16 respondit Simplicius cum lacrimis dicens, 329, 6
respondit pliilosoplius dicens ei. Ferner bleibt es zum Min
desten fraglich, ob das ursprüngliche respondens mit .Recht zir
respondit geändert ist. Denn wir treffen Aehnliches nicht bloss
in der Passio. selbst, wie 328, 4 ff. ad quem uenientes noctu
Simpronianus, Claudius, Nicostratus et Castorius una cum Simpli-
cio; quem inuenerunt in catenis constrictum, 332, 25 ad quem
philosophi dicent.es (so B, dixerunt die jüngeren), sondern das
Participium Praesentis erscheint auch bei Schriftstellern des
fünften und sechsten Jahrhunderts als Stellvertreter eines Ver
bum finitum. Vict. Vit. I, 50: discedens midier cum filiis re-
futata, confortatur Saturus ad coronam; II, 6: exultans
multitudo catholica sub barbara dominatione de ordinatione ponti-
ficis reparati. nam maximus iuuenum numerus . . . adtestabatur,
quod numquam uidisset episcopum in throno sedentem; II, 24 :
cremantes graui suspendio at.que ingentia pondera pedibus conli-
gantes, lamminasque fern ignitas dorso, uentri, mamillis et
lateribus adponebant. Höchst auffallend ist dieser Gebrauch
Sitzungsfcer. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 49
770
Petsclienig.
bei dem sogenannten Anonymus Valesii, welcher unter Anderem
folgenden Satz bietet (§. 88): rediens igitur rex Raueimam,
tractans non nt dei amicus sed legi eins inimicus, immemor
factus omnis eins beneficii et gratiae, quam ei dederat, confidens
, m brachio suo, item credens quod eum pertimesceret lustinus
Imperator mittens et euocans Rauennam Iohannem sedis
apostolicae praesulem et dicit ad eum.
S. 330, 1. Die schwierige und in den jüngeren Hand
schriften ganz verderbt überlieferte Stelle lautet nach B: per
fecta est conca porphiretica cum alis (aliis m. 2) et herbacan-
taris. Ueber alis (von alal) weiss ich keine Auskunft zu
geben, aber herbacantaris weist deutlich auf ein ursprüngliches
lierba ac cantaris hin. Nach S. 327, 5 fingen die Steinmetzen
an cauare concas et lacus cum sigillis et cantaris, d. h. Bassins
mit Bildwerk und Röhren (Speiern). Mit herba dürften viel
leicht Blattornamente bezeichnet sein. — S. 330, 5 ist ohne-
weiters mit B zu schreiben uolo mihi fieri columnas cum capiteüis
foliatis.
S. 331, 6 liest B mit einer jüngeren Handschrift 'et
multa opera clara facta est, ein Graecismus, der durch die
Bibelübersetzungen in die spätlateinische Volkssprache einge
drungen ist. Rönsch führt S. 435 nebst anderen fünf Beispiele
für die Setzung des Verbalsingulars beim Plural opera aus
Bibelcodices an. Man vergleiche ferner 327, 10 f. placitum
est in sensu et in uisu oculorum tuorum quae nos facimus mit
folgenden Stellen bei Rönsch (a. a. 0.): si enim liaec ita habet
— ne forte et mihi haec eueniat.
S. 332, 13 f. liest B vortrefflich: scitis quo ajfectu et
gratia uos dilexerit mansuetudo nostra et quo amore uos fouerim.
S. 333, 2 et inueniuntur uiri doctiores liorum huius artis
(so S; bei Wattenbach in huius artis peritia'). Der Genetivus
relationis bei doctus erscheint schon in der Prosa des silbernen
Zeitalters; demnach ist der Text von B sicher der ursprüng
liche. Der comparative Genetiv horum aber erklärt sich aus
der Sprache der Itala; vgl. Rönsch S. 435 f.
S. 334, 16 liest B uidens autem Lampadius tribunus quia
inuidiose clamabant artifices, die jüngeren Handschriften cla-
marent. Aber quia = 2vi erscheint sonst überall in der Passio
mit dem Indicativ verbunden; vgl. 326, 24 und 28; 328, 21;
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctornm quatuor coronatorura.
77 L
329, 4 und 20; 332, 2 und 7; 333, 14. — S. 334, 28 f. tune
iussit Lampadius eos retrudi in custodia publica, post dies uero
nouern inuento (inito B) silentio renuntiauit gestum Diocletiano
Augusto. Ueber diese Stelle bemerkt De Rossi a. a. 0. S. 12,
Anm. 1 Folgendes: ,La fräse inuento silentio significa, ottenuta
l’udienza del principe. Nell’ aula bizantina le pubbliche con-
cioni ed i concistori degli imperatori furono chiamate silentia 1 ;
ferner verweist er auf Du Cange. Dieser erklärt silentium
durch Conference und conuentus. Wenn demnach dieses Wort in
späterer, namentlich in der byzantinischen Zeit eine berathende
Versammlung, einen Rath (etwa ,Staatsrath £ , aber auch von
kirchlichen Versammlungen gebraucht) bezeichnet, so kann
inuento silentio schwerlich heissen: ,nachdem er eine Audienz
erlangt hatte 1 '. Nehmen wir hingegen die Lesart von B inito
silentio, so erhalten wir den vortrefflichen Sinn: ,nach neun
Tagen fand eine Berathung statt, bei welcher Lampadius die
Sache dem Kaiser vortrug', inire silentium ist gesagt wie
consilium inire.
S. 335, 28. Der Text bei Wattenbach: piissimus pnnceps
tantum debet curam habere hominum ut deum coeli non offendant
ist widersinnig. Als ob der heidnische Kaiser nur dafür zu
sorgen hätte, dass seine Unterthanen den Gott der Christen
nicht beleidigen! B und jüngere Handschriften lesen richtiger
tantam curam debet habere hominum ut deum caeli non offendat;
d. h. auch der Kaiser darf in seiner Liebe und Sorge für die
Menschen und vornehmlich für die cidtores deorum nur so
weit gehen, dass er den Gott des Himmels nicht beleidigt,
dadurch nämlich, dass er die Christen zur Götterverehrung
zwingt.
S. 337, 3 liest B mit drei jüngeren Handschriften rich
tiger : praecipitari iussit in fluuium, statt in fluuio.
Das bisher Erörterte genügt, um den Wert von B
gegenüber den jüngeren Handschriften klarzustellen. Eine
grosse Anzahl von Wortumstellungen, von kleinen Erweite
rungen und grösseren oder geringeren Kürzungen, •welche B
allein bietet, wurde absichtlich übergangen, obwohl sie bei
einer Neugestaltung des Textes nicht ausser Acht gelassen
werden dürfen. Denn diese Handschrift ist offenbar aus einer
sehr guten alten Quelle geflossen.
49*
772
Pets clienig.
Es erübrigt nun noch, jene sprachlichen Eigentümlich
keiten, welche B und den jüngeren Handschriften gemeinsam
sind, insoweit der Betrachtung zu ixnterziehen, als sich aus
denselben Anhaltspunkte für die Bestimmung der Entstehungs
zeit des gegenwärtig vorliegenden Textes darbieten. Die tech
nischen Ausdrücke, welche schon von Benndorf 1 mit grosser
Vollständigkeit erläutert worden sind, übergehe ich. Dass die
selben nicht mittelalterlich, sondern antik sind und von einer
grossen Sachkenntnis des Verfassers der Passio Zeugnis geben,
ist noch von Niemandem bezweifelt worden. Eben so wenig
verdient Alles, was dem specifisch christlichen und kirch
lichen Wortschätze angehört, für unseren Zweck eine Berück
sichtigung, da derlei Ausdrücke der gesammten christlich
lateinischen Literatur gemeinsam sind.
I. Lexikalisches. S. 324, 2 ad metalla diuersa . . de
montibus abscidenda. diuersus ist hier in abgeschwächter, dem
classischen Latein fremder Bedeutung gebraucht, unserem
,mannigfach' oder verschieden' entsprechend und synonym mit
uarius; ebenso 330, 24 sculpentes facturas diuersi operis und
335, 1 diuersis et exquisitis poenis eos consumam. In dem
selben Sinne erscheint es oft bei Victor von Vita, z. B. II, 15
diuersis poenis et incendiis trucidauit. — 324, 3 dum omnes
artißces metallicos congregaret. dum für das temporale cum,
erscheint ausserdem noch, entweder mit dem Coni. Imperf.
oder dem Coni. Plusquamperf. verbunden, 326, 11; 327, 1;
331, 28; 337, 4. Ueber diesen im vierten und fünften Jahr
hunderte schon ganz gewöhnlichen Gebrauch siehe ,Wiener
Studien' 1880, S. 257, und Halm’s Iudex IV zu Victor Vitensis
unter ,dum‘. — 324, 9 uentum est autem quadam die imperante
Diocletiano Augusto, ut simulacrum Solds sculperent. Ebenso
steht uentum est für euenit bei Vict. Vit. I, 31: at ubi uentum
est ut cubiculi adirentur secreta silentia. — 324, 10 simidacrum
Solls . . . cum omni argumento, currum et equos uel omnia ex
hoc lapide sculperent; 325, 20 columnas uel capitella columnarum.
uel für et gebrauchen Victor von Vita (vgl. Halm’s Index),
Dracontius (vgl. Duhn’s Index zu den carmina minora) und
zum Theil auch schon die Scriptores hist. Aug., endlich Cassio-
1 In Büdinger’s ,Unters, z. Rom. Kaisergesch. 4 III. Bd., S. 339—356.
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coronatorum.
773
dorius; vgl. Rönsch S. 345. — 325, 19 nimio amore captus ;
ähnlich 331, 29 nimio amore und 336, 26 nimio furore plenus.
nimius für rnagnus, nimis für ualde kommen im Spätlatein häufig
vor; vgl. Rönsch S. 342 und Halm’s Index zu Victor Vitensis
unter ,nimius 1 und ,nimium‘. — 326, 17 coepit inquirere a Sim-
proniano, quod esset genus temperamenti. inquirere = quaerere
findet sich mit derselben Construction bei Vict. Vit. II, 51:
rapitur Felix, inquiritur ab eo quid factum sit; inquisitio für
quaestio gebraucht Cassianus Coli. XXII, 2: hoc enim, ni fallor,
inquisitio uestra comqlexa est, cur . . . titillemur. — 326, 21
deus . . . ipse facturam suam confortauit. Wie hier, so erscheint
factura in dem Sinne von ,Geschöpf, Werk' noch an zwei
anderen Stellen: 330, 24 sculpentes facturus diuersi operis,
334, 23 numquam adoramus facturam manuum nostrarum. Vgl.
Vict. Vit. II, 69; Rönsch S. 329. — 328, 15 uidisti uirtutem
in operatione uestra; 329, 13 uere in ipsius signo et uirtute
omnia opera manuum nostrarum facimus; 331, 10 per uirtu
tem deorum. An diesen drei Stellen hat uirtus die Bedeutung
von ms, potentia, o6vajj.cc, und so erscheint es häufig bei Kirchen
schriftstellern gebraucht, namentlich um die göttliche Macht zu
bezeichnen. Vgl. Vict. Vit. II, 71: qui enim splendor lucis
est, idem et dei patris uirtus est; II, 77: uirtute potentiae suae
continens creaturam; II, 78: ne autem flatus in spiritu reputetur,
caelestis in eo uirtutis plenitudinem demonstrauit. — 328, 17 ut
ostendam credulitatem meam. credulitas — fides, nicnq er
scheint zweimal bei Victor von Vita; II, 50: adtendens quoque
Eugenius in uerecundam credulitatem; II, 75: haec fides plena,
haec nostra credulitas est. — 329, 24 dixerunt ad alterutrum
(= alter ad alterum, "npsc a/ikrfkcuc). Ueber das Adverbium
alterutrum, welches in der Itala und Vulgata und bei Kirchen
vätern sehr häufig vorkommt, vergleiche man meine Bemerkun
gen in den Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch., phil.-hist. CL,
XCin. Band, S. 360 f. — 331, 1 hoc uidentes philosophi
suggestionem dederunt Diocletiano Augusto; 331, 26 dederunt
suggestionem; 331, 30 suggestionem dederunt. Das Sub
stantiv suggestio, welches so viel als suasio oder consilium be
deutet, findet sich neben suggerenda, ae und dem Verbum
suggerere sehr oft bei, Victor von Vita und war demnach im
fünften Jahrhundert schon sehr gebräuchlich. — 331, 20 deum
774
Petschenig.
Asclepium cunctarum sanitatum. Ueber sanitates — iä|j.axa
vgl. Rönsch S. 274. — 332, 5 si omnia opera eorum in nomine
Christi sui magnifica esse cognoscuntur. cognoscor in dem Sinne
von orfioc, sifj«, patet, apparet, findet sieb zweimal bei Victor von
Vita: II, 7 j III, 5. — 332, 6 non est crudele sed magis gloriosum.
magis für potius steht auch noch 332, 24 non execrentur periti
artifices sed magis consolentur. Nicht selten ist magis auch bei
Cyprianus und Victor von Vita in diesem Sinne verwendet,
worüber man Hartel’s und Halm’s Indices vergleichen möge. —
332, 24 non execrentur periti artifices sed magis consolentur.
Das Activum consolare ist von Rönsch S. 300 durch zwei Bei
spiele nachgewiesen worden. Weit häufiger ist consolari mit
passiver Bedeutung, namentlich in der Itala, gebraucht; s. Rönsch
S. 388. Hinsichtlich der Bedeutung ;helfen, fördern, unter
stützen', welche das Verbum hier unzweifelhaft hat, vergleiche
man, was Hartei in den Wiener Studien (2. Jahrg. 1880, S. 239)
über solacium — auxilium bemerkt hat, ferner Vict. Vit. I, 17:
amissis iam ecclesiis et rebus occurrere uisi sunt supplicantes, ut
ad consolandum populum dei saltem habitandi facultas . . . conce-
deretur. — 333, 13 nos ipsos non confundimus ut rei in-
ueniamur in conspectu eins. Ueber confundere — atcyjivsiv, be
schämen, schänden', vgl. die Beispielsammlung bei Rönsch
S. 354 f. — 335, 25 princeps tantum gratus est Omnibus homi-
nibus. tantum für tarn habe ich in den Sitzungsber. d. k. Akad.,
phil.-hist. CI., XCIII. Band, S. 357 f. bei den Script, hist.
Aug. und bei Fulgentius nachgewiesen. — 336, 19 tribunus
iussit eos statim expoliari et scorpionibus mactari. Ueber ex-
poliare — nudare, uestibus exuere vgl. Rönsch S. 365 und Vict.
Vit. III, -22: ipsam primo nisi sunt fustibus expoliatam aptare.
II. In Hinsicht auf die Formenlehre bietet die Passio
wenig Auffallendes. Ich verzeichne den Nominativ Io uis (326,
23 numquid deus Iouis ipse non fecit omnia), welcher nicht bloss
archaisch ist, sondern auch bei späten Schriftstellern und auf
den Münzen der Kaiser häufig vorkommt (vgl. Kühner, Ausf. lat.
Gramm. I, S. 182), und das Futurum perlet (334, 30 si lü
euaserint, periet cultura deorum), eine im Spätlatein ganz ge
wöhnliche Form. Ueber das oft gebrauchte piissimus vgl.
Rönsch S. 279, über transiuit (337, 4) ebendort S. 289 f.
— Desto häufiger finden sich
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coronatorum.
775
III. Syntaktische Eigentümlichkeiten. A. Ge
brauch der Casus. Sicher ist der Genetiv bei doctus 333, 2,
zweifelhaft bei den Verben delector (331, 8 uere delector horum
hominum nach B) und imbuo (324, 4 magnae peritiae artis
vmbutos). Einmal steht der Genetiv, wo man de erwartet: 324,
13 coeperunt artis liuius (— de hac arte) delimare sermonem.
Aehnlich drückt sich Victor von Vita aus; II, 41: pro disputa-
tione fidei ueniatur; II, 42: nos disputationem legis nullatenus
declinare. — Mit dem Dativ findet sich iubeo verbunden: 334, 2
inssit cuidam tribuno Lampadio eos audire; 334, 19 iussit Lam-
padius tribunus Simproniano; 335, 11 quod iusserunt nobis
piissimi imperatores. — Der Aceusativ nach quaeso (327, 13
quaeso uos) ist archaisch, nach supplico (327, 20 supplico uos)
spätlateinisch. — Der Ablativ sua praesentia (324, 2), wo man
in erwartet, findet sich ebenso bei Victor von Vita; II, 3:
praesentia eius; III, 32: cuius praesentia. Desgleichen ist der
temporale Ablativ statt des Accusativs oder der Praeposition
per (337, 26 corpora iacuerunt ibi diebus quinque) im Spätlatein
häufig genug. — B. Adiectiv und Pronomen. Das Adiectiv
steht zweimal für den Genetiv des Substantivs: 336, 9 und
20 sub uoce praeconia. Dieser Gebrauch ist dem Victor von
Vita sehr geläufig. Vgl. III, 20: nauibus dominicis; III, 50:
auctoritate uxoria increpatus. — Demonstrativ statt des Possessivs:
331, 24 fecerunt omnia secundum consuetudinem eonm (= suam).
Umgekehrt ist 333, 26 das Reflexiv statt des Demonstrativs
gesetzt: eos sacrilegos Christianos esse et per incantationupi carmina
omne genus humanum sibi humiliari. Auch hiefür finden sich
Beispiele bei Victor von Vita; II, 48: suggerit cuidam diacono,
ut eum (— se) episcopo nuntiaret; I, 15: ecclesiam nomine Resti-
tutam suae religioni mancipauit atque uniuersas, quae intra muros
fuerant ciuitatis, cum suis (— earum) diuitiis abstulit. — Höchst
auffallend ist 329, 4 ff. hoc signum quod aliquando fuit ad cru-
delitatem, nunc autem ad uitam perducit aeternam, maxime autem
eos qui credunt in eum. Bei eum kann man nicht an deum
oder Christum denken, sondern man ist genöthigt, das Demon
strativ auf signum zu beziehen. Dies als Masculinum zu fassen
(vgl. Rönsch S. 266), verbietet natürlich die Form und das
dabeistehende lioc. Demnach bleibt nichts übrig, als anzu
nehmen, das Masculinum eum stehe für das Neutrum. Genau
7715
Petschenig.
derselbe Fall findet sich bei Eönsch S. 277 in einem aus dem
Codex Fuldensis des Neuen Testaments gezogenen Beispiele:
atriurn quod est foris tenvplum eice foras et ne metieris eum. —
C. Praepositionen. 337, 7 ambulauit ad Syrme. — Sehr oft
und in mannigfacher Bedeutung wird in verwendet, zunächst
um eine Beziehung oder Hinsicht auf etwas auszudrücken, wie
324, 6 mirificos in arte quadrataria, 327, 24 ut uobiscum sim.
unanimis in arte et religione. — Ferner steht in statt des instru
mentalen Ablativs: 328, 6 quem inuenerunt in catenis constrictum;
vgl. Rönsch S. 396. — Statt des temporalen Ablativs: 336, 21
in eadem autem hora, 337, 7 in ipsis autem diebus. Vgl. Vict.
Vit. I, 47 in illa liora. — Statt cum: 331, 16 optulerunt opera
sua in diuersis ornamentis sigillorum; vgl. Rönsch S. 397. —
Statt des temporalen Ablativs findet sich auch sub: 337, 5 passi
sunt sub die VI. Id. Nouembris. Vgl. Vict. Vit. II, 39 data
sub die tertio decimo Kalendas Iunias; III, 14 data sub die VI.
Kal. Mart. — sub steht auch für cum: 334, 3 sub moderatione
uerborum eos audire. Nicht unähnlich ist 336, 9 iussit eos sub
uoce praeconia introduci. Vgl. Vict. Vit. III, 36: sub festinatione
ueredi mittuntur; Iordan. Get. cap. 36: sub nimia crudelitate;
cap. 37: proelium sub trepidatione committit. — Zu der Anti-
ptosis sub nomina (338, 5) vgl. Rönsch S. 412. — D. Verbum.
Reflexiv statt des Passivs: 337, 4 affli xit se et transiuit ad
dominum; Beispiele bei Rönsch S. 432. — Consecutio temporum:
334, 10 ut clarescat si uera accusatio esset; 338, 5 iussit ut
recolatur. Vgl. Vict. Vit. II, 53: ne forte postmodum Arriani
dicerent, quod eos nostrorum oppresserit multitudo; III, 24: in
sua domo maluit sepelire, ut alienam se afilio numquam esse con-
fidat. — Praesens statt des Futurums: 330, 20 et hanc columnam
aliam operamur sicut et priorem. Vgl. Vict. Vit. II, 4, 5, 43, 44 j
III, 17. — Indicativ in indirecter Frage: 326, 25 nesciens quid
loqueris; 327, 8 dicas mihi quis est iste deus; 327, 16 cognouistis
qualiter e uobis operatus sum; 328, 10 uide si ex toto corde credis.
— ut nach iubeo: 327, 2 iussit Diocletianus ut facerent ei con-
cas cauari; ebenso 328, 17; 334, 10; 335, 3; 337, 15 und 23;
338, 5. Vgl. Rönsch S. 427. — Accus, mit dem Inf. nach
facere: 327, 2 iussit Diocletianus id facerent ei concas cauari.
In dieser Verbindung hat facere den Sinn von bewerkstelligen,
zu Stande bringen'; vgl. Vict. Vit. III, 3, 6, 11, 31. —
Zur Kritik und Würdigung der Passio sanctorum quatuor coronatorum.
777
Absolutes Particip im Nominativ: 329, 21 haec autem inter se
altercantes, multi ex artificibus quadratariis audientes eos credi-
derunt. Ueber diese spätlateinische Construction vergleiche man
Halm’s Index zu Victor von Vita und meine Bemerkungen
in den Sitzungsber. d. Akad., phil.-hist. CL, XCIII. Band,
S. 371 ff. — Absoluter Ablativ anstatt des attributiven Parti-
cipiums: 328, 22 facto eo secundum ecclesiasticam consuetu-
dinem catecumino baptizauit eum; 336, 11 quibus intromissis sic
eos adgreditur dicens. Vict. Vit. I, 9: congregatis in circuitu
castrorum innumerabilibus turbis, gladiis feralibus cruciabant.
Vgl. Rönsch S. 450. -— E. In rein stilistischer Hinsicht
fallen dem Leser zunächst wohl die vielen Unterwürfigkeits
formeln auf, deren sich die Untergebenen dem Kaiser gegen
über bedienen; z. B. 331, 3 magnum consilium praecepti uestri
et mansuetudinis; 332, 2 sciat mansuetudo tua. Es bedarf
nur eines Hinweises auf die Titulaturen in den Sammlungen
der kaiserlichen Gesetze und Verordnungen, wie im Codex
Theodosianus, um das echte Gepräge dieser Wendungen sofort
erkennen zu lassen. Sonst wären noch die zahlreichen Pleonas
men bemerkenswert, welche zumeist eine vulgäre Sprechweise
verrathen; vgl. 326, 28 nescis quia et Solem quem nos per sculptu-
ram artis fecimus et ipse. nihil est; 328, 15 modo tantum
fideliter crede (wo man modo schwerlich = nunc fassen kann).
Viermal ist coepisse pleonastisch gesetzt: 324, 13 coeperunt artis
huius delimare sermonem, d. i. delimauerunt; 325, 16 coepit
in eodem loco sacrificiis et unguentis et odoribus laetari, d. i. lae-
tatus est; vgl. 326, 14; 328, 1. Dieselbe Verwendung von
coepisse findet sich häufig bei Victor von Vita; vgl. I, 18; II,
1, 5, 19, 20, 32, 54; III, 35, 55. Dem Bibellatein entnommen
ist desiderio desideraui 327, 19; vgl. Vulgata Luc. 22, 15.
Die vorstehenden Erörterungen umfassen weitaus den
grössten Theil dessen, was die Passio an sprachlichen Eigen-
thümlichkeiten darbietet. Der übrig bleibende geringe Rest
kann zur Feststellung der Abfassungszeit nichts beitragen und
repräsentirt nur die Summe dessen, was der Individualität
ihres Verfassers zu Gute gehalten werden muss. Jeder Schrift
steller hat gewisse Besonderheiten des Stiles und der Sprache,
die sich bei keinem anderen wiederfinden; er hat deren viel
leicht um so mehr, je niedriger sein Bildungsgrad ist. Wenn
778
Petselienig.
wir demnach berechtigt sind, die wenigen und zum Theile
ganz unverfänglichen 1 Besonderheiten, welche uns sonst noch
in der Passio begegnen, der rustidtas ihres unbekannten
Verfassers, zum Theile vielleicht auch Textverderbnissen zuzu
schreiben, so wird das Resultat, welches sich aus der von uns
angestellten Prüfung mit Notwendigkeit ergibt, bedeutend an
Sicherheit gewinnen. Dieses Resultat aber ist: Bei weitem
die meisten sprachlichen Eigen thümlichkeiten der
Passio finden sich bei Schriftstellern des fünften und
sechsten Jahrhunderts und in der Itala wieder; eine
sichere Spur, welche auf eine spätere Zeit hinweisen
würde, ist nicht zu finden. Die Abfassung des Textes
der Passio, w T ie er uns gegenwärtig vorliegt, ist daher
mindestens in das sechste, mit mehr Wahrscheinlich
keit aber in das fünfte Jahrhundert zu versetzen. Die
Passio ist keine Fälschung des Mittelalters; wie sie
in archäologischer und historischer Beziehung einen
Kern von echten Aufzeichnungen enthält, so weist auch
ihr Latein unwiderleglich darauf hin, dass ihr Ver
fasser, wenn er nicht ein Zeitgenosse der von ihm
dargestellten Begebenheiten war, ihnen doch nahe
genug gestanden haben muss, um uns nach mündlicher
Ueberlieferung oder nach schriftlichen Aufzeichnun
gen die Kunde von localen Zuständen und Lebens
verhältnissen in einer römischen Provinz zu Anfang
des vierten Jahrhunderts zu überliefern, deren That-
sächlichkeit aus dem trüben Strome legendenhafter
O
Darstellung deutlich genug hervorschimmert.
1 Dazu rechne ich Ausdrücke wie 331, 3 omator saeculi, 332, 10 Asclepii
ostendere f— facere) imaginem.
Zur Kritik und Würdigung der Paesio sanctorum quatuor coronatorum.
779
Der bequemeren Uebersicht halber lasse ich ein alpha
betisches Verzeichnis des behandelten Stoffes folgen.
Seite
Ablativ der Zeit anstatt des Accu-
sativs 775
Absoluter Ablativ anstatt des at
tributiven Participiums. . . 777
Absoluter Nominativ —
Accusativ mit dem Infinitiv nach
praecipere 767
— nach facere 776
Adiectiv für den Genetiv eines
Substantivums 775
alterutrum, Adverb 773
Anakoluthon nach factum est . 766
Antiptosis bei in 767
— bei sub 776
coepisse steht pleonastisch . . . 777
cognoscor = oip.o's etp.i . . . .774
confundere = atoyruveiv .... —
Consecutio temporum . . . .776
consolari = adiuuari . . . .774
creduliias = fides, tzIozis . . .773
Demonstrativ statt des Possessivs 775
desiderio desideraui 777
die* als Femininum 766
Diocletianus, nicht Dioclitianus . 765
diuersu* = tiarius 772
doctus mit dem Genetiv . . . 770
dum — cum 772
eum = id 775
expoliare = uestibus exuere .• .774
factura '. .773
Genetivus comparationis . . . 770
— für de 775
in statt des instrumentalen Ablativs 776
— statt des temporalen Ablativs —
in für cum —
Indicativ in indirecter Frage . . —
inquirere = quaerere .... 773
Seite
intentio = contentio 766
Iouis, Nominativ 774
ipse für idem und i* .... 769
iubeo mit dem Dativ . . . .775
— mit folgendem ut .... 776
magis = potius 774
nimius = magnus 773
pars = terra, regio 766
Participium praesentis zur Be
zeichnung der Vorzeitigkeit 768
— statt des verbum finitum . .769
perlet = peribit 774
piissimus —
Praesens statt des Futurums . .776
quaeso mit dem Accusativ . .775
quia mit dem Indicativ = oti . 770
| Keflexiv statt des Demonstrativs 775
Reflexiv des Verbums für das
Passiv 776
rex = imperator 762
sanitates = iaux-x 774
Silentium = consilium, conuentus 771
Simpronianus = Sempronianu* 765
Singular des Verbums bei neu
tralem Subject im Plural. . 770
sua praesentia anstatt in sua prae-
sentia 775
sub statt des temporalen Ablativs 776
— statt cum —
suggestio 773
supplicare mit dem Accusativ . 775
tantum = tarn 774
transiuit für transiit —
uel — et 772
uentum est = euenit —
uirtiis = ouvxix»; 773
XXV. SITZUNG VOM 17. NOVEMBEE 1880.
Durch Vermittlung des k. k. Botschaftsrathes Dr. Ladis
laus von Hengelmüller in London erhält die Akademie von
dem Herrn Herzog William von Devonshire den in be
schränkter Zahl gedruckten ,Catalogue of the library at Chats
worth', 4 Vol., zum Geschenk.
Für die akademische Bibliothek werden mit Begleit
schreiben eingesendet:
1. Von Herrn Dr. Jaraczewsky, Rabbiner in Schütten
hofen, seine Schriften: ,Die Geschichte der Juden in Erfurt,
1868' und ,Zur Geschichte der Hexenprocesse in Ei'furt und
Umgebung, 1876';
2. von Herrn Dr. S. Gelbhaus, Rabbiner in Karlstadt,
die Schrift: ,Rabbi Jehuda Hanassi und die Redaction der
Mischna, 1876'.
781
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie imperiale des Sciences de St.-Petersbourg: Memoires.TomeXXXIV,
No. 2. Tome XXXV, Nos. 1, 2. St.-Petersbourg, 1879; 8°. Tome XXXVI,
Nos. 1 et 2. St.-Petersbourg, 1880; 8°.
A kademie der Wissenschaften, königl. bair., zu München: Bericht der histo
rischen Commission über die XXI. Plenarversammlung. München, 1880; 4°.
Benedictiner-Orden: Wissenschaftliche Studien und Mittheilungen von
P. Maurus Kinter. II. und III. Heft. Brünn, 1880; 8°.
Bonn, Universität: Akademische Schriften pro 1$79. 51 Stücke 4° und 8°.
Gesellschaft, k. k. geographische, in Wien: Mittheilungen. Band XXIII
(N. F. XIII), Nr. 10. Wien, 1880; 8°.
— deutsche, für Natur- und Völkerkunde Ostasiens: Mittheilungen. Juni
und August 1880. Yokahama; 4°.
— für Geschichte und Alterthumskunde der Ostsee-Provinzen Russlands:
Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands.
Riga, 1880; 8».
Institut national genevois: Bulletin. Tome XXIII. Geneve, 1880; 8°.
— royal grand-ducal de Luxembourg: Publications de la Section historique.
Annee 1880. XXXIV. (XII.) Luxembourg; 8».
Instituto di Corrispondenza archeologica: Bulletino per 1’anno 1879. Roma,
1879; 8°. — Annali. Vol. LI. Roma, 1879; 80.
Istituto reale di studi superiori prat.ici e di perfezionamento in Firenze:
Publicazioni. Fascicolo 2° e 3°. Firenze, 1877/78; 8°. — Repertorio sinico
giapponese. Fascicolo III. mamoru-sentou. Firenze, 1877; 8°. — Intorno
ad alcuni luoghi delle Ifigenia in Aulide di Euripide di Girolamo
Vitelli. Firenze, 1877; 4°. —Del Papiro specialmente considerato come
materia che a servito alla scrittura; da Prof. Cesare Paoli. Firenze,
1878; 8°. — II Mito di Filottete nella letteratura classica e nell’arte
figurata; di Luigi Adriano Milani. Firenze, 1879; 8°. — LaRibellione
di Masacado e di Sumitomo testo giapponese; di Lodovico Nocen-
tini. Firenze, 1878; 8°.
Kasan, Universität: Sitzungsberichte und Denkschriften. 1879. Nr. 1—6.
Kasan; 8°.
Keller, Otto: Epilegomena zu Horaz. III. Theil. Leipzig, 1880; 8°.
Museum Francisco-Carolinum: XXXVIII. Bericht nebst der 32. Lieferung
der Beiträge zur Landeskunde von Oesterreich ob der Enns. Linz, 1880; 8°.
782
New South Wales: Report of the Council of educatiou upon the Con
dition of the Public scliools and of the certified denominational schools
for the year 1878. Sidney, 1879; 8°.
Societd littdraire, scientifique et artistique d'Apt: 2' Serie, Tome III. Bulletin
des ll me et 12 me Annees. (1874 et 1875.) Apt, 1880; 4°.
Society, the royal of Victoria: Transactions and Proceedings. Vol. XVI.
Melbourne, 1880; 8°.
— the royal geographical: Journal. Vol. XLIX. 1879. London; 8°. — Pro
ceedings and monthly Record of Geography. Vol. II, Nr. 11. November
1880. London, 1880; 8°.
ScbÖnbacli. Mittheilungen aus altdeutschen Handschriften. III.
783
Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften.
Von
Anton Schönbaoh.
Drittes Stück.
Neue Fragmente des Gedichtes über die Zerstörung von Accon.
Im Anfang November dieses Jahres übergab mir mein
Freund Professor Dr. Adolf Schauenstein das Fragment einer
Pergamenthandschrift, welches durch Dr. Bogensberger war
zu Strassburg in Kärnten von einem Buche abgelöst worden.
Das Blatt hatte als Einband dienen müssen und befand sich
über Rücken und Deckel geklebt, an den Rändern eingeschlagen.
Die Innenseite, durch Schauenstein bereits vom anhaftenden
Papier und Leim befreit, erwies sich als gut lesbar, die Aussen-
seite war durch den Gebrauch sehr hart beschädigt und ab
gerieben; erst nach Anwendung starker Reagentien gelang es,
einen Theil verständlich zu machen. Die Verwendung als Buch
deckel scheint jedoch nicht die erste gewesen zu sein, welcher
das Blatt unterzogen worden war. Denn über die Mitte der
Aussenseite hin ist folgendes zum Geringeren noch Erkennbare
geschrieben:
Nr. 3
Bstandpüech oder Sterb
ts Prothocoll
nst . . . erh. gl. Haubtm ....
darinnen alle Die be
so alda abgehaust ....
aufgezeichnet
Im Jar ....
1655 u. endet sich
1665.
784
Schönbach.
Darnach ist das Blatt schon vorher als Umschlag eines
Protokolles gebraucht worden, was die vorgeschrittene Zerstörung
noch besser erklärt.
Es ist der untere, zwei Drittel des Ganzen umfassende
Theil eines nach dem Lineal durchschnittenen Doppelblattes,
das mit abgesetzten Versen in zwei Spalten zu je 46—48
Zeilen beschrieben war. Die zweite Zeile jedes Reimpaares
ist eingerückt, ihr erster Buchstabe, obzwar ebenfalls Majuskel,
ist etwas kleiner als der die erste Zeile beginnende, beide sind
roth durchstrichen. Ebenso sind im Innern der Verse die Anfangs
buchstaben einzelner Worte (wie Soldan, Christen) roth durch
stächen; Abschnitte beginnen mit grossen rothen Initialen. Die
deutliche und schöne Schrift gehört in die ersten Decennien
des XIV. Jahrhunderts.
Das Erhaltene ist ein Stück des Gedichtes über die Zer
störung von Accon (1291), welches in einigen späten Hand
schriften des steirischen Reimchronisten eingeschaltet sich findet,
aber auch als selbstständige Dichtung an etlichen Orten über
liefert wurde. Vgl. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im
Mittelalter, 2. Auf!., S. 200. Ich habe die Fragmente nicht
gesehen, welche Th. v. Karajan im 65. Bande der Sitzungs
berichte S. 565—576 veröffentlicht hat, aber nach der dort
gegebenen Beschreibung derselben, auch aus Kärnten stam
menden, ist es mir wenig zweifelhaft, dass v. Karajans und die
neuen Fragmente derselben Handschrift angehörten. Noch
wegen eines anderen Umstandes.
Zwischen der 4. und 5. Spalte der neuen Fragmente
liegen etwa 370 Verse. Die Zahl ist nach den Abdrücken
von Pez, Script. Rer. Austr. III, 443 l! —446 b , oder Eccard, Corpus
Hist. Med. Aevi II. 1543—1548 gerechnet dieselbe. 46 bis
48 Zeilen für die Spalte angenommen, etwa 15 Verse für das
fehlende Drittel der Spalte 5 abgezogen, erübrigen 8 Spalten.
Dabei ist freilich noch ein kleiner Ueberschuss, aber der erklärt
sich dadurch, dass mehrmals (z. B. in den neuen Fragmenten
3, 15. 16. 4, 1., auch in v. Karajans Fragment vgl. Lambel,
Germania 17, 366 f.) zwei Verse in eine Zeile geschrieben
waren; vielleicht hatte auch unsere Handschrift wirklich ein
paar Verse mehr als die bekannte Ueberlieferung. 8 Spalten
geben ein Doppelblatt, welches also zwischen den beiden Blättern
Mittheilungen aus altdeutschen Handschriften. III.
785
unseres Doppelblattes gelegen war. Das Blatt, welches v. Karajan
publicirte, war das erste einer Lage und trug am unteren
Rande die Signatur ,XXVHP. Zwischen dem letzten Verse des
v. Karajan’schen Blattes und dem ersten der Spalte 1 unsers
Fragmentes fehlen 2250 Verse. Rechnet man den Anfang
unserer ersten Spalte etwa mit 14 Versen ab, so erübrigen
2236 Verse. Für die Spalte 46—48 Verse angenommen, füllt
diese Anzahl 48 Spalten = 12 Blätter, v. Karajan vermuthet,
die Handschrift sei in Quinternionen eingetheilt gewesen, wohl
mit Recht. Da sein Blatt das erste eines Quinternio ist, so sind für
diesen noch 9 Blätter = 36 Spalten erforderlich. Drei Blätter
brauchen wir für den Anfang des nächsten (XXIX.) Quinternios,
dessen viertes Blatt in unserm Fragmente theilweise erhalten
blieb: 9 -j- 3 = 12. Das alles stimmt vollkommen und die
Zusammengehörigkeit der Blätter scheint mir sicher. Einiger
massen gewinnt dabei wohl noch die andere Vermuthung
v. Karajans an Wahrscheinlichkeit, dass der 28. Lage auch
dieser alten Handschrift auf den ersten 27 Lagen das der Grösse
nach entsprechende Werk des steirischen Reimchronisten (wie
in ein paar Handschriften thatsächlich) vorangegangen sei; von
Sicherheit kann natürlich, wie schon Lorenz (a. a. 0. S. 200,
Anm.) hervorgehoben hat, nicht die Rede sein.
Der Werth des neuen Fundes liegt meines Erachtens
weniger in den bessei’en Lesarten, obschon einige vorhanden
sind, sondern mehr in der Beschaffenheit der sprachlichen Gestalt.
Das Stück ist uns durchaus in späten Handschriften überliefert,
v. Karajans Fragment und das neue stehen in Zeit und Ort
wohl dem Autor selbst ganz nahe. Die in beiden enthaltene
Lautbezeichnung und Formgebung wird daher bei der Recension
des Textes, den wir in den Monumenta Germanine bald erhalten
werden, sehr zu berücksichtigen sein.
Ich bringe das Fragment genau zum Abdruck; die Lücken
bezeichne ich nach der ungefähr anzunehmenden Zahl der
Buchstaben durch Punkte, Unsicheres durch cursive Lettern.
1 Pez, 442 a
Si soldn in allen gazzen.
1 nur die unteren Spitzen der Buchstaben sind sichtbar.
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 50
786
Schünbacb.
Ovf sten vnd predigen.
Swer sein sei erledigen.
5 Von allen sundn wolt.
Vnd swer den himelischn solt.
Von got wold enphahen.
Der solt des tags gaben.
Mit werlichn banden.
10 Kegn gots vianden.
Si tseten aucb ze wizzen.
Swes lebn da wurt v'slizzen.
Vnd in gots dienst sturb.
Daz er da mit erwurb.
15 Ze hant die ewign rw. 442 b
Zv zin berr zk.
Sprach in der stat männlich.
Nv warn oucb degenlich.
Die Christen perait.
20 Daz si warn vnuerzait.
Daz moht man da wol cbiesen.
Gewinnen vnd Verliesen.
Legten si allez ovf die wag.
Der des Sturmvanen phlag.
25 Der chert gerihts hin.
Da die haidn her in.
Durch die luchen riten.
Za hey wi da wart gestriten.
Ey sfzer got vn zart.
30 Pistu ie beswart.
Von den gseistlichen herren.
Die man in grSzn ern.
Datze Akers sah leben.
2 442 b
Heten siz gewest e.
Daz ir so vil wser da v'lörn.
Si hetenz e ver chorn.
2, 1 nur die unteren Spitzen der Buchstaben sind sichtbar.
Mitteilungen aus altdeutschen Handschriften. III.
5 Allen den wider driez.
Dem Soldan tun hiez.
Datz Akers der Cardinal.
Daz so eng wart daz wal.
Daz wart den Christen gut.
10 Ez wart ein see von plüt.
In der stat so groz.
Do manig' wart da lebns b . . z
Der wan dar inne ertranch.
Swer da Iebens wart so chra . . h.
15 Daz er von rosse viel nider.
Der cham nimmermer wi . . . .
Die weil di werlichn strite . .
Die phaffen des niht verm . . . n.
An ir gepet si sich legten.
20 Si manten vnd vlegten.
Got von himelreich.
Daz er sich gutleich.
Pedscht kegn den seinen.
Die sich töten vnd peinen.
25 Liezn durch seinen willen.
Si liezn sich des niht pevill . .
Wand ez in wol gezam.
Si trugn gots leichnam.
Fvr die chirchn her ovz.
30 Da di liaidn den Stro . .
Ileten mit den Christe . .
Swaz si glokken wist . . .
Die wtirdn alle ers 443 a
3 Von d e. 443 a
In dauh
Zv der erge.
Er p özer cherge.
5 Er ge n seinem mut.
Swes . . . hevt niht getut.
2, 6 etwas später, aber vielleicht von derselben Hand ist Den dem Anfang
der Zeile vorgesetzt.
50*
788
Schönliach.
10
15
20
25
30
Daz t ... an aber morgen.
Er wa . . es ane sorgen.
Daz d . . . nder ibt chsem.
Daz im . . . sichk bensem.
Dev st st werdn verlorn.
Der h erhorn.
Do daz t wart.
Do na . . . si die vart.
Zv der . . . t sedl . In de selbn wedl.
Daz de . amirat. Zogt ovz d's tat.
Grözn . . . dn er chös.
Wol cbunig er vl6s.
Die i . . . m sturm bert.
Sich erwert.
Vnd e irn leip.
Die weip.
Mit s
Daz bn da von.
Do ergn charnen.
Vnd . . . si ver namen.
Wie levt beten v'lorn.
Do baidn so zorn.
Daz an wurdn gram.
Do tacb cbam.
Do w at.
. ot . . dar innen . H6rt beginnen. 443 11
In der stat dev diet.
Do der soldan her ouz
Die nibt warn erstorbn.
Di warn nach verdorbn.
Von anderm vngemach.
Nv hört wa von d ch.
3, 22 es ist zweifelhaft, ob das zweite Wort mit t beginnt. 25 grosse rothe
Initiale. 32 nur ein Restcheu des ersten Buchstaben ist vorhanden.
4, 1 von beginnen nur die weissen Eindrücke der Buchstaben. 7 grosse
rothe Initiale.
Mittheilungen aus altdeutschen Handschriften. III.
789
Der toten haidn was ......
Die an des selbn tages zil.
10 Warn erstorbn.
Daz sev nach warn v'dorbn.
Von des ases waze.
Do gelobt man in daz.
Diern vnd cbinden . chnehte.
15 Die mohten gevehten.
Daz sev niht anders phisegen.
Swaz toter baidn da lsegn.
Daz si die zvgn inz mer.
Der soldan in seinem her.
20 Grözn schadn gewan.
Daz schvof prüder H'man.
Der bei . . . baidn was gewesn.
Den sah man zv sich
Wol zwaintzig prüder o r.
25 Den gab er ... . 1er.
Daz si sich wa at.
Mit haiden r
Ich wsen man die niht verre truch.
Wan d . . was mer denn genüch.
30 Des tags in der stat pelibn.
Niem an moht habn geschribn.
Geratet noch gezelt.
5 .... et nen sin. 446 11
Do dv den phaffen gseb.
Den gewalt vnd daz vrlseb.
Daz stete purg und lant.
5 Vndertsenig ierr hant.
gew . . . solde wesn.
Gsestleicher zvhte pesem.
. . t nv ze schorf worden.
Dv soldest in dem orden.
1, 26 das Verbum ist nicht zu lesen j ich glaube jedoch nicht, dass die
Form wapneten da stand, welche die andern Handschriften überliefern.
790
Schönbacli.
10 Die phiaffen habn lan.
Als sein sand peter began.
Daz wser hoher miete wert.
Waz woldestu daz swert.
Den phaffen zv der stöle gebn.
15 Die da mit nichts clivnne lehn.
Noch ze reht chvnnen walten.
Lazn vnd pehalten.
Als man mit dem sw't sol.
Daz chvnnen si niht wol.
20 Si habent ez ver gramaziert.
Vnd daz reich ver iert.
Maniger ern vnd gewalt. 447 a
Dev im vör was pezalt.
Constantin sich an.
25 Iletest du ze Latran.
Den pabst den salt . r lazn lesn.
Vnd den chaiser gewaltich wesn.
Als er vor deinen Zeiten was.
So wser vnser spiegl glas.
30 Ak . . . dev werde stat.
Niht verlorn so drat.
6 Mit listen gewunnen. 447 a
Do si von akers entr
Wie in des werd ein tail.
Dvrch der sele hail.
5 Hintze Rom werd gegebn.
Dar nach sah man sev strebn.
Daz aber dev phaffhait.
Durch den schadn der
In chainer arbait sei
10 Daz ist selten ges
Zv dehainem mal.
Idiet der Cardinal.
Seinen frum vermiten.
Vnd hiet nach ir alten sit . .
Mit dem Soldan.
Die prüder lazn vmb gan.
ait
15
Mittheilungen aus altdeutschen Handschriften. III.
791
So wser akers niht verdorbn.
Noch so manch mennsch erstorbn.
Als da laider geschach.
20 Lat ev den vngemach.
Pringen zv einem ende.
Do si mit werlicher he . . .
Des aller lest . . tag . .
Phlagn manigs slag . .
25 Vnd do si a . wolt
An den selbn
Wart prüder
Der manigen het er
Vnserm herrn got ze . . . .
30 Do die christe mvst
Fluchte'cA von den haiden.
7 vnd gesind. 447 ^
Die heten ouch so swind.
Vnd so lange gevohten.
Daz sev niht mer mohten.
5 Dehainer wer gphlegn.
Des mvsten si sich ovch pewegn.
Der grözn herschaft.
Ern vnd gvts chraft.
Der was da mer denn genuch.
10 Swaz ich sein noch ie gewüch.
Daz ist allez ein trovm.
Swer sein het gehabt gavm.
Die weil man vor dem vngemach
Akers in wirden sach.
15 Der mvst des mit mir iehn.
Er het nie gesehn.
So gröz ere vnd Reichtum.
Als der christenhait ze frum.
Vnd ovch got ze ern.
20 Da p n die herren.
Die da f. v ,vnd spat.
Die ehr . . tz traget an ir wat.
7, 13 der Keimpunkt fehlt.
792
Schönbach. Mittheilungen ans altdeutschen Handschriften. III.
Swartz rSt vnd weiz.
Ain . . gleich man mit vleiz.
25 Merc. wie im wser ze mut.
Do . r von ern vn von gut.
Mvste also schaidn.
Vn . . lazn den haidn.
8 Den prudern niht gewesn 447 b
Si hetn sich e lazn toten.
Vnd in ir plüte röten.
E si von den haidn.
5 Wsern geschaidn.
In sogetanen mazn.
Daz si in heten lazn.
So gar vmbehvt.
Ir ere vnd ir gut.
10 Sev lust baz zesterbn.
Der Soldan begund werbn
Daz man die prüder alle vieng.
So daz man ze sturm gieng.
An ir vest chlovs.
15 Ez warn newer drev hovs.
Dev si den haidn heten vor.
An dev selbn tor.
Hiez sturm der Soldam.
Die haidn trügn hin an.
20 Tsetschn vnd ander laiter hoh.
Do dev haidnschaft zoh.
Hin an durch stvrms willen.
Do liezn sich niht pevillen.
Die des woldn geniezn.
25 Daz si die höhmaister hiezn.
Daz ist ir oberister nam.
Die gepute bei der gehorsam.
Den prudern ze vliehen.
448 a
8, 11 der Reimpunkt fehlt.
XXVI. SITZUNG VOM 1. DECEMBER 1880.
Für die akademische Bibliothek werden vorgelegt:
1. ,Katalog der Bibliothek des Gabelsberger Stenographen-
Central-Vereines in Wien' von Herrn Josef Schiff;
2. ,Die tachygraphisclien Abkürzungen der griechischen
Handschriften' von Herrn Dr. Lehmann, eingesendet durch
das k. stenographische Institut in Dresden.
Herr Dr. Erasmus Schwab, Director des städtischen
Gymnasiums in Mariahilf, übermittelt mehrere Exemplare seines
,Nachrufes an Dr. Adolf Ficker'.
Der Obmann der Weisthümer-Commission legt den er
schienenen sechsten Band der Oesterreichischen Weisthümer:
,Steirische und Kärnthische Taidinge, herausgegeben von Fer
dinand Bischoff und Anton Schönbach' vor.
Von dem w. M. Herrn Dr. Pfizmaier wird eine für die
Denkschriften bestimmte Abhandlung: ,Die japanischen Werke
aus den Sammlungen der Häuser', überreicht.
Das w. M. Herr Professor Dr. Hartei legt eine Abhand
lung des Herrn Gymnasial-Director Dr. Franz Pauly in Graz
vor, welche ,Die handschriftliche Ueberlieferung des Salvianus'
betitelt ist und um deren Aufnahme in die Sitzungsberichte
ersucht wird.
Die Abhandlung wird der Kirchenväter-Commission über
wiesen.
794
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academy of Science of St. Louis: The Transactions. Vol. VI, Nr. 1.
St. Lonis, 1880; 8°.
Accademia delle Scienze dell’ Istituto di Bologna: Memorie. Ser. III,
Tomo X, Fascicoli 3° e 4°. Bologna, 1879/80; 4°.
Accademiei della Crusca: Voccabulario. V. Impressiono. Vol. IV, Fasci-
colo II. Firenze, 1880; Folio.
Akademie der Wissenschaften, königl. preussische, zu Berlin: Monats
bericht. August 1880. Berlin; 8°.
Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch für das
Jahr 1877. VII. Heft (II. Abtheilung). Wien, 1880; 8°. — Jahrbuch für
das Jahr 1878. II. Heft. Wien, 1880; 8“. — Ausweise für den aus
wärtigen Handel der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1879.
Wien, 18S0; gr. 4°. — Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr.
XX. Band, 2., 3. und 4. Heft. Wien, 1880; 8°. — Statistische Nach
richten von den österreichisch-ungarischen Eisenbahnen für das Betriebs
jahr 1877. Wien, 1880; Folio.
Freiburg im Breisgau, Universität: Akademische Schriften pro 1879/80.
39 Stücke 4° und 8°.
Gesellschaft, k. k. mährisch-schlesische, zur Beförderung des Ackerbaues,
der Natur- und Landeskunde: Schriften der historisch-statistischen Sec-
tion. XXIV. Band. Brünn, 1880 ; 8°.
Istituto reale lombardo di scienze e lettere: Rendiconti. Serie II, Vo
lume XII. Milano, Pisa, Napoli, 1879; 8°. — Memorie. Classe di lettere
e scienze morali e politiche. Vol. XIV, V della Serie III. Fascicolo I.
Milano, Pisa, Napoli, 1880; gr. 4°.
Karpathen-Verein, ungarischer: Biblioteca carpatica von Hugo Payer.
Iglo, 1880; 8°.
Mittheilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt von Dr. A. Peter
mann. XXVI. Band, 1880. XI. Gotha; 4«.
Muse es, public et Roumianzov ä Moscou. 1876 — 1878. Moscou, 1879; 8°.
Museo nacional de Mexico: Anales. Tomo I, Entrega 6* ed 7“. Mexico,
1879; Folio. Tomo II, Entrega 1“. Mexico, 1880; Folio.
Ossolinski’sehes National-Institut: Catalogus codicum manuscriptorum bi-
bliotbecae ossolinianae leopoliensis. Zeczyt I. Lwow, 1880; 8°. — Spra-
wozdanie z czynosci za rok 1879. We Lwowie, 1879; 8°. — Die polni
schen Ortsnamen der Provinzen Preussen und Pommern und ihre deutschen
Benennungen von Dr. Wojciech Ketrzynski. We Lwowie, 1879; 8".
Roth, R.: Das Büchergewerbe in Tübingen vom Jahre 1500 bis 1800. Rede,
gehalten zum Geburtsfest Sr. Majestät des Königs am 6. März 1880.
Tübingen, 1880; 8°.
Saldanha da Gama, Antonio de: Memoria historica e politiea sobre o
Commercio da Escravatura entregue no dia 2 de Novembro de 1816 go
Conde Capo d’Istria. Lisboa, 1880; 8°.
Verein für Hamburgische Geschichte: Mittheilungen. III. Jahrgang, 1880.
Nr. 7—9. Hamburg; 8°.
— militär-wissenschaftlicher, in Wien: Organ. XXL Band, 4. Hft. Wien, 1880; 8".
XXVII. SITZUNG VOM 9. DECEMBER 1880.
Die Stiftsbibliothek von St. Gallen spricht den Dank aus
für die Zuwendung einiger akademischer Publicationen.
Von dem w. M. Herrn Professor Dr. Jäger in Innsbruck
wird der mit Unterstützung der kais. Akademie der Wissen
schaften erschienene erste Band seines Werkes: ,Geschichte
der landständischen Verfassung Tirols' eingesendet.
Das c. M. Herr Professor Dr. H. Ritter von Zeissberg
legt im Manuscripte den ersten druckfertigen Band der Fort
setzung des Vivenot’schen Werkes: ,Quellen zur Geschichte
der Kaiserpolitik Oesterreichs während der französischen Re
volutionskriege 1790—1801' mit einem Promemoria vor.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. C. Ritter von Höfler in
Prag übersendet für die Sitzungsberichte Nr. IV der ,Abhand
lungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte: Die Epochen
der slavischen Geschichte bis zum Jahre 1526'.
796
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Academie imperiale des Sciences de St.-Petersbourg: Bulletin. Tome XXVI,
No. 3 et dernier. St.-Petersbourg, 1880; 4°.
Academy, the Wisconsin of Sciences, arts and letters: Transactions. Vol.
IV. 1876—1877. Madison, 1878; 8«.
Akademie, königl. vetenscaps: ÖfVersigt af Förhandlingar. 37. Arg, Nris.
1—4. Stockholm, 1880; 8°.
Biker, Julio Firmino Judice: Supplemento ä Collecfäo dos Tratados, Con-
ven^oes, Contratos e Actos publicos celebrados entre a Coröa de Portugal
e as mais potencias desde 1640. Tomo XIX e XXIV. Lisboa, 1880; 8°.
Bureau, k. statistisch-topographisches: Beschreibung des Oberamts Balingen.
Stuttgart, 1880; 8°.
De Linas, Charles: Bibliographie. Arras, 1880; 8°.
Gautier, Lucien: Grammaire arabe de C. P. Caspari. Examen critique.
Gand, 1880; 8«.
Gesellschaft, allgemeine, geschichtforschende der Schweiz: Quellen zur
Schweizer Geschichte. IV. Band. Basel, 1880; 8°.
Löwen (Louvain), Universität: Akademische Publicationen 1878 — 1879;
39 Stücke 4° und 8°. — Annuaire 1879. Louvain; 12°.
Müller, F. Max: The sacred books of the East. Vol. VI und IX. Oxford,
1880; 80.
Münster-Comite: Münster-Blätter von Friedr. Pressei. 2. Heft. Ulm,
1880; 4».
Museum-Verein, Vorarlberger in Bregenz: XIX. Rechenschaftsbericht über
den Vereinsjahrgang 1879. Bregenz, 4°.
Scuola, reale normale superiore di Pisa: Annali. Vol. V della Serie. Filosofia
e Filologia. Vol. III. Pisa, 1880; 8°.
Society, American oriental: Proceedings. October 1878 bis October 1879.
New Haven; 8°.
— Missouri historical: Publieations. Nr. 1—4. St. Louis; 8°.
Verein für siebenbürgische Landeskunde: Correspondenzblatt. III. Jahrgang.
Nr. 1—11. Hermannstadt; 8°. — Quellen zur Geschichte Siebenbürgens
aus sächsischen Archiven. I. Band. Hermannstadt, 1880; 8°.
Hofier. Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IY. /97
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen
Geschichte.
Von
Constantin R. von Höfler,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschafteu.
IV.
Die Epochen der slavisehen Geschichte bis zum Jahre 1526.
Vorrede.
Ich habe im Jahre 1878 ,die romanische Welt und ihr
Verhältniss zu den Reformideen des Mittelalters' herausgegeben.
Es war der erste Versuch, die Geschichte so vieler Völker
und Staaten unter einem einheitlichen Gesichtspunkte zu
sammenzufassen. Es war schwer, diesen ausfindig zu machen,
schwer die vielfach verschlungenen Fäden zu verfolgen, schwer
die Aehnlichkeiten, schwer die Verschiedenheiten darzulegen.
Aber der Versuch musste gemacht werden, und die Resultate
der Forschung waren insofern lohnend, als sie einen grossen
politischen Bau darstellten, und eine ungemeine Thätigkeit
auch auf anderen und höherstehenden Gebieten ergaben, als
blos auf dem nationalen oder politischen.
Was ich jetzt vorlege, ist ein Seitenstück zu der erwähn
ten Arbeit. Auch ein Versuch, aber ein viel schwierigerer als
der erste, da die Quellen zum grossen Theile nicht geordnet,
nicht gesichtet, nicht in Betreff ihrer Glaubwürdigkeit kritisch
untersucht sind. Dann ist die slavische Welt wohl ein ethno
graphischer und geographischer Begriff; sobald man sich aber
798
H öf le r.
um die Einheitsmomente umsieht, bestehen diese mehr in der
gemeinsamen Negation dessen, was bei anderen Nationen als
lehenvolles und constituirendes Moment hervortritt, als in
einer gemeinsamen oder auch nur analogen Thätigkeit. Endlich
hat die Bemühung, überall die orthodoxe Richtung im russi
schen Sinne des Wortes ausfindig zu machen, diese als die
allein berechtigte darzustellen, einer ruhigen und unparteiischen
Erörterung ungemein geschadet, und ebenso viel, kann man
sagen, der Widerwille der Slaven gegen Untersuchungen, die
ihre historische Thätigkeit im Widerspruche mit der Entwick
lung der Germanen und Romanen erscheinen lassen. Nirgends
ist ferner der Abschluss nach Aussen, die nationale Autarkie
grösser als hier und nirgends lodert das Feuer des Wider
willens gegen andere Völker unheimlicher empor als hei den
Slaven, die den Gegensatz gegen die Romäer im Osten, gegen
die Deutschen im Westen zum Inbegriff ihrer Geschichte
erhoben. Allein die Sache muss einmal, und sei es auch mit un
zulänglichen Mitteln, in Angriff genommen werden. Es handelt
sich darum, eine neue Bahn zu eröffnen. In dem Momente
unserer gegenwärtigen Geschichte, in welchem sich die Slaven
aufmachen, die Welt an sich zu reissen, an allen Orten und
Enden deutsche Sprache, deutsche Cultur zurückgewiesen wird,
die unerhörtesten Vorwürfe über die Deutschen an der Tages
ordnung sind, und eine allgemeine Apostasie derjenigen statt
findet, die ihre ganze Cultur dem Einflüsse deutscher Lehrer
und deutscher Wissenschaft verdanken, der Deutsche geradezu
als Feind bezeichnet wird, ist es eine unabweisbare Noth-
wendigkeit, sieh zu erkundigen, was denn die Slaven in jenen
Jahrhunderten ausgerichtet haben, die ihnen angehörten, und
in welchen sie sich nach allen ihnen möglichen Richtungen
entwickeln konnten, ungestört von Aussen ihre politischen und
nationalen Cirkel beschrieben?
Der Deutsche darf diese Frage nicht von sich weisen.
Er muss sich selbst damit beschäftigen. Es ist Pflicht, ihm
dazu die Mittel zu bereiten, die Bahn frei zu machen, und
eben deshalb wählte ich zur Untersuchung einen Gegenstand,
der noch niemals erörtert wurde und der eine ganz objeetive
Erörterung ermöglicht. Welche Stadien gibt es in Bezug auf
die Gesammtentwieklung der slavischen Völker? Treten diese
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
799
als ein Ganzes hervor? Worin besteht ihre constituirende
Thätigkeit? Was haben sie für die Welt, für das Ganze, für
die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft geleistet und
welchen Platz sich durch ihre Leiden wie durch ihre Kämpfe,
ihr nationales und politisches Ringen erstritten? Welches
Gesammtbild ergibt sich?
Ich glaube, dass man auf dem Wege einer Periodisirung
der slavischen Geschichte am ehesten zum Ziele kommt, diese
für die weltgeschichtliche Entwicklung so unendlich wichtigen
Fragen zu lösen: wenigstens wird man künftig nicht mehr an
ihnen vorübergehen dürfen. Tentasse licet.
§• 1-
Allgemeine Bemerkungen.
Der Versuch, die Geschichte slavischer Völker und Reiche
als ein Ganzes aufzufassen, mag von mehr als einer Seite als
abenteuerlich angesehen werden. Wo soll sich das Bindungs
mittel finden, da sich überall nur trennende Momente bemerk
bar machen, weder eine Gemeinsamkeit der Sprache, noch der
Schrift, nicht des Glaubens, nicht des Staates, nicht einmal
der Zeitrechnung, dieses gemeinsamen Poles der Civilisation und
des Verständnisses in täglichen Dingen, sich bis zum heutigen
Tage vorfindet ? Mit Recht kann von der deutschen Geschichte
gesagt werden, dass, wenn von den germanischen Stämmen
einige sich mit den celto-römischen amalgamirten, sie von der
deutschen Nation abfielen und Romanen wurden, dieses nur
einmal geschah, und die Vermischung mit anderen Völkern
ein Process war, welcher, von dem deutschen Standpunkte aus
betrachtet, als ein Nationalunglück erscheint, von einem höheren
Standpunkte aus gesehen, sich als eine der lebensvollsten
Entwicklungen der europäischen und allgemeinen Geschichte
herausstellt. Was aber bei den Deutschen nur einmal, somit
als Ausnahme zum Vorschein kommt, ist bei den Slaven Regel:
die Sklabinien der Balkanhalbinsel vermengen sich mit den
türkischen Bulgaren, die Anten mit den scandinavisehen Ross,
die in Griechenland eingewanderten slavischen Völker gehen
in den Romäern unter, die Croaten erhalten sich national,
800
II o fl e r.
verfallen aber dem magyarischen Königreiche, die Slovaken
verlieren nicht blos ihre Selbstständigkeit, sie hören auf ein
geschichtliches Volk zu sein und verfallen dem magyarischen
Adel; ■ die Wenden gehen politisch und national unter. Die
Lausitzerund Schlesier werden deutsch, Polen schwankt zwischen
dem Anschlüsse an das deutsche Reich, an Ungarn, an Böhmen,
an Litthauen hin und her; Böhmen aber erhält seine politische
Bestimmung, um mich des Ausdruckes Kaiser Karls IV. zu
bedienen, als nobile membrum imperii. Ja von Böhmen aus
wird selbst der Versuch gemacht, nachdem sich die Vereinigung
mit Polen und Ungarn gelöst, durch Incorporirung deutscher
Länder Mittelpunkt eines Neudeutschlands zu werden, und als
derselbe von Kaiser Karls IV. jüngerem Sohne, dem römischen
Könige Sigmund, am 30. April 1415 aufgegeben wird, als der
selbe nicht nur den Verband und die Unterthänigkeit der
Mark Brandenburg mit oder unter der Krone Böhmens löst,
sondern auch, die Mark dem Reiche zurückgebend, sie dem
Hohenzoller Friedrich verleiht, wird durch den Erben der
böhmischen Krone, wenn auch wider seinen Willen, die denk
würdigste Veränderung der neueren Geschichte Deutschlands
vorbereitet.
Sieht man auf die Jahrhunderte hin, in welchen es wohl
Slaven, aber keine slavische Geschichte gibt, so möchte man
glauben, die Slaven seien vor Allem für das Stillleben geboren
und ihre Geschichte bestehe eigentlich darin, Substrat für andere
Völker zu werden, sich mit anderen Elementen zu verbinden,
wenn es sein kann, diese durch ihre Masse zu bewältigen, sie
zu slavisiren.
Die deutsche Geschichte im engeren Sinne des Wortes ent
steht erst, als von allen deutschen Stämmen nur mehr Ostfranken,
Sachsen, Schwaben und Baiern übrig sind, die nun ein gemein
sames Königthum vereinigt. Gerade dasjenige, was die deutsche
Geschichte zur deutschen macht, fehlt somit der slavischen: der
politische Kern. Es ist eine schwere Probe, die das deutsche
Volk bestehen muss, als der Westen sich vom Osten des fränki
schen Reiches sprachlich und politisch trennt, die Vereinigung
der Nationen, die Karl I. geschaffen, unter Karl III. nur statt
findet , um wie in wirrer Flucht auseinanderzustäuben, die
Einheit der ersten fünf Kaiser sich löst, das karolingische
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
801
Kaiserthum untergeht, von 924—962 es kein Kaiserthum mehr
gibt — und dennoch ist es gerade diese Zeit, in welcher die
Fundamente zum deutschen Reiche, zur Vereinigung der
Kronen Deutschlands und Italiens gelegt wurden, endlich auch
das Kaiserthum als ein teutonisches begründet wird. Darin,
dass die Stämme der Rheinfranken, Schwaben, Baiern, Sachsen
und Lothringer, die letzten von so vielen, die seit Jahrhun
derten als deutsche Stämme Mitteleuropa erschüttert hatten,
noch die Kraft besassen, ein Reich auf beiden Seiten der Alpen,
ein Doppelkönigthum, ein Kaiserthum aufzurichten, liegt etwas
ganz Ausserordentliches, der wahre Charakter der deutschen
Geschichte, den Romanen wie den Slaven gegenüber.
Nun fehlt es aber auch der slavischen Geschichte nicht
am Kaiserthum. Im Gegentheile, sie hat daran eher Ueber-
fluss als Mangel. Ich lasse dahingestellt, ob man die älteren
bulgarischen Versuche, ein Kaiserthum der Bulgaren und der
Romäer zu begründen, der slavischen Geschichte zuwenden
darf, da die altbulgarische Dynastie des Boris doch sehr wenig
Slavisches an sich getragen haben mag; das neubulgarische
Reich der Aseniden, wenn diese auch selbst Rumänen waren,
mag seiner Ausdehnung und dem grösseren Theile seiner Be
wohner nach, obwohl selbst ein Doppelreich der Walachen und
Bulgaren, als ein slavisches und sein Kaiserthum ebenso an
gesehen werden. Aus diesem entsprang aber später selbst ein
doppeltes Kaiserthum, und als der Zeitgenosse Kaiser Karls IV.,
der serbische König Stephan Duschan sich 1346 als Kaiser
der Serben und Romäer ausrufen liess, gab es in der That
keinen Mangel mehr an slavischen Kaiserthümern. Ja es gab
damals, da Karl IV. erst 1355 Kaiser wurde, gar kein deut
sches Kaiserthum. Allein diese Kaisertümer hatten doch nur
einen Sinn, wenn sie sich an eine Kaiserstadt, an einen Ort
anschliessen konnten, mit welchem sich Kaisertraditionen, der
historische Begriff eines Kaisertums verband, wie das ro-
mäische an Constantinopel, das deutsche an Rom anknüpfte.
Ein Kaisertum von Trnowo, von Ypek oder Kastoria war
eben Alles, nur kein Kaisertum, und die Pluralität derselben
verlieh diesen vollends keinen Werth. Selbst das Kaisertum
von Constantinopel hat dadurch nicht an Bedeutung gewonnen,
dass ihm das von Trapezunt, von Salonichi, von Nicäa, von
Sitznngsber. d. pliil.-liist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 51
802
Höflei*.
Heraldeia gegenübergestellt wurde, so wenig als das deutsche
Königthum an Ansehen gewann, als es 1411 drei Könige gab,
oder das Papstthum, als dasselbe (1409—1415) die Welt in
drei Obedienzen theilte.
Aber auch in einer anderen und sehr wichtigen Beziehung
zeigt sich die Eigenthümlichkeit der slavischen Geschichte.
Gerade in dem Zeitalter der neulateinischen Literatur, die die
Schulen Karls des Grossen auf deutschem Boden zeitigten,
beginnt auf dem slavischen Boden die kirchliche Bewegung,
die der griechischen und lateinischen Liturgie gegenüber eine
slavische als gleichberechtigt einführen möchte. Man fragt sich
erstaunt, welche slavischen Kirchenväter Cyrill und Methud
vorangegangen, die ja selbst keine Slaven waren; welche Ver
dienste sich die slavischen Völker um die christliche Kirche
bereits erworben, dass sie mit Prätensionen auftraten, die den
Deutschen fremd waren, die auch jene irischen Apostel der
Deutschen nicht erhoben hatten, deren geistige Aussaat im
karolingischen Zeitalter so üppig emporschoss? Wohin man
mit der Einführung des nationalen Princips in die Allgemein
heit des Christenthums komme, hatte bereits die Geschichte
der Armenier, der Syrier, der Kopten hinlänglich bewiesen,
die sich nicht zu Trägern der kirchlichen Einheit, sondern des
Schismas gemacht hatten, der Herrschaft des Islams vor
gearbeitet hatten, dieser verfallen und in ihr politisch unter
gegangen waren. Zu den vielen trennenden Elementen der
Slaven gesellte sich durch Methud in seinem Bekehrungseifer
ein neues hinzu, der Kampf der lateinischen Kirche mit dem
slavischen Ritus, der bereits in Mähren ausbrach und zur Ver
treibung der Schüler Methud’s führte, allmälig die Westslaven
von den Süd- und Ostslaven trennte und bewirkte, dass auch
das Institut, welches bei Deutschen und Romanen die grösste
Einheit repräsentirte, die Staaten geistig verband: die Kirche,
unter den Slaven zum trennenden Elemente wurde. Der eine
Theil von ihnen schloss sich an Rom, der andere an die
griechische Kirche an, welche selbst bald dem Schisma verfiel;
und zwischen diesen beiden grossen Complexen schwankte,
seit Methud’s Schüler 886 nach Bulgarien ausgewandert, die
bulgarisch-slavische Kirche hin und her, ohne in ihrer geisti
gen Entwicklung sich je mit einer von beiden messen, noch
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
803
die befruchtenden Elemente, welche namentlich die lateinische
Kirche mit ihrer auch das weltliche Gebiet durchdringenden
Organisation besass, ihren Völkern mittheilen zu können. Ja
im Gegentheile, diese südslavische Welt verzettelte eine un
geheure Kraft und eine lange kostbare Zeit in fruchtlosem
Ringen nach Erreichung unnahbarer Ziele, und ob die slavi-
sclie Liturgie daher nicht mehr dem Schisma als der Einheit
diente, diese Frage dürfte kaum mehr eine Controverse her-
vorrufen. Die Einheit der Slaven hat sie sicher nicht ge
fördert.
Die Sache ist von nicht gewöhnlicher Bedeutung. Wenn,
wie von so vielen Seiten behauptet wird, jede Opposition
gegen die Kirche, gegen das Christenthum zumal als das
eigentliche Licht betrachtet werden soll, das die Finsterniss
erleuchtete, so haben die slavischen Völker zweimal dazu den
Impuls gegeben. Das erste Mal unter Bogumil, dessen Lehre
als die der Patarener, der Katharer, in das Abendland drang,
das eine verworrene Kenntniss von einem Papste in Bulgarien
besass, sowie dass im Jahre 1244 in Bosnien, oder wie man
lächerlicher Weise behauptete, in Böhmen ein Gegenpapst ge
wähltworden sei. Es war das dualistische Princip der Manichäer,
und nur die Aussenseite war christlich, da die Bogumilen mit
christlichen Ausdrücken, Begriffen oder Lehrmeinungen spielten,
um Andere zu täuschen, auf ihre Seite zu ziehen und sich selbst,
wo es Noth that, zu bergen. Die Anhänger der Secte, denen
der Betrug geläufig war und bei aller äusseren Strenge die
wahre Ethik nicht innewohnte, entwickelten eine unerhörte
Kühnheit, Verschlagenheit und Energie und brachten selbst auf
romanischem Grund und Boden Bewegungen hervor, die nur mit
dem Aufwande aller Kräfte und nach vielem Blutvergiessen
niedergeworfen werden konnten. Man mag über den inneren
Werth eines Glaubenssystems, das Täuschung oder Heuchelei
gestattet, denken wie man will; vom Christlichen hatte es
nichts als die erborgte Aussenseite, eine Maske, welche man
nach Belieben fallen Hess.* Aber ich wiederhole, diejenigen,
welche in der Bekämpfung, Vernichtung und Auflösung des
Christenthums das Heil der Welt sehen, mögen in Bogumil
den Apostel dieses sogenannten Fortschrittes erblicken und
die Deutschen bedauern, die hievon nichts wissen wollten und
51*
804
Hofier.
selbst an dem Kreuzzuge gegen die manichäisclien Albigenser
Antheil nahmen.
Zum zweiten Male entstand dann eine ähnliche Bewegung-,
als die schönen Klöster der Premysliden und der Luxemburger
durch die Czechen in Asche sanken, die Mönche, welche nicht
den Harnisch anschnallten und für den Kelch das Blut ihrer
Landsleute und der benachbarten Völker vergossen, in Tonnen
gesperrt und verbrannt oder von dem blutigen Zizka erschlagen
wurden, die czechischen Weiber nicht blos predigen, sondern
auch Messe lesen wollten, die Handwerker priesterliche Func
tionen verrichteten, die Bischöfe vertrieben wurden, die Eucharistie
unmündigen Kindern in den Mund gestopft, der consecrirte Wein
von den Küstern auf dem Herde gewärmt, in die Schlacht ge
tragen wurde, die neuen Apostel sich mit dem Schwerte
umgürteten und Tod und Verderben nach allen Seiten, am
meisten aber, wie Peter Chelcicky sagt, bestialische Rohheit
im eigenen Lande verbreiteten, alle Kunst und Wissenschaft
aufhörte, der Glaubensstreit zwischen Taboriten und Utraquisten
auf offenen Schlachtfeldern entschieden, die Besiegten in Scheunen
eingesperrt und verbrannt wurden. Ist diese spätere Periode,
welche Böhmens geistige Blüthe knickte, als evangelischer
Aufschwung, als ein Aufleuchten des Lichtes in crasser Finster
niss zu betrachten, wie man uns mit besonderer Emphase vor
zustellen sich bemüht, dann haben die Slaven selbst zwei Male
die im Argen begriffene Welt zu erleuchten unternommen und
gebührt ihnen die Palme jenes Fortschrittes, der nicht etwa
das unrechtlich Bestehende, das innerlich Verrottete zu be
seitigen strebt, sondern überhaupt tabula rasa mit Allem zu
machen sucht, was in vergangenen Jahrhunderten die Edelsten
und Besten als beglückende Kunde aufnahmen, das die Erde
erneute, die Völker der Barbarei entwand und sie lehrte, noch
ein höheres Ziel zu kennen als avite Sprache und avite Ge
pflogenheit.
Ja, wären die Slaven jenes friedfertige, ackerbautreibende,
harmlose und stillvergnügte Volk geVesen, als welches man sie
uns so oft in unbegreiflicher Selbsttäuschung vorführte; wären
sie wirklich jene Ausnahme in der Weltgeschichte gewesen,
die niemals fremdes Wasser trübten, mit dem Eigenen zufrieden,
Fremdes nie begehrten, zum Martyrium geboren und stets
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
805
bereit, die linke Wange darzubieten, wenn die reckte ein Schlag
getroffen: wer wäre so verstockten Gemütlies, sich darüber
nicht herzlich zu freuen und den Tag der Weltgeschichte zu
lohen, an welchem der in stiller Nacht verkündete Friede
endlich segenbringend auf die blutige Erde niedersinkt?!
Es ist hier nicht der Ort, die Bedeutung der Slaven-
apostel zu bemessen. Die Frage wurde dadurch verwirrt, dass
man die Thätigkeit deutscher Missionäre unter den Slaven
ebenso zu leugnen oder doch zu ignoriren gewillt war, als man
den wohlthätigen Einfluss Roms auf die Slaven aus der Ge
schichte hinwegzunehmen sich bemühte, um an dessen Stelle
den von Constantinopel — der Mutter des Schisma — zu
setzen, und womöglich die Brüder von Thessalonich als Vor
läufer der sogenannten orthodoxen Kirche aufzufassen. Die
Missionsthätigkeit Cyrill’s ist jedenfalls viel geringer als die
seines Bruders, welche eigentlich erst recht hervortritt, als Cyrill
schon in San Clemente gestorben war. Und wenn man böh-
mischerseits so sehr auf den Einfluss Methud’s hinweist, so
sollte man sich doch erinnern, dass die Angabe des späteren
Cosmas von der Taufe Herzog Bofivoy’s durch Methud an einem
Widerspruche leidet, da sie doch nicht im Jahre 894, neun Jahre
nach dem Tode Methud’s stattgefunden haben kann, somit ihre
Glaubwürdigkeit bewiesen werden muss, aber um so weniger
unbedingt angenommen werden kann, als ganz sicher ist, dass
sich die Czechen 895 von den Mährern trennten, an Deutsch
land und das Bisthum Regensburg anschlossen und somit unter
den Suffraganbisthümern des neuen Erzbisthums von Mähren,
Böhmen wohl nicht gemeint gewesen sein kann. Wie gross
oder wie klein man sich aber den Einfluss der sogenannten
Slavenapostel auf Böhmen vorstellen mag, jedenfalls ist sicher,
dass die böhmischen Herzoge sich selbst desselben entschlugen
und im Anschlüsse an Regensburg ihr Heil suchten und fanden.
Nun tritt aber noch ein anderer sehr wesentlicher Punkt
hervor. Es fehlt bei den Anfängen der slavischen Geschichte nicht
blos der Gesammtstaat, wie die deutsche Geschichte einen an dem
merowingisch-karolingischen Reiche besitzt, sondern auch an einer
ähulichen kirchlichen Periode, die die gesammte Bildung der
römisch-christlichen Periode in sich aufzunehmen strebt, wie
das in den karolingischen Klöstern, Stiften und Schulen
806
H öf ler.
geschah. Hingegen erscheint gleichzeitig mit dem Auftreten der
Slavenapostel das Verlangen der Bulgaren nach einem beson
deren Patriarchen; die pannonischen Slaven erhalten eine eigene
Schrift, eigene Liturgie, eigene Verfassung; die Czechen und
selbst die Mährer ziehen die lateinische Liturgie der slavischen
vor. Die Karentaner thun dasselbe. Dieser Mangel an Einheit,
diese charakteristische Unruhe erlangt aber den Höhepunkt,
als, während sich die aus Mähren vertriebenen Schüler Methud’s
in Ochrida sammelten und das von ihrem Meister im Norden
begonnene Werk im Süden fortsetzten, jenes Bogumil (Jeremias)
in der ersten Hälfte des X. Jahrhunderts die manichäische Lehre,
die durch Paulicianer nach Philippopolis und der Umgebung
verpflanzt worden war, den Bulgaroslaven mundgerecht machte
und eine Art von Geheimbund entstand, der nach Aussen hin
christlich zu sein schien, nach Innen aber das Wesen des
Christenthums negirte. Je weniger unter den beständigen
nationalen Streitigkeiten und Kriegen die Kirche ihre Mission
zu vollenden vermochte, desto mehr fand Bogumil mit der
Strenge des Lebens, die er lehrte, Anklang. Die christliche
Entwicklung im Süden war, inwiefern sie nicht ihre Impulse
von Rom erlangte, zwischen dem orientalischen Mönchthiun,
wie sich dasselbe in dem heiligen Berge der Slaven, auf dem
Athos verknöcherte, und der Askese der manichäischen Bo-
gumilen in die Mitte gestellt. Es entstand zwischen Beiden
ein Kampf mit zweifelhaftem Ausgange, der aber nach dem,
was wir im 13. Jahrhundert von dem Auftreten der Patarener,
dieses Zweiges der Bogumilen in Mittel- und Westeuropa,
wissen, nur dann ein für die slavischen Mönche und Bischöfe
günstiger genannt werden konnte, wenn es gelang, sich ihrer
Gegner völlig zu entledigen. Neben einander konnten die Prin-
cipien der Bogumilen und die Traditionen Methud’s nicht
bestehen. Es war aber das Verhängniss der slavischen Ge
schichte, dass weder der Bogumilismus die slavische Kirche
überwand, noch diese jenen, wohl aber letztere sich mit dem
Schisma identificirte und wie jener zuletzt theilweise in den
Islam aufging. So finden sich denn gleich anfänglich und in
der Zeit, in welcher nichts so Noth that, als einheitliches
kräftiges Wachsthum, unter den Slaven Spaltungen aller Art,
von welchen die Auflösung in zahllose Stämme im weiten Osten
m
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
807
von Europa, von der Elbe bis zum Ural, von Malea bis zum
weissen Meere keine der geringsten war und doch nicht allein
dastand. Alle Einheitspunkte der übrigen Völker wurden unter
den Händen der Slaven trennende Momente. Das aber kann
weder von den Deutschen noch von den Romanen gesagt
werden, sondern nur von den Slaven allein, und eben deshalb
ist der Satz unanfechtbar, dass nicht die Verschiedenheit der
Sprache, so gross diese ist, jene beiden Nationen von den Slaven
trennt, sondern vor Allem culturhistorische Momente, der so
ausserordentlich verschiedene Gang der Geschichte; die ganze
historische Entwicklung der Völker ist eine andere, es fehlt
die gemeinsame Basis.
Gewiss, wäre diese vorhanden gewesen, so hätten sich die
Dinge wohl etwas anders gestaltet, als es in Wirklichkeit der
Fall war. So aber unvermögend, aus sich selbst e i n Reich zu
bilden, mit wilderen Völkern sich leicht befreundend und den
jenigen feind, die eine höhere Cultur sich eigen gemacht, schien
sehr oft ihre Aufgabe nur darin zu bestehen, unter jeder Form
des politischen oder religiösen Lebens einen neuen nationalen
Gegensatz zu gestalten, um desselben in dem Augenblicke recht
inne zu werden, in welchem man das Hervortreten der allgemeinen
Culturentwicklung erwartete. Ich wiederhole, es ist ein grosser
Irrthum, zu glauben, dass nur die Sprache den Slaven von der
übrigen Welt trenne. Wohl tritt bei ihm dieser Gegensatz so
scharf hervor, dass er die übrigen Völker als stumm, nicht
redend, somit der Vernunft beraubt bezeichnet und seine Welt
eigentlich nur aus denjenigen besteht, die durch Gleichheit der
Sprache mit ihm verbunden sind. Aber gerade diese That-
sache bewirkt, dass die slavischen Völker nicht blos immer
wieder auf ihre Sprache und deren Sieg zurückkommen, so
oft die übrigen Völker glauben, mit ihnen durch gemeinsame
höhere Interessen zu einer Verständigung gelangt zu sein,
sondern auch, dass sie gleichsam nur auf den Moment zu lauern
scheinen, in welchem das Unglück der Anderen ihnen den Sieg
ihrer nationalen Interessen verheisse. Dadurch kam es, dass der
Kriegszustand nie aufhörte, sie immer im Gegensätze lebten, immer
nur an ihre ,Feinde' dachten, zu denen sie alle Jene rechneten,
welche nicht slavisch sprachen; und aus gleichem Grunde ist denn
auch ihre Geschichte so reich an plötzlichen Katastrophen, so
808
Hofier.
arm an ruhiger, an homogener Entwicklung. Es ist durch
sie in die Geschichte Europa’s eine ungeheure Bewegung ge
kommen, die in nur zu oft fruchtlosen Kämpfen ein unermess
liches Capital verschlingt, ruhelos hin und her fluthet, von
dem Historiker wohl beachtet und gewürdigt werden muss
und gar nicht mit der Gleichgiltigkeit angesehen werden darf,
mit welchem die Deutschen nur zu leicht Ereignisse und Er
scheinungen überblicken, die ihnen widerwärtig sind. Es han
delt sich um eine sehr tiefgehende, welthistorische Action, die
sich gar nicht mit der Vergangenheit begnügt.
Ich glaube nicht Unrecht zu haben, wenn ich sage, dass
in diesem eigentümlichen Zuge der slavisclien Geschichte,
nicht etwa blos in der ungemeinen Zersplitterung in zahllose
Stämme, sondern in der Gegensätzlichkeit ihres historischen
Lebens, in dem was schon den Byzantinern so auffällig war,
die die slavischen Völker p»aiXXiqXa, einander hassend, nannten,
in der eigentümlichen Unruhe, die sie zum unaufhörlichen
Vorrücken nach Nord und Süd, nach Ost und West trieb und
namentlich ein charakteristisches Merkmal der Russen ist,
die wesentliche Eigentümlichkeit der slavischen Entwicklung
liege. Sie bekämpfen unaufhörlich die griechische Welt, die
ihnen an Bildung tausendfach überlegen war. Die Kämpfe mit
den Deutschen reichen in die karolingische Zeit hinauf und
erfüllen die Periode der sächsischen, der fränkischen Kaiser;
erst unter den Staufen gestaltet sich ein besseres Verhältniss.
Die Kämpfe mit den Romäern (den Byzantinern) werden fort
gesetzt bis zur völligen Erschöpfung des romäischen Reiches.
Sie sind es, die wesentlichen Anteil nahmen, dass dies eine
Beute der Osmanen wurde, die nun, nachdem Constantinopel
gefallen, auch die Gräcoslaven sich unterjochen. Nur vorüber
gehend dämmert es in ihren bedeutendsten Königen, dass
eigentlich eine Vereinigung der Romäer mit den Slaven die
beste Politik sei. Aber da musste es zuerst eine Vereinigung
der Slaven geben und dann erst konnte von einer Vereinigung
der Slaven und Romäer unter Einem Scepter die Rede sein.
Ein bulgarisch-romäisches Czarenthum reichte dazu so wenig
aus als der serbisch - romäische Anlauf Stefan Duschan’s.
Dem alten deutschen Reiche gegenüber, das auf der Vereinigung
verschiedener Länder und Völker beruhte, ward nun freilich mit
Abhandlnngen aus dem Gebiete der slaviscben Geschichte. IV.
809
grosser Consequenz die slavisclie Politik durchgeführt, dass,
so oft dasselbe ein Nationalunglück betraf, die slavischen
Völker sich rührten und das Reich befehdeten. Allein das
deutsche Reich beruhte nicht auf Einer Stadt und deren Be
festigung, sondern auf dem Heerbanne aller deutschen Stämme,
lind jeder unterdrückte Aufstand der Besiegten hatte eine
Erweiterung der Reichslande zur Folge; der Kampf mit den
Slaven trug so wohl einen nationalen Charakter an sich, aber
die grossen Kämpfe der deutschen Geschichte entbehrten des
selben oder behaupteten doch neben demselben noch einen
hervorragend allgemeinen. Man darf das nicht übersehen,
die grossen Kämpfe der deutschen Geschichte besitzen mehr
oder minder einen allgemeinen Charakter. Der Kampf
des deutschen Kaiserthums mit dem Papstthume schliesst die
höchsten Ideen der früheren Jahrhunderte in sich; sein Inhalt
ist so reich, dass er ein bleibendes Interesse erregt, und seine
Resultate sind nach und nach allen Völkern zugekommen.
Nicht blos Deutschland, die abendländische Welt wird dadurch
eine andere. Was diese an Keimen in sich barg, wird durch
diese Stürme erst recht sichtbar. Alle bedeutenden Geister
betheiligen sich daran, sie sind das Gegenstück zu den Kreuz
zügen, und wie diese den Orient und den Occident in den
innersten Tiefen aufwühlen, wühlen jene die lebensvollsten
Nationen des Abendlandes auf und zeitigen Gebilde, an welche
diejenigen am wenigsten dachten, die diese Kämpfe hervor
riefen. Das deutsche Reich geht darüber in Trümmer, aber eine
Welt voll grosser Gedanken wurde dadurch gerettet.
Die romanischen Völker schaffen sich, jedes an seinem
Staate eine Welt im Kleinen. Die Franzosen bauen rastlos
Jahrhunderte lang an ihrer Monarchie; so oft sie darin gestört
werden, beginnen sie auf’s Neue. Der Engländer ruht nicht,
bis er nicht zum Inselkönigreiche auch einen Theil des Con-
tinentes gefügt, dessen Besitz ihm einen Antheil an der Welt
bewegung verschafft. Der Aragonese baut sein Reich aus
sechs bis sieben Königreichen, welche die Küstenländer des
Mittelmeeres und die Inseln desselben umspannen, und der
Castilianer ruht nicht im Vorschübe vom Norden nach dem
Süden, bis Königreich für Königreich erobert, selbst auf der
Küste von Afrika das Kreuz aufgepflanzt und endlich alle
810
Hofier.
iberischen Königreiche unter dem Gesammtnamen Spanien ver
einigt sind, und sollte es dazu eines Proeesses bis zum Jahre
1580 bedürfen. Das ist romanische Consequenz.
Wir haben schon vorher bemerkt, dass vom ersten Auf
treten der Slaven an am Untergange des romäischen Reiches
und dessen Bildung gearbeitet wurde. Ob der Slave unter
der Zuchtruthe der Avaren oder der Bulgaren oder des
slavisirten Bulgarenkönigs und Kaisers steht, Thracien muss
verwüstet, alle Cultur vernichtet werden; aber Constantinopel
kann man doch nicht erobern, und Bulgaren und Serben
arbeiten zuletzt doch miteinander nur für den Osmanen, der
sie knechtet. Die höchste Blüthe Bulgariens wird durch den
Romäoctonos, den ,RomäermördeU hervorgebracht, nicht aber
durch eine wirkliche Verbindung des romäischen Reiches mit
dem bulgarischen oder serbischen. Der Gegensatz bleibt durch
alle Jahrhunderte wie eine klaffende Wunde, die fortwährend
eitert, aber nie sich schliesst. Diese Geschichte entbehrt jedes
Ruhepunktes.
Bei der politischen Verbindung Croatiens mit dem magya
rischen Königreiche wird der nationale Gegensatz sorgfältig
gewahrt. Die ganze Politik gipfelt darin, dass ein vollständiges
Gesammtreich nicht entstehe, und als das arpadische Königs
haus ausstirbt, sind die Croaten die Vertreter des Hauses
Anjou, gegen die von den Magyaren berufenen fremden Fürsten,
wie sie die neapolitanischen Anjou’s gegen Maria von Un
garn, gegen Sigmund den Luxemburger unterstützen und auf
den Thron erheben. Das magyarische Reich in den Tagen
seines mächtigsten Königs Ludwig I. ist seinen grösseren
Bestandtheilen nach slavisch, aber nur ein Conglomerat; es
findet sich kein Kitt vor, daraus einen Staat zu machen. Weiter
geht auch die politische Thätigkeit der Slaven nicht als bis
zum Conglomerate, das dem ersten Anstosse erliegt und in
Trümmer zerfällt, wie ja im gegenwärtigen Augenblicke wieder
Oesterreich in den Gegensatz zu seiner Vergangenheit gebracht,
in ein Völkerconglomerat umgewandelt, in einen geographischen
Begriff aufgelöst werden solle, in welchem sich keine Wider
standskraft vorfindet. Noch am Besten scheinen sich die
Dinge in Böhmen zu gestalten. Böhmen war ein herrenlos
gewordenes, urdeutsches Land, dessen sich sieben slavische
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
811
Stämme, nicht auf einmal, sondern durch allmäliges Vor
rücken bemächtigen. Der Umsturz des Avarenreiches durch
die Frankenmacht bringt diese Stämme unter die karolingische
Herrschaft. Sobald sie können, reissen sie sich von dieser
los und schliessen sich an ihre, mährischen Stammesgenossen
an. In dem Augenblicke, als die Möglichkeit eines grossen
Slavenreiches von Mähren aus gegeben war, trennen sie sich
aber von Mähren und schliessen sich an das deutsche Reich
an. Dann wollen sie sich wieder von diesem frei machen,
aber im Schiffbruche des karolingischen Kaiserreiches hat sich
das deutsche Königreich zuerst wiedergefunden und bildet nun
die Macht, an die sich die kleinen Nationen im Interesse ihrer
Selbsterhaltung anklammern müssen, um Sicherheit vor barbari
schen Drängern zu gewinnen. Die Czechen trennen dann ihr
Geschick von dem der wendischen Stämme, wie sie es von dem
der Mährer gesondert, und schliessen sich an das neugestaltete
deutsche Reich an.
Um gemeinsam mit dem deutschen Könige die Magyaren
abzuwehren, welche die Mährer verschlungen und die Elbe
slaven in ihren Strudel hineinzuziehen sich bemühten, ziehen
die Czechen bis auf das linke Lechufer, dort den grossen
Strauss am 10. August des Jahres 955 zu bestehen. Als der Pole
Boleslav Chrobry den kühnen Gedanken fasst, in Prag ein
grosses westslavisches Reich aufzurichten und die ganze Kraft
Polens daransetzt, das deutsche Reich gegen den Osten ein
zudämmen, die Freiheit der slavischen Völker durchzusetzen,
widerstehen ihm die Czechen, und ihr Abfall von der gemein
samen Sache der Slaven vereitelt auch die Realisirung dieses
grossen Planes eines kühnen Slavenfürsten. Als dann König
Heinrich III. das Magyarenreich in ein deutsches Lehen um
wandelt, Heinrich IV. die Freiheit der deutschen Fürsten und
Stämme bricht, die Kirche von seiner Willkür abhängig zu
machen sucht, sind die Czechen nicht blos treue Helfer der
königlichen und kaiserlichen Willkür, sondern ihr Herzog er
langt auch aus den Händen des gebannten Kaisers das König-
thum Böhmens und Polens, freilich auf Ruf und Widerruf. Aber
Heinrich IV. konnte doch mehr wie einmal daran denken, die
Freiheit der deutschen Stämme durch seine slavischen Bundes
genossen zu brechen. Er gab jetzt die Antwort auf Boleslav
812
Höfler.
Chrobry’s kühnen Plan, auf markomaunischem Boden ein
grosses Trutzdeutschland zu errichten, indem er Wratislav zum
Doppelkönige erhob. Im nächsten Jahrhunderte leisten böh
mische und polnische Herzoge in Merseburg königlichen Hof
dienst. Als es zum Kreuzzuge gegen die Wenden kam und
die Frage aufgeworfen wurde, ob die ganze weite Ebene von
der Elbe zur Oder, zum baltischen Meere künftig nur mehr deut
sche Herrschaft, aber keine slavischen Fürstenthümer erblicken
solle, traten die Czechen wie gewöhnlich gegen ihre Stammes
genossen auf und betheiligten sie sich auf deutscher Seite am
Kreuzzuge gegen die Wenden. Als Kaiser Friedrich Barba
rossa von altrömischer Kaiserherrschaft träumte, den Papst aus
Rom und Italien trieb, die Freiheit der lombardischen Com-
munen brach, es wieder sich darum handelte, den Fuss auf den
Nacken der Besiegten zu setzen, die geistige wie politische
Freiheit der weltlichen Autokratie mit gebundenen Händen zu
überliefern, standen die Czechen nicht blos wieder auf Seite
des Imperators, des Zerstörers der grossen Bürgerveste von
Mailand, sie leisteten auch dem deutschen Reiche in seinen
Kämpfen so ausgiebige Hilfe, dass ihnen für die geleisteten
Dienste und in Anbetracht der noch zu leistenden zum zweiten
Male aus deutschen Händen das Königthum zu Theil wurde.
Freilich, als der Zweck erreicht war, bedurfte man des Kärrners
nicht mehr. Kaiser Friedrich brauchte keine mächtigen
Fürsten, seit er an Heinrich dem Welfen gesehen, welche Gefahr
dem Absolutismus von dieser Seite drohe. Das Reich wurde
zerstückelt, die kleinen Herzogthümer geschaffen, das König
reich Böhmen ging ein, wie die politische Verbindung von
Sachsen und Baiern gelöst wurde, und während man mit dem
Papste haderte, fand sich ein Prager Bischof aus dem Hause
Przemysl vor, der den Herzoghut mit der Mitra auf seinem
Haupte zu vereinen wusste. Dann freilich, als das deutsche
Reich mit dem jähen Tode des zweiten staufischen Kaisers
sich aufzulösen drohte, 1197, da war der Zeitpunkt gekommen,
in welchem sieh Böhmen erhob, auf Kosten des Reiches. Wenn
es sich aber in nächster Zeit darum handelte, für das Reich
einzutreten, da weigerten sich König Wenzel wie Ottokar II.,
die Last und Mühe der deutschen Krone auf sich zu nehmen.
Aus dem deutschen Reiche sich eine böhmische Grossmacht
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
813
mit Unterstützung der Päpste und des Hauses Anjou heraus
zubilden, das babenbergische Erbe, Kärnten, Krain mit Böhmen
zu verbinden, aber das deutsche Reich seinem Schicksale zu
überlassen, das schien grossartige Politik zu sein. So gross-
artig, dass man es nicht für nöthig erachtete, statt des armen
Grafen von Habsburg die deutsche Krone zu übernehmen und
den unglaublich thörichten Schritt that, im Bewusstsein ver
meintlicher Unbesiegbarkeit, in hochmüthiger Verachtung eines,
wie man meinte, armseligen Gegners eine neue Macht auf-
kommen zu lassen. Dadurch brachte man den Stein, der das
Gebäude czechischer Grossmacht zerschellte, selbst zum Rollen.
Dann hoffte man durch die Verbindung der polnischen Krone
mit der böhmischen, durch die Erlangung der magyarischen,
1301, eine neue Grossmacht ausserhalb des deutschen Reiches
zu gründen. Der Versuch endete noch kläglicher als der
erste mit dem Verluste Beider und dem frühen Untergange
des Premyslidenhauses, dem die deutschen Könige, ein Habs
burger, ein Kärntner, allmälig vier Luxemburger, dann die
Habsburger nachfolgten. Drei Male war somit der Ansatz ge
macht worden, ein Königthum zu begründen, und erst das
dritte Mal, als es seinen ghibellinischen Ursprung abgestreift,
erlangte es die höchste Bestätigung jener Tage, die päpstliche,
erfolgte auch die Bestätigung ,des Königs von Gottes und des
römischen Stuhles Gnaden', König Friedrichs II., und erhielt
sich, was der vorletzte fränkische Kaiser der Deutschen, was
der erste staufische Kaiser begründet hatten, das von den
deutschen Königen eingeführte Königthum, als dauernde In
stitution, verwuchs dasselbe so mit Land und Volk, dass man
seinen deutschen Ursprung vergass und politischer Unverstand
selbst von einer St. Wenzelskrone reden konnte. Lange Zeit
hatten die Einsichtsvolleren unter den Premysliden nach einem
Mittel sich umgesehen, der angebornen Streitsucht, dem steten
Wechsel der Herrschaft zu begegnen. Sie hatten in blutiger
Weise die Macht der einheimischen Rivalen gebrochen, und als
es sich darum handelte, ob Wrsowece oder Premysliden das
grössere Ansehen im Lande behaupten sollen, vor Massen
schlächterei der Gegner nicht zurückgebebt. Und doch
wusste Herzog Bretislav I. kein anderes Mittel, dem Bruder
streite und dem drohenden Zerfalle des Landes in eine
814
Höf ler.
Vielherrschaft zu begegnen, als die Einführung der Seniorats-
erbfolgeordnung, eine echt slavische Einrichtung, die, weit ent
fernt, das Uebel zu heben, es erst noch vermehrte und zuletzt
zu dem Einzigen führte, was helfen konnte: sich durch den
deutschen König die Nachfolge des eigenen Sohnes bestimmen
zu lassen. Die czechisclien Geschichtschreiber sind freilich
gewillt, darin eine Anmassung der deutschen Könige und einen
unerlaubten Eingriff in die Gerechtsame des czechischen
Volkes zu erblicken. Dann aber wäre die Begründung des
böhmischen Königthums durch Heinrich IV. und Friedrich Bar
barossa wohl noch eine grössere Anmassung gewesen, und
wenn nach dem Tode König Wladislaus’ I., Friedrich Bar
barossa und Heinrich VI. das Königthum wieder eingehen
Hessen, und, als die Premysliden am kaiserlichen Hofe um das
Herzogthum betteln gingen, dasselbe nach Gutdünken gewährten
oder entzogen, wäre somit der ursprüngliche Zustand restituirt
worden, weil dadurch das Herzogthum wieder restaurirt worden
war! So lange es aber premyslidische Nebenlinien gab, war selbst
die böhmische Krone in ihrem Bestände nicht sicher, und selbst
die Nachfolge des Erstgebornen musste 1216 durch den deutschen
König bestätigt werden, nachdem seine Wahl durch Magnaten
und Adel erfolgt war. Als endlich das streitbare Haus bis zur
königlichen Linie eingeht, entsteht erst der Kampf der Magnaten
mit dem Königthum und findet Ottokar im Streite mit seinen
königlichen Aeltern Unterstützung durch den Adel. Der Adel
treibt ihn zum verhängnissvollen Scln-itte, die deutsche Krone
nicht anzunehmen, verlässt ihn im Entscheidungskampfe, führt
durch den Mord Wenzels den Untergang der einheimischen
Dynastie herbei, erhebt Könige und stürzt sie, reisst unter
König Johann alle Domänen an sich, verwirft unter König Karl
die Bürgschaft eines gesetzlichen Zustandes der Dinge, die
Majestas Carolina, nimmt König Wenzel IV. gefangen, begünstigt
die husitische Revolution, die das Königthum beseitigt, wendet
sich dann gegen die Taboriten und mischt, als die luxem
burgische Dynastie ausstarb, auf die kurze Regierung König
Albrechts die vormundschaftliche über seinen nachgebornen
Sohn König Ladislaus folgte, die Karten so geschickt, dass
endlich die zum Throne berufenen fürstlichen Geschlechter be
seitigt werden und Einer aus der eigenen Mitte als ,vffgerukter‘
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IY.
815
König, Georg, der Herr von Kunstadt und Podiebrad, das
Ideal der Föderalisten, mit Ausschluss der berechtigten fürst
lichen Erben den königlichen Thron besteigt, 1458.
Die Schwäche und Getheiltheit Deutschlands war, wie so
oft auch damals der Grund der Grösse Böhmens und seiner Ent
fremdung von den Geschicken des deutschen Reiches, das dem
Lande zur Königskrone, ja selbst zum Kaisertkume verholten.
Doch wir sind unserem Ziele weit vorausgeeilt. Ich wollte
nur gleichsam an einer Stichprobe zeigen, wie sehr die slavische
Geschichte auch in die Geschichte anderer Völker eingreife,
und bin unvermerkt dahin gekommen, als, um mich der Worte
eines deutschen Historikers des XIV. Jahrhunderts zu bedienen,
Prag bereits geworden war, was Constantinopel war, der Sitz
eines Kaiserthums. Schien doch in dem darauffolgenden Jahr
hunderte König Georg von Podiebrad wählen zu können zwischen
der abendländischen und der morgenländischen Kaiserkrone.
So sehr gab die Geschlossenheit eines politisch und geographisch
concentrirten Staates Ansehen, Macht und Bedeutung — für
einige Jahre, dann schwand auch dieses Gebilde, so rasch als
es entstanden war. Der Erbe der husitischen Revolution that
gut daran, früh zu sterben, 1471, ehe ihn das Schicksal seines
Nachfolgers erreichte und — Böhmen getheift wurde. — Ja,
man begeht ein grosses Unrecht, wenn man, wie dieses bisher
nur zu sehr der Fall bei den Deutschen war, der Tragweite
der slavischen Geschichte sein Auge verscliliesst. Begreiflich
kann es aber hiebei nicht auf das ankommen, was das einzelne
Volk leistete, dessen Entwicklung von dem abzuhängen scheint,
was wir den Zufall nennen, was aber in der That in der Auf
einander- und Zusammenwirkung der Völker ihm zugefallen ist,
bei der unbewussten Wahl des Landes, das seine Heimat
wurde, bei der Eingehung politischer und socialer Verbindungen
mit denen, die es zu Nachbarn hatte, bei dem Einflüsse, den
die frühere Cultur auf die spätere immer auszuüben pflegt, bei
der starren Eigentkümlickkeit des eigenen Wesens, das immer
aufs Neue zum Durchbruche kommt und, wenn es tausendfach
überwunden zu sein scheint, sich wieder geltend macht, wo man
es am wenigsten vermuthet. Wir haben selbst eine gewisse
Verpflichtung, uns mit der Frage zu beschäftigen: was haben
die slavischen Völker im Laufe der Jahrhunderte geleistet, wozu
816
Höfler.
sind sie durch sich selbst, wozu durch Andere gelangt, welche
Culturentwicklung können sie als ihr geistiges Eigenthum für
sich in Anspruch nehmen, wie weit haben sie die Weltgeschichte
gefördert und was ist, nach ihren Antecedentien zu schliessen,
von ihnen zu erwarten, wenn ihnen wirklich der grosse Wurf
gelingen sollte, über die romanischen und germanischen Völker
hinweg an die Spitze europäischer Nationen sich zu erschwingen,
die Leitung der Weltgeschichte in ihre Hand zu nehmen?!
§• 2.
Die Periodisirung.
I. Sobald man sich der Mühe unterzieht, jene Entwicklungs
stadien ausfindig zu machen, welche den Einblick in die gene
tische Aufeinanderfolge der Völker und Zeiten gewährt, tritt
irns ein verhängnissvoller Zug der slavischen Völker entgegen,
der ihre Geschicke für Jahrhunderte bestimmt. Es ist dies der
so lang andauernde Anschluss an orientalische Völker, von dem
sich die Germanen so bald als möglich frei zu machen wissen.
Wie bekannt, erfolgt ein allgemeiner Auszug der Deutschen
von dem Osten nach dem Westen, nach dem Süden, und hausten
Slaven und Deutsche früher zusammen, so gibt es im IV. Jahr
hundert der christlichen Zeitrechnung an der unteren Donau
wohl Anten und Sklabenen, die beiden Hauptzweige der zahl
losen slavischen Stämme, aber keine Deutschen mehr. Die
Schlachtfelder der Gothen auf der Balkanhalbinsel, der Gepiden
und Langobarden sind aufgegeben, der äusserste Westen Europas,
die Nordküste von Afrika wurden von den Deutschen aufge
sucht, und durch die leergewordenen Stätten der Quaden und
Markomanen dringen nun im weiten Bogen die Slaven vor.
Wäre es nun ihre Aufgabe gewesen, sich so zu entwickeln
wie die Deutschen, so müssten wir von einem slavischen Geise-
rich, Dietrich von Bern, Clovis und Alboin hören. Statt dieser
Königsgestalten der Germanen tritt uns die Verbindung der
Slaven mit den Hunnen, mit den Ablegern derselben, mit den
Bulgaren und Avaren entgegen; nicht einer der Ihrigen, ein
Franke, Samo, befreit die Wenden vom avarischen Joche, und
der Franke Karl der Grosse rächt durch den Avarenkrieg die
lange Unterdrückten an ihren Peinigern.
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IY.
817
Der Auszug der Germanen aus ihren Wohnsitzen, die sie
den Slaven überliessen, bildet nun einerseits den wesentlichen
Unterschied in der Geschichte der beiden grossen Nationen,
indem die ersteren jetzt ihre Staaten gründeten und dadurch in
die Geschichte thätig eingriffen, historische Völker wurden, die
andern aber noch lange Zeit nur als ein Anhängsel anderer
Völker erschienen und somit, als sie endlich in die Geschichte
eintraten, gegebene Verhältnisse fanden, mit denen sie rechnen
mussten. Es handelt sich hiebei gar nicht um Inferiorität oder
Superiorität der Einen oder der Andern, sondern nur darum,
wer zuerst sich seine Geschichte construirte, zuerst seine Selbst
ständigkeit erlangte. Wie lange aber die Slaven im Zustande
der Abhängigkeit verweilt hätten, wäre ihnen nicht selbst
wider ihren Willen ein Ereigniss von ausserordentlicher Trag
weite zu Hilfe gekommen, wer könnte dieses sagen? Es be
stand dieses aber in der grossartigen Thatsache, dass, als die
slavische Geschichte, kaum begonnen, in die der Avaren auf
zugehen drohte, letztere mit Hilfe der Perser und der ihnen
unterworfenen Slaven, die sie wie Jagdhunde gebrauchten,
Constantinopel belagerten, bestürmten, der christlichen Civili-
sation ein Ende zu bereiten strebten und nun vor den Mauern
der Kaiserstadt eine zweite Constantinschlacht statt fand,
Avaren, Perser, Slaven entscheidend geschlagen wurden, Con
stantinopel sich erhielt, der aus dem Perserkriege siegreich
zurückkehrende Kaiser Heraklius Serben und Croaten in ihre
jetzige Heimat berief und dadurch die südslavische Welt con-
stituirte, während Samo im Westen die Befreiung der Wenden
von den Avaren betrieb.
Hiedurch ergibt sich von selbst eine Periode in der Ge
schichte der Slaven. Sie enthält die Geschichte des wiithenden
Anstürmens der in der Zucht der Hunnen und Avaren heran
gezogenen Slaven gegen das römische Reich, das sie sich zur
Verwüstung ausersehen haben, eine Mordperiode, in welcher
die schönsten und fruchtbarsten Gegenden Osteuropas ver
wüstet und entvölkert werden, ohne dass es zu festen An
siedlungen, geschweige zur Staatenbildung kommt. Es musste
ihnen die Hand zu ihrer Constituirung von Aussen geboten
werden, sonst nahm die schlimme Einwirkung kein Ende,
da fort und fort neue Völker hereindrängten, Bulgaren und
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 52
818
Häfler.
Magyaren, Petsc heu egen und Scandinavier und selbst in den
späteren Zeiten das tartariscbe Joch nicht abgewehrt werden
konnte. Da ferner die Anfänge slavischer Reiche — genau
zu unterscheiden von Staaten — einer späteren Zeit angehören,
durch die Nichteroberung von Constantinopel das so wichtige
Centrum eines einheitlichen Reiches abhanden kommt, dafür aber
die Einwirkung des bedeutendsten Culturvolkes und Staates jener
Zeit, der Romäer, auf die Slaven sich bemerkbar macht und
den barbarischen Impulsen, die bis dahin überwiegend sind,
eine Schranke gezogen wird, hat man wohl ein Recht, die
älteste Periode der slavischen Geschichte mit dem Jahre 626,
der Abweisung des Sturmes der heidnischen Mächte auf Con
stantinopel, zu begrenzen.
II. Die Verbindung der Slaven mit anderen Völkern hatte
bisher nicht zur Freiheit, sondern zur Knechtschaft geführt.
Es musste sich in der zweiten Periode zeigen, ob, als ihnen
die Hand zu ihrer Constituirung gereicht wurde, diese in einem
ähnlichen Masse erfolgt, als es bei den Germanen der Fall war.
Diese hatten die Elemente ihrer Staatenbildung, Könige, Adel,
Freie, Knechte aus der Heimat in die neuen Wohnsitze mit-
gebracht. Wo sie römische Einrichtungen treffen, findet eine
Auseinandersetzung statt, und bald zeigt sich der Einfluss der
so weit vorangeschrittenen römischen Civilisation in der Auf
zeichnung der germanischen Gesetze. Sie bringen entweder
das Christenthum schon mit oder nehmen es kurz nach der
Einwanderung an. Die kirchlichen Einrichtungen dienen zur
Befestigung und Ausbildung der staatlichen, namentlich des
Königthums, das mit dem Principe der Erblichkeit strenge
verbunden ist. Sie knüpfen an die römisch-christliche Welt an
und schöpfen eine gemeinsame Cultur aus ihr wie aus einem
gemeinsamen Brunnen. Nicht die Gleichheit hat ihre Staaten
begründet, sondern die gesetzliche Abstufung, und wo Gleich
heit entstand, war sie eine Folge der Gesetzgebung. Wohl
hat sich aber nirgends das Princip der Gleichheit Aller stärker
vorgefunden als in den nun entstehenden slavischen Reichen,
die eben deshalb keine Staaten werden und jähen Katastrophen
fortwährend ausgesetzt sind. Gleichheit ist wohl gut, um Stämme
in ihrer aviten Einfachheit zu erhalten, aber nicht zur Staaten
begründung. Es entspricht gewiss die altslavische Einrichtung
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
819
der Succession des Familienältesten der natürlichen Ordnung
am meisten; wer aber dabei verharrt, hat sich um alle Ent
wicklung gebracht und zu einer Monotonie verurtheilt, die alle
Erhebung des Einzelnen als einen Angriff gegen die Gesammt-
heit ab weist, ohne jedoch eine Bürgschaft zu gewinnen, dass sie
nicht über kurz oder lang gewaltsam durchbrochen werde und
dann erst nicht sowohl geordnete als gewaltsame Zustände ent
stehen, die einer Heilung von Aussen bedürfen, soll nicht der
Bürgerkrieg zur Institution dieser Staaten erhoben werden.
Nun erfolgt in der zweiten Periode nach der Grundlage,
die in der vorausgegangenen gelegt wurde, theils die Con-
stituirung der einheimischen Reiche, da sich zu dem Einflüsse
der Romäer auch der des karolingischen Reiches gesellt, theils
eine neue Verbindung slavischer Völker mit fremden, den
Bulgaren im Süden, den scandinavischen Ross im Norden,
bis zum Einbrüche einer neuen Katastrophe, indem gegen Ende
des IX. Jahrhunderts die Magyaren das Centrum der slavischen
Völkerstellung sprengen, sich an der Donau und der Theiss
behaupten, die carentanische und mährische Katastrophe herbei
führen, die Auflösung der nach der avarischen Katastrophe
entstandenen politischen Ordnung veranlassen, und ebenso der
für die Geschicke der Westslaven entscheidende Anschluss
der Czechen an das ostfränkische, nachher deutsche König
reich erfolgt, 626—895.
III. Mit dem dritten Zeiträume 895—1204 tritt die sla-
vische Geschichte in die Weltgeschichte ein. Sie gewinnt eine
ungeheure territoriale Ausdehnung, Russen und Bulgaren werden
amalgamirt, nur die Magyaren nicht, die ein Reich bilden, das
vorzugsweise aus Slaven besteht. Es erfolgt die Christiani-
sirung aller slavischen Völker, verhältnissmässig spät, und da
durch auch ihre Scheidung nach den vorhandenen kirchlichen
Systemen. Die Versuche, grosse slavische Reiche zu begründen,
treten in den Vordergrund, aber auch mit ihrem raschen Auf
flackern ihr rascher Untergang. Wie ein Traumbild erhebt
sich ein polnisch-czechisches Reich mit der Hauptstadt Prag im
Anfänge des XI. Jahrhunderts; in entsetzlich blutigerWeise gehen
die bulgarischen Reiche unter. Das czechische Königthum wird
von den deutschen Kaisern zwei Male begründet und kann
noch immer keine Wurzeln schlagen. Erst nach den härtesten
820
Höfler.
Erfahrungen und geradezu entsetzlichen Katastrophen beginnt
mit dem Anfänge des XIII. Jahrhunderts eine neue Aera, die
Constituirung eines katholischen Bulgarenreichs, eines katho
lischen Serbenreichs und des von nun an bleibenden czechischen
Königthums. Das Mittel einer Einigung scheint endlich ge
funden zu sein und die slavische Geschichte trotz der Vielheit
der Reiche sich im Wesentlichsten durch Gleichheit der In
stitutionen eine lang entbehrte Uebereinstimmung zu schaffen.
IV. Auf der Grundlage der slavischen Königreiche er
heben sich im vierten Zeiträume (1204—1398) die slavischen
Kaiserthümer, Bulgariens, Serbiens und inwieferne man die
luxemburgischen Könige Böhmens als Slaven bezeichnen darf,
das Kaiserthum Karls IV. mit seinen Tendenzen, das deutsche
Reich in Böhmen aufgehen zu machen. Es ist eine höchst
denkwürdige Periode, da in ihr das deutsche Kaiserthum, seit
1197 ein Spielball der Parteien, für 62 Jahre ganz verschwindet
und an die Stelle der deutschen Macht die der Slaven zu
treten scheint. Es ist die Periode noch grösserer Katastrophen
als die vorausgegangene, da der Einbruch der Tataren die
lange dauernde Knechtschaft der Russen herbeiführt, das Ma
gyarenreich vernichtet zu sein scheint, das romäische Reich in
Europa untergeht, das lateinische sich nur 57 Jahre in Con-
stantinopel erhält und das der Päologen seit 1261 den unaufhör
lichen Angriffen der Serben gegenüber zuletzt widerstandslos wird.
Spät erlangt Polen sein bleibendes Königthum, die Vereinigung
mit Ungarn, die seine Zukunft schützen kann, erhält sich nur
kurze Zeit und die Verbindung mit Litthauen stürzt es in un
aufhörliche russische Kämpfe. Instinctmässig bilden sich vor
der im Osten unheimlich drohenden Gewitterwolke neue staat
liche Vex - bindungen, Böhmens mit Polen und Ungarn, Ungarns
mit Halisch und Polen, bulgai’ische und serbische Kaiser be-
grüssen sich als Kaiser der Romäer. Es hat sich im Osten
eine l’eiche Welt voll mei'kwürdiger Gegensätze zu Mittel- und
Westeuropa aufgethan ohne die Einheit eines Gesammtreiches,
ohne den festen Kitt des Lehenwesens, ohne ein reiches, freies,
kräftiges Bürgerthum, immerwährend dui’chzogen von fremden
Völkei’n, von Tataren und Cumanen, wie von Wlachen und
Skypetaren, den Ureinwohnern der Balkanhalbinsel, ein un-
gemeiner Wechsel der Staatenverhältnisse, historische dissolving
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
82
views, bis durch die ewigen Streitigkeiten untereinander Alles
morsch und hinfällig geworden ist und auf einmal durch ein
paar Schlachten dem bulgarischen, dem serbischen König- und
Kaiserthum von den Osmanen ein gemeinsames Grab gegraben
wird. Die Einheit, welche die Slaven sich nicht geben konnten,
weiss, ehe das Jahrhundert der slavischen Kaiserthümer zu Ende
geht, der Padischah der Osmanen durch gemeinsame Knecht
schaft Aller herbeizuführen.
V. 1358—1526. Die slavische Geschichte hat sich mit einem
Male reducirt, die südslavischen Reiche verschwinden, Bosnien
folgt dem serbischen Reiche nach, Croatien erhält sich nur
durch seinen Anschluss an Ungarn, das selbst im Westen eine
Stütze suchen muss. Nur langsam erhebt sich das moskowitische
Reich aus der Abhängigkeit der Tataren und der Mongolen,
die jetzt hereinstürmen und die Uebermacht der Osmanen auch in
Bezug auf das romäische Reich für kurze Zeit aufhalten. Gerade
in diesem verhängnissvollen Momente, in welchem der grössere
Theil der slavischen Welt einer weiten Bresche glich, beginnt
der nationale Antagonismus der Polen und der Czechen gegen
die Deutschen eine blutige Entfaltung zu nehmen, welche für
Alles, was an der unteren Donau sich für das christliche
Europa Schlimmes vorbereitet, den Blick trübt und einen
deutsch-slavischen Bürgerkrieg erzeugt. Der Streit der Polen
mit den Deutschherren in Preussen, der Universitätsstreit in
Prag, den Johann von Husinetz erregt, werden zur Flamme,
die dem XV. Jahrhunderte seinen grauenvollen Charakter ver
leiht. Niemals that den christlichen Völkern Einheit mehr
Noth als damals; jetzt wurde sie in kirchlicher, in politischer,
in nationaler Beziehung gebrochen und das deutsche Reich in
eine Mitleidenschaft gezogen, welche alle inneren Schäden des
selben blosslegte. Damals bildeten sich die neuen Staaten-
complexe, welche endlich zu den Grossstaaten des XVI. Jahr
hunderts führten und der neuen Zeit ihre eigenthümliche Ge
staltung verleihen. Die Vereinigung der deutschen Krone mit
der von Böhmen und Ungarn schien nach schweren inneren
Kämpfen eine Consolidirung der Verhältnisse herbeizuführen,
als von Böhmen aus durch den ,vffgerukten £ König Georg
von Podiebrad das ganze politische System der Luxemburger
und Habsburger zertrümmert wurde, Böhmen und Ungarn
822
H ö f 1 e r.
eigene Könige erhielten, die Habsburger von beiden Thronen aus
geschlossen, und damit ja durch sie keine Vereinigung im Osten
stattfinde, die Jagellonen aus Polen auf den böhmischen Thron
befördert wurden. Damals wurde Böhmen getheilt, nannte sich
der ungarische König König von Böhmen wie Wladislaus Ja-
gello und die politische Intrigue König Georgs schlug Nieman
den härter als Böhmen selbst. Dann wurde durch einen jener
unvermutheten Vorgänge, an welchen die slavische Geschichte
so reich ist, Böhmen mit Ungarn vereinigt und nochmal das
deutsche Haus der Habsburger von Beiden ausgeschlossen, als
auch dieser Plan scheiterte und die Katastrophe erfolgte, die
sich über Belgrad nach Mohacs und Ofen heranwälzte. Man
hatte es dahin gebracht, dass das deutsche Wien Grenzfestung
gegen die Osmanen wurde, Ungarn ein Vasallenstaat des Pa-
dischah der Osmanen, Polen sich mit Mühe der Tataren er
wehrte, der Czar von Moskau aber den Bezwinger der Christen
heit, Sultan Soliman, seinen lieben Freund und Bruder nannte.
Es stellen sich somit nachfolgende Perioden der slavischen
Geschichte heraus:
Erstens eine hunnisch-avarische, die durch die Erlan
gung fester Ansiedlungen geschlossen wird. Erst von dieser Zeit
an kann von einer slavischen Geschichte die Rede sein und selbst
jetzt im VII. Jahrhunderte noch nicht von geordneten Staaten
und einer durch genaue Aufzeichnungen beglaubigten Geschichte.
Zweitens eine bulgarische Periode, welcher im IX. Jahr
hunderte die karolingische zur Seite steht. Jetzt erst erfolgt
der Untergang der Avarenmacht, das Emporkommen des gross
mährischen Reiches, der Anschluss Carentaniens an Bajoarien,
der czechischen Herzoge an das ostfränkische Reich, die In
vasion der Normanen (Russen) im Nordosten, die Durchbrechung
der Donauslaven durch die Magyaren, so dass der Zeitraum
der Begründung von Sklabinien mit einer allgemeinen Kata
strophe endet und die slavische Geschichte aufs Neue begonnen
werden muss.
Drittens die romäisch-deutsche Periode, die Einwirkung
der beiden Kaiserreiche auf die slavische Welt, die, zwischen
beide gestellt, von ihnen die Lebensimpulse empfängt. Einer
seits der tragische Untergang der beiden bulgarischen Reiche
durch die Byzantiner (Romäer) und die Entfaltung desKomnenen-
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
823
reiches, andererseits die Niederwerfung der Wenden, der feste
Anschluss Böhmens an das deutsche Reich und die wieder
holte Begründung eines böhmischen Königthums durch die
Deutschen, in der Mitte aber das magyarische Königreich als
ein neues Centrum der slavischen Welt durch die politische
Verbindung Croatiens und Dalmatiens mit dem ungarischen
Königreiche, endlich, bei dem fast gleichzeitigen Verfalle der
romäischen Macht unter den Angeloi und der deutschen bei
dem Tode Kaiser Heinrich VI., die Anfänge einer neuen sla
vischen Staatenbildung in Bulgarien, Serbien und Böhmen.
Viertens die Entfaltung der eigentlichen slavischen Macht
periode bei dem Verfalle der alten Kaisermächte, der Zer
trümmerung des romäischen Reiches durch die Lateiner, welche
den Bulgaren in Betreff der Eroberung von Constantinopel
zuvorkommen, und dem Verfalle der deutschen Kaisermacht
durch den Kampf und Untergang der Staufer; der Vernichtungs
krieg der Bulgaren gegen die griechische Bevölkerung, das Ein
treten Serbiens in die gleiche Tendenz, im Westen das Bestreben
Premisl Ottokars II., das deutsche Reich durch eine böhmische
Grossmacht auszurenken, seines Sohnes, Böhmen, Polen, Ungarn
unter einem Scepter zu vereinigen. Zu dem bulgarischen Kaiser
thum (der Wlachen und Bulgaren) gesellt sich das serbische
(der Serben und Iiomäer), endlich consolidirt sich das polni
sche Königthum und wird Böhmen durch die Luxemburger die
Basis des deutschen Kaiserthums. Als Gegenstück aber zu
dieser Machtentfaltung der Untergang der russischen Reiche
durch die Tataren, ihr Einbruch in Schlesien und Ungarn,
eine der grössten weltgeschichtlichen Katastrophen, und als
Gegenstück zu ihr der Aufmarsch der Osmanen gegen Ost
europa, das durch die heillosen Kämpfe der Serben und Bul
garen den Türken keinen energischen Widerstand bereiten
kann, so dass die Osmanen als die natürlichen Erben der sla
vischen Staatenentwicklung, als die Schnitter des slavischen
Todtenfeldes erscheinen, die Tataren im Norden, die Osmanen
im Süden. Zur Knechtschaft Russlands gesellt sich der Unter
gang Bulgariens und Serbiens.
Fünftens die Restaurationsperiode. Auf den mit der
äussersten Beharrlichkeit geführten Kampf der Slaven mit den
Romäern, der 1453 mit der Vernichtung des romäischen
824
\
HÖfl er.
Reiches durch die Osmanen endigt und auch das Königreich
Bosnien in die Katastrophe hineinzieht, folgt der Kampf der
Westslaven gegen die Deutschen, die husitisch-nationale Erhe
bung der Czechen, welche keinen Anstand nehmen, die Blüthe
ihres karolingischen Zeitalters zu zerstören, um nur Böhmen
ausschliesslich czechisch zu machen, und der Streit der Polen
und Litthauer gegen die Deutschherren, welche endlich der
Krone Polens unterworfen werden; und als drittes Moment die
allmälige Emancipation der Moskowiten vom tatarischen Joche.
Hier das Emporkommen eines gräulichen Absolutismus', der
sein Gegenstück nur im osmanischen Reiche wiederfindet; in
Böhmen eine Adelsherrschaft, die nach Willkür über die Krone
verfügt und die Massen knechtet; in Polen die Anfänge jener
Freiheit, die kein festes Staatengefüge aufkommen lässt; in
Russland der völlige Abschluss der slavisehen Welt nach Aussen,
in Polen und Böhmen der ausgesprochenste Antagonismus gegen
alle Elemente deutscher Cultur und soweit es möglich ist die
Slavisirung der deutschen Bauern und Bürger, der Sieg der
Slaven über die deutschen Ritter, über die erbberechtigten
fürstlichen (deutschen) Geschlechter, über den deutschen Clerus,
den deutschen Gelehrten, den deutschen Bürger, den deutschen
Bauern und der Triumph der polnisch-litthauischen Jagellonen
in Polen, in Böhmen, in Ungarn bis zur Katastrophe von 1526!
§• 3.
Der erste Zeitraum (375—626).
Es ist wohl kein Zweifel vorhanden, dass, während die
Gothen im Laufe des zweiten Jahrhunderts der christlichen
Aera in das römische Reich eindrangen, das wichtige Dacien
ihnen überlassen werden musste, sie sich schon als Bewohner
der Donauprovinzen ansahen, vor Thessalonike rückten, Phi-
lippopolis eroberten, bei Naissos (Nisch) mit ihnen gekämpft
werden musste, die zahlreichen slavisehen Stämme Zeit ge
wannen, ihnen nachzurücken und in der Nähe der Sümpfe und
Altwässer an den Donaumündungen sich niederzulassen, wo
sie den römischen Geographen als Venedi bekannt sind. Ihr
geschichtliches Auftreten aber fällt mit dem Ereignisse zu-
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
825
sammen, das für die deutschen Völker wie für die slavischen,
für das römische Reich und dessen zahlreiche Feinde gleich
verhängnissvoll wird: dem Hereinbruche der Hunnen, als das
flavische Kaiserhaus in Constantinopel unterging und dem
pannonischen (Valentinians und seines Bruders Valens) die
Vertheidigung des römischen Reiches und der gesummten
Civilisation zukam. In dem fruchtlosen Kampfe mit den
Hunnen war das Reich des Ostgothenkönigs Ermanrich zer
trümmert worden; als der Amaler Withimir die Gothen der
hunnischen Knechtschaft zu entziehen suchte, warfen sich ihm
die Anten, der eine Zweig der grossen slavischen Völkermasse,
entgegen und brach der erste von der Geschichte beglaubigte
Kampf zwischen den Slaven und den Deutschen aus. Er führte
die erstem in die Geschichte ein und die slavische Geschichte
erhielt von diesem Augenblicke an jene eigenthümliche Rich
tung, die ihr Jahrhunderte hindurch geblieben ist. In der
gewaltigen Auseinandersetzung zwischen den Deutschen und
den Hunnen, den Trägern einer neuen Cultur und den Zer
störern der alten wie der neuen, stellen sich die Anten, deren
Stämme den Nordosten Europas bedecken, auf die Seite der
letzteren und die slavische Geschichte beginnt so mit einer
hunnischen Periode. Die Westgothen entziehen sich derselben,
indem sie sich auf römisches, Gebiet begeben, der Zug der
Sueven, der Alanen, der Vandalen nach dem Westen, ddr neue
Gotheneinbruch nach dem Süden findet statt, wie der der
Vandalen nach Afrika, wer zurückbleibt, verfällt unrettbar den
Hunnen, welchen endlich die Verbindung der Westgothen mit
den Römern auf den catalaunischen Gefilden ein Ziel setzt.
Die Katastrophe, welche sich an das Auftreten Attila’s
444 anreihte, betraf türkische, deutsche und slavische Völker,
welche von dem Begründer des Hunnenreichs in den Provinzen
Dacien und Pannonien mit fortgerissen worden w'aren. Die
Auflösung seines Reiches aber und die Zurückdrängung der
Hunnen in die alten Sitze der Gothen war das Weidt der
Gepiden und Ostgothen, die Attila’s Söhne 454 schlugen. Die
Zertrümmerung des hunnischen Reiches führte dann neue
Wanderungen herbei, der Heruler, der Turcelinger, der Ost
gothen, im darauffolgenden sechsten Jahrhundert den Ver
nichtungskampf der Langobarden mit den Gepiden und endlich
826
Höf ler.
die Auswanderung- der Langobarden nach Italien, wodurch die
unteren Donauländer von Pannonien an von den Deutschen
geräumt wurden, das alte Markomanenland nicht minder; die
Slaven waren die Erben der Germanen geworden, wohnten,
wo diese Jahrhunderte hindurch ihre Sitze aufgeschlagen, ihre
Reiche begründet hatten, der Exodus aus den unteren Donau
ländern beendete die germanische Völkerwanderung und iiber-
liess Anten und Sklabenen den Kampfpreis von Jahrhunderten,
selbst die Heimat Marbods, Bojohemum, von wo dieser über
Rom die grösste Gefahr gebracht; es war eine freiwillige Ge
bietsabtretung, wie die Geschichte keine ähnliche kennt. Ich
glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, der entscheidende
Moment für die slavische Geschichte war jetzt eingetreten,
wenn eben an sie der gleiche Massstab wie an die deutsche
gelegt werden darf. Die Hunnen werden zurückgedrängt,
Europa gehörte den Römern, den Deutschen, den Slaven, wenn
diese sich eine Organisation zu geben wussten, wenn in ihrer
Mitte ein Alarich, ein Ataulf, ein Geiserich, ein Theodorich,
ein Clovis oder Alboin erstanden. Allein das ist eben das
Bedeutsame, dass sich die slavische Geschichte nicht wie die
deutsche gestaltete; nicht als wenn die Slaven friedlicher ge
wesen wären, wie man so lange wider alle Geschichte behauptete,
sondern weil es ihnen eben an Königen, an Adel, an Freien, an
jener inneren Organisation fehlte, welche schon Tacitus bei den
Germanen als diesen eigenthümlich hervorhob; daher kommt
es, dass, obwohl die mächtigsten deutschen Stämme in der näch
sten Zeit ihren Untergang fanden, zuletzt die übrigen doch noch
so viel Kraft besassen, ein Reich zu begründen, das sich dem
römischen von Constantinopel zur Seite stellen konnte. In der
Staatenbegründung .liegt somit der Hauptunterschied zwischen
den gei-manischen und slavischen Völkern. Das war eben der
Fluch der bösen That, dass Anten und Sklabenen, anstatt den
Pfaden der West- und Ostgothen, der Franken und anderer
deutschen Völker nachzufolgen und feste Wohnsitze auf römi
schem Grunde und Boden zu nehmen, mit den römischen Ein
wohnern in ein Rechtsverhältniss zu treten, vorzogen, das
römische Reich, so weit sie konnten, wüste zu legen, es aus
zumorden, anstatt es zu beleben, nur eine Periode der Feind
schaft kannten, aber nicht an einer Wiederherstellung- arbeiteten.
Abhandlongen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
827
Die unausbleibliche Folge war, dass der Contact der Nationen
aufhörte und somit die Einwirkung der Civilisation viel müh
samer und später war. Die Deutschen waren nicht blos in dem
Sinne eine geschichtliche Nation, dass sie an die römische Ge
schichte anknüpften, sondern auch durch ihre oft tragischen
Wechselfälle zu geschichtlichen Aufzeichnungen reizten, so dass
Procopios von der Katastrophe der Ostgothen, Gregor von Tours
von der Begründung des fränkischen Reiches, Beda von dem
Emporkommen der angelsächsischen Reiche, Paulus Diaconus
von den Wanderungen und Niederlassungen der Langobarden
ausführliche Kunde geben. Die Römer haben ihnen für ihre
Cultur die Wege gewiesen, und wenn auch im ersten Anstürme
die römischen Colonialstädte untergingen, das romulische Volk
hatte den Germanen doch die Wege gewiesen, die Orte bezeichnet,
auf welchen die einheimischen Städte und deutsches Bürgerthum
emporblühen konnten. Die spätere Einwanderung der Serben
und Croaten hat zwar zur Folge, dass in das unruhige Ver
schieben der Slaven eine gewisse Stetigkeit kommt, es kommt
aber zu keiner Geschichte, und wie Hilferding mit Recht be
merkte, vergehen Jahrhunderte ungeschichtlich, sie sind im
Stillschweigen der Geschichte verflossen; das Streben, an aviten
Zuständen festzuhalten, sie um keinen Preis aufzugeben, alles
Nichtslavische so lange wie möglich ferne zu halten, fremde
Knechtschaft zu ertragen, wenn man nur bei demjenigen ver
harren konnte, was an Sitte oder Unsitte von den Vätern überant
wortetwurde, war so überwiegend, dass ein wirklicher Fortschritt
nur auf dem Wege gewaltsamen Eindringens des Fremdartigen
gedacht werden konnte, und daher denn die ganz eigenthüm-
liche Thatsache, dass Jahrhundert für Jahrhundert andere
Völker auf die Slaven hereinstürmen und ihre Geschichte
weniger im Widerstande gegen diese, als in der Unterordnung
unter sie und der Verbindung mit Barbaren besteht.
Als aber endlich ein Strahl der Geschichte auf sie fällt,
gewahrt man mit einer Art von Entsetzen aus den Berichten
der Kreuzfahrer, dass die Cultur des Abendlandes hier Halt
gemacht habe. Viehzüchter und Räuber, die' von den unzu
gänglichen Bergen herabsteigen, um zu plündern, und dann
in ihren Schlupfwinkeln Straflosigkeit finden, sind ein schlechtes
Material für Staatenbildung. Die Schilderung, welche Wilhelm
828
Höfler.
von Tyrus noch im XII. Jahrhunderte von den Serben entwirft,
die keinen Ackerbau treiben, von Milch und Käse, Fleisch
und Honig lebten, Wachs producirten und raubten, wo sie
konnten, und die Schilderungen, die Helmold beinahe gleich
zeitig von den Slaven im jetzigen germanischen Tief lande ent
wirft, zeigen am besten, wohin man mit dem Festhalten an
der aviten Sitte kommt, namentlich wenn diese mit einem
vollständigen Bruche des Privatrechtes zusammenfällt, aus
dessen scharfer Sonderung die Staaten und das geordnete Zu
sammenleben der Stämme erwachsen. Wilde Raubsucht, Tapfer
keit und Grausamkeit gelten bei Polen, Czechen, Serben noch
im XII. Jahrhunderte als die hervorragendsten Eigenschaften.
Die Thätigkeit der Slaven in dieser Periode schien nur
zwei Ziele zu kennen. Einmal hinter den zurückweichenden
Deutschen sich ins Endlose auszubreiten und zu vermehren,
die Germanen selbst so viel wie möglich einzuengen, ihnen
durch Gebirge und Thal, durch ungeheure Wälder nachzu
folgen, sie so weit es möglich war zu bedrängen und ebenso
in Betreff des römischen Reiches zu verfahren. Gerade die
Zeit, in welcher die Ostgothen mannhaft den Todeskampf
kämpfen, ist mit den Nachrichten über die entsetzlichen Ein
fälle der Slaven in die Balkanhalbinsel erfüllt. Ihr Ziel war
nicht etwa, wie bei den gothischen Völkern der Gedanke sich
bemerklich macht, das alternde römische Reich zu erneuern
und durch gothische Kraft zu stützen, sondern alle und jede
Cultur zu vernichten, so dass sie bei den Römern wie bei den
Germanen ihrer unmenschlichen Grausamkeit wegen verschrieen
waren. Justinian,' welcher seinerseits an der Wiederherstellung
des römischen Reiches arbeitete, die apenninische Halbinsel
von den Gothen befreite — ich stelle mich hier auf den Stand
punkt der Römer — wahrte so weit er konnte die thrakisch-
griechische Halbinsel mit ihren Clausen und Pässen durch zahl
lose Bauwerke gegen die Einfälle der Slaven, wenn auch ohne
sein Ziel zu erreichen. Die Slaven aber gründeten nicht nur
keinen Staat, kein eigentliches Reich auf römischem Grund und
Boden, sondern verfielen selbst der Avarenmacht, die sie von
der Flanke aus packte und abwechselnd den Römern preis
gab oder mit ihnen als ,ihren Knechten und Jagdthieren' die
Römer bekämpften. Und so verstrich ein Jahrhundert nach
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
829
dem andern, folgte auf die hunnische Periode eine avarische,
aber keine der Civilisation. Ja diese schien sich für alle Zeiten
zu verziehen. Eine der grössten Krisen der Weltgeschichte
war eingetreten, als der Perserkönig Chosroes sich aufmachte,
nachdem die christliche Welt wohl das griechische und das
römische Heidenthum überwunden und gerade jetzt in der Ueber-
windung des germanischen begriffen war, im Namen Ormuzds
den Kampf gegen die Kinder Ahrimans im Westen zu unter
nehmen, und wie einst Kyros im Kampfe mit den Babyloniern
auf die Juden sich stützte, stützte sich Chosroes im Kampfe mit
Kaiser Heraklius auf die jüdische Bevölkerung Palästinas einer
seits, auf die türkischen Avaren und auf die diesen botmässigen
slavischen Stämme andererseits. Wir verbinden den Sieg des
Christenthums mit der Constantinschlacht über Maxentius, mit
den Siegen Constantins über Licinius. Als die Perser Jahre lang
von Chalkedon und Chrysopolis aus Constantinopel blokirten und
nun von der anderen Seite der Chagan der Avaren ,mit den
nackten und bewaffneten Slaven' herbeieilte, diese die Perser
zu Schiffe über den Bosporus bringen sollten, entstand ein nicht
minder grossartiger Weltenkampf im Jahre 626, als einst vor
den Mauern Roms, und bohrten in denselben Gewässern jetzt
armenische Schiffe die slavischen ,Einbäume' in den Grund, in
welchen Licinius geschlagen worden war. Die Hagia Sofia war
bestimmt, entweder das Schicksal der griechischen Tempel zu
theilen, die einst Xerxes dem reinen Elemente zum Opfer aus
erkor, oder als Schlachtbank zu dienen, auf welcher Avaren
und Slaven die christlichen Römer ihren Göttern zu Ehren er
mordeten. Erst als die di'ei heranstürmenden Völker zurückge
wiesen worden waren, Constantinopel sich der Avaren, der Perser,
der Slaven erwehrte, Heraklius die Perser unter den Ruinen
von Ninive schlug und die Residenz des Perserkönigs eroberte,
der Herrschaft der Perser in Vorderasien ein Ende machte, zur
Eindämmung der Avaren aber sich mit den Bulgaren verband,
die Serben und Croaten zur festen Ansiedlung in den Gegenden
veranlasste, die sie seitdem nicht mehr verliessen, und nun auch
im Westen das freilich transitorische Reich der Wenden unter
Samo entstand, ein allgemeines Kesseltreiben der Avaren ein
trat, die Anten sich mehr nach dem Norden zogen, die Skla-
benen unter verschiedenen Namen im romäischen Reiche südlich
vordringend sich niederliessen, die Emancipation der Slaven
von den Avaren als die grosse Folge des verunglückten Sturmes
auf Constantinopel hervortrat, klärten sich die Geschicke der
slavischen Völker und begann in der That eine neue Epoche,
die Epoche, so konnte man glauben, der Selbstständigkeit im
Gegensätze zur hunnischen und avarischen Knechtschaft. Mährer,
Czechen, Carentaner, Croaten, Serben, die West- und die Gräco-
slaven, bildeten einen natürlichen Wall um die Avaren, die
Zeit hatten, ihren Ring zwischen Theiss und Donau zu bauen
und aus der Offensive und der Bedrückung der Slaven in den
Zustand der eigenen Vertheidigung versetzt worden waren.
Jetzt fing es erst mit der slavischen Geschichte zu tagen an.
Es war die Folge des verunglückten Sturmes auf Constantinopel.
Die ganze slavische Geschichte entbehrte aber eines Centrums,
da es den Slaven niemals gelang, so wie die Deutschen sich
Roms bemächtigt, Constantinopel zum Ausgangspunkte eines
slavischen Kaiserthums zu machen.
§• 4.
Zweiter Zeitraum (626—895).
Es ist in der nun scheidenden Epoche das charakteri
stische Moment der slavischen Geschichte, dass die Slaven
nicht im Lande bleiben, sondern es nur verwüsten und aus
rauben, zu Tausenden (Myriaden sagt Menander) die römisch-
griechischen Bewohner über die Donau in ihre Sümpfe und
Wälder, die ihnen zu Wohnungen dienen, wegschleppen, nicht
aber wie die Germanen sich auf römischem Gebiete nieder
lassen. Dieses Raubsystem ist aber das gemeinsame Moment,
welches bei dem Auftreten der Carentanen, der Wenden, der
Czechen sich ebenso bemerkbar macht wie bei dem der Anten
und Sklabenen. Wenn daher das Experiment des Kaisers
Heraklius gelang, Serben und Croaten zu festen Wohnsitzen
zu vermögen, war nicht blos in Betreff der Einschliessung der
Avaren ein ungemeiner Vortheil errungen, sondern auch die
einzige Möglichkeit gegeben, die Slaven überhaupt zu europäi-
siren, d. h. sie zu den Sitten und Gewohnheiten der europäi
schen Culturvölker zu bringen, die durch das Christenthum
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
831
bereits die Grundlagen einer gemeinsamen Cultur erhalten"
hatten. Es war die Absicht der Römer, die nie vergassen, wie
weit sich ihr Reich einst nach dem Westen erstreckte, und
dass dasselbe die südlichen Halbinseln Europas und den Westen
Kleinasiens durch den Ring von Constantinopel Zusammen
halte, die Avaren, welche das Talent der politischen Organi
sation in hohem Grade bethätigt hatten und als die gefähr
lichsten Nachbarn erschienen, durch die Slaven aus dem Reiche
hinauszudrängen. Dann aber, nachdem eine Erfahrung von
mehreren Jahrhunderten die Slaven ,als treulos, ohne Rücksicht
auf abgeschlossene Verträge, als von Haus aus räuberisch' er
scheinen Hess, gebot eine conservative Politik den Römern, Alles
aufzubieten, damit nicht unter den Slaven selbst eine Gesammt-
herrschaft, eine Monarchie entstehe, wie sie bei den Deutschen
bereits durch die fränkische Monarchie entstanden war, und
da man wusste, wie sehr sich die slavischen Völker gegenseitig
hassten, war der Plan, Serben und Croaten im Rücken der
Avaren aufzustellen, auch von der Seite aus von Bedeutung,
dass, wenn Mösien, Thracien und die griechischen Länder den
Sklabenen preisgegeben werden mussten, die Eingedrungenen
an der via Egnatiana, an den Grenzen Makedoniens und Thes
saliens, in Epirus und Dalmatien andere Slavenvölker fanden,
die den von der unteren Donau aus sich in das Herz des
Reiches Ergiessenden die Bruderhand zu reichen schon im
eigenen Interesse nicht gewillt waren.
Aber eine grosse Veränderung war doch eingetreten. Der
Anfang war gemacht, der Balkanhalbinsel eine slavische Be
völkerung zu geben; die Wenden befreiten sich nicht blos von
dem avarischen Joche, sondern sorgten unter König Samo
dafür, dass auf das avarische nicht ein fränkisches folge; vom
Eintritte in Italien schlossen die langobardischen Könige ihre
avarischen Bundesgenossen, mit welchen sie Istrien verheert
hatten, selbst aus. Hunnen und Avaren hatten die Slaven zu
keiner Selbstständigkeit kommen lassen. Jetzt konnte es anders
werden. Wenn sich das Reich Samo’s erhielt, nicht etwa nur
auf seine Lebensdauer angewiesen war, wenn Croaten und
Serben nicht blos sich niederliessen, sondern auch in die Ge
schichte kräftig eingriffen, wenn sich auch unter den Sklabenen
ein Samo vorfand, der die Stämme vereinigte, ein Clovis, der ein
832
Hofier.
festes Reich begründete, so gehörte die Zukunft der Balkan
halbinsel den Slaven an. Doch darf man nicht vergessen, dass,
wenn spätere Zeugnisse Samo zum Carentanen machten, die
früheren und authentischen Berichte denjenigen, der die wen
dischen Stämme vereinigte, zum Deutschen machen, von dessen
Reich und Wirken aber unter den Westslaven selbst sich keine
Tradition erhielt. Ihn mit Libussa und Krok, den Czechen-
fürsten, in Verbindung zu bringen, ist Spielerei und keine Ge
schichte. Böhmen zumal ist nie der Mittelpunkt der slavischen
Geschichte gewesen, und seiner ganzen Lage nach ist dieses
Land, das, im Kleinen so fruchtbar wie Frankreich im Grossen,
niemals von den Deutschen hätte aufgegeben werden sollen,
dazu nicht bestimmt. Das Reich Samo’s verging, wie es ent
standen war. Als sich ein fester historischer Boden bildet,
ist das deutsche Bojehemum in den Kreis des karolingischen
Reiches hineingezogen und hat Karl der Grosse unter den
Slaven einen so mächtigen Eindruck gemacht, dass behauptet
wurde, sie hätten ihren Fürsten einen gemeinsamen Kamen
nach ihm gegeben — Kral. Die einheimischen Aufzeichnungen
der Czechen sagen, dass sie ihm tributär wurden. Ueber ihn
hinaus kennen sie nur Sagen, die an der Stelle der Geschichte
volksthümliche Glaubwürdigkeit erlangten. Aber auch sie wissen
nichts von Samo, dem fränkischen Kaufmanne, dem Könige der
Wenden, dessen geschichtliches Auftreten ein Glied jener Kette
von Ereignissen bildet, die mit dem römischen Kaiser Heraklius
im Zusammenhänge stehen.
Die Massregeln, welche Heraklius in Betreff der Serben
und Croaten ergriff, sollten zum Schutze des Römerreiches
dienen. Wenn sie in ihrem Gefolge die Emancipation der Slaven
von den Avaren herbeiführten, so mochte dieses weniger vor
ausgesehen worden sein, als sieh allmälig gestalten. Die ava
rische Herrschaft war im Osten durch das Ereigniss vom Jahre
626 erschüttert, aber nicht vernichtet worden, und als nun seit
670 die Onogunduren (das türkische Volk der Bulgaren) über
die Donau zogen, sieht man, dass die slavischen Stämme, welche
sich auf der Balkanhalbinsel niedergelassen, um jeden Preis
Salonichi zu gewinnen suchen. Sie rufen selbst den Chagan
der Avaren zu Hilfe und setzen Alles daran, nachdem sie
Constantinopel nicht erobert, die zweite Stadt des Reiches zu
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
833
erobern, die ihnen erst einen Stützpunkt verleihen konnte.
In Griechenland wie in Makedonien bilden sich ,Sklabinien'
und Griechenland selbst heisst so. Viele Tausende von Slaven
werden nach Kleinasien verpflanzt, die in Thracien zurück
bleibenden aber verfallen den Bulgaren, bekämpfen mit diesen
die Römer, nehmen an den grossen inneren Wirren des römi
schen Reiches unter Justinian II. 685—711 grossen Antheil.
Mösien wird der Sitz eines neuen türkisch-slavischen Reiches,
das rasch die Traditionen der Avaren und deren Feindschaft
gegen Constantinopel aufnimmt. Das VIII. Jahrhundert sah
in seinem Anfänge die Bulgaren als Feinde der Araber, die
die Kaiserstadt 717 belagerten, vor den Mauern von Con
stantinopel. Bald aber begannen die Kämpfe zwischen Römern
und Bulgaren noch hartnäckiger als unter den Avaren. Diese
verschwinden mehr und mehr, und die Bulgaren, die an Trnowo
ihren Mittelpunkt finden, bleiben und verbinden sich mit den
Bewohnern der Sklabinien, welche sie gegen die Kaiser ver
teidigen, langsam zu Einem Volke, was den Avaren nicht
gelang..
Aber auch nur langsam und widerstrebend. Die Römer
einerseits, die Bulgaren andererseits suchten sich die verschie
denen Sklabinien und die slavischen Niederlassungen zu unter
werfen und verpflanzten die slavischen Einwohner. Wieder
wurde Thracien gräulich verwüstet und ausgeraubt und jede
Cultur vernichtet, wieder der Versuch gemacht, Constantinopel
zu erobern, endlich von Krum alle Sklabinien aufgeboten, um
unter seiner Führung den Avarenzug des Jahres 626 zu er
neuern. Als er unter diesen Plänen starb, stellten sich Bodricen,
Kucaner und Timocaner (zwischen Timok und Morawa) unter
fränkischen Schutz (818). Während die Bulgaren an der Er
oberung von Constantinopel arbeiteten, das zum Heile der Welt
nicht in ihre Hände fiel, und, selbst eines der wildesten und
grausamsten Völker, die unterworfenen Slaven nur verwildern
konnten, war durch die fränkische Monarchie Karls des Grossen
die vollständige Befreiung der Westslaven vom avarischen Joche
erfolgt, die avarische Macht zertrümmert, das avarische Volk
seinem Untergange nahe gebracht. Es verging, wie die Hunnen
vergangen waren, als sie aufhörten, eine Macht zu sein. Nun
aber trat das fränkische Reich, das Kaiserthum Karls des
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 53
834
Höfler.
Grossen und eine Macht ein, die sich weiter entwickelnd das ganze
Mittelalter beherrschte. Hatten die Avaren nur Bedrückung,
Zwingherrschaft, Rohheit und Schrecken gebracht, so musste
ihr Sturz als eine ungemeine Wohlthat erscheinen; jetzt erst
konnten die slavischen Völker im Westen aufleben, und wenn
sie für solche Dinge Sinn besassen, erkennen, was Grosses und
Bedeutendes an der durch die Karolinger begründeten Ver
einigung so vieler Völker unter einem christlichen Haupte, dem
Kaiser, vorhanden sei. Das fränkische Kaiserthum erkannte
seine Aufgabe darin, die sittliche Ordnung des Christenthums
den Völkern zukommen zu lassen, die bisher ihre nationalen
Gewohnheiten, ihre Rohheit und ihren Aberglauben als das
höchste Gut angesehen, gepflegt und wie ein Kleinod gehegt
hatten. Das Reich, das den Widerstand der Sachsen gebrochen
hatte, war aber selbst zum Theile ein slavisches Reich, nicht
hlos weil es, wie Einhard bemerkt, so viele slavische Völker
in sich schloss, sondern weil es überhaupt bis dahin keine
bedeutendere Vereinigung slavischer Völker gegeben hatte.
Carentanen, Mährer, Czechen, Croaten wie Wenden gehörten
dazu, und zwar ohne dass diese ihre Nationalität oder die ein
heimischen Fürsten preiszugeben gezwungen gewesen wären,
und als es drei Jahre nach dem Tode des ersten fränkischen
Kaisers, des gemeinsamen Gebieters slavischer, deutscher,
romanischer Völker, zur ersten Theilung des fränkischen
Reiches kommt, bildet der slavische Bestandtheil, welcher sich
um Bojoarien gruppirt, mit dem Avarenlande die Carentanen,
die Boemanen und die Slaven östlich von Bojoarien umfasst,
den Kern Ostfranciens, die Wiege des nachherigen deutschen
Reiches (817).
Mit Recht macht man aber bei diesem Ereignisse einen
Haltpunkt. Bereits klären sich die entscheidenden Richtungen.
Zwei Strömungen herrschen vor, denen die slavische Welt sich
nicht mehr entziehen kann: eine orientalisch-griechische,
welche ihre Feindschaft gegen das slavische Element so wenig ver
birgt, als das letztere, bereit, mit allen Feinden der Romäer sich
zu vertragen, je davon ablässt, seine Spitze gegen Constantinopel
zu kehren; die andere, eine occidentalisch-fränkische, die
sich weniger an eine Stadt wie Neurom anschloss, als an ein
Reich, das, aus römischen und nichtrömischen Bestandtheilen
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
835
zusammengesetzt, die Mitte desjenigen Erdtheiles einigte,
welcher zuletzt der Mittelpunkt der alten Geschichte geworden
war. Als aber diese beiden Reiche schon längst dastanden,
das eine als die natürliche Fortsetzung des von Constantin
erneuerten Römerreiches, und das andere in seiner Weise
gleichfalls das römische Reich erneuernd, rangen die slavischen
Völker noch immer um ihr politisches Dasein. Nicht sie hatten
sich von den Hunnen befreit; nicht sie hatten die Macht der
Avaren zertrümmert. Mit diesen waren die Slaven vor Con-
stantinopel gezogen, dessen Eroberung ihre avarische Knecht
schaft verewigt hätte. Kaiser Heraklius hatte sie erst consti-
tuirt, ein Franke im Westen den Streich gegen die Avaren
geführt; als aber Samo gestorben war, war es, als wäre er nie
dagewesen; man erwartet von der Einwanderung der Serben
und Croaten den Anfang einer lebensvollen Geschichte, und
man hört nur von Piraterien. An die Stelle der Avaren treten
die Bulgaren, und man muss einer Erneuenmg der gi’ossen
Belagerung von Constantinopel im Jahre 626 gewärtig sein,
als der bulgai’ische Chagan 815 stirbt, ehe es ihm gelang, wie
er wollte, die Slaven zum Sturme der Kaiserstadt zu vereinen.
Er konnte den Kaiser Nikophoros schlagen und tödten (811), sein
Reich zu erobern war ihm nicht beschieden, so wenig als die
avarischen Zeiten zu erneuern. Das romäische Reich erhielt
sich mit jener wunderbaren Widerstandsfähigkeit, welche ein
civilisirter Staat zu entwickeln vermag. Ein zweites war ihm
im Westen an die Seite getreten; beide waren riesige Pfeiler,
an welchen sich die Wogen slavischer Völkei-strömung bi'echen
mussten, Marksteine für ihre zukünftige Entwicklung. Es gab
noch etwas Höheres als bulgarische Amalgamie und avarische
Hegemonie. Von letzterer befreite sie Karl der Grosse für
alle Zeiten und substituirte nun an die Stelle tüx-kischer Barbarei
sein Reich, das deutsche, mit allen Gebrechen des IX. Jahi'hun-
derts, mit allen den Vorzügen der fränkisch-christlichen Mon
archie. Er wies seinen Nachfolgern den Weg in das Wenden
land, er knüpfte die karolingischen Ostslaven, Carentanen,
Mährer und Czechen aneinander, als hätte er eine Vorahnung
besessen, dass den Slaven in nächster Zeit eine neue Ver
suchung sich nahe, statt an die beiden Culturreiche, an die
wüthenden Waraeger des Nordens, an die wüthenden Magyaren
53*
836
Höfler.
im Osten sich anzuschliessen und noch einmal die alten Wege
heidnischer Barbarei und ungezähmter Wildheit zu wandeln.
Das IX. Jahrhundert brachte ihnen die Wahl zwischen den
beiden Kaiserreichen einerseits, zwischen Bulgaren, Magyaren,
Waraegern anderseits. Wie sie sich entschieden, bildete sich
ihre Zukunft. Die Möglichkeit, ein Gesammtreich zu bilden,
war weiter als je hinausgerückt und ergab sich selbst nur in
sofern, dass es Bulgaren, Magyaren oder Warägern gelang,
dazu den Grund zu legen; nicht aber war dieses den Slaven
Vorbehalten.
Es muss unter den Bulgaren im IX. Jahrhundert sehr
eklich zugegangen sein, da zu den Kämpfen der vornehmen
Familien auch die gewaltsame Abwehr des Christenthums und
Streitigkeiten mit den Serben sich gesellt hatten, zugleich der
slavische Einfluss, zweifelsohne durch slavische Weiber, sich
geltend machte, so dass Omortags drei Söhne bereits slavische
Namen tragen. Als nun Boris Beherrscher der Bulgaren ge
worden war, brach er durch eine grauenhafte Vertilgung der
ihm widerstrebenden Bojaren die Macht des einheimischen
Adels und knüpfte mit Rom in dem Augenblicke kirch
liche Verbindungen an, in welchem der Mährenfürst Rastis-
lav, obwohl sein Volk von Passau aus bereits bekehrt
worden war, sich an den romäischen Kaiser Michael um
Glaubensboten wandte. Was jetzt kam, charakterisirt die
slavische Geschichte. Einerseits erlangte Boris die Taufe
durch griechische Priester und war derselbe Kaiser Michael III.
sein Pathe, der die beiden Brüder aus (dem römischen) Salo-
nichi, Cyrill und Methud, nach Mähren sandte. Andererseits
schloss sich der erste christliche Bulgarenfürst, Boris-Michael,
an Rom an und verlangte von da einen Patriarchen, ein Recht,
das doch nur einer apostolischen Kirche zuerkannt wurde.
Auch war nach dem frühen Tode Cyrills (Constantins) in
Rom Methud kaum als Erzbischof nach Mähren zurück
gekehrt, als er die slavische Liturgie mit besonderer Schrift
einführte und nach dieser Seite hin sowohl den Griechen als
den Lateinern gegenüber eine Neuerung erzeugte, die notk-
wendig zu grossen Zerwürfnissen führen musste und führte.
Zugleich suchte sich Mähren von dem ostfränkischen Reiche
loszureissen; der Fürst, welcher dieses versuchte, Rastislav,
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
837
fand aber nicht blos durch die Verbindung des Boris mit
Kaiser Ludwig von Ostfrancien Widerstand, sondern wurde
auch von dem eigenen Neffen Swatopluk gestürzt und den
Ostfranken ausgeliefert. Während dieses geschah, hatte sich
Boris-Michael bereits von Rom wieder abgewendet, an das
Patriarchat von Constantinopel angeschlossen und von diesem
einen Erzbischof für Bulgarien erhalten, und sein Volk und
Reich somit in geistige Abhängigkeit von seinen grössten
Feinden versetzt, das Beispiel eines Hin- und Herschwankens
zwischen Rom und Constantinopel gegeben, das für seine
Nachfolger wie für ihn unheilvoll wurde. Daneben erlangte
Methud durch Papst Johann VIII. Anerkennung der slavischen
Liturgie. Damit trat unter dem Schutze der lateinischen
Kirche und mit ihr durch das Band des gleichen Glaubens
verbunden eine neue Gestaltung hervor, die offenbar die
slavischen Völker kirchlich zu vereinigen bestimmt war.
Gerade diese so wichtige Sache hat aber seit der Auf
findung der Papstbriefe im britischen Museum eine Beleuch
tung erlangt, die mit der früheren Auffassung theilweise im
grellen Widerspruche steht. 1 Es war ohne Zweifel eine grosse
nachhaltige und bedeutende That, als der römische Stuhl,
nachdem er im VIII. Jahrhunderte durch Bonifacius die
deutsche Kirche organisirt und dadurch die Grundlage für das
spätere deutsche Reich gelegt hatte, auch die Organisation der
Westslaven in seine Hand nahm. Nicht blos, dass Methud
von Adrian II. zum Erzbischöfe von Pannonien consecrirt
worden war, er erhielt die Würde eines Legaten des apostoli
schen Stuhles mit einer besonderen Mission an die slavischen
Völker, die jetzt einen- geistigen Mittelpunkt erhalten sollten.
Allein während sich Bonifacius in seiner grossen Mission der
Unterstützung des pipinischen Königshauses und der neuen
fränkischen Krone erfreute, an Mainz und Fulda zwei grosse
Centren für seine geistliche und geistige Wirksamkeit er
langte, stiess der neue Erzbischof auf beinahe unüberwind
liche Schwierigkeiten. Er erschien nicht blos den deutschen
Bischöfen, welche sich dem mühevollen Werke der Christiani-
sirung der Slaven Unterzogen hatten, als ein Eindringling, er
1 Ewald, die Papstbriefe der brit. Sammlung. Neues Archiv, 1880, Bd. 5.
838
Höf ler.
war es, da seine Wirksamkeit sowohl den erzbischöflichen Spren
gel von Salzburg, als das Bisthum von Passau beeinträchtigte,
die slavische Liturgie eine unerhörte Neuerung war und mit
seiner Person und Herkunft sich selbst der Verdacht häretischer
Anschauungen verband. Der Zorn gegen den Griechen überstieg
aber alles Mass, der Uebermuth des über Rastislav gewonnenen
Sieges gesellte sich dazu, und anstatt eine gesegnete Wirksam
keit anzutreten, fand der neue Erzbischof sich einem Tribunale
von Bischöfen gegenübergestellt, die ihre eigene Sache ver
fochten, Ankläger und Richter in einer Person waren. Nament
lich lastet auf dem Bischof Arno von Freising der Vorwurf,
dass er die übrigen Bischöfe zu dem masslosen Vorgehen an
geeifert habe, so dass dem Erzbischof nicht einmal der Sitz
unter den Priestern, geschweige unter den Bischöfen eingeräumt
wurde. Ermanrich von Passau musste selbst von den übrigen
Bischöfen abgehalten werden, Methud nicht, wie er wollte,
mit der Pferdepeitsche zu behandeln, auf welche sich der
hajuwarische Bischof wohl besser verstand als auf die erhabenen
Pflichten seines geistlichen Standes. Methud wurde durch die
Synode der salzburgischeu Kirchenprovinz abgesetzt, seine Be
rufung nach Rom verworfen, er dem Bischöfe von Passau über
geben, der ihn misshandelte, dem Regen und der Winterkälte
im Gefängniss aussetzte; der Legat schmachtete im Gefäng
nisse seiner bischöflichen Feinde, bis Arno als Verwalter der
Güter des römischen Stuhles in Deutschland nach Rom kam,
dort Auskunft über Methud zu geben hatte, und als er
leugnete den Erzbischof von Pannonien zu kennen, endlich
Schreiben des Letzteren dielntercession des apostolischen Stuhles
aufriefen. Jetzt wurden aus den Anklägern und Richtern Ange
klagte, die sich zu verantworten hatten. 1 Der Bischof Paulus
von Ancona wurde von Papst Johann VIII. mit einer beson
deren Mission an König Ludwig — den Ostfranken — betraut,
Ermanrich von Passau und Arno von Freising zur Verantwortung
nach Rom geladen, der Erzbischof von Salzburg als Urheber
1 Voa sine canonica sententia dampnastis episcopum ab apost. sede missum
carceri mancipantes et colaphis affligentes et a sacro ministerio separan-
tes et a sede tribus annis pellentes, apostolicam sedem per ipsum trien-
nium pluribus missis proclamantem. Instruction an den Legaten Paul,
was er den Bischöfen Alvinus und Ermanrich zu sagen habe.
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
839
der unrechtmässigen Absetzung Methuds aufgefordert, seine
Wiedereinsetzung vorzunehmen, die pannonische Diöeese als
eine dem römischen Stuhle unmittelbar unterworfene bezeichnet,
die Bischöfe von Freising und Passau so lange suspendirt, als
sie selbst den Erzbischof von seinem bischöflichem Amte ferne
gehalten (anderthalb Jahre), endlich dem päpstlichen Legaten
der Auftrag ertheilt, Methud nicht blos zu befreien, sondern
zu dem Mährerfürsten Swatopluk zu bringen, auf dass er nun
seine Sendung in Mähren erfülle. Im Jahre 880 gestattete
der Papst den slavischen Gottesdienst, und noch später wurde
von Papst Stephan VI. Methud der päpstliche Schutz gewährt.
Nur an den Slaven selbst lag es, nachdem ihnen die Hand
zur Organisation gereicht worden war, sich in ähnlicher Art
aufzurichten, wie es die Deutschen gethan. Ein Gottesgericht
schien sich über diejenigen zu entladen, die den Erzbischof
von Pannonien, den päpstlichen Legaten so schändlich behan
delt hatten; der Erzbischof Adalvin starb am 14. Mai 873,
am 2. Januar 874 Ermanrich, Bischof von Passau, am 9. Oc-
tober 875 Bischof Arno von Freising, ein vierter, wohl der
Bischof von Brixen, folgte ihnen nach. Muncimir, Herzog der
Slaven (Serben), Domagir, Herzog der Slaven, Gozil (Kocel),
Fürst von Pannonien, erhalten von Papst Johann Schreiben,
durch welche sie an Methud gewiesen werden. 1
Als aber Papst Johann VIII. gestorben war (882), und
nun drei Jahre später Methud seinen Schüler Gorazd zu
seinem Nachfolger bestimmte, änderte Papst Stephan VI. die
Sprache. Er verlangte, dass Gorazd, ehe er seine Functionen
als Erzbischof übernehme, sich in Rom persönlich vorstelle,
was übrigens in der Natur der Dinge begründet war. Er gebot
ferner, auf das eidliche Versprechen, das Methud dem Papst
Johann geleistet, sich der slavischen Messen enthalten zu
wollen, diese geradezu, wenn er auch gestattete, dass das Evan
gelium den Slaven slavisch durch taugliche Leute gepredigt
werde. Der Papst belobte nicht blos den lateinischen Bischof
Wiching, sondern sandte auch den Bischof Dominicus, wie die
1 J. Martinovic S. J. Saint-Methode, apotre des Slaves, et les lettres des
souverains pontifes conservees au British Museum. (Revue des questions
historiques, 1880, I. Bd., p. 369. 397). Es ist wohl nur ein Druckfehler,
wenn Ermanrich als eveque de Nassau (p. 381) bezeichnet wird.
840
HSfler.
Priester Johann und Stephan an Swatopluk ab. 1 Bischof Wiching
war nach Rom gegangen, wurde von Papst Stephan als Nach
folger Methuds zurückgeschickt, und nun wurden die Schüler
Methuds aus Mähren vertrieben und das Werk des Apostels der
Slaven umgestürzt. (Ende 885. 2 )
Offenbar war es die Absicht Methuds — denn von Cyrill
(Constantin) kaun bei dem Apostolate im Vergleiche zu seinem
Bruder wenig die Rede sein — die Slaven kirchlich zu einen,
jedoch nicht durch das Schisma der sogenannten orthodoxen
Kirche, die sich jetzt als die alt- und echtslavische geltend
machen möchte, selbst aber nur ein Ableger des Byzantinismus
ist, sondern unter Anerkennung und dem Schutze des gemein
samen Oberhauptes der Christenheit, des Papstes, von welchem
Methud seine Mission erhielt. Es mag sein, dass er den Her
zog der Czechen Bofiwoy taufte, dass ,ein mächtiger Fürst,
sitzend an den Weichsein' von ihm zur Annahme des Christen
thums bewogen wurde, ,aueh die Slaven, welche man das
russische Volk nennt', wie sich Hilferding ausdrückt, ,vom
Worte der Solauer Brüder berührt wurden'. Es handelt sich
in solchen Dingen nicht um vorübergehende Berührungen oder
Bekehrungen, denen nur zu häufig ein Rückfall in das Heiden
thum nachzufolgen pflegte, sondern um dauernde Einrichtun
gen, welche rohen Völkern zur Stütze dienen konnten. Die
Mährer waren bereits bekehrt und das lateinische Bisthum
Neutra stand mindestens so berechtigt da als der im Wider
spruche mit den lateinischen Bischöfen des deutschen Reiches
eingeführte slavische Gottesdienst Methuds. Sollte aber letzterer
durchdringen, so musste er von fürstlicher Gunst und dem
allgemeinen Volkswillen getragen sein. Beides fehlte nicht
blos, sondern der lateinische Gottesdienst an den Höfen der
Karolinger reizte viel mehr die mährischen Fürsten, diesen
gleichzuthun, als durch eine kirchliche Neuerung hinter ihnen
zurückzuweichen. Von dem Augenblicke an, als Methud und
seine Anhänger nicht einmal am mährischen Hofe, der die
beiden Brüder berufen, durchdringen konnten, war die Möglich
keit einer Einigung der Slaven durch slavischen Gottesdienst
1 Martinovic p. 390.
2 Martinovic p. 395.
Abhandlungen aus dem Gebiete der elayischen Geschichte. IV.
841
geschwunden und wurde letzterer eher ein Moment der Spal
tung als der Einigung. Die Westslaven nahmen ihn nur theilweise
an. Swatopluk vertrieb die Schüler Methuds und die czechischen
Stämme, von welchen man meinen sollte, dass sie, wenn sie
von Methud bekehrt worden, sich der Vertriebenen annehmen
würden, begaben sich nicht etwa unter die Leitung des slavi-
schen Bischofs Clemens oder des lateinischen Bischofs von
Neutra, sondern unter die des Bischofs von Regensburg. Wohin
die Jünger Methuds drangen, fanden sie an der griechischen
Geistlichkeit ihre schonungslosesten Gegnex - , die sich durch
alle Jahrhunderte in ihrer Feindschaft gegen die slavische
Kirche gleich blieben und ihr nur vielleicht dann einen Vor
schub leisteten, wenn es galt, einen Schlag gegen die römische
Kirche zu führen. Während die slavische Kirche eine innere
Berechtigung nur durch die Methud zu Theil gewordene An
erkennung des römischen Stuhles gewinnen konnte, nahm sie
später dui'ch ihre Berührung mit der orientalischen den stupiden
Hass der letzteren gegen die gesammte lateinische Welt in
sich auf, nicht bemerkend, dass sie dadurch den rechtlichen
Grund ihres Bestandes zerstöre. Sie nahm von ihr auch das
orientalische Mönchthum in seiner ganzen Einseitigkeit und
Verbissenheit an, ohne jene Lebenskraft, die die Benedictiner,
Cluniacenser, Cistercienser in den wichtigsten Ki-isen des
abendländischen Völkerlebens entfalteten. So kam es, dass
unter den Händen der Slaven das Werk, welches sie kirchlich
vereinigen sollte, national einigen konnte, ein Mittel des Zwie
spaltes wurde, die erhoffte Gemeinsamkeit der Schrift sich gleich
falls in das Entgegengesetzte verkehi-te, die vexatorische
Glagoliza sich dazu untauglich erwies, die Cyrilliza Ausdnick
des Schismas wurde, das sieh als orthodox geberdete, das
Andenken an Methud aber unter den Westslaven in der Art
schwand, dass man ihn mit dem heiligen Hieronymus ver
wechselte. An der Stelle der erstrebten Einheit machte sich
nicht blos lateinischer und gx-iechischer Einfluss geltend, son
dern auch armenischei', jüdischer, bis endlich in diesem Ge
dränge der Manichäismus eine Propaganda entwickelte, die
Gewaltmassregeln nicht ausrotten konnten, und einen Wurm
erzeugte, der am politischen wie am geistigen Leben nagte.
842
Höfler.
Nach allen Seiten hin machte sich schon bei der Genesis
der slavischen Reiche die Verwirrung geltend.
Auch in Serbien, das gleich Anfangs durch Heraklius
römische Geistliche erhalten, war anfänglich der römische Ein
fluss herrschend, während die Serben zum romäischen Reiche,
die Croaten aber zum ostfränkischen hielten. Als die Bajuwaren
sich Carentaniens bemächtigten, dorthin sich die Salzburger
Missionäre wandten, endlich des ostfränkischen Königs Karl
mann Sohn, Arnulf, Herzog von Carentanien wurde, ging
dieses Land für die slavische Welt verloren. Der mährische
Grossfürst Swatopluk unterstützte selbst Arnulf in seinen Be
mühungen, Kaiser Karl III. zu stürzen, und wirklich wurde
Arnulf ostfränkischer König und später selbst Kaiser. Als
Swatopluk, der nicht blos den slavischen Gottesdienst beseitigte,
sondern auch selbst die Einrichtungen zerstörte, welche die
Grundlage der Unabhängigkeit des mährischen Reiches werden
konnten, ward er selbst Anlass zur frühen Katastrophe seines
Reiches, das nicht wieder hergestellt wurde. Bereits war der
Einbruch der Magyaren erfolgt, der Feinde der Bulgaren, die
aber erst die Slaven bekämpften und dann für das deutsche
Reich wurden, was die Bulgaren für das romäische Reich ge
worden waren. Damals starb Fürst Swatopluk, gerade als ein
langes Leben für die Erhaltung des Mährerreiches Lebens
bedingung geworden war (894), und nun rissen sich sämmtliche
Herzoge der Boemanen (Czechen), die bisher auf Seite der
Mährer gestanden, von diesen los, unterwarfen sich in Regens
burg König Arnulf (895), und Böhmen gehörte von nun an zur
Diöcese Regensburg und zur lateinischen Welt, zudem deut
schen Reiche, wie Carentanien, nur mit dem Unterschiede,
dass Böhmen seine einheimische Fürstenfamilie behielt; das
war aber gerade jetzt um so wichtiger, als nun in Mähren
unter den Söhnen Swatopluks in gewohnter Weise der Bruder
krieg ausbrach, und die Magyaren jetzt selbst von den Mährern
herbeigerufen wurden. Mit dem Untergange der Dynastie
schwand die Unabhängigkeit der Mährer, das Volk selbst ge-
rieth unter die Botmässigkeit der Magyaren, die jetzt ihr Reich
auf den Untergang aller Nachbarstaaten gründeten und einen
neuen, vierten Complex der slavischen Welt aufrichteten.
Schon 900 klagten die ostfränkischen Bischöfe, die Mährer
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
843
hätten Sitten und Gewohnheiten der Magyaren angenommen,
sie seien für die christliche Cultur verloren gegangen.
§• 5.
Dritter Zeitraum. (895—1204.)
So war im Laufe des IX. Jahrhunderts eine ungeheure
Katastrophe eingetreten. Die bisherigen Herren der Slaven,
die Avaren waren verschwunden, durch die Bulgaren ersetzt,
ohne dass jedoch diese nach Westen hin die Bedeutung erlangt
hätten, die den Avaren zugekommen war; dafür traten aber
gegen das Ende des Jahrhunderts die Magyaren ein, welche
bestimmt zu sein schienen, die Westslaven aufzurollen, wie die
Bulgaren diese Rolle den Südslaven gegenüber zu spielen
gedachten. Daneben ging Carentanien verloren, die Croaten
trennten ihre Geschicke mehr und mehr von den Serben
und schlossen sich an das Karolingerreich und die römische
Kirche an, die Czechen thaten dasselbe und von den Elbe
slaven war nicht viel weniger zu erwarten. Dazu kam, dass
der grössere Theil der Slaven noch heidnisch war; der ganze
Osten, wohin jetzt die scandinavischen Waraeger sich er
gossen, die Elbeslaven nicht minder, und die übrigen konnten
nur als Neubekehrte angesehen werden, in die sich die grie
chische Kirche, die lateinische und der neubegründete slavische
Ritus theilten, von den manichäischen Bogumilen jetzt noch
nicht zu reden. Nirgends aber ein slavisches Reich, und der
Ansatz, welcher dazu in Mähren gemacht worden war, hatte
vollends kläglich geendet, obwohl Rom selbst durch Aner
kennung Methuds die Hand dazu geboten.
So war zur avarischen Katastrophe die carentanische,
die mährische hinzugetreten, die letztere durch Losreissung
der Czechen vollständig geworden, die Kluft zwischen Romäern
und Bulgaren hatte sich trotz des Anschlusses der letzteren
an die griechische Kirche eher erweitert als verengt, und als
Boris-Michaels jüngerer Sohn Simeon an die Stelle des älteren
Wladimir kam (893) nahm der Kampf mit den Romäern erst
recht an Heftigkeit zu. Alle Elemente des Besserwerdens
waren im IX. Jahrhunderte den Slaven gereicht worden, und
844
Höfler.
wohin man im Anfänge des X. blickte, war eigentlich nur
Auflösung und Verwirrung zu erblicken.
Gleichzeitig gesellte sich ein fünfter Mittelpunkt den vor
handenen bei. Die Bulgaren waren südlich über die Donau
und den Hämus gezogen, die Magyaren ergossen sich über
die mittlere Donau westlich in das Herz der Karolingerreiche,
deren Cultur sie zerstörten. Heber die Sitze der Anten in den
grossen Wäldern vom weissen zum schwarzen Meer drangen seit
der zweiten Hälfte des IX. Jahrhunderts die Normanen (Waräger)
vor, Ross, denen selbst der Pontos kein Hinderniss war. Sehr
bald wetteiferten sie mit den Bulgaren im Bestreben, die
Kaiserstadt zu erobern, und als es nicht gelang, setzte sich
Swiatoslav in den Besitz der bulgarischen Czarenstadt Trnowo
und beschleunigte er den Untergang des bulgarischen Reiches.
Die Slaven hatten sich als schlechte Grenzhüter gegen
den Nachschub nicht blos türkischer und finnischer, sondern
auch scandinavischer Völker erwiesen, und wenn Europa nicht
in der nächsten Zeit einer Wildniss glich, in der Barbaren
horden ihre Unmenschlichkeiten verübten, so hatten nicht sie
es gehindert. Was die gewaltigen Anstrengungen der Karolinger
geschaffen, war zerstört, das Kaiserthum wieder eingegangen,
die Einheit des Reiches gebrochen, dasselbe in eine Vielheit
feindlicher Staaten aufgelöst, von Magyaren, Normanen und
Arabern überfallen, zertreten, ausgeplündert und verödet. Die
Weltgeschichte musste von Neuem beginnen, und da bleibt es
das ungeheuere Verdienst der Deutschen, dass sie Mitteleuropa
reorganisirten, der Barbarei einen Wall entgegenstellten, die
Westslaven zwangen, in ihrem eigenen Interesse sich an das
deutsche Reich anzuschliessen, und nun unverzagt die nor-
mänisch-saracenisch-magyarische Brandstätte, die einst das
Karolingerreich hiess, wieder aufzubauen suchten. Aber nur
unwillig fügten sich die Slaven zu diesem Dienste, und so oft
dem deutschen Reiche von Aussen wie von Innen eine Gefahr
drohte, rührten sich die slavischen Stämme und glaubten sie,
es sei ihre Stunde gekommen, über den Trümmern des ver
hassten deutschen Reiches ,mit freiem Fusse die heimatliche
Erde zu schlagen'.
Es war eine furchtbare Arbeit im X. Jahrhundert, Mittel
europa aufzurichten, und wer es that, hatte auch das Recht,
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
845
die Kaiserkrone auf das königliche Haupt zu setzen. Das
deutsche Reich wurde aber wie das romäische die Stütze für
die übrige Welt.
Frug man sich aber, was denn eigentlich bisher von
ihnen geschaffen worden war, so stand wohl das bulgarische
Reich auf beiden Seiten der Donau als eine Macht da, die
für das romäische Reich einer drohenden Gewitterwolke glich.
Aber noch immer war gegen Ende des IX. Jahrhunderts das
Christenthum nicht befestigt, nicht vor Verfolgung sicher, und
fragt man nach den rechtlichen Grundlagen des neuen Reiches,
so wird man keine Antwort erhalten: die wissenschaftliche
Cultur aber, die auf den Bemühungen des Mönchs Chraber,
des Bischofs Constantin und einiger weniger Anderer beruht,
ist doch wohl nur deshalb von Bedeutung, weil ihr keine
vorausging und keine gi'össere nachfolgte. Erst als der Streit
mit den Romäern unter dem unmündigen Constantinos Porphy-
rogenetos aufs Neue ausbrach und Simeon 913 vor Constanti-
nopel zog, 917 die .Romäer bei Mesembria so schwer und ent
scheidend schlug und nun, ohne dass wir darüber Näheres
angeben könnten, die Kaiserkrone von dem Papste erlangte,
sich Kaiser, Autokrator der Romäer und Czar der Bulgaren
nannte, dann Serbien eroberte und zur menschenleeren Wüste
machte, seine Herrschaft bis an das adriatische Mefer aus
dehnte, konnte man glauben, es würde endlich der die Balkan
halbinsel bewegende Dualismus zwischen Romäern und Bul
garen, Bulgaren und Slaven sich zur Einheit des Reiches
verklären. Allein auch jetzt konnte Simeon Constantinopel
nicht erobern, obwohl er selbst mit dem Sultan von Kainvan,
der das tyrrhenische Meer beherrschte, in Beziehungen trat,
und der Höhepunkt des Reiches unter Simeon (f 927)
zeigt auch zugleich den Anfang jähen Verfalles. So retteten
die Bulgaren nicht die griechischen Sklabinien von ihrem
Untergange. Salonichi wurde vor ihren Augen von den Arabern
ausgeplündert und entvölkert, deshalb aber doch weder slavisch
noch bulgarisch; Serbien wurde durch sie zur Wüste, der
Untergang Mährens nicht aufgehalten, und als sie Croatien
erobern wollten, erlitten die Bulgaren im Todesjahre Simeons
eine grosse Niederlage. Was aus den Westslaven werden
würde, ob sie den wilden Magyaren zur Beute werden würden,
846
Höf ler.
die alle Cultur der karolingischen Periode vernichteten, oder
den Deutschen, deren Reich mühselig erst im Kampfe mit den
Magyaren aufgerichtet werden musste, war erst die grosse
Frage. Es war ungemein viel gemordet worden, und ein
geringer Ersatz dadurch entstanden, dass Gross-Preslav, einst
Marcianopolis, als Residenz der Czaren gegründet wurde. Es
war nicht blos Hochmuth, der die Romäer auf Bulgaren und
Slaven mit Verachtung blicken Hess. Sie fühlten sich mit
Recht als die Träger einer tausendjährigen Cultur und sahen
in den Völkern, welche ihnen gegenüberstanden, nur die pri-
vilegirten Zerstörer derselben, die wohl vernichten konnten,
was sie zu schaffen nicht im Stande waren, die aber nach
Sitte und Lebensweise, in Schmutz und Rohheit befangen,
noch lange nicht Miene machten, den Barbaren auszuziehen.
Es war vielleicht für beide Theile erschrecklich, dass ein
wahrer Abgrund des Hasses sie trennte, keine Verständigung
aufkommen liess, keine Einheit kannte, als die des Siegers
über den niedergeworfenen Besiegten. Für die Bulgaroslaven
aber war das Schlimmste die innere Zwietracht im Fürsten
hause selbst; die romäische Cultur zog die Fürsten ebenso an,
als sie wieder durch das nationale Gefühl davon abgestossen
wurden. Endlich drang noch Swiatoslav mit den Russen ein
und seizte sich in Nordbulgarien fest, während sich im Süden
ein zweites Reich bildete und, was über kurz oder lang zu
erwarten war, das romäische Reich sich reorganisirte und für
die zahlreichen Menschenschlächtereien, die constanten Ver
wüstungen eines der schönsten Theile von Europa den Rache
krieg erhob. Da wurde im Zeitalter der Ottonen erst das
Reich Simeons erobert, seine Dynastie zur Abdankung ge
zwungen, sein Schatz nach Constantinopel gebracht (971), und
als dann Basilios II. Kaiser wurde, — eine der bedeutendsten
Heldengestalten des Mittelalters, Zeitgenosse Ottos III. und
Heinrichs II. —- erfolgte durch eine Reihe blutiger Feldzüge
der tragische Untergang auch des südbulgarischen Reiches, der
feierliche Triumph des Bulgarentödters zur Muttergotteskirche
der athenischen Akropolis, der noch glänzendere Triumph in
Constantinopel. Beide bulgarischen Reiche existirten 1019
nicht mehr, wohl aber war das romäische Kaiserreich von der
Donaumündung bis zum adriatischen Meere und Italien wieder
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
847
hergestellt. Es war dieses zur gleichen Zeit, als Kaiser Hein
rich Italien wieder an Deutschland knüpfte, als der Pole
Boleslav Chrobry erst ein grosses polnisch-böhmisches Reich
zu schaffen suchte, aber durch den Abfall der Czechen wie
durch den König Heinrich II. daran verhindert, wenigstens das
Vordringen der Deutschen gegen die Lausitz aufzuhalten sich
bemühte, endlich, nach dem Osten gedrängt, Kiew eroberte.
Es fehlte den Slaven nie an weittragenden Plänen; aber die
schwere Kunst, zu erhalten, was sie zu schaffen sich bemühten,
war ihnen nur selten zu Theil geworden. Auch dieses Reich
und der Ansatz eines polnischen Königthums verging wie ein
Meteor. Zwischen den beiden grossen Kaiserthümern der
Romäer und der Deutschen schien nur für das neugegründete
ungarische Königthum Platz zu sein; an das eine oder das
andere dieser Kaiserthümer hatte sich die slavische Welt an-
zuschliessen und von da seine Cultur zu empfangen; wenn
nicht, so bildete Ungarn den slavischen Krystallisationskern.
Das magyarische Reich hatte aber an König Stephan nicht
blos seinen Begründer, sondern auch seinen Gesetzgeber
erhalten; es hatte sich nicht blos zwischen die beiden Kaiser
thümer hineingeschoben, sondern trennte auch die Nordwest
slaven von den Südslaven, und wenn es zwischen diesen zu
einer Vereinigung kommen sollte, konnte sie nur mehr auf
der Basis des magyarischen Reiches erfolgen. So war Bul
garien abhanden gekommen wie das mährische Reich, wie
Carentanien, wie die Sklabinien Griechenlands, wie der Traum
eines grossen polnisch-böhmischen Reiches mit der kirchlichen
und politischen Metropole von Prag; Serbien war noch immer
nicht in den Vordergrund getreten, Croatiens Selbstständigkeit
war von Constantinopel wie vom Magyaren reiche bedroht;
gegen die wendischen Stämme aber richtete sich das deutsche
Reich zum nationalen Kampfe ein, während in den dichten
Wäldern Russlands sich erst entscheiden musste, ob das scan-
dinavische Element, ob das slavische, ob ein asiatisches den
Ausschlag geben würde, im Süden jedoch sich durch die
Niederlagen der Bulgaren in der Zeit ihrer Unterthänigkeit
unter den Romäern die Slavisirung ungehindert vollzog.
Was die Epoche bulgarischer Macht nicht durchzusetzen ver
mochte, die Umwandlung des herrschenden Stammes in ein
848
HSfler.
slavisches Volk, geschah sicher in derZeit des politischen Ver
falls und der Unterdrückung. Man musste mit dem neuen
Zeiträume die slavische Geschichte wieder von Neuem
anfangen und stand doch schon im zwölften Jahrhunderte
der christlichen Zeitrechnung.
Bei dieser schweren Katastrophe der slavischen Welt fragt
man sich: wo bleiben denn die Slovenen, die sich nach dem
Norden wandten, die Polotschaner, Dregowitschen, Radimitschen
(Polanen), Wjatitschen, Sewerier, Kriwitschen, Drewier, Dulje-
bier, Bugier, die weissen Chrowaten, Lutitschen und Tiwerzen
und Uglitschen, die, in Wäldern und Sümpfen des Nordens
versteckt und in der Nacht des Heidenthums begraben, durch
Avaren, Bulgaren, Petschenegen, Magyaren von den übrigen
Slaven getrennt, noch mehr durch Rohheit und blutigen Cultus
isolirt, unbekümmert um den Gang der Weltgeschichte die
Jahrhunderte kommen und gehen Hessen? Erst im IX. Jahr
hunderte begann es bei diesen zu tagen, als die Einwanderung
der scandinavischen Ross erfolgte und die Wildheit der Einen
durch den Ungestüm der Andern gebändigt wurde, das Joch
des erbarmungslosen Siegers die Zerstreuten vereinigte, wenn
auch zuerst der Sturm unaufhaltsam vom Norden nach dem
Süden brauste und die Eroberung beinahe weniger den Slaven-
stämmen als dem südlich gelegenen römischen Reiche galt,
dessen Glanz und Reichthum mehr Anziehungskraft hesass als
die nordslavischen Stämme. Erst gegen Ende des X. Jahr
hunderts und namentlich nach den schlimmen Erfahrungen
Swiatoslavs tritt ein anderer Zug ein und handelt es sich darum,
die erworbene Herrschaft Ruriks, seines Geschlechtes und
seiner Genossen zu behaupten, und entstehen nun jene russi
schen Fürstentümer, die, aus dem Grossfürstenthum Kiew
hervorgegangen, die Slavisirung der Sieger erleichtern. Zur
Theilung des Besitzthums, das nach Jaroslavs Tode 1054 schon
sechsfach ist, gesellt sich aber, je mehr der slavische Volks-
bestandtheil den scandinavischen beseitigt, die in ihren schlimmen
Folgen sich überall gleich bleibende Erbfolgeordnung des Se-
niorates statt der Primogenitursuccession, damit der häufige
Wechsel im Grossfürstenthum, das die politische Einheit re-
präsentirt, und mit dem häufigen Wechsel die zunehmende
Schwäche im Centrum, das Uebergewicht der einzelnen Reiche
Abhandlungen ans dem Gebiete der -ßlavischen Geschichte. IV. 849
und die unaufhörlichen Kämpfe der zahlreichen russischen
Fürsten unter einander, die zu den widerwärtigsten Erschei
nungen der Weltgeschichte gehören. Es ist in hohem Grade
merkwürdig, dass auch hier, als die Slavisirung der Ross er
folgt war, das kirchliche Element vielfach die Scheidung eher
vermehrt als vermindert. Mit dem kirchlichen Anschlüsse an
Constantinopel werden die Russen Erben des unverständigen
Hasses der Griechen gegen die Lateiner, deren lebensvolle
Entwicklung ihnen dadurch völlig entgeht; da ihnen aber die
ganze grosse Vergangenheit der Griechen und der griechischen
Kirche abgeht, lernen sie wohl von diesen die kirchliche Streit
sucht und ihre Fürsten die willkürliche Verfügung über Bischöfe
und Erzbischöfe; aber das kirchliche Leben geht theils in den
Monachismus auf, theils in ein Sectenwesen, das den Grund
der Spaltung im reinsten Formelwesen iindet: ob die Bekreuzung
zwei- oder dreimal stattzufinden, eine Procession rechts oder
links auszugehen hat. Man darf sich nicht wundern, wenn
dann das Judenthum als christliche Secte sich bemerkbar
macht, und während das Volk, gewaltsam zur Taufe gezwungen,
im crassesten Aberglauben sich ergeht, die sogenannte Rein
heit des Glaubens nur durch die schärfsten Strafen erhalten
werden kann. Da nun dazu sich der Contact mit Avaren,
den Bulgaren an der Wolga, den Chasaren, den Petschenegen,
den Polowzen, im Norden mit den Lappen und Tschuden, mit
Esten, Liwen, Finnen, Permiern und Letten gesellte, die noch
lange im barbarischen Heidentliume begriffen waren, der Con
tact mit der lateinischen Welt gerade durch die kirchliche Ab
sperrung in jener Zeit gering wurde, wo er im geistigen
Interesse Russlands am meisten gewünscht werden musste, die
unaufhörlichen ihnern Kriege die Wildheit und Barbarei nur
vermehrten, so bildeten sich hier Zustände aus, wie man sie
im übrigen Europa nicht wieder fand. Was dem Mächtigen
gefiel, war erlaubt, und das gegenseitige Morden eigentlich das
Princip der russischen Reiche geworden, die rastlos am gegen
seitigen Untergange arbeiteten und die Katastrophe zeitigten,
die im XIII. Jahrhunderte einbrach und zu den Deutsch- und
Gräcoslaven auch tatarische Slaven fügte. Man kann sagen,
es hat sich die slavische Welt im Mittelalter nirgends freier
entwickelt als in Russland im XL, XII. und im Anfänge des
Sitzungsber. d. pbil.-hiat. CI. XCVII. Bd. UI. Hft. 5t
-
850
Hofier.
XIII. Jahrhunderts; aber was sie leistete, war nicht viel Anderes
als Vermehrung der Barbarei unter christlichem Firniss.
Gerade die Einklemmung zwischen drei politischen Cen-
tren, dem romäischen, dem magyarischen und dem deutschen
Reiche, die zum Theile auf dem Boden sich ausbreiteten,
welchen die Slaven als den ihrigen anzusehen lange Zeit sich
gewöhnt hatten, vermehrte bei diesen das Verlangen nach Un
abhängigkeit. Der Erwerb Mährens durch die Magyaren hatte
die Polen und die Böhmen aufgestachelt; die Bulgaren machten
ihrem Unmuthe durch wiederholte Aufstände Luft. Die deutsche
Geschichte aber wird im XI. und XII. Jahrhunderte zum
grossen Theile durch die wendischen Kriege ausgefüllt, welche
ebenso zur Christianisirung als zur Germanisirung der zahl
reichen und kriegerischen Wendenstämme, ebenso zu ihrer
Besiegung als zum Versuche führten, das deutsche Joch abzu
schütteln, und endlich zu einer niederdeutschen Invasion Ver
anlassung gaben, die nicht blos die Wendenländer, sondern
auch Böhmen und Polen betraf. Aber auch jetzt ist Zer
splitterung und Theilung, statt der bei fortwährender Bedrohung
der Existenz doppelt nothwendigen und unabweisbaren Einig
keit, der charakteristische Zug der slavischen Geschichte.
Wo, wie in Böhmen, die Herzoge an Concentrirung der Ge
walten, an Regelung der Erbfolgeordnung arbeiten, sind das
Fürstenhaus und der hohe Adel immer für Zersplitterung und
Theilung. Polen folgt diesem Beispiele, Russland aber, kaum
slavisch geworden, löst sich geradezu in eine Ueberzahl von
Fürstenthümern auf, deren Besitzer, in einem ermüdenden,
Ekel erregenden Kampfe mit einander lebend, die Kraft der
Völker in tausenderlei unnützen Streitigkeiten zersplittern. In
dem Jammer dieser Verhältnisse bietet der römische Stuhl aufs
Neue die Hand zur Organisation der Slavenwelt, wie er den
Mähren und den Bulgaren sie geboten. Er organisirt bei
Serben und Croaten das Königthum. Bei den Croaten scheint
es vollständig zu gelingen, als es durch die inneren Streitig
keiten wieder eingeht und ein ungarisch-croatisches Königreich
entsteht, welches der Mittelpunkt zu weiterer Vereinigung sla-
vischer Reiche wird. In der Zeit des grossen Bürgerkrieges
der Sachsen und der Franken, der dem Investiturstreite voran
geht, ihn begleitet und auf die innere Umgestaltung des deut-
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
851
sehen Reiches einen wesentlichen Einfluss ausübt, stützt sich
des grossen Heinrichs III. kleinerer Sohn Heinrich IV. vorzugs
weise auf die Slaven gegen die Sachsen. Er ist es, der das
Königreich Böhmen-Polen zu Gunsten eines Premysliden schafft,
und ging es nach seinem Willen, so dienten ihm die Slaven
zur Ausrottung der Sachsen. Allein das neue Königreich hatte
so wenig Bestand als die wiederholten Versuche der Polen,
sieh einen König zu geben. Bis zur grossen Wendung der
deutschen Angelegenheiten nach dem Sturze Heinrich des Löwen,
der den Antagonismus zwischen Nord und Süd durch Ver
einigung Baierns und Sachsens bannte, bleiben die polnischen
Herzoge gleich den böhmischen deutsche Reichsfürsten, und als
das böhmische Königthum als solches entsteht, geschieht es zur
Belohnung der Dienste, welche Fürst und Volk dem deutschen
Reiche geleistet. Aber auch dieses Königthum hat noch keinen
Bestand und gewinnt denselben erst bei seinem dritten Ansätze,
als das deutsche Reich sich theilte und jene unheilvolle Periode
entstand, die Walter von der Vogelweide nicht genug beklagen
kann. Wohl aber bleibt die Vereinigung Ungarns und Croatiens,
während die Böhmens und Polens niemals gedeiht. Eine der
bedeutendsten Veränderungen in der slavischen Geschichte be
reitet sich aber im grossen Tief lande von Mitteleuropa und an
den Küsten der Nordsee vor, wo gleichzeitig durch die Auf
richtung von deutschen Markgrafschaften und Bisthümern, von
Klöstern und Burgen, von Städten und Bauernansiedelungen
gearbeitet wird, die kriegerischen Slavenstämme einzudämmen,
sie zu bekehren und zu unterwerfen, wobei der Freiheitsdurst
derselben sie wiederholt veranlasst, mit dem fremden Joche
auch das Christenthum abzusehiitteln und die Aufrechthaltung
der politischen Freiheit mit der Aufrechthaltung des Heiden
thums und seiner Menschenopfer zu identificiren. Während die
Dänen ihre Herrschaft über die Runen, die Polen ihre Herr
schaft über die Pommern in einer Reihe der blutigsten Kämpfe
zu erhalten suchen, tritt dort von Zeit zu Zeit auch der Versuch
hervor, ein einheimisches christliches Reich zu begründen. Wie
die Polen betheiligen sich auch die Böhmen an diesen Kämpfen,
und als es im Jahre 1147 zu dem wendischen Kriegszug
kommt, nehmen die Premysliden einen Antheil auf Seite der
Sachsen, die in den Tagen der fränkischen Könige und Kaiser
54*
852
Hofier.
von den Czechen mit äusserster Wildheit bekämpft worden
waren. Von allen slavischen Fürsten erhalten sich nur die von
Mecklenburg und Pommern, und auch diese verfallen bei der
Ausbreitung der dänischen Macht am Ende des XII., Anfang
des XIII. Jahrhunderts scandinavischer Herrschaft. Als sie
aber sich von den Dänen frei machen, ist der Germanisirungs-
process im Obodritenlande (Mecklenburg) wie in Pommern bei
der Dynastie wie bei dem Volke entschieden und die Begründung
von Kirchen und Klöstern wie von Städten bringt den völligen
Bruch mit der slavischen Welt hervor. Nirgends hat aber
diese einen grösseren Eintrag erlitten als im jetzigen Nieder
deutschland von der Elbe bis zur Oder und den deutschen
Küsten entlang, und auch das is.t hiebei bemerkenswerth, dass,
als diese Katastrophe gegen Ende des XII. Jahrhunderts als
geschichtliche Thatsache eingezeichnet wurde, im Süden sich
zwei slavische Reiche erhoben, das zweite bulgarische und das
serbische, in der Mitte aber Böhmen, wenn auch als Glied des
deutschen Reichs, sein bleibendes Königthum erlangt.
Wieder machte sich eine höchst eigenthümliche Gestaltung
der Dinge bemerkbar. Die Erhebung der Bulgaren wie der
Serben war eine Empörung gegen das romäische Reich, das
der Komnene Manuel zu seiner alten grossen Bedeutung zurück
geführt hatte, das aber nach seinem Tode 1180 unter dem
Wütherich Andronikos rasch von seiner Höhe sank. War das
frühere Bulgarenreich ein hunnisches (türkisches) gewesen, das
sich erst im Laufe der Jahrhunderte slavisirte, so ging die Er
hebung der Bulgaren jetzt von den Wlachen aus, die die Bul
garen mit sich fortrissen und selbst sich wieder auf die Ru
mänen stützten. Die Natur der Dinge brachte es dann mit
sich, dass, da die Erhebung der Serben wie der Wlacho-
bulgaren gegen das romäische Reich gerichtet war, beide Völker
mit dem Abendlande Verbindungen suchten. Die Serben boten
Kaiser Friedrich Barbarossa, als er auf dem Kreuzzuge nach
Nissa rückte, ihre Unterwerfung an; das Haus Äsen aber,
welches den wlachobulgarischen Aufstand organisirt hatte, lehnte
sich an den römischen Stuhl an und suchte durch diesen eine
feste politische Stellung zu gewinnen. Wirklich erfolgte auch
von Rom aus 1204 Anerkennung des neuen Czarthums und
Krönung des Czaren (des rex qui imperat).
Abhandlungen aus dem Gebiete der slaviechen Geschichte. IV.
853
Da Aehnliches auch von Seite der serbischen Krale aus
dem Hause Stephan Neinanjas erstrebt wurde, so war im An
fänge des XIII. Jahrhunderts die Thatsache festgestellt, dass
sieh die slavischen Reiche in kirchlicher Beziehung geeinigt
hatten, endlich eine Gemeinsamkeit der Anschauungen und
der Interessen in den wichtigsten Punkten hervortrat. Dieses
war aber um so wichtiger, als schon Ende des XII. Jahr
hunderts die in Bulgarien und Serbien wurzelnde Secte der
Bogumilen (Patarener) mit einer Unverdrossenheit ohne Gleichen
ihre Gemeinden im Westen, in Italien, Frankreich begründet
und den kühnen Versuch gewagt hatten, in der Zeit der höchsten
Macht des Papstthums durch maniehäische Ideen die Kirche zu
untergraben und eine Gegenkirche aufzurichten. Gerade als aus
Niederdeutschland nach den alten, nun germanisirten Wenden
ländern, nach Böhmen, Polen und in das Rutlienenland die grosse
Invasion deutscher Handwerker, Bürger und Bauern sich
ergoss, ergoss sich in umgekehrter Richtung, vom Osten nach
dem Westen, die maniehäische Invasion über die romani
schen Länder und erzeugte in ihnen die hartnäckigsten Kämpfe,
Staatenumwälzungen und Veränderungen in den Verfassungen
der Städte wie der Länder, da Vorkehrungen gegen erneuer
ten Abfall von der allgemeinen Kirche getroffen wurden.
Diese Strömung und Gegenströmung, die eine von Germanen
in die slavischen Länder, die andere von Bulgaren, Serben,
Bosniern in die romanischen Länder, sind nicht blos höchst
interessante Erscheinungen im Völkerleben überhaupt, sondern
für die slavische Welt zumal von der äussersten Wichtigkeit.
Im Westen ausgerottet, zieht sich der Bogumilismus nach dem
slavischen Süden zurück und wiederholt dringt in das Abend
land die Kunde von einem Gegenpapst in Bulgarien, von der
Wahl eines Papstes in Bosnien, woraus man lächerlicher Weise
selbst einen böhmischen Gegenpapst machte.
Man muss bei der Erhebung der Bulgaren gegen das
romäische Kaiserthum im Jahre 1186 zwei Fragen von ein
ander trennen, nämlich die, ob das neue bulgarische Reich
ein slavisches oder ein bulgarisch-walachisches war? Diese
Präge kann nur im letzteren Sinne entschieden werden, da
die neuen Beherrscher sich selbst Herren der Bulgaren und
Walachen nennen, wie ich dieses hinlänglich nachgewiesen
854
Höfler.
habe, und die authentischen Zeugnisse können nicht durch blosses
Bezweifeln umgestürzt werden, sondern nur durch eine Wider
legung, welche bisher noch nicht stattgefunden hat und wohl
auch nicht stattfinden wird. Kam doch zu den beiden ethno
graphischen Bestandtheilen sehr bald ein dritter, der kumani-
sche dazu, so dass für ein ächtslavisches Reich der Bulgaren
im Jahre 1186 wenig übrig bleibt. Die zweite Frage, die man
übrigens von der ersten unabhängig auffassen kann, ist die
über die Abkunft der beiden Brüder Johann und Peter Äsen,
die das neue Reich gründeten. Ich habe auch in dieser Be
ziehung nichts zurückzunehmen, denn wenn, um die Abstam
mung der beiden Äsen von den früheren bulgarischen Kaisern
zu beweisen, auf eine nicht kritisch untersuchte Quelle hin
gewiesen wird, die eine sehr apokryphe Vision des heiligen
Demetrius von Salonichi enthält, welche dem angeblichen bul
garischen Patriarchen Johannes zu Theil wurde — es gab aber
damals weder einen Patriarchen, noch vor Allem einen Patri
archen Johannes — so geht wohl daraus hervor, dass die
clericale Partei in Bulgarien die Gründung des neubulgarischen
Reiches als eine That der Ihrigen darzustellen sich bemühte,
aber daraus folgt noch lange nicht, dass die Sache sich wirk
lich so verhielt. Wenn ferner sicher ist, dass Johann (Äsen)
und sein Bruder Petrus, die der vermeintliche Patriarch aus
der Walachei auf den Thron berufen habe, nicht, wie die un
lautere Quelle behauptet, beide von ihm zum ,Kaiser von
Bulgarien' gekrönt wurden, so sieht man sich auch ausser
Stande, deshalb, weil dieselbe Quelle berichtet, die bei
den Kaiser seien Enkel Gabriels, des Sohnes (Kaiser) Samuels
und von kaiserlicher Abstammung gewesen, diese Behauptung
als gütig anzunehmen, wobei gar nicht geläugnet werden soll,
dass es recht wohl im Interesse einer Partei lag, die Sache so
darzustellen: den Patriarchen zum Kaisermacher zu erheben,
bei dieser Gelegenheit auch den so Erhobenen kaiserliche Ab
kunft anzuschweissen und das Ganze mit dem heiligen Deme
trius in Verbindung zu bringen. Nur sonderbar, dass letzter nicht
die von ihm Begünstigten nach Salonichi beförderte, sondern
sich damit begnügte, dass gleichsam aus ihm im bulgarischen
Trnowo ein slavischer Schutzheiliger wurde, während seine
hagiographischen Antecedentien eher auf einen Philoromäer und
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
855
Misoslaven hinwiesen. Uebrigens konnten ja so gut, wie die
spätem romäischen Kaiser sich eigenmächtig Komnenen nannten,
die Aseniden sich nach den alten bulgarischen Herren nennen!
Man wird mir daher schon gestatten müssen, mich drei
Male zu besinnen, ehe ich diese bulgarische Legende vom
heiligen Demetrius, der noch dazu auf Gottes Befehl dem
(nicht vorhandenen) Patriarchen Johannes den Auftrag ertheilte,
Äsen, der nicht gekrönt wurde, zum Kaiser zu krönen, was
der Patriarch auf diesen Befehl hin gethan haben soll — als
authentisch anzusehen und mich darauf zu stützen.
Verhält es sich doch im neuen serbischen Reiche in
ziemlich analoger Weise.
Wie die Geschichte des grossmährischen Reiches wahren
Inhalt und Bedeutung erst durch das Auftreten Cyrills und
Methuds gewinnt, seine Blüthe, sein Bestand, seine Zu
kunft an die Frage sich knüpfen, ob die Wirksamkeit des
letzteren nur transitorisch ist oder Wurzeln schlage, knüpft
sich die Bedeutung des serbischen Reiches und des König
thums der Nemanjaden an die Persönlichkeit Rastkos, des
nachherigen Erzbischofs Saba an. War Methud kein Mährer,
kein Pannonier, sondern ein Thessalonicenser, ein Fremder
unter den Slaven, für die sein Bruder die Schrift, er die Li
turgie erfand, so hatte der Sohn des Grosszupan Stefan von
Serbien, der mit Kaiser Friedrich Barbarossa unterhandelt, den
grossen Vortheil, den Serben, für die er wirkte, als Serbe
gegenüber zu stehen und zugleich durch seine kirchlichen
Bemühungen die Herrschaft seines Hauses zu befestigen, zu
welchem Zwecke ihm die Legende selbst das Wunder der
Todtenerweckung seines Bruders Stefan II. beilegt, als dieser
ohne Bestimmung der Erbfolge gestorben war. Bei Methud,
den der Gedanke beseelt, den Slaven eine nationale Liturgie
zu geben, wie sie die Römer und Griechen besassen, und da
durch die Reihe der slavischen Kirchenväter zu eröffnen,
herrschte der kühne Plan vor, durch die von ihm gebildete
Schule nicht blos einem der vielen slavischen Stämme einen
geistigen Mittelpunkt zu geben, sondern allen ein gemeinsames
Centrum zu schaffen, alle unter dem Papste zu einer einheit
lichen Entwicklung zu bringen, ein Plan, der, wenn er auch
misslang, ja im Gedränge zwischen Orient und Occident miss-
856
Hö fler.
lingen musste, immer als grossartig zu bezeichnen ist. Ala
aber der Hegumen Saba sich aus der Einsamkeit der Athos-
klöster, aus den stillen Bergen mit ihren Lauren erhob, wandte
er sich nicht wie Cyrill und Methud nach Rom, wo beide
Brüder zu Bischöfen erhoben wurden, sondern während sich
seine Brüder um eine Königskrone für Serbien in Rom be
warben, wurde er durch den schismatischen Patriarchen von
Nicäa Erzbischof von Serbien! Nichtsdestoweniger setzte er
dann bei dem romäischen Kaiser und dessen Patriarchen durch,
dass die künftigen serbischen Erzbischöfe unabhängig vom
Patriarchen von Constantinopel (Nicäa) durch das serbische
Episcopat gewählt wurden und wandte er sich hierauf seinem
Heimatslande zu, um die Dynastie, zu welcher er gehörte,
mit geistlichem Ansehen zu befestigen, wobei er es für keinen
Eintrag in fremde Rechte erachtete, seinen Bruder Stefan mit
der von Rom empfangenen Krone (nochmals) zu krönen und
so nach diesem auch seine Neffen Rodoslav und Wladislaus.
Seine geistige und geistliche Thätigkeit gehört somit nicht nur
Serbien ganz besonders an, sondern vor Allem seinem Hause,
dessen ziemlich starke moralische Defecte er durch sein kirch
liches Ansehen bedeckte und das er, wenn wir seinem Bio
graphen glauben dürfen, in dem Momente in eine Rom feind
liche Stellung versetzte, als er die neuen Könige mit der
römischen Krone krönte. Der innere Zwiespalt, der durch
die serbische Geschichte hindurch geht und diese vielfach in
ein Gewebe von Lüge und Treulosigkeit verflicht, steht da
durch mit der Wirksamkeit des heiligen Saba in unmittelbarem
Contacte. Wir wissen positiv, dass der Gründer des Königs
hauses Nemanja, der nachherige Mönch Simeon, Sabas Vater,
Katholik war; sein eigener Sohn und Nachfolger ist es, der
dieses aussprach. Der Biograph Saba’s lässt seinen Helden
und Heiligen als den Bekämpfer der Häresie erscheinen, unter
welcher die x-ömische Kirche zu verstehen ist, an welche nichts
destoweniger die Könige fort und fort sich wenden, um sie
dann wieder treulos aufzugeben. So weiss denn wohl Saba
seinen Geist der serbischen Geschichte einzuhauchen; aber
seine Wirksamkeit steht der Methuds ebensoweit nach, als der
blos serbische Gedanke hinter dem allgemeinen slavischen
Methuds zurücksteht. Methud, vom Hauche der Griechen und
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte, IV.
857
Römer berührt, suchte eine Schule zu begründen, nicht blos
Asceten oder Einsiedler, sondern Männer, die auch den gei
stigen Kampf mit Waffen der Wissenschaft zu führen ver
mochten und knüpfte in dieser Beziehung an die lateinischen
und griechischen Kirchenväter, an die Wirksamkeit des heiligen
Bonifacius und der Mönche von Fulda an. In Serbien wie
in Bulgarien, dessen Kirche sich auch autonom gestaltet, als
Saba sich dahin wandte, tritt der Weltelerus in den Hinter
grund, der Anachoret ist es, der Mönch, der dem Laien gegen
über tritt, von dem ihn eine weite Kluft trennt, die nur aus-
füllbar ist, wenn dieser Mönch wird. Saba sorgt nicht für
wissenschaftliche Bildung, nur für Reliquien und Bilder, für
eine Nationalkirche, die das Königthum der Nemanjaden stützt,
jede geistige Bewegung scheut, jedem Gegensätze feind ist,
aber nicht einmal den Bogumilismus im eigenen Lande zu
überwinden vermag. Es ist die Verknöcherung des geistigen
Lebens, der Stillstand, wie er sich im russischen Reiche zeigt,
die Selbstgenügsamkeit mit aviten Zuständen, denen gegen
über sich die Geheimsecte, der Nihilismus der Bogumilen breit
macht. Es ist übrigens merkwürdig, dass in der von einem
Schüler Saba’s verfassten Lebensbeschreibung des serbischen
Czarevic von der Wirksamkeit Cyrills oder Methuds nicht eine
Spur zu finden ist. 1 Sie passt nicht zur serbischen National-
1 Das Leben des heiligen Saba (geboren 1169, gestorben 14. Deeember 1237),
Sohn des Begründers des Hauses Nemanja (Stefans I.), der selbst
als Mönch Simeon 13. Februar 1200 starb, wurde durch einen seiner
Schüler, Dometian, aus dem serbischen Hauptkloster Khilandar (um 1264),
niedergeschrieben und dann von dem russisch-orthodoxen Bischöfe Givko-
vich absichtlich verstümmelt herausgegeben. Es ist deshalb der Grad
der Glaubwürdigkeit dieser sonst so interessanten Geschichtsquelle sein-
schwer zu ermitteln. Ein grosser Theil der Lebensbeschreibung besteht
aus Gebeten, welche Saba gehalten und die begreiflich nur er allein aus
sprach und somit auch Niemand Anderer hörte. Wieder ein nicht un
beträchtlicher Theil besteht aus Wundern, von denen man annehmen
kann, dass sie Bischof Givkovich eher mehrte als minderte, während er
die historischen Thatsaehen, die uns ganz besonders interessiren, wie
dieses Chodzko (legendes slaves du moyen-äge 1169—1237. Paris, librairie
orientale de Benjamin Duprat, 1858, p. II) nachwies, in seinem orthodoxen
Purificirungstriebe verstümmelte. Der historische Inhalt concentrirt sich
in nachfolgenden Thatsaehen: 1. Saba, oder wie er frülier liiess, Rastko,
war der jüngere Sohn des Grossfürsten Nemanja, Beherrschers von Dio-
858
Hofier.
kirche; darin zeigt sich eben das echtslavische Moment, dass
nicht an eine gemeinsame Vergangenheit angeknüpft wird, nicht
cletia, Dalmatien, Trawonien, Bosnien, Eascien, überhaupt der vom heiligen
Pani (!) bekehrten Serben. Seine Mutter Anna war eine Tochter des griechi
schen Kaisers Eomanos. Wann jedoch dieser im Zeitalter der Komnenen-
kaiser lebte, ist nicht leicht zu sagen. Als junger Mensch entweicht
Rastko durch List seinen Aeltern und geht heimlich zu den Einsiedlern
und Mönchen des Berges Athos. 2. Serben, welche von dem Vater Ne-
manja ausgeschickt werden, den Flüchtling zurückzubringen, werden
trunken gemacht, prügeln nun wohl die Mönche von St. Pantaleon, wo
sich Rastko aufhielt, allein zuletzt müssen sie doch ohne ihn nach Hause
gehen, zur ungeheuren Betrübniss der Aeltern, und Rastko wird zum
Mönche Saba. 3. Als solcher unterzieht er sich den strengsten ascetischen
Uebungen, entkommt Corsaren, baut mit dem Gelde, das sein Vater
schickt, verfallene Kirchen auf und bewegt endlich seinen Vater selbst,
Mönch zu werden. 4. Am 25. März (1196?) übergibt Stefan Nemanja sein
Reich seinem gleichnamigen Sohne, dem der Erzbischof Kyr Kailinikos und
der Vater die Hände auflegen, worauf ,die Krönung mit dem üblichen
Ceremoniel vor sich geht 1 , und doch war Stefan II., als er von seinem
Bruder Saba gekrönt wurde, der erstgekrönte!? Auch die Mutter geht
in ein Kloster und heisst nun Anastasia, der Vater Simeon der Mönch,
das serbische Gold strömt auf den Berg Athos, der sich mit Kirchen und
Klöstern bedeckt, Saba wird Hegumen des Klosters Vasopode. 5. Dann
folgt die Reise Saba's zu seinem Verwandten dem Kaiser Alexios (Au
gelos), von dem er das Kloster Khilandar erlangt, das nun serbisches
Hauptkloster wurde und mit serbischem Gelde aufgebaut wird. 6. Zweite
Reise Sabas nach Constantinopel zu dem Kaiser Alexios Komnenos
(i. e. Angelos) um neue Concessionen für die Mönche zu erlangen, wobei
ihm eine Frau einen bedeutenden Schatz anzeigt, den er nachher auch
erhebt. 7. Folgt nun der Tod des Vaters, sein Begräbniss und das
Wunder vom Sarge, der mit wohlriechendem Oele sich füllt, d. h. der
serbische Heilige wirkt dasselbe Wunder, das sich am Grabe des heiligen
Demetrius zu Salonichi vollzieht, den Bulgaren und Romäer verehren;
der ehemalige Serbenfürst erscheint seinem Sohne in himmlischer Glorie,
erklärt, er müsse Erzbischof werden und nach Jerusalem wallfahren. Die
Glorification des heiligen Simeon macht dann einen beträchtlichen Theil
der Lebensbeschreibung aus. 8. Jetzt erst wird Saba zum Priester ge
weiht, geht nach Salonichi zum Grabe des heiligen Demetrius, wird dort
zum Archimandriten von Khilandar von dem griechischen Metropoliten
geweiht und als nun der blutige Krieg zwischen den Serbenbrüdern
Stephan und Vulkan ausbraeh, Serbien in die Sklaverei der Fremden
fiel (den Ungarn unterworfen wurde, 1204), begibt sich Saba auf Bitten
Stefans nach Serbien mit den Reliquien des Vaters, aber nur bis zum
Kloster Studenitza. 9. Nun wendet sich die Erzählung der Art und
Weise zu, wie Saba Erzbischof wurde. Er thut. Wunder, versöhnt seine
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
859
an das, was die Völker zu einander führte, sondern aus dem
reichsten Inhalte eines allen gemeinsamen Lebens wird soviel
Brüder, von denen Vulkan sich Stefan unterwirft. Strezo, ein Bulgare,
Verwandter des Kalojohannes, Königs von Zagorien und Bulgarien —
ihn Kaiser zu nennen, vermeidet Dometian — stirbt, als er Sabas Er
mahnungen kein Gehör gibt. Saba geht in die Einsiedelei von Czarey,
bewirkt aber von da aus, dass das Oel im Sarge Simeons, das zu fliessen
aufgehört hat, wieder fliesst und geht endlich zu dem Kaiser Theodor
Laskaris, dessen Tochter Sabas Neffe, Radoslav, der Sohn Stefans II.,
geheiratet hatte, nach Constantinopel — das sich damals in den Händen
der Lateiner befand, während Theodor griechischer Kaiser von Nicäa
war! Theodors Tochter Irene aber war die erste Gemahlin des nachher
so berühmten Johann Vatatzes, der 1222 seinem Schwiegervater als Kaiser
von Nicäa nachfolgte. Dort (in Constantinopel!) wurde erst durchgesetzt,
dass der Patriarch einen Serben — statt eines Griechen — zum Erz
bischof von Serbien weihte; dann, dass Saba Erzbischof wurde; endlich,
dass der Patriarch Hermann von Constantinopel zugestehen musste, der
Erzbischof von Serbien sollte künftig seine Consecration nicht mehr von
dem Patriarchen von Constantinopel, sondern von den serbischen Bischöfen
empfangen, wodurch die serbische Nationalkirche von der griechischen un
abhängig wurde. Im Verzeichnisse der Patriarchen von Constantinopel
findet sich nun kein Hermann, überhaupt gab es damals nur lateinische
Patriarchen von Tsarogard (Constantinopel). Man hat also Germanos,
Patriarchen von Nicäa (1221—1240), zu verstehen; der Bericht aber ge
winnt dadurch nicht an Glaubwürdigkeit, wenn nicht vielleicht wieder die
russische Hand im Spiele war, als sie Dometian ,reinigte 1 . Die serbische
Kirche war somit durch Saba auro/.ftpaXo; geworden, sie hatte sich von
dem grieehisch-scliismatischen Patriarchen emaneipirt, sie war dem Bei
spiele der Bulgaren gefolgt. Es handelte sich nur noch darum, wie sie
sich zu der römischen Kirche verhalten werde. Dometian in seiner russi
schen Purification umgeht diese Frage, spricht aber wohl von Häretikern,
womit er zweifelsohne die Lateiner meint. 10. Man sollte nun erwarten,
Saba werde von Nicäa auch eine Krone für seinen Bruder Stefan mit
bringen. Allein dieser hat sich ja an den römischen Stuhl gewandt,
von demselben eine Krone erhalten und war bereits zum Könige gekrönt
worden, w r as freilich Dometian sorgfältig verschweigt. Saba geht nun
nach Khilandar zurück und in Begleitung von serbischen Geistlichen, die
er für die Bischofswürde bestimmt, nach Serbien; Stefan wird bei seinem
blossen Anblicke von einer grausamen Krankheit befreit, Saba geht
in seinen Metropolitensitz Gidseha, wo nun die beiden Brüder neben
einander sitzend in feierlicher Versammlung Serbien organisiren. Es war
der höchste Triumph des Hauses Nemanja, das Serbien ein weltliches
und ein geistliches Haupt gab, zwei Brüder, deren Vater zum National
heiligen erhoben worden war. Saba, Oberhaupt der serbischen Kirche
durch Gott, ermahnte die Serben, nach Gott seinem Bruder zu gehorchen!
860
H öf 1er.
herausgenommen, als zur Isolirung des serbischen Volkes dien
lich ist. Da dieses die Hauptsache, das andere aber die Neben-
Dann — es war der Tag der Himmelfahrt — krönte Saba, umgeben von
den Bischöfen Serbiens, seinen Bruder zum Könige, wobei der purificirte
Text auslässt, dass diese Krönung mit der römischen Königskrone statt
fand. Man nannte Stefan seitdem pervoventchan, den erstgekrönten,
da vor ihm Keiner die Krone erhalten. Der Erstgekrönte legte ein
Glaubensbekenntniss in die Hände seines Bruders ab, dieser gab die
Mittel an, wodurch man sich von der Häresie bewahren könne und be
reiste dann das Land, die weiteren Einrichtungen zu treffen. Wir ver
ehren die Bilder, so lautete das serbische Symbolum, das lebenbringende
Kreuz, die sieben Mysterien des neuen Testamentes, wir glauben, dass
wir unter dem Zeichen des Brodes und Weines den Leib und das Blut
Christi empfangen, wir küssen die heiligen Reliquien und verehren sie
in unseren Kirchen, wir glauben und bekennen Alles, was uns von Gott
in dem Evangelium übergeben und von den heiligen Vätern als Weg des
Lebens bezeichnet wurde. Von Schule, von Unterricht, von Theologie,
von Wissenschaft war keine Bede. Der Berg Athos, seine Mönche und
Einsiedler waren die geistigen Führer, das Haus Nemanja eine Art von
heiliger Familie, von der, wo es Noth that, Wunder ausgingen, das Volk
hatte zu gehorchen und es wird nicht vergessen, dass jede Kirchenfeier mit
einer guten Mahlzeit schloss. 11. Von Serbien geht der Erzbischof nach
Ungarn, dessen König Andreas aus Eifersucht gegen den Erstgekrönten
diesem dem Krieg erklärt hatte. Andreas zeigt sich selbst dem Erz
bischöfe sehr wenig willfährig, bis dieser durch ein Wunder ihn nicht
blos zum Frieden bewegt, sondern König Andreas beichtet ihm auch und
Saba heilt ihn vom Aussatze der Häresie. 12. Nach Serbien zurückgekehrt,
findet er König Stefan tödtlich erkrankt. Dieser will Mönch werden, der
Erzbischof zögert aber, ihn aufzunehmen und Stefan II. stirbt, ohne das
Mönchshabit erlangt und über die Nachfolge bestimmt zu haben. Als
Saba endlich kommt, weckt er den todten Bruder wieder auf, gibt ihm die
Mönchstonsur, Stefan ernennt noch seinen Sohn Badoslav zum Nachfolger,
beichtet, communicirt und stirbt dann zum zweiten Male. Saba aber
salbt und krönt seinen Neffen Badoslav und wallfahrtet dann, von dem
neuen Könige reich beschenkt, nach Jerusalem. 13. Von Jerusalem geht
Saba nach Bithynien zu dem Kaiser Johann Vatatzes, der ihn nach dem
Athos geleiten lässt, von wo er aufs Neue nach Serbien zu König Badoslav
geht, der, um seine Verirrungen gut zu machen, Mönch wird, worauf
ihm sein Bruder Vladislav 1230 nachfolgt, den gleichfalls Saba salbt und
krönt. Er bezeichnet einen seiner Schüler, Arsenios, als seinen Nach
folger und geht über Diocletia zu Schiffe wieder nach Jerusalem, nach
Alexandria, nach der Thebais, nach dem grossen Babylon, und über
Antiocliia, Grossarmenien, überall Beliquien suchend und auch findend,
nach Constantinopel (Tsarograd) und endlich zu seinem Freunde, dem
bulgarischen Czaren Aciene (Johann Äsen II.), der die bulgarische Kirche
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
861
sache ist, vermag sich das Volk nicht auf eine höhere Stufe
zu erschwingen und bleibt die Einwirkung des Christenthums
eine ganz äusserliche. Es gehörte aber zum Ganzen, dass, als
das neubulgarische Reich der Aseniden und gleichzeitig das
serbische der Nemanjas entstand, sich Kaiser Friedrich Bar
barossa, König Philipp II. von Frankreich, Richard Planta
genet, König von England, das romanische und germanische
Abendland aufmachten, die gemeinsame Schmach der Christen
heit, den Verlust Jerusalems zu rächen, das drohende Ueber-
gewicht der Moslim, so lange es Zeit war, niederzuwerfen. Da
träumten Bulgaren und Serben nur von der Eroberung von
Constantinopel, da finden wir ,Thracier' auf Seite der mosli-
mischen Vertheidiger von Ptolemais, boten die Serben selbst
dem staufischen Kaiser ihre Unterwerfung an, wenn er ihnen
helfe, die wichtigste Stadt Europas slavisch zu machen, die
civilisirteste Metropole der griechischen Welt in die Hände
von Wlachen, Kumanen, Bulgaren und Serben zu bringen,
deren Ungeschlachtheit den Romäern ein Gräuel war. Stärker
konnte sich der ethnographische Gegensatz nicht ausdrücken;
das Allen Gemeinsame war entweder für die Slaven nicht vor
handen oder gestaltete sich unter ihren Händen in das Ent
gegengesetzte um. Eine ,wunderbare, seit Jahrhunderte uner
hörte Bewegung' hatte, wie es in einer Urkunde jener Zeit
heisst, die Völker ergriffen und nach dem Oriente getrieben,
Jerusalem wieder zu erobern; das Jerusalem der Südslaven
war Constantinopel, das ihnen 1204 die Lateiner, 1261 die
von der griechischen getrennt und sie autokeplialos gemacht hatte. Gerade
damals wurde Johann Äsen, der sich mit dem Kaiser Vatatzes zum Sturze
des lateinischen Reiches verbunden, dann aber es für gerathener erachtet,
denselben womöglich ohne Vatatzes zu vollenden und sich Czar der Bul
garen und Romiier schrieb, gebannt. Bei diesem blieb Saba, erkrankte
in der bulgarischen Residenz Truovo (Ternov) tödtlich und starb auch
daselbst 14. Dccember 1237. Seine Leiche wurde auf Andringen König
Vladislavs und des Erzbischofs Arsenios und in Folge einer Vision des
Czaren Äsen II. dem Schwiegersöhne des letzteren, dem Serbenkönige,
ausgeliefert. Die Lebensbeschreibung schliesst mit der Erzählung neuer
Wunder, sowie, dass die Heiligen Simeon und Saba, Vater und Sohn den
Serben so oft in Bekämpfung der Häretiker (Ungarn uud übrigen Lateiner)
beigestanden und diese in schimpfliche Flucht getrieben hätten. Jede
Geschichte muss doch ihre Moral haben!
862
Hofier.
Griechen, 1453 die Osmanen — man verzeihe mir den Aus
druck, — vor der Nase Wegnahmen.
War den Slaven in früherer Zeit von Rom ans die Hand
gereicht worden zur kirchlichen Constituirung, an welche sich
dann von selbst die politische angeschlossen hätte, wenn die
eine einmal Wurzeln geschlagen haben würde, so ward ihnen
jetzt von Rom wie von Deutschland aus die Hand zur politi
schen Constituirung durch Errichtung des Königthums geboten,
das der Zupanenwillkür ein Ziel setzen, die Macht des heimi
schen Adels beschränken und die Kraft des Volkes zu con-
centriren im Stande war, selbst aber die slavischen Reiche auf
einen gleichen Fuss mit den übrigen christlichen Staaten
setzen konnte. Gerade in dieser Periode war es, dass das
reorganisirte Reich der Wlachen und Bulgaren für sich ein
eigenes Kaiserthum begehrte, während der historischen Ent
wicklung der Dinge nach es nur zwei Ivaiserthümer, das
romäische und das deutsche geben konnte. Die Romanen
hatten sich dieser Ordnung des christlichen Europas gefügt;
die Slaven verlangten auch hierin für sich eine Ausnahms-
Stellung. Die interessanteste geschichtliche Erscheinung war
aber das Gegengeschenk, welches die slavische Welt der
romäischen, der deutschen, der romanischen durch dieKetzersecten
machte, die manichäischen Ursprungs bei der Katastrophe des
Bulgarenreiches und der Schläfrigkeit des griechischen Clerus,
der Energie nur mehr der lateinischen Kirche gegenüber ent
wickelte, sieh in der Form von Geheimbünden und geheimen
Gesellschaften über den Westen verbreiteten, Italien erfüllten,
im südlichen Frankreich die heftigsten Kämpfe veranlassten
und endlich Kaiser und Könige, weltliche und geistliche Fürsten
veranlassten, zum Verderben der Eingedrungenen, Katharer,
Patarener, Bogumilen, einander die Hand zu reichen. Eine
nachhaltige Erschütterung Europas entstand dadurch. Die
Staaten schlossen sich in kirchlicher Beziehung ab, die im
romäischen Reiche eingebürgerten Ketzerstrafen wurden im
Abendlande üblich, die kirchliche Unfreiheit nahm zu und es
erfolgte eine Umbildung der Dinge, von welcher man völlig
vergass, wo sie ihren Ausgangspunkt genommen. Der ver-
hältnissmässig kurze Zeitraum der slavischen Geschichte hat
somit die nachhaltigsten Bewegungen hervorgerufen und nicht
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
863
wenig beigetragen, eine Umkehr der Dinge in Europa zu ver
anlassen, das von nun an statt der Kreuzzüge in den Orient,
Kreuzzüge gegen Albigenser und zur Rettung des lateinischen
Kaiserthums von Constantinopel, ja schon vor diesen einen
wendischen Kreuzzug erblickte.
Im Ganzen schien aber nach dem trostlosen Hin- und
Herschwanken zwischen dem griechischen Schisma, der sla-
visch-bulgarischen und der lateinischen Kirche, zu welcher sich
alle lebensvollen Nationen des Abendlandes bekannten, nach
einem gewaltigen Ringen Stetigkeit in die slavischen Verhält
nisse zu kommen, als sich endlich das Königreich Böhmen
constituirte und jede Erinnerung an Methud und den slavischen
Ritus verschwunden war, der König als Wahlfürst des deut
schen Reiches einen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke
Mitteleuropas gewann, umgekehrt der deutsche König an der
Consolidirung des böhmischen Königthums ein gleiches Inter
esse hatte und bethätigte. Mähren gehörte zu Böhmen, die
slavische Vergangenheit Carentaniens zeigte sich höchstens bei
der eigenthümlichen Besitzergreifung des jedesmaligen Herzogs,
wobei der slavische Bauer eine gewisse Rolle spielte, (Kroa
tien war mit Ungarn vereinigt und beide Reiche bildeten
einen festen Wall gegen die schismatische Welt, ob diese auf
Slaven oder auf Romäern beruhte. Der Einfluss der lateinischen
Cultur machte sich auf Serbien geltend, das gleichfalls von
Rom Anerkennung seiner Königskrone begehrte. Endlich hatte
sich das Asenidenreich der Walachen und Bulgaren auf Seite
Roms gestellt und war die romäische Herrschaft in Europa
dem Anstürme der Lateiner erlegen, so dass das Jahr 1204
der Anfang einer ganz glorreichen Zukunft für die lateinische
Welt und damit auch für die zu ihr gehörigen slavischen
Völker und Reiche zu werden schien. Es handelte sich nur
darum, ob überhaupt Treue, Ausdauer und Verlässlichkeit im
slavischen Charakter liege, nicht gerade mit der Grund
bedingung alles gedeihlichen Völkerlebens, der Religion, ein
Spiel getrieben werde; nicht in die früheren Pfade des natio
nalen Antagonismus eingelenkt und das Ziel der Entwicklung
darin erblickt werde, jede höhere Cultur zu zerstören und eine
Gewaltherrschaft aufzurichten, die der sittlichen Basis ent
behrend, von dem Zufalle abhing, von den Ausbrüchen unge-
864
Höfler.
zähmter Leidenschaft, von den politischen Stürmen, die diese
hervorzurufen pflegen.
§• 5.
Die Glanzperiode der slavischen Geschichte. Vierter Zeitraum
(1204—1396).
Das Asenidenreicli hatte gehofft, das romäische zu be
seitigen, und das Mögliche gethan, seinen Sturz herbeizuführen.
Aber nicht die Wlachen und Bulgaren vernichteten es, sondern
die Lateiner, und nun wandten sie sich gegen das Lateinische
und suchten sie dieses mit Hilfe der Griechen zu stürzen;
allein trotz dieser Bemühungen, unter welchen die neue Dynastie
selbst rasch sich verlor, überlebte das so hinfällige und auf
schwachen Stützen stehende lateinische Reich die Aseniden-
herrschaft und ging dieses nur durch Verrath der Griechen und
theilweise durch die Kopflosigkeit Kaiser Balduins II. unter. Der
Versuch einer Wiederherstellung des altbulgarischen Reiches
der Kaiser Michael und Samuel scheiterte durch die Gehaltlosig
keit der Aseniden selbst. Zwei katholische Kaiserthümer, eines
in Trnowo und eines in Constantinopel, hatten keinen Sinn; zwei
schismatische, ein bulgarisches und ein griechisches noch viel
weniger, seitdem sieh Kalojohannes um ein katholisches beworben
und 1204 die Krönung durch einen päpstlichen Legaten er
halten! So gewann das Reich vom Anfang an keinen rechten
Boden, man erblickte keinen inneren Grund seines Bestandes,
es hatte keine geschichtliche Aufgabe zu erfüllen, es fehlte an
jeder ethischen Aufgabe, und diejenige, welche sich Skylo-
johannes, der Hundejohannes der Romäer, der grosse und
frömmste Czar der Bulgaren, der 1207 ermordete Kalo
johannes stellte und die nachher Johannes Äsen II. 1218—1241
sich gab, Thracien zu verwüsten, die romäische Bevölkerung
auszurotten und daneben in Trnowo die Czarenburg, in und
um die Stadt Kirchen und Klöster zu bauen, stand in keinem
Verhältnisse zu dem allgemeinen Ruine und der fürchterlichen
Verwüstung, die die Aseniden bereiteten.
So kommt es, dass an dieses Geschlecht und das Empor
kommen des zweiten Bulgarenreiches, das aber ein Doppelreich
war und nur sehr uneigentlich Bulgarenreich heisst, ausWlachen-
Bulgaren (Kumanen) zusammengesetzt war, sich keine weit-
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
865
historische That, kein ethischer Aufbau, nichts anschliesst,
was dem Reiche und seinen Herrschern einen würdigen Rang
unter den übrigen Reichen, Völkern und Herrschern gewährte.
Die grosse geistige Erhebung des XIII. Jahrhunderts geht an
diesem Reiche spurlos vorüber, und es ist von ihm nur als
; Resultat geblieben, dass die Barbarei vermehrt und die Auf
lösung aller Zustände befördert wurde. Wohl aber knüpft sich
wie später an die böhmische Revolution des XV. Jahrhunderts,
so jetzt an die Vorgänge in der slavischen Welt eine nach
haltige Rückwirkung auf die übrigen Völker an. Aber auch
diese, die Ausbreitung der Bogumilen (Patarener), ist kein eigent
liches slavisches Gewächs. Es sind einerseits manichäische
Lehren, die in das höchste Alterthum hinaufreichen und durch
den Priester Jeremias den Slaven mundgerecht gemacht wurden;
andererseits ist es eine förmliche Lügenliteratur, apokryphe
Schriften, Fabeln und Erdichtungen, die jetzt ein Ansehen er
langten, als enthielten sie die geoffenbarte Wahrheit. Diese Be
wegung, welche nur einen tiefen Grad des geistigen Verfalles,
aber nicht eine Erhebung und Förderung des menschlichen
Geistes in sich schloss, gehörte gerade ihrer Nachtseite nach
den Bulgaren an, die, während ihre Geistlichen theologische
Schriften der Romäer in das Bulgarische übersetzten, jedes
Unterrichtes baar, den plattesten Lügen preisgegeben wur
den. Man mag es dahingestellt sein lassen, ob die dem
sacramentalen Verbände der Ehe entgegengesetzten Lehren der
Bogumilen nicht die Zuchtlosigkeit vermehrten, die ohnehin in
dieser Beziehung bei den Slaven vorherrschte, zu regelmässig
wiederkehrenden Klagen Anlass gab und die sittliche Ord
nung, auf welcher jeder Staat beruht, zerstörte. Allein es ist
überhaupt hier nicht von Staaten, sondern nur von Reichen die
Rede. Zu einem Staate fehlte vor Allem auch das feste Ge
füge des Lehenverbandes, das den Romanen besonders eigen
war, von diesen zu den Deutschen überging, die gesetzliche
Scheidung und Unterordnung der Stände schuf, dem Clerus
einen bestimmten Antheil an der Regierung gab, den Adel
durch das freie Bürgerthum beschränkte und diesem jene Vor
rechte gewährte, welche dann wieder dem Ganzen zu Gute
kamen. So entwickelte sich wohl jenes schrankenlose König
thum, das wir auch bei den Nordslaven treffen, vor dessen
Sitzungßber. d. phil.-hist. CI. XCV1I. Bd. III. Hft. 55
blinder Tyrannei dann wieder nichts schützte als Gewalt, der
Mordstahl, die Eisenkeule und die Selbsthilfe. Das Patriarchat
konnte schon als Werkzeug- der Despoten die Willkür nicht
mildern, und iiberliessen die Fürsten dem orthodoxen Clerus
die Katholiken zur Beute, so konnten sie ja sicher sein, wie
gewöhnlich die serbischen Krals, als Heilige verehrt zu werden!
Schon die alten Byzantiner hatten die Bemerkung gemacht,
dass die Slaven bereit seien, auch die ärgste Willkür zu
dulden, wenn dieselbe nur von einem der Ihrigen, von einem
Slaven, d. li. slavisch Redenden, ausgehe. Gute und schlimme
Eigenschaften treten aber vor Allem hervor, wenn ein Volk
auf den Höhepunkt seiner Entwicklung gelangte und nun sich
zeigen kann, was an ihm ist und welche Aufgabe es auch
andern gegenüber zu erfüllen habe.
Der vierte Zeitraum enthält das unmittelbare Eingreifen der
Slaven in den Gang der Weltgeschichte, und zwar nach zwei
Seiten, indem zuerst im Osten, nachdem das Haus Angelos das
der Komnenen beseitigt und die Lateiner das griechische Kaiser
thum gestürzt hatten, das bulgarische Kaiserthum wie das
serbische Königreich die Herrschaft auf der Balkanhalbinsel
an sich zu reissen suchten. Das lateinische Kaiserthum in
Constantinopel, durch die beständigen Angriffe der Slaven
mürbe gemacht, wurde 1261 eine leichte Beute der Paläologen,
die, im Besitze der Hauptstadt, auch das Erbe der Lateiner,
den Kampf mit den Slaven antreten mussten. Aber auch im
Westen gestalteten sich ähnliche Verhältnisse, da auch hier
eine Katastrophe des Kaiserthums eintrat, dasselbe nach dem
Tode des letzten staufischen Kaisers (Friedrichs II., im Jahre
1250) zweiundsechzig Jahre erledigt blieb und nun das König
reich Böhmen, durch die Erwerbung der ostdeutschen Länder
ein Grossstaat, an der Ausrenkung des deutschen Reiches ar
beitete und ein selbstständiges Reich zu werden sich bemühte,
von dem es freilich zweifelhaft war, ob es, selbst wenn ihm
dieses gelang, seinen slavischen Charakter zu behaupten ver
mocht hätte. Aber selbst als durch König Rudolf von Habs
burg die Gefahr einer Ausrenkung (demembratio) sich verzogen
hatte, blieb bei Böhmen diese Tendenz und versuchte der
Sohn und Nachfolger Ottokars II., Wenzel, das Königreich
Böhmen zum Mittelpunkte eines ausserdeutschen Staatencom-
.Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
867
plexes zu erheben, die Königreiche Polen und Ungarn zu er
werben und so ein nichtdeutsches Ostreich zu schaffen. Es
bedurfte der ganzen Zähigkeit der Habsburger, ihrer vollen
Erkenntniss der Wichtigkeit der Sache, um die es sich
handelte, um in diesem entscheidenden Momente das deutsche
Interesse nicht untergehen zu lassen, und wie schon Rudolf
von Habsburg deshalb das Königreich Ungarn zu erwerben
sich bestrebte, bot sein Sohn König Albrecht alle verfügbare
Macht auf, um das Königreich Böhmen nicht blos an seinen
Sohn, den ersten deutschen König Böhmens, Rudolf (f 1307),
sondern dauernd an sein Haus zu bringen, dadurch es dem
deutschen Reiche zu sichern.
Gleichzeitig mit dieser doppelten slavischen Richtung, von
welcher die eine nicht genug Kaiserthümer schaffen konnte,
die andere in geträumter Selbstgenügsamkeit die Mühen des
(deutschen) Kaiserthums von sich stiess und dadurch wider
Willen der Erhebung Rudolfs von Habsburg vorarbeitete, erfolgten
zwei Invasionen in die slavischen Länder, die eine geradezu
entsetzlich, von unersättlichem Blutdurste, Mord und Brand be
gleitet, so dass alle Gräuel der Völkerwanderung, der Hunnen-
und Avarenperiode dagegen verschwinden: der Tataren
einbruch in Russland, in Polen, in Ungarn, in Dalmatien, bei
den Südslaven. Eine unabsehbare Bresche war, als Slaven und
Magyaren sich 1241 als schlechte Grenzhüter gegen die scheuss-
lichste Barbarei erwiesen, König Wenzel mit den Czechen erst
nach der Schlacht bei Liegnitz eintraf, in die CuHur von Ost
europa gelegt; die Kumanen drängten nach und die Wlachen
hatten bereits begonnen, neben den Bulgaren eine Rolle zu
spielen. Da war glücklicher Weise die andere Invasion fried
licher und ruhiger Art, aber in ihrer Art auch unaufhaltsam,
schon in vollem Zuge, die der deutschen Bauern, Handwerker,
Bürger, die in den slavischen Wäldern ihre Dörfer bauten,
Städte mit Stadtrechten begründeten, die Lücken in der Be
völkerung ausfüllten, nach Siebenbürgen, nach Galizien, nach
Polen, nach Böhmen drangen, und wo die Eroberung der
deutschen Kaiser nicht hingelangte, mit dem Pfluge, mit ihrem
Gewerbe und Handel, mit dem Bürger- und Bauernrechte
einem dritten Stande ebenso wie der deutschen Nationalität
auf slavischem Boden Anerkennung schufen. Kein gemein-
55*
868
H 5 fl er.
sames Oberhaupt leitete diese vom Westen nacli dem Osten
sieb bewegende Colonisation. Es war sicher, wer eine Besse
rung seiner Felder, eine Vermehrung seiner Einkünfte wünschte,
das Aufblühen der Gewerbe, von Handel und Wandel, der berief
deutsche Colonisten und gewährte ihnen das deutsche Recht;
denn ohne diese Gewährleistung kamen sie nicht. Was die
Slaven nicht hatten, den freien Bürger- und Bauernstand,
brachten ihnen die Deutschen, und es ist eine höchst bemer-
kenswertlie Tbatsache, dass die entschiedensten slavischen
Herrscher die Deutschen in ihr Land beriefen. Selbst als
schwer bepanzerte Reiter kamen sie und ihr deutscher An
führer sass im Rathe Stefan Duschans, der sich Kaiser der
Romäer und der Serben nannte, und als dieser von ihm ver
langte, er solle den Kaiser Johannes Kantakuzenos verlassen,
erklärte der Anführer der deutschen Reiter, er werde es nimmer
mehr thun, da im deutschen Reiche den Kaiser preiszugeben
für ehrlos gelte.
Trotz der glänzenden Aussenseite befindet sich in den
slavischen Kaiserthümern ein Wurm, der an ihrem Marke nagt.
Der Gründer des serbischen Königthums der Nemanjaden ver
treibt seine älteren Brüder. Von seinen Söhnen streitet Vulkan,
der jüngere, gegen den älteren Stephan, und während Beide
sich an Rom anschliessen, pflegt und begünstigt der jüngste,
der heilige Saba, das griechisch - serbische Schisma. Von
den Enkeln Stefan Nemanja’s stürzt der dritte, Stefan Wla-
dislav, den ältesten, Stefan Radoslav, 1234, und der vierte,
Stefan Urosch I., den dritten, 1241. Stefan Urosch I. wird
von seinem Sohne Stefan Dragutin 1277 wo nicht ermordet,
doch beseitigt, Dragutin von seinem Bruder Stefan Urosch
Milutin 1282 aus dem Besitze von ganz Serbien getrieben.
Auch seinen Neffen Wladislaus entthront Milutin und stirbt
dann, nachdem er seinen ausserehelichen Sohn Stefan Urosch
Decansky erst hatte blenden lassen, dann als Mitregenten
aufgenommen hatte, reich an Unthaten aller Art, eine der ver
ruchtesten Persönlichkeiten, 1320. Sein Nachfolger Decansky
Hess seinen gleichfalls unehelichen Bruder Constantin zersägen,
wurde aber selbst 1331 mit Wissen seines Sohnes Stefan Duschan
abgesetzt, eingekerkert, ermordet. Stefan Duschan, der durchaus
das romäische Reich Umstürzen wollte, aber nur es morsch
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavisclien Geschichte. IV.
869
und hinfällig machte, die Katholiken verfolgte und dann wieder
Capitan der römischen Kirche werden wollte, starb in der
Bliithe der Jahre, 20. Deeember 1355; sein Sohn, der sich
auch Kaiser nannte, wurde schändlich ermordet. Duschans
Bruder Simeon, der sich gleichfalls Kaiser nannte, starb 1371,
und sein Sohn Johannes DukasPaläologos starb als Mönch Josafat
1410. Mehr oder minder war jeder dieser Krals oder Auto-
kratoren im Auge des serbischen Volkes ein heiliger, hochver
ehrter, Gott wohlgefälliger Mann und wurde er als solcher der
Geschichte überliefert. Es war Religion, daran zu glauben,
während diese Aufeinanderfolge nur erwähnt zu werden braucht,
um klar zu machen, dass ein solches Reich keine Bürgschaft
der Dauer besass, und als es verging, ausserhalb der serbischen
Nation wenig Sehnsucht darnach zurückliess, wenn auch nicht
geleugnet werden soll, dass diese ephemeren slavisclien Kaiser-
thürner den Höhepunkt der slavischen Geschichte zeigen. Nur
ist auf diesem eine eigenthümliche successio temporum bemerk
bar. Als die Serben sich erheben, wollen sie sich au das
deutsche Reich anschliessen, wie sie fortwährend den Anschluss
an die römische Kirche im Auge haben und, der angebornen
Treulosigkeit nicht widerstehend, regelmässig sich wieder davon
abkehren. Nach dem Vorgänge Stefan Nemanja’s bleibt dieses
das Erbübel des neuen Königshauses. Die Bulgaren er
langen ihr eigenthümliches Kaiserthum, können sich aber jetzt
wieder so wenig in den Besitz von Constantinopel setzen, als
die Serben sich im XIV. Jahrhundert in den Besitz des ge
waltsam angestrebten Salonichi setzen können. Das Bulgaren
reich ist im Jahre 1241 schon zu jener Höhe gelangt, von der
es sich zu senken beginnt. Es ist im Anfänge getheilt und
die Theiluug nimmt im XIV. Jahrhundert noch zu, so dass
das bulgarische Kaiserthum dem Fluche der Lächerlichkeit
nicht entgeht und der Vorwurf bleibt, dass, was die Slaven
an politischer Staatenbildung in ihre Hand nehmen, durch ihre
stete Uebertreibung nur zu oft den Charakter des Carikirten
annimmt. Ehe das serbische Königthum zur eigentlichen Macht
emporsteigt, hat sich das premyslidische dazu erschwungen,
geht aber tlieils durch die Opposition des Adels gegen den
König, tlieils durch die das czechische Wesen charakteri-
sirende Anschauung', dass man im Besitze der Macht nicht
870
Höfl er.
nöthig habe, der Pflichten und Grundlagen derselben zu ge
denken, Rücksichten zu beobachten, einer Katastrophe ent
gegen. Bereits hatten die Könige von Ungarn den Titel von
Königen von Bulgarien und Serbien angenommen und war es 1271
zu einer grossen Auseinandersetzung der Häupter der Slaven-
macht gekommen, als erst der Böhmenkönig dem Könige von
Bulgarien, Serbien, Croatien, Ungarn und dessen Freunde dem
römischen Könige Rudolf erlag (1278) und nun der Stamm der
Arpaden seinem Untergange entgegenging, früher ausstarb als
der premyslidische in Böhmen, der es nur zu einer fünffachen
Aufeinanderfolge von Königen (bis 1306) gebracht hatte. Jetzt
endlich, beinahe gleichzeitig mit der nunmehr bleibenden Con-
stituirung des polnischen Königthums, begann die serbische
Macht sich zu entfalten, gegen die Romäer wie gegen die
Bulgaren, denen die Serben im Jahre 1330 eine beinahe tödt-
liche Niederlage beibrachten. Allein dreissig Jahre später, rasch
nach Stefan Duschans Kaiserthum, das nur in Serbien Aner
kennung findet, geht dasselbe und die serbische Macht bereits
dem Verfalle entgegen. Bruderkrieg und Vatermord, welche
im Geschlechte Nemanja’s zur Gewohnheit werden, waren ein
schlechter Kitt zum Aufbaue eines Staates. Die Hälfte des
Blutes, das Serben und Bulgaren darangesetzt, das romäische
Reich zu schwächen und eine leichte Beute für die Osmanen
zu werden, hätte hingereicht, Serben und Bulgaren vor osma-
nischer Knechtschaft zu' bewahren, die im Jahre 1389 schon
entschieden war. Nur die Form derselben war noch zweifel
haft. Als es aber am 28. September 1396 zur grossen Osmanen-
schlacht bei Nikopolis kam, stand der römische König auf
der einen Seite. Der bulgarische Czar Sracimir hatte ihm in
Widdin (Bdyn) Widerstand geleistet, der Serbenfürst Stefan
Lazarewic kämpfte auf das Tapferste auf Seite der Osmanen,
zwei Jahre später war der letzte bulgarische Czar von Widdin,
Sultan Bajesids Gefangener, und vier Jahre später Bajesid
Tamerlans Gefangener, ungeachtet der Tapferkeit des Serben
fürsten, dessen Schwester, Bajesids Gemahlin, Mundschenk des
siegreichen Mongolenherrschers wurde (1402).
Als Stefan Duschan sich den Kaisertitel beilegte, gab es
keinen abendländischen Kaiser. Erst im Jahre 1355 sah Rom
wieder einen Kaiser, Karl IV., König von Böhmen, von väter-
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IY.
871
lieber Seite ein Luxemburger, von mütterlicher von den
Premysliden abstammend. Er trug nicht wie sein Ahnherr
Ottokar Bedenken, den Schritt vom Königthum Böhmens zum
Kaiserthum zu wagen. Als er es that, erinnerte er sich im
Schreiben an Stefan Duschan, den er nur als König begrüsste,
der Gemeinsamkeit des slavischen Idioms. Er befolgte die
Politik Ottokars in Betreff der Erwerbung deutscher Lehen.
Vorsichtiger als er, hatte er bei der Incorporirung derselben
in Böhmen nicht den bewaffneten Widerspruch des Hauses
Habsburg oder eines anderen deutschen Fürstenhauses zu be
sorgen. Noch eine Generation in diesem Sinne und mit der
Consequenz und Schlauheit des ,Durchechters der Christen
heit*, wie man Karl IV. nannte, fortgefahren, und das deutsche
Reich ging in Böhmen auf: freilich hätte dieses auch zweifels
ohne aufgehört, ein czechisches Reich zu sein.
Gerade in dem XIV. Jahrhunderte, dem Zeitalter Dante’s
und Petrarca’s, treten in der slavischen Geschichte so recht die
Gegensätze zwischen dem Slaventhum hervor, das sich an die
Cultur Deutschlands und der Romanen anschliesst, und dem
jenigen, welches ich das wilde Slaventhum nennen möchte, da
es sich von den Culturelementen so ferne als möglich hielt.
Beide Gegensätze erlangen ihre Verkörperung in zwei Fürsten,
zwei Königen, zwei Kaisern, der eine aus dem Hause Nemanja
und zu dessen illegitimen Stamme gehörend, der andere mütter
licherseits den Czechen, väterlicherseits den Deutschen ent
sprossen, Stefan Duschan und Karl IV. Fühlte sich letzterer
bewogen, auf die Gemeinsamkeit des edlen slavischen Idioms
in seinem Briefe an Stefan Duschan hinzuweisen, suchten Beide
als Gesetzgeber auf ihre slavischen Unterthanen einzuwirken
und schmückte den Einen die rechtlich erhaltene, von allen
Fürsten anerkannte Krone des römischen Kaiserthums, während
der Andere sich zum Kaiser der Romäer und Serben ausrief,
so trennte doch Beide ein so gewaltiger innerer Gegensatz,
dass wir ihn nicht geeigneter darstellen können als in dem
Begriffe des wilden und zahmen Slaventhums. Beide schritten
über die blutigen Leichen ihrer Väter zum Königsthrone, aber
Karl, bereits König der Römer, hatte auf Seite seines Vaters
gestritten, der in der Schlacht bei Cressy durch die Engländer
seinen Tod fand, und der nunmerige König von Böhmen wurde,
872
Höf le r.
selbst verwundet, dem Schlachtengewühle entrissen. Stefan
aber gelangte durch eine Revolution auf den väterlichen Thron,
die seinen Vater Stefan Decansky erst in den Kerker brachte,
worauf er, wie es scheint, nicht ohne Zustimmung Duschans von
den Bojaren erwürgt wurde. Karls ununterbrochene Thätigkeit
durch volle 34 Jahre galt der Wiederaufrichtung des römischen
Kaiserthums, soweit es die veränderten Zeitumstände erlaubten,
und die deutsche Welt sah, was sie seit Langem nicht erblickt,
für 23 Jahre (1355—1378) einen Kaiser, der die deutsche, die
böhmische, die lombardische, die Kaiserkrone und selbst auch
die des Königreichs Arelat trug, und dessen letzte und bei
nahe grösste That darin bestand, nachdem er dem unter seinem
Vorgänger eonvulsivisch aufgeregten Reiche den Frieden ge
schenkt, die Zersetzung desselben hintangehalten, der Partei
leidenschaft einen Zaum angelegt, die Rückkehr der Päpste von
Avignon nach Rom ermöglicht zu haben, mit der allein sich
die — freilich rasch sich verziehende Hoffnung einer allgemeinen
Reform verband. Daneben hatte er ein slavisches Grossreich
auf deutschem Reichsboden aufgerichtet. Er hatte nicht blos
Böhmen, Mähren, die Lausitz und Schlesien unter seiner Dynastie
vereinigt, sondern auch das dem deutschen Reiche unmittelbar
zustehende Churfürstenthum Brandenburg der Krone Böhmens
incorporirt. Das Erzbisthüm Prag war begründet worden, aber
ausgeschieden vom Metropolitenverbande mit Mainz; nicht der
Nachfolger des heiligen Bonifacius krönte, wie die alten Kaiser
privilegien es verlangten, den König von Böhmen, sondern der
slavische Erzbischof von Prag. Für den slavischen Gottesdienst
ward ein eigenes Kloster gegründet, die Universität, an welcher
sich Deutsche und Slaven noch die Wagschale hielten, dem Erz
bischof-Kanzler untergestellt, böhmische Mönche in deutschen
Klöstern untergebracht, deutsche Besitzungen, zahlreiche En-
claven erworben als Anhaltspunkte für weiteren Erwerb der
Krone Böhmens, das Stammland bis zu den grossen Wäldern von
Nürnberg, wo die Reichstage gehalten wurden, vorgeschoben,
Böhmen mit reichen Privilegien auch in der goldenen Bulle ver
sehen ; noch 20 Jahre in dieser Art fortgefahren und man stand
vor der Frage, ob das in so viele feindliche Staaten getheilte Reich
dem unaufhörlichen Anschwellen des böhmischen Königthums
Widerstand leisten könne. Dagegen hatte Stefan Duschan un-
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. 17.
873
unterbrochen an der Schwäche und Vernichtung des romäischen
Reiches gearbeitet und die Schuld auf sein Haupt gewälzt, die
Verwirrung auf der Balkanhalbinsel bis zu dem Punkte vermehrt
zu haben, dass sie den Osmanen keinen genügenden Wider
stand leisten konnte. Dreizehn Feldzüge vermochten ihn aber
doch nicht in den Besitz von Constantinopel zu setzen, und
wenige Jahre nach seinem Tode wurde bereits Adrianopel die
Residenz der osmanischen Sultane. Während 1349 Erzbischof
Ernst von Pardubitz in seiner grossen Synode die Grundlage
zur innern Reform Böhmens legte und ,der thierischen Wild
heit des böhmischen Adels' entgegentrat, sammelte wohl Stefan
Duschan die Reehtsgewohnheiten Serbiens und verurtheilte er
hiebei die Anhänger der lateinischen Häresie zu den Bergwerken.
Er proclamirte sich als Kaiser der Romäer und Serben, während
seine Kriege den tiefsten Abscheu der Romäer gegen die Serben
bethätigten. Er begründete ein eigenes serbisches Patriarchat,
mit demselben Rechte, mit welchem er sich zum Kaiser erhob,
seiner Willkür. Das hinderte ihn aber nicht, sich um Aner
kennung der Päpste zu bewerben und, um dem ungarischen
Kriege zu entgehen, das Verlangen zu stellen, Capitan der
römischen Kirche zu werden. Als aber der päpstliche Legat
kam, verlangte er von ihm den Fusskuss und zeigte sich die
gewöhnliche Treulosigkeit der Nemanjiden im vollsten Lichte. 1
1 Die Sache wurde in Avignon mit dem grössten Ernste betrieben. Es
handelte sich um Rettung der lateinischen Kirchen in Albanien und
Serbien, um Gewinnung des mächtigen Königs, der freilich klug genug
war, von dem römischen Stuhle keine Anerkennung seines improvisirten
Kaiserthums zu verlangen, um Erlangung eines Stützpunktes gegen das
Vordringen der Türken, 1 und da die Gefahr vor diesen immer näher und
näher rückte, nicht blos die Inseln des Archipelagus von ihnen bedroht
waren, sondern Klein-Armenien und Cyprus so gut wie die Freiheit der
Schifffahrt auf dem adriatischen Meere, so beschloss Papst rnnocenz VI.,
einen eigenen Legaten nach Serbien zu senden und der Gesandtschaft die
möglichste Würde zu verleihen.
Es befand sich damals an dem päpstlichen Hofe der Bruder Petrus
Thomasius aus dem Carmeliterorden (*f* 1366), durch Gelehrsamkeit
und Sittenreinheit gleich hervorragend wie durch Unerschrockenheit
und persönliche Aufopferung, klein von Gestalt und unansehnlich, in der
rauhesten Schule des Lebens herangezogen, in bitterer Armuth, mit aller
Noth vertraut und nur in Gebet und Selbstverläugnung Trost und Be
ruhigung findend. Tu Sales de Thomas in der Languedoc geboren, so
874
Höfler.
Er hatte sein Reich nach Altmacedonien, Thessalien, Epirus
erweitert und im Innern doch nur zu Gunsten serbischer Adels
arm, dass er in seinem ganzen Leben von Hause aus nicht eine Unter
stützung von 20 fl. im Werthe erlangte, als Knabe angewiesen sich den
Lebensunterhalt zu verdienen, in den Carmeliterorden aufgenommen, mit
der Unmöglichkeit kämpfend, seine Studien fortzusetzen, besiegte er durch
ebenso unermüdlichen Fleiss wie durch die Feinheit seines Geistes und
eine ungewöhnliche Lehrgabe alle Schwierigkeiten, so dass er in ganz
ausserordentlicher Weise das Doctorat der Theologie an der Universität
Paris erlangte. Aber bereits zum Proeurator seines Ordens bei der römi
schen Curie erwählt, vermochte er vor dem eigenen Ordensgeneral seiner
äusseren Unscheinbarkeit wegen nicht durchzudringen. Er konnte es nicht
einmal zur Vorstellung bei den Cardinälen bringen, bis der Cardinal Talley-
rand (Graf von Perigord), von Papst Johann 1331 zum Cardinal erhoben,
sich seiner annahm. Jetzt wurde er ebenso sehr gesucht, als er früher
vernachlässigt worden war. Er aber blieb sich immer gleich, der arme
Mönch, der nur seiner Regel und seinem Berufe lebte und ebenso offen
dem Papste als den niederen Ständen, den Cardinälen als den Kaufleuten
und Bürgern gegenüber die Gebrechen der Zeit rügte. Ganz abgesehen
von den bedeutenden Missionen, zu welchen er von dem Nachfolger
Clemens’ VI., dem Papste Innocenz VI. verwendet, von den kirchlichen
Würden, zu welchen er erhoben wurde und zu denen sich auch das
Patriarchat von Constantinopel gesellte, ist er in der trüben avignonesischen
Welt, wie sie Francesco Petrarca, sein Zeitgenosse, schilderte, ein Licht
bild, das durch seine Gepflogenheit, wöchentlich einmal zu Gunsten des
armen Klosters der Carmeliter in Avignon persönlich die Mildherzigkeit
der Einw'ohner in Anspruch zu nehmen, nicht leidet.
Nachdem er sich in einer Mission an die Königin Johanna von
Sicilien (Apulien) und ihren Vetter und Gemahl König Ludwig (von
Tarent) bewährt, bestimmte ihn Papst Innocenz zum apostolischen Nun
tius erst zu König Karl IV., welcher 1354 Italien zum Behufe der
Kaiserkrönung betreten, am 5. April 1355 die Kaiserkrönung erlangte,
und dann zu der ungleich schwierigeren Nuntiatur an dem Hofe des ser
bischen Königs, den der cyprische Biograph des Bruder Petrus irrthüm-
lich als Kaiser von Bulgarien bezeichnete. Ebe er Avignon verliess,
wurde er zum Bischof von Patti in den liparischen Inseln ernannt und
von dem Cardinalbischof von Porto consecrirt.
Sein Biograph hebt hervor, dass seine Mission eine kaiserliche und
königliche war und er mit wichtigen Aufträgen auch an Kaiser Karl
betraut war. Vielleicht war er auch Ueberbringer des Schreibens Kaiser
Karls an Stefan Duschan. Er begab sich über Italien nach Venedig
und suchte dann zur See die rascische Küste zu erreichen. Da er aber
keine Galeere auftreiben konnte, musste er sich eines gewöhnlichen
Fahrzeuges bedienen, und als er auf diesem mit seinem Gefolge das
adriatische Meer durchfuhr, wurden die Seeleute eines türkischen Schiffes
Abhandlungen aua dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
875
familien gearbeitet. Es war vielleicht ein Glück, dass er früh
zeitig starb; er hätte sonst wohl geendet, wie sein Vater endete,
gewahr. Von Todesangst befallen, wandten sie sich an den Nuntius,
der, im Gebete begriffen, das Aeusserste erwartete, als plötzlich ein
Nebel einfiel und dieser das türkische Schiff au der weiteren Verfolgung
hinderte, so dass die Geängstigten glücklich entrannen und ihre Rettung
dem Gebete des Nuntius zuschrieben. Aber noch eine andere Gefähr
lichkeit wurde glücklich überstanden, da ein heftiger Sturin das Schiff
in einen See verschlug und dasselbe über das Trockene wieder in das
Meer gebracht werden musste. Als aber die Küste von Rascien erreicht
war, drohte erst noch durch die Unbändigkeit des neuen Kaisers, der an
Körpergrösse seine Zeitgenossen überragte und vom wildesten Aussehen
war, die grösste Gefahr. Duschan hatte das byzantinische Ceremoniel
noch vermehrt: er verlangte von Allen, die ihm aufwarteten, zuerst den
Fusskuss, dann noch andere weitläufige Begrüssungen, und es drohte
demjenigen, der sie verweigerte, Lebensgefahr. Der päpstliche Nuntius,
als solcher gewöhnt, Ehrenbezeugungen zu empfangen, liess sich trotz
aller Mahnungen dazu nicht bewegen, sondern begrtisste den Beherrscher
Serbiens, dem ja auch der Titel eines Kaisers päpstlicherseits nicht ge
währt wurde, steheud und würdevoll vor seinem Hofstaate, seinen Rittern
und Baronen. Duschan eutgegnete mit weitschweifigen, hochtrabenden
Worten, liess aber den Nuntius zu einer Audienz, in welcher erst der
Gegenstand der Mission auseinandergesetzt wurde. Deutlich aber erkannte
der Bischof an den Ausflüchten und Unwahrheiten, deren sich Duschan
bediente, den wahren Charakter des Königs. Nicht hlos, dass der König
öffentlich Jedem bei Verlust der Augen verbot, dem Gottesdienste des
Nuntius beizuwohnen, sondern es nahmen die Verhandlungen einen der
artigen Fortgang, dass bei der notorischen Grausamkeit und Bosheit des
Königs man den Bischof und sein Gefolge für rettungslos verloren ausah.
Bereits hatten sich die deutschen Ritter und übrigen Anhänger der römi
schen Kirche im Dienste Stefans der Anwesenheit des Bischofs und des
lateinischen Gottesdienstes erfreut, letzterer sie darin bestärkt, und als das
königliche Edict erschien, unumwunden erklärt, er werde wie gewöhnlich
das heilige Opfer darbringeu, es möge dann kommen, was da wolle.
Als er, zum Tode vorbereitet, die feierliche Messe begann, erschienen alle
lateinischen Ritter, bereit, das Martyrium zu bestehen, wie sie einst den
Kaiser Johann nicht verlassen, zu dessem Schutze sie Duschan erst be
stimmt, dann aber sie aufgefordert hatte, ihn preiszugeben. Vom heftigsten
Zorne erfüllt, forderte sie Duschan nach Beendigung des Hochamts zu
sich und frug sie, wie sie sich unterstehen konnten, seinen Befehlen zu
trotzen. Für die übrigen antwortete der Hauptmann, dessen Namen der
Biograph vergass, den wir aber ans dem päpstlichen Schreiben kennen,
Palmerius, sie hätten das königliche Verbot wohl gekannt und die Ge
fahr, die ihnen drohe. Wie aber könnten sie, Anhänger der lateinischen
Kirche, ihren Bischof verlassen! Sie seien bereit, auch den Tod zu erdulden.
876
Hö fl er.
wie sein Sohn, der Kaiser, den der Serbe Vukasin erschlug,
im besten Falle wie sein Bruder, gleichfalls ein Theaterkaiser,
verschollen und vergessen. Sein Patriarch konnte der Aus
breitung der Bogumilensecte nicht steuern, die immer weiter
um sich griff und die innere Zersetzung der Südslaven voll
endete. Das Kaiserthum schwand wie ein Meteox 1 , die Ein
heit des Reiches zerbröckelte sich unter den neuen serbischen
Dynasten, die sich aus Duschans Provinzialstatthaltern bildeten.
Nichts blieb, als der stupide Hass gegen vorangeschrittene Völker,
gegen die Romäer wie gegen die lateinische Welt, deren Cultur
wohl diese Barbaren verschmähen konnten; dafür verfielen sie der
osmanischen Zuchtruthe und halfen dann als willige Werkzeuge
der Sultane, als Paschahs, Grosswesire und Janitscharen den
Osmanen, die christliche Welt zu unterjochen.
Schon bei dem Tatareneinbruche zeigte sich die That-
sache, dass blos nationale Reiche, wie sie die Slaven begründet,
dem Anstürme nicht gewachsen waren. Die slavisch-deutsche
Monarchie König Ottokars II. hatte damals als Stütze der
christlichen Welt gegolten. Diese Erfahrung bethätigte sich
jetzt bei dem Einbrüche der Osmanen, dem Schiffbruche des
romäischen Kaiserthums, der Aufrollung der südslavischen Reiche
aufs Neue. Es war im Anfänge des XIV. Jahrhunderts zu
einer Auseinandersetzung zwischen den Königreichen Polen und
Böhmen gekommen, der deutsche König von Böhmen, Johann
von Lützelburg, hatte auf den Titel eines Königs von Polen
verzichtet, dafür aber war das siebzehnfach getheilte Schlesien
immer mehr in die Machtsphäre des Königreichs Böhmen hinein
gezogen worden und stand letzteres auf dem Punkte, seinen
slavischen Charakter einzubtissen. Jetzt schlossen sich aber die
Stefan Duschan wusste sehr wohl, was er an seiner deutschen
Leibgarde besitze und wie wenig es ihm fromme, sich dieser selbst zu
berauben. Sein Zorn legte sich, als er die deutsche Entschlossenheit ge
wahrte. Der Nuntius selbst stieg durch die Festigkeit seines Benehmens
in seiner Achtung, und hatte der König ihn früher als Feind bezeichnet,
so gewährte er ihm jetzt ausgesuchte Ehren, die der Bischof benützte,
bischöfliche Kirchen zu Union mit der römischen zu bringen. Allein in
Bezug auf den König selbst war die Mission insofern gescheitert, als der
selbe im Schisma beharrte und somit die Erwartungen täuschte, die seine
Gesandtschaft rege gemacht und seine Briefe zu begründen schienen. So
der Biograph.
Abbandlnngen aus dem Gebiete der slavisclien Geschichte. IV.
877
Königreiche Polen und Ungarn an einander an (1370) und bildete
sich aus der Vereinigung Beider ein slavisch-magyarisches Ost
reich, das, wenn es sich erhielt, stark genug war, den Slavenreichen
zur Stütze zu dienen, sie an sich zu ziehen und durch ihre Ver
einigung ihre Nationalität und was sie an berechtigter Eigenthüm-
lichkeit besassen, zu retten. Es gehörte zum Verhängnisse jener
Tage, dass diese Vereinigung der beiden Königreiche keinen Be
stand hatte, auf das Aussterben der Piasten in Polen sehr bald das
Erlöschen des Mannsstammes des Hauses Anjou in Ungarn (1382)
folgte, die Croaten jetzt sich an die neapolitanische Secundogenitur-
linie des Hauses Anjou anschlossen, die Polen einen Litthauer auf
ihren Thron beriefen und so statt einer festen politischen Ver
einigung die Auflösung der staatlichen Verhältnisse durch
die Betonung des Nationalitätenprincipes gezeitigt wurde. So
ward Alles morsch und hinfällig, und wäre nicht Tamerlan mit
seinen mongolischen Schaaren erschienen, der Untergang Ost
europas durch die Osmanen wäre wohl schon um ein Jahrhundert
früher erfolgt. Statt der Verbindung mit Polen, das genug zu
thun hatte, sich der Tataren zu erwehren, statt der Verbindung
mit dem entlegenen Königreich Neapel, das seine Dynastie
früh einbüsste und den grössten Schwankungen erlag, wuchs
endlich aus der Noth der Zeiten allmälig die Vereinigung der
ungarischen Krone mit denen Karls IV. heraus und bildete sich
dadurch eine neue irnd ganz eigenthümliche Vereinigung
magyarischer, slavisclier und deutscher Lande, die Eu
ropa vor den Asiaten retten zu können schien.
Fand diese aber nicht oder nicht in ergiebiger und an
haltender Weise statt, so trat die Auflösung der slavischen
Welt, deren Symptome sich gegen Ende des XIV. Jahrhunderts
hemerklich genug gemacht hatten, imaufhaltsam ein und auf
die slavische Machtent.faltung, wie sie das Zeitalter Stefan
Duschans erblickt, folgte dann ein ebenso jäher Verfall, und
zwar, da alle Hilfsquellen versiegt, alle Lebenselemente ver
braucht waren, ohne Aussicht einer Besserung. Es war nicht
denkbar, dass der Ausgang einer einzigen Schlacht über die
Monarchie Stefan Duschans entscheiden könne. Ueber sie hatten
die Serben selbst das Loos geworfen, als Stefans Sohn Urosch
von Vukasin erschlagen wurde, das Kaiserthum wohl Duschans
Bruder Simeon Paläologos Urosch auf beiden Seiten des Pindos
878
Hofier.
festzuhalten suchte, aber Epirus an den Woiwoden Thomas
abgetreten wurde und endlich des hochtönenden Simeons Sohn,
Johannes Urosch Bischof und Mönch wurde, als solcher 1410
starb. Den albanesischen Theil der Herrschaft nahmen Albanesen
für sich und-gründeten dort ihre Herrschaften. In dem Stamm
sitze der Nemanjiden hausten die Balsas, die Familien Bran-
kowich, Lazarewich und Andere traten jetzt hervor; als sie sich
aber 1371 unter Vukasin zum Kampfe gegen die Osmanen ver
einigten, erlitten sie die grosse Niederlage am 26. September
1371, die man das Verderben der Serben nannte und wobei
der Kral Vukasin, der Mörder des jugendlichen Urosch, seinen
Tod fand. Schon damals mussten sich die serbischen Theil-
fürsten im oberen Theile Macedoniens den Osmanen unter
werfen und sich zur Heeresfolge verpflichten. Es war dies im
Todesjahre Simeons Paläologos Urosch.
Die Serben schienen sich vorgenommen zu haben, den
ersten Satz der goldenen Bulle Kaiser Karl’s IV.: jedes Reich,
das in sich getheilt ist, wird zu Grunde gehen, in Ausführung
bringen zu wollen. Die Osmanen leisteten dazu bereitwillig Hilfe.
Schritt für Schritt löste sich die bulgarische, die serbische
Monarchie auf. Serben und Bulgaren hatten nur für die Os
manen gearbeitet, für sie das romäische Reich zu Grunde
gerichtet, ihre Politik, ihr ganzes Auftreten erwies sich als
eine Kette von Thorheiten. Nachdem Adrianopel die Residenz
des Padischah der Osmanen geworden war (1365), fiel mit den
Städten an der thracischen Küste Seres, die Eroberung Stefan
Duschans, 1373 in ihre Hände. Schon 1375 folgte die Er
oberung des wichtigen Nisch mit all’ den Reichthümern, die
dahin geflüchtet worden waren, nach, die Unterwerfung Bul
gariens reiht sich hieran an; schon 1381 war der Kriegszug
in das Herz von Serbien erfolgt und wurde Isliz genommen,
dann das ungemein wichtige Sophia (1382), eine Stadt, die man
ihrer Lage wegen mit dem Paradiese verglich und die, an der
Grenze von Bulgarien, Serbien und des romäischen Reiches
gelegen, von Osmanen colonisirt wurde; dann, nachdem das
Schicksal des osmanischen Reiches in Europa nicht mehr vom
Ausgange einer einzigen Schlacht abhing, verbanden sich Lazar
von Serbien, der König von Bosnien, der bulgarische Kaiser
Sisman zu einer gemeinsamen Schilderhebung (1387). Nun aber
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
879
wurde erst Sisman zu Paaren getrieben und Bulgarien unter
worfen und dann der Kampf mit Lazar und seinen bosnischen
und albanesischen Bundesgenossen aufgenommen und auf dem
Amselfelde siegreich beendet, Lazar erschlagen, das slaviscli-
albanesische Heer aufgerieben, 15. Juni 1389, als Murad meuchlings
gefallen war, von seinem Sohne Bajesid drei Colonnen zur Unter
werfung Serbiens, Bosniens und der Walachei abgesandt (1390).
Jetzt fiel auch Stefan Duschans Krönungsstadt Skopje, wo sein
ephemeres Kaiserthum verkündet worden war, in osmanische
Hände; es wurde osmanische Colonie und von Seres und Skopje
aus an der Eroberung des serbisch-albanischen Küstenlandes
gearbeitet. In Seres fand dann der grosse osmanische Hoftag
statt. Die romäisclien Kaiser Manuel von Constantinopel, Theo
dor von Sparta, der Serbenfürst Stefan Lazarewic, der Sohn
des bosnischen Königs Tvartko, Constantin Dragases kamen,
dem Padischah zu huldigen und dessen Entscheidung in ihren
Streitigkeiten zu vernehmen. Schon 1391 ward die Wallachei den
Osmanen zinspflichtig, 1393 Trnovo erstürmt, 1394 die Eroberung
von Bosnien versucht und nur durch ungarische Hilfe vereitelt.
So erwies sich denn Stefan Duschans Kaiserthum als eine
unnatürliche Kraftanstrengung, der die ßeaction auf dem Fusse
nachfolgte. Unaufhaltsam geht das Verderben von Land zu
Land. Die Katastrophe der südslavischen Welt war vollständig
und in den Institutionen jso wenig als in den Sitten eine Ab
hilfe, eine Rettung zu finden. So handelte es sich denn nicht
um den Untergang eines Reiches, das nach einiger Zeit wieder
erstehen konnte, weil die Volkskraft nicht gebrochen war und
die geistige und sittliche Bildung die Mittel einer Palingenesie
gewährten. Es handelte sich auch nicht darum, ob etwa die
improvisirten Kaiserthümer auf den Rang bescheidener König
reiche herabgedrückt, diese in Kleinstaaten getheilt wurden,
welche ein neuer Nemanja wieder vereinigen konnte. Kata
strophen dieser Art Hessen sich, da sie nur Machtfragen in
sich schlossen, überstehen, und was die eine Dynastie ver
brochen, konnte durch eine neue, die das Volk mit sich fort
riss, wieder gut gemacht werden. Anders jetzt. Die osmanische
Umwälzung drang in das Innere der Familien, raubte die
Knaben zum Dienste des Sultans, schleppte die Mädchen in
die Harems, nahm den Einzelnen den Glauben, Freiheit, Un-
880
Höflor.
abhängigkeit, Besitzthum, Recht, das Gefühl menschlicher
Würde, einer besseren Zukunft und Hess ihnen nur die Apathie
einer stummen Verzweiflung. Die Einen verfielen der Sclaverei
und die Andern wurden verpflanzt, die Reicheren verleugneten
ihren Glauben, um ihre Habe zu retten; die Bogumilen, denen
es gleichgiltig war, ob sie nach Aussen hin sich zum Christen
thum oder zum Islam bekannten, gingen in Masse über. Die
Familien, welche ihre Herrschaften behielten, waren zum Kriegs
dienste für die Osmanen verpflichtet und bekämpften nun ihre
Glaubensgenossen, schlugen die Schlachten ihrer Unterdrücker,
halfen diesen ihre Zwingherrschaft begründen und gewöhnten
sich selbst an die Entwürdigung osmanischen Hofdienstes.
Rasch hatten es die Sieger verstanden, die griechische Kirche
als einen Hebel ihrer Herrschaft zu verwenden. Sie triumphirte
über die slavische. Lange genug hatten diese Völker und
Dynastien sich und Andere am Narrenseile herumgeführt, mit
den Romäern gekämpft, mit ihnen sich verbunden, die Aus
söhnung mit der römischen Kirche geheuchelt und sie auf
gegeben, wenn das Entgegengesetzte grösseren Vortheil ver
sprach, mit Allem gespielt, was Anderen heilig war, nicht
Treue, nicht Vertrag gehalten, die sicherste Grundlage der
Staaten, das eheliche Verhältnis, nach Willkür zerstört. Sie
selbst waren eine Musterkarte von Reichen geworden, wie sie
nicht sein sollten, Bruder- und Vatermord in Serbien, immer
währende Kämpfe um die Herrschaft in Bulgarien, Hineinziehung
von Fremden in den inneren Streit, Hass gegen Andersgläubige,
treuloses Hin- und Ilerschwanken von einer Richtung zur
andern, Verachtung einer Cultur, die sie nicht schaffen konnten,
Vorliebe für jede nationale Unsitte hatten zuletzt bewirkt, dass
sie auch an Niemandem mehr eine Stütze fanden. Als
König Sigmund sich aufmachte, die Christenheit vor dem
Hereinbruche der Osmanen zu retten, hatte er den Serben
Stefan Lazarewic und den Bulgarenkaiser Sracimir gegen sich.
Sigmunds Niederlage bei Nikopolis (28. September 1396) voll
endete den politischen und socialen Untergang der beiden
Hauptreiche der Südslaven. Gerade unter so schlimmen äusseren
Verhältnissen lösten die Polen ihre politische Vereinigung mit
den Ungarn, entsclilug sich König Wenzel des Kaiserthums,
das allein noch Mitteleuropa aufzurichten im Stande gewesen
I
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IY.
881
wäre, und entstanden im Selioosse jenes Volkes, das Kaiser
Karl durch Uebernahme des Kaiserthums gross gemacht hatte
und von dem es hiess, seine Hauptstadt Prag sei, was Con-
stantinopel im Osten, was Rom im Süden, jene heillosen Ver
wirrungen, die, aus dem nationalen Antagonismus nicht weniger
hervorgehend als aus socialen Verhältnissen, sehr bald einen
allgemeinen Sturm der niederen Ordnungen gegen die höheren
erzeugten, das Unglück Mitteleuropas vollendeten. Es war,
als hätten sich die Slaven das Wort gegeben, das ganze sitt
liche und geistige Capital, an dem Jahrhunderte gearbeitet,
vor Ende des Mittelalters aufzuzehren.
Gerade in diesem Zeitalter, welches die ephemeren sla
vischen Kaiserthümer erblickte, findet auch die langandauernde
Katastrophe der Russen statt. Erst in gewohnter Weise der
Bürgerkrieg unter den Nachfolgern Ruriks und die Zurück-
stossung jedes Anerbietens, sich mit der in reicher Entwick
lung befindlichen lateinischen Welt auseinanderzusetzen, dann
der Einbruch der Tataren (1224), aber nicht auf einmal, sondern
nach der fürchterlichen Niederlage der russischen Fürsten an
der Kalka erfolgt ein zweiter Einbruch, dem Rjasan, Moskau,
Wladimir und andere Städte zum Opfer fallen; eine zweite
Niederlage findet am Silfluss statt und jetzt erst (December
1240) sank die Residenz des Grossfürsten, Kiew, in Asche.
Drei Jahre später erkannte Jaroslaw II. Wsewolodowic den
Grosschan Batu als seinen Oberherrn an und gesellten sich zu
den Gräcoslaven, den Deutsch- und Magyarslaven auch die
Tatarenslaven. Der Grosschan war es, welcher Jaroslaw II.
zum Grossfürsten von ganz Russland erhob und somit dem
aviten Theilungssysteme das tatarische der Concentration ent
gegenstellte, während die slavischen Fürsten ihre politischen
Wallfahrten in das Lager des Grosschans unternahmen, durch
seine Gnade die grossfürstliche Würde zu erlangen, und die
Tataren die Kopfsteuer in Russland erhoben. Die ganze Bildung
der russischen Slaven wurde dadurch aufgehalten, und wenn
das XVI. Jahrhundert die blutdürstigsten Grausamkeiten, die
grauenvollste Menschenschinderei in Russland gewahrte, Czar
Peter in dieser Richtung im XVIII. Jahrhunderte noch das Un
glaubliche leistete, so stehen diese entsetzlichen Zustände mit der
langen Andauer tatarischer Oberherrschaft im Causalzusammen-
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 56
882
H 5 fl er.
hange. Russische Fürsten bekämpften einander mit tatarischer
Hilfe. Der Chan entschied zu Gunsten des Grossfürsten vonTwer
gegen den von Moskau, und wenn die slavischen Fürsten sich
in Uneinigkeit überboten, fühlten sich die Tataren aufgefordert,
den einheimischen Zwist zu nähren. Es war ein schlimmes
Verhängniss, dass, nachdem eine hunnische, eine avarische,
eine bulgarische, eine magyarische Periode vorausgegangen
waren, erst noch inmitten der Entwicklung eine tatarische
kam, die die Grundsätze der absoluten Gewalt, des Ueber-
muthes, der Zertretung aller Rechte endlich auf die Gross
fürsten von Moskau vererbte, die, seit Chan Usbek Wladimir
und Nowgorod dem Grossfürsten Iwan von Moskau geschenkt
(1328), das moskowitische Grossfürstenthum zum Grabe der
übrigen russischen Fürstentümer und zum Grabe aller Frei
heiten zu machen suchten. Ebenso knechtisch gegen den
Chan wie übermütig gegen die eigenen Leute, irdische Götter
nach der einen, Sclaven der Tatarenchans nach der andern Seite,
konnten sie nicht einmal die Katastrophen des XIV. Jahr
hunderts von sich ab wenden, und noch am 22. August 1382
loderte Moskau in Flammen auf und wurden die Einwohner
von den Tataren zu Tausenden niedergemetzelt.
Als die Osmanen die Herren der Südslaven wurden und
diese aus der Geschichte schwanden, schien das Gleiche durch
die Tataren den Slaven im Norden zu widerfahren, und nur
der innere Streit der Tataren, der Untergang der sogenannten
goldenen Horde, rettete Russland vor dem Schicksale, das
die osmanisclien Sultane, tüchtigere Männer als die Tataren-
chane, den Slaven auf dem rechten Donauufer bereiteten. Wir
vergessen nur zu häufig, dass, ehe die Osmanenherrschaft in
Europa sich festsetzte, die tatarische es war, mit welcher, als
sich das Chanat der Krim bildete, Polen, Galizier und Ruthenen
fortwährend um ihre Existenz zu kämpfen hatten; dass es un
abhängig von den Osmanen zwei moslemische Reiche in Europa
gab, die Romanen aber dann sich umsomehr berufen fühlten, mit
den Moslim in Spanien aufzuräumen, als erst 1340 der letzte
gewaltige Einbruch der afrikanischen Moslim in Spanien statt
gefunden hatte, die marokkanische Bevölkerung mit Sack und
Pack, mit Weib und Kind nach Algesiras herübergekommen war.
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
883
In diesen Zeitraum fällt übrigens die Begründung eines
neuen slavischen Königreiches. Das hochtönende des serbischen
,Königs, von Rascien, von Dioclea, von Albanien, Bulgarien und
der ganzen Küste vom adriatischen Golfe bis zum grossen
Donaustrome, des Königs und Selbstbeherrschers der Serben
und des Küstenlandes, der Romäer und Bulgaren, des Czaren
der Serben, der Romäer und der westlichen Gebiete, nicht minder
Albaniens, des Küstenlandes und des ganzen Westen* — wie
sich so gerne Stefan Duschau geschrieben — war vergangen,
als wäre es nie dagewesen. Jetzt ernannte König Ludwig von
Ungarn den Ban von Bosnien, Stefan Tvrtko, zum Könige von
Rascien, Bosnien und der Küste (Chulm) 1376 und entstand
so, während Serbien sich in Fürstenthümer zerbröckelte, unter
magyarischer Oberherrschaft ein neuer slavischer Krystalli-
sationskern. Es war das letzte slavische Königreich des Mittel
alters, das von diesen so viele kommen und vergehen sah; es
hat seine Existenz mühevoll 87 Jahre gefristet.
So wäre es denn eine Lüge, zu sagen, dass den Slaven
nicht die reichste Möglichkeit der Entwicklung und die vollste
Zeit zu derselben gewährt oder von ihnen nicht gebraucht
worden wäre. Es gibt keine unsinnigere Theorie als die vor
wenigen Jahren in Böhmen aufgestellte, dass die Slaven be
rufen worden seien, die Rolle der Märtyrer zu spielen, während
sie, wo sie konnten, stets vorzogen, statt zum Amboss zu
werden, der Hammer zu sein. Da tritt gleich anfänglich das
Kaiserthum der Aseniden, das Königthum der Serben auf. Als
Osteuropa, nicht ohne eigene Schuld, die Beute der Tataren
wird, galt die Monarchie König Ottokars II. nach den Worten
des Bischofs Bruno als Schutzmauer gegen die hereinbrechende
Barbarei, wie sie bei dem Verfalle des deutschen Kaiserthums
die Steiermark vor dem Schicksale rettete, von den Magyaren
verschlungen zu werden. Sie fiel aber wie das Reich der Ase
niden nur durch eigene Schuld und jene Ueberhebung im
Glücke, die einen charakteristischen Zug der slavischen Ge
schichte bildet. Nichtsdestoweniger erfolgte die Aufrichtung
einer böhmisch-polnischen und einer böhmisch-polnisch-ungari
schen Monarchie schon in der nächsten Generation nach Otto
kar II. und ebenso rasch ihr Untergang, noch ehe der Enkel
Ottokars dem Mordstahle des böhmischen Adels (1306) erlegen.
56*
884
H o f 1 e r.
Ungarn, dessen Könige sich kurz vor der Katastrophe
der Arpaden Könige von Galizien, Bulgarien, Serbien ge
schrieben, erhob sich, während Böhmen eine deutsche Königs
dynastie gewann, unter den romanischen Anjous zu neuer
Macht, die nur dadurch einen Eintrag erlitt, dass König Ludwig,
statt seine Kraft ungetheilt dem Osten zuzuwenden, seine Macht
in Kämpfen um Neapel und mit Venedig zersplitterte. Er sah das
Kaiserthum Stefan Duschans entstehen und in jener Heuchelei
vergehen, die ein Grundzug der Herrscher aus dem Geschlechte
Nemanjas war, das sich, so oft es aus der Annäherung an die
lateinische Welt einen Nutzen ziehen konnte, dieser zuwendet,
um sie bei veränderter Sachlage mit Füssen von sich zu stossen.
Er vereinigte 1370 die Reiche Polen und Ungarn und schuf
dadurch eine Macht, die, gehörig gewahrt, ein Bollwerk gegen
die Osmanen werden konnte, wie man von der böhmischen
Monarchie ein Jahrhundert früher erwartet hatte, dass sie ein
Bollwerk gegen die Tataren werde. Gleichzeitig erschwang sich
der Luxemburger Karl, in dessen Adern premyslidisches Blut
den Gedanken eingab, das deutsche Reich in Böhmen aufgehen
zu machen, auf die Höhe des abendländischen Kaiserthums,
dessen Nichtwiederherstellung ihm Cola di Rienzo als unum-
stösslich sichere Thatsache — und doch irrig — vorausgesagt
hatte. Der deutsche Kaiser, der zwischen seinem Grossvater,
Kaiser Heinrich, und seinem zweiten Nachfolger, Kaiser
Sigmund, in der Mitte steht, gebot in der goldenen Bulle
1356 den deutschen Kurprinzen slavisch zu lernen — der erste
Sprachenzwang, der den Deutschen gegenüber geübt wurde.
Stand nicht Ungarn damals auf dem Punkte, slavisch zu werden,
und welche Fortschritte hatte nicht im deutschen Reiche das
Königreich Böhmen unter Karl IV. gemacht?
Man vergisst zu leicht, dass im XIV. Jahrhunderte, als
die romanische Literatur ihren nachhaltigen Aufschwung er
langte, Ost- und theihveise auch Mitteleuropa den Slaven zu
gehören schienen. Man muss endlich auf hören, unter der Welt
geschichte nur eine Beigabe zur deutschen Geschichte zu ver
stehen, und sich mit dem Gedanken befreunden, dass es noch
andere Pactoren gegeben hat und gibt als Deutsche und Ro
manen ! Und doch, wie sind alle diese Ansätze von Kaiser
thum und Königthum so rasch vergangen! wie wenig hat sich
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
885
an dieses Rauschen slavischer Wetterbäche das Princip der
Dauer angeschlossen! wie unendlich klein war ihre Cultur-
action! wie wurden sie, als nur die Gewalt Berechtigung gab,
von noch Gewaltigeren weggefegt, und wie eigentümlich war
es, dass, als die Zeit ganz und gar aus ihren Fugen getreten
war, der Urenkel jenes Kaiser Heinrichs VII., der das Kaiser
thum nach zweiundsechzigjährigem Interregnum 1312 wieder
aufgerichtet, dasselbe wieder fallen liess, und es nun die hu-
milis et devota natio Teutonica war, von welcher in Constanz
1415 der Versuch ausging, was schadhaft war zu heilen und die
allgemeinen Gebrechen zu reformiren. Damals aber waren
die Slaven auf dem grössten Reichstage der Christenheit, dem
Constanzer Concil, das nur Unwissende zu schmähen vermögen,
unter den übrigen Völkern entweder nur durch die Deutschen
vertreten oder boten sie jenen das Schauspiel einer im inneren
Hader begriffenen Nation dar, die nichts vereinte, als der Hass
gegen die Deutschen, deren sie doch nicht entrathen konnten.
Es war das Gegenstück zu demjenigen, was auf einem andern
Gebiete sich ereignete, als nach all’ den Winkelzügen und
Täuschungen serbischer Krale und bulgarischer Czaren zwei
Frauen, Erbinen von Bosnien und Serbien, Helena Paläo-
loga, Lazars Witwe, Serbien, und die Königin Katharina,
Witwe des 1463 von den Osmanen hingerichteten Königs
Stefan von Bosnien, ihre Reiche testamentarisch dem römischen
Stuhle vermachten. Vergeblich hatte derselbe Alles aufgeboten,
die Südslaven kirchlich zu einigen, um eine gemeinsame Ge
fahr mit vereinten Kräften abzuwehren. Wie den Romäern
der Turban der Osmanen lieber war als der Hut der Lateiner,
zogen die Slaven die , Knechtschaft unter den Osmanen der
Freiheit vor, die ihnen die lateinische Welt brachte. Dahin
hatte es der Hass der orthodoxen Kirche gebracht, das Lebens
element, in welchem ihre Grösse bestand; ihr dankten vor
Allem die Südslaven die langandauernde Nacht osmanischer
Knechtschaft, und den Patarenern, die in der Verknöcherung
des orientalischen Mönchthums sich der Massen zu bemächtigen
wussten und dann die staatliche Zerbröckelung beschleunigen
halfen.
886
Höfler.
§■ 6.
Die Restaurationsperiode. Fünfter Zeitraum (1396—1526).
Der neue Zeitraum begann mit einer denkwürdigen Pa
rallele. Secks Jakre nack dem Siege Bajesids bei Nicopolis
erfolgte die entsetzliche Niederlage der Osmanen bei Ankyra
(20. Juli 1402), die Stefan Lazarewic und die Serben im Dienste
des Sultans vergeblich aufzuhalten sich bemühten. Der Kern
des osmanischen Heeres war gefallen, Bajesid gefangen, starb
am 8. März 1403, das osmanische Reich war in seinen Grund
festen erschüttert, der asiatische Theil in den Händen des
mongolischen Siegers, der Schatz der Osmanen erbeutet, das
Land verwüstet, überall Anarchie und Bürgerkrieg. Die Kata
strophe der Serben und Bulgaren war ein Geringes im Ver
gleiche zu dem Unheil, das über die Osmanen gekommen
war. Und dennoch reichten wenige Jahre hin, die osmanische
Herrschaft wieder aufzurichten und zur Vollendung dessen zu
bringen, was Bajesids Vorgänger begonnen und er selbst seinem
Ziele nahe gebracht hatte, während Serben und Bulgaren die
Folgen ihrer Schlachten und Niederlagen nicht mehr überwanden.
Als dann der Serbenfürst Stefan im Bruderkriege Musa’s und
Suleiman’s zu diesem überging, zuletzt aber Musa doch über
Suleiman triumphirte, brach schon acht Jahre nach der Nieder
lage der Osmanen bei Ankyra ein neues Verderben über Serbien
ein und war die Herrschaft der Osmanen in Europa wieder
hergestellt. Georg Brankowic machte sich nicht nur 1427 zum
Vasallen Murads II., sondern versprach auch die Osmanen mit
allen Kräften gegen die Ungarn zu unterstützen. Serbien ward
eine reiche Hilfsquelle für die Osmanen. Moslim und Schis
matiker verstanden sich trefflich gegen den katholischen König
von Ungarn, den römischen König Sigmund, den an einem kraft
vollen Auftreten gegen den allgemeinen Feind da die husiti-
sehen Czechen, dort die osmanisch gesinnten Serben und Bosnier
aufhielten. Jahrhunderte hindurch hatten die Südslaven Zeit,
an einer Vereinigung der Staaten der Balkanhalbinsel zu ar
beiten, Bulgaren und Serben sich zu Kaisern der Romäer und
Slaven ausgerufen und doch nichts Anderes hervorgerufen als
Spaltung. Gerade jetzt, als die Osmanen sich aufmachten,
Abhandlungen aus dem Gebiete der slaviscken Geschichte. IV.
887
diese Vereinigung von ihrem Standpunkte aus durchzuführen,
traten die Folgen dieser Spaltung stärker als je hervor. Serbien
zu retten, übergab die Witwe Georg Brankowics das Land
dem römischen Stuhle. Das war für die schismatischen Slaven
eine Aufforderung, es den Osmanen zu überliefern. In Bosnien
erlangte gerade in der letzten Zeit der Unabhängigkeit der
Streit mit den Patarenern den höchsten Grad. Patarenischer
Verrath hatte bei der Katastrophe des Landes seine Hand im
Spiele. Ein serbischer Renegat vollendet die Eroberung des
Königreichs und überliefert den letzten König dem Padischah
Mohammed, der ihn enthaupten liess. Das geschah in jenen
Tagen, als Georg von Podiebrad, der nach dem Tode des
Habsburger Ladislaus Wahlkönig von Böhmen geworden
war (1458), sich gegen seinen Krönungseid als Utraquist be
kannte und den päpstlichen Legaten, der ihn an seinen Eid
erinnerte, einkerkern liess.
Es ist hier nicht der Ort, dasWesen des Husitismus weit
läufig zu erörtern. Man hat ihm eine evangelische Tendenz zu
geschrieben, sie wird sich am klarsten aus den Thaten und den
Aposteln ergeben, die die Lehre vom Kelche mit Feuer und
Schwert und allen Unthaten verkündeten, welche man den
Osmanen überlassen konnte. Aber der wilde Strom, von
czeehischen Geistlichen entfesselt, von dem Adel, der die ihm
von Karl IV. gebotene Verfassung verworfen hatte und König
thum und Kirche zu beherrschen hoffte, begünstigt, riss die
Massen mit sich fort und begrub zuerst die ganze karolingische
Bliithe in seinen blutgefärbten Wogen. Die ganze natürliche
Entwicklung eines Volkes, das an die Spitze von Europa
durch Erlangung des Kaiserthums gestellt worden war, schlug
in das Gewaltsame um; das Volk selbst wurde wüthend, grau
sam, und wie sich einer aus seiner Mitte ausdrückt, viehisch.
Königthum und Kirche versanken zeitweise im Streite, die edlere
Gesittung aber so, dass das Zeitalter der Renaissance beinahe
spurlos an dem Lande vorüberging, das aus der Hand eines
Königs, der nur für die Grösse und Wohlfahrt Böhmens lebte,
die erste grosse Pflanzstätte der Wissenschaft auf der deut
schen Seite der Alpen, nach dem Muster von Paris und Bo
logna erhalten.
888
Höfler.
Von der 1409 czecliisch gewordenen Universität ging das
Uebel aus, das jetzt Böhmen traf. Zunächst freilich die Stiftung
Kaiser Karls am meisten.
Sie ging nicht blos wissenschaftlich unter, so dass Bohus-
laus von Lobkowic meinte, man lerne nichts bei ihr, sondern die
Bemühungen des Königs Wladislaus, sie zu heben, scheiterten
auch geradezu an dem Widerstande der Husiten. Die deutsche
Bevölkerung war vertrieben oder hatte sich czechisirt, da bildete
sich erst unter den Czechen der unheilvolle Zwiespalt zwischen
den Bekennern des Abendmahls unter einer und den Bekennern
desselben unter beiden Gestalten und ward der Kelch des Herrn
ein Zeichen des Unfriedens und des Hasses, der die Nation
spaltete. Das Erzbisthum, das Kaiser Karl gegründet, ging
ein, sein Sohn fand im Grabe nicht Ruhe, was zerstört werden
konnte, wurde zerstört, und als man durch die Compactaten
den Kelch errungen hatte, wandte man sich, kurz ehe Con-
stantinopel osmanisch wurde, an den griechischen Patriarchen,
um sich mit der schismatischen Kirche zu vereinigen. Auf
den Fenstersturz des Jahres 1419 folgte noch in demselben
Jahrhunderte in Prag ein zweiter viel ärgerer in der Alt- und
Neustadt und eine blutige Verfolgung der czechischen Katho
liken durch die czechischen Utraquisten (1483).
Die Aussaat des Johann von Husinetz und seines ge
lehrten Freundes Hieronymus von Prag, von dem der Eine
in seiner Unnachgiebigkeit, der Andere in der Versatilität
seines Charakters die Haupteigenschaften des slavischen Wesens
bethätigten, bestand, als sie aufgegangen war, in der Erhebung
der niederen Massen gegen den Mittelstand, der Handwerker
gegen den ansässigen Bürger, der Bauern gegen ihre Herren,
der Bürger, Bauern und des Adels gegen den reichen Clerus
und das Königthum. Der Husitismus war trotz seiner reli
giösen Färbung dem innersten Kerne nach ein slavischer
Bürgerkrieg, der Böhmen wohl vor Zertrümmerung und den
Schrecken einer blutigen Reaction bewahrte, aber Land und
Volk in die Barbarei zurückwarf, beides zum Gegenstände des
Entsetzens machte und den gewaltsamen Umsturz der Dinge,
die Revolution und den Fenstersturz zur politischen Institution
erhob, welcher über kurz oder lang eine furchtbare Reaction
zuletzt doch nachfolgen musste. Das Unglück zu vollenden,
TZ
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
889
gesellten sich jene nicht zu berechnenden Veränderungen dazu,
welche selbst bei geordneten Verhältnissen einen Staat auf das
Tiefste zu erschüttern vermochten, die stete Trunkenheit König
Wenzels, mit seinem Wechsel von jähzornigem Aufflammen und
erbärmlicher Schwäche gegen seine Umgebung, das Aussterben
der Luxemburger (1437), die kurze Regierung Albrechts II. von
Habsburg, der wie Sigmund die Kronen von Ungarn und Böhmen
mit denen des deutschen Reiches verband, dann eine Minder
jährigkeit und eine vormundschaftliche Regierung, wieder ein
rascher Thronwechsel (1457) und nun die ausgesuchte Tücke
Georgs von Podiebrad, der auf den Trümmern der habsburgi
schen Macht die seine, und wenn diese nicht durchzuführen
war, wenigstens eine slavische zu begründen suchte. Jetzt
triumphirte der Adel, als in Böhmen wie in Ungarn einer der
Seinen mit Ausschluss der erbberechtigten fürstlichen
Familien König wurde. Das Emporkommen eines deutschen
Königshauses zu hindern und dem Slavismus den Sieg zu ver
schaffen, leitete König Georg zuletzt selbst die Succession der
polnisch-litthauischen Jagellonen ein, ohne jedoch zunächst
Anderes zu bewirken, als dass König Mathias von Ungarn,
den König Georg gehoben, um die Habsburger auch vom un
garischen Throne auszusclfliessen, unter dem neuen slavischen
Könige von Böhmen einen grossen Theil des Landes an sich
riss und das Königreich Böhmen somit getheilt wurde, es
einen ungarischen und einen polnischen König von Böhmen
gab, das Reich zerrissen wurde, wie die Kirche in Böhmen
in zwei grosse Lager sub una und sub utraque gespalten war.
Erst der zufällige Umstand, dass Mathias in Wien, das er er
obert hatte, starb (1490) und nun die Ungarn, um gleichfalls
die Deutschen auszusclfliessen, den jagellonischen König von
Böhmen zum Beherrscher von Ungarn erhoben, liess die volle
Wirksamkeit dieser Massregel recht zur Klarheit kommen.
Allein keine Dynastie war geeigneter, auch in Ungarn der
Anarchie mehr Vorschub zu leisten und eine Katastrophe zu
zeitigen, als die jagellonische. Der Moment, in welchem die
Kronen von Polen, Böhmen, Ungarn von einem und dem
selben slavischen Geschlechte getragen wurden, war der für
die Ausbreitung der osmanischen Herrschaft günstigste.
Die innere Lage wär durch die Betonung der Adelsmacht die
890
Hö fl er.
schlimmste, die äussere die gefährlichste. Jetzt ging Belgrad
verloren (1521) und stürzte der Tag von Mohacs (1526) nicht
blos das jagellonische Königthum in Ungarn und Böhmen,,
sondern brachte auch Ungarn dauernd unter das osmanische
Joch, aus welchem es erst die vielgeschmähten Habsburger
befreiten, die man so lange und durch alle erdenklichen
Mittel von der legitimen Nachfolge auszuschliessen gewusst
hatte, bis sie weniger die Erben der Krone von Ungarn als des
unheilvollen Tages von Mohacs geworden waren, wo der jagel
lonische König, von den Seinen preisgegeben, auf der Flucht
den Tod gefunden hatte (29. August).
Man spricht wohl von einem osmanischen Reiche, weil
es die Osmanen verstanden, die verschiedenen Völker ,in gute
Türken' umzuwandeln, wozu sich nur ,Ungarn und Albanesen'
nicht verstanden. Die Heere, womit sie noch im XV. Jahr
hundert bis Friaul vordrangen, bestanden aber vorzüglich aus
Bosniern, Serben, Bulgaren, aus Slaven, die zu vielen Tausen
den in die Reihen der Janitscharen gestellt wurden und dem
türkischen Reiche eine Einheit gaben, wie sie früher wohl
bei den Römern, aber nie bei den Slaven gewesen war.
Dadurch entstand nun freilich ein Epilog der slavischen
Geschichte, wie er bei keinem andern Volke sich vorfindet,
da keines in gleichem Masse an seinem Untergange gearbeitet.
Andererseits aber vervollständigt sich dadurch das slavische
Lebensbild, dass gerade im Zeitpunkte der serbisch-bosni
schen Katastrophe in Böhmen der innere Streit, der Kampf
der Herren gegen den König, der Streit des letzteren mit
König Mathias, den er erhoben, um die Habsburger auch vom
ungarischen Throne auszuschliessen und zuletzt die Theilung
Böhmens zwischen Mathias und Wladislaw erfolgten, die nur
die Consequenz der Massregeln König Georgs war und ihm
in das Kerbholz eingeschnitten werden muss. Da entstand
weiter der politische Umschlag in der slavischen Geschichte,
welche früher im Süden pulsirte und jetzt sich nach dem
Norden zog. Jetzt griff man zu den politischen Vereinigungen
zurück, anstatt aber Polen, Böhmen, Ungarn zu Einem Reiche
zu vereinen, begnügte man sich, die drei Reiche ein und der
selben Dynastie zu unterwerfen, dieser aber in jedem der drei
Reiche so sehr die Hände zu binden, dass sie wohl schaden,
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
891
aber nicht nützen konnte, der Adel wohl den König für das
Unheil verantwortlich zu machen im Stande war, das der
König nicht abwenden konnte, aber durch die Knechtschaft
der Massen, die er herbeiführte, den Ruin der Länder ver
schuldete. Sehnten sich doch die Unterdrückten nach der os-
manischen Herrschaft, von der sie Befreiung von ihren Drängern
erwarteten.
Die slavische Welt hatte sich bisher durch einen colos-
salen Trieb zur Veränderung, eine stete Unruhe bemerkbar
gemacht, alle nur denkbaren Mittel und Wege eingeschlagen,
neben anderen Völkern eine Stellung, ja vor Allem eine do-
minirende Stellung zu erlangen. Sie hatte sich an Hunnen
und Avaren, an Bulgaren, Magyaren, Kumanen, Petschenegen,
Wlachen, Waraeger und Litthauer so gut angeschlossen wie
an Romäer, Deutsche und Romanen, sich mit ihnen verbündet
und sie bekämpft, unablässig kaleidoskopartige Gebilde ge
schaffen, einen steten Wechsel der Erscheinungen hervorgenifen
und dabei immer prätendirt, dass die übrige Welt nach ihr
sich richte, während sie jeden Augenblick ein Anderes war
und selbst das gemeinsame Kennzeichen Einer Nation, Sprache
und Schrift sich immer mehr schieden. Sie hatte das Köuig-
tlnun von andern Völkern entlehnt, dadurch war ihr aber mü
der innere Gegensatz noch stärker zum Bewusstsein gekommen
und arbeitete nun der Adel und Grossgrundbesitz mit aller Ge
walt daran, die durch das Königthum gewonnene Staatseinheit
wieder aufzulösen und über den Trümmern des Königthums die
avite Unordnung, die man slavische Freiheit nannte, bleibend
aufzurichten. Der Staat selbst, der auf der Ausbildung des
Privatrechtes, auf freiem Grundeigenthum, auf der Gliederung
der Stände beruhte, war ihr etwas Fremdartiges, die ruhige
Entwicklung des organischen Wachsthums verhasst, der Wechsel
der Herrschaft der Inbegriff des politischen Lebens. Das
Königthum war importirt, das Bürgerthum nicht minder, die
ständischen Rechte des Clerus, auf welchen in deutschen und
romanischen Ländern das politische Gleichgewicht beruhte,
eher gehasst als begünstigt, der Bauer zur Behauptung seiner
Freiheit an die Gewalt angewiesen. Das Kaiserthum hatte
durch seine Vervielfältigung nicht gewonnen, nur verloren.
Patriarchate waren begründet worden, wie die Kaiserthümer
892
Höfler.
auf Ruf und Widerruf, bald der Anschluss an Rom, bald an
Constantinopel erfolgt, die folgenreichsten Verbindungen ein-
gegangen und dann als werthlos gelöst, die Bogumilen ver
folgt und dann wieder begünstigt, weder von den Lateinern
noch von den Griechen wissenschaftliches Leben eingesogen,
es genügte eine dürftige homiletische Literatur, deren Bedeu
tung in der Sprache bestand, in welcher sie geschrieben war.
Im Abendlande rief die kirchliche Bewegung eine neue Reihe
von Kirchenvätern, gelehrte Theologen, welche die Schule und
das Leben beherrschten, hervor, bei den Slaven blühte vor
Allem das Mönchthum, der Berg Athos mit seinen Klöstern
beherrschte die geistige Welt der Südslaven, und als Karl IV.,
das geistige Bedürfniss seines Volkes richtig erkennend, die
Prager Universität schuf, wurde sie sehr bald statt des Herdes
der geistigen Bewegung, der Ausgangspunkt eines nationalen
Streites, welcher eine beispiellose Umwälzung der Dinge zur
Folge hatte. Man konnte sich kaum eine vermessenere That
vorstellen als, nachdem seit 895 Böhmen mit dem deutschen
Reiche auf das Innigste verwachsen war, nachdem es, rvas es ge
worden war, seine ganze Eigentümlichkeit wie die Grossartig
keit seiner gegenwärtigen Stellung als Kaiserland, als Grossstaat,
seiner Verbindung mit dem deutschen Reiche und der dadurch
eingeleiteten Wechselwirkung verdankte, jetzt, in dem Mo
mente, in welchem vor Allem die grösste Einheit der christlichen
Nationen Noth that, einen Nationalitätenstreit hervorzurufen, der
nach der Aeusserung seines geistlichen Urhebers nicht sowohl
einen ethischen Grund hatte als den eines Nationalstolzes, der
Ueberhebung der herrlichen slavischen Nation, die gerade jetzt
durch ihre eigene Schuld und den Mangel an sittlichem Halt
im Sinken begriffen war und mit Stürmen kämpfte, die end
lich zur Katastrophe des Jahres 1620 führten und führen
mussten. Eines allein war den Slaven nicht zu Theil gewor
den, das Papstthum, das in Stücke aufzulösen, damals die
Romanen sich das Wort gegeben zu haben schienen.
Die Geschicke der slavischen Welt entluden sich im
XV. Jahrhunderte in einer erschreckenden Weise.
Bei der Auflösung der serbischen Monarchie und der
Niederlage der Ungarn bei Nicopolis 1396 begründete Stefan
Tvrdko in Bosnien ein von Ungarn unabhängiges Königreich.
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
893
Dreihundert Jahre nach der Krönung des Croatenkönigs Zwo-
nimir wurde Tvrdko König der Serben, Bosnier, des Küsten
landes und der westlichen Länder. Er erlangte Dalmatien und
suchte Croatien mit der neuen Hen-schaft zu vereinigen, die,
obwohl serbisch, gleich dem Königthum Zwonimirs einen katho
lischen Charakter annahm. Allein das neue Reich ward ein
wahres Abbild slavischer Zerrissenheit. Gerade unter Stefan
Duschan, welcher im Krönungsjahre Kaiser Karls IV. (1355)
starb, war eine fanatische Verfolgung der Katholiken durch die
schismatischen Serben entstanden; die romanische Bevölkerung
im Küstenlande, die Croaten ohnehin, waren katholisch, unter
den Serben aber hatte der Bogumilismus, die manichäisclie
Lehre durch die Saumseligkeit der Priester so grossen Ein
gang gefunden, dass Bosnien fort und fort als Herd des Bogu-
milimus galt. Dieses Reich, das, als es sich von Ungarn los
sagte, dadurch auch jeden Stützpunkt an Ungarn verlor, ward
jetzt, als Serbien zerfiel, Bulgarien unterging, slavische Haupt
macht im Süden, während in Böhmen, das gleichfalls einen
katholischen König besass, der Husitismus triumphirte. Es war
und blieb dieses eine der merkwürdigsten Erscheinungen des sich
seinem Ende nähernden Mittelalters, dass das Slaventhum noch
zwei so heterogene Erscheinungen auf dem kirchlichen Gebiete
zu Tage förderte, gleichzeitig zwei Hebel angelegt wurden, die
lateinische Welt aus den Fugen zu treiben. Doch das Geschick
der slavischen Welt hing damals, was den Süden betraf, von einer
erneuten Verbindung Polens mit Ungarn ab, als der Jagellone
Wladislav (statt des Habsburgers Ladislaus Posthumus), auf
den ungarischen Thron berufen, im Jahre 1443 den grossen
Osinanenkrieg begann, welcher mit der Vernichtung des un
garischen Heeres und dem Tode des Königs bei Varna (10. No
vember 1444) endigte. Was nun in raschen und entscheidenden
Schlägen erfolgte, war nur die Ausbeutung des grossen osma-
nischen Sieges vom Jahre 1444: die Eroberung von Constanti-
nopel (29. Mai 1453), die Vernichtung des romäischen Reiches,
der Freiheit und Selbstständigkeit der griechischen Nationalität
auf der Balkanhalbinsel, und sobald dieses geschehen war, die
grosse Frontveränderung der osmanischen Macht gegen den
Westen. War durch den Frieden von Szegedin (vor der Schlacht
von Varna) ein Theil von Serbien den Brankowic zugekommen
894
Höfler.
— Bulgarien sollte osmanisch bleiben, die Walachei zu Ungarn
gehören — so rückte schon Mohammed 1457 vor Belgrad dem
letzten Stützpunkte serbischer Macht; es wurde durch einen
abendländischen Kreuzzug für Ungarn gerettet und fiel erst
1521 in Sultan Solimans Hände. Schon 1463 erfolgte der
Untergang des Königreichs Bosnien, dessen letzter König Stefan
Tomasevic von den Osmanen enthauptet wurde. Nun aber ge
schah das Unglaubliche. Mit jener Falschheit, die den Bogu-
milen eigen war, welche, wo es ihnen frommte, christliche Ge
bräuche mitmachten, nahmen die bogumilischen Bosnier jetzt
den Islam an und erhielten sich dadurch als herrschender Stamm
im Besitze ihrer Güter, ihrer Rechte, ihrer Herrschaft über den
christlichen Tlieil, der diesen Abfall verschmähte. Es war dieses
in derselben Zeit, als König Georg von Böhmen sich bewogen
fühlte, die Maske abzunelimen, sich als Utraquist zu erklären,
sein eigenes Werk, die Pacification Böhmens zu zerstören, den
Bürgerkrieg zwischen denen sub una und sub utraque zu ver
anlassen und dadurch die Fundamente eines Gebäudes zu er
schüttern, an welchem er mit ebenso vieler Energie als Schlau
heit rastlos gearbeitet hatte. Er konnte durch seine vorzüglichen
Eigenschaften Böhmen den so wünschenswerthen Ruhepunkt ver
schaffen, selbst der Wiederhersteller, der Wohlthäter Böhmens
werden; er schien sich nur bücken zu dürfen, um das deutsche,
das romäische Kaiserthum zu erwerben. Als er wider seinen
Krönungseid sich als Utraquist geberdete, bildete die zweite
Hälfte seiner Regierung den Gegensatz zu dem glänzenden,
vielversprechenden Anfänge und gehörte auch sie nur zu den
ephemeren politischen Meteoren, an welchen die slavische Ge
schichte so reich ist.
So bot denn in dem lebensvollen XV. Jahrhunderte der
grössere Theil der slavischen Welt einen unendlich traurigen
Anblick dar. Serben und Bulgaren hatten ihre Lebensaufgabe
in einem Antagonismus erblickt, zu welchem der prunkende
Titel ihrer Titularkaiser: Kaiser der Romäer und der Bulgaren
oder Serben sehr wenig passte. Jahrhunderte lang hatten sie
rastlos daran gearbeitet, sich vom Abendlande abzuschliessen
und die Cultur des christlichen Morgenlandes zu zerstören,
wohl aber angenommen, was dem romäischen Reiche und zuletzt
ihnen selbst das Verderblichste war, das kirchliche Schisma
Abhandlungen aus dem Gebiete der slawischen Geschichte. IV.
895
und den unglaublich bornirten Hass, der noch heutigen Tages
den Serben, den Bulgaren, den Russen von dem Lateiner trennt.
Im Königreiche Polen war der Hass gegen die Deutschherren
das politische Lebenselement. Polen und Deutsche bekämpften
sich nicht blos auf den Schlachtfeldern, in der Literatur, selbst
auf dem Concil von Constanz, das die Reform der christlichen
Welt sich zur Aufgabe gestellt hatte. Als dann Russland sich
von der Herrschaft der Tataren befreite und das Grossfürsten
thum Moskau die übrigen russischen Fürstenthümer verschlang,
nahm es das romäische Schisma als sein Erbe auf, verwarf es
die Union mit dem Abendlande und setzte es das romäische
Schisma fort; je mehr seine Macht stieg, desto schärfer wurde
der Antagonismus Russlands zur übrigen Welt. Nach keiner
Seite aber trat dieser unumwundener hervor, als dem König
reiche Polen gegenüber, das seinerseits in dem Masse sich
einer zügellosen Freiheit zuwandte, in welchem in Russland der
orientalische Despotismus, das gemeinschaftliche Erbe der Ro-
mäer und Tataren zunahm. So gründlich sich die czechisclien
Utraquisten und die sub una hassten, der Hass der Russen
gegen die Polen war noch grösser, noch unversöhnlicher und
nahm von Jahrhundert zu Jahrhundert an Wildheit und Tücke
zu. Wohin man in der slavischen Welt blickte, war Alles mit
beispiellosem Unfrieden erfüllt. Die einzelnen Stämme waren
gegen einander, und da die Kirche, welche versöhnen sollte,
welche Ausgleichung und Frieden zu stiften hatte, von der Ein
führung des Christenthums an bei den slavischen Völkern nicht
übernational, sondern national geworden war, vermochte sie
ihrer Aufgabe noch viel weniger gerecht zu werden als anderswo.
Und gerade nach einer so schlimmen Erfahrung hatte man in
Böhmen nichts Höheres zu thun, als das nationale Element
auch in der Kirche zu betonen, und als man dieses nicht im
ganzen Umfange durchsetzen konnte, wandte man sich noch
beinahe unmittelbar vor Eroberung von Constantinopel an den
schismatischen Patriarchen und wollte man sich trotz aller
Compactate offen dem Schisma in die Arme werfen! Die ab
sichtlich herbeigeführte Schwäche des Königthums verschaffte
dann dem Adel einen vollständigen Sieg und die Geschicke des
czechischen und polnischen Königreichs schienen sich so nicht
zum Glücke der Völker nähern zu wollen. Nur das Haus Habsburg
896
Höf ler.
rettete Böhmen vor dem Schicksale Polens, das zuletzt durch
seine inneren Zwistigkeiten seine Nachbarn einlud, dem Reich
den Untergang zu bereiten. In welcher Blüthe und Macht
standen damals die romanischen Staaten da, Frankreich, Ara-
gonien, Castilien, Portugal-Algarve! Sie hatten ihren Dualis
mus überwunden und in kirchlicher wie in politischer Beziehung
Einigung gefunden und trafen nun Anstalten, in Afrika, in Asien,
in Amerika sich festzusetzen, eine Weltmonarchie zu begründen,
wie sie die Geschichte noch nicht gekannt. Anders die Slaven,
welche alle Momente der Einigung in das Entgegengesetzte
verkehrt hatten und nun selbst zur Bresche geworden waren,
durch welche die Barbarei ihren Einzug in Europa hielt, wenn
nicht alle Völker noch zu ihrer Abwehr sich verbanden.
Auch dieser Zeitraum, der letzte des Mittelalters, bietet
grosse Belehrung dar. Das XIV. Jahrhundert hatte durch die
Eigenthümlichkeit der so versatilen luxemburgischen Dynastie
den Czechen die reichste Möglichkeit gewährt, nicht blos, wie
bisher, von Deutschland, sondern auch von Italien und Frank
reich, von Ost und West Impulse des geistigen Lebens zu er
langen. Das deutsche Reich war für Kaiser Karl nicht viel
mehr gewesen als eine Mine, die er im Interesse Böhmens aus
beutete. Böhmen selbst war durch ihn das Kaiserland ge
worden, Paris und Bologna sollten sich in Prag wiederfinden,
ein dauernder Rechtszustand aufgerichtet, Niederdeutschland
mit Böhmen in Verbindung gesetzt, Handelsverbindungen nach
dem Norden und dem Süden abgeschlossen, Böhmen ein all
gemeiner Mittelpunkt des europäischen Vülkerverkehrs werden.
Das Alles konnte aber nur geschehen, wenn das czechische
Volk auf die Ideen seines Kaisers einging, bis zu einem ge
wissen Grade sich entnationalisirte, die allgemein leitenden Ideen
auf Kosten des Czechismus Wurzeln schlugen und der be
schränkte Nationalitätsstandpunkt aufgegeben wurde. Das war
zu viel verlangt. Selbst in der eigenen Familie konnte Karl
nicht durchdringen, sein Sohn und Nachfolger war im Vergleich
zu seinem Stiefbruder Sigmund viel zu viel Slave, als dass die
allgemeinen Ideen seines Vaters bei ihm durchdringen konnten.
Der böhmische Adel hatte die weiseste Massregel Kaiser Karls,
die Begründung einer Verfassung von sich gewiesen
und von den kirchlichen Anstalten Kaiser Karls war nicht viel
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IY.
897
mehr geblieben als ein gewisser Pietismus, der sich darin gefiel,
die Czechen für das auserwählte Volk Gottes zu halten, dem die
modernen Kanaaniten zum Opfer zu fallen hatten. Und diese
Verkehrung der Dinge, diesen Abfall von seiner Geschichte
wagt man jetzt dem czechischen Volke als höchste Blüthe dar
zustellen, als den Lichtpunkt der Entwicklung, als die Sonne,
die in finsterer Nacht zu leuchten begonnen und an der die
übrigen Völker ihre Thranlampe angezündet!
Es kann hier der Controverse, ob die Prager Universität
die erste deutsche, ob sie keine deutsche war, nur im Vor
übergehen gedacht werden. Dass Prag durch Karl IV. die
Hauptstadt des deutschen Reiches wurde, ist von den Zeit
genossen ebenso anerkannt worden, als dass Böhmen selbst
ein Glied des deutschen Reiches war und somit die Gründung
der Universität auf deutschem Reichsboden erfolgte. Sieht man
aber auf die Männer, welche die Prager Universität besuchten
und ihr denn doch eigentlich ihren Charakter verliehen, so
strömten nach dem Ausspruche eines unverwerflichen Zeugen,
des Andreas von Böhmisch-Brod, Preussen, Ruthenen, Polen,
Ungarn, Engländer, Irländer, Spanier, Sachsen, Schweden,
Dänen, Jüten, Norweger, Finländer, Venetianer, Lombarden,
Neapolitaner, Mittelitaliener, Franzosen, Cyprier, Rheinländer,
Schwaben, Baiern, nach Prag, dort zu studiren. Andreas
kommt förmlich in Entzückung, wenn er an dieses Glück
denkt, das Prag zu Theil wurde. 0 glückliches Böhmen, o
glückliche Krone Böhmens, o überglückliches, o edles Prag!
ruft er aus. 1 Karl IV. wollte ein allgemeines Studium schaffen,
nicht ein particulares, blos czecliisches, und der Erfolg ent
sprach, wenigstens so lange er lebte, diesen seinen rastlosen
Bemühungen, wie man aus dem Verzeichnisse des Andreas
sieht, in glänzender Weise. Niemand wird sich doch ein
bilden, dass Finländer und Norweger nach Prag kamen, um
Vorträge über czechische Literatur zu hören, und die Aus
wahl, welche Karl IV. bei den von ihm selbst geleiteten Be
rufungen der Männer traf, denen er sein allgemeines Studium
anvertrauen wollte, beweist, dass es ihm ernst war, eine Welt-
1 Höfler, Magister Johannes Hus und der Abzug der deutschen Professoren
und Studenten aus Prag, S. 115.
Sitzungsbor. d. phil.-hist. CI. XCV1I. Bd. 111. Hft. 57
898
Höfler.
Universität, gleich den beiden in Italien und Frankreich be
stehenden grossen Universitäten, zu begründen. Welches aber
auch die Zukunft der Karls-Universität war, Karl hatte die
Zukunft Böhmens an die der Universität geknüpft, ihre Blüthe
war die Blüthe Böhmens, ihr Verfall und Siechthum der Ver
fall und das Siechthum des ,edlen Gliedes des deutschen Reiches'
(nobile membrum imperii).
Die Geschichte des Mittelalters hört in Böhmen eigent
lich mit der hussitischen Bewegung auf, die einen Kreis be
schrieb, der mit der Vertreibung der deutschen Professoren,
Studenten und Bürger durch die Czechen im Anfänge des
XV. Jahrhunderts begann und nach zwei Jahrhunderten mit
der Aechtung und Vertreibung des einheimischen Adels endigte,
der so lange Zeit an allen revolutionären Bewegungen Theil
genommen, weder vor Fenstersturz noch vor Absetzung der
Könige, vor Bürgerkrieg und auswärtiger Berufung zurück
geschreckt hatte und endlich der Nemesis verfiel. Kein Volk
hatte es sich bisher so geradezu zur Aufgabe gestellt, mit seiner
ganzen Vergangenheit zu brechen und, als wäre Böhmen eine Insel
im Weltmeere, an der einseitigsten Slavisirung des Landes zu
arbeiten als das czechische. Religion, Wissenschaft und Kunst,
Königthum und gesetzliche Ordnung wurden diesem Phantom zu
Liebe preisgegeben, und während man die niederen Classen mit
ihrer unbändigen Rohheit zu Theilnehmern an dem Kampfe
machte, nährte man noch die Einbildung, für die höchsten Güter
der Menschheit zu kämpfen und gleichsam auf deren Höhe
zu wandeln. Man gab die gesammte Cultur von Jahrhunderten
preis; wo früher die herrlichsten Bauten zum Himmel ragten,
gab es nur mehr Brandstätten, die scheusslichsten Mordscenen
wurden zur Tagesordnung und das Volk in eine Richtung hinein
gezogen, die es zu keiner ruhigen Entwicklung mehr kommen
liess, Alles, damit das echte Slaventhum triumphire. Das sind
die Verhängnisse der Völker, die gleich den Individuen den
Folgen ihrer eigenen Thaten verfallen. 1
1 Ein Herr Friedrich Paulsen, dessen wissenschaftliche Leistungen mir nur aus
einem sehr matten Aufsatze über die Gründung der deutschen Universitäten
im Mittelalter in der v. Sybel’schen historischen Zeitschrift bekannt sind,
hat in dieser sich bemiissigt gefühlt, die Vorgänge an der Prager Uni
versität im Jahre 1384 — den Streit um die Collegiaturen, worin Herr
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
899
Noch im XIII. Jahrhunderte, als zur Besserung der Gründe,
zur Vermehrung ihres Einkommens slavische Fürsten, der Adel,
Paulsen gegen den Wortlaut der betreffenden Urkunde Professuren er
blickt — einer Erörterung zu unterziehen, die beweisen soll, dass die
Czechen durch den Vertrag vom Jahre 1384 nicht in den ausschliess
lichen Besitz derselben gelangt seien. Paulsen, welcher in seinen Prager
Studien nicht so weit gelangte, um das Datum der Gründung der Uni
versität richtig angeben zu können, muss freilich hiebei zugestehen, dass
der Wortlaut der betreffenden Urkunde das bedeuten könne, was ich,
auf diese gestützt, darüber aussprach. Während ich aber in meiner
Schrift: ,Johannes Hus und der Abzug der deutschen Professoren und
Studirenden von der Prager Universität 4 mich begnügte, die Sache soweit
mitzutheilen, als die mir zu Gebote stehenden Urkunden reichen, sieht
Herr Paulsen darin eine sehr ausführliche und für die Böhmen sehr ge
hässige, aber nicht lichtvolle Darstellung. Statt aber durch Auffindung
einer Urkunde, welche meine Forschung ergänzen könnte, sich den Dank
der Forscher zu verdienen, gibt er weder etwas Neues, noch vermag
er den urkundlichen Text zu entkräften. Der unwiderleglichen That-
sache, dass die Magister der drei Nationen durch die czechische von
den Collegiaturen ausgeschlossen worden seien, setzt er entgegen, dass
erstens dann Hus nicht hätte behaupten können, dass sich die Fremden
in das Erbe der Heimischen ,wie Hunde 4 eingedrängt und ihnen das Brod
weggenommen hätten, und zweitens, weil der nachfolgende Vertrag, die
sogenannte concordia nationum, sicher von den drei Nationen nicht
unterzeichnet worden wäre, wenn alle Collegiaturen bis auf Vis? w * e
Paulsen nachrechnet, in die Hände der Böhmen gefallen wären. Nun
habe ich nachgewiesen, und zwar durch Anführung der Worte des Andreas
von Böhmisch-Brod, eines intimen Freundes und Parteigängers des Johann
von Husinetz, dass das von diesem und den Seinen erschlichene Decret
König Wenzels vom 18. Jänner 1409 die Statuten der Universität und
die beschworenen Verträge der Nationen verletzte und Hus, in die Enge
getrieben, nun die Brodfrage in ähnlicher Weise in Scene setzte, wie es
so oft geschah, um das czechische Volk gegen die deutschen Professoren
aufzureizen. Das zweite Argument, die Deutschen wären sicher dann aus
gewandert, ist völlig unglücklich gewählt. Nicht blos, dass auf die con
cordia hin ein neuer Universitätseid — servare statuta — et ordinationes
firmatas inter nationem bohemorum et alias nationes et collegia — ein
geführt wurde (Ms), sondern es fand auch wirklich eine, wenn auch nicht
so massenhafte Auswanderung der Deutschen statt, wie im Jahre 1409, als
Hus den Kampf gegen die Deutschen zur Lebensaufgabe machte. Sie
war aber doch so stark, dass derselbe König Wenzel, welcher sich zehn
Jahre nachher von Hus und den Seinigen so arg bethören liess, eine
Art von Proclamation im Jahre 1399 erliess, worin er die Ausländer
dringendst eiulud, zur Prager Universität zu rück zu kehren, er wolle die
alte Blüthe derselben erneuen, (ut quae per intervalla quantalibet passim
57*
900
H öf ler.
die Prälaten die Einwanderung der Deutschen so sehr begün-
tigten, meinte ein sehr entschiedener Slave, der Bischofs
Bogufal in Posen, es gäbe in der ganzen Welt nicht zwei
Nationen, die einander so nahe ständen, so viel Gemeinsames
quassata perierant, sub nostrae juventutis primördiis seniliter juvenescant).
Die Argumentation des Herrn Paulsen ist somit in gar keiner Beziehung
stichhältig, sie beweist nur seine Unwissenheit, und der persönliche Aus
fall gegen mich widerlegt sich dadurch von selbst. Er scheint, was ich
aus dem Appellationsinstrumente der drei Nationen, das ich auffand,
wörtlich in den Text aufnahm, als meinen Zusatz angesehen zu haben.
Wenn er aber dann mit einer Art von Päan schliesst, Böhmen sei damals
das Herz von Deutschland nicht gewesen, und sagt, ,gar in der Vertrei
bung von einigen deutschen Professoren ein welterschütterndes Ereigniss
zu sehen, sei doch ein abenteuerliches idolum horizontis 1 , so weiss freilich
der gründliche Forscher nicht, dass Böhmen sich damals bis vor die
Tliore von Nürnberg erstreckte, Mähren, Schlesien, die Lausitz und das
Churfürstenthum Brandenburg umfasste, die zahlreichen Enclaven im
deutschen Reiche nicht gerechnet, und dass es von dieser Zeit an hiess,
die römische Königskrone gehöre auf die böhmische. Der insipide Vor
wurf der Abenteuerlichkeit fällt daher auf Herrn Paulsen zurück, der
nicht weiss, dass es sich nicht um einige deutsche Professoren handelte,
sondern allmälig um die ganze deutsche Bevölkerung Böhmens und um
einen Nationalkampf, der die besten Kräfte Deutschlands verzehrte. Nur
eine ekelhafte Frivolität, wie sie der leidige Culturkampf erzeugte, kann
da von einigen deutschen Professoren sprechen, wo es sich um einen
Brand handelte, der nach wenigen Jahren die Herrschaft der Hohenzollern
in Franken bedrohte und sich bis an die Ostsee erstreckte. Die elendeste
Argumentation, welche unter gewissenhaften Forschern nie stattfinden
darf, besteht aber darin, einem Andern eine Absurdität zuzuschreiben
und diese sodann zu bekämpfen. Wer hat denn aus der Vertreibung
einiger deutschen Professoren ein welterschütterndes Ereigniss gemacht?
Nur Herr Paulsen, der dem Magister Johannes Hus eine Art von Infallibilität
zuzuerkennen, scheint. Doch Herrn Paulsen hat bereits das verdiente
Schicksal erreicht. Er wurde von dem czechisclien Journale als Muster
von Unparteilichkeit gepriesen, das die gehässigste Verunglimpfung der
Deutschen zum Handwerk machte, in dieser Arbeit vor keinem Mittel
zurückschreckt und dem jede Waffe recht ist, findet man sie vielleicht
auch nur, wenn man sich nach dem Strassenkothe bückt. Herr Paulsen
verlangt, dass die Deutschen im Jahre 1384 vor den Czechen hätten aus
wandern sollen, und er leistet 1881 den Neuhusiten moralische Unter
stützung gegen die Deutschen, die um ihre Existenz kämpfen. Hat man
in Deutschland vergessen, dass Böhmen stets das Wetterloch Mitteleuropas
war, aus welchem die Stürme über die Nachbarländer brausten, so möge
man sich wenigstens nicht in unsere Angelegenheiten mischen.
i
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV. 901
besässen, als die Deutschen und die Slaven. Im XV. Jahr
hunderte lautete es ganz anders; da wurde (1477) gesagt, die
Natur selbst habe zwischen beiden Völkern einen beständigen
Zwiespalt und einen natürlichen Hass gesäet. Zwischen diesen
beiden, einander so widersprechenden Meinungen, die man
als Zeitspiegel bezeichnen kann, liegt die Periode des IIus
und sein Bestreben, seine herrliche Nation zu erheben, ein
Bestreben, das zunächst zur Zerstörung des gemeinsamen
geistigen Mittelpunktes, den Kaiser Karl den beiden Nationen
geschaffen, führte, dann das Nationalitätenprincip zum kirch
lichen Factor zu machen suchte, endlich die böhmische Revo
lution mit allen ihren Gräueln erzeugte, damit auch die czechische
Adelsherrschaft, die sich nach Unten wie nach Oben breit
machte. ,Und wir werden, hiess es 1434 von Seiten der Tabo-
riten, diese Barone vernichten, das Land behaupten, Alle, die
uns entgegen sind, tödten und vertreiben, damit sie uns künftig
nicht hindern, und dann werden wir einen allgemeinen Land
tag halten, um eine Landesordnung aufzurichten, und dort
durchsetzen, was wir wollen, und diejenigen, welche noch auf
unserer Seite sind, denen wir aber nicht trauen können und die
uns nicht nützlich sind, diese werden wir tödten und vernichten;
ebenso diejenigen, welche nicht zum bestimmten Tage erscheinen
wollen, und dann wollen wir die entfernteren Länder erobern,
wie es die Römer gethan. Und nicht wollen wir Scheu haben
vor Blutvergiessen, da auch Judith unter schönen Worten den
Holofernes tödtete, ihr Volk befreite und deshalb grosses Lob
bei den Menschen fand'. Das war das neue Evangelium.
Die Prager waren vorangegangen, als sie ihre Klöster
plünderten und mit der Zerstörung der herrlichen Bauten
früherer Jahrhunderte begannen, dann das Signal gaben, sich
über die Häuser, die Weinberge, die Keller und sonstigen
liegenden Gründe der deutschen Bürger zu werfen und diese
sich anzueignen. Diese husitischen Ideen fanden vor Allem
Anklang und mussten, wenn einmal das Zugreifen erlaubt war,
der Bewegung unendlich viele Freunde schaffen. Diese Sprache
verstand der Proletarier wie der Baron, und Kilian Leib, Prior
von Rebdorf, weiss noch spät zu erzählen, welchen Eindruck
es auf den deutschen Adel machte, wenn er in den Schatz
kammern des böhmischen Adels die silbernen und goldenen
902
Hofier.
Pokale, die kostbaren Monstranzen und sonstigen Kleinodien
erblickte, welche aus den böhmischen Kirchen und Klöstern
in Privatbesitz gelangt waren. Schon im XIII. Jahrhundert
war die Frage, um welche es sich jetzt handelte, in ähnlicher
Art an die Czechen herangetreten, als Ottokar II. zwar deutsche
Länder in seiner Monarchie vereinigte, aber die Last der
deutschen Krone auf sich zu nehmen und ihrer schweren Auf
gabe sich zu unterziehen verschmähte, diese zu lösen dem
Grafen von Habsburg überliess, dessen Wahl ihm dann doch
ein Dorn im Auge war. Damals hüllte man sich in die sla-
vische Selbstgenügsamkeit ein und vergass man, dass man
nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben habe. Nochmal
trat die Frage heran, als König Wenzel II. ein Generalstudium
in Prag begründen wollte und der czechische Adel sich wider
setzte, damit nicht die Kinder der niederen Stände durch
grössere Bildung ihm über die Köpfe wüchsen. Jetzt handelte
es sich darum, die von Karl IV. begründete Grösse Böhmens, die
sich ohne das Kaiserthum nicht erhalten liess, zu wahren
und darüber das Opfer nationaler Ausschliesslichkeit zu bringen.
Wie unter Ottokar die czechischen Kleingeister dem Könige
riethen, sich der deutschen Krone zu begeben, da er sie in
seiner Machtfülle nicht bedürfe, so waren jetzt bei König-
Wenzel IV. die Kathgeber da, die Deutschen als Eindringlinge
anzusehen und das Brod des Landes nicht ,den Hunden',
sondern den Eingebornen zu geben, ein Rath, der das Schick
sal erst der Universität, dann der karolingischen Periode und
des Landes entschied. Man hielt es für einen Triumph, als
die Anhänger und Freunde des Johann von Husinetz die Uni
versität sich eigen machten. Man lobte Gott dafür, dass es
geschehen war, verkündete den czechischen Rector als Meister
in Israel, und die von fanatischen Führern missleitete Nation
hatte nichts Anderes zu thun, als bei dem Anbruche des Re
naissance-Zeitalters alle Mittel der geistigen Bildung zu zer
stören, sich an Mord und Plünderung zu gewöhnen und den
wildesten und grausamsten Scenen zu verfallen, während man
sich einbildete, die Segnungen des Lichtes in die Welt zu
tragen. Der Bruch mit der Vergangenheit war im ausgedehn
testen Masse erfolgt und die Geschichte hatte von Neuem zu
beginnen. Kein slavisches Volk war in seinem Hasse gegen
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
903
die Deutschen weiter gegangen als die Czechen und hatte
dadurch in der Zerstörung der eigenen Vergangenheit, der
Grundlage einer besseren Zukunft Grösseres geleistet. Wenn
die Polen dem Deutschherrenorden grimmig feind waren, so
hatte dieses einen Sinn. Die Deutschherren hatten einen Staat
begründet mit Burgen und Städten, Heeren und Festungen, und
waren vor dem Kampfe auf Leben und Tod nicht zurückgebebt.
Sie waren in offener Feldschlacht überwunden worden, und
wenn die Jagellonen als Sieger die Oberherrschaft über den
Orden zu begründen suchten, so mochte darüber eine Aus
einandersetzung zwischen dem Könige von Polen und dem der
Römer erfolgen, um die Sieger einzuschränken. Allein anders
standen die Dinge im Königreiche Böhmen. Die Czechen
hatten sich freiwillig an das deutsche Reich angeschlossen; es
war nicht Anmassung der deutschen Könige und Kaiser, wenn
diese, im beständigen Streite der Premysliden um die Herr
schaft und von diesen aufgerufen, den Schiedsrichter machten.
Aus einem tributären Fürsten war der czechische Herzog zum
Reichsfürsten emporgestiegen, deutsches Blut drang durch
die zahlreichen Heirathen der Premysliden mit deutschen
Fürstentöchtern in die Adern der herrschenden Familie,
deutsche Namen: Konrad, Friedrich, Heinrich, kamen unter
diesen zum Vorschein. Sie sind es, unter welchen deutsche
Handwerker und Kaufleute gekommen waren, die Bauern zur
Besserung der Grundstücke, zur Begründung eines freien Bauern
standes berufen, die Bürger mit Privilegien versehen wurden.
Deutsche Mönche hatten mit dem rationellen Ackerbau milde Auf
fassung der Lebensverhältnisse zu verbreiten gesucht. Deutsche
Könige und Kaiser hatten die Herzoge wegen ihrer Verdienste
um das deutsche Reich zu Königen erhoben und diesen eine
Stellung verschafft, dass sie mehr als einmal über das Geschick
Mitteleuropas verfügen konnten. Das czechische Volk war es, das
sich nacheinander drei deutsche Könige: Rudolf von Habsburg,
Heinrich von Kärnten, Johann von Luxemburg, gab. Unter
der luxemburgischen Dynastie hatte Böhmen die Ehren des
römischen Kaiserthums erlangt, war Prag geworden, was Con-
stantinopel war, wie Heinrich von Diessenhofen schreibt, und
hatte zum Danke dafür Karl erst Böhmen in kirchlicher Be
ziehung von Deutschland gelöst, dann ein ganzes deutsches
!
904
Höfler.
Cliurfürstenthum der Krone Böhmen incorporirt, die Marken
des Königreichs bis Nürnberg vorgeschoben, böhmische En-
claven auf deutschem Boden — Ansätze für weitere Incorpora-
tionen — begründet, die Universität als gemeinsames Centrum
mitteleuropäischer Völker gestiftet, aber mit all’ seiner Macht
doch nicht den böhmischen Adel bewegen können, durch
Annahme der majestas Carolina den Revolutionsgelüsten zu
entsagen und sich und dem Lande eine feste rechtliche Basis
zu schaffen: aber was Karl Grosses geschaffen, das Alles war
jetzt — im letzten Zeiträume des Mittelalters — als wäre es
gänzlich werthlos oder nie dagewesen. Im Namen der
Nationalität eröffnete Johann von Husinetz den Sturm auf das
Kleinod der Wissenschaft; es gelang ihm, die Universität
czechisch zu machen und sie zugleich der Wissenschaft zu
entfremden, so dass sie sich von dem Schlage des Jahres 1409
nie mehr erholte. Dann ging es Schritt für Schritt weiter.
Der thöxuehte Erzbischof von Prag leistete selbst den Husiten
Vorschub, nicht ahnend, welche Stürme er zu entfesseln unter
nahm. Die deutschen Bürger verschwanden, als ihnen nur
die Wahl gelassen wurde zwischen Utraquismus und Preis-
gebung ihrer Habe, wo nicht des Lebens. Alle Disciplin, alle
gesetzliche Ordnung der Dinge hörte auf, das Königthum
wurde bei Seite geschoben. Der Nachfolger Karls IV., der durch
Concessionen den Sturm zu beschwichtigen hoffte, fand selbst
im Grabe keine Ruhe. Böhmen konnte sich der auswärtigen
Einfälle entledigen, als der Adel dem König Sigmund 1420 vor
geschwindelt, wenn sich das königliche Heer zurückziehe, werde
er die Sache in Ordnung bringen, aber der Aufruhr loderte nun
nur um so schrecklicher empor. Der Bürgerkrieg tobte durch
die einst so gesegneten Gauen, und das Volk unter tollen Führern
schien keine andere Aufgabe zu kennen, als, zu Mord und
Plünderung angeleitet, in den eigenen Eingeweiden zu wühlen,
einer wirklichen Reform den Rücken zu kehren. Kein Stand
kannte mehr die ihm von der Natur der Dinge gezogene
Schranke und jeder hielt sich nur für berufen, im XV. Jahr
hunderte mit rasender Eile das Gegentheil von dem auszu
führen, was im XIV. Jahrhunderte der grösste Wohlthäter
Böhmens, wie man mit vollem Rechte Karl IV. nannte, mit
unverdrossenem Fleisse geschaffen hatte. Die Kirche bricht
Abhandlungen aus dem Gebiete der slaviscben Geschichte. IY.
905
zuerst zusammen, dann das Königthum, die Wohlfahrt des
Landes geht durch den Bürgerkrieg zu Grunde, die Raub
kriege nach Aussen, das ewige Blutvergiessen macht das Volk
blutgierig und mörderisch, es will religiöse, politische, sociale
Freiheit und sinkt nach allen Seiten nur noch tiefer. Es hat
seine Geschicke selbst in die Hand genommen, Niemand darf
sich in seine Angelegenheiten mischen, und die Folge ist, dass
es schliesslich dem einheimischen Adel verfällt und dieser von
der geistigen Bewegung, dem socialen Umstürze, der grossen
böhmischen Revolution allein Vortheil zieht und Volk und
Land für sich ausbeutet. Aber es hat erreicht, was es will,
der Czechismus triumphirt, die Deutschen sind ausgetrieben,
die Grundsätze eines Jan Zizka sind Fleisch geworden; nur ist
eine neue Spaltung eingetreten, das Land parteit sich in die
sub una und sub utraque, unter privilegirte Reiche und privi-
legirte Arme. Die Verrohung wächst in das Unglaubliche.
Diese Wendung der Dinge gibt den Polen Gelegenheit,
eine grosse Rolle zu spielen. Sie werfen die Deutschherren
nieder, sie vertheidigen Mitteleuropa vor den Tataren, sie ver
einigen wieder Ungarn und übernehmen die. Fortführung des
Türkenkrieges, die Jagellonen gewinnen endlich das König
reich Böhmen, und zwar für längere Zeit, als König Wenzel II.
Polen gewonnen; sie fügen, während das deutsche Reich sich
in eine Oligarchie umwandelt und Italien verliert, auch die
ungarischen Reiche dazu; nur stellt sich heraus, je mehr die
Jagellonen an äusserer Macht zunehmen, desto mehr verlieren
sie an politischer Kraft, die Völker sind es, die regieren, nicht
die Fürsten, und während das romanische Europa sich concen-
trirt, das habsburgische Haus zur Weltmacht wird, wächst im
Osten die Anarchie und bereiten sich jene jammervollen Schläge
vor, die erst Belgrad treffen, dann Ungarn zerschlagen und
mit einem Male die Throne von Ungarn und Böhmen erledigen,
beide Reiche herrenlos machen.' Jetzt flüchtete sich der ge
meine Mann in Böhmen in den Schoos der böhmischen Brü
der, die in Wäldern und Einöden ihrem Cultus huldigten;
seine nationalen Herren waren, seit die Kirche der Habsucht
des Adels, dem Fanatismus der Massen erlegen, das König
thum nicht nur schwach geworden, sondern absichtlich in
Schwäche erhalten wurde, seine ärgsten Feinde geworden.
906
Hofier.
Aber man hatte erreicht, was man wollte, die Deutschen waren
ausgetrieben — um zuletzt doch zurückzukehren und (1527)
die Herrschaft zu erlangen.
Die slavischen Völker hatten volle Zeit sich zu entwickeln,
und wenn grosse Katastrophen diesen Process plötzlich unter
brachen, haben sie nicht Andere, sondern nur sich anzuklagen.
Es gibt keine unsinnigere Theorie, als ein Volk glauben zu
machen, es sei zum Martyrium unter den andern Völkern be
stimmt, in deren Annalen mit Schrecken und Entsetzen das
Treiben dieser Märtyrer verzeichnet ist. Wenn aber die Be
hauptung gewagt wird, dass durch den Husitismus die reli
giöse oder politische Freiheit gefördert worden sei, so müsste
sich dieses vor Allem in der Geschichte Böhmens im XV. Jahr
hunderte zeigen. Dieses sah aber nicht blos die taboritiscke
Bauernerhebung, die dem Auslande kraftvollen Widerstand ge
leistet hatte, untergeben, sondern auch die Freiheit der niederen
Classen überhaupt, die dem doppelten böhmischen Adel, Herren
und Bitterstand ebenso erlag als die religiöse Freiheit, die im
Utraquismus verknöcherte, der den Seinen eine Last wurde,
nachdem man den Kampf mit der christlichen Welt gewagt
hatte, ihn zu erringen und zu behaupten. Die Verfolgungen,
welche die böhmischen Brüder vor Allem von den Utraquisten
auszustehen hatten, die geistige Unfruchtbarkeit der letzteren,
ihr stetes Hin- und Herschwanken zwischen Anerkennung und
Nichtanerkennung der katholischen Kirche, der gänzliche Mangel
an innerem Gehalte, an wissenschaftlicher Bedeutung, machen
den Utraquismus, diesen Kampfpreis der husitisehen Heere
wie der husitisehen Theologen zu einer der widerwärtigsten
Gestaltungen der gesammten Kirchengeschichte, und wenn
mit dreister Stirne behauptet wird, von Böhmen sei das
Licht in der Pinsterniss ausgegangen, so lieferten die husi-
tischen Brandmäler, die Knechtung der niederen Classen,
die Schwäche des Königthums, der Uebermuth und die Ueber-
macht des Adels, an welchen die Güter der Kirche und des
Königthums gekommen waren, die unglaubliche Bohheit der
Massen, die an das Morden und Plündern sich gewöhnt hatten,
und der Verfall der Unterrichtsanstalten, als dieselben in die
Hände der Utraquisten gefallen waren und diese rasch ihre
ausschliessliche Herrschaft behaupteten, für verständige und
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
907
besonnene Naturen den Beweis, dass man nicht ungestraft mit
seiner Vergangenheit brechen dürfe.
Aber einen Sieg hatten die Slaven erfochten und in
diesem konnten sie schwelgen. Die in Russland eingewan
derten deutschen Familien hatten sich slavisirt und Strahl zählt
an dreissig vornehme russische Familien auf, die von Deutschen
stammen; die in Böhmen eingewanderten Deutschen czecliisirten
sich, nachdem die Prager Deutschen ihr Besitzthum verloren
und die grosse husitische Erhebung mit der Plünderung und
Beraubung derselben begonnen hatte; die in Polen eingewan
derten deutschen Bauern verfielen polnischen Beamten und
polonisirten sich. Die Uebermacht Polens über den deutschen
Orden war gleichfalls entschieden und nach dieser Seite hin
das Slaventhum im Wachsen begriffen. Aber auch der innere
Kampf hatte unglaubliche Dimensionen erlangt. Griechen und
Lateiner, Polen und Russen standen sich, durch den Glauben
geschieden, auf das Feindseligste gegenüber und das slavisch-
nationale Element erwies sich als unfähig, die kirchliche
Einigung durchzuführen und auf diese eine politische Ver
einigung, ja auch nur eine Versöhnung der feindlichen Gegen
sätze herbeizuführen, die die Entwicklung der Jahrhunderte
eher gefördert als gemindert hatte. Der Russe erkannte nicht
einmal die Taufe der Lateiner an und übte eine Unduldsamkeit,
die unter den Bekennern des christlichen Glaubens in diesem
Masse unbekannt war, ohne jedoch selbst dadurch Anderes
zu gewinnen als Zunahme des Sectenwesens und einen alle
geistige Regung erstickenden Aberglauben, verbunden mit der
politischen Tyrannei, die nur bei den Osmanen noch einen
Gegenhalt fand. Da wusste man in der That nicht, was
schlimmer war: die Spaltung, die bei den Süd- und West
slaven in politischer wie in kirchlicher Beziehung so sehr um
sich gegriffen hatte, mit dem slavischen Rituale begonnen hatte,
zu dem Schisma der griechischen Kirche übergegangen war,
den Bogumilismus, das Patarenerthum, endlich den Husitismus
erzeugt und zu den politischen Zerwürfnissen die religiösen
hinzugefügt hatte, oder die Einigung, wie sie Wassilij, des
Wassilij Sohn, und Iwan III., des Wassilijevic Sohn, durch
führten, als sie an der Vereinigung der russischen Reiche
arbeiteten und die üioskowitische Tyrannei schufen, mit welcher
908
Hofier.
(las ostslavische Mittelalter endigte und die neuere Zeit blutig
emporstieg.
Die bis zum Extrem getriebene Steigerung des nationalen
Princips bat regelmässig eine Art von Wahnsinn erzeugt, dem die
Völker am meisten ausgesetzt sind, die eben alles Heil von der
Entfaltung der Nationalität erwarten. Das schlimmste Kenn
zeichen des Wahnsinns besteht aber darin, dass diejenigen,
welche damit behaftet sind, ihre Excentricität als den Normal
zustand anzusehen sich gewöhnen.
Ging so die glorificirte böhmische (husitische) Bewegung
in eine drückende Adelsherrschaft und in die Unfreiheit des
Bauernstandes über, so war, was in Böhmen an wilden Scenen
vor sich ging, geringfügig zu nennen gegen das, was in Russ
land stattfand, seit die moskowitischen Czaren es sich zur
Aufgabe gestellt, jede noch so verbürgte Freiheit zu brechen
und an ihre Stelle, was man das ,moskowitische Recht' nannte,
zu setzen, d. h. Personen und Sachen, Leben und Eigenthum
unbedingt für sich in Anspruch zu nehmen. Dieser Zustand
der Dinge war im Abendlande unerhört; selbst die osmanische
Tyrannei war dagegen noch ein Rechtszustand zu nennen. Ge
rade im Anfänge des XVI. Jahrhunderts wüthete Wassilij gegen
seine Brüder, gegen seine Verwandten, gegen die Reste russischer
Fürstenthümer und freier Communen mit ebenso grosser Feig
heit als Grausamkeit. Er stünde als Scheusal in der Geschichte
einzig da, wenn ihn nicht sein bluttriefender Sohn Iwan der
Grausame an roher Henkerslust übertroffen hätte. Während die
Tataren vor Moskau rückten, verkroch er sich in einem Heu
schober und das Schicksal Russlands hing von einem deutschen
Artilleristen ab, der unerschrocken seine Kanonen bediente und
dafür vom Czaren mit 10 fl. belohnt wurde. Aber er behauptete
zwischen dem Chanate der Krim und dem von Kasan das
moskowitische Czarenthum, das das Grossfürstenthum Wladimir,
Nowgorod und Moskau umfasste, nannte sich Beherrscher von
ganz Russland, eroberte Smolensk, den Schlüssel zu Litthauen,
und bezeichnete Sultan Soleiman, als dieser zur Bezwingung des
Abendlandes auszog, als seinen guten Bruder. Seit ihm gab es
keine fürstliche Untugend im Abendlande, die nicht in ihm sich
vorgefunden hätte; es war, als hätte Heinrich VIII. sich ihn
zum Muster ausgewählt. Der Knechtsinn nahm bis zur völligen
Abhandlungen ans dem Gebiete der slavischen Geschichte. IY.
909
Aufgebung aller menschlichen Würde überhand und selbst im
tiefsten Verfalle des römischen Reiches fand sich solche bestiale
Hingebung unter den blinden Willen eines moralischen Unge
heuers nicht, als es jetzt in Russland Sitte wurde. Während es
vom Abendlande an Zerstörungswerkzeugen zog, was dieses in
seinem technischen Fortschritte zu bieten vermochte, versank
das Volk, ohne Schule, ohne Bildung, ohne Unterricht, von un
wissenden Mönchen geführt, von dem ärgsten Despoten regiert,
von Popen und Beamten in die Wette ausgebeutet, immer
tiefer und bildete endlich einen culturhistorischen Gegensatz
zu dem christlichen Europa, kaum minder gross als der des
osmanischen Reiches, das doch noch immer in aufstrebender
Richtung begriffen war. Der Czar war der Herr von Allem
und ihm gehörte Alles, Russland ward ein grosses Gefängniss,
zu dem der Czar allein die Schlüssel hatte; er war der irdische
Gott des moskowitischen Reiches. Dahin hatten es der Knecht
sinn der Bevölkerung und die orthodoxe Kirche gebracht. Man
meinte im XVII. Jahrhundert, das russische Volk scheine zur
Knechtschaft geboren zu sein. Man bleibt nicht unbestraft
zweihundert Jahre lang unter tatarischer Herrschaft.
Abgesehen von dem Czarthum des Hauses Rurik in
Moskau feierte auch das Haus Jagello seine Triumphe. Wladis-
laus der Heide, der Begründer des neuen polnischen Königs
hauses, hatte, als die Polen König Ludwigs jüngere Tochter
Hedwig zwangen, ihrem deutschen Bräutigam Wilhelm von
Oesterreich zu entsagen, das habsburgische Haus von der pol
nischen Krone ausgeschlossen. Sein ältester Sohn und Nach
folger in Polen, Wladislaus, schloss das habsburgische Haus von
dem ungarischen Throne aus, den er 1440 erlangte, aber freilich
1444 mit seinem Leben bei Varna verlor. Sein Bruder Kasimir,
als König von Polen der dritte dieses Namens (1447—1492),
sah seinen ältesten Sohn Wladilaus — König Albrechts II. Enkel
von dessen Tochter Elisabeth — als König von Böhmen und
dann selbst als König von Ungarn (1490—1516), und ein eigen
tümliches Geschick wollte, dass auch die drei anderen Söhne
Kasimirs: Johann I. (1492—1501), Alexander (1501—1506),
Sigmund I. (1505—1548), Könige von Polen wurden. Der letzte
910
Höfler.
wurde selbst, als Wladislaus von Ungarn-Böhmen 1516 starb
und dessen Sohn Ludwig II. noch unmündig war, Haupt der
Familie, welche über drei Kronen verfügte, die den Habsburgern
entrissen worden waren. So war eine Restauration der slavi-
schen Macht erfolgt, Kaiser Friedrich III. wie Maximilian I.
von dem ungarisch-böhmischen Throne ausgeschlossen, als der
berühmte Congress zu Wien im Jahre 1515 die Annäherung
der beiden Häuser Jagello und Habsburg herbeiführte, Kaiser
Max den jugendlichen König Ludwig adoptirte, die Kaiserwahl
seines Enkels Karl durch die polnisch-böhmische Stimme durch
gesetzt wurde und die Doppelheirat König Ludwigs mit Maria
von Burgund, des Infanten Ferdinand mit Anna von Böhmen-
Ungarn, die Wendung der Dinge vorbereitete, welche nach
König Ludwigs jähem Tode in der Schlacht bei Mohacz in
Betreff der habsburgischen Succession stattfand. Der slavische
Knoten, an dem das XV. Jahrhundert gearbeitet, war 1526
mit einem Male zerhauen.
Gerade im Anfänge der husitischen Bewegung hatte Sig
mund, römischer König, König von Ungarn, Erbe der Krone
Böhmens, den folgenreichsten Schritt gethan, indem er das Chur
fürstenthum Brandenburg, welches sein Vater Böhmen incor-
porirt hatte, zum grossen Verdrusse des böhmischen Adels dem
Reiche zurückgab und den Burggrafen Friedrich von Nürn
berg aus dem Hause Hohenzollern damit investirte. Dadurch
wurde er nicht blos der Begründer der aufsteigenden Grösse
dieses fränkisch-schwäbischen Hauses, sondern auch eines poli
tischen Dualismus, welcher die deutsche Geschichte von nun
an zu beherrschen begann. Denn da er seinem Schwiegersöhne
Albrecht, Herzog von Oesterreich, Mähren übergab, dann ihm
das Anrecht auf die Kronen von Ungarn und Böhmen zu
sichern bemüht war, Albrecht endlich auch die römische
Königskrone erlangte, der Besitz Italiens für das Reich immer
zweifelhafter wurde, hingegen die Verbindung der Kronen von
Ungarn und des deutschen Reiches bereits in die zweite Ge
neration hinüber reichte, so verschob sich die ganze politische Axe
Mitteleuropas, während in Deutschland selbst die hohenzolle-
rische Macht, auf klug rechnenden Persönlichkeiten beruhend,
Abhandlungen aus dem Gebiete der slavisclien Geschichte. IV.
911
immer massgebender hervortrat. Man hatte bemei'kt, dass
die Erwerbung Brandenburgs durch Kaiser Karl das Vor
rücken der Polen nach Niederdeutschland aufgehalten habe;
man calculirte später in Böhmen, ob man nicht den Markgrafen
von Brandenburg zum Könige machen solle, und meinte, es
würden dann auch Preussen und die Lausitz an Böhmen ge
langen und letzteres ein Ansehen gewinnen wie zu Kaiser
Karls IV. Zeiten. Als die früheren grossen Centren der slavi-
schen Geschichte, die das Leben der Peripherie bedingt hatten,
einstürzten, das romäische Kaiserreich nicht minder und unter
dem Schutze der Osmanen die Gräcisirung der slavischen
Kirche begann, das magyarische Centrum sich den neuen
Verhältnissen nicht gewachsen zeigte, nahm die Aera wechseln
der politischer Combinationen und vorübergehender Staaten
vereinigungen, dieser Meteore, die da kamen und gingen, eine
andere Richtung. In Deutschland verfolgte das Haus Ilolien-
zollern mit wunderbarer Consequenz seinen Plan, sich im
Innern auszubreiten; das Haus Habsburg sich zur europäischen
Hauptmacht zu erschwingen, im Osten Ungarn und Böhmen
sich eigen zu machen und darauf die Kaiserkrone zu stützen.
Die im XV. Jahrhundert begonnenen Staatenverbindungen
setzen sich dann im XVI. in eigenthümlicher Weise fort, und
zwar erscheinen jetzt auf einmal Polen und Schweden durch
das gleiche Regentenhaus mit einander verbunden (1587).
Wie gewöhnlich wollten auch jetzt die Slaven nicht das Ein
fachste und Natürlichste. Die Polen verschmähten die Ver
bindung mit Oesterreich, als der Erzherzog Maximilian bereits
von einer Partei zum Könige von Polen gewählt worden war,
und freuten sich der glänzenden Zukunft, die ihnen die Ver
einigung der Kronen von Polen und Schweden durch Sig
mund III. verhiess. Da trat der ganze protestantische Hass
des einen Zweiges des Hauses Wasa gegen den katholischen
dazwischen, Sigmund wurde als König von Schweden entthront
(1602), die Einsetzung des Dimitri Rurik als Czar von Russ
land misslang, und nun befand sich das katholische Polen, inner
lich von Factiouen zerrüttet, wie zwischen zwei Mühlsteinen,
der russisch-schismatischen Macht im Osten, der schwedisch
protestantischen im Norden, die im Wasa Gustav Adolf, im
Wittelsbacher Karl XII. ihre kriegerische Verkörperung erlangte.
912 H 5 fl er. Abhandlungen aus dem Gebiete der slavischen Geschichte. IV.
Im Ganzen verstanden es die Schweden auch nur zu
ernten, wo sie nicht gesäet; und zu säen, damit Andere ernteten.
Je mehr sich Schweden und Polen schwächten, desto mehr
wuchs das hohenzollerische Brandenburg, das Preussen erlangt,
aber die Abhängigkeit Preussens von Polen abgeschüttelt hatte
und nun im Jahrhundert der Theilungen sich aufmachte, den
berühmten Satz der romäisch-fränlcischen Politik, den Franken
wohl zum Freunde, aber nicht zum Nachbarn zu haben, für
sich in Anwendung zu bringen. Nachdem das XVIII. Jahr
hundert mit der Theilung der spanischen Monarchie begonnen,
folgte die Theilung der habsburgischen Monarchie nach, der
Anschluss Preussens an die russische Monarchie, endlich die
Theilung Polens, die gräuelvolle Vernichtung dieses slavischen
Reiches, in dessen Blute sich die Russen badeten, und wenige
Jahre später zum harmonischen Schlüsse des Jahrhunderts —
die Katastrophe des deutschen Reiches, die Theilung des Con-
tinents zwischen Russen und Franzosen.
Bei den letzteren der Sieg der Revolution, als, wie Turgot
seinem königlichen Herrn geschrieben: Frankreich nur mehr
aus feindlichen Gegensätzen bestand, alles gemeinsame Interesse
unter der hinfälligen Dynastie erloschen war. Bei den Russen
die Revolution von oben nach unten, als Czar Peter den eigenen
Sohn ermordete, an der Stelle Peters II. die erste Katharina
den Czarenthron bestieg, den Elisabeth mit allen Lastern be
sudelte, als Iwan beseitigt, eingekerkert, ermordet, Peter III.
mit Wissen und Willen seiner Gemahlin ermordet wurde,
Katharina II. entsetzlichen Andenkens statt ihres Sohnes den
Thron bestieg, dieser, Paul I., als Czar ermordet und nun
jenes grauenvolle System aufgerichtet wurde, welches die gegen
wärtige Periode der Verzweiflung, des Schreckens und der
furchtbarsten Unthaten gebar. Der südslavische Bogumilismus
hatte die ganze kirchliche Ordnung erschüttert, auf welcher
die mittelalterlichen Staaten beruhten. Der Ilusitismus warf
den Brand in die sociale Ordnung der Dinge und entfesselte
den Racenkampf.
Jetzt stehen wir durch den russischen Nihilismus am
Rande eines Abgrundes, in welchen alle sittliche Ordnung,
ja die menschliche Gesellschaft selbst zu versinken droht.
XXVIII. SITZUNG VOM 15. DECEMBER 1880.
Das k. k. militär-geographische Institut tlieilt im Nacli-
liang zu der früheren Anzeige in Betreff des Mittagszeichens
mit, dass dasselbe vom 15. d. M. ab auch durch ein sichtbares
Signal gegeben werde.
Das w. M. Herr Sectionsrath Fiedler überreicht zur
Benützung drei Weisthümer - Urkunden aus dem fürstlich
Porcia’schen Familien-Archive zu Spittal a. D.
Das w. M. Herr Professor Dr. Büdinger hält einen
Vortrag über eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhand
lung, welche den Titel führt: ,Sidonius Apollinaris, eine
universalhistorische Studie'.
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Archeologia e Storia dalmata: Bulletino. Anno I. No. 8—12. Spalato,
1878; 8°. Supplemento; 8°. — Anno II. No. 1—12. Spalato, 1879; 8°. —
Anno III. No. 1—8. Spalato, 1880; 8«.
Auer, Hans: Die Bedeutung der Triglyphen. Ein Beitrag zur Frage über
den Zusammenhang ägyptischer und dorischer Baukunst. Wien, 1879; 4°.
Bibliotheque de l’Ecole. des Chartes: Revue d’Erudition. XLI. Annee, 1880;
5 e livraison. Paris, 1880; 8°.
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. HA Ö8
Breslau, Universität: Akademische Schriften pro 1879/80. 51 Stücke 4"
und S». '
Central-Co mmission, k. k. statistische: Ausweise über den auswärtigen
Handel der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1879. III. Ab
theilung. XL. Jahrgang. Wien, 1880; gr. 4°.
— k. k., zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denk
male: Mittheilungen. VI. Band. 4. (Schluss-) Heft. Wien, 1880; gr. 4°.
Couat, A.: Du caractere lyrique et de la disposition dans les hymnes de
Callimaque. Bordeaux, 1880; SO-,
Desnoyers, M. J.: Kapport sur les travaux de la Societe de l'Histoire de
France depuis sa derniere assemblee generale, en Mai 1878 jusqu’ä ce
jour. Paris, 1879; 8°.
Gesellschaft, anthropologische, in Wien: Mittheilungen. Band X, Nr. 8—9.
Wien, 1880; 8«.
— k. k. geographische, in Wien: Mittheilungen. Band XXIII (N. F. XIII),
Nr. 11. Wien, 1880; 8».
— schlesische, für vaterländische Cultur: Siebenundfiinfzigster Jahresbericht
im Jahre 1879. Breslau, 1880; 8°.
Ministere de l’Instruction publique et des Beaux-Arts: Archives des missions
sc.ientifiques et litteraires. 3 e Serie, Tome VI, l re livraison. Paris,
1879; 8°.
Society, the royal geographical: Proceedings and montlily Kecord of Geo-
graphy. Vol. II. Nr, 12. December 1880. London, 8°.
Büdinger. Apollinaris Sidonius als Politiker.
915
Apollinaris Sidonius als Politiker.
eine universalhistorisclie Studie
von
Max Büdinger,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Magnus te manet ordo saeculorum.
Stettins silvae IV, 3, 147.
Die Zeit dev Perserkriege, in denen sich die Ueber-
legenheit der Griechen über die Völker des Orientes zum ersten
Male auch in Waffenentscheidungen zu erkennen gab, hat allem
Anscheine nach in Asien ausserhalb der griechischen Nationalität
weder einen Dichter noch einen Geschichtschreiber hervor
gebracht, der sie mit vollem Verständnisse zu würdigen ge
wusst hätte. Wie weit dasselbe für die Epoche des pyrrhischen
Krieges 1 der Fall war, in welchem die Römer den Anspruch
auf Gleichberechtigung mit den Griechen als neue Träger
menschheitlicher Entwicklung' erhoben haben, lässt sich eben
falls nicht mit wünschenswerther Bestimmtheit sagen; denn es
sind von keinem Schriftsteller des besiegten Griechenvolkes
dieser Zeit Aufzeichnungen auf uns gelangt, welche seine Ge
danken über die neuen Weltherren, die Römer, genügend er
kennen Hessen. Immerhin ist nach der unbefangenen militäri
schen Schilderung der Feldzüge des Epeirotenkönigs bei Hiero
nymus von Kardia 2 anzunehmen, dass es bei erleuchteten Geistern
damals so wenig, als etwas über ein Jahrhundert später, da
Polybios schrieb, an der richtigen Werthung der nach grossen
1 Von dem Bewusstsein der Cnlturübertragung (Zürich 1864). In dieser
akademischen Gelegenheitsschrift habe ich besonders S. 14 flgde die That-
saclie, dass der pyrrhische Krieg eine der Epochen der Geschichte der
Menschheit bilde, näher ausgeführt.
2 Reuss, Hieronymus von Kardia S. 62 flgde. Schubert, die Quellen Plutarch’s
in den Lebensbeschreibungen des Eumenes, Demetrius und Pyrrhus in
Fleckeisen’s Jahnschen Jahrbüchern, neunter Supplementband, S. 675 flgde,
768 flgde.
58*
916
Büdinger.
Schlachtenentscheidungen eingetretenen neuen Verhältnisse ge
fehlt habe, welche den Asiaten des fünften Jahrhunderts durch
aus abgegangen zu sein scheint.
Darf man von den Römern ihrerseits, als sie den Germanen
erlagen, eine unbefangenere Betrachtung erwarten?
Zunächst bemerkt man — seltsam genug für eine an
literarischen Denkmalen so reiche Zeit — dass über die der
Entscheidung von Marathon universalhistorisch vergleichbare
Epoche vom Jahre 9 nach Christo, die Varianische Niederlage,
nicht nur eine authentische und unbefangene Schilderung nicht
auf uns gekommen ist, sondern überhaupt nicht verfasst wor
den zu sein scheint. Ja, noch Tacitus’ an sich ja so gerechte
und sachkundige, im Jahre 98 verfasste Schrift ,über Wohnsitz
und Eigenart der Völker Germaniens' lässt, wie mich dünkt,
die stille Hoffnung erkennen, dass es Trajan’s heroischer Ver-
theidigungskunst des Weltreiches gelingen werde, die unbän
digen Nachbaren in römische Cultur zu zwängen.
Unter diesen Umständen dürfte es eine wohl berechtigte
Erwägung sein, wenn man festzustellen sucht, wie die That-
sache der vollen Besitznahme des Römerreiches durch die
Germanen sich in den Gemüthern der römischen Schriftsteller
spiegele. t
Wie unsere Kenntnis von dem Leben der Menschheit als
eines Individuums heute gestaltet ist, müssen wir wohl sagen,
dass es zwei Hauptepochen in demselben gibt. Die eine wird
von dem Momente gebildet, da die indogermanischen Völker
überhaupt an die Stelle der semitischen und ihrer egyptischen
Vorgänger, die andere von dem Momente, da die Germanen
speciell an die Stelle des römischen Reiches treten.
Die erstere dieser beiden Hauptepochen wird mit Cyrus’
Einzug in Babylon erkennbar. Wenn im Verlaufe der Uni
versalhistorie von Wundern zu reden überhaupt zulässig wäre,
so möchte man es einen wundersamen Glücksfall nennen, dass
uns neuei’liche Funde dieses grosse Ereignis vom Jahre 538
vor Christo, möglicher Weise vom October dieses Jahres, 1
erst ganz haben würdigen lassen. Die andere jener beiden
Hauptepochen wird von der Erhebung Odovakars zum Könige
1 Die neuenldeckten Inschriften über Cyrus. Dieser S.-B. Band XCVII, S. 711-
Apollinaris Sidonius als Politiker.
917
in Italien 1 durch germanische Kriegerscliaaren am 23. August 476
bezeichnet •— wie das im Wesentlichen richtig bereits vor mehr
als einem Jahrhundert von August Ludwig Schloezer erkannt
worden ist. 2 In der That haben sich aber zu den von ihm geltend
gemachten Gründen noch andere und erhebliche dargeboten.
Denn mit diesem Jahre 476 sind nicht nur wie die übrigen
Provinzen des Westens, so Italien selbst unter die Herrschaft
germanischer Stämme oder Kriegerscliaaren gekommen, sondern
gleichzeitig gebot auch ein gotliischer Heerführer, Theoderich
des Triarios Sohn, in Constantinopel. Wie Odovakar in diesem
Jahre den jungen usurpatorischen Kaiser des Westens, wahr
scheinlich unter dem Beifalle des römischen Senates absetzte 3
und in der Burg Lucullanum in Haft hielt, 4 so beseitigte Theo
derich den von ihm selbst erhobenen Basiliskos durch Mord, ,da
die Gothen genügten', 5 um das Reich zu regieren. In der That
war das römische Wesen als Weltmacht mit diesem Jahre zu Ende.
Nun hat sich immerhin das Gefüge der östlichen Hälfte
des Reiches, vornehmlich das kirchliche und militärische, zu
stark erwiesen, um diesem ersten Anstürme zu erliegen. Schon
im nächsten Jahre 477 kehrte der vor den Gothen und seinem
Schwager Basiliskos geflüchtete Isaurier, der Kaiser Zeno, zurück.
Er und seine Nachfolger durch eine Reihe von Jahrhunderten
erhoben den Anspruch, das alte römische Weltreich fortzu
setzen : selbst die Waffenerfolge der Regierung Justinian’s haben
doch die von den kriegerischen Frankenkönigen beherrschten
1 Docli meine ich, dass er unter den Germanen selbst als König der Heruler
bezeichnet wurde, wie ihn die Kopenhagener Fortsetzung von Prospers
Chronik wiederholt und namentlich (p. 20 ed. Hille) bei dem mit der
Entscheidungsschlacht an der Donau vom 18. December 487 endenden
Kriege gegen die Eugen bezeichnet: Fevva rex Kugorum adversum regem
Erulorum Odoachrem bellum movet, oder: Odoachar rex Herulorum
Fevvanem regem Kugorum proelio devictum cet.
2 Die Entstehimg dieser Epochenbezeichnung habe ich in der Abhandlung
,über Darstellungen der allgemeinen Geschichte, insbesondere des Mittel
alters“ (Sybels’ historische Zeitschrift, Band VII, S. 130 flgde) näher
dargelegt.
3 Heber das Einverständnis Odovakars mit den römischen Senatoren vgl.
unten S. 946.
i Eugipius, eine Untersuchung. Dieser S.-B. Band XCI, S. 802.
5 tou; arpaTKÖTas smvov (BaatXlaxov) avfmiaev (6zooipiyo() ix 7ioowv aotrjaaoOat
(1)5 t(üv rdrOojv apxoüräov. Malchos (C. hist. Byzant. Bonn 1829) fr. 4, p. 238.
918
B ü d i u g c r.
Germanen über die Nichtigkeit des Anspruches nicht irre führen
können. 1
König Odovakar seinerseits, sowohl indem er sich von
Zeno zum Patrieiat erheben liess, als indem er, wohl aus eigenem
Machtanspruch, seinen Solm Thela zum Cäsar ernannte, 2 schien
die Bahnen des Ehrgeizes der bisherigen germanischen Reichs
feldherren des Westens — Arbogastes, Stilicho, Aetius, Richi-
mer — im Wesentlichen fortsetzen zu wollen, wie denn auch
die Botschaft des Senats in Constantinopel mit seiner kriegeri
schen seine geschäftliche Erfahrung zu rühmen weiss. 3 Die
Tödtung des letzten legalen römischen Kaisers des Westens,
des Imperators Julius Nepos, mag im Jahre 480 ohne sein
Zuthun erfolgt sein, wenn er auch mit Dalmatien das Erbe
desselben in Besitz nahm.
Und selbst der Ostgothenkönig Theodorich der Grosse,
zum Theile in Byzanz erzogen, früh mit altrömischen Ehren
namen geschmückt wie er war, mag wirklich auch seinerseits
in Italien, wohin ihn doch Zeno gewiesen hatte, Anfangs selbst
nur in die grossen Aufgaben römischer Weltherrschaft einzu
treten gemeint haben; aber die damals unbesiegbaren übrigen
germanischen Reiche dos Westens, verbunden mit der tiefen
religiösen Spaltung, welche bei des Kaisers Anastasios Häresie
unter den Römern selbst Platz griff, haben ihn auf neue Bahnen
geführt. Wie weit aber auch unter den Römern selbst im
Anfänge des sechsten Jahrhunderts der Gedanke sich geltend
machte, dass das Römerreich zu seinem Ende gelangt sei, be
weist doch wohl die Thatsache, dass der Abt eines Klosters in
eben der Festung Lucullanum, in welcher Kaiser Romulus ge
endet zu haben scheint, im Jahre 511 schreiben konnte: ,als
das Römerreich noch bestand'. 1 Aber dieser Eugipius, geringer
' Gregorius Turonensis hist. Franc. III, 32; IV, 9. Prokop, Gothenkrieg IV, 24.
2 0fj).av (Hs. ’OxXav) tov Jiaioa . . ’Oodaxpos Kafaapa räc'Sjiijsv. Johannes’ von
Antiochia Madrider Fragmente, herausgegeben von Mommsen (Hermes VI)
332 und 337, Anm. 2.
3 iroXrtixrjV E'/ovra auveatv xai [J.ayt[j.ov. Malchos a. a. 0. Fragm. 2, S. 234.
Vgl. unten S. 946, Anm. 4.
4 Eugipius a. a. O. 797 und 811. Ich bemerke, dass unser ausländisches
correspondierendes Mitglied, Herr Leopold Delisle, in einer uns freundlich
zugesendeten Abhandlung (notice sur un inanuscrit Merovingien contenaut
Apollinaris Sidonius als Politiker.
919
Herkunft wie er war, dazu schon unter halber Germanen
herrschaft in Noricum aufgewachseii, nicht durchdrungen mit
der Fülle römischen Bildungserwerbes, kann doch nicht als
vollgültiger Zeuge römischer Empfindung der Zeit angesehen
werden, wenn er auch sonst, weil in keines weltlichen Herrn
Solde und Furcht stehend, und von unzweifelhaft asketischer
Gesinnung, als Zeuge sehr erwünscht wäre.
Und auch Ennodius ist trotz aller seiner guten Eigen
schaften nicht zu verwerthen: nicht gerade wegen seiner kirch
lichen Richtung, obwohl zur Prüfung rein römischer Empfindung
sein Auftreten für den Papst der hierarchischen Partei 1 und
seine Lobpreisung ihres Schützers Theodorich doch auch nicht
übersehen werden dürften. Aber auch er ist, dazu noch jünger
als Eugipius erst um 473 geboren, 2 in ärmlichen Verhältnissen
im südlichen Gallien in einer Zeit aufgewachsen, da die Römer
schon zu gänzlicher Unterthänigkeit gesunken waren und nur
zwischen Westgothen und Burgundern und allenfalls Franken
als Herren wählen konnten.
des fragmens d’Eugyppius. Paris, Picard 1875), die ich bei Abfassung der
raeinigen übersehen habe, sein- belehrende Mittheilungen über eine Hand
schrift von Eugipius’ Augustinexcerpten bringt. Seltsamer Weise lässt
Herr Delisle dieselben freilich (S. 6) vers le milieu du Vl° siede ent
stehen ■— um etwa sechzig Jahre zu. spät, wie das (Eugipius S. 803 flgde)
nachgewiesen ist. Die neugefundenen Fragmente einer Abschrift der
Excerpte gehören aber nach Herrn Delisle’s schönem Nachweise der
ersten Hälfte des achten Jahrhunderts an (S. 6), sind also um 'etwa ein
Jahrhundert älter als die Münchener Fragmente. Hier tritt nun in dem
Prologe, dessen erste Seite genau abgebildet ist, auf Blatt 1, Zeile 6 der
Handschrift deutlich genug die Form Eugepius auf. Aber mit Ktick-
siclit auf eine Reihe, wie mich dünkt, nicht zutreffender Bemerkungen,
die inzwischen über meine Beobachtungen wegen dieses Autornamens
gemacht worden sind, will ich doch den gegenwärtigen Stand der Frage
noch mit einigen Worten berühren. Neben der nunmehr schon für das achte
Jahrhundert bezeugten Form Eugepius steht (a. a. 0. S. 795) die seit
dem Jahre 581 bezeugte Form Egipius oder mit ihr identisch — in den
Münchener Fragmenten, also des neunten Jahrhunderts, und bei dem ganz
zeitgenössischen Dionysius Exiguus —: die Form Eugipius. Ich meine, bis
ein glücklicher Fund uns des Autors Autograph liefert, können wir uns
mit der letztem Form begnügen. Auf den Ballast der späteren Hand
schriften kommt für diese Frage nichts mehr an.
1 Eugipius 809 flgde.
5 Adolf Ebert, Geschichte der ohristlich-latemischen Literatur I, 413 flgde.
920
B ü d i n g e r.
Von diesen Gesichtsjjunkten gewinnt C. Sollius Apollinaris
Sidonius 1 erst seinen rechten Platz für universalhistorische Be
trachtung. Nicht nur im Vergleiche zu jenen beiden eben
genannten jüngeren kirchlichen Zeitgenossen ist er wie seiner
äussern Lebensstellung, so seiner innern Vorbereitung nach
besser befähigt, die Gesinnungen der römischen Bevölkerungen
des Westens über den Eintritt der Germanenherrschaft wieder
zugeben — selbst besser als jener wackere treue Hieronymos
von Kardia die der Griechen unter Pyrrhos’ Zeitgenossen
spiegeln konnte, da Hieronymos die volle Bildung der Zeit zu
erwerben schwerlich in der Lage gewesen ist.
Im Uebrigen ist jenes Hieronymos und unseres Sidonius
Stellung als Berichterstatter wohl einigermassen vergleichbar;
denn Beide sind in Colonialstädten aufgewachsen, Jener in
Kardia, Dieser in Lugudunum, inmitten einer nahe verwandten
und doch nicht ganz assimilierten Nachbarbevölkerung. Beide
auf das engste verbunden mit den vielleicht tüchtigsten Vor
kämpfern ihres Volkes — Jener mit Eumenes, dem einzigen
Hellenen unter den Diadochen, Dieser mit seinem Schwager
Ecdicius, des Kaisers Avitus Sohne.
Denn an Sidonius’ 2 Geburt in oder doch Zugehörigkeit
nach Lugudunum ist in der That nicht zu zweifeln. 3 Weniger
1 Die correcte förmliche Anrede desselben war, wie es scheint, die genti-
licische: Sollius, was für diese Zeit doch wohl mehr auf keltisches als
römisches Clanwesen deutet. So erzählt er selbst: Vide domine Solli,
cet. (Epist. V, 5 [17], p. 318) und schreiben an ihn die Bischöfe Ruri-
cius von Limoges und Avitus von Vienne (Chaix I, 10 vgl. S. 7 Anra. 1).
Ueber den Namen wüsste ich dem von Sirmond, notae p. 10 Gesagten sonst
nichts hinzuzufügen; ich entnehme ihm auch, dass die gewöhnliche in-
correcte Bezeichnung Sidonius Apollinaris von Angelo Poliziano herrührt.
2 Ich citiere nach der Ausgabe von Eug. Baret (Paris bei Thorin. 1879),
welche den Vorzug eines schönen Druckes und Papiers mit einer dilet
tantischen Textgestaltung und der grossen Unannehmlichkeit verbindet,
eine neue, oft willkürliche, scheinbar chronologische Ordnung an die Stelle
der herkömmlichen der Briefe und Gedichte gesetzt zu haben, welche
der Herausgeber überdies, um die Confnsion zu vollenden, in seiner
ganzen grossen Einleitung befolgt; ich gebe daher die herkömmlichen
Ziffernbezeichnungen stets in Klammern. Von den Sirmondschen Edi
tionen benutze ich die älteste in Octav (Paris bei Cramoisy 1614).
3 Die beste Zusammenstellung der Beweise hiefür bringt nach Sirmondus,
notae 254, das sehr sorgfältige, in den deutschen noch zu erwähnenden
Apollinaris Sidonius als Politiker.
921
sicher als frühere Forscher biii ich aber über die Herkunft
seiner Familie, da er sich einmal einem Arverner gegenüber,
schwerlich im Scherze, als Gallier bezeichnet 1 und die Grab
stätte seines, wie es scheint, alten Geschlechtes, 2 speciell die
Schriften über Sidonius gänzlich übersehene Büchlein von A. C. Germain,
essai litteraire et historique snr Apollinaris Sidonius (Montpellier, impr.
de Boehm, 1840) p. 178. Es sind namentlich I, 8 (8) p. 195: nebulas
mihi meorum Lugdunensium exprobras; IV, 4 ("25) p. 272: Patiens (Bischof
von Lyon. Sirmondi notae p. 114) . . eaput est civitati nostrae per sacer-
dotium; I, 4 (5) p. 182: egresso mihi Khodanusiae nostrae moenibus.
Carmen 8 (13) p. 540 an Majorianus:
ut reddas patriam simulque vitam
Lugdunum exonerans suis ruinis
Hoc te Sidonius precatur.
Das Arvernerland, in welchem er als Bischof wirkte, betrachtete er nur
als seine ihm von Christo verliehene Heimath:
Tu tarnen, ut venias, dabit omnia Christus
Hic (im Arvernerlande) mihi qui patriam fecit amore tuo.
(Carmen 13 [17] p. 560.)
Da ich aber Anderen Unkenntnis von Germain’s Schrift vorvverfe, so darf
ich nicht unerwähnt lassen, dass ich meinerseits das Buch ,Saint Sidoine
Apollinaire et son siecle par Mr. l’abbe Chaix: Clermont Ferrand et
Paris 1867, 2 vols. in 8°‘ erst nach Vollendung der Arbeit einsehen
konnte — nach Wattenbach, Geschichtsquellen I 3 , 72 ohne Schaden.
1 In dem in der vorigen Anmerkung erwähnten Gedichte:
Non panes Libyca solitos flavescere Syrte
Aecipiet Galli rustica mensa tui.
Sirmondus’ (p. 255) Erklärung, dass hier Sidonius sich Gallier nenne,
weil er aus Lugudunum stamme und den Arverner Ommatius, an den
das Gedicht gerichtet ist, dadurch als Aquitanier bezeichnen wolle, wie
von Sulpicius Severus und Ausonius ja freilich Gallien und Aquitanien
geschieden werden, scheint allgemeinen Beifall gefunden zu haben, ist
aber doch gekünstelt. Anderseits ist die Schlussfolgerung von Kaufmann,
Leben des Sidonius (Neues schweizerisches Museum Bd. V, 1865) S. 3
grundlos, der hier einen Beweis dafür sieht — wofür sich freilich andere,
viel spätere beibringen lassen —, dass ,die Unterschiede einzelner Stämme
Galliens noch lebendig waren 1 .
2 III, 1 (12) p. 239 sq. Auf einem alten Friedhofe sind sie bestattet:
campus autem ipse dudum refertus tum bustualibus favillis (also von
Heiden) quam cadaveribus. In der Grabschrift auf seinen Grossvater
sagt er aber:
Quod frontem cruce, membra fonte purgans
Primus‘de numero patrum suorum
922
B ü d i n g e r.
seines Grossvaters 1 auf dem Wege von Lyon nach Clermont-
Ferrand lag. Auch das spricht möglicher Weise eher für
keltische Abkunft, dass Sidonius mit der arvernischen Familie
seines Schwiegervaters, des spätem Kaisers Avitus, blutsver
wandt gewesen zu sein scheint. 2 Bei der Abtretung des
Arvernerlandes an die Westgothen äussert er sich ziemlich
deutlich als ein Mann nicht römischen Blutes: ,unsere Knecht
schaft soll fremder Sicherheit dienen! Einst wagten die Arverner
sich Latium Brüder zu nennen und ebenfalls von troischem
Blute abzuleiten'. 3
Dem sei, wie ihm wolle — wer möchte das hellenische
Blut jenes Ilieronymos von Kardia garantieren! — Sidonius
Sacris sacrilegis renuntiavit.
Hoc primum est decus, haee superba virtus,
Spe praecedere, quos honore jungas.
Das muss au sich auf frühere Vorfahren, und schwerlich römischer Be
amtenschaft, gehen. Vor Allem wichtig scheinen aber die beiden folgen
den Verse:
quique hic (doch wohl auf der Todtenstätte) sunt pares parentes,
hos illic meritis supervenire.
In dem siebenten (dritten) Briefe des ersten Buches (p. 187) spricht er
freilich davon, dass nicht nur pater, socer, avus, sondern auch proavus
mit Praefectur und Magisterien ausgezeichnet worden seien; aber man
kann eben nur mit Sirmond (notae p. 17) sagen, dass über den Urgross-
vater nichts bekannt ist.
1 Nach demselben Briefe III, 1 (12), geschrieben am Tage, nachdem Sidonius
zufällig eine Beraubung des verfallenen Grabes seines Grossvaters ent
deckt und bestraft hatte. Für die Bestimmung des Locales innerhalb
des Sprengels des Lyoner Bistlmms ist dem von Sirmond, notae p. 6G
Gesagten nichts hinzuzufügen.
2 Wenn man auch nicht gerade (Germain 4) von einem ,sang des Avitus 1
sprechen kann, so ist doch wahrscheinlich, dass der Avitus, an welchen
der Brief III, 7 (1) p. 251 — matribus nostris summa sanguinis necessi-
tudo — gerichtet ist, der Familie des Kaisers angehörte, wie er ja ein
bei Clermont, also des Kaisers Heimath, gelegenes Gut der Kirche, der
damals Sidonius als Bischof Vorstand, schenkte. Sirmond (notae p. 61)
hält ihn für Sidonius’ Vetter.
3 (Arverna) cuius, ut fama confirmat, melior fuit sub hello quam sub pace
conditio. Facta est servitus nostra pretium securitatis alienae. Ar-
vernorum prob dolor! servitus, qui si prisea replicarentur, audebant se
quondam fratres Latio dicere et sanguine ab Iliaco populos computare.
Epist. VII, 13 (7) p. 385.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
923
hat sich durchaus als Römer und wie ein aus italischer Heimath
Stammender gegeben. Seine eigene Badeanlage hat für ihn
ihre rechten Reize durch Aehnlichkeiten mit Bajae, dem Mons
Gaurus, campanischer Landschaft. 1 Und vollends in dem uni
versalhistorischen Zusammenhänge dieser Abhandlung berührt
es seltsam, wenn er in dem abgedrungenen Lobgedichte auf
den Kaiser Majorianus sagt, die von demselben den Vandalen
beigebrachte Niederlage sei Pyrrhus’ Niederlage von Benevent
vergleichbar, nach der dieser nur Trümmer des Heeres nach
Epirus zurückgebracht habe, welches er einst über ,unsere*
Küsten zerstreut hatte. 2 Auch unter dem Sinnengenusse, etwa
den Freuden der Tafel, will er das Leben durch literarische
Producte des römischen Geistes verschönert wissen, wie er das
bei Uebersendung des Preisliedes auf einen Landsitz an der
Mündung der Dordogne in die Garonne dem Besitzer hübsch
ausdrückt. 3
Vor seiner Reise nach Rom im Jahre 467 bezeichnet er
die Stadt einem jüngern Freunde als ,den Gipfel der Welt,
die Heimath der Freiheit, in der allein nur Barbaren und
Sklaven Fremde sind*. 4 Wie er dann Rom zum ersten Male
sieht, glaubt er ,seine Formen und Theaterräume gleichsam
zu trinken*. 5
Da konnte er sich umsomehr der Selbsttäuschung, als
ob das alte Römerreich wirklich noch bestehe, mit mancherlei
Gründen auch politischen Anscheins hingeben. Ein Bürger
1 Carmen 14 (18) p. 558.
2 Sic tertia Pyrrhi
Quondam pngna fuit, caesis qunm millibus illum
Dentatus premeret: lacerae vix fragmina classis
Traxit in Epirnm, qui Chaonas atque Molossos,
Qui Tbracum Maeetumque manus per litora nostra
Sparserat.
Panegyr. in Majoriannm v. 424 sqq. (532 Baret).
3 Ecce, quoties tibi libuerit, pateris capacioribus hilarare convivium, misi
qnod inter scyphos et amystidas tuas legas. Subveneris verecundiae meae,
si in sobrias aures ista non venerint. Carmen 19 (22) p. 573.
4 verticem mundi, patriam libertatis, in qua totius orbis civitate soli bar-
bari et servi peregrinantur. Epist. I, 3 (6) p. 180.
5 Inter ha.ee patnit et Roma conspectui. Cuius mihi non solum formas,
verum etiam naumachias videbar epotaturus. Epist. I, 4 (5) p. 185.
924
B ü d i n g e r.
von Narbonne, Sohn eines Gelehrten, der von Valentinian III.
und Avitus zu hohen Hofämtern befördert worden war, hatte
noch unter dem Ersten als Gesandter in Constantinopel Ge
legenheit, die in Südgallien noch so verbreitete Kunde des
Griechischen zu verwerthen. 1 Ganz ernstlich denkt er sich in
seinen Erinnerungen gelegentlich in die vorchristliche Zeit des
Reiches, wenn er von seinen zeitgenössischen Kaisern schreibt:
Rikimers’ Geschöpf und wahrscheinlich Opfer Libius Severus
lässt er nach natürlichem Tode ,zu den unter die Götter Ver
setzten' kommen. 2
So seltsam es uns heute erscheint, so ist doch für Sidonius,
der sich, wie wir noch näher sehen werden, die Fortexistenz
des römischen Kaiserstaates sammt seiner Beamtenschaft wie
eine NaturnothWendigkeit dachte, durchaus begreiflich, dass
er Papinius Statius sich zum Muster nahm. Gerade unter den
Stürmen der eben eintretenden Germanenherrschaft mochte
diese, in den leichten Umgangsformen hochgebildeter und im
Ganzen sittenreiner Menschen ihr Genüge iindende Seele an
diesem vielfach congenialen Dichter der ,Wäldlein' 3 ein natür
liches Voi'bild erkennen. Dass Statius bei so ungemein an-
muthiger Form so vollkommen nichtigen Inhaltes ist, macht
1 Carmen 20 (23) v. 233, p. 582:
Tum si forte fuit, quod imperator
Eoas soceri venire in aures
Fido interprete vellet et perito,
Te commercia duplicis loquelae
Doctum solvere protinus legebat.
2 Carmen 22 (2) Panegyrieus in Authemium v. 317, p. 006:
Auxerat Augujtus naturae lege Severus
Divorum numerum.
Ueber Severus’ Todesart bringt Sirmondus, notae 186, alles Notlüge.
3 Nach dem oben (S. 923, Anm. 3) erwähnten Preisliede auf Bourg: neque
omnino quiequam de Papinii nostri silvulis lectitasse, wie Carmen I,
v. 222 ad V. C. Felicem p. 486:
Non quod Papinius tuus meusque
Inter Labdaeios sonat furores
Aut quum forte pedum minore rhythmo
Pingit gemmea prata silvularum —
Verse, die ebenso gut von Statius geliefert sein könnten. Strenger ur-
theilt Chaix I, 171, 231, 396.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
925
ihn ja an sich ohne Mühe zugänglich. Aber man wird auch
sagen dürfen, dass die üppige Weichlichkeit, wie sie dieser
Verherrlicher von Reichthum, Macht und Genuss in seinen
rasch entstandenen Versen zur Schau trägt, in dem, was Sidonius,
mindestens so lange er .Laie war, als seine Lebensweisheit er
schien, eine sehr verwandte Saite traf, wenn er auch nament
lich für seine Briefsammlung den jiingern Plinius und Sym-
machus als seine Muster und im Uebrigen Fronto und Apulejus
pries. 1 Kann man doch Statius geradezu den Dichter des vor
nehmen häuslichen Wohlbehagens nennen, welches zu einem
menschlichen Gemeingute gemacht zu haben nicht das geringste
Verdienst der Römer ist!
Und auch die hübschen Züge von Familiensinn, welche
uns noch jetzt menschlich angenehm bei Statius berühren,
mussten bei einem im Stolze auf seine Ahnen, in Liebe zu
Gattin, Kindern und Verwandten sich stets gleich bleibenden,
nicht unfrei gearteten Geiste wie dem unseres Sidonius 2 eine
freundliche Sympathie erwecken. Wir meinen, wie ein Stück
aus Sidonius’ eigenem Empfindungsleben zu finden, wenn wir
lesen, wie artigen und beinahe ergreifenden Ausdruck Statius
seinen Empfindungen für die lebende treue Gattin, für den
hingeschiedenen wackern Vater, für sein verstorbenes Sölmchen
1 Das hebt Germain S. 74 und 81 und die sonst kaum zulässige Göttinger
Dissertation von G. Kaufmann (die Werke des . . Sidonius als eine Quelle
für die Geschichte seiner Zeit 18G4) S. 10 und 14 hervor.
2 Aus den zahlreichen Stellen der Episteln, welche das beweisen, sind hier
besonders zu erwähnen: V, 18 (10) p. 334 au seine Gattin Papianilla:
fratri tuo cuius aeque titulis ac meis gaudes. — . . votis in commune
deposcens, ut sicut nos utramque faniiliam nostram praefectoriam uacti
etiam patriciam divino favore reddidimus, ita ipsi quam suscipiunt
patriciam faciant consularem. — III, 7 (1) p. 251 (vgl. oben S. 922,
Anm. 2). — VIII, 3 (0) p. 404: quum pater meus praefectus praetorio
Gallicanis tribunalibus praesideret . . ., adhaerebam sellae curuli. —
I, 7 (3) p. 187 (vgl. oben S. 921, Anm. 2). — Züchtige Rathschläge au
seinen Sohn Apollinaris: III, 4 (13) p. 244 sqq.; dazu V, 4 (11) p. 315:
meus Apollinaris . . . certe ut sequatur admoneo. — Wegen des Frei
heitgefühles ist aus der Grabschrift auf den Grossvater zu nennen (Epist.
III, 1 p. 241:
Exemploque aliis periculoso
Liber sub dominantibus tyrannis.
*
926 Büdinger.
zu geben weiss. 1 Auch dass der gute Mensch die scheinbar
noch unerschütterte Macht des Römerthumes so sehr zur Schau
trägt, musste den Zeugen ihres Zusammenbruches angenehm
berühren. Was* mochte er gar empfinden, wenn er bei Statius
las, wie ein Günstling Domitian’s sich auf seinen winterlichen
Dienstreisen von seiner Gattin 2 in das Sarmatenland, an die
untere Donau an den Rhein begleiten liess — in Gegenden,
die nun sämmtlich von den Feinden des Römernamens besetzt
waren! Auch das mochte das dichterische Muster empfehlen,
dass Statius sich so ausdrücklich als Pindar’s Diener und
Uebersetzer bekennt, 3 seinen Rang als Poet zwar nur nach
Virgil einzunehmen beansprucht, aber von der Unsterblichkeit
seines Namens doch ein wenig überzeugt ist, 4 wie er das in
etwas hölzerner Weise auch am Schlüsse seiner Thebais aus
spricht. 5
Es kann für die Zwecke dieser Untersuchung als eine ganz
glückliche Thatsache bezeichnet werden, dass Sidonius trotz
der Stärke seiner literarischen Neigungen von eigentlich histo
rischer 6 Arbeit sich fern hielt: schwerlich hätte er die Un
befangenheit und Feinheit des Gefühles für die Empfindungen
des Römerthums dieser Zeit zu bewahren gewusst, die uns so
sehr zu Statten kommt. Die ausdrücklich von ihm genannten
1 Silvae III, 5; V, 3 und 5.
2 Tecum gelidas eomes illa per arctos,
Sarmaticas hiemes, Istrum et pallida Rheni
Frigora tecum omnes anima duratus per aeatns.
Abascantii in Priacillam pietas Silvae V, 1, 127.
3 Tuqne, regnator lyrieae cohortis,
Da novi paulum mihi jura plectri
Si tuas eantu Latio sacravi,
Pindare, Thebas. Silvae IV, 7, 5.
4 Haee tibi parva quidem genitali luce paramus
Dona, aed ingenti foraan victura aub aevo.
Silvae II, 3, 63.
5 Vivo preeor; nec tu divinam Aeneida tempta
Sed longe aequcre et vestigia aemper adora.
Mox tibi ai quia adhuc praetendit nubila livor,
Occidet; te meriti poat me referentnr honores.
6 II a beau ae defendre d’etre hiatorien; personne ne l’eat plus, sagt frei
lich Germain 152 mit Recht.
AV sifi
m
sei
Apollinaris Sidonius als Politiker. 927
Gründe seiner Ablehnung der Aufforderung zu historischer
Thätigkeit wollen intellectuell wenig besagen und sind sittlich
durchaus unwürdig. 1 Aber höchst merkwürdig bleibt es doch,
wie er allem Anscheine nach unmittelbar nach der durch den
Kaiser Julius Nepos geschehenen Abtretung des Arvernerlandes
an die Westgothen, 2 d. h. im Jahre 475, fast eben in dem
für uns bedeutendsten Momente, die Bedingungen zu einer
echten zeitgenössischen Historiographie im Sinne der Blüthe-
zeiten griechischer und römischer Geschichtschreibung formu
liert. Er hält eben den, der ihn zu solcher Thätigkeit gemalmt
hatte, König Eurich’s Hauptrathgeber Leo, für den geeignetem
Geist. ,Denn täglich lernst Du durch die Berathungen des
mächtigsten Königs, unter Erwägungen, die dem ganzen Erd
kreise gelten, Geschäfte und Rechte, Bündnisse und Kriege,
Orte, Zeitabstände und Verdienste kennend 3 Mit einem Schlage
fühlt man sich mit diesen Worten gehoben aus den engen
Schranken traditioneller römischer Reichsgeschichtschreibung
zu der, durch die Bildung germanischer Reiche auf römischem
Boden bedingten universellen Auffassung. In der That fanden
sich an Eurich’s Hofe zu Bordeaux die Gesandten der bedeu
tendsten europäischen Völker und dazu die der Perser zu
sammen: im innern Germanien trat der Westgothenkönig durch
sein Wort als Schirmer schwächerer Stämme gegen die Dro
hungen stärkerer Nachbarn auf. 4
1 Scriptio historica videtur ordine a nostro multum abhorrere, cuius in-
choatio invidia, continuatio labor, finis est odium. Epist. IV, 24 (22)
p. 308 an Leo, über welchen Sidonius, notae p. 84, Weiteres beibringt.
Wie ihm nach Epist. VIII, 7 (3) p. 415 Sidonius seine Befreiung aus
der westgothischen Haft dankt, mag dazu schon hier bemerkt sein: cuius
inc.ommodi finem'post opem Christi tibi debeo.
2 Falls, wie wohl' Savaron zuerst und mit Recht annahm, in dem Satze
,nostra longe conditio dispar, quibus dolori peregrinatio nova‘, mit dieser
neuen Entfremdung die Abtretung des Landes gemeint ist.
3 Quotidie namque per consilia potentissimi regis, totius sollicitus orbis,
pariter eins negotia et jura, foedera et bella, loca, spatia, merita co-
gnoscis. Immerhin sieht der Satz aus, als ob Sidonius seine eigenen
richtigen Gedanken doch in eine gelehrte Reminiscenz gekleidet hätte,
deren Quelle ich allerdings nicht anzufuhren vermag.
4 Dahn, Könige der Germanen V, 99.
928
Büdinger.
Als Laie wie als Bischof will Sidonius aus den herkömm
lichen Ordnungen römischen Beamtenthums nicht weichen, auf
denen seit Generationen die Existenz seiner Familie ruht. Er
hofft noch im Sommer oder Herbst 474, 1 was uns wohl selt
sam genug scheint, dass seine Familie in den herkömm
lichen Bahnen auch in Zukunft weiter steigen werde. Bald
nach seiner Thronbesteigung hatte nämlich der Kaiser Julius
Nepos durch ein Diplom, das sein Quästor nach Gallien
brachte — unverändert gehen diese Aeusserlichkeiten durch
all’ das Elend des Reiches weiter — Ecdicius zu der allem
Anscheine nach schon damals mehr persönlichen als erblichen
Würde eines Patricius ernannt. Da schreibt er denn, wohl
bemerkt: schon als Bischof von Clermont, seiner Gemahlin, 2
indem er die frohe Nachricht mittheilt, er selbst und Ecdicius
haben ihre bis dahin präfectorischen Familien ,durch göttliche
Gnade' zu patricischen gemacht: ihre Nachkommen haben nun
die Aufgabe sie zu consularischen zu erheben. Immerhin
scheint trotz dieser Weisung des Ehrgeizes an die Nach
kommen eine feste Rangfolge zwischen Consulat und Patriciat 3
nicht bestanden zu haben. In dem Preisgedichte auf seinen
kaiserlichen Schwiegervater rühmt Sidonius, dass derselbe aus
einer wiederholt durch Consulate geehrten und patricischen
Familie stamme, 4 überhaupt aber alter Herkunft sei: dass
römischer, wird nirgends ausdrücklich gesagt.
1 474 Nepus patricius in Portu urbia Romae imperii jura suscepit. XIII, k.
Jul. Prosp. Aquit contin. Havn. 27 (eil. Hille). Seine Landung in Italien
mag wirklich mit Pallmann, Völkerwanderung IT, 2S0, in den April 474
zu setzen sein. Ecdicius’ Standeserliüliung kann aber vor den Einzug
in Rom angesetzt werden.
2 Die entscheidenden Worte aus dem Briefe V, 18 (16) sind schon oben
(S. 925, Anm. 2) angeführt.
3 So ist doch auch nicht Patriciat im alten Sinne zu verstehen, wenn Sidonius
den jungen Syagrius rühmt als patritiae stirpis agricolam (Epist. VIII,
14 (8) p. 427.
* palmata cucurrit
Per proavos gentisque suae, te teste, Philagri,
Patricius resplendet apex. Sed portio quanta est
Haec laudum laudare patres, quos quippe curules
Et praefecturas constat debere nepoti.
Paneg. in Avitum v. 155 sqq., p. 498.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
929
Gerade an dieser Stelle unserer Betrachtungen gibt aber
eben dies Preisgedicht Gelegenheit, einer charakteristischen
Selbsttäuschung unseres Autors zu gedenken, welche denjenigen
neuen Stoff bieten könnte, die heutzutage, weil weit entfernt
nach Zeit und Ort, ungestraft über ihn schelten dürfen.
Denn trotz der Lobpreisung seiner vornehmen Herkunft
scheint Avitus’ Emporkommen ein bescheidenes gewesen zu
sein, wie Sidonius selbst hinter einiger Verbrämung doch
deutlich genug erkennen lässt.
Zuerst ward Avitus als junger Jurist von den Arvernern
noch vor dem Jahre 421 an den Hof gesendet, um Steuer
erleichterungen zu bewirken; 1 dann ist er für einen Verwandten,
Theodorus, der im Frieden von 425 dem westgotkischen Könige
als Geisel gegeben worden war, am Hofe desselben mit gefälliger
Rede aufgetreten. Wenn ihm aber bei diesem Anlasse der
Schwiegersohn nachrühmen zu müssen glaubt, dass er einer
dringenden Einladung des Königs Theoderich I., an eben diesem
Hofe zu bleiben, aus Missachtung der Germanen nicht ent
sprochen habe, ohne mit seiner Ablehnung in des Königs
Mit Recht erinnert hier Sirmondus (notae 217) an die Stelle hei Gregor
von Tours II, II: Avitus unus ex senatoribus et, ut valde manifestum
est, civis Arvernus. —• Nicht unerwähnt soll aber doch bleiben, dass
Sidonius’ Gedanken bei seinem Vorbilde Statius (silvae I, 4, 68) kunst-
gemiissern Ausdruck gefunden hat:
genus ipse suis praemissaque retro
Nobilitas nee origo latet, sed luce sequente
Vincitur et magno gaudet cessisse nepoti.
Auch darauf möchte ich aufmerksam machen, dass bei Statius (I, 4, 95
sqq.; I, 2, 70; IV, 5, 43j IV, 8, 59; V, 2, 28; V, 3, 176) noch einige
unbenutzte Mittheilungen über die Stellung des Patriciats unter den
Flaviern erhalten sind.
1 civilia jura secutus
Eligitur primus, juvenis, solus, mala fractae
Alliget ut patriae, poscatque informe recidi
Vectigal. Paneg. in Avitum v. 207, p. 500.
Sidonius lässt ihn so jung erscheinen, dass er ihn als ,mit Worten eines
Greises bittenden Jüngling* (precantis ephebi verba senis v. 212) vor-
fiihrt. Die Zeit bestimmt Sirmond (notae 218) wie immer treffend aus
den Versen 210 flgde:
procerum tum forte potentior illic,
Post etiam princeps Constantius.
Sitzungsher. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft.
59
930
Büdinger.
Ungnade zu fallen 1 — wenn Sidonius hiemit Avitus’ Römer
stolz zu markieren glaubt, so gibt er doch selbst die Mittel
zu einer erheblichen Correctur. Denn er erzählt uns, dass
Avitus eben an Theodericli’s I. Hofe Lehrer der alten Literatur
gewesen ist. 2 Die nervöse Beklommenheit, mit der er die
einstige untergeordnete Stellung des nominellen Imperators
verkündet, ist ja für das gleichsam aus germanischer Gnade sein
Leben fristende Römerthum einigermassen begreiflich. Aber
mindestens Sidonius’ Mustermann Statius hätte ihn hierin zu
besserer Haltung bringen können; denn dieser hat als Besitzer
einer Villa mit artigem Freimuthe den Unterricht junger Leute
geradezu als seines Vaters Beschäftigung bekannt. 3
Ohnehin erklärt sich durch diese halbe Zugehörigkeit des
spätem Kaisers Avitus zu dem Hause des Westgothenkönigs
am einfachsten, wenn Aetius ihn in einer grossen Versamm-
1 probat hoc jam Theudoris altrum
Exemplum officii, res mira et digna relatu,
Quod fueris blandum, regi placuisse feroei
Atque nimis (nicht: animis trotz Sirmond) vult esse suum,
sed spernis amicum
Plus quam Eomauum gerere. Ibid. v. 220 sqq.
Die Verse werden ja wohl etwa das im Texte Gesagte enthalten, wenn
auch ,plus quam Romanum 1 für ,Germanum‘ eine seltsame Umschrei
bung ist.
2 Als Enkel Alarich’s I. wird Theodorich II. redend eingeführt (v. 505 flgde):
Quae noster peceavit avus, quem fuscat id unum,
Quod te, Roma, capit.
Er sagt zu Avitus (v. 489 flgde):
mihi Romula dudum
Per te jussa placent parvumque ediscere jussit
Ad tua verba pater, docili quo prisca Maronis
Carmina molliret Scythicos mihi pagina mores.
Selbst Fauriel (histoire de la Gaule meridionale I, 242) mochte das nicht
als eine Lehrthätiglceit von Avitus’ Seite erklären: Theodoric II, . . •
devait savoir que c’etait gräce aux conseils du noble Gallo-Romain qu’il
avait reiju une education toute romaine dont il semble qu’il etait fier.
Mox et Romuleam stirpem proceresque futuros
Instruis inque patrum vestigia ducere perstas.
Silvae V, 13, 17.
Statius’ eigenes Gut lag bei Alba (Silvae III, 1, 60).
Apollinaris Sidonius als Politiker.
931
lung, 1 natürlich nicht des Senates, ersuchte (,anflehte', sagt
Sidonius), im entscheidenden Momente den Römern die Hilfe
derselben gegen die Hünen zu verschaffen; denn Avitus’ Wink
genüge, um die Westgothen unschädlich, ja zu Helfern zu
machen: die Gunst, in der Avitus bei den Gothen stehe, sei
der wahre Limes, der Wall des Römerreiches; 2 dennoch war
aber Avitus, als er die schwere Mission erfüllte, ohne Amt. 3
In so glänzendem Lichte edler, pur römischer Abkunft
und vornehmer Stellung er auch jeden ihm nahe Stehenden
sieht und schildert, so scheint er besonders gern literarischer
Ahnenschaft gedacht zu haben. An jenem Leo, dem befreun
deten westgothischen Staatsdiener, rühmt er die Abkunft von
Fronto. 4 An dem letzten Praefectus Praetorio von Gallien, an
Polemius rühmt er um 475 Gaius’ (und nicht Publius’) Tacitus
Ahnenschaft. Sich selbst wirft er dabei nicht weg; er führt
eben Polemius als einem alten Bekannten zu Gemüthe, dass
es nach Tacitus’ Lehre nicht schicklich sei, die Pflichten alter
Bekanntschaft zu vernachlässigen, wie das von Seiten des
selben unserm Sidonius gegenüber geschehen war, der doch
mit Recht daran erinnern konnte, dass er noch vor wenigen
Jahren Praefectus urbi und somit gleichen Ranges gewesen,
jetzt aber Bischof sei. 5
1 — — collectisque omnibus una
Prineipibus coram aupplex sic talibus infit. v. 337 sq.
— — voluisti et non nocet hostis.
Yis? Prodest. Inelnsa tenes tot milia nutu
Et populia Geticis sola est tua gracia limes.
v. 340 flgde.
In dieser Weise hat Sirmond den Text lesbar gemacht.
3 Hos ad hella jam tum spes orbis Avitus
Vel jam privatus vel adhuc. v. 352.
Wenn nun das nicht auf einem Versehen des rasch schreibenden Dichters
beruht, so muss Avitus aus dem Staatsdienste geschieden gewesen sein.
Denn nach v. 29G (praefectns jura regebat) war er im Jahre 439 Prae
fectus praetorio Galliarum (Sirmondus, notae 221).
4 domesticum tibi quodque in tuum pectus per succiduas aetates ab atavo
Frontone transfunditur. Epist. VIII, 7 (3) p. 416.
5 C. (Epist. 24 [22] wiederkehrend, trotz des ,Publius 1 im Mediceus, dem
man vor Polemius’ besserer Kenntniss seines Ahnennamens jetzt mit
Nipperdey den Vorzug gibt, doch des Geschichtschreibers richtiges Prä
nomen) Tacitus, unus e maioribus tuis Ulpianorum temporum consulari-
932
Bü dinge r.
Wie stark nun aber auch Sidonius’ Vorliebe für eine
stattliche und womöglich literarisch berühmte Ahnenreihe ist,
so scheint er von Allem, was wir dynastisches Gefühl nennen,
gänzlich frei gewesen zu sein. Für den letzten Fürsten des
theodosiauischen Hauses, für des Reichsherstellers und Arianer
verfolgers Theodosius des Grossen Enkel Valentinianus III.,
hat er nicht die geringste Sympathie; er schilt ihn einen
rasenden Hämling. 1 Ja er lässt nach der Ansicht senatorischer
und reicher Lebensgewohnheit es nur als ein Opfer erscheinen,
dass nach ihm der Anicier Petronius Maximus den Thron be
stieg, um auf das bisherige Leben des ausgesuchtesten Luxus
zu verzichten: in dem Kaisex-palaste eingeschlossen, 2 habe der
Beklagenswerthe die paar Monate bis zu seinem Tode bangend
verbracht. Dem entspricht es, dass er auch in dem Preis
gedicht auf Avitus als Ansicht des Senates ein günstiges Ur-
theil über eben diesen Mörder Valentinian’s -—• den Mord
selbst erwähnt er nicht — äussern lässt. Unter den furcht
baren Begebenheiten der letzten Zeit, ,den Leichenzügen der
Welt', habe zwar ,der Tod als das wahre Leben erscheinen
müssen; aber nach der traditionellen Ordnung habe man
doch den Schatten von Reich weiter getragen, während
Maximus die zitternde Hauptstadt beherrschte'. 3 In Aetius’
Vorgängers Maximus Ermordung sieht daher Sidonius auch
keineswegs einen Act gerechter Rache für Valentinian’s Tod,
sondern nur Treulosigkeit eines uns sonst unbekannten Bur
gunders, so dass dieser ,Rom bebenden Zorn ob des Fürsten
mordes entringt'. 4
. . . retulit. — Proinde si fntura (das Jenseits) magni pensitas, scribe
clerieo; si praesentia, scr,ibe collegae. Epist. IV, 22 (14) p. 303.
1 Aetium Placidus maetavit semivir amens. Panegyr. in Avitum v. 359.
2 is nuncupatus Augustus ac sub hac specie palatinis liminibus inclusus ante
crepusculum ingemuit, quod ad vota pervenerat. Epist. II, 10 (13) p. 230.
Has nobis inter clades ac funera mundi
Mors vixisse fuit. — —
— — — — portavimus umbram
Imperii, generis contenti ferre vetusti cet.
— — trepidam dum Maximus occupat urbem.
Ibid. 537, 540, 545.
4 — infidoque tibi (Roma) Burgundio ductu
Extorquet trepidas mactandi principis iras. Ibid. 442.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
933
Zur Kundgebung einer so undynastischen Gesinnung mag
ja Sidonius freilich auch durch die Gunst mitbestimmt worden
sein, welche seinem Schwiegervater eben von Petronius Maxi-
mus zu Theil geworden war, indem er von demselben zum
Höchstcommandierendcn ernannt wurde 1 und den Auftrag
empfieng, ein gutes Verhältniss zu den Gothen durch eine
Botschaft an den König Theodorich II. herzustellen. Sidonius
vergleicht wohl Beider Verhältniss, das allem Anscheine nur
das des frühem Lehrers und Schülers war, mit dem zwischen
Romulus und Tatius 2 und lässt den gothischen König auf das
höflichste seine Unterwürfigkeit bekennen. 3 In der vandali-
schen Eroberung Roms sieht er dann in weiterer gelehrter
Reminiscenz einen vierten punischen Krieg. 4
Man kann wohl kaum zweifeln, dass Sidonius in dem
Kaiserthume ähnlich wie sein Muster Plinius Secundus eben
nur die oberste Stufe des Beamtenstandes sieht, in welcher
ihm alle gehörige Staatsordnung beschlossen zu sein schien.
Mit dem Eintritte der Germanenherrschaft meint er, etwa im
Jahre 477, alle Rang- und Standesunterschiede aufgehoben:
nur die literarische Kunde werde fortan die Menschen unter
scheiden. 5
Wenn wir nun früher bemerkten, 6 wie er, obwohl schon
Bischof, die Rangerhöhung seines Schwagers für eine göttliche
Gnade hielt, so lässt sich wohl leicht denken, dass ihm seine
1 — — — peditumque equitumque magistrum
Te sibi, Avite, legit. Ibid. 378.
2 Haud secus insertis ad pulvinaria palmis
Romulus et Tatius foedus jecere.
Ibid. 437, vgl. oben S. 930, Anm. 2.
3 — — — dudum, dux inclyte, culpo
Poscere te pacem nostram, cum cogere possis
Servitium, trahere ac populos in bella sequaces.
Ibid. 489.
4 Das kehrt einigermassen im Panegyricus auf Majorianus v. 86 wieder:
Romana tecta
Hannibal ante meus, quam nostra Scipio, vidit.
5 Nam jam remotis gradibus dignitatum, per quas solebat ultimo a quoque
summus quisque discerni, solum erit post hac nobilitatis indicium htteras
nosse. Epist. VIII, 8 (9) p. 418.
6 Vgl. oben S. 928, Änm. 2.
934
Büdinger.
eigene, da er noch Laie war, in nicht minderem Masse als
Himmelsglück erschien. Kaiser Anthemius hat ihn im Jahre
468 zum Lohne für ein Preisgedicht mit der städtischen Prä-
fectur 1 ausgezeichnet, und wohl zugleich mit dem Patriciate. 2
Da schrieb er in aller Unbefangenheit — und um so belehren
der für uns —- einem Freunde, der Panegyricus auf Anthemius
habe, wenn kein literarisches, so doch ein praktisches Ver
dienst; fortan werde er, da er ,mit Christi Hilfe' durch seinen
Griffel zur Präfectur gelangt sei, bei jedem Anlasse seiner
Beredsamkeit oder seines Glückes wegen gepriesen werden
und dem Freunde wie ein neuer miles gloriosus erscheinen. 3
Hier angelangt, möge uns eine allgemeinere Bemerkung
über die ethischen Rückschlüsse gestattet sein, welche aus
Sidonius’ Preisgedichten gezogen worden sind.
Das ,Meer von Schmeicheleien' 1 ist ja freilich unläugbar,
das Sidonius in dem Preisgedichte auf seinen Schwiegervater
Avitus, auf dessen Nachfolger Majorianus und zuletzt noch
auf Anthemius ausgegossen hat. Aber diejenigen unserer
literarischen Zeitgenossen, welche im Gefühle ihrer eigenen
Tugend über den als Bischof in so frommem Andenken stehen
den und als Laie doch auch, so viel wir wissen, tadellosen
Schriftsteller sich in harten Urtheilen gleichsam überbieten, 5
1 praefeetum senatui suo. Epist. I, 9 (9) p. 198. Vgl. Mommsen, Staats
recht II 2 , 1022.
2 Das ist die freilich unbeweisbare, aber ganz wahrscheinliche Ansicht
Germain’s p. 17. Zu dem Patriciate erst selbst erhoben worden zu sein,
bemerkt Sidonius in dem schon oben (S. 925, Anm. 2) citierten Briefe
V, 18 p. 335: familiam nostram praefectoriam nacti etiam patriciam di-
vino favore reddidimus.
3 attamen gaude, quod ipse panegyricus, etsi non judicium, eerte eventum
boni operis accepit. — . . quum ad praefecturam sub ope Christi, styli
occasione pervenerim, jubeas ... ad astra portare, si placeo: eloquen-
tiam, si displiceo: felicitatem. Epist. I, 9 (9) p. 199.
4 Sur cette mer d'adulation surnagent <;k et Iä quelques traits qui peigneut
vivement les Vandales etc. Ampere, histoire litteraire de la France avant
le douzieme siede. II, 240.
3 ,Ce qu’il y a de plus triste, c’est que Sidoine avait conscience de sa
bassesse et n’en rougissait point, tant la bassesse etait passe dans les
mceurs. 1 Baret 23. ,Er jubelt dem Sieger entgegen und sucht durch
Schmeichelreden bei ihm schnell die Stelle zu erringen, die er kurz zu
vor bei dem Gegner inne hatte. 1 Kaufmann, N. Schweiz. Mus. V, 12.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
935
scheinen mir doch für Sidonius als Politiker 1 von einer mangel
haften Würdigung auszugehen.
Seine ganze geistige Existenz ruhte eben in dem katho
lischen Römerreiche. In der Noth der Zeiten, da die letzten
noch unabhängigen Stücke desselben vertheidigt werden müssen,
schliesst er sich in Hoffnung und selbst Begeisterung dem
jenigen an, der als Kaiser die Führung des Römerthumes
übernommen hat: diesem Höchsten der Beamtenhierarchie zollt
er wie einer Naturgewalt oder einem überirdischen Wesen seine
Verehrung. Man muss sich eher wundern, dass auf Libius
Severus, Olybrius und Julius Nepos Panegyriken fehlen, als
dass er sie auf die drei anderen Kaiser abgefasst hat, die auf
Maximus folgten. Nepos preist er jedoch mindestens in seinen
vertrauten Briefen als den ,gerechten* oder legitimen ,Fürsten*,
der ,Augustus gleichmässig durch die Waffen und nach seinem
Charakter* sei. 2 Der von Gundobad erhobene und in Con-
stantinopel niemals anerkannte Glycerius, wie der Usurpator
Romulus haben wohl in Sidonius’ Augen Beide nicht als
Kaiser gegolten.
Gleichsam stückweise hat er aber nicht nur den Rest
des Römerreiches, sondern auch die Anhänglichkeit für das
selbe abbröckeln sehen müssen. Schon im Jahre 470 oder
471, da Kaiser Anthemius durch seine Entzweiung mit dem
Patricius Rikimer in der That zu helfen ausser Stande war,
war eine Partei im Arvernerlande den Westgothen offen günstig
und dachte ,der Adel, das Reich aufzugeben oder in den geist
lichen Stand zu treten*. 3 Ein rücksichtsloser Anhänger der
1 Literarische Jugendsünden beichtet er gar artig in dem Schlussgedichte
seiner Briefsammlung IX, 16 (16) p. 475:
nec recordari queo, quanta quondam
scripserim primo juvenis calore
unde pars major utinam taceri
possit et abdi.
2 _ sa b justo principe. Epist. VIII, 6 (7) p. 415. — armis pariter Augustus
ac moribus. Epist. V, 18 (16) p. 334.
3 Si nullae a republica vires, nulla praesidia, si nullae, quantum rumor
est, Anthemii principis opes, statuit te auctore nobilitas aut patriam di-
mittere aut capillos. An seinen Schwager Ecdicius II, 12 (1) p. 234.
Unter vielen Versuchen, ,patriam dimittere 4 richtig zu deuten, mag der
936
Büdinger.
Westgothen, Namens Seronatus, suchte eben damals gothische
Ordnungen an die Stelle römischer zu setzen, hielt den Römern
ihre alten Sünden vor und trieb, wohl scheinbar für den Gothen
könig, Steuern ein. 1
Was mochte Sidonius wohl damals über die Begnadigung
denken, die er einem, hochverrätherischer Anschläge mit den
selben Westgothen Ueberwiesenen vor kaum drei Jahren, im
Winter 467/8 erwirkt hatte? Einer seiner Freunde, der Prae-
fectus Praetorio von Gallien Arvandus, war während Sidonius’
Aufenthalt in der Hauptstadt, vor dessen Ernennung zum städ
tischen Präfecten, dieser schweren Schuld von seinen senatori-
sclien Standesgenossen überwiesen und zur Hinrichtung verur-
theilt worden. Der Schuldbeweis lag in einem von Arvandus’
verhaftetem Schreiber mitgetheilten Briefe an König Eurich,
in welchem dieser oberste römische Justizbeamte Galliens von
einem Frieden mit dem ,griechischen' Kaiser, d. h. Anthemius,
abrieth, die an der Loire niedergelassenen Briten zu bekämpfen
ermunterte und Gallien mit den Burgundern — an die Mög
lichkeit einer Frankenherrschaft dachten diese Weisen noch
nicht — zu theilen empfahl. 2
Aber schon im siebenten Jahre darauf hat der nächste
,griechische', nämlich unter byzantinischer Autorität in Italien
auftretende Kaiser Julius Nepos die Verhandlungen mit Eurich
in einem von Arvandus’ Absichten nicht gar verschiedenen
Sinne aufgenonnnen. Inzwischen war, etwa im Jahre 472, 3
Sidonius unerwartet und wohl in der That, wie so Manche
seiner Zeitgenossen, unfreiwillig 4 Bischof in der Auvergne
geworden, er hatte als solcher in seiner Residenz Clermont-
Ferrand eine gothische Belagerung auszuhalten, unter der
im Texte gegebene der Absicht des Briefsehreibers noch am ehesten
entsprechen.
1 Seronatus . . . exultans Gotliis insnltansque Romanis . . . leges Theodo-
sianas calcans Theodoricianasque proponens veteres culpas, nova tributa
perqnirit. Epist. II, 12 p. 234.
2 pacem cum Graeco imperatore dissuadens, Britannos supra Ligerim sitos
impugnari oportere demonstrans, cum Burguudionibus jure gentium Gallias
dividi debere confirmans. Epist. I, 7 (7) p. 191.
3 Kaufmann, Leben des Sidonius (N. Schweiz. Mus. V) 9.
4 Germain 18 führt das sehr hübsch aus.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
037
die Bevölkerung bald höchlich litt; er musste, noch ehe der
Vertrag ratificiert oder doch veröffentlicht war, der das Gebiet
bis zur Loire mit Einschluss der Auvergne in Eurich’s Hand
lieferte, 1 erleben, dass eben jener Seronatus, der schon im
Jahre 470 so unverhüllt für die Gothen aufgetreten war, in
aller Behaglichkeit wie ein herrischer Statthalter 2 das Land
zu bedrängen begann, auf dem Wege nach Bourges schaaren-
weise Gefangene abführen liess: mit echter Renegatenfreude
geniesst Seronatus das Unglück seiner Landsleute, deren Miss
handlung er ebenso höhnisch als grausam leitet. 3
Die Erbitterung, mit welcher Sidonius von dem Vertrage
Nachricht empfieng, der im Winter von 474 auf 475 zum Ab
schlüsse gekommen zu sein scheint, ist doch ganz begreiflich
nach dem ausdauernden Kampfe, den das von Sidonius geist
lich und von seinem Schwager Ecdicius weltlich geleitete
Arvernervolk dem gothischen Angriffe gegenüber bestanden
hatte. Dem Bischöfe Graecus von Marseille, der diesen Ver
trag, vielleicht neben anderen, 4 ganz vornehmlich vermittelt
hatte, 5 schrieb er mit rücksichtsloser Offenheit über das, was
1 Fauriel, histoire de la Gaule meridionale I, 328 flgde, meint, den Vertrag
zwischen Eurich und Nepos au mois de juillet ou d'aoüt de l’an 474
ansetzen zu können. Erwägt man aber (vgl. oben S. 928, Anm. 1), dass
Nepos’ erste Sendung nach Gallien durch die Standeserhöhung des Ver-
theidigers der Auvergne eher auf die Absicht, den Krieg gegen die Gothen
fortzusetzen, sehliessen lässt, dass ferner die Verhandlungen längere Zeit
in Anspruch nahmen, wie aus den Vorwürfen in dem Briefe an Graecus
(s. unten) erhellt — nach allen diesen Erwägungen wird man den Voll
zug des Tractates erst in den Winter 474/5 setzen können. Die Zwischen
zeit, die zwischen den drei Gesandtschaften des Kaisers an Eurich (Dahn
V, 95) bis zum Abschlüsse des Tractates verstrich, lässt sich freilich
nicht näher bestimmen.
2 Sic ira celer, quod piger mole .... catervatim, quocunque se conver-
terit, vincti trahuntur. Epist. V, 8 (13) p. 13.
3 quorum dolore laetatur, pascit fame, praeeipue pulchrum arbilratus ante
turpare quam punire damuandos; crinem viris nutrit, mulieribus incidit.
Epist. V, 8 (13) p. 321.
4 Fauriel a. a. O. Binding, burgundisch-romanisches Königreich I, 92, Anm.
Der Brief VII, 7 (6), auf den sich Beide zum Theil stützen, gehört
übrigens in einen andern Zusammenhang. Vgl. unten S. 941 f.
5 Per vos legationes meaut — also durch einige Zeit, vgl. oben Anm. 1
—, vobis primum quauquain principe absente, non solum tractata reseran-
tur, sed etiam tractailda committuntur. Epist. VII, 13 (7) p. 386.
938
Büdioger.
ihm eine schmähliche Handlung- schien: ,nicht Sorge für das
Gemeinwohl, sondern Euer Privatvortheil leitet Euch'. 1 ,Andere
den Gothen überlassene Gegenden gewärtigen Knechtschaft,
das Arvernerland den Tod.' 2
Wie er aber in dem einen Theile Galliens Zeuge der
verrätherischen Hinneigungen zu den Gothen sein musste, so
blieb ihm das für ihn so betrübende Schauspiel nicht erspart,
Römer im südöstlichen Gallien um die Gunst der Burgunden
buhlen sehen zu müssen, also des andern germanischen Volks-
Stammes, der nach Arvandus’ Rath die Herrschaft Galliens
mit den Gothen theilen sollte. In Ausdrücken der tiefsten
Entrüstung und Verachtung schildert er seinem Verwandten
Apollinaris im Herbst 474 3 das schändliche Treiben dieser
verläumderischen Schmeichler und Liebediener der burgundi-
schen Herren: ,Gallien seufzt, sie neben den verhältnissmässig
milden Barbaren ertragen zu müssen; selbst die gefürchteten
(germanischen Herren) haben Scheu vor ihnen/ J Er schildert
sie als so treulos, wie feige, schwelgerisch und nach der Weise
von Emporkömmlingen überall gegen die Sitten der guten
Gesellschaft verstossend. 5 Anderseits sieht er es doch nicht
1 Parum in commune consulitis; et quum in concilium convenitis, non tarn
curae est, publicis mederi periculis, quam privatis studere fortunis; quod
utique saepe diuque facientes, iam non primi comprovincialium coepistis
esse, sed Ultimi 1. 1. Wenn sich jedoch aus den dunklen Nachrichten
schliessen lässt, welche Ennodius (vita Epiphanii p. 381 Sirmond) über
Nepos’ Abordnung des Bischofs Epiphanius von Pavia an Eurich, um
dessen Hilfe zu erhalten, gibt, so muss die Abtretung mindestens in der
Voraussetzung gothischer Unterstützung des Kaisers geschehen sein.
2 Alia regio tradita servitium sperat, Arverna supplicium. Epist. VII, 13 (7)
p. 386.
3 Binding I, 78 n. 305 und S. 301 flgde.
4 — quos se iamdudum inter clementiores barbaros Gallia gemit; hi sunt
quos timent etiam qui timentur. Epist. V, 11 (7) 325. Zur Chronologie
des Briefes dient auch, dass der Tod des Vaters des jüngern Hilperik
(Binding I, 302), Gundiok's, um Neujahr 473 erfolgt sein muss, da der
Miterbe Gundobad noch am 5. März 473 in Ravenna war: III. Non.
Mart. Glycerius Gundobado hortante Ravennae sumit iinperium. (Prosperi
contin. Ilavn. ed. Hille p. 18).
5 Hi sunt quorum laudari audis in otio occupationes, in pace praedas, inter
arma fugas, inter vina Victorias. — Hi sunt qui novis opibus ebrii, ut et
minima cognoscas, per utendi intemperantiam produnt imperitiam possi-
Apollinaris Sidonius als Politiker.
939
gern, dass Syagrius, ein jüngerer Freund aus consularischer
Familie, die burgundische Sprache bis zu einer die Germanen
selbst erschreckenden Correctheit gelernt hat und als Dolmetsch
diene, ja ihnen bei der Erörterung, und wie es scheint, Codi-
fication ihrer Gesetze als neuer Solon behilflich sei. 1
Des tiefen religiösen Gegensatzes gegen die Germanen
ist er sich als ein Bischof, der in Predigten selbst andere
Bischöfe hinriss 2 und in der Seelsorge seine Pflichten zu all
gemeiner Bewunderung in seiner Diöcese erfüllte, 3 in unzweifel
hafter Weise bewusst geworden; aber schon die Editionsweise
seiner Correspondenz 4 und vollends deren Inhalt zeigen, dass
er den dogmatischen Streit wahrlich gern vermied.
dendi. Nam libenter incedunt armati ad epulas, albati ad exsequias, pelliti
ad ecelesias, pallati ad nuptias, castorinati ad litanias. I. I. Ich bemerke,
da Baret 325 in einer Note — ohne Kenntniss Binding’s — den alten
Irrthum über die Datierung des Briefes wieder aufuimmt, dass die Worte
tetrareham nostrum im Beginne des Briefes eben nur beweisen, dass
Schreiber und Adressat von dem Tetrarchen'Hilperites als einer ihnen
näher bekannten Person reden, aber keineswegs für oder gegen Sidonius’
Stellung als Bischof in Clermont: Seltsam ist, wie er die als katholische
Nonne in Lyon 506 verstorbene Gemahlin Hilperik‘s II., Chrotichildens
Mutter Caretene (Binding 117), bezeichnet: temperat Lucumonem nostrum
Tanaquil sua p. 327.
1 Immane narratu est, quantum stupeam, sermonis te Germanici notitiam
tanta facilitate rapuisse. — . . Aestimari minime potest, quanto mihi
caeterisque sit risui, quoties audio, quod te praesente, formidet facere
linguae suae barbarus barbarismum. Ad stupet tibi epistolas interpretanti
curva Germanorum senectus et negotiis mutuis arbitrum te disceptatorem-
que desumit. Novus Burgundionum Solon in legibus disserendis . . .
amaris, frequentaris cet. Epist. V, 17 (5) p. 332 sq.
2 In beiden auf uns gekommenen, an Sidonius gerichteten Briefen des
Bischofs Euricius von Limoges, nach Canisius’ Meinung eines zugehörigen
dos Anicierliauses, ist von der gewaltigen Wirkung dieser Predigten die
Rede: praedicantibus vobis saepius me recolo cet.; sententiam vestram
medelam duco esse, non poenam; ita me recens praedicatio et antiqua
dilectio vestrae pietatis illexit cet. Henrici Canisii lectiones antiquae ed.
Basnage 1725 t. I, p. 376 sq.
3 Ebert; christlich-lateinische Literatur I, 403. Kaufmann im N. Schweiz. Mus.
V, 12, 18.
4 Die Zahlen Baret’s S. 56 — die sieben ersten Bücher seien 477 bis 483
ediert u. s. w. — sind kaum ungefähr richtig.
940
B ü d i n g e r.
Ueber die Zeit ihrer Veröffentlichung und zugleich Neu-
redigierung mögen hier nach so vielen wenig förderlichen
früheren Untersuchungen einige Worte gestattet sein.
Er begann mit der Vorbereitung der Edition des ersten
Buches bald nach seiner Bischofsweihe und hat das sechste
im Jahre 477, wie es scheint, publiciert; 1 die Publication des
letzten neunten scheint vor die Schlacht von Soissons von 486
zu gehören, in welcher der heidnische Frankenkönig den letzten
römischen Statthalter in Gallien besiegte, da man sonst in dem
Schlussgedichte irgend eine Anspielung auf das Ereignis er
warten dürfte. Die einzigen positiven chronologischen Merk
male für diesen Theil sind aber im neunten Buche selbst.
Sidonius sagt in dem Einleitungsbriefe, 2 derselbe bilde einen
dritten Epilog; die beiden anderen sind die Schlussbriefe des
siebenten und achten Buches, aus denen gar nichts über die
Abfassungszeit erhellt. Nun kommt aber eine Aeusserung in
der sonach abgeschlossenen Sammlung zu statten, nach welcher
er zu den in dieselbe eingeflochtenen Gedichten sich nicht
jetzt entschlossen und ein, nunmehr drei Olympiaden dauern
des Schweigen noch nicht gebrochen hatte, 3 d. h. etwa zwölf
Jahre seit dem Antritte des Episcopates. Da dieses sich aber
auch nur ungefähr auf 472 bestimmen lässt, 4 so kann man
1 Kaufmann, Dissertation S. 4 und N. Schweiz. Mus. V, 9 meint so; eine
neue Edition der Briefe muss der Sache aber besser nachgehen.
2 hic über nonus octo superiorum voluminibus accrescat p. 436.
3 ut me, postquam in silentio decurri tres olympiadas, tarn pudeat novum
poema conficere quam pigeat. Epist. IX, 15 (12) p. 478. Dazu beachte
man in dem Schlussgedichte (p. 475):
elerici ne quid maculet rigorem
fama poetae.
Aber es ist mit der Chronologie dieser Briefe auch in diesem Buche ein
übles Ding. IX, 13 (13) p. 464 und 468 legt er Verse bei, die er ,tem-
poribus Augusti Majoriani 4 verfasst und ,in imo scrinii fundo muribus
perforatas post annos circiter viginti in lucem profero. 4 Nach dem Ge
dichte ist Majorianus auf dem Wege nach Spanien, überall Liebe findend:
imitabiturque Gallos
feritas Ibericorum,
also nach Priskos 156 ed. Niebuhr im Jahre 460. Aber die Editoren,
welche desshalb den Brief in 481 setzen, bauen auf schwachen Grund.
4 Vgl. oben S. 936, Anm. 3.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
941
mit Bestimmtheit nur sagen, dass dieser Brief ungefähr um
das Jahr 484 geschrieben ist.
In dieser ganzen, wiederholt von Freunden durchgesehenen,
nach nicht mehr überall erhellbaren Gesichtspunkten geordneten
Sammlung findet sich nun nicht ein einziges, die arianisclie
Lehre, den Glauben der germanischen Herren, eigentlich und
offen verletzendes Schriftstück. 1
Am meisten bietet für diese, zur universalhistorischen
Würdigung unsres Autors so wichtige Frage und, wie wir
sehen werden, für die Geschichte der Epoche überhaupt ein
Brief, 2 den er an einen ihm seit lange befreundeten Mitbischof
Basilius, vielleicht von Aix, 3 gerichtet hat.
Derselbe setzt voraus, dass König Eurich Landesherr
und Sidonius mit dessen königlicher Gewalt wie mit einem
Verhängnisse sich zurecht gefunden hat. Noch hat die Aus
breitung seiner Macht, ,die Vorrückung seiner Grenzen 1 , die
durch den noch zu erwägenden Vertrag mit Odovakar bis an
die Seealpen geführt wurden, ihr legales Ende nicht erreicht;
aber Sidonius wie Basilius müssen wohl schon Eurich’s Gewalt
unterworfen sein, da ihnen Anklage und Discussion seiner
Thaten nicht zukommt, sie auch als Einwohner eines allegori
schen Egypten dem Pharao seine Zier gestatten müssen. ,Dass
Euarix, der Gothen König, die Grenzmark seines Reiches
unter Bruch und Lösung des alten Bundes mit dem Rechte
der Waffen schützt oder vorrückt, darüber ist mir Sünder hier
keine Anklage und Dir Heiligem hier keine Erörterung ge
stattet. Erwägst Du vielmehr richtig, so ist es in der Ord
nung, dass der Reiche hier mit Purpur und Byssus bekleidet
und Lazarus hier mit Geschwüren und Armuth geschlagen
werde. In der Ordnung ist es, dass, da wir in diesem alle
gorischen Egypten leben, der Pharao mit seinem Diadem, der
1 In dem Briefe VI, 12 (12) p. 354 an seinen bei dem burgundischen
Königspaare sehr beliebten Mitbischof Patiens von Lyon wird doch nur
einer glücklichen Bekehrungsthätigkeit desselben bei den ,photinianisehen‘
Barbaren gedacht: a tuo barbaros jam sequaces quoties convincuutur
verbo, non exire vestigio cet.
2 Epist. VII, 7 (6) p. 374 bis 378.
3 Nach der ansprechenden Vermuthung von Sirmondus, notae 121.
.
942
Büdinger.
Israelite mit seinem Tragkorbe einlierschreite. In der Ordnung
ist es, dass, da wir in diesem Ofen des figürlichen Babylon
gebacken werden, wir mit Jeremias das geistliche Jerusalem
unter Seufzern und Klagelauten beweinen und das Land Assur
mit tönender Pracht der Heiligen Heiligthümer niedertrete/
Desshalb trage er in Hoffnung auf künftige Vergeltung die
ihnen Beiden gemeinsame Noth leichter. 1
Es ist nun wohl auch ferner einleuchtend, dass der Brief
erst geschrieben sein kann, nachdem Sidonius wieder von den
Westgothen zu seiner bischöflichen Thätigkeit zugelassen oder,
anders ausgedrückt, aus seiner Haft in der Feste Livia in der
Cerdagne 2 wieder entlassen und von Eurich nach mindestens
zweimonatlichem Harren am Hofe zu Bordeaux wieder zu
Gnaden angenommen war. Ueber die Dauer seiner Haft sind
wir nicht ausdrücklich unterrichtet; aber nach seiner eigenen
Schilderung kann sie nur kurz und leicht gewesen sein, 3 da
seine Klagen nur auf Ruhestörungen in Livia durch ein paar
alte Gothinnen gehen. 1 Die Rückkehr dürfte etwa mit unserm
1 Enarix rex Gotliorum quod limitem regni sui rupto dissolutoque foedere
antiquo vel tntatur armorum jure vel promovet, nec nobis peceatoribus
hic accusare, nec vobis sanetis hic discutere permissum est. Quin potius
si requiras, ordinis res est, ut et dives hie purpura byssoque veletur et
Lazarus hic ulceribus et paupertate feriatur. Ordinis res est, ut, dum
in hae allegorica versamur Aegypto, Pharao incedat cum diademate, Is-
raelita cum cophino (Juvenal I, 3, 15). Ordinis res est, ut, dum in hac
figuratae Babylonis foimace deeoquimur, nos cum Jeremia spiritualem
Jerusalem suspiriosis plangamus ululatibus et Assur regio fastu tonans
sanctorum sancta proeuleet. Quibus ego praesertim futnrarum beatitu-
dinum vicissitudinibus inspeetis, c.ommunia patientius incommoda fero.
2 Zwischen Narbonne und Carcassone (Germain 33 eingehend).
3 Er hat eine von Leo (vgl. oben S. 927, Anm. 3) gewünschte Abschrift
von Apollonius’ von Tyana Leben nach einem verständig emendierten
Exemplare hier vollendet, dum me tenuit inelusum mora moenium Livia-
norum. Epist. VIII, 7 (3) p. 415. — Es ist nicht abzusehen, wie Iiaret 49
zu seinen ,pres de deux anndes“ Gefängnishaft für Sidonius gekommen
ist. Schon Fauriel (I, 345) bemerkt mit Recht: il parait que cet exile
ne fut pas long et que le digne eveque obtint aisement d’Euric l’autori-
sation de retourner ä son siege — was Chaix II, 212 übersieht.
4 vix dabatur luminibus inflexis parvula quies; nam duae quaepiarn Getbi-
des anus cet. 1. 1.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
943
Epochejahre 476 zusammenfallen, und in dieses wage ich denn
auch den Brief zu setzen. 1
In demselben bemerkt nun Sidonius sofort nach einer
höflichen Einleitung, Basilius solle literarisch gegen einen
Gothen Modahari 2 auftreten, der sich für die arianische Lehre
in verletzender Weise und mit sichtlicher Wirkung auf Ge-
müther von Katholiken, man erkennt nicht, ob schriftlich oder
mündlich, äusserte und theologische wie biblische Beweisstellen
für seine Ansicht geltend machte.
Obwohl nur Privatmann, wagt Sidonius ferner, auf die
Gefahr einer Misdeutung oder des Vorwurfes der Eitelkeit hin
über die religiöse Lage des Westgothenreiches sich zu äussern. 3
Sidonius fürchtet, dass König Eurich, trotz aller seiner Macht,
,mehr den christlichen Gesetzen als den römischen Mauern
nachgestellt' habe. ,Nach der Art, wie er sich über Katho
liken äussern und über sie empfinden soll, kann man zweifeln,
ob er mehr seiner Secte oder seines Volkes Fürstenthum habe.
Bei seiner Waffen- und Geistestüchtigkeit leidet er nur an
dem Irrthume' — so milde urtheilt Sidonius auch in vertrau
lichem Briefe über den albanischen Herrn — ,dass er meint,
er empfange als wahre Religion der Predigten und Synoden
Wirkung, die er doch vielmehr zu irdischem Glücke erlangt.' 4
1 Baret 139, n. 6 setzt, gestützt auf Fauriel’s (I, 316) doch mit allem
Vorbehalte gegebene Vermuthung, der westgothischen Eroberung des
Rouergue in den Jahren 470 oder 471, diesen Brief wie IV, 19 (15) in
das Jahr 472, dessen Unzulässigkeit im Texte dargethan sein dürfte.
2 Die Sache, schon von Sidonius dunkel gehalten, ist durch die hand
schriftliche Ueberlieferung vollends erschwert: qui viderim Modaharium
civem [unmöglich; vielleicht quendam oder presbyterum (pbm)] Gothum
haereseos Arianae jacula vibrantem, quo tu spiritualium mucrone con-
foderis . . . Neque ego ita mei meminens non sum, ut nequaquam [me
zu streichen] hunc esse [doch wohl Modaharium] reminiscar, quem longis
adhuc abluenda fletibus conscientia premat, cuius stercora tarnen sub ope
Christi quandoque mysticis orationum tuarum rastris eruderabuntur.
3 quoniam supereminet privati reatus verecundiam publica salus, non vere-
bor, etsi carpat zelum in me fidei sinister interpres, sub vanitatis invidia
causam prodere veritatis. Ibid. p. 376.
4 Ad hoc acer animis, alacer annis hunc solum patitur errorem, quod putat,
sibi tractatuum [i. e. homiliarum. Forcellini s. v.] conciliorumque suc-
cessum tribui pro religione legitima, quem potius assequitur pro felicitate
terrena.
944
B ü ding er.
Nun erzählt Sidonius, dass zahlreiche Bisthümer, darunter
die seinem eigenen von Clermont westlich und südöstlich benach
barten von Limoges und Gevaudan, nach Tödtung ihrer Vor
steher verwaist seien. 1 Aber er erklärt doch auch sehr ausdrück
lich, dass seit diesen gewaltsamen Ereignissen schon einige Zeit
verstrichen sei: ,irgend welche Bischöfe sind darauf nicht be
stellt worden'. Ueberhaupt aber wird die eigentliche Verfol
gung der Katholiken durch den seit dem Anfänge des Jahres
466 regierenden Eurich als eine weit zurückliegende bezeichnet:
Gewölbe dem Gottesdienste entzogener katholischer Kirchen
sind verfault herabgefallen, Dornbüsche an die Stelle der weg
gebrochenen Thürpfosten getreten, auf den Altären ist Weide
gras für die Thiere gewachsen.' 2
Nun wird aber ferner in diesem Briefe des römischen
Reiches nicht gedacht und eine neue Gestaltung der politischen
Verhältnisse vorausgesetzt.
Bischof Basilius wird erinnert, dass er in der Mitte zwi
schen befreundeten Collegen, den Bischöfen von Arles, Riez
und Marseille lebe. 3 ,Durch Euch laufen die Misgeschicke der
Bündnisse', womit zunächst auch an den Abtretungsvertrag des
Kaisers Nepos über das Arvernerland erinnert wird. Er fährt
aber fort: ,Durch Euch werden beider Reiche (regni utriusque)
Verträge und Bedingungen befördert. 1 Handelt nun in Eurer
Freundschaft und besondern Eintracht derart, dass die bischöf
liche Ordination gestattet werde und wir die Völker von
1 Btirdegala, Petricorii, Eutern- [Rouergue] Lemovices, Gabalitani [Gevaudan
mit dem Sitze von Javols bei Marvojols Dep. Lozere] Elusani [Eanse]
Vasates [Bazas] Convenae, Auscenses multoque jam major numerus eivi-
tatum summis sacerdotibus eorum morte truncatis nec ullis deinceps
episeopis in defunetorum officia suft'ectis, per quos utique minorum or-
dinum ministeria subrogabantur, latum spiritualis ruinae iimitem trasit.
2 Yideas in ecclesiis aut putres culminum lapsus aut valvarum cardinibus
avulsis basilicarum aditus liispidorum veprium fruticibus obstructos (daraus
hat Gregor von Tours II, 25 Dornpflanzungen Eurich’s gegen katholischen
Kirchenbesuch gefunden). Ipsa proh dolor! videas armenta non modo
semipatentibus jacere vestibulis, sed etiam herbosa viridantium altarium
latera depasei.
3 pontificum Leontli, Fausti, Graeci urbe, ordine, caritate inveniris p. 378.
4 Per vos mala foederum currunt, per vos regni utriusque pacta conditiones-
que portantur.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
945
Gallien, welche die Grenze des gothischen Antheils umfasst
hat, dem Glauben gemäss halten, wenn wir sie auch nicht
vertragsmässig behalten £ . 1 Ich denke, Sidonius theilt mit diesen
letzteren Worten seinen Wunsch mit, dass der mit dem West
gothenkönige abzuschliessende Vertrag eine für den katholi
schen Glauben günstige Clausei enthalten solle.
Es erhebt sich nunmehr die Frage, welches unter den
beiden Reichen oder Königreichen gemeint sei. Das eine ist
nach Sidonius’ eigenen Worten das der Westgothen.
Zunächst denkt man in Bezug auf das andere an das der
Burgunden — da das römische, das Imperium, die Respublica
ausgeschlossen werden muss. Wurde doch noch in Alarich’s II.
späterer Zeit 2 Bischof Caesarius von Arles, wie sein Biograph
behauptet: mit Unrecht, 3 burgundischer Sympathien bezichtigt!
Aber es konnten doch nicht wohl Verhandlungen über einen
Vertrag zwischen Burgundern und Westgothen Bischöfen ver
traut werden, die im äussersten Südosten und Süden Galliens
residieren, darunter jenem Bischöfe Graecus von Massilia, der
schon im Jahre 474 die Verhandlungen zwischen Eurich und
dem Kaiser Julius Nepos geführt hatte. 4 Vollends wenn man
erwägt, dass das Departement Vaucluse, mindestens grossen-
theils mit den Städten Orange und Apt, höchst wahrscheinlich 5
schon in demselben Jahre in Eurich’s Besitze war, muss man
1 Der merkwürdige Schlusssatz lautet: agite, quatenus haec sit amicitia,
concordia principalis, ut episcopali ordinatione permissa populos Gallia-
rum, quos limes Gothicae sortis incluserit, teneamus ex fide, etsi non
tenemus ex foedere.
2 Binding I, 191 über die chronologischen Ansätze.
3 — quod totis viribus affectaret, territorium et civitatem Arelatensem Bur-
gundionum ditionibus subiugare, cum utique praestantissimus ille pastor
flexis genibus pacem gentium, quietem urbium diebus ac noctibus a do-
mino generaliter postularet. Vita S. Caesarii. Acta Sanctorum m. Augusti
diei 28, t. VI, p. 64 sq.
4 Vgl. oben S. 937.
5 Binding 78, 86. Einleuchtend ist aber doch, dass, falls die nur traditionell
gesicherte Verweisung des Bischofs von Apt durch Eurich überhaupt wahr
ist, nicht anderseits mit Binding (91 flgde) an eine Räumung dieser kleinen
transrhodanischen Gebiete zu denken ist, blos weil Sidonius III, 7 (1)
im Allgemeinen sagt, die Gothen streben, ,possessionis turbidae metas in
Rhodanum Ligerimque 4 , auszudehnen.
Sitzungsber. (1. pliil.-liist. CI. XCV1I. Bd. III. Hft. 60
946
Büdinger.
von der Wahl jener Bischöfe zu Verhandlungen mit Burgund
ganz absehen.
Das andere Regnum, von welchem Sidonius spricht, kann
demnach wohl mit ziemlicher Bestimmtheit als das Odovakar’s
bezeichnet werden. Nach Prokop’s 1 freilich spätem, aber doch
unverwerflichem Zeugnisse gestand dieser den Westgothen die
Gebiete bis zu den Seealpen zu, aber keineswegs, wie man
neuerlich 2 angenommen hat, erst im Jahre 478.
Ein gutes Verständnis wusste Odovakar nach Orestes’
Tödtung und Entfernung seines Sohnes, des jungen Usur
pators Romulus, mit dem römischen Senate allem Anscheine
nach schon in den ersten Monaten nach seiner Erhebung vom
23. August 476 herzustellen. Die Senatoren sendeten 3 im
nächsten Jahre 477 an den nach Constantinopel zurückgekehrten
Kaiser Zeno eine Botschaft folgenden Inhaltes: Odovakar sei
von ihnen als geeignet ausersehen worden, staatliche Ordnung
bei ihnen zu erhalten, da er zugleich politisches und kriegeri
sches Verständnis habe. ,Deshalb bitten sie, ihm die Würde
eines Patricius und die Verwaltung der Bewohner Italiens zu
ertheilen 4 Ist das wörtlich zu nehmen — wie doch am wahr
scheinlichsten, obwohl noch nicht geschehen —, so bedeutet
es die Verwaltung der Präfectur Italien. Für die Verwaltung
der Präfectur Gallien wäre demnach anderweitig vorgesorgt
gewesen.
In der That wird nun bei Candidus von einer mit der
senatorischen Odovakar’s gleichzeitig in Constantinopel anlan
genden Gesandtschaft ,der westlichen Gallier' berichtet, die
,in Aufruhr gegen ihn standen'; Kaiser Zeno habe sich aber
1 evSISovtoc — aiyp’X ”AXrawv, oft Ta PaXXwv te opta zat Aiyotipwv otopl£outJtv.
Prokop, Gothenkrieg I, 12.
2 Binding 96.
3 rjväyzaaE xijv ßouXvjv sagt freilich Malchos (i’ragm. 3, S. 235 Niebuhr) von
Odovakar; aber er gibt keine Nachricht, welche Differenzen zwischen
Odovakar und dem Senate andeutete, dessen Botschafter auch von Zeno
erreichten, was sie wünschten, da dieser formell fortwährend Nepos als
legitimen Kaiser des Abendlandes gelten Hess.
4 Die Botschaft lautet: ibv 'Oobayov £>-’ auTtuv -poßEßX?j<j6at txavov ovta oia-
£eiv rä Kap’ aÜTot? zpayp.aTa jtoXitixrjv lyovTa auvsatv (schon oben S. 918,
Anm. 3 angeführt) öpou zat paytuov • zat oeTVJcu toü Z^vtovo; latptzfoo
te auTüi aJtoaTEtXai ätli'av zat T7jv täv ’lTaAtov toütiü itpevjoa oiolz7)atv.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
947
Odovakar mehr zugeneigt. 1 Man hat bei diesen Galliern an
angeblich noch ununterworfene Römer im südlichen Gallien
gedacht. 2 Falls aber die Nachricht überhaupt begründet ist
— denn sie tritt in bedenklicher Umgebung auf 3 —, so ist
doch wohl das einfachste, unter diesen ,westlichen Galliern'
die Westgothen und ihren König Eurich zu verstehen, denen
ja das, byzantinischem Blicke zunächstliegende und überhaupt
der grössere Theil des transalpinischen Gallien zugefallen war.
Odovakar hat allem Anscheine nach, und dann ganz
verständiger Weise, auch mit dem Burgundenkönige Gundobad,
der sich nachträglich freilich für getäuscht erklärte, einen
Bündnisvertrag geschlossen. 4 An den von Prokop gemeldeten
Vertrag mit den Westgothen wird man um so eher glauben
dürfen.
Und nicht so befremdend, wie im ersten Augenblicke
scheinen könnte, stellt sich ferner dar, dass der albanische
König in Italien veranlasst werden sollte, den arianischen
Westgothenkönig zu Massregeln der Schonung gegenüber der
katholischen Kirche zu bestimmen.
Man wird sich hier zunächst weiter erinnern müssen,
dass Odovakar das Papstthum in aller Freiheit und auch dem
Kaiser gegenüber in vollem Bewusstsein seiner Würde 5 walten
liess, ja dass gerade die Herrschaft der drei arianischen Könige,
Odovakar’s, Theodoricb/s des Grossen und Athalarich’s oder
seiner Mutter Amalasuntha, der Entwickelung der päpstlichen
1 axaataaavxtov auxto (’Oood/pco) "wv 8ua|xtxtov TaXaxcov oiaTipEGßsucjap.s’vcov xs
aurwv xat ’Oöoa/pov Tzpog Z^vcova, ’Oooazpw |j.aXXov 6 Z^vcov axIxXtvsv. Can
didus p. 476 (Niebuhr).
2 Binding. 96 nach Pallmann II, 310 (vermuthungsweise), 362 (bestimmt).
3 Es gellt vorher: p-Exd xrjv avafpsaiv xou ßaaiXsto? N£:coxo<; xat xov otwyp-ov
xou (j-Et 1 au xov AuyouaxouXou ’Ooo'av.poq ’lxaXt'a? zat avzfjc ixpdx7]<JE *P<Ap};.
Der Autor wusste also nicht einmal, dass Nepos noch vier Jahre lebte,
und könnte dessen notorische Gesandtschaft mit einer eingebildeten von
Westgallien verwechselt haben. Denn Malchos S. 236 meldet, Zeno habe
eben zwischen Odovakar’s und Nepos’ Boten zu entscheiden gehabt:
OGpizvouvrat Srj avopss x% ßouXij; xi]£ Iv f Pa>|X7] xouxou^ Bu£avxtov xopl£ovx£s
xou^ Xo'you? (vgl. oben S. 946, Anm. 4) zat xat? aüxat? rjpipaic ix xou
Nettcoxos ayysXot.
4 Binding 99.
5 Baxmann, Politik der Päpste I, 15.
60*
948
B ü d i n g o r.
Gewalt zu voller Unabhängigkeit; selbst bis zu ganz ruhigem
Verlaufe eines Schisma, 1 überaus förderlich gewesen ist. Odo-
vakar hat bei der einzigen Papstwahl, die unter seiner Re
gierung stattfand, der Felix III., thätig eingegriffen, aber schon
der Vorgänger desselben, der heilige Simplicius, konnte unter
Odovakar’s Schutze eben im Jahre 477 am 8. October dem
Kaiser, neben dem Glückwünsche zu seiner Wiederherstellung,
die Wiederaufrichtung der katholischen Ordnungen in Alexan
dria gebieterisch zur Pflicht machen 2 und auch im folgenden
Jahre 478 seine Autorität gegenüber den Häresien des Ostens
wiederholt zur Geltung bringen.
Wenn daher jene vier von Sidonius genannten Bischöfe,
wie früher schon namentlich Graecus im Vertrauen des Kaisers
Nepos, 3 mit Vertragsunterhandlungen zwischen Odovakar und
Eurich beauftragt wurden, so ist das nunmehr sowohl nach
ihren Wohnsitzen wie nach ihrer Stellung ganz begreiflich.
Wie weit Sidonius’ Wunsch, dass vertragsmässig die bischöf
lichen Wahlen, die Priesterweihe und die Aufnahme der Seel
sorgepflichten den Katholiken wieder gestattet werden möchten,
thatsächliche Erfüllung fand, lässt sich freilich nicht sagen.
Darf man weiter Prokop’s Meldung wörtlich nehmen, so
habe Odovakar den Vertrag über die Abtretung des Landes
bis zu den Seealpen an die Westgothen, bald nachdem er zur
Herrschaft gelangt war, 4 geschlossen oder doch die Besetzung
des Landes durch die Westgothen gutgeheissen. 5 Ich bin da
her auch geneigt anzunehmen, dass die erste Besitznahme des
Landes bis zu den Seealpen durch Eurich, nach Nepos’ Ver
drängung aus Italien im August 475, in, eben dieses Jahr 475
oder das folgende 476, sonach vor den grossen Feldzug Eurich’s
nach Spanien im Jahre 477 11 gehört.
Dass aber seit etwa dieser Zeit für die Katholiken min
destens keine weitere Verfolgung eintrat, lässt sich aus Sidonius’
1 Darüber habe ich mich, Eugipius S. 809 flgde, wohl genügend geäussert.
2 Jaffe reg. n. 344.
3 Vgl. oben S. 938 und 945.
4 t/)V rcoXiTslav ic Tupavvfoa |j.ereßaXX£.
5 xoü xupavvou aepfaiv evBioorcos.
G Dahn V, 97 flgde, wo sich denn auch die für die folgenden Jahre ge-
rathenen Eroberungen in Südgallien notiert finden.
Apollinaris Sidonius als Politiker.
949
fortan ungehemmter bischöflicher Wirksamkeit und auch daraus
schliesseu, dass in den späteren Briefen desselben sich keine
weitere Andeutung über Verfolgung findet.
Jetzt erst dürfte sich auch mit Gerechtigkeit über die
Haltung urtheilen lassen, welche Sidonius nach seiner Frei
lassung aus Livia einnahm: während jenes zweimonatlichen
Wartens auf eine Audienz bei König Eurich in Bordeaux.
Ueber diese Haltung gibt ein, schwerlich zur Mittheilung an
Eurich gelangtes 1 Gedicht mit des Königs Preise unzweideutige
Kunde; es ist dasselbe einem Briefe an seinen Freund, den
Rede- und Verskünstler Lampridius, 2 im Jahre 475 oder 476 3
cingefügt worden.
Wir wissen aus dem Briefe an Basilius, dass er sich
auch innerlich zur Unterwerfung unter den König Eurich ge
bracht hatte, und über die Thatsache, dass dieser nun einmal
der Herr sei, keine Discussion wollte. In dem Gedichte findet
er seine eigene Zurücksetzung ganz natürlich, da ,der Erdkreis
auf des Herrn Entscheidungen warte'.
Bei dem Westgothenkönige, so sagen Sidonius’ Verse,
,suchst Du, o Römer, jetzt Dein Heil, und gegen die Schaaren
der skythischen Zone, wenn das Bärengestiru irgend Unruhen
1 Wie doch allgemein mit einigen für Sidonius keineswegs schmeichelhaften
Schlussfolgerungen angenommen wird; er selbst meint am Schlüsse, es
sei ihm nur in der Langeweile aus Reminiscenzen abgepresst:
Haec inter terimus moras inanes.
Sed tu, o Tityre, parce provocare;
Nam non invideo magisque miror,
Qui, dum nil mereor, precesque frustra
Impendo, Melibaeus esse eoepi.
2 Epist. VIII, 9 (9) 418 bis 422.
3 Wegen der Zeitbestimmung, die sich aus der Datierung der Abtretung
des Arvernerlandes und der Dauer seiner Haft in Livia ergibt, vgl. oben
S. 937, Anm. 1 und S. 942, Anm. 3. Das lange Warten auf die Audienz
erzählt er eben in dem Gedichte:
Nos istic positos semelque visos
Bis jam meustrua luna conspicatur
Nec multum domino vacat vel ipsi,
Dum responsa petit subactus orbis.
Deutlicher in dem Briefe selbst: — Ago adhuc exulem, agis ipse jam
civem et ob hoc inaequalia eano, quia similia posco et paria non impetro.
950
B ü d i n g o r.
bringt, werden, o Eurich, Deine Kräfte erbeten, damit die
starke Garonne durch den an ihr hausenden Kriegsgott den
schwachen Tiber vertheidigeh 1 Man darf hier vielleicht an
die germanischen Schaaren, die Odovakar erhoben, vielleicht
auch an die Rügen denken, welche dieser notorisch im Donau
lande im Jahre 487 besiegt hat, vielleicht endlich an die Bur-
gunden, welche zu einer uns unbekannten Zeit, zum ersten
Male wahrscheinlich 2 im Jahre 476, Ligurien besetzten. Sidonius
aber hatte, wie man sieht, seine Ansichten über das, was dem
Römer dem Germanen gegenüber zieme und über die Fähig
keiten des Herrschervolkes in den beiden letzten Jahrzehnten
gründlich geändert! 3
Sein Gedicht an Eurich vergleicht er in dem Begleit
schreiben einem Schwanengesange, weil es in Leiden (poenis)
entstanden sei — er nennt es einen Scherz, den er unter
Seelenpeinen aufgezeichnet habe. Aber ganz abgesehen von
dem Verhängnisse, in das er sich in dieser Epoche des Ver
schwindens des Römerreiches zu finden weiss, bietet seiner,
grossen Eindrücken zugänglichen und mit historischer Kunde
genährten Seele der westgothische Hof von Bordeaux einen
zu dichterischen Schilderung 1 ladenden Anblick. Mit scharfem
1 Hinc, Romane, tibi petis salutem:
Et contra Scythicae plagae catervas,
Si quos Parrhasis ursa fert tumultus,
Eorice, tuae manus rogantur,
Ut Martern validus per inquilinum
Defenset tenuem Garumna Tybrim.
2 Binding 101.
3 Wo sind die Zeiten hin, da Sidonius (Epist. VIII, 3 [7] p. 409) es Na-
matius zum Vorwurf machte, quod victoris populi (der Gothen) signa
comitaris! Oder da er, vielleicht noch in Kaiser Majorianus’ Zeiten, einem
frühem Studiengenossen, in dankbarer Erinnerung an die Unterweisungen
ihres Lehrers sich die intellectuelle Unfähigkeit der Germanen mit den
stärksten Farben malte: quae si quis deportaret philosophaturus aut ad
paludicolas Sicambros aut ad Caucasigenas Alanos aut ad equimulgas
Gelonos, bestialium rigidarumque nationum corda cornea fibrae-
que glaciales procul dubio emollirentur egelidarenturque: neque illorum
ferociam stoliditatemque, quae secundum belluas ineptit, brutescit, accen-
ditur, videremus, contemneremus, pertimesceremus. Epist. IV, 2 (1) p. 268.
4 Sirmond (notae 144) urtheilt denn auch über das Gedicht: poema . . •
oppido elegans atque ad co tuendam aulae Gothicae amplitudinem aptis-
simum.
Apollinaris Sidonins als Politiker.
951'
Blicke für Aussehen und Tracht fremder Stämme ausgestattet,
schildert er die Besiegten, deren Führer, wie es scheint, in
Bordeaux zu bleiben genöthigt wurden: den meereskundigen
Sachsen, den greisen, wohl inerovingischen Franken, der die
Zier seines langen Haares hier wieder zu erhalten hofft, 1 den
aus dem fernen Norden stammenden, meerfarbenen Heruler,
den riesigen, um Ruhe auf seinen Knieen bittenden Burgunden.
Er erfährt, wie, auf Eurich’s Schutz bauend, der Ostgothe sich
des hunischen Nachbars in frischer Uebeidegenheit erwehrt. Wie
man nach dem Gedichte in Rom auf Eurich hoffte, ward schon
erwähnt. Des Perserkönigs Gesandte erscheinen mit Angeboten
von Bündnissen und Geldhilfen an seinem Hofe, von der Kriegs-
tiichtigkeit desselben gegen die Byzantiner überzeugt. 2
Ich denke doch, man braucht das gar nicht zur Publication
bestimmte Gedicht nur aufmerksam zu lesen, um sich von der
Wahrhaftigkeit der in demselben niedergelegten und mit dem
Briefe an Basilius so wohl stimmenden Eindrücke zu überzeugen.
Sidonius, wie früher bemerkt ward, 3 so ganz unempfind
lich für die Anrechte römischer Kaiserdynastieen, war doch
betroffen von der festen Familientradition germanischer Fürsten
familien. Nach dem Anfänge des Jahres 467, 4 da Eurich zum
Throne gelangte, aber bevor Sidonius Bischof und vollends
Eurichs Unterthan ward, hat er für einen Bekannten eine In
schrift gedichtet, die auf eine von demselben der Gemahlin
Eurich’s, der Königin Ragnahilde, bestimmte Schale eingegraben
werden sollte. Da preist der in den puren Rangunterschieden
des römischen Beamtenthums aufgewachsene Dichter, dass der
Königin Vater, Schwiegervater, Gatte Könige seien und er wünscht
ihr, dass der Sohn mit und nach dem Vater König sein möge. 5
1 Hic tonso occipite, senex Sicamber,
Postquam victus es, elicis retrorsum
Cervicem ad veterem novos capillos.
2 Nam quod partibus arma Bosphoranis
Grandi hinc surgere sentit app.aratu cet.
3 Vgl. oben S. 932.
i Dahn V, 88.
5 Sic tibi cui rex est genitor, socer atque maritus
Natus rex quoque sit cum patre postque patrem.
Epist. IV, 3 (8) p. 270.
952
B ü d i n g e r.
:
■
*>
V
Durch die herrliche römerfreundliche Erscheinung 1 von
Eurich’s älterm Bruder, des Königs Theodorich II.,' 2 dessen
Persönlichkeit und Lebeusgewohuheiten er noch als junger
Mann einem Freunde zu schildern hatte, 3 war er zu der besten
Charakteristik gebracht worden, die er überhaupt geschrieben
hat. Mit Verwunderung notiert er dabei, dass der König dem
arianischen Frühgottesdienste mit devoter Haltung beiwohne
und in religiösen Dingen doch indifferent sei. 4
Durch den Anblick eines rein germanischen kriegerischen
Aufzugs war Sidonius auch lange vor jenem unfreiwilligen,
ihn überwältigenden Eindrücke des Königshofes von Bordeaux
zu einer Darstellung bewogen worden, deren Werth für uns
um so grösser erscheint, als sie für eine germanische Kriegs
schaar die einzige, aus diesem Jahrhundert uns in anschau
licher Einzelmalung überlieferte genannt werden darf. Die
Schilderung 5 aus einer schlechterdings nicht näher zu bestim
menden Zeit von Sidonius’ späterm Leben, doch wohl bevor
er das Bisthum übernahm, ist für einen Freund bestimmt, der
an militärischen Schauspielen eine Freude hatte, welche Sidonius
durchaus abging. u Da beschreibt er nun, wie ein uns sonst
1 Hinc te Martius ille rector atque
Magno patre prior, decus Getarum,
Romanae eolumen salusque gcntis
Theodorieus amat sibique fidum
Adversos probat ante per tumultus.
Ad Consentium V. C. civom Narbonensem. Carmen 20 (23) v. 69 sqq.
p. 576.
Gelegentlich rühmt er doch auch schon König Wallia’s Geist im Preis
gedichte auf Majorianus Vers 266:
— — (Majorianus) conjunctus amore
Praeterea est juveni (Ricimero), graudis quem Spiritus armat
Regis avi.
2 Germain 176.
3 Epist. I, 2 (2) p. 175—179.
4 antelucauos sacerdotum suorum coetus miuimo comitatu expedit, grandi
sedulitate veneratur; quanquain, si sermo secretus, possis animadvertere,
quod servet istam pro consuetudine potius quam pro religione reverentiam
p. 178.
5 Epist. IV, 8 (20) p. 270.
6 Er beginnt: tu cui frequenter arma et armatum et armatos inspicere
jucundum est cet., und er schliesst: quum viderem, quae tibi pulchra
Apollinaris Sidonius als Politiker.
953
unbekannter Segismer, königlichen Stammes, als Bräutigam
am Hofe seines fürstlichen Schwiegervaters 1 erschienen sei:
mit reichgeschmückten Rossen bei Beginn und Schluss des
Zuges. Dann wird der Prinz selbst mit seiner prächtigen
Kleidung, es wird sein fürstliches Gefolge 2 bis ins Einzelnste
geschildert: Menschen, Kleider und Waffen. Sidonius muss
sich sagen, diese militärische Wirklichkeit habe auch bei dem
Hochzeitsfeste überwogen. 3
Man wird wohl sagen dürfen, dass der bischöfliche Beruf •
es Sidonius erleichtert hat, sich in eben die Germanenherr
schaft hineinzufinden, 4 vor der sein tapferer und von ihm so
sehr geschätzter Schwager hatte flüchten müssen, wenn man
es auch begreiflich findet, dass er in einem Zeitalter absterben
der Geisteskraft der Menschheit zu leben meinte. 5 Aber nicht
leicht dürfte doch ein Zeitgenosse von universal historisch so
bedeutenden Begebenheiten zu finden sein, der sich in gleich
unbefangener Weise in sie zu finden gewusst hätte.
Es entspricht denn auch Sidonius’ veränderter Anschauung,
dass sein Sohn an der Spitze der Arverner für Eurich’s, ob
auch arianischen Sohn in der Entscheidungsschlacht gegen
den Frankenkönig Chlodoveck kämpfte und 1161.°
sunt non te videre, ipsam eo tempore desiderii tui impatientiam desi-
deravi.
1 praetorium soceri ist doch wohl eine Residenz eines germanischen Königs.
2 regulorum autem sociorumque comitantum forma et in pace terribilis.
3 Cuncta prorsus huiusmodi, ut in actione thalamorum non appareret minor
Martis pompa quam Veneris.
4 Es darf doch hier angeführt werden, dass nach seiner Ansicht es an
einem Priester rühmlich ist, wenn er simplicitatem columbae in ecclesia
servat, in foro serpentis astutiam. Epist. II, 7 (13) p. 359.
5 per aetatem inundi iam senescentis lassatis veluti seminibus, emedulla-
tae cet. Epist. VIII, 3 (6) p. 404.
6 Gregor von Tours II, 37.
954
Büdinger. Apollinaris Sidonius als Politiker.
Nachtrag.
Unser Herr College Hartei hat die Güte, mir aus seiner eben er
scheinenden Edition des Ennodius in der Sammlung der Kirchenväter VI, 351,
den gereinigten, übrigens hier mit Sirmond stimmenden Text der S. 939
Anm. 1 eitirten Stelle mitzutheilen, deren Anfang lautet:
— ad regnum Nepos accessit. Tune inter eum et Tolosae
alumnos Getas, quos ferrea Euricus rex dominatione gubernabat, orta dis-
sensio est: dum illi Italici fines imperii [quos trans Gallicanas Alpes por-
rexerat], novitatem spernentes non desinerent incessere: e diverso Nepos, ne
in usum praesumptio malesuada duceretur, districtius cuperet commissum sibi
a Deo regnandi terminum vindicare. Hinc utrimque litium coeperunt fomeuta
consurgere. Et dum neutrae partes conceptum tumorem vincendi studio de-
ponunt, sic exsuperabat causa discordiae cet.
Wenn die von mir in Klammern gestellten Worte wirklich in dieser
Form von Ennodius herrühren, so muss man annehmen, dass derselbe einer
Erzählung seines bischöflichen Vorgängers Epiphanius folgte, nach welcher
Eurich bei Nepos’ Thronbesteigung das Land jenseits der Seealpen besetzt
oder beansprucht, Nepos aber erst wieder die römische Herrschaft westlich
von den Seealpen festzustellen gesucht habe. Von dem Allen ist freilich nur
die gothische Besetzung in dem Departement Vaucluse nachweisbar, deren
oben (S. 945) gedacht wurde.
Nach dem weitern Gange der Erzählung scheidet der Gesandte Epi
phanius von Eurich nach Abschluss eines förmlichen Bündnisses — inito
etiam pactionis vinculo —, indem er sich seinerseits für Nepos verpflichtete:
servet intemeratam concordiam. Es bleibt daher immerhin noch möglich,
dass man zwei in Nepos’ Auftrag mit Eurich geschlossene Verträge zu unter
scheiden hat und der durch Epiphanius bewirkte vor den über das Arverner-
land gehört.
Dass der von einem altern Erklärer (Migne patrol. lat. 63, 219) her
beigezogene Brief VII, 7 (6) des Sidonius für Epiphanius’ Sendung irrelevant
ist, dürfte oben S. 941 flgde wohl genügend dargethan sein.
D, H. Müller. Die Burgen u. Schlösser Südarabiens n. d. Iklil d. Hamdäni. II. 955
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem
Iklil des Hamdäni.
Von
Dr. David Heinrich. Müller,
Professor an der kais. kön. Universität in Wien.
Zweites Heft.
Mit 2 Tafeln und 1 Abbildung im Texte.
Vorwort.
Dieses zweite Heft der ,Burgen und Schlösser' be
schäftigt sich grossentheils mit Saba’ und Ma'in und sucht in
vielen Punkten das sabäische Alterthum in ein helleres Licht
zu setzen. Die wesentlich neuen Resultate dieser Arbeit
bestehen darin, dass die Geschichtsforschung die arabischen
Königslisten der sabäischen Herrscher bei Seite zu setzen und
ihre Aufmerksamkeit den Königslisten, wie sie hier aus den
Inschriften zusammengestellt sind, zuzuwenden haben wird.
Noch ein weiterer Schritt ist hier gemacht worden. Während
in der Einleitung zum ersten Hefte der ,Burgen und Schlösser'
auf die drei Perioden der vormohammedanischen südarabi
schen Geschichte: die sabäische (Hauptstadt: Marjaba), himja-
rische (Hauptstadt: Zafär) und die äthiopisch-persische (Haupt
stadt: San'ä) hingewiesen worden war, ist hier das Bestreben
darauf gerichtet, die sabäische Periode einer besondern Prü
fung zu unterziehen und eine Reihenfolge der zahlreichen in
den Inschriften vorkommenden Könige aufzustellen. Es ist
mir, wie ich glaube, gelungen, dreiunddreissig sabäische Könige
nachzuweisen und sie nach den Titeln, die sie führen, in drei
grosse Gruppen zu theilen und dem entsprechend drei Epochen
der sabäischen Geschichte zu unterscheiden, wodurch man
956
D. H. Müller.
in den Stand gesetzt wird, das ungefähre Alter der verschie
denen Bauten und Inschriften zu bestimmen. Es ergab sich
aber daraus zugleich, dass die vorhandenen Inschriften nicht
etwa, wie man bis jetzt angenommen hat, um die Zeit Christi
entstanden, sondern dass viele Bauten und Inschriften schon
viel früheren Ursprungs, einige darunter sogar in das achte
Jahrhundert v. Chr. zurückzudatiren sind.
Ein anderer Punkt, der hier ausführlich erörtert worden
ist, betrifft die Wohnsitze der vier grossen Völker, die nach
der Angabe des Eratosthenes zu seiner Zeit (also im zweiten
Jahrhundert v. Chr.) Südarabien bewohnt haben. Ueber die
Wohnsitze der Sabäer und Hadramautiten ist man längst einig,
nicht aber über die der Minäer und Katabanen. In jüngster
Zeit hat namentlich A. Sprenger in seiner alten Geographie
Arabiens mit grossem Scharfsinn und grosser Gelehrsamkeit
den Beweis zu führen gesucht, dass die Minäer in der Gegend
von Mekka gewohnt haben, und dass die Katabanen mit den
Qudä'a identisch sind. Diese beiden Hypothesen mussten ver
worfen werden, da beide Völker, wie schon Halevy 1 und Mordt-
mann 2 hingewiesen, in den Inschriften Vorkommen und die
Wohnsitze der Minäer wenigstens mit vollkommener Sicher
heit sich nachweisen lassen. Ich darf jedoch nicht leugnen,
dass gerade die erschöpfende Behandlung dieses Stoffes durch
Sprenger und das von ihm aus classischen und arabischen
Quellen zusammengetragene Material mir erst möglich gemacht
haben zu einem allerdings dem seinigen schnurstracks entgegen
laufenden Resultat zu gelangen. Wenn ich noch hinzufüge, dass
hier einige neue Mittheilungen über arabische Specereien, über
die Dammbauten bei Ma’rib, wie über die Städte der Minäer
und der Nasq gemacht worden sind, so habe ich den Inhalt
dieser Arbeit vollständig skizzirt.
Eine Reihe anderer Burgen, die von Hamdan! besprochen
worden sind, behalte ich mir vor, in einem dritten Hefte zu
behandeln. Durch die Güte des Herrn Adolf Neubauer erfuhr
ich, dass die Bodleiana eine Handschrift erworben hat, die den
1 Rapport sur une Mission Archeologique dans le Yemen p. 75 und Etudes
Sabeennes p. 235.
2 Zeitschrift d. D. M. G. XXXI, S. 62.
Die Bargen and Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II.
957
Titel führt: ,Die Geschichte der Stadt San'ä etc/ Ich hegte die
Hoffnung, in derselben Aufschlüsse über einige mir dunkle Punkte
in der Geschichte San'a’s zu finden und liess sie mir hieher
senden. Ich muss gestehen, dass meine Erwartungen durch den
werthlosen Inhalt sehr getäuscht worden sind, ich hatte jedoch
die Genugthuung, einige grössere Abschnitte aus dem Iklil, die
ich im ersten Hefte nach einer Handschrift publicirt habe,
in zum Theil besserem Text, und einige schwierige Stellen,
die ich unübersetzt gelassen, erklärt zu finden. Auch haben mir
mehrere hervorragende Gelehrte, die Herren Ahlwardt, Fleischer,
de Goeje, v. Kremer, Mordtmann, Nöldeke und Thorbecke,
textkritische und sachliche Bemerkungen zum ersten Hefte
zukommen lassen. Dadurch werde ich in der Lage sein, in dem
dritten Hefte, dem auch Indices beigegeben werden sollen,
verschiedene Verbesserungen nachzutragen. Es möge mir auch
gestattet sein auf den von dem verdienten Reisenden Capt.
S. B. Miles im Journal of the Royal Asiatic Society, London
1873 publicirten Aufsatz ,A brief Account of Four Arabic
works on the History and Geography of Arabia', in welchem
der Verfasser eine Inhaltsangabe des Gazirat al 'Arab und des
Iklil mittheilt, hier nachträglich zu verweisen. Auch gereicht
es mir zum Vergnügen, dem Buchdrucker der kais. Akademie,
Herrn Adolf Holzhausen, für die opfervolle Bereitwilligkeit
zu danken, mit der er sich entschlossen hat für dieses Heft
neue sabäische Typen schneiden und giessen zu lassen. Diese
Typen sind nach den von mir vorgelegten Mustern und gege
benen Anleitungen von meinem lieben Schüler, Herrn stud.
Hermann Feigl gezeichnet worden.
Hamdäni’s Beschreibung von Ma’rib und Saba’.
Gott, der allerhöchste, sagt: 1 ,Fürwahr die Saba’ hatten in
ihren Wohnsitzen ein Zeichen, zwei Gärten rechts und links.
Esset von der Spende eueres Herrn und seid ihm dankbar. (Es
ist) eine angenehme Stadt und der Herr gnadenreich/ Sie (die
Stadt Ma’rib) ist reich an Merkwürdigkeiten und die beiden
Gärten (d. h. die fruchtbaren Gefilde) befanden sich rechts und
1 Itorän Sura 34, 14.
958
D. H. Müller.
links des Dammes; heutzutage sind sie beide verödet, weil der
Damm von den Fluthen durchbrochen und davongeschwemint
worden ist. Ich habe in einem dieser Gärten einen versun
kenen ’Aräkstrauch gefunden, an dessen Wurzel ein schwarzer
Palmenstock war, dessen Ueberreste die Winde mit Flugsand
bedeckt hatten. Jemand, der mit mir dort war, meinte, es sei ein
Ueberrest der Palmen aus den beiden Gärten; ich glaube aber
nicht, dass etwas von dem alten Grundbestand übrig geblieben
ist. Was aber die Wasservertheilungsvorrichtungen betrifft,
die das Wasser von den Behältern des Dammes in die Saatfelder
leiteten, so stehen sie noch so da, als ob ihr Erbauer erst gestern
ihren Bau vollendet hätte. Ich habe einen der beiden Kegel,
die zum Zwecke des Wasserabflusses eri'ichtet worden sind, 1
noch so fest dastehen sehen, wie er ursprünglich war; er wird
sich auch nicht verändern, es sei denn, dass es Gottes Wille ist.
Der Durchbruch (der Fluten) hat nur den Damm getroffen,
aber auch vom Damm ist ein Stück geblieben, das sich an
den links liegenden Garten anschliesst und dessen Breite an
der Basis fünfzehn Kubite beträgt. Gott, der allerhöchste, sagt: 2 )
,Sie aber wichen ab, da schickten wir über sie den Damm
bruch und gaben ihnen für ihre zwei Gärten, zwei Gärten,
welche ’Aräkfrüchte hervorbringen und Tamarisken und wenige
LotusbäumeJ
In der Gegend von Ma’rib sind jetzt auch ’Aräksträuche,
wie sie in keinem anderen Lande Vorkommen, und auf diesen
’Aräksträuchen halten sich zahllose Ringeltauben auf. Die
Fluth kam von vielen Orten Jemens. Wir haben diese Orte
1 Wörtlich: ,Ich habe den Bau einer der beiden Muscheln gesehen, und
das ist diejenige, der das Wasser ausströmrat etc. 1 Die Begründung
meiner Uebersetzung weiter unten.
2 Koran Sura 34, 15. Merkwürdigerweise schliesst auch Arnaud seine Be
schreibung des Dammes von Marib also: Mais aujourd’hui tout cet espace
est recouvert de sahles arides, oh l’on aperi;oit ä peine quelques traces
de Vegetation, selon les paroles de Dieu (de l’Alcoran): ,And we gawe
them in exchange for their two gardens, two gardens having bitter fruit
and tamariscs and some few lote-trees. (Lane’s selec.tion from the Quran).
Dass Tamarisken jetzt noch in der Nähe des alten Ma’rib Vorkommen, be
zeugt Arnaud ausdrücklich: Au pied de deux monts (sc. Balaq) croit
l’arbre au maigre feuillage nomme Athl par les Arabes et Tamanx
orientalis par Forskal.
Die Birgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II.
959
bei der Schilderung des Dammbruches in einer unserer Schrif
ten aufgezählt. Der Name des Flusses von Ma’rib, der in sich
alle Ströme aufnahm, die gegen den Damm hin sich ergossen,
war ’Adana (heute: Danna) 1 ; diese Ströme aber kamen von
'Arüs (oder: 'Arwa&), den Abhängen des Radmängebirges,
Schir'a, Damär, Gahrän, Kaumän, Isbil und vielen Ortschaften
aus den Bezirken des (obern) Chaulän.
Darüber sagt al-A'sa:
Das mag ein Beispiel sein dem, der ein Beispiel sich nehmen will,
und Ma’rib, das man durch den Damm deckte.
Aus Marmor hatten ihn die Himjar erbaut;
wenn das Wasser kam, vermochte es ihn nicht zu erreichen.
Er bewässerte ihre Aecker und Weingärten,
nach Stunden ward ihr Wasser vertheilt.
So lebten sie in glücklichem Ueberfluss,
bis sie davontrug ein reissender Strom.
Da flüchteten sich ihre Fürsten und Befehlshaber
in eine Wüste, die der Wüstennebel bedeckte.
Der Damm war angelehnt an die Mauer von Wätir
zwischen der sichelförmigen (Mauer) und den Wasserbehältern
aus grossen Steinquadern, die durch glühend Erz fest anein
ander gefügt waren. Ein Gelehrter sagt, dass Loqmän ibn
'Ad ibn al-Kibr sein Erbauer gewesen sei, nach einem andern
Gelehrten haben ihn die Himjar und al-Azd ibn al-Gaut von
den Nachkommen des Kahlän erbaut. Abn-al-Tamahän sagt,
indem er Ma’rib erwähnt:
Siehst du denn nicht Ma’rib, wie fest es war
und was für Mauern und Bauten es umgaben!
'Alqama sagt:
Wer ist vor des Geschickes Wechsel sicher
nach den Königen von Sirwäh und Ma’rib?
In Ma’rib waren die Burgen Salhin, al-Hagar und al-
Qasib. Al-Hamdäni sagt: Der Erbauer von Qa6ib ist al-Qaäib
ibn el-Hazfar. Nach ihm ist das Schloss kurzweg Qasib ge
nannt worden, d. h. der Ort des Qasib. 'Alqama sagt:
Wo findet der, welcher nachforscht, die vor ihm waren,
die Einwohner von Qasib, dem herrlichen und al-Hagar
Und die Einwohner von Sirwäh und Dalir und Hakir?
— das Geschick hat sie zerstreut, in Folge einer Bestimmung.
1 In einer Hs. des Gazirat al-'Arab wird der Strom regelmässig xjö|
geschrieben.
9C.0
D. n. Hüller.
Er sagt ferner:
Nicht werden die Wächter abhalten vom Herrn von Marib
Sein Schicksal und nicht (werden es abhalten) alle Schlösser rings umher.
Empor klettern wird es zu ihm nach dem ersten Schlaf
auf einer Leiter von Leinenstricken, die fest gedreht worden sind.
'Alqama sagt:
Von uns stammt der, dem die ganze Erde gehorcht,
der im Ma’rib Paläste ans Marmor gebaut.
Die untern Säulen des Thrones stehen noch bis auf den heu
tigen Tag da. Wenn viele Menschen sich vereinigen würden, um
eine Säule umzustürzen, würden sie es nicht vermögen, weil mau
für jede Säule ein tiefes Loch im harten Stein bohrte, darein
die untere Spitze der Säule steckte und glühend Erz dazwischen
goss. Die Burg der Bilqis wird Salhin genannt. "Alqama sagt:
Wenn du al-Qasib sehen möchtest nach dem (entschwundenen) Glanz,
öde, in Trümmer zusammengesunken
Und die Fürsten von Ma’rib, die dahin gegangen sind,
nachdem sie gar manchen Vertrag geschlossen und gelöst haben...
Er sagt ferner:
Und die Burg Sallün hat vernichtet
des Geschickes Macht, die vernichtende.
Füchse heulen jetzt in seinen Dörfern,
leer sind jetzt seine Wohnstätten.
Der Tobba' sagt:
Ma’rib ist von Marmor umgürtet worden,
sein Dach mit rothem Gold geschmückt.
Es wird auch behauptet, dass Murib und Ma’rib zwei
arabische Stämme sind. 'Alqama sagt:
Siehst du denn nicht — wie alles dem Untergange geweiht ist —
auch Salhin verödet, als ob es nie bewohnt gewesen wäre.
Al-Afwah der ’Audite sagt:
Frage über uns die beiden Stämme Murib und Ma’rib,
deren Hügelland und Ebenen in Rais Hagr liegen.
Ptolemaeus sagt: In der Mitte des ersten Klima liegt
Ma’rib. Die Entfernung zwischen 'Aden Ibjan und Ma’ri b be
trägt 10 Stationen.
Muhamad ibn Chälid sagt: Die Könige pflegten zeit
weilig in Ma’rib und zeitweilig in San'ä zu residiren. Wollten
sie sich (während ihres Aufenthaltes in San'ä) in die Einsamkeit
zurückziehen, so gingen sie nach dem Schlosse Miqläb in Gaiman.
Residirten sie aber in Ma’rib im Schlosse Salhin, so pflegten
Die Burgen und Schlösser Sudarabiens nach dem lklil des Hamdani. II. 961
sie, wenn sie sich zurückziehen wollten, nach al-Mudawwab
in 'Omdän-Ma’rib zu begeben. Hielten sie aber Residenz in Zafär
in der Burg Raidän, so zogen sie sich (im Herbst eines jeden
Jahres) nach ’Adra'a in der Nähe von Hakir zurück.'
Um die Angaben Hamdäni’s zu verstehen, kritisch wür
digen und vervollständigen zu können, müssen wir einerseits
die Beschreibung von Ma’rib bei Arnaud und Halevy und
des ’Adana im Gazirat al-'Arab, andererseits die Inschriften,
welche in und um Ma’rib gesammelt worden sind, vergleichen und
einer genauen Prüfung unterziehen. Ich gebe zu dem Zwecke
einige Auszüge aus dem Berichte Arnaud’s, wie einen Wieder
abdruck seiner Pläne von Ma’rib im verkleinerten Massstabe,
weil man nur mit diesen Plänen in der Hand die Angaben
Hamdäni’s verstehen kann. Auch werden die Inschriften erst
verständlich, wenn man weiss, wo sie angebracht waren. Selbst
Halevy, der an Ort und Stelle war und den lebendigen Ein
druck auf sich hat wirken lassen, hat bei der Erklärung der
Inschriften die Localitäten, wo sie gefunden worden sind,
nicht genügend berücksichtigt. Ich beginne zuerst mit der Be
schreibung des Dammes von Ma’rib, um mich dann nach der
Ringmauer der Stadt und zu dem sogenannten Haram Bilqis
zu wenden. Zum Schluss werde ich versuchen, auf Grundlage
der Inschriften eine Königsliste der sabäischen Herrscher
aufzustellen.
Der Damm von Ma’rib.
Etwa drei Stunden (nach Arnaud: eine Stunde) südwest
lich von Ma’rib, nähern sich die beiden sogenannten Balaqberge,
die letzten östlichen Ausläufer der jemenischen Gebirgskette,
einander auf eine Entfernung von etwa 600 Schritt. Zwischen
diesen beiden Bergen fliesst der Danafluss (’Ädana), der in den
Sommermonaten oft wasserlos ist, während der Regenzeit aber
strömt das Wasser mit einer solchen Heftigkeit heran, dass
der Strom an dieser Stelle durch etwa zwei Monate nicht
passirbar ist. Diesen ’Adanastrom beschreibt Hamdani im
Gazirat-al-'Arab S. 142 ff. also:
,Hierauf folgt ’Adana der östliche Bewässerungsstrom Je
mens; es ist dies das grösste östliche Wadi, wie Maur das grösste
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hfl (51
962
D. H. Müller.
westliche Wadi ist. Die Nebenflüsse, welche der ’Adanastroin auf
nimmt, sind zahlreich. In der Gegend von Ridä' nimmt er die
Gewässer von al-'Arwas (oder 'Arüs) auf und den Ortschaften,
welche der Ridä'i in seinem Pilgergedicht in der Umgebung von
Ridä' aufgezählt hat, ferner von Radmän, Qarn, ’Adana. In
denselben ergiessen sich auch die Gewässer von Basrän und al-
Gubul, die al-Suweiq überragen, und die von der Gegend von
Dimär und dem Lande 'Ans, das ein grosser berühmter District
ist, in dem Bainün und Hakir liegen und all die 'ansitischen
Burgen, die wir im Iklil erwähnt haben, ferner die Gewässer aus
dem Gebiete von Kauman, al-IIada, dem Berge Isbil und
Rugma, den Bergen der Bani-Wäbis von Muräd, den Bergen
der Kudäd, dem Gebiete der Qä'ifa, dem Berge Diqrär, der
den Bani-Mälik von Muräd und den Fugäa gehört, dann aus
dem District Du-Gurra, Jakla, Gaira, Gahrän und Hirrän im
Gebiete von Dimär und den südlichen Abhängen der Beled
Chaulän, ferner was rechts abfliesst von al-Qahf, Rimak und
Müdih. Alle diese Flüsse bilden den Adanastrom, der an
der Stelle des Dammes zwischen den beiden Bergen 1 von
Ma’rib in das Thal ausmündet. Oberhalb des Dammes biegt
ein Theil des Stromes nach Ruhäba ab, dem Palmenorte, und
die Bergströme von al-Suwaik und Ilabnün steigen in den
Thalkessel nieder zu den links liegenden Gefilden — links
für denjenigen, der in der Richtung nach Ma’rib geht — und
bewässern die ,beiden Gärten', das Land der Sabäer, dann
al-fjarga, Huzmat-al-Basrijjin, dann al-Rauda bis zu dem Teich
von Dugal an den Grenzen des Sailiad.'
Um nun einerseits die Stadt vor Ueberschwemmung zu
schützen, andererseits um die Gewässer zum Tränken der
Felder benützen zu können, sind die ebenso zweckmässigen
als grossartigen Dammbauten bei Ma’rib in sehr alter Zeit auf
geführt worden, welche schon dem Propheten imponirten und von
den Muslimen als Weltwunder angestaunt wurden. Arnaud be
schreibt die rechts des Stromes errichteten Dammbauten also: 2
1 Eigentlich: an den (von den Bergen gebildeten) Engpässen
£ - o ^ »ä '—
,^1« tX-wJb
2 Journal Asiatique VII. Serie, tom. 3 (1874), p. 4 ff.
Die Burgen uud Schlösser Südariihiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 963
,Auf dem Abhang des südöstlichen Berges, an der Mün
dung des Danastromes, befinden sich zwei Bauten aus ge
hauenen Quadern, welche noch wohlerhalten sind und sich
auf den Felsen einander gegenüber in der Richtung der Mün
dung erheben. Die Bauten sind massiv und haben die Form
abgestumpfter Kegel (fast cy linderartig), von denen der eine
(A) vollkommen erhalten und durchwegs aus Steinschichten
gebildet ist, während der andere (B) bis zu einer Höhe von
drei Fuss über der Basis des ersten aus dem Felsen gehauen
wurde und gegen oben zu in einen ähnlichen Bau endigte,
wie der gegenüberliegende Kegel. Vom Kegel A, welcher dem
Flussbett näher gelegen ist, geht eine 50 Schritt lange, auf
dem Rücken eines Felsens sich erhebende Mauer in der Rich
tung von NO. aus, deren Plattform die Höhe des massiven
Kegels streift. Dieser Bau diente wahrscheinlich dazu, dem
Wasser, welches durch eine Oeffhung von etwa einem grossen
Schritt zwischen den beiden kegelförmigen Bauten durchdrang,
die Richtung zu geben. Der Durchmesser der Basis dieser
zwei Kegel mag etwa 5 Fuss betragen. Der Kegel B er
reicht nicht die Höhe des andern und scheint im
obern Theile beschädigt zu sein Die Aus
schnitte, die als einander gegenüberliegend in den massiven
Kegeln abgebildet sind, stellen zwei enge Fugen dar, die von
der Basis der Kegel bis zur Plattform reichen und in welchen
auf einem Stufenabsatze Stufen angebracht sind, die mit der
Höhe der Kegel einen spitzen Winkel bilden. Diese Stufen
scheinen die Bestimmung gehabt zu haben, starke Bohlen aufzu
nehmen, welche die Oeffnung zwischen den beiden Kegeln
schlossen, indem man sie während der Ueberschwennnung in
die Fugen einschob. Man konnte sie auch von oben nach unten
entfernen, eine Bohle nach der andern in dem Masse, wie
das Wasser sank, und nach dem Bedürfnisse der Bewässe
rung Zwischen dem Damm C und dem Abhang des
Berges befand sich ein grosser losgelöster Fels, auf dem man
die Ueberreste eines alten Baues bemerkt ‘
Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass in alter Zeit
der Felsen am rechten Ufer des Flusses gesprengt worden ist,
um dem Wasser, das durch aufgehäufte, mit Kiessteinen be
deckte Erde abgedämmt war, einen beliebigen Durchlass zu
964
I). II. Müller.
verschaffen. Dass Ilamdäni unter den ,tauschelföi'migen
Bauten' (as-sadafain) nichts anders als diese Kegel meint, geht
mit Sicherheit daraus hervor, dass er ausdrücklich hervorhebt,
dass sie zum Durchlässen des Wassers dienten, ferner
aber daraus, dass — wie er sagt — ,einer der beiden
muschelförmigen Bauten noch ganz so dasteht, wie er erbaut
worden ist, und dass er so bleiben werde, bis es Gott gefällt,
ihn zu zerstören'. Und thatsächlich fand Arnaud nach acht
hundert Jahren den einen der Kegel noch ganz unbeschädigt,
ganz so wie ihn Hamdäni gesehen.
Von den Bauten links des Flusses sagt Hamdäni: ,Der
Durchbruch hat den Damm weggeschwemmt, aber auch von
diesem ist ein Stück geblieben, das sich an den links des
Dammes liegenden Garten anschliesst und dessen Breite am
untern Theil 15 Kubite beträgt.' Damit stimmt genau die
Angabe Arnaud’s überein: ,Den äussersten Theil des Dammes
(auf der linken Seite des Flusses) bildet der grosse Mauer
damm M, der sich etwa zweihundert Schritt gegen Nordosten
erstreckt, vom Fusse des Berges an gerechnet, wo er fünfzehn
Schritt Breite hat.'
Ilamdäni sagt ferner: ,Der Damm war an die Mauer von
Wätir angelehnt zwischen der sichelförmigen (Bekleidungs
mauer) und den Wasserbehältern aus grossen Steinquadern,
welche durch glühend Erz fest aneinander gefügt worden
sind.' Diese Stelle ist im Text sehr dunkel, möglicherweise
auch defect. Meine Uebersetzung stützt sich auf folgende zwei
Stellen bei Arnaud: ,Die Bekleidungsmauer des Dammes, die
sich au den abgestumpften Kegel B' anlehnt, ist am Ursprung
aus Quadersteinen und an dem krummlinigen Theil aus Mauer
werk erbaut.' Diese Mauer ist, wie man auf dem Plane sieht,
sichelförmig. Ich vermuthe, dass Hamdäni unter dem Worte
’adhad, das ,Sichel' bedeutet, diese Mauer versteht. Zum
Schluss der angeführten Stelle aus Hamdäni ist Arnaud p. 9
a. a. 0. zu vergleichen: ,Etwa 150 Schritt nördlich vom grossen
Deiche M befindet sich ein rechtwinkliges Wasserreservoir,
welches ohne Zwmifel bestimmt war, das aus den beiden nord
westlichen Oeffnungen ausfliessende Wasser aufzunehmen'.
Dagegen sind die Angaben Hamdäni’s über den Erbauer
des Dammes selbstverständlich olpie jeden historischen Werth.
Die Burgen und Schlösser Sudarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 965
Loqmän ibn 'Äd ist eine mythische Person, der man alle
alten Einrichtungen zuschreibt, so unter Anderem die Benen
nung der Monate. Azd ibn ai-Gaut gehört schon der arabischen
Periode an, wie der Artikel al beweist, der im Sabäischen
nicht vorkommt. Dagegen nennen uns die Inschriften den
Erbauer des Dammes ausdrücklich. Wir lesen nämlich auf
dem abgestumpften Kegel B (Fr. XII) am rechten Ufer des
Stromes:
n)i^iosTm°Y3fMhnihtnmh°s? yn
ny ^nrii^xBinr^i^riyHHKYn^i^NyTiTrtCr 1 !
Eine ganz gleiche Inschrift findet sich auf dem Mauerdamm,
der vom Kegel A ausgeht. Ich übersetze diese Inschrift:
,Jata'amar Bajjin (der Herrliche), Sohn des Samah'ali
Janüf (des Erhabenen), Fürst von Saba’, liess den Balaq-
(-berg) durchstechen (und errichtete) den Schleusenbau
tiahab“ als Mittel der leichtern Bewässerung.'
Zur Begründung dieser Uebersetzung muss ich einige
Bemerkungen hinzufügen.
3^5] habe ich ,durchstechen' übersetzt. Diese Wurzel
kommt noch an anderen Stellen der Inschriften vor, und diese
Bedeutung passt auch dort. Wir lesen Hai. 199,1 (4): 1 NBOI hü I
DHHYHIBY3 > von d er Oeffnung, die Du-Hindir hat durch-
-C- w
bohren lassen' (arab. Lw-j = (Jj-ci); f ei ' n ® r daselbst 199, 2 (6):
NhlNI BYSl IX?^® I ) U11C ^ Wasserbehälter, welche Dü-Ganad
hat aushauen lassen'. Etymologisch hängt diese Wurzel mit hebr.
piqü ,durchbohren', arab. ualä? ,heftig bewegen, der Geburt nahe
sein' (d. h. Geburtswehen gewärtigen und empfinden) zusammen. 1
5j<J>']| - | übersetzt Halevy ,Marmor' und thatsächlich bedeutet
es in den Inschriften (z. B. Hai. 465, 5. 439. 485, 5. 451, 2)
eine Steinsorte, wie ja auch im arab. (3 . — ist; dennoch
glaube ich nicht fehlzugehen, wenn ich mit Rücksicht auf die
Localität, wo die Inschrift angebracht ist, hierin den Namen
des Berges Balaq erkenne.
1 Vgl. assyr. machasu, äth. (gegen Hommel, zwei Jagdinschriften.
10) und vielleicht ) - ,schlagen* K tiir V; vgl. jedoch hebr. NHÜ.
966
D. H. Müller.
I SilljOIHHXhS] übersetze ich ,den Schleusenbau Rahab m< .
n-
Die Wurzel (liebr. tH«, arab. cX~J, aeth. h'lU:, syr. H)
kommt in allen semitischen Sprachen vor und bedeutet ,halten,
fassen'; ,ma’chad‘ oder ,mi’chad' ist noineu instrumenti und heisst
z. B. im Arabischen ,Vogelnetz'. Hier bedeutet es die Schleuse,
oder die Vorrichtung, die das Wasser zurückhält. hHXhSl ist
aber determinirt, während das darauffolgende indeterminirt
ist. Es kann also nur der Name des Schleusenbaues sein. Dass
diese Baulichkeit einen besondern Namen hatte, wird nicht
auffallen, wenn man weiss, dass bei den Sabäern und Minäern
jeder Tempel, jeder Thurm und jedes Wachthaus einen eigenen
Namen hatte.
Die letzten zwei Worte L I )r 1 i?lTMS3 lassen eine doppelte
Uebersetzung zu. Mit Rücksicht darauf, dass die Wurzel *ffl-,
in den Inschriften gar nicht vorkommt, nehme ich au, dass
TX* - ! an unserer Stelle = arab. iß oder 12 ist. Beispiele
hiefür, dass sab. ScJ arab. entspricht, sind auch sonst nicht
selten (vgl. z. B. meine himj. Stud. ZDMG. 30, 705). Im
Arabischen bedeutet slsä^o pl. juo ,Rinne, Bewässerungs
kanal'. L ])r 1 iT ist Gegensatz von und bedeutet wie arab.
,links'. Die zwei Worte wären also zu übersetzen: ,an
dem linksseitigen Wasserkanal'. Gegen diese Uebersetzung
lässt sich allerdings die Einwendung erheben, dass der Ka
nal, wenn man die Stromrichtung berücksichtigt, rechts liegt,
nur wenn man annimmt, dass hier rechts und links vom
Standpunkte in Ma’rib gebraucht wird, würde die Bezeichnung
stimmen. Um diesem Einwurf zu begegnen, übersetze ich ,der
leichtern Leitung (Richtung) wegen' (j-wo opp. 3. h.
um die Bewässerung leichter dirigiren zu können.
Auf demselben Mauerdamm C findet sich die Inschrift
Fr. 14:
,Samah'ali Janüf (der Erhabene), Sohn des Damar'ali,
Fürst von Saba’, liess den Balaq(-berg) durchstechen und
errichtete den Schleusenbau Rahab™ zum Zwecke der
leichtern Bewässerung.'
Die Burgen und Schlösser Südarahiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 967
Diese Inschrift ist mit der vorigen identisch, nur ist der
Urheber dieser Inschrift der Vater des Urhebers der vorigen,
woraus wir also schliessen können, dass die Dammbauten am
rechten Ufer von Samah'ali Januf begonnen und von seinem
Sohne Jata'amar Bajjin vollendet worden sind. Dass diese Kö
nige der ältesten Periode der sabäischen Geschichte ange
hören, werden wir später zu beweisen suchen. Die übrigen
Inschriften, welche sich noch auf den Dammbauten des rechten
Ufers finden, sind von geringem Belang; da man jedoch an
nehmen darf, dass diese am rechten Ufer des Flusses, der
Stadt Ma’rib zunächst gelegenen Dammbauten die ältesten Be-
staiidtheile des Dammes bildeten, während die links des Flusses
liegenden Bauten einer spätem Periode angehören, wollen wir
einige der winzigen Fragmente hier verzeichnen, weil sie
einiges Licht auf die älteste Periode verbreiten werden:
Fr. XV: ,Er baute, am Tage da er Opfer darbrachte dem 'Attar vou .. 1
Fr. XVI: ,. . . m, Priester des Almaqah 12
Fr. XVII: ,und er brachte Käueheropfer im Heilpgthum dar . .‘ 3
Fr. XX: ,Ein Weihdenlunal des Dü-Samäwi‘ 4
Fr. XXI: ,. . tm Sirwfili . . . .‘ 5
Also kommen 'Attar, ’Almaqah, Dü-Samawi, dann der Name
der Burg Sirw äh schön in dieser alten Zeit vor.
Wenden wir uns auf die linke Seite des Flusses, so lesen
wir auf dem Kegel A' die Inschrift
Fr. 29: ,Kariba’il Bajjin (der Herrliche), Sohn des Jata'amar, Fürst von
Saba’ baute den Tempel . . .‘ 6
Auf andern Theilen des Dammes:
Fr. 31: ,Damar'ali Dirrih, König von Saba 17
Fr. 33: ,Jada'il Watär (der Grosse). 18
Auf dem grossen Mauerdamm M kommen mehrere Li-
schriften vor, die jedoch zum Theil belanglos, zum Theil un-
1 HM I )XS° I YI1[H] I 3®? I Thfl
3 3X3])Y I °TV® 13
4 T®3rhH 104>[^] HX
5 o|ng®v®|T®)AI^X
6 x]?n i ?h n i hnn i n)rf* i )sh°s? i sn i h?n i ihrorf
1 hnhihmmHmosH
8 l)X®Mh°HTIXH
968
D, H. Müller.
verständlich sind, so z. B. die vierzeilige Inschrift Fr. XL,
wo in der zweiten Zeile in das Wort für Damm SJi
möglicherweise zu erkennen ist. Noch sei bemerkt, dass die
Namen ,Jada'il Watär* Fr. XXXIV und ,Samah'ali JanüP Fr.
XLI Vorkommen.
Die Ringinaner Ton Marib
muss ebenfalls in sehr früher Zeit aufgeführt worden sein;
denn in der Nähe des westlichen Thores liest man (Fr. 46
und 49):
,Jata'amar Bajjin, Sohn des Samah'ali Januf, Fürst von Saba’, baute . . .‘ 1
Die Mauer ist also von demselben Fürsten erbaut worden,
welcher die am rechten Ufer des Stromes liegenden Damm
bauten errichtet hat. Von dem heutigen, innerhalb der Mauer
auf einer Anhöhe liegenden befestigten Dorfe vermuthete
schon Arnaud, dass es an der Stelle des alten Castells liege;
er rühmte den Ausblick, den man von dieser Stelle aus auf
die Dammbauten und die weite, scheinbar von gräberartigen
Bauten iibersäete Ebene hat. Dass die Hauptstadt der Sabäer
auf einer Anhöhe lag, berichten die classischen Schriftsteller
übereinstimmend. 2 Wahrscheinlich hat an der Stelle des jetzigen
Dorfes die Citadelle Salliin gelegen, die Stammburg der
sabäischen Herrscher; allerdings ist heute die Ebene rings um
her öde und baumleer, in alter Zeit muss aber Alles wohlbe
baut und mit Bäumen bestellt gewesen sein, wie aus der an
geführten Stelle des Artemidor zu ersehen ist.
js-
Was den Namen der Stadt Ma’rib (o,Lo, fl?)SL Maptaßa)
betrifft, so verweise ich auf die von J. H. Mordtmann in der
Zeitschrift d. D. M. Gr. XXX, 320 gegebene Zusammenstellung
und versuchte Deutung — die ich jedoch nicht acceptire —
1
2
11 y i Tsn i hrirh i mrf* i oh? i ?1° mn i h?ni)Sh°s?
Artemidor bei Strabo 779: Vj 8k xoli<; itov -laßatwv 7j Maptaßa, xeTtou p.ev ex
opou^ süSsvopou. Agatharchides von Knidus bei Müller Geograph, min. to
oe Ttov 2aßa(cov aaxo tou jcavioi; sQvou; 7rpoarjyopiav orjXouv, etc’ opou? scriiv
ou p.£yaXou, 7toXu xaXXiaiov tcuv xaxa ttjv ’Apaßiav, 6 xaXetxai Saßa?.
Diodor III, 47 (100): Tou o’ eOvou; toutou |j.7]Tpo7UoXts semv $jv xaXoüm
Saßa^ etc’ opou<; ihxiapivTj.
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem llclil des Hamdäni. II, 969
und bemerke noch, dass nach den Angaben der griechischen
Geographen, mit denen die Angabe Hamdäni’s und die In
schriften übereinstimmen, neben Marjab der Name der Stadt
auch Saba’ gewesen zu sein scheint.
Das Haram Bilqis
beschreibt Arnaud also: 1 ,Eine halbe Stunde in Ost-Nord-
Osten von Ma’rib befindet sich ein ellipsenförmiges Gebäude,
welches von den Bewohnern Haram Bilqis, d. h. das Frauen
gemach der Königin von Saba’ genannt wird. Dieses Gebäude
wird etwa einen Umfang von 300 Schritt haben; ich nehme
für die Basis der Berechnung die Grösse der Buchstaben der
Inschrift Nr. 56 an, welche in zwei Reihen den vierten Theil
der Umfassungsmauer des Tempels einnimmt. Es steht einsam
in der Mitte des Flugsandes, welcher sich hier aufgehäuft hat,
und erstreckt sich der Länge nach von Osten nach Westen.
Seine kleine Achse ist fast dem dritten Theile der Längen
achse gleich; an den äussersten Punkten dieser kleinen Achse
sind zwei Thore angebracht, von denen das eine im Norden,
das andere im Süden sich befindet. Eine Hälfte der ellipsen
förmigen Mauer, die östliche, ist an der Aussenseite bis zum Kar-
niess vollkommen gut erhalten, während von der westlichen kaum
der dritte Theil stehen geblieben ist. Inwendig ist die Mauer
beschädigt und der ganze Raum, welcher von dieser Mauer
eingeschlossen ist, mit Sand bedeckt, so dass man nichts darin
sieht, das eine Idee geben könnte von dem, was früher war.
An der äusseren Seite der Mauer bemerkt man fünf Inschriften
en relief, deren Buchstaben je eine Spanne Höhe haben. Es sind
ohne Zweifel viele andere vorhanden, welche unter dem Sand
verborgen sind. Unter den fünf Inschriften, von welchen ich
eben gesprochen habe, habe ich zwei nicht copiren können,
weil sie fast ganz mit Sand bedeckt sind. Links vom nördlichen
Thore dieses Gebäudes, etwa zehn Schritte vom Gebäude ent
fernt, bemerkt man acht viereckige Pfeiler ohne Capitäle, alle
aufrecht stehend, jeder aus einem Stein, auf einer geraden
Linie in der Richtung von Osten nach Westen. Jede der vier
' Journal asiatique a. a. 0. p. 14.
970
D. H. Müller.
Seiten eines jeden Pfeilers mag etwa vier Spannen Breite haben
und eben so viel betrug nach meiner Messung die Entfernung
von einem Pfeiler zum andern. Ich glaube noch andere Pfeiler in
derselben Richtung dem nördlichen Thore gegenüber gesehen
zu haben, aber sie waren fast ganz mit Sand bedeckt. Die
Araber behaupten, dass man in der Nähe von diesem Gebäude
einen Hügel von sehr gut erhaltenen Gebeinen sieht und glauben,
dass diese Gebeine von den Opfern herrühren, welche die Sa
bäer jeden Monat im Tempel mit grossem Pomp darzubringen
pflegten. Dieser Sage gemäss müsste man in dem Haram Bilqis
einen Tempel und nicht ein Frauengemach erkennen; das
arabische Wort ,haram‘ bedeutet bekanntlich einen unverletzlichen
Ort. Weder um den Tempel herum noch in den inwendigen
Ruinen sieht man etwas, was eine Vorstellung von dem geben
könnte, womit das Gebäude bedeckt war. Eine Viertelstunde
vom Haram in 0. S. 0. befinden sich die Pfeiler der Bilqis.
Diese Pfeiler, fünf an der Zahl, jeder aus einem Stein, sind
mit viereckigen Capitälen bedeckt und befinden sich auf einer
geraden Linie in der Richtung von Osten nach Westen. Ich
kann nicht sagen, ob Capitäl und Pfeiler aus einem Stücke
gearbeitet sind. Sie haben dieselbe Grösse wie die, welche
sich neben dem Tempel befinden, und mögen eine Höhe von
28 Spannen haben. Die Entfernung, die sie von einander
trennt, ist ihrer Breite gleich. Zwei Quadersteine, von denen
der eine aufrecht, der andere umgestürzt ist, bilden die Fort
setzung der Pfeilerreihe der Bilqis. Sie sind mit Inschriften
bedeckt, welche mit Ausnahme einer einzigen, die mir unles
bar zu sein schien, copirt worden sind/
Die drei Inschriften, die sich auf dem Haram finden,
lauten in Uebersetzung.
Fr. 54:
,Kariba’il Watär Juhan'im, König von Saba’ und
Raidän, Sohn des Damar'ali Bajjin, und Halalc’amir,
Sohn des Kariba’il, stellten dem ’Almaqah das verfallene
Mauerwerk 1 wieder her zum Heile der Burg Salhin
und der Stadt Ma’rib/
’ Die Worte: IHr^lMflHIXIXITSNTV sind verschieden erklärt
worden. Dass fl®"! zu lesen ist für Hn®1 hat Halevy mit Kecht
Die Burgen und Schlösser Süditrahians nach dem Itlil des Hamdani. II. 971
Fr. 55:
,Ilsarh, Sohn des' Samah'ali Dirrih, König von
Saba’, weihte dem ’Almaqah die ganze Mauerfüllung
(Mauerbekleidung?) der Umfassungsmauer der Stelen 1
bis zu den Consolen und alle Wölbungen und Thürme
oberhalb dieses L i°‘j’YSl, weil ’Almaqah erhört hat den
Ilsarh in Folge seiner Bitte, indem ’Almaqah ihm
gewährt hat und gewähren wird das, was er sich wünscht.
Zu Ehren des 'Attar und Haubas und ’Almaqah und
der Dät-iSimaj" und Dät-Ba'dän 11 ' und seines Vaters
Samah'ali Dirrih und seines Bruders Kariba’il/
Fr. 56:
Tobba'karib, der Priester der Dät-Gadrän, der
Vasal des Sahar und Vasal des Jada'il Bajjin und des
Jakrubmalik Watär und des Jata'amar Bajjin, der Sohn
des Damarjada', Sohn des Madmar’", weihte dem ’Al
maqah die ganze Mauerausfüllung (Bekleidung?) der
Umfassungsmauer der Stelen 1 bis zu den Consolen und
alle Wölbungen und Thürme dieses H°?YSl unc ^ seine
Söhne Damarjada' und Samüh’amar und alle seine
Kinder und Sklaven und seinen ganzen Besitz, be
bemerkt (E. S. 231); ebenso stebt fest, dass X) X in X1X corrigirt
werden muss, worauf J. H. Mordtmann in der Zeitschrift d. D. M. G. 33,
492 aufmerksam gemacht hat. Die Uebersetzung von H fl l durch
,Steinplatten 1 (,dalies 1 Halevy) ist nicht zulässig. Gerade die von Halevy
ungezogene Stelle 455, 3 spricht dagegen. Die Stelle lautet:
h®i ■ • • • i xh/isn i mxM i irf i r\m°h® i ?n°®
ihX L i^^iTXix®ixn[H]°x®i?n)A^®i^^in®i^a°ihn®in
,und er führte auf (^A.ä) und stellte her alles was schadhaft war (liebr.
bsn, aram. Vs* und arab. Jl^) an dem Sitze des Patrones... durch
hn® ”| von Holz und Marmor*, | | CD | kann also nicht ,Steinplatten*,
sondern ,Mauerwerk* heissen. Was die Wurzel X*lX betrifft, so muss
sie synonym mit nt=i° sein, wie aus H. 485, 5 und 534, 7 hervorgeht.
Die Wurzel fl M ° wird häufig mit rh18 und g>|Y verbunden. Wir
dürfen also X1X a ' s synonymes Wort von ÜH 0 ) und 8>)'f be
trachten. Die Bedeutung und Etymologie von jfnH ist dunkel; ich
schlage bis auf Weiteres ,Baufälliges 1 vor.
1 Oder: ,aus Steinschichten 1 .
972
B. H. Müller.
stehend in einer Menge feinen Goldes in Barren und
Münzen (?)... und 'Anama . . .
Saba’ und ’As'äbän und alle Männer, die man
nach der Stadt Tuhargib hinunterziehen liess in jedem
Jahre.... oberhalb von Saba’ und ’As'äbän. Und es
kamen bis Marjab in Frieden (oder: im Monate ^j^)
Saba’ und Katabän. Und es sagte ihm Dank Jata'amar
Bajjin und Saba’. Zu Ehren von 'Attar und Haubis
und ’Almaqah und Dat-Himaj“ und Dat-Ba'dän m und
Däl-Gadrän und Jada'il Bajjin und Jakrubmalik Watär
und Jata'amir Bajjin und Kariba’il Watär und von seinem
Vater Damarjada', Sohn des MadmarT
Es ist wohl kein Zweifel, dass das Haram-Bilqis ein alter
Tempel ist, in dem die Stelen mit den Weihinschriften an die
Götter aufgestellt waren. Die ellipsenförmige Mauer scheint
bei Tempelbauten beliebt gewesen zu sein; denn auch in
Sirwäh hatte der ’Almaqahtempel, welcher schon in sehr alter
Zeit lange vor dem Haram Bilqis erbaut worden ist, eine ovale
Form (vgl. Fr. IX und X). Auch dieser Tempel bei Ma’rib
war, wie aus den angeführten Inschriften hervorgeht, dem
’Almaqah geweiht. Die arabischen Archäologen aber identi-
iicirten Bilqis mit ’Almaqah und machten aus dem Tempel
(hSDTSl mahram) des ’Almaqah ein Frauengemach (Haram)
der Bilqis. Am Instructivsten liiefür ist die Stelle bei Bekri,
Geogr. Wörterbuch (ed. Wüstenfeld) S. 855, die also lautet: 1
,Jalmaqah gehört zu den Festungswerken der Genien, die zur
Lg-Ubo ^Ul |*J Jjl A+ij dUÄAj [V£
C3 ^
»Ai ^5*3 o._äj
1 kä+dj (ji,jy! Jsaas^a«
£ äy^J! üy&j JU’j
j+äJI
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II.
973
Zeit des Königs Salomo erbaut worden sind; ebenso Salhin,
Bainün und Gomdän, deren Gleichen nicht gesehen wurde. Die
Aethiopen zerstörten sie als sie Jemen eroberten. Man sagt
auch 7 dieser Ort sei Jalmaqah genannt worden, nach dem Na
men der Bilqis, der Tochter des Haddäd du-Sarh ibn Sarah-
bil ibn Harit ar-Rä'fs, der Gattin des Salomo; denn ihr Name
war Jalmaqah. Al-Haindäni aber sagt, dass Jalmaqah den
Venusstern bezeichne, weil der Name der Venus in der
Sprache der llimjar Jalmaqah oder ’Almaq (leuchtend) lautet;
der Name des Mondes ist Habjas (lies: Haibas)/ Von der
Voraussetzung ausgehend, dass alle wunderbaren Bauten Je
mens durch die dem König Salomo unterthanen Genien auf
geführt worden sind, zögerten die südarabischen Genealogen,
denen das häufige Vorkommen des Namens ’Almaqah in den
Inschriften auffallen musste, nicht, denselben mit der Bilqis zu
identificiren, der zu Ehren Salomo die Schlösser erbauen Hess.
Es ist gewiss kein Zufall, dass der Grossvater der Bilqis
Du-Sarh heisst und der Erbauer des ’Almaqahtempels den
Namen Ilsarh 'f)^'lr L i führt; auch ist die Bilqis nach Neswän
eine Urenkelin des Dü-Sahar (^.^ ^5) und Sahar JfJi
kommt in der angeführten Inschrift, Fr. 55, 1 vor. Die beiden
Formen ,’Almaq' und ,Jalmaqah' sind ersichtlich aus ,’Almaqah'
entstanden und beide sind Versuche dem Wort ein arabisches
^ ^ G'' **' -r ^ G --
Gepräge zu geben (ek*il oder iLLxaj, wie Von ganz
besonderer Wichtigkeit sind die von IJamdäni angeführten
Worte; sie scheinen mir geeignet einiges Licht auf die Götter
geschichte der Sabäer zu werfen, wenn man sie in Zusammen
hang mit den Inschriften betrachtet. Indem Hamdäni ’Alma
qah y^'| ^ durch Venus (Syoj) erklärt, hat er das Richtige
getroffen; denn beide Wurzeln (3+-* und heissen im Semi
tischen ,leuchten, glänzen'. Der Umstand, dass ’Almaqah masc.,
während Zuharah fern, ist, spricht nicht gegen die Identificirung,
da ja auch Lucifer und houocpcc masculina sind. Bedenkt man,
dass ’Almaqah eine ausschliesslich sabäische Gottheit ist, die
bei den Minäern nicht vorkommt, und dass alle Weihungen bei
den letzteren dem 'Attar dargebracht wurden; bedenkt man
ferner, dass selbst in den Inschriften der Tempel des Almaqah
974
D. H. Müller.
in Sirwäh und Ma’rib 'Attar vor ’Almaqah genannt wird: so
wird man nicht umhin können, in ’Almaqah die sabäische
Form des 'Attar zu erkennen, neben der auch die ursprüng
liche beibehalten worden ist. Hierin liegt aber wieder eine
Bestätigung der Auffassung des Hamdäni, da auch die ,Istar'
bei den Assyrern und nicht minder die hebr.-phöniz. rfljWJ?
als die Göttin des auf- und untergehenden Venussterns
gedacht ist (vgl. Schräder, Z. M. G. XXVII, 403). Auch die
weitere Notiz Hamdäni’s ist wichtig: ,und der Name des Mondes
ist Habjas'. Es kann kein Zweifel sein, dass ,Hajbas' anstatt
Habjas zu lesen und mit dem Gotte ,Haubas' r L i( _ |®Y der In-
sclmften zu identificiren ist. Auch hier bestrebte man sieh
die Form ,Haubas' in die den Arabern geläufigere um
zuwandeln. Diese Gottheit ist ebenfalls nur den Sabäern, nicht
aber den Minäern eigenthiimlich. Sie wird grossentheils neben
'Attar erwähnt. Dagegen finden wir in einer Inschrift aus
Hadramaut, die im minäischen Dialect abgefasst ist (B. M.
6, 5), neben 'Attar die Gottheit Sin (HYrH)- Man darf also auch
in ,Haubas' die sabäische Form des Sin, des Mondgottes er
kennen. Der etymologische Zusammenhang bleibt mir dunkel;
denn vorauszusetzen, dass die Sabäer schon von dem Ein
flüsse des Mondes auf die Ebbe und Fluth wussten und r L ifl®Y
,der Trockner' heisst, wäre doch zu gewagt. Der ’Almaqah-
Cultus scheint eng mit der politischen Hegemonie der Sabäer
Zusammenhängen, daher die ganz besondere Pflege desselben
von Seite der sabäischen Könige. In der ältesten Zeit muss
jedoch der Cultus des 'Attar so mächtig gewesen sein, dass
diese es nicht wagen durften, den ’Almaqah an die Spitze ihres
Pantheons zu setzen; erst in jüngeren Inschriften, die der
dritten Periode der sabäischen Geschichte angehören, wird
’Almaqah allein angerufen.
Das Haram-Bilqis wird in den Inschriften Fr. 55 und 56
MHI'N h°?Y3 genannt, das bis jetzt verschiedenfach erklärt
worden ist. Praetorius hat es mit arab. verglichen und
,breite Strasse' übersetzt. Halevy übersetzt das Wort durch Was
serbehälter' und vergleicht die Wurzel ,schmelzen, fliessen'.
Diese Erklärung hatte viel Wahrscheinlichkeit für sich und ist
Die Burgen und Schlösser Südanibiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 975
aus Mangel einer bessern von Prideaux, Mordtmann und mir
acceptirt worden. Indessen wollte mir schon längst diese Erklä
rung nicht einleuchten, da in dem Bau des Haram Bilqis keine
Spur eines Wasserbehälters sich findet und auch die von Halevy
daran geknüpfte Vermuthung, dass die Sabäer, wie die Juden,
ein ,Fest der Wasserspende' (D’ün Hfl) hatten, nicht weiter
bewiesen werden kann. Nun kommt von ganz unerwarteter
Seite eine Aufklärung über die Bedeutung dieses Wortes. Ich
erhielt nämlich vor längerer Zeit (17. August 1879) von Herrn
Major Prideaux einen Brief, worin er mir unter Anderem Fol
gendes mittheilte: ,In passing through Aden I obtained two
censers made of burnt clay on one
of which was tlie inscription [Dh'r’l^rn^ful'^EllHh)
and on the other [Or 1 i < ! > I 3°h I flYH I Nh)
Eine genaue Prüfung dieser winzigen Inschriften ergab
mir, dass sie nicht nur an und für sich höchst werthvoll sind,
sondern auch in mancher Beziehung neues Licht verbreiten
über einige dunkle oder missverstandene Stellen in den schon
publicirten sabäischen Denkmälern. Es ist nämlich kein Zwei
fel, dass wir hier lauter Namen von Räucherspecereien vor uns
haben, die in den Räucherfässern verbrannt zu werden pflegten:
>14) = arab. Jöj, das von den Lexicographen also erklärt
wird: u*)M. <3»jiJI. kjoLd! ^ ^ Ai^JI
SS Ox- 9 w w «I ^
lA3> oyül t^w L+j^ Jü> ä.j
(j—SH Aj Jl jAj (aloes). Forskal, Flor. Aeg. Arab. CXIX, erklärt
AA durch Artemisia pontica. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn
o
ich A3) für eine Transposition von hebr. *7 “13, griech. väpooc an
sehe. Letzteres ist ein wohlriechendes Bartgras, welches in
Indien vorkommt, woher auch der Name stammt (sansk. narada).
976
D. H. Müller.
®)B = , das nach den arabischen Lexicographen
den ,Kamkämbaum‘ bezeichnet, nach Gauliari auch das Harz
dieses Baumes A; ^ IL+Üt 'iy& Loj?
r LCXJI- Damit ist sicher hebr. , *11£, ein aus Harz bereiteter
Balsam, zu vergleichen. Die Wurzel ^yö bedeutet eigentlich
,fliessen'.
= flXl+5^ welches die arabischen Lexica erklären:
0 O
Ovi' »I ktLLc j»LC*.Xi! ,Kamkäm bedeutet das Harz
oder die Rinde des Dirwbaumesk Damit identisch ist sanskrit
kankom, griech. y.ä-f/.ap.ov, ein orientalisches Baumharz zum
Räuchern und in der Medicin gebräuchlich. 1 Im Hebr. heisst
es 03*15> das ein wohlriechendes Gewürz ist und wie auf
unserer Inschrift so auch im hohen Lied 4, 14 neben der
Narde erwähnt wird: ruüb t; 53 dj? poapn nag D5*i3] tij
D'Oir? ■’v'xn 5s Üj? nibnsi “10 ,Narde und Kamkam (karkomj,
Würzrohr und Zimmet sammt allen Weihrauchbäumen, Myrrhe
und Aloe nebst den edelsten Wohlgerüchen'. Bei Plinius
12, 98 wird, wenn unsere Vermuthung richtig ist, Kankäm
neben Dirw erwähnt: Ex confinio casiae (ny’ifip) cinnamique
(J103p) et cancamum (D3“13 ^LXlIs') ac tarum (=
invehitur. Sonst wird D3“13 mit crocus zusammengestellt.
(XIr 1 !<{> — Jom.3, das von Neswän s. v. erklärt wird:
c p u „ ,
udAjül Aehnlich Plinius 12, 41: Radix costi gustu
fervens odore eximio frutice alias inutili duo ejus genera
nigrum et quod melius candicans. Dass man das Cost zur Be
reitung der Narden verwendet hat, sagt Plinius ausdrücklich
13, 15; dass es zum Räuchern gebraucht wird 22, 118: Odorum
causa unguentorum et deliciarum, si placet, etiam supersti-
1 Vgl. Dioscorides I, 23: Cancamum est arboris Arabicae lachryma, myrf-
ham quadantenus referrens, virosi gustus: qua quidem tanquam suffimento
utuntur. Ea qiibque vestes additis myrrlia et styrace suffimigantur. Dass
Cancam mit Myrrhe und Styrax vermischt zu werden pflegten, gebt
auch aus den weiter anzuführenden Stellen hervor.
Die Burgen und Schlosser Südarabieus nach dem 1 kl 11 des Hamdäni. 11. 977
ionis gratia emantur, quoniam ture supplicamus et costo. Vgl.
auch Dioscorides I, 15.
Was die beiden Worte flVN und hier bedeuten,
ob sie vielleicht auch Namen von Gewürzen sind, lasse ich
vorderhand dahingestellt. Bevor ich aber zur Erklärung der
hierher gehörigen Inschriften schreite, möchte ich noch auf
eine merkwürdige Stelle im Talmud hinweisen, die von der
Zusammensetzung der Räucherwerke bei den Juden handelt.
Ker. 6" und Jer. Jom. IV, 41 a :
.ruübm -ru^nm -ps^ni ,p$-t p )bn) m in püD nirji iruo
,cö-pi nSsp npicpi -iö ,ruö D^snir a'jntr Spra
... iwn pöjpi nirbir naPpi ntrs? d'w tjtppn -n:ö iirp nirtr
,Eilf Arten von Specereien waren darin (in den fpltöj?), und
zwar Harz und Galbanum und Weihrauch zu je 70 Manä,
Myrrhe, Kassia, Nardosrohr und Karkom je 16 Mäna,
K o s t o s 12 und die Schale derselben 3 Mäna, Zimmt 9 Mäna.’
Wir finden also unter den 11 Gewürzen die vier wieder,
welche auf unseren Räucherfässern verzeichnet sind.
Wir lesen Hai. 267: ®)B I Hh) 11hl1 ?[D-
Zu dieser Inschrift bemerkt Ilalevy: Une ligne tracee
sur trois cötes d’un creuset de pierre. Dieser ausgehöhlte
Stein, der im Besitz eines Juden in al-Ghail sich befindet, ist
nichts anderes als ein Räucherfass. und ®)B kennen wir;
zu erklären bleibt nur 'IhllTQ]- Die Wurzel flTQ] kommt häu
fig in den Inschriften vor, so Fr. 11, öfters H. 154, 13. 188,
2. 4. 210, 6 und hängt mit hebr. - arain. 31tö, arab.
zusammen. Der Ausdruck entspricht etwa dem hebr. bei
Opfern gebräuchlichen IHItS IW? IV“1 ,ein wohlgefälliger Ge
ruch für den Herrn'. Wahrscheinlich steht übrigens auf dem
Räucherfass 1hin?Q] für 'IrhllTO] der Halevy’schen Copie.
British Museum 29 (Os. 30) ist eine Inschrift auf einem
Altar von weissem Marmor, -welcher bei Abjan in der Nähe
von 'Aden gefunden wurde; derselbe ist 2 Fuss 2 Zoll lang,
11 Zoll breit und 5 Zoll hoch. Die Inschrift lautet:
>l1rn®lh^1r i ]^l)XHThWIT1°Y^r l ili>in°hn>lhniX^f
NY® I ?®& I X4N& I &Y?° I B(®r J Yr J I ®£YT° I ^nrXH IY^HTXI N
i)xs°ni)Y?
«rw&tY
SiUnngsber. d. phil.-hist. CI. XCVII. Bd. III. Hft.
62
978
D. II. Müller.
,Ham'att, Sohn des Wasbän, Diener des Samah'ali,
weihte dem 'Attar dieses Dankgeschenk und alle seine
Kinder, am Tage da er vorgesetzt worden ist (d. h.
die Oberaufsicht erhalten hat) über die MHT von
Dirw und die MHT von QBLTN, als eine Weihung
des ('Attar) von Jahar. Zu Ehren des 'Attar und
’Almaqah.'
Durch die Verbindung des Wortes o'j’y^ mit dem
Namen des Räuchergewürzes ©)0 ist evident, dass
°?Y3 nur Räuchergefäss, Räucher-Altar oder -Tempel
bedeuten kann. Das Wort HXTü'{’ bezeichnet möglicher
Weise auch eine Räucherspecies.
Zu der Uebersetzung dieser Inschrift muss ich noch
einige Worte der Begründung hinzufügen. Halevy hält
für einen gebrochenen Plural von £jjY] und übersetzt Votiv
stein, ebenso Prätorius: ,Opferstein'. Abgesehen davon, dass
eine Form nie gebrochener Plural von einer Form
sein kann, darf man H^jjrhSI schon desswegen nicht ,Votiv
stein' übersetzen, weil Reh. 10, 1, 3 die Rede ist von einem
I HflVHN I einem ,Maslamän aus Gold'. Desswegen über
setze ich L i5|''] r L |S3 mit Osiander ,Dankgeschenk' (vgl. hebräisch
D’Ü^u?) und glaube, dass es sich auf den Altar selbst bezieht.
SIM'I’X I 3®T übersetzt Halevy ,le jour oü il a tcrmine';
ebenso Mordtmann (Z. D. M. G. XXX, 29). Da jedoch $|t>K’X)
wie aus allen uns vorliegenden Stellen hervorgeht, V. Form
von ^N'r’ = [»tXäj ist, so glaube ich nicht, dass man hierfür
die Bedeutung ,vollenden', die übrigens an den wenigsten
Stellen passt, annehmen darf.
| ©Y>|'1® 11iu® hielt Osiander für einen Nominativ; Prä
torius und Halevy drücken sich so dunkel aus, dass man nicht
weiss, wofür sie es halten. Ich halte es entschieden für einen
Accusativ. Nach meiner Auffassung ist hier der Weihende
ein Priester, der, indem er sein Amt antrat, sich selbst und
seine Kinder dem Gotte weihte. In gleicher Weise sehen wir
in der oben S. 971 übersetzten Inschrift (Fr. 56), dass der
Priester ®<:) der Dat-Gadrän seine Söhne und den ganzen
Besitz den Göttern weihte. Noch deutlicher tritt diese That-
Die Burgen und Schlosser Sndarabiens nach dom Ilrlil des Hamdäni. II.
979
Sache uns entgegen in der Inschrift Prid. III, die ich hier in
Uebersetzung mittheile:
Mu'ähir, Sohn des Nähid, Sohn des Dahr m , Diener des
Ta’lab, des Herrn von Tar'at, weihte dem Ta’lab [von] Rijäm,
dem Barmherzigen, sicli selbst und seine Söhne Aus’il und
Hafn m und alle seine Kinder und seinen ganzen Besitz, am
Tage, da er vorgesetzt worden der Ueberwaclmng (?) von
Ka'ran und den Räucheraltären (o f y Jj) der Burg Rahabf’ilJ
und den Weihdenkmälern von Nuwäs und allen Räucheraltären
(°TYS1)> [die gestiftet worden sind| dem Ta’lab ... 1
Nachdem nun die Bedeutung des Wortes o'j’y^ mit
Sicherheit erschlossen worden ist, werde ich im Folgenden die
meisten Inschriften zusammenstellen, in denen die Wurzel o'j’Y
vorkommt.
In Sirwäh findet sich auf einer alten ellipsenförmigen
Tempelmauer folgende Inschrift (Fr. IX = H. 50):
mix?nihhiihn^m)ry3m[°y^i4niy)]Hiih°N?iYH
i3m®mhHi3®iiirtixft®y®iHhxmi3X3)Yi°Yi3®TiY‘[
m®i3?3Y i xHin®m3ihin®i)xs°nm3Y®mnym®
Um ein genaues Verständniss dieser Inschrift zu ermög
lichen, führe ich hier eine ähnliche Tempelinschrift, die in
El-Mihyar bei Ma'in sich findet. Hai. 257:
ix?ni^oA)is>iyr j i®iTHnih^ifii^i°NTnhisni'[NAin)^iy
)IHX?niNS>l*Bn$m)XS°
mnY®m?>mhni3n°^hixihihiif>iho*i)xs°im
m^y®
Beide sind Tempelbauinschriften, von denen die eine
von einem sabäischen, die andere von einem ma'inischen Kö
nige gesetzt worden ist. Dem Worte der ersten entspricht
SNTr^lTHn der zweiten. In Saba’ wird ein ,Tempel des
’AlmaqalT Y'i’SlIh I XTÜ» in Ma'in ,Rasaf, der Tempel des
Attar von Qabd m “ erbaut. Dem dunkeln Worte XA®Y® ent '
spricht das bekannte o|g)© ,richten, ordnen, in den Schutz
stellen“. Dem |3®“||1 entspricht | ^[1° I X1h1 h 1»alle
Götter der Stämme“, so dass man 3®11 1fn »die ganze Corpo-
Vad. zu dieser lusclirift Mordtmann, Zeitschrift d. D. M. G. XXX, S. 31 ff.
62*
l
980
D. ir. Müller.
ration' übersetzen darf. Die Worte 3)?lY®l$linY scheinen auch
bestimmte Classen von Gottheiten zu bezeichnen.
Darnach ist Fr. IX zu übersetzen:
jJadVil D[irrih, Sohn des Samah'ajli ’, Fürst von
Saba’ umgab den Tempel des ’Almaqah mit einer
Mauer, am Tage da er Räucheropfer darbrachte drei...
und er stellte (den Tempel) in den Schutz 2 der ganzen
Corporation (der Götter bestehend aus) II und Sajüm
und HBL und HMR zu Ehren des 'Attar und des
’Almaqah und der Dät-Himaj m und des 'Attar als
Patron.
Ferner lesen wir Reh. X, 1—6:
nmHnvHHmdirMa
i H?n? i dH«}*
ür^NN i °o?an I HO
Tn IHX°TYQ I HlrS
mihxixA®an
,Er weihte] ein Dankgeschenk aus Gold vor
Jabin und ein Dankgeschenk in Maifa' aus Gold, und
Mu'ähir wurde vorgesetzt diesen Räucheraltären 3 auf
Anordnung des Ta’labJ
Ich glaube, dass man nach dieser Auseinandersetzung
das Wort Iqo'j’Y^j ' n den Inschriften des Haram-Bilqis (oben
S. 973) ,RaucheraltaF oder ,Räuchertempel' wird übersetzen
müssen, und will hier nur noch versuchen, eine passende Ety
mologie des Wortes zu geben. Im Arabischen bedeutet
1 Die Ergänzung des Königsuamens wird trotz der Uebereinstimmung der
Copien Arnaud’s und Italevy’s durch Fr. X, die sich auf demselben
Baue befindet, mit Sicherheit an die Hand gegeben. Man muss sich nur
darüber wundern, dass diese schon von Ewald vorgeschlagene Emen-
dat-ion nicht längst als die einzig richtige erkannt worden ist.
2 Ich war geneigt Xr)®Y® durch ,anzünden“ (nämlich: Rauchwerke wie
hebr. zu übersetzen; etymologisch würde dann das Wort mit
hebr. fl’JflH und D'Jiri ,anzünden“ Zusammenhängen. Wegen des
parallelen i>( £) glaube ich jedocli diese Erklärung aufgeben zu inüsseu.
Xl^oY kommt noch vor Ilal. 51. 11.
3 HX°?Y3 = s^l^!.
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 981
,schmelzen* (von Blei z. B.), gLgjj. ,sioli verflüchtigen' (vom
Wüstennebel); im Sabäischen wird diese Wurzel für das
Schmelzen der Räucheringredienzien und das Zerfliessen der
selben in Rauch angewendet. In gleicher Weise bedeutet die
Wurzel im Arabischen giessen', yh:i heisst geschmolzenes
Erz', während im Hebräischen “ItSp ,Räucherwerke anzünden'
bedeutet. In den sabäischen Inschriften kommt übrigens an
einer Stelle L-ODNSI im Sinne von >Räucheraltar' oder
,Räucherwerk' vor. Reh. XI, 6—10:
a®iax®xhNiHX?n®
mx®xhinH
,Und den Tempel in ’ltwat 1,1 und Räucherwerk
in Raid-Ka'rän und den Weihrauch (hebr. naüb) und
die Ehrenbezeugungen und Räucherwerke von Ttwat'".'
So ist durch die richtige Deutung eines Wortes die
auffallende und befremdende Erscheinung beseitigt worden,
dass in den Inschriften des Gewürzlandes so wenig der Räucher
opfer gedacht werde.
Die sabäischen Königslisten.
Die Verzeichnisse der himjarischen Könige bei den ara
bischen Historikern sind von sehr geringem Werth, man kann
höchstens einige alte Namen in ihnen wieder erkennen, die
von den Genealogen aus den Inschriften in ihre Listen auf
genommen worden sind; aber weder die meisten Königsnamen
noch auch deren Reihenfolge können auf historische Glaubwür
digkeit Anspruch machen. Wenn die von den arabischen Ge
schichtsschreibern aufgezählten Könige überhaupt historische
Persönlichkeiten sind, so haben sie in ziemlich später Zeit,
vielleicht kurz vor dem Auftreten des Islam regiert und waren
wahrscheinlich Fürsten von geringer Bedeutung, welche die
Sage in die alte Zeit zurückversetzt und ihnen grosse Thaten
zugeschrieben hat.
982
D. H. Müller.
Genaue Königslisten der sabäischen Herrscher lassen sich
nur auf Grundlage der Inschriften zusammenstellen, was jedoch
verschiedener Schwierigkeiten wegen bis jetzt nicht oder ohne
Erfolg versucht worden ist. Die lüste der sabäischen Könige,
welche wir hier folgen lassen, sowie die der Könige von Ma'iu,
die weiter unten angefügt ist, werden erst recht zeigen, wie ganz
werthlos die alten Listen sind. Es wird aber gut sein, schon
jetzt auf einige Eigenarten dieser Listen hinzuweisen, weil sie
uns für die weitere Forschung beachtenswerthe Winke geben:
1. Sowohl bei den sabäischen, als auch den ma'in’schen
Königen und, so weit es sich beobachten lässt, bei den Köni
gen der kleinen Territorien, wiederholen sich gewisse Namen,
woraus man auf das Vorhandensein regierender Dynastien
unisoeher schliessen darf, als sich ja auch verwandtschaftliche
Beziehungen der Könige unter einander feststellen lassen.
2. Die meisten Könige führen Epitheta ornantia, die
sich auch häufig wiederholen.
3. Sowohl die Namen, als auch die Epitheta der Könige
des einen Reiches unterscheiden sich von deneu des andern
Reiches.
Nachdem ich dies vorausgeschickt, lasse ich hier zunächst
ein Verzeichniss der sabäischen Könige folgen, die sich in
Inschriften und auf Münzen finden:
A. Könige mit Namen Ilsarh lO^jrY
1) Ilsarh, Sohn des Samah'ali Dirrih, König von Saba’
(Fr. 55, 1).
2) Ilsarh Jahdib, Sohn des Fara'"‘ Janliub, König von
Saba’ und Raidän (Os. 35, 5 = BM. 33).
B. Könige mit Namen Damar'ali j 1 jo)<j|4
1) Damar'ali, Fürst (Mukrab) von Saba, Vater des Kariba’il
Watär, Samah'ali Janüf und vielleicht des Jada'il (Fr. 11,
1 und Fr. 14 = H. 673. 674. Vgl. auch fl. 61).
2) Damar'ali Watär (der Grosse), [Sohn des Kariba’il] H. 349.
3) Damar'ali Bajjin (der Ausgezeichnete), Vater des Kariba’il
Watär Juhan'im, König von Saba’ und Raidän (Fr. 54).
4) Damar'ali Dirrih (der Herrliche), König von Saba’ und
Raidän, Sohn des Karfiba’il Watär Juhan'im] Prid.
Die Durgen uud Schlösser Südarahieus ueeli dem Iklil dos Hamdän!. II- 983
C. Könige mit Namen Jada'ii 'jh° I> IT-
1) Jada'ii Dirrih (der Herrliche), Sohn des Samah'ali,
Fürst (Mukrab) von Saba’, Vater des Samah'ali Janüf.
Fr. 10, 1. 9, 1 (= II. 50); 4 (= H. 55); 8 (= II. 54);
H. 50. 00. 338. 339 ■ und des Jata'amar Watär (H. 020.
027).
2) Jada'ii Baj j in (der Ausgezeichnete), Sohn des Jata'amar,
Fürst (Mukrab) von Saba’ (II. 280 ff.).
3) Jada'ii Bajjin (der Ausgezeichnete), König von Saba’,
Sohn des Kariba’il Watär, des Königs von Saba’. II. 51,
11—12. Fr. 50; nicht näher bestimmt: H. 348 und 170, 5.
4) Jada'ii Watär, Kö[nig von Saba’]. Fr. 33. 34 = Hai.
042. 071.
5) Jada'ii, Sohn des Damar'ali (welcher?) H. 01. Nicht
näher bestimmt kommt Jada'ii vor: II. 030, 3. 031, 9.
032, 0.
D. Könige mit Namen Jata'amar
1) Jata'amar, Fürst (Mukrab) von Saba’, Vater des Kariba’il
Bajjin (Fr. 29. 11. 52. 352, 1—2. 072).
2) Jata'amar Bajjin (der Ausgezeichnete), Sohn des Sa
mah'ali Janüf, Fürst (Mukrab) von Saba’. Fr. 12.13. 40. 49.
3) Jata'amar Watär (der Grosse), Fürst (Mukrab) von
Saba’, Sohn des Jada'ii Dirrih (II. 020. 027), Vater des
Jada'ii Bajjin. 11. 280 ff.
4) Jata'amar Watär (der Grosse), Sohn des Samah'ali (Fürst
von Saba’). Prid. 14, 1.
5) Jata'amar Bajjin [Sohn des Kariba’il Watär, des Königs
von Saba’]. Fr. 50.
E. Könige mit Namen Kariba’il IhlDfi-
1) Kariba’il Bajjin (der Ausgezeichnete), Sohn des Jata'amar,
Fürst (Mukrab) von Saba’. Fr. 29. II. 52. 352, 1. 072.
2) Kariba’il Watär (der Grosse), Sohn des Damar'ali, Fürst
(Mukrab) von Saba’. Fr. 11, 1. Vgl. II. 349, 1 3.
3) Kariba’il Watär, König von Saba’, Vater des Jada'ii
Bajjin, des Königs von Saba’. H. 51, 11. Fr. 50.
4) Kariba’il Watär Juhan'im (der Wohlthäter), König
von Saba’ und liaidän, Sohn des Damar'ali Bajjin.
Fr. 54 und Münzen im Besitz des Majors Prideaux.
984
D. H. Müller.
5) Kariba’il, Sohn des Samah'ali Dirrih, des Königs von Saba’
(Bruder des Ilsarh). Fr. 55.
F. Könige mit Namen Samah'ali < j l '|°Y51r 1 i-
1) Samah'ali Januf (der Erhabene), Sohn des Damar'ali,
Fürst (Mukrab) von Saba’. Fr. 14 = H. 673. 674; Vater
des Jata'amar Bajjin. Fr. 12. 13. 46. 49.
2) Samah'ali Januf, Sohn des Jada'il Dirrih, Fürst
(Mukrab) von Saba’. H. 338. 339.
3) Samah'ali Januf, Sohn des Jata'amar Fürst (Mukrab)
von Saba’. H. 45. Vgl. Fr. 29.'
4) Samah'ali, Vater des Jada'il Dirrih, Fürst (Mukrab) von
Saba’. Fr. 10, 1. Fr. 9, 1 (= H. 50, 1); Fr. 4 (= H. 55);
Fr. 8 (= H. 54). H. 56. 60. Z. D. M. G. 29, 604 und des
Jata'amar Watär. Prid. 14 b , 1.
5) Samah'ali Dirrih (der Herrliche), König von Saba’,
Vater des Ilsarh und Kariba’il. Fr. 55.
G. Könige mit verschiedenen Namen.
1) Jarim ’Ajman, König von Saba’ (Mordt. Z. D. M. G. 33,
485).
2) Jakribmalik Watar, König von Saba’. II. 51. Fr. 56, 2.
3) Far' m Janhab, König von Saba’ und Raidan. Os. 35, 1.
4) Ja’zil Bajjin, Sohn des vorigen, König von Saba’ und
Raidan. B. M. 33, 5. Os. 35.
5) J[afri' Jan'ijm, König von Saba’ und Raidan. Fr. 45.
6) Halak’amir, Sohn des Kariba’il, des Königs von Saba’ und
Raidan. Fr. 54.
7) Wahabil Jahiz, König von Saba’ . . . Os. 32. - BM. 32.
Im Ganzen sind es dreiuuddreissig Könige. Bedenkt
man, dass im Sabäerland ruhige Verhältnisse geherrscht haben,
dass das sabäische Volk und dessen Könige Handelskarawanen
und nicht Heere auszusenden pflegten, dass fast gar nichts
von Kriegen, dagegen viel von Bauten in den Inschriften
erzählt wird, bedenkt man ferner, dass die Erbfolge vom
Vater auf den Sohn eingeführt war', und dass die meisten
1 Eratosthenes bei Strabo 768 ist also falsch berichtet, wenn er die Erb
lichkeit der Königswürde leugnet und sagt: oiaofyerai os trjv ßaalXaav
ou 7;ai<; izupa Tztxipoq, aXX’ 05 av ysvvrjOrj tivi tojv ercicpavtov [J-Eta
T7)v zaiaaxaatv xou ßacn),sa)c'. Vgl. andere Nachrichten über die Rechte und
Pflichten der Könige von Saba’ bei Artemidor (Strabo 776 ff.).
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 985
dieser Könige nach den sich wiederholenden Namen und Epi
theta zu schliessen, einer Dynastie angehört haben müssen, so
wird man die durchschnittliche Regierungsdauer eines Königs
auf 25 Jahre, die Dauer ihrer Herrschaft auf 700—800 Jahre
ansetzen dürfen. Aber um welche Zeit diese Könige regiert
und in welcher Reihenfolge, das sind Fragen, deren Lösung
ich hier versuchen werde.
Fassen wir das Verzeichniss der Könige etwas näher ins
Auge, so wei’den wir bemerken, dass die Herrscher von Saba’
bald den Titel ,Mukrab Saba', bald ,Mailt Saba' (König von
Saba), bald aber ,König von Saba’ und Raidän' führen. Eine
sorgfältige Prüfung der Inschriften ei-gab mir mit Sicherheit,
dass diese drei verschiedenen Titel drei verschie
dene Perioden der sabäischen Geschichte repräsen-
tiren. Hiemit ist aber auch das Mittel gegeben, die 33 Könige
in drei grosse Gruppen zu theilen und ein grosser Schi’itt zur
Bestimmung der Reihenfolge der Könige gethan. Bevor wir
jedoch die drei Gruppen der Könige einer eingehenden Prüfung
unterziehen, wollen wir vei-suchen, ob es nicht gelingen wird,
annähernd den Beginn der Herrschaft der uns aus den In
schriften bekannten Könige und das Ende derselben zu be
stimmen.
Ueber die späteren Kämpfe der IJimjaren mit den
Aethiopen, die im Beginne des sechsten Jahrhunderts n. Chr.
stattgefunden haben, sind wir durch arabische, syrische und
griechische Quellen genügend informirt '. Diese Kämpfe haben
aber schon sehr früh begonnen und Jahrhunderte lang mit
abwechselndem Glück foi’tgedauert. Die älteste Nachricht
über dieselben ist in der Inschrift von Adulis enthalten, die
im Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. gesetzt worden
ist. Darin erzählt der äthiopische König, dass er in Südarabicn
Krieg geführt habe, von Leuke Korne bis zum Lande der
Sabäer 2 . In den griechischen Inschriften von Axurn, die aus
dein vierten Jahrhundert stammen, nennt sich der König der
Aethiopen: ßoraiXeb? ’A^w|utÜv y.ai '0|j.Y]piTäW -/.ai too 'Pastoäv -/.ai
1 Vgl. jetzt Nöldeke, Geschichte der Perser und Araber zur Zeit der
Sassaniden, S. 172 ff.
2 Vgl. Vivien de St. Martin im Journ. as. 1863, t. II, p. 328 ff. und
Mordtmann, Zeitschr. d. D. M. G. 31, 64.
986
1). H. Müller.
AiOiotcwv xai Saßaereuv y.at tou SiAtrj etc.; in gleicher Weise nennt
sich der äthiopische König in den Geez-Inschriften, die Riippel
zuerst publicirt hat: , König von Axum und Hamer und Raidän
und Saba und Salhen'. 1 Da die Sabäer und ihre Burg Salhin
in dieser Zeit kaum noch cxistirt haben, jedenfalls aber von
geringer Bedeutung waren, so ist kein Zweifel, dass der
äthiopische König den Titel der himjarischen Könige angenom
men hat. Diese letzteren haben also, nachdem das alte Saba’
durch Ereignisse, die wir später noch näher ins Auge fassen
werden, stark heruntergekommen war, den Titel der Könige von
Saba’ geführt, nur in umgekehrter Reihenfolge: ,König von
Raidän und Saba' statt ,König von Saba und Raidän'; denn
das eigentliche bestehende Reich war das himjarische, das alte
Saba’ aber mit seiner Herrlichkeit hatte schon längst dem jün
geren aufstrebenden Reiche Platz machen müssen 2 . Alle In
schriften aber, in denen diejenigen sabäischen Herrscher Vor
kommen, welche den Titel ,König von Saba und Raidän' führen,
sind sabäischer Provenienz und stammen aus der Gegend von
Ma’rib, was wohl unwiderleglich beweist, dass zu ihrer Zeit das
Heiligthum in Ma’rib noch bestand und Weihgeschenke dort
hin geführt worden sind. Dass aber diese Könige schon ab
wechselnd in Ma’rib und Raidän (Zafär) residirt haben, be
weist der Umstand, dass einer dieser Könige (Kariba’il), der
eine Reparatur an dem Heiligthum von Saba’ vornehmen liess,
Münzen in Raidän geprägt hat. Es finden sich noch einige
Königsnamen auf den in Raidän geprägten Münzen, die in den
Inschriften aber nicht Vorkommen. Man darf mit grosser Wahr
scheinlichkeit annehmen, dass diese Könige ebenfalls den
Titel ,König von Saba und Raidän' oder schon ,von Raidän
und Saba' geführt und ausschliesslich in Raidän residirt haben.
Jedenfalls dürfen wir in Uebereinstimmung mit v. Kremer
und Mordtmann das Ende des ersten Jahrhunderts als den
Zeitpunkt ansehen, in welchem den Sabäern die Hegemonie
verloren ging.
1 Vgl. Dillmann, Ueber die Anfänge des axumitischen Reiches, S. 200 ff.
2 Es ist jedoch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass erst der äthiopi
sche König die Reihenfolge in dem Titel geändert hat, was für die
Sache selbst von geringem Belang ist.
Die Burgen und Schlosser Südarubiens nach dem Iklil des Hamdäni. II.
987
AVir sind nun an dem Punkt angelangt, wo sich die Frage
aufdrängt: Was war die Ursache des Unterganges von Saba’
und der Blüthe des Himjarenreiches? — Der Sail-al-'Arim ,der
Dammbruch', antworten die arabischen Historiker. Dass aber
ein mächtiges Reich durch ein solches Ereigniss nicht zerstört
wird, vielmehr wieder Kraft und Mutli in sich findet gegen
ein Elementarunglück zu kämpfen, ist nur zu sehr einleuch
tend. Auch wird man aus der vorangegangenen Betrachtung
ersehen haben, dass nicht ein plötzliches Ereigniss, sondern
ein langsam fortschleichendes Uebel das sabäische Reich zerstört
hat. AVer aber den Grund des Verfalles wissen will, muss
auf die Ursache der Blüthe zurückgehen. Die Ursache seiner
Blüthe und das Lebenselement seines Bestandes war aber der
Binnen- und Caravanenhaudel vom südlichen und östlichen Ara
bien bis nach Aegypten, Syrien und den Euphratländern; es
waren die Sabäer die Vermittler des indischen und afrikani
schen Handels, der ja auch im Mittelalter Reiche geschaffen
und zerstört hat. So lange die Schifffahrt noch nicht aus
gebildet war, hatten sie allein den Handel in Händen, der sie
zu dem reichsten Volk der Erde machte, wofür sie im Alter
thum allgemein galten. An der grossen Handelsstrasse erhoben
sich die Burgen und Tempel der Sabäer, die schon früh nach
dem nordöstlichen Tlieil der Halbinsel ihre Colonien aus
gesendet hatten. Bewässerungskanäle und Dämme durchzogen
das Land, und der sandige Boden wurde in fruchtbare Gefilde
verwandelt. Die Gegend von Ma’rib, die heute einem Meere
von Flugsand gleicht, war in alter Zeit durch die sorgfältige
Bewässerung wohlbebaut und mit Bäumen aller Art besetzt.
Langsam jedoch wurde die Macht der Sabäer untergraben,
unmerklich aber sicher wurde die Handelsstrasse durch die
sich immer vervollkommnende Schifffahrt aus dem Binnenland
abgelenkt. Die sabäischen Könige, deren Reich bis an die
südliche Küste reichen mochte, fühlten wohl, wie die nörd
lichen Provinzen immer mehr an Bedeutung verlieren, je mehr
die südlichen, der Küste näher gelegenen, an Bedeutung Zu
nahmen. Die Handelsstrasse, die früher mitten durch die Halb
insel nach Nordosten und Nordwesten ihren Weg genommen,
bog jetzt nach dem Süden und Südwesten ab, wesshalb die
sabäischen Könige nach und nach das Schwergewicht ihres
988
D. II. Müller.
Reiches auch dorthin verlegten. Sie hatten in der ersten Zeit
dieser Periode abwechselnd in Saba’ und Zafär residirt, um
schliesslich, nachdem Saba’ den Reichthum und den Handel
verloren und durch die Auswanderung der reichen Kaufherren
nach dem Süden immer mehr in Verfall gerathen, nachdem
die Dammbauten nicht mehr in Stand gehalten werden konnten,
ganz nach Zafär ihre Residenz zu übertragen.
Geht aus dieser Betrachtung deutlich hervor, dass der
Titel ,König von Saba’ und Raidän' t-itHTl’H® I hür 1 ! I ful5L der
jüngsten Periode der sabäisehen Geschichte angehört, der
Zeit, in der die Könige von Saba’ das Schwergewicht ihres
Reiches nach dem Süden zu verlegen suchten, so ist wohl kein
Zweifel, dass in der zunächst vorhergehenden Periode die Herr
scher von Saba’ den Titel ,König von Saba’', in der ältesten
Zeit aber ,Fürst (Mukrab) von Saba’' führten. 1 Wie ich schon
an anderer Stelle hervorgehoben habe, waren die Könige ur
sprünglich Burgherren, wesshalb nicht Marjaba und Zafär, die
beiden späteren Hauptstädte, sondern Salhin und Raidän, die
beiden Stammburgen der königlichen Dynastien, den Reichsge
danken repräsentirten. (Ich erinnere an die Habsburger und
Hohenzollern.)
In diese drei Perioden zerfällt also die uns aus den
Denkmälern bekannte sabäische Geschichte. Das Ende der
selben reicht etwa bis in das erste Jahrhundert n. Ch.; der
Anfang bis in das achte Jahrhundert v. Chr. Und thatsächlich
finden wir einen der Könige der ersten Periode auf einem
assyrischen Denkmal, das uns also annähernd die Regierungs
zeit eines der ältesten uns aus den Inschriften bekannten
Könige angibt. Von dem Eroberungszug Sargon’s gegen Gaza
heisst es in der Khorsabad-Inschrift (Botta, 145, 2, 1—3) also:
,Hanno, König von Gaza, zog mit Sewech, dem Sultan von
Aegypten, mir entgegen, um mir Schlacht und Treffen zu lie
fern. Ich schlug sie in die Flucht. Den Sewech ergriff Furcht
vor der Wucht meiner Waffen, er floh und nicht ward eine
Spur von ihm gesehen. Hanno, den König von Gaza, nahm
ich mit eigener Hand gefangen. Ich empfing den Tribut des
Pharao, des Königs von Aegypten, der Samsijja, der Königin
o ? 0
' IDri* ist gleich arab. ,der Geehrte 1 . Vgl. heutzutage i_i.Jv.Ci*
Die Burgen uud Schlosser Sildarabiens nach dem Iklll des Hamdäni. II. 989
von Arabien, des Ithamara, des Sabäers, Gold, Kräuter
des Ostlandes, Sclaven, Pferde und Kameele'. 1
Schon Lenormant hat auf die Namensähnlichkeit dieses
Ithamar SabaY mit dem Jata'amar der Inschriften aufmerksam
gemacht. Die Einwendungen Schrader’s, dem sich Kiepert 2
anschliesst, ,dass hier nicht an das südarabische zu
denken sei, da Sargon über Nordarabien hinaus nicht in die
Halbinsel wird vorgedrungen sein', ist nicht stichhältig. Wir
wissen, dass Gaza ein Stapelplatz für den südarabischen Han
del war; von dort aus sind die Waaren sowohl zu Meer als
zu Land weiter befördert worden. Ist es da nicht natürlich,
dass der Herrscher von Saba’ dem Eroberer von Gaza Tribut
entrichtete, damit seine Handelsbeziehungen ungestört bleiben?
Nachdem wir also annähernd den Anfang und das Ende
der Regierungszeit der uns bekannten sabäischen Herrscher
bestimmt haben, werden wir versuchen die einzelnen Perioden
genauer zu betrachten. Wir müssen aber vorerst einem Einwurf
begegnen, der geeignet ist die Grundlagen unserer Aufstel
lungen zu erschüttern. Es sind nämlich Zweifel erhoben wor
den, ob die Mukrab wirklich Herrscher von Saba’ und nicht
vielmehr Statthalter oder hohe Würdenträger der sabäischen
Könige waren. Dagegen habe ich zu erwidern:
1. dass diese Mukrab auf Bauten Vorkommen, die nur
vom Staate errichtet sein können (so z. B. auf den Damm
bauten, wie auf der Stadtmauer), neben ihnen aber kein König
genannt wird, und es aber doch ganz undenkbar ist, dass solche
Bauten nicht den Namen der höchsten Person des Reiches
tragen sollten;
2. dass sie dieselben Namen und ehrenden Epitheta wie
die sabäischen Könige führen, was auf gleiche Abstammung und
gleichen Rang hinweist;
’ Vgl. Schräder KAT S. 55. und ITommel, Namen der Säugethiere 21. 345.
2 Lehrbuch der alten Geographie, S. 187. Anm. 3.
3 Die Wichtigkeit Gaza’s für den sabäischen Handel ersehen wir daraus,
dass daselbst etwa 44 Varietäten von Münzen geprägt worden sind, die
von dort aus ihren Weg in das Innere der arabischen Halbinsel gefunden
haben (vgl. J. P. Six Num. chronicle 1877, p. 221 ff.). Pliuius XII, 14,
63 spricht von dem Weihrauch, der in Sabota (Hadramaut) gesammelt
wird, und nennt Gaza als das Ende der Weihrauchstrasse.
990
D. H. Müller.
3. belehren uns die ma'in’schen Inschriften, dass die
Könige von Ma'in neben dem Titel ,König- bisweilen auch
den Titel /Mizwäd' (d. h. Grosser, Fürst) geführt haben, also
ganz analog wie die sabftischen Könige; dort aber ist die An
nahme, dass es einen Grossen des Reiches bezeichnet, dess-
wegen unzulässig, weil sie, wie gesagt, diesen Titel neben
dem Königstitel führten, z. B. ,König von Ma'in und Mizwäd
von Ma'in'.
Wir gehen nun an die Betrachtung der drei Perioden.
I. Periode der sabäischen Geschichte. — Die Herrscher
führen den Titel Mukrab.
1 Damar'ali Fürst (Mukrab) von Saba’
2 Kariba’il Watär Samah'ali Janüf Jada'il (H. 61)?
3 Jata'mar Bajjin r
4 Samah'ali Fürst v. S.
5 Jada'il Dirrih Jata'amar Watär
6 Jata'amar Watär Samah'ali Janüf
7 Jada'il Bajjin
8 Jata'amar
9 Kariba’il Bajjin Samah'ali Janüf
10 Damar'ali Watär (?)
Diese Reihenfolge, wie ich sie hier aufgestellt habe,
macht keinen Anspruch auf Sicherheit. Sie ist das Resultat
einer Wahrscheinlichkeitsrechnung. Es wird indess gut sein,
hier die Gründe zu entwickeln, die mich auf diese Zusammen
stellung geführt haben. Man wird dadurch in den Stand ge
setzt werden, Fehler zu corrigiren.
Die ersten Könige (Nr. 1—3) finden sich auf den mas
siven Kegeln des Dammes am rechten Ufer des Flusses und
auf der Mauer von Ma’rib; die darauf Bezug habenden In
schriften sind oben angeführt worden. Der Name des Kariba’il
Watär, Sohn des Damar'ali, kommt auf der leider sehr ver
stümmelten Inschrift Fr. 11 vor, die in Sirvväh, etwa eine Tag
reise westlich von Ma’rib, gefunden worden ist. Allo diese In
schriften haben die Eigenthümlichkeit, dass sie bustrophedou
m
Die Burgen und Scülosser Südarahions nach dem Iklil des Hamdäm. II.
991
geschrieben sind, was auch für ihr hohes Alter spricht, wess-
lialb ich diese Könige an die Spitze der Dynastie setze. Die
Punkte zwischen 3 und 4 sollen andeuten, dass hier die directe
Reihenfolge durch die Inschriften nicht gesichert erscheint.
Für die nächstfolgende Gruppe 4—7 stelle ich die dazu
gehörigen Inschriften hier zusammen:
(4—5) Fr. 10, 1 = H. 50, 1: D. H. ,Jada'il Dirrih, Sohn
des Samah'all, Fürst (Mukrab) von Saba’'. 1
Fr. 4 — H. 54 ,Jada'il Dirrih, Sohn . . .‘ Vgl. auch
H. 56.
Fr. 8 = H. 55: ,Jada'il Djirrih, Sohn des Samah'a . .'
Vgl. auch Z. D. M. G. 29, 604.
H. 60: ,Sama]h'ali, Fürst . . .'
(5—6) H. 338. 339: ,Samah'ali Janüf, Sohn des Jada'ali
Dirrih, Fürst (Mukrab) von Saba’, baute . . .'
H. 626 und 627: , Jata'amar Watär, Fürst von
Saba’, Sohn des Jada'il [Di-]
rrih, erneuete [es] dem Haubas' 2
(6—7) IT. 280 ff. ,Jada'il Bajjin, Sohn des Jata'amar Watär,
Fürst (Mukrab) von Saba’, umgab seine Stadt Nasq m
mit einer Mauer.'
Wir sehen, dass sich inzwischen die sabäische Herr
schaft nach dem Norden ausgedehnt hat, mitten hinein in das
Gebiet der Minäer.
Durch die Punkte zwischen 7 und 8 habe ich wieder
angedeutet, dass die directe Nachfolge von den Inschriften
nicht gesichert, obwohl es an und für sich nicht unwahrschein
lich ist, dass Jata'amar der unmittelbare Nachfolger des Jada'il
Bajjin gewesen sei. Jedenfalls haben aber die Könige 8—10
1 Diese Inschrift ist oben S. 979 angeführt worden.
2 Die Inschrift lautet:
H. 627
n)rf]*i)x®
1h°NT
rYtiYns
H. 626
snihn*
NYYI T)[H
Mordtmann hat zuerst darauf liingewiesen, dass beide Stücke zusammen
gehören. H. 627, 1 lautet: jJHJX®- Mit Rücksicht darauf, dass ein
König Jada'il Dirrih.nicht naohzn weisen ist, glaube ich, dass man 'j
für j/ verschrieben hat.
992
D. H. Müller.
später regiert als die vorigen, da wir Hai. 352 (al Baidha)
lesen:
,Kariba’il Bajjin, Sohn des Jata'
amar erweiterte (die Mauer von) Nasq"'
bis zu diesen Grenzsteinen
Sechzig Spannen, LX.’
Es scheint, dass Kariba’il, ein Enkel des Jada'il Baj
jin, die Mauer erweiterte, die sein Ahn errichtet hat.
Derselbe Königsnamen findet sich auch auf einer Inschrift
von Sirwäli H. 52, ferner auf den Dammbauten von Ma’rib
H. 672 und Fr. 29:
,Kariba’il Bajjin, Sohn des Jata'amar, Fürst (Mukrab)
von Saba, baute . . Namentlich aus dieser Stelle geht hervor,
dass er der Fürstenperiode angehört.
In der Nähe der Inschrift H. 352 findet sich eine Stelle
(bustrophedon), die leider sehr schlecht erhalten ist und aus
der hervorzugehen scheint, dass Damar'ali Watär, Sohn des
Kariba’il [Bajjin?], ebenfalls eine Stadterweiterung vorgenommen
hat. Vgl. Hai. 349, 1. 3. 10. 11. Wenn ich diese Inschrift
richtig verstanden und ergänzt habe, ist Damara'li Watär,
der Sohn des Kariba’il Bajjin.
II. Periode der sabäischen Geschichte. — Die Herrscher
führen den Titel ,König' j£j.
Samah'ali Dirrih
Ilsarh " Kariba’il
Kariba’il Watär
Jata'amar Bajjin
Jakrubmalik Watär
Jada'il Bajjin
Jarim ’Ajman.
Ueber die Reihenfolge dieser Könige kann ich nichts
Bestimmtes sagen, nur einige verwandtschaftliche Beziehungen
lassen sich constatiren. So geht aus Fr. 55 hervor, dass
Samah'ali Dirrih der Vater des Iläarh und des Kariba’il
1
2
3
4
5
6
7
Dio Burgen und Schlösser Südarahiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 993
ist. Die Reihenfolge von 3— 6 möge durch folgende Stellen
begründet werden:
Hai. 51, 11—12: ,Jada'il Bajjin, König von Saba, Sohn
des Kariba’il Watär'.
Fr. 56, 1: ,Tobba'karib, der Priester der Dät Gadrän,
Diener des Sahar und Diener des Jada'il Bajjin und
des Jakrubmalik Watär und des Jata'amar
Bajjin . /
Fr. 56 Schluss: ,Und bei Jada'il Bajjin und bei Jakrub
malik Watär und bei Jata'amar Bajjin und bei
Kariba’il Watär/
H. 51, 1—2: ,Alles gab zurück Jakrubmalik Watär, König
von Saba’ dem Jada'il* Bajjin/
Die Reihenfolge, in der die Könige in Fr. 56 aufgezählt und
angerufen werden, entspricht, wie es scheint, der umgekehrten
Reihenfolge, in der sie regiert haben. Zuerst wird also del
egierende Fürst, dann sein Vorgänger etc. erwähnt. Dass es
so der Fall ist, wird übrigens von Hai. 51, 11—12 bestätigt,
wo Jada'il Bajjin als der Sohn des Kariba’il Watär erscheint.
Es ist jedenfalls merkwürdig, dass zwischen Vater und Sohn
zwei andere Herrscher erscheinen, von denen wir nicht wissen,
in welcher verwandtschaftlichen Beziehung sie zu jenen beiden
standen; auch das ist beachtenswerth, dass in Hai. 51, 1
Jakrubmalik Watär, daselbst 11—12, Jada'il Bajjin als
Könige von Saba’ erscheinen. Vielleicht haben wir hier eine
Abdankung des erstem zu Gunsten des letztem zu verzeichnen.
So weit die Inschrift verständlich ist, spricht nichts gegen diese
Auffassung.
Ich bemerke hier noch, dass in Sirwäh, wie in 'Amrän
das Jahr nach Eponymen, die ■wahrscheinlich Priester waren,
bezeichnet worden ist; denn in derselben Inschrift. Hai. 51, in
der die Könige von Saba’ Vorkommen, werden auch Eponymi
angeführt. Ebenso kommen auch Eponymi, Hai. 48 (Sirwäh), vor.
III. Periode der sabäischen Geschichte. — Die Könige führen
den Titel ,König von Saba’ und Raidän'.
I
Jjafra' Jajn'am oder Jjasir Jujn'im (Fr. XLV, 3).
Sitzuugsber. d. pliil.-hist. CI. XCVII Bd. III. Hft. 63
994
D. H. Müller.
II
Wahab’il Jahiz, König von Saba’ [und Raidan], BM. 30, 3
= Os. 32.
III
Damar'ali Bajjin
Kariba’il Watär Juhan'im
Halak’amar
Damar'ali Dirrih
IV
Fara' m Janhub
Ilsarh Jahdib Ja’zil Bajjin
Auch über die Reihenfolge dieser Gruppen lässt sich nichts
Genaues feststellen. Der Schriftcharakter der Inschriften, in
denen diese Könige Vorkommen, ist, so weit er durch Facsimilia
belegt ist, ziemlich jung. Ich mache schon hier auf die Formen
der Buchstaben ) und cd aufmerksam; an anderer Stelle werde
ich diesen Punkt erschöpfend behandeln. Von ganz besonderer
Wichtigkeit ist der Umstand, dass der König Kariba’il Watär
Juhan'im, der nach Fr. LIV (vgl. oben Seite 970), das Heilig-
tlmm in Saba’ reparirte, auch auf einer Münze vorkommt, die
in Raidan geprägt worden ist. Diese Münze befindet sich
im Besitze des Herrn Major Prideaux, der mir hierüber am
11. Januar 1880 Folgendes schrieb: ,1 lately received half a
dozen Himyaritic coins from Aden of the same type as tlie
described by Longperier in the Revue numismatique for 1868.
On one of tlicm the name Oh? I [H°»lT is quite clear. The
mint-place is [DPf] 1 • • • • Two are coins of jhlDfi) on one
of vvliich is HYTIIhlDfu? so I think this must be the king
mentioned in Fr. 54 QoHVj | 1hI1)f\~- On the other side
is the monogram WTR = )Xcd, which we also know was the
surriame of this king. The mint-place is Raidan (Dzafär). I
believe this is the XaptßorjX of the Periplus whose Capital was
Eacpap. He probably regnend abaut AD 70—80. The other three
1 Auf Prideaux’ Münze ist der erste Buchstabe undeutlich. Ich ergänzte den
selben nach einer Mittheilung meines Freundes, des Herrn Dr. J. H. Mordt-
mann in Constantinopel, der eine ähnliche Münze besitzt.
2 Dr. Mordtmann besitzt auch ein Exemplar dieser Münze und hat, un
abhängig von Prideaux, den Namen gelesen und mit dem 1 h fl )
Q°HYT I der Inschriften identificirt.
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem IklTl des Kamdant. II. 995
are alle of one läng BÜ'i’VT I HNQ 0 ! the name is quite clear.
The mint-place is also Raidän. They all have different mono-
grams' 1 .
Dass dieser Kariba’il der Sohn des Damar'ali Bajjin
und der Vater des Halak’amar war, geht aus der öfters an
geführten und oben S. 970 übersetzten Inschrift, Fr. 54, hervor;
1 Im Folgenden werde ich die meisten Monogramme zusammenstellen, die
in den Inschriften und auf Münzen Vorkommen, und dieselben zu deuten
versuchen:
und = OB? längst erkannt. = "1 B ° tH ? auf Münzen
bei Head (The Numismatic clironicle, N. S. Vol. XVIII, 273 seq.); zu
erst von Prideaux gedeutet (in einem Briefe an mich). 23_ ebenfalls bei
Head = OHTMrh 0 ^?- In den Inschriften kommt neben °$? auch
vor (H. 615, 1, vgl. ®0YH o ^®Yi Crutt. 4); auch eine Burg
wird von I famdäili erwähnt. Dieser Name B ° 3- ? entspricht also dem
"Ifh 0 ?? der Inschriften von Ma'in. Jpj’ ebenfalls bei Head = *1 f~\ [~|
oder hlrfn ( arab - Prideaux 13 = D )fn M ° Q* Pri -
ix = L t j nH. * auf Münzen bei Head = ) B Y (wohl arab.
deaux
;r
>)•
Hai. 27, daneben ^MMY- Hai. 3G, daneben “Be
lial. 28 und 101 = 3°>0 I X?n, was besonders aus Hai. 28 zu
ersehen ist, wo daneben ® Q V X ? \~\1 Q ° !> 0 steht. BM 1 = Q1>X®*
H. 385, daneben SHrH V rY p-j^ (bei Iiaed) vielleicht == "1h Q T* zn
Mordtmann, Zeitschr. d. D. M. G. 33, 293 = ^INcO^I-
^ (bei Head)
|f^l| 156, 160, 161, wahrscheinlich = Srhr^fl I fl®*
dunkel.
Vgl. 151, 1, 7; 156, 7-8 hrVhll I )X]S° I 11®, 158, 8. Ij^hVT
(mitgetheilt von Mordtmann) = Q°HVT- (ebenfalls von Mordtmann
mitgetheilt). Ich halte es = Q°?? oder °??CI 0 .
Ich verweise jetzt auf die inzwischen erschienene grundlegende
Abhandlung ,Nene liimjarische Münzen“ von Dr. J. II. Mordtmann im
XII. Bande der Wiener Numismatischen Zeitschrift, wie auf Schlumbergers
Le tresor de San'ä, Paris, 1880 und bemerke noch, dass auch die Mono
gramme, wie die beigegebenen Pläne von Hrn. Stud. Hermann Feigl ge
zeichnet worden sind.
03*
996
D. H. Müller.
dass er aber noch einen Sohn hatte Namens Damar'ali Dirrih,
ist mit grosser Wahrscheinlichkeit aus Prideaux (Transactions
of the Bibi. Arch. II, S. 23) zu schliessen:
,Damar'ali Dirrih, König von Saba’ und Raidän
Sohn des Kari[ba’il . .
Zur vierten Gruppe ist nur BM 33 = Os. 35 anzuführen,
eine fragmentarische Inschrift von Ma’rib auf einem Sandstein
block, wo es heisst: ,Ilsarh Jahdib und sein Bruder Ja’zil
Bajjin, die beiden Könige von Saba’ und Raidän, Söhne des
Fara' m Janhub, des Königs von Saba’/ Prideaux vermuthet,
dass dieser Ilsarh der TXacrapoc sei, der, wie Strabo mittheilt,
König von Ma’rib war zur Zeit des Aelius Gallus. Ich möchte
hier nur darauf hinweisen, dass, während die Söhne den Titel
,Könige von Saba’ und Raidän' führen, der Vater blos ,König
von Saba’' heisst. Sollte uns ein Zufall gerade den Stein auf
bewahrt haben, der gewissermassen die Grenze bildet zwischen
der zweiten und dritten Periode der sabäischen Geschichte?
Damit würde die Vermuthung Prideaux’ vortrefflich überein
stimmen; denn der Zug des Aelius Gallus mag vielleicht diese
Wandlung zum Theil bewirkt haben. Die beiden erwähnten
Könige — beginnt die Inschrift — ,haben geschenkt (erlassen)
vermindert und prolongirt (die Steuern)' — wahrscheinlich um
ein glückliches Ereigniss zu feiern, vielleicht die Rettung von
der Belagerung der römischen Legionen. Leider ist die In
schrift nicht nur an beiden Seiten, sondern auch oben beschädigt
und lässt uns über den Zweck derselben völlig im Dunkeln!
Bevor ich schliesse, muss ich noch einen Punkt berühren,
den ich nicht mit Stillschweigen übergehen darf. Die arabischen
Historiker geben an, dass die himjarischen Unterkönige den
Titel ,Qail', 1 die Obei'könige den Titel ,Tobba' ( geführt haben.
Die erste Angabe wird von den Inschriften bestätigt, nicht so
aber die zweite. Wir finden den Titel ,Tobba' £ in den alten
1 Der Etymologie nach ähnlich wie arab. v^xil von 'S\ “lÖK. Vgl. auch
Umgekehrt scheint hehr. T3Ü erst von “ÄS abgeleitet worden zu
w 7 7
sein. Vgl. auch und ^£3? regieren mit liebr. 12T sprechen.
Die Bürgen und Schlösser Südarabiens nach dem Ikl'il des Hamdäni. II. 997
Inschriften gar nicht und in den jüngern nur Wrede, Z. 3,
Hh°£?Y |°nXI, w °bei es nicht sicher ist, oh Haita'il Herrscher
war. Daraus sehen wir unsere schon früher ausgesprochene
Ansicht bestätigt, dass die Königslisten der arabischen Histo
riker, wie der grösste Theil ihrer Ueberlieferung, dem kein
inschriftliches Material zu Grunde liegt, nur auf die spätere
Zeit der himjarischen Geschichte Bezug haben.
Ich darf jedoch nicht verschweigen, dass noch in einer
andern Inschrift ,Tobba'‘ vorkommt und dort ausdrücklich als
Titel eines Königs von Saba’. Es ist dies die grosse Inschrift von
Abjan, die Francois Lenormant publicirt hat. Dieser Umstand
zwingt mich, den himjarischen Inschriften gegenüber, welche
von diesem scharfsinnigen Gelehrten veröffentlicht worden sind,
Stellung zu nehmen und öffentlich zu erklären, dass sich mir
in den Inschriften von Abjan mehrfache auffallende Erschei
nungen aufdrängten, die mich gegen dieselbe misstrauisch
machten, dass ich seit sechs Jahren diese Inschriften bei jeder
neuen Erscheinung und Entdeckung, die auf diesem Gebiete in
sprachlicher oder sachlicher Beziehung gemacht worden sind,
scharf beobachtet und hiedurch keineswegs ein grösseres Ver
trauen zu denselben gewonnen habe. 1
Diese sieben Inschriften sind, wie uns von Lenormant
mitgetheilt wird, von einem französischen Arzt, Namens Gaul-
draud, im Jahre 1844 in den Ruinen von Abjan, unweit von
'Aden, entdeckt und copirt worden. Die Copien wurden
drei und zwanzig Jahre später Herrn Lenormant übergeben,
der sie im Jahre 1867 in den Comptes rendus de TAcademie
des Inscriptions et helles lettres publicirt und später zum Theil
in den Lettres assyriologiques tome II ausführlich commentirt
hat. 2 Die ursprünglichen Copien sind nach der Angabe des
Herrn Lenormant während des Commune-Aufstandes ein Raub
der Flammen geworden.
Im Folgenden stelle ich die auffallenden Erscheinungen zu
sammen, welche diese Inschriften bieten, und verspreche jedem
dankbar zu sein, der mir diese Seltsamkeiten erklären wird.
1 Ich constatire hier ausdrücklich, dass auch Herr Dr. J. H. Mordtmann
unabhängig von mir die Echtheit dieser Inschriften stark bezweifelt hat.
2 Auch mitgetheilt in der Zeitschrift d. I). M. G. XXIV, 188 ff.
998
D. H. Müller.
1. Eine genaue Prüfung dieser Inschriften ergibt, dass sich
nur sehr wenig Wörter und Wendungen in denselben finden,
die nicht schon in den vor Ilalevy bekannt gewordenen In
schriften vorgekommen sind; diese wenigen aber sind verdächtig
und keines derselben ist von später publicirten Inschriften be
stätigt worden. Man vergleiche die von Ilalevy, Et. Sab. zu
Nr. 46 und 51 gemachten Bemerkungen und weiter unten die
Analyse der grossen Inschrift von Abjan.
2. In graphischer Hinsicht gilt es als eine feststehende
Regel, dass die Präposition fj mit dem darauffolgenden Worte
^verbunden wird; tritt aber zu dieser Präposition die Conjunc-
tion ®, so werden diese beiden Buchstaben zu einer Gruppe
vereinigt und von dem darauffolgenden Worte durch einen
Strich getrennt. Die Ausnahmen sind verhältnissmässig nicht
zahlreich. In der grossen Inschrift, Z. 13 — 15, wird aber nicht
nur f|® mit dem darauffolgenden Worte siebenmal vei'bunden,
sondern auch OhNofl I XHÜ® 10?CIT XNfl® für: | C]?£]T I XN I fl®
aHcH°n I XHin® geschrieben. Dabei muss ifeh auf die nicht
minder auffallende Thatsache hin weisen, dass in der Lenor-
mant’schen Transeription der Inschrift Fr. 56 ebenfalls die
Trennungsstriche nach f|® eilfmal weggelassen sind, obwohl
sie im Texte dastehen.
3. In den Grabinschriften ist die Erscheinung auffällig,
dass die Genealogie der Verstorbenen bis in das vierte und
fünfte Glied aufgezählt wird, was sonst in den Inschriften
nicht vorkommt, und zwar so, dass der Name des Grossvaters
grossentheils dem des Enkels gleich ist. Auch wird sonst ge
wöhnlich am Schlüsse der Grabinschriften eine Fluehformel hin
zugefügt, die hier auffallender Weise fehlt.
4. Die in der sabäischen Dynastie sich häufig wieder
holenden Königsnamen, wie Damar'ali, Jada'il, Jata'amar und
Samah'ali werden, soweit ich es bis jetzt beobachten konnte,
nur von den Königen, nicht aber von Privatpersonen geführt;
in den Inschriften von Abjan kommt’ der Name Samah'ali
von einer Privatperson öfters, der Name Jata'amar einmal
vor. Nicht minder sonderbar ist der Eigenname OH? = Jnnüf,
das sonst nur als Epitheton ornans der Könige gebraucht wird.
5. Es ist bekannt, dass die Epitheta, die auf Eigennamen
folgen, ohne Mimation geschrieben werden. Diese Thatsache
Dio Bargen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdani. II. 999
ist erst vor nicht langer Zeit constatirt worden, lind ich habe
den Grund dieser Erscheinung in der Zeitschrift d. D. M. G.,
Bd. 32, S. 542 ff. entwickelt. In der Inschrift VI sind einige
Verstösse geg - en diese Begeh
6. Die Echtheit der Inschrift auf dem Thierkopfe ist von
mehreren Mitgliedern der Academie und von Josef Halevy aus
guten Gründen in Zweifel gezogen worden h Ich habe dieselbe
in der Zeitschrift d. D. M. G., Bd. 29, S. 617' in Schutz ge
nommen. Ich halte meine Gründe jetzt nicht mehr für aus
reichend und möchte bei den vielen Verdachtsgründen, die vor
liegen, auch für die Echtheit dieser Inschrift durchaus nicht
einstehen.
7. Bei der Wichtigkeit und Bedeutung, welche die grosse
Inschrift von Abjan beanspruchen darf, werde ich dieselbe
hier einer besonderen Analyse unterziehen und bemerke zu
vörderst, dass sie in ihrer ganzen Fassung viel Aehnlichkeit
mit den Inschriften Fr. 55 und 56 zeigt. Die meisten Wörter
und Wendungen derselben findet man in diesen beiden In
schriften, so dass uns hier nur die neuen Wörter und ab
weichenden Ausdrücke zu betrachten übrig bleibt.
Z. 1. j f^|. Dieses Wort, welches dem hebr. D^D ent
sprechen soll, kommt nicht wieder in den Inschriften vor. Ha
levy, dem dieser Umstand und die ungewöhnliche Schreibweise
(plene) aufgefallen ist, möchte hiefür £|l>lh lesen, was jedoch
eine sehr gewaltsame Aenderung wäre.
Z. 1-2. lhnrHI613l1hnTBI°nXI41°n Böseres
Herrn, des Tobba' Sarahb’il, des Königs von Saba’h Diese
Ausdrucksweise ist viel zu vollklingend: ,Herr, Tobba' und
König'. Es ist auch höchst sonderbar, dass die Herrscher von
Saba’ beide Titel gleichzeitig geführt hätten. In der alten Zeit,
aus der uns so viele Inschriften und Königsnamen erhalten
sind, kommt der Titel Tobba nicht einmal vor. Ist aber die
Inschrift aus späterer Zeit, so ist der Titel ,König von Saba’‘
sehr auffällig.
Z. 3. | Diese Verbindung kommt nur noch ein
mal vor, und zwar Os. 29, wo es heisst: | L-iHrh I l’fiH'l’HA
I Xd>BT I fnld I TH'i'j das man allerdings früher übersetzt hat:
1 Vgl. Halevy, Etudes Sab., S. 192 ff.
1000
D. H. Müller.
,Sadiqdakar, der gütige, ergebene Diener des Königs von
Hadramaut'. Nachdem aber Halevy richtig erkannt hat, dass
die früher missverstandenen Ausdrücke Y^h: H?n> etc. Epi
theta ornantia der Könige sind, hat Mordtmann ganz Recht,
wenn er diese Stelle übersetzt: ,S. der Gütige, Macht- und
Besitzreiche, König von Hadramatut', so dass also diese Wen
dung bei Lenonnont vereinzelt stehen bleibt.
Unsemitisch finde ich ferner das Wort fjj$| an dieser
Stelle, ohne jede weitere determinirende oder andere nähere
Bestimmung. Nach meinem Sprachgefühl müsste es hnhllhl?!
heissen.
Z. 4. hflr 1 ! I Tfn1H I Th'!’® I Nn° >die Diener und Unter-
thanen der Könige von Saba’'. Allerdings hat man früher
hrirh I Tfn1Q für einen Plural von hlHr 1 ! I I^'IQ gehalten. Wir
wissen aber jetzt, dass an allen Stellen ffjjQ dual ist, während
der Plur. Yjjf]} 1 , lautet; wir wissen ferner,
dass im Sabäischen wie im Arabischen der äussere Plural nur
von bestimmten Wortclassen gebildet wird. Es bleibt also für
das Verständniss unserer Stelle nur die Alternative übrig, ent
weder frijCI als Dual zu fassen, wobei es auffällig wäre, dass
sowohl hier als auch Z. 12 nur von einem Könige die Rede
ist, oder aber anzunehmen, dass ausnahmsweise f^jl] an
unserer Stelle Plural ist — dann ist eben die Inschrift um
eine Ausnahme reicher.
Z. 5. Oh I Sl®Tn* Man hat damit Fr. 9 |°YICI®?n ver-
glichen. Das oY steht aber mit dem darauffolgenden QXSDT
in Verbindung und ist mit Halevy zu übersetzen: ,am Tage da
er Räucheropfer darbrachte im Heiligthume'; eine ähnliche
Phrase ist )XS° I YflH I 3®? > am Tage, da er opferte dem
'Attar'. Was aber dieses absolute Oh bedeuten soll, ist sehr
zweifelhaft. Jedenfalls müsste man ein von Oh regiertes directes
oder indirectes Object erwarten.
Z. 10-11. I .»cd® I axh I »fl® I n YH I XHHrV Diese Stelle
erinnert deutlich an |<J>)<d<d|^X fhlXhHl^n Er. 56 und ist nur
durch Hinzufügung von und [”]Yt=l erweitert. Das Wort >>[j
für Silber ist bis jetzt in den Inschriften nicht nachzuweisen;
merkwürdig ist auch das Fehlen der Mimation. In Fr. 56
folgt möglicher Weise an der zerstörten Stelle ein Verbum,
Die Bargen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1001
das alle diese Begriffe determinirt, was jedoch hier ausge
schlossen ist.
Man wird es also natürlich finden, dass ich diese In
schriften, solange meine Bedenken nicht beseitigt sind, als nicht
vorhanden betrachten werde.
Iiiiutau und NaSq.
,Rautän gehört zu den Burgen Jemens und liegt zwischen
dem Gauf und Ma’rib, niedriger als Himd (Var. Hamid). 1 Es
ist eine mächtige Burg, aus Steiublöcken erbaut, deren Um
fang je 12 Spannen beträgt. 2 Die Burg gehörte früher dem Ge-
schlechte der Nasq, das von Bakil abstammt; sie (die Nasq)
wunderten aber aus, nachdem die beiden Stammesabtheilungen,
Dü-l-Giräb und Jamgud, sich von einander trennten, und zogen
nach 'Amrän im Gauf. Darüber sagt ein Dichter der Banü-
Nasq also:
Es hat erfüllt seinen Wunsch der Nasqite zur Zeit des Tobba'
in Rautän, wo sich seiner Auszeichnung Denkmäler befinden.
Mit dem Speere hat er den Gauf al-Mahura geschützt, der wohl vertlieidigt ist;
die Grossen aus dem Stamme Bakil waren seine Ahnen.
Ihm gehört Arhab, und der Stamm Arhab besteht aus Fürsten,
’Amir und Nihm und Schäkir, (Helden) im Kampfe.
Abgehalten hat er Madhig von ihm (dem Gauf) — und das sind nun die Ueberreste,
in Hailän weint Juhäbir und trauert wie ein Fremdling. 1
An einer andern Stelle 3 theilt Hamdäni über die Nasq
Folgendes mit:
,Nasq ibn 'Amr zeugte Babi'a und Jamgud und Du-1-
Girab und Taur du Samir, lauter edle Geschlechter. Sie waren
Könige, und ihnen gehörten die Burgen Rautän, as-Saudä,
al-Baidä und 'Amrän in dem Gauf.
Es erzählte mir Muhammad ibn 'Isa al-Kubäri von Ibra
him ibn abi-l-Gahm aus dem Stamme Nasq:
Von den Nasq wohnten zwei Stämme, Jamgud und
Du-l-Giräb, in Rautän im untern Gauf; sie hatten zwei
1 Nach Gazirat al 'Arab 206 ein Ort im untern Gauf.
2 Diese Stelle ist im Texte sehr dunkel, vielleicht verderbt.
3 Iklil, 10. Buch, S. 79, zum Theil auch angeführt Neswän Sams al-
'Ulüm I, 270 b , m. s. v. ^
1002
D. H. Müller.
einander gegenüberliegende Ortschaften inne, jeder Stamm
eine Ortschaft. Die beiden Ortschaften waren von einander
durch ein Wadi getrennt, und ein jeder der sie bewohnenden
Stämme zählte etwa 300 Mann. Eines Tages fand ein Mann aus
dem einen Stamme einen Mann aus dem andern Stamme, wie
er in seine Wohnung hinübersah, und wies ihn weg. Er traf
ihn zum zweiten Mal und vertrieb ihn wieder. Als er ihn
aber zum dritten Mal ertappte, schoss er und tödtete ihn. In
Folge dessen entspann sich ein Kampf zwischen den beiden
Stämmen, der nicht eher endigte, als bis sie sich gegen
seitig aufgerieben hatten und nur wenige zurückblieben. Die
Jamgud begaben sich zu den Bani-'Abd ihn 'Alijjän, die sie
gastfreundlich aufnahmon und ihnen Wohnplätze einräumten.
Sie wohnen mit einander bis auf den heutigen Tag. Nachdem
aber die Jamgud in dem (arhabitischen) Stamm der Bani-'Abd
Aufnahme gefunden hatten, fürchteten die Dü-l-Girab einen
Ueberfall der ’Arhab und wunderten zum grossen Theil nach
Hadramaut aus, wo sie noch heute in grosser Anzahl vor
handen sind. Ein anderer Theil von ihnen flüchtete sich nach
Surdud, wo sie bis auf den heutigen Tag wohnen. Darüber
sagt ein Dichter der Dü-l-Gfiräb:
Als ob Rau tan nie ein Wohnsitz gewesen war
und ein Sammelplatz der Du-l-Giräb und Jamgud.
Das Schicksal hat sie getrennt und sie sind nun
Bewohner von Hadramaut und Surdud.
Ein anderer Dichter sagt:
Ich bin der mahj alisch e Held, der kundige,
Mich haben aus meiner Heimat vertrieben
Angrifte der Leute auf meine Ehre.
Die Mahäil sind Abkömmlinge der Dü-l-Gfiräb.‘
Die Inschriften erwähnen einer Burg Rautan, die aber
ohne Zweifel mit diesem Rautan identisch ist. Wir lesen
BM 24 = Os. 22 auf einer Bronzetafel von 'Amran:
mHn°iTHruxHirwiT
VI HfhH I Thfl I XHn I
I H>VN I I XTh<i>
I HIT IH
Die Burgen und Schlosser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdani. II. 1003
,Hulkum ; die vom Stamme der Bani-'Abd aus
Rautän, Tochter des Bin-Da’jän, weihte dem ’Almaqah
von Hirrän diese Denktafel, weil . .
Ich erlaube mir nur hier auf das merkwürdige Zusammen
treffen der inschriftlichen Nachrichten mit der Ueberlieferung
des Hamdani hinzuweisen, ohne jedoch daraus besondere hi
storische (Konsequenzen ziehen zu wollen. Eine Frau aus Rau-
tän, gehörig zu den Bani-'Abd in 'Amrän!
Die arabische Ueberlieferung erzählt uns ferner, dass die
Burgen as-Saudä und al-Baidä den Nasq gehört haben. Sehen
wir, ob diese Nachricht von den Inschriften bestätigt wird!
Ueber as-Saudä wird weiter unten die Rede sein; dagegen ist
nach den Inschriften kein Zweifel, dass al-Baidä mit dem von
den classischen Schriftstellern angeführten Naskos identisch
ist. Diese Burg ist von Josef Halevy besucht und also be
schrieben worden: 1 ,E1-Baydha. Diese Ruine hat die Eigenthüm-
lichkeit, dass sie nicht, wie alle anderen, auf einem Hügel erbaut
ist, sondern in einer sandigen und flachen Ebene sich ausdelmt.
Ein grosser Theil der Mauer ist noch erhalten, insbesondere an
der östlichen und stid - östlichen Seite. Die Citadelle, grösser
als die von Ma'in, hat einen Durchmesser von 300—310 Meter.
El-Baidha ist unweit vom Chärid-Fluss gelegen, etwa zwei
Stunden nördlich von Kamnä auf der Strasse nach dem obern
Gauffl
Sie ist, wie wir oben gesehen haben, von Jada'il Bajjin,
Sohn des Jata'amar Watär, Fürsten von Saba’, mit einer Mauer
umgeben worden (Hai. 280ff.), vielleicht nachdem die alte
Mauer verfallen war; denn Halevy hat zwei Inschriften ver
zeichnet (Hai. 338. 339) :(leider ohne auzugeben, wo sich die
Inschriften Anden), worin Samah'ali Janüf, Sohn des Jada'il
Dirrih, Fürst von Saba’, erwähnt wird, der nach meiner
Zusammenstellung möglicher Weise vor Jada'il Bajjin regiert
hat. Wir wissen ferner, dass Kariba’il Bajjin, Sohn des Jata'a-
mar, eine Stadterweiterung vorgenommen hat (Ilal. 352), ebenso
sein Sohn(?) Damar'ali Watär (Hai. 349). Diese alle Herr
scher gehören, wie oben auseinandergesetzt worden ist, der
Fürstenperiode an. Der Dialect der Inschriften ist sabäisch;
1 Rapport etc. p. 80.
1004
D. H. Müller.
ein sabäischer Fürst nennt Nasq ,seine Stadt* ®Y)1Y- Es
kann also kein Zweifel sein, dass Nasq (das heutige al-Baida)
schon in sehr alter Zeit unter sabäiselier Botmässigkeit ge
standen hat.
Wie andere Städte (z. B. Haram), so ist auch Nasq dei-
ficirt worden, so in der Schlussformel der Inschrift (Hai. 336
al-Baidä): Y^UIrh I ü® I )XS°n I ,Unter dem Schutze von
Nasq, 'Attar und Almaqah*. Auch 1 XN »die Herrin von
Nasq m * kommt Hai. 313 (al-Baida) und in einer Inschrift von
Baräqis (Hai. 465) dreimal vor neben 'Attar, Wadd und den
Göttern von Ma'in, woraus zu ersehen ist, dass Dat-Nasq m eine
Göttin ist, wie Dät-Ba'dän™, Dät-Gadrän und Pät-Himaj m . Auch
der Gott 'Attar führt den Beinamen Nasq .... in zwei In
schriften von as-Saudä (Hai. 380, 3 und 379, 2).
Beachtenswerth ist ferner, dass der König von Kamna
(Caminacum) sich beim Bau der Stadt betheiligt hat. Aus den
Inschriften von Ma'in wissen wir, dass die Freunde und Ver
bündeten der Könige von Ma'in dadurch ihre Freundschaft
bekundeten, dass sie einen Thurm oder etwas ähnliches an der
Stadtmauer der Residenz erbauten. In ähnlicher Weise lesen
wir al-Baidä (Hai. 327 vgl. auch 329 und 330):
Ti»mnHihn Irans i^ih
OYS I ?sn I ®Y]S3tf I ®Yn°*® I ®YhSrf
1 S)1Y I ?0®11 )XH® I Y*mi IHYSH
hnivnn?
,Ilsama' Nabit, Sohn des Nabat'ali, König von Kam-
nähu, und sein Stamm Kamnahü [baute diesen Thujrm dem
’Almaqah und ['Attar, zum Heile der Stadt Mar]jab und
Saba’ . . .‘
Es ist nicht uninteressant zu bemerken, dass der König
von Kamnähu diese Inschrift, wie es scheint aus Rücksicht auf
die Sabäer, im sabäischen Dialect hat setzen lassen, der
auch der Dialect von Nasq war; dagegen sind die Inschriften
in Kamna (Hai. 269—278), soweit sich es aus den Fragmenten
erkennen lässt, im ma'inäischen Dialect abgefasst. 1
1 Vgl. H. 271, 4: | r^Xf^® I »l°? I und 272, 4: X))^-
In dem einen Falle das Suffix m, im anderen die Saf'al-Form. Um nicht
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem IMil des Hamdäni. II. lOOö
So viel wissen wir über Nasq und Kamnä aus den In
schriften. Dass Aelius Gallus auf seinem Zug durch Südarabien
diese beiden Städte zerstört hat, theilt uns Plinius VI, 28, § 160
mit. Nach Plinius ist es wieder erst Hamdäni von dem wir
Nachricht über Nasq erhalten. Die Stadt Nasq ist ihm ein
Stamm geworden und die Burg führt bei ihm den Namen al-
Baidä ,Weissburg'. Es ist aber auch kein Zweifel, dass die
Ereignisse die Hamdäni schildert, in viel späterer Zeit etwa
kurz vor Muhammad sich zugetragen haben, dass der Stamm,
der sich dort niedergelassen, den Namen der Burg annahm. In
sofern ist die arabische Ueberlieferung richtig, dass die Nasq
die Burg al-Baidä inne hatten.
Die Nasq sind nach der arabischen Ueberlieferung Ab
kömmlinge des Stammes Bakil. Dieses wird von einer Inschrift
bestätigt. Hai. 174 (al-Hazm-Hamdän):
i »sh 1416 n i irDi^s?
)0[f ®] i QHnihY i i sn i rDfvSr 1 ! i sn
hn • • ]3Xh3i ®YiY4n i *?<>) i ®Y)h[n i
hvirfni'KilYOTii)*
)xs°msxhn[Dii
jJata'karib, der bakilische Grossmeister aus Nasq,
Sohn des Samahkarib, Sohn des Raswän, liess seinen Brun
nen Ra'jam graben und fand reichliches Wasser in seinem
Palmenhaine Ma’tam auf Befehl des ’Älmaqah, des
Herrn der Bakilier als ein wohlgefälliges Werk
dem 'Attard
Zur Begründung der Ergänzung und Uebersetzung dieser
Inschrift werde ich hier eine Stelle anführen und auf ähnliche
auf Brunnen bezughabende Inschriften verweisen. Hai. 240,
11—13:
nochmals auf Kamnä zurückkommen zu müssen, bemerke ich, dass auch
hier wie in Saba’ und Ma'in gewisse Namen bei der Königsfamilie be
liebt waren. So kommt H. 278 (Kamnä) ein König ,Nabat'ali Amir,
Sohn des Ilsama'“ vor. Wir haben also in den winzigen Fragmenten
zwei Ilsama', von denen der eine das Epitheton ,Habit“ und zwei Nabat-
'ali, deren einer das Epitheton ,Amir‘ führt. Auch das sei hier erwähnt,
dass aus Hai. 271, 4 hervorzugehen scheint, dass in der Nähe von Kamnä
Dammbauten und Reservoire gewesen sein müssen, was ein späterer Rei
sender in dieser Gegend zu beachten haben wird.
1006
D. H. Müller.
hi^DOTIS®?
■ • ® i miA® i mn
hl^r 1 i)hn
jAm Tage da er grub ^äs*) ihre Brunnen N..
und reichliches, salzhaltiges Wasser fand' (J^£\ und
Vgl. ferner Hai. 154, 19. 241. 449, 2. 520, 17.
Noch einen Punkt habe ich in der angeführten Ueber-
lieferung des Hamdäni zu berühren. Eine Unterabtheilung der
Dü-l-Giräb ibn Nasq nennt sich al-Mahail, der Dichter be
zeichnet sich als mahjalischen Helden. Es scheint, dass sie
eine hervorragende Familie des Nasq war, etwa wie die Martad
im Stamme 'Amrän; und thatsächlich linden wir die Mahjal m
in der grossen Inschrift von Raida, die von mir in der Zeit
schrift d. D. M. G-. 29, 591 publicirt worden ist. Sie lautet:
®4>h 11?^^® I H>hr I i I hn I H>QH I Q«J>>n
iXHT>Hm°n>mi4nih°rmi
,Barq m Nimrän, Sohn des Su’rän und die Mahjal“,
die Fürsten des Stammes Bakil" 1 , der in Raida
wohnt, weihte . . .' 1
Die Burgen Jemens, Baraqis und Main.
Diese beiden Burgen liegen einander gegenüber im untern
Gauf im Gebiete der Arhab, und zwar lies-t Ma'in zwischen
der Stadt Nasan und Darb-Saräfa, dem Wohnorte des Ge
schlechtes von Jünus ibn Sa'id von Murad. Ma'in ist heutzu
tage zerstört und in Trümmer gesunken. Ueber es sagt der
Dichter Mälik ibn Harim al-Dalani:
Und wir werden den Gauf vertheidigen, so lange Ma'in
in seiner Niederung 'Uräd gegenüber Hegt.
Was aber Baraqis betrifft, so steht es noch heute am
Fusse des Hailan-Berges und gehört den Murhiba. Früher
hatten die 'Odar ibn Sa'd darin gewohnt, sie wanderten aber
nach Scha'b al-Magrib und Matira aus, und die Banü-al-Auban
von Balharit ibn Ka'b und die Murad nahmen Besitz davon.
Darüber sagt Farwa ibn Musaik:
1 Vgl. jedoch meine Südarabischen Studien, S. 31.
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nacli dem lklil des Ilamdäni. II. 1007
Jächäbir, mein Urahn, wies an zum Wohnsitze dem 'Utaif,
einem seiner Söhne, die Königsstadt Ma'in
Und verlieh uns die Herrschaft von Baraqis mit Ausschluss von A'la
und An'am, unseren Brüdern, den Söhnen unseres Vaters.
'Alqama sagt:
Sie haben Baraqis erbaut, als sie es gründeten,
in einer unbewohnten Gegend, auf einer herrlichen Fläche
Und sie nahmen von Ma'in Besitz, am Tage da sie dort sich niederliessen
— in Folge ihrer Macht — bei der tiefen Thalschlucht.
Näbiga sagt:
Sie tummelt sich unter den Dirwsträuclien von Baraqis
oder Hailän oder unter den Nadirgesträuchen von der Salampflanze.
Sprichwörtlich sagt man: ,Baraqis hat seine Leute ver-
rathenh Ein Gelehrter erzählt, dass die Einwohner von Ba-
räqis einen Brunnen ausserhalb der Burg hatten, sonst aber
keine Tränke. Dieser Brunnen war" durch einen unterirdischen
Gang mit der Burg verbunden. Einmal kam ein Feind über
sie, belagerte die Burg und hütete das Wasser vor ihnen
(d. h. suchte ihnen das Wasser abzuschneiden). Die Belagerung
dauerte jedoch lange, ohne dass der Feind wusste, woher
die Belagerten das Trinkwasser holen, bis eine Hündin
Namens Baraqis aus der Burg durch den unterirdischen Weg
herauskam. Einer der Belagerer, der zufällig des Tränkens
wegen beim Brunnen war, bemerkte dieses und setzte den
Heeresführer davon in Kenntniss. Dieser liess Männer durch
den geheimen Gang in die Stadt eindringen, die Bewohner
überfallen und tödten. Nach dieser Hündin ist die Burg Ba-
räqis genannt worden. Andere erzählen (zur Erläuterung
dieses Sprichwortes), dass ein Araber, um das zu finden, was
er suchte, sich in der Nacht hat leiten lassen durch das Gebell
einer Hündin des (feindlichen) Stammes, die Baraqis hiess.
Diese Erklärung scheint der Wahrheit näher zu sein, weil
Saräfa in der Nähe von Baraqis liegt und dessen Brunnen etwa
50 Ellen tief ist, so dass man das Wasser von der Oeffiiung
kaum sehen kann; es müsste denn sein, dass der Brunnen
und der Ort, von denen sie erzählen, nicht im Gauf, sondern
anderswo nahe dem Wasser lagen. In dem Gauf sind ausser
Baräqiä und Ma'in noch die zwei alten Burgruinen al-Baidä
und as-Saudä, in welchen sich wunderbare Denkmäler befinden,
und andere öde Schlösser erheben sich zwischen dem Gauf und
1008
D. H. Müller.
Ma’rib. Die Leute finden dort das Gräbergold und Münz-
stücke, auf denen Bilder aufgeprägt sind/
So weit Hamdäni! Vergleichen wir damit die Beschrei
bung von Ma'in und Baräqis bei Halevy, Rapport etc., S. 75,
sie lautet:
,Ma'in ist eine der merkwürdigsten Ruinen, wahrscheinlich
war hier die alte Hauptstadt der Minäer. Sie liegt auf einer be
festigten Anhöhe von etwa 280 Meter Länge und 240 Breite,
anderthalb Stunden östlich von El-IIazm Hamdän. Ein guter
Theil der Umgebungsmauer und einige Thürme, die sich an den
einander gegenüberliegenden östlichen und westlichen Thoren
befinden, sind von Inschriften bedeckt. Ausser den Inschriften
auf sehr vielen losgelösten-Steinen findet man auch epigraplii-
sche Texte auf Stelen, die theils ganz, tlieils zerbrochen, so
wohl innerhalb als ausserhalb der Stadt zu sehen sind. Zwanzig-
Minuten ostwärts, in der Mitte einer vertieften Ebene, welche
die Araber El-Mihjar nennen, findet sich der Ueberrest eines
alten Thores, welches viel grösser als das von Haram ist, an
dessen beiden Seiten zahlreiche Stelen aufgestellt sind, die zwei
parallele Reihen bilden. Einige darunter sind mit mehr oder
minder wohlerhaltenen Inschriften versehen. Ueberreste von
sorgsam behauenen und mit einander zusammengefügten Steinen
bezeugen die Herrlichkeit dieses alten Tempels, dessen In
schriften uns die Gottheit nennen, dem er geweiht war. Ein
kleiner, ebenfalls mit Stelen versehener Tempel, findet sich
innerhalb der Umgebungsmauer, aber nur die Stele am Ein
gänge trägt eine Inschrift/
Ueber BaräqiS sagt Halevy, Rapport, S. 85, also:
,Baräkis ist eine sehr imposante Ruine, obwohl von
geringerer Ausdehnung als Ma'in. Die Umgebungsmauer ist
zum grossen Theile erhalten und mit zahlreichen Inschriften
versehen. Ueberreste von Stelen sind im Ueberfluss zu sehen,
sowohl innerhalb als ausserhalb der Stadt. Die öffentlichen
Gebäude bilden einen Schutthaufen. Man erkennt indess, dass
es eine hauptsächlich dem Cultus der Götter geweihete Stadt
war; denn die Spuren der Tempel, erkennbar durch die Thor
überreste und die Anordnung der Stelen, sind an allen Seiten
Die Bürgen und Schlosser Südarabiens nach dem Ilclil des Hamd&ni. II. 1009
in grosser Menge zu sehen. Diese Ruine liegt eine halbe Stunde
Weges westlich von al-Ghail und zwei Stunden von Megzerd
Dass Ma'in die alte Hauptstadt der den klassischen Schrift
stellern bekannten Minäer ist, wird sich trotz der gegentei
ligen mit grosser Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn auf
gestellten Behauptung A. Sprengers mit Gewissheit ergeben.
Wir werden sehen, dass in den zahlreichen Inschriften, die Ha-
levy in und um Ma'in gesammelt hat, der Name der Stadt
Sjh 0 ^ Ma'in“ geschrieben wird. Wie aber Baräqis in den In
schriften hiess und warum die Burg später so benannt wurde,
— denn die Erzählung mit der Hündin wird wohl Niemand
ernst nehmen — diese Fragen wollen wir hier zuerst beant
worten.
Bei den arabischen Geographen -werden Ma'in und Barä
qis, obwohl sie ziemlich entfernt von einander sind und zwischen
beiden einige Burgen liegen, wie z. B. al-Baidä (Nasq), Kamnä
(Caminacum) und El-Hazm Hamdän, immer zusammen genannt.
Dass sie wirklich zusammengehören, ersehen wir auch aus den
Inschriften. Bekanntlich unterscheidet sich der minäische Dia-
lect von dem sabäischen durch einige sehr wesentliche Eigen-
thümlichkeiten ! Auf den Inschriften von Baräqis findet sich
der minäische Dialect, während z. B. der Dialect von Nasq,
Madinat Haram und El-IIazm Hamdän sabäisch ist. Ebenso
werden auf den Inschriften von Baräqis immer die Könige
von Ma'in erwähnt, wogegen auf den Inschriften von Nasq, die
von Saba’ Vorkommen.
1 Ganz besonders dadurch, dass der Causativstamm des Verbum durch
vorgesetztes fS sa (und nicht durch Y ^ ia w * e Sabäischen) gebildet
wird. Ebenso lautet im Minäischen das Suffix ®fY su etc., während das Sa-
bäische ®Y hu dafür hat. Bei genauer Prüfung werden sich noch eine
Reihe anderer Unterschiede ergeben, so z. B. dass die Präposition über
im Sabäischen durch
im Minäischen durch §() —
L& 3
ausgedrückt wird. Sonderbar ist die Erscheinung, dass Verba primae w
und j im Minäischen entweder keinen Causativstamm bilden, oder, wenn es
in seltenen Fällen vorkommt (mir sind nur folgende Eigennamen bekannt:
1h0®Y, H. 353, 2.13.14.; XS°0®Y, H. 187, 5; X°)8®Y, H - 398 '.
1h°£?Y Wrede, Z. 3) es durch vorgesetztes h geschieht. Man darf
kaum annehmen, dass diese Namen, die zum Thcil auch von Sabäern ge
führt werden, sabäische Entlehnung sind.
Sitzungsber. d. pliil.-liist. CI. XCVII. Bd. III. Hft.
64
1010
D. H. Müller.
Bei dem Umstande nun, dass auf den Inschriften von
Baräqiä oft eine Stadt mit Namen ,Jatil' vorkommt, und
die Könige von Ma'in oft angeführt werden als | ^IH 0 ?! I fnlSlrh
l'lg'f’® ,die Könige von Ma'in und Jatil', ist wohl kein Zweifel,
dass Jatil der alte Name von Baräqis ist. Zu erklären
bleibt noch der spätere Name dieser Burg — Baräqiä. Die
richtige Etymologie dieses Namens gibt uns der Geograph Jäcüt
(I 555, 9 ff. s. v.). Die Wurzel ,barqasa' heisst ,buntfarbig
sein', Baräqis also die ,Buntfarbige' sc. Burg. Allerdings
sind auch buntscheckige Hunde so genannt worden; daher die
Fabel von der Hündin. Dass aber die Burgen in dem Gauf,
wie auch sonst, nach der Farbe benannt worden sind, beweist
der Umstand, dass die alte Burg Na6q (das classische Nascus)
heutzutage al-Baidä, d. h. ,die Weisse, die Weissburg', eine
andere, as-Saudä, ,die Schwarzburg' genannt worden ist.
Dem Dialecte nach sowohl, 1 als auch durch die Anführung
der Könige von Ma'in, erweist sich auch die Burg Es-soud,
wie sie Halevy nennt, oder as - Saudä der arabischen Geo
graphen, ,die Schwarzburg' als den Minäern gehörig. Halevy,
Rapport S. 82, beschreibt sie folgendermassen:
,Es-soud ist eine nicht minder ausgedehnte Ruine als al-
Baida und liegt auf einer Anhöhe, eine Stunde nordöstlich von
dieser letztem. Man erkennt leicht, dass es eine Feuersbrunst
war, wodurch die herrliche Stadt zerstört worden ist, die
einen grossen Sammelpunkt der Industrie gebildet zu haben
scheint, namentlich für Metallarbeiten; denn eine grosse Menge
Schlacken bedeckt den glasirten Boden. Geringe Ueberreste der
Umfassungsmauer und wenige Fragmente von Stelen sind Alles,
was die Zeit verschont hat. Die Inschriften, fast durchwegs
Fragmente, sind nichtsdestoweniger zahlreich genug (im Ganzen
ein und siebzig), einige davon sind auch ausserhalb der Um
gebungsmauer gefunden worden.'
Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich annehme, dass
diese dritte minäische Stadt keine andere ist als Qarnü, die
1 Ausgenommen sind die Inschriften Hai. 359—363, die im sabäischen Dia-
lect abgefasst sind. In einer derselben wird auch ein sabäisclier König
erwähnt (Hai. 359, 4). Sie müssen von sabäischen Einwanderern gesetzt
worden sein, oder, wie die Erwähnung ,der Stadt Haram“ (Hai. 359, 2)
es sehr wahrscheinlich macht, von den benachbarten Haramiern herrühren.
Die Burgen und Schlösser Südarabions nach dem Iklil des Haradäni. II. 1011
neben Ma'in und Jatil in den Inschriften vorkommt 1 und die
von den griechischen Schriftstellern sogar für die Hauptstadt
des Minäerreiches gehalten wird, wahrscheinlich aus keinem
andern Grund als weil die Stadt später wegen ihrer Bedeutung
als Industriecentrum den Reisenden als die grösste und reichste
bezeichnet worden ist. Sie ist aber sicher die jüngste, wie
Ma'in die älteste ist; denn das Volk war unter dem Namen
Minäer bekannt, die Könige führten den Titel ,König von Ma'in
und Jatik, nie aber wird Qarnü in dem Titel der Könige an
geführt. 2
Prüfen wir nun die stattliche Anzahl von Inschriften und
Inschriftenfragmenten, die in Ma'in (Hai. 187—266), Baräqis
(Hai. 424—578) und Es-soud (Hai. 353—423) gesammelt worden
sind, so ergibt sich, dass dort eine grosse Dynastie Jahrhun
derte lang regiert hat. Bei dem unglücklichen Umstande, dass
in den minäischen Inschriften keine Datirungen nacli einer
bekannten Aera Vorkommen, bleibt wohl nichts übrig als durch
die Zahl der Könige ungefähr die Dauer ihrer Herrschaft, das
Alter der Inschriften und womöglich auch die Reihenfolge der
selben zu bestimmen. Bevor ich an die Aufzählung der Könige
gehe, möge mir gestattet sein zu bemerken, dass in Ma'in eine
directe Erbfolge vom Vater auf den Sohn üblich war, ferner,
dass der Vater schon bei Lebzeiten den Sohn als Mitregenten
annahm, wie dies auch im sabäischen Reiche zu gewissen Zeiten
Sitte war. Die minäischen Könige müssen in älterer Zeit den
Titel >| © £ ^ Mizwäd 3 ,Fürst' geführt haben, wie die sabäischen
1 ®h)$ 1 L ,)“1V ,die Stadt Qarnü* wird erwähnt Hai. 443. 520, 9. 535,
3(17). 536, 2. 541, 1; sämmtlich Inschriften von Baräqis.
2 Vor einiger Zeit theilte mir Herr Dr. Mordtmann brieflich die Ver-
muthung mit, dass Qarnü der Name der uns heute als Ma'in bekannten
Burg sei und dass sich beide Namen zu einander verhalten, wie Marjab
und Saba’. Ich gestehe bei reiflicher Erwägung, dass ich dieser Hypo
these ebensoviel Berechtigung als der meinigen einräumen muss. Nament
lich spricht dafür der Umstand, dass in den Inschriften wohl | S)”1Y
n?)i IS? I h)"lV und ® L |) < H L |)~1Y5 nie aber hflr L ll L l) - |Y und
31H ° 31 I H )"1 Y vorkommt. Sollte sich Mordtmann’s Vermuthung als
richtig erweisen, so wird der alte Name von as-Saudä erst zu suchen sein.
haben mag; im Hebräischen heisst diese Wurzel stolz, übermüthig
sein. Vgl. I. Heft, S. 395, 7. jop .grösser sein*.
G4*
1012
D. H. Müller.
n)fn^ genannt worden sind. Gleich den sabäischen Königen
führten sie auch ehrende Beinamen, wodurch sich gleichnamige
Könige von einander unterschieden haben. Wir lassen hier zu
nächst eine Uebersicht der Könige von Ma'in nebst den auf
dieselben bezughabenden Stellen der Inschriften folgen.
Die Könige von Ma'in.
A. Könige mit Namen ’Abjada' °t>|?nh :
1) Abjada' (ohne jeden Beinamen).
Hai. 228, 1. Ma'in: ,Abjada', König von Ma'in*.
Hai. 257, 1. Ma'in: ,Chälkarib Sadiq (der Wahrhafte),
Sohn des ’Abjada', König von Ma'in*.
Hai. 200, 1. Ma'in: ,’Abjada]', König von Ma'in(?)*.
Hai. 202, 1. Ma'in: ,Bei den Brüdern ’Abjada' und Jata'il*.
Hai. 209, 2. Ma'in: ,Am Tage des ’Abjada' und Jata'il*.
Hai. 565. Baräqis: ,’Abjjada' und sein Sohn Haf[n*.
Aus diesen Inschriftenstellen geht hervor, dass ’Abjada',
König von Ma'in, einen Bruder Jata'il hatte, mit dem er, wie
es scheint, eine Zeit lang gemeinsam regierte, und zwei Söhne,
von denen der eine (Hafn) sein Mitregent, der andere (Chal
le arib Sadiq) sein Nachfolger war.
2) ’Abjada' Jati' (Soter) | °8? | °I>|Trieh-
Hai. 192, 1 (3). Ma'in: ,’Abjada' Jati', König von Ma'in*.
Vgl. 199, 10. 442, 2. 513, 3. 543.
Hai. 424, 4. Baräqis: ,’Abjada' Jati' und Waqah’il Rijäm*.
Hai. 437, 2. Baräqis: ,’Abjada' Jati' und Waqah’il R[ijäm*.
Hai. 453, 1. Baräqis: ,’Abjada' Jati' und Waqah’i[l Rijäm*.
Hai. 521, 2. Baräqis: ,’Abjada' J]ati' und Waqah’il Rijäm,
die beiden Könige von Ma'in*.
Namentlich aus dieser letzten Stelle ist ersichtlich, dass
sie beide gemeinsam Könige von Ma'in waren; dass aber
’Abjada' Jati' der Vater war, ersehen wir aus folgenden Stellen:
Hai. 462, 1. Baräqis: ,’A]bjada' Jati' und Sohn [desselben
Waqah’il] Rijäm, die beiden Könige von Ma'in*.
Hai. 571, 2. Baräqis: ,Waqa]h’il Rijäm, Sohn des ’A[bjada
Jati', König von Ma'in*.
Wir sehen also den ’Abjada' Jati' zuerst allein regieren,
dann gemeinsam mit seinem Sohne Waqah’il Rijam, zuletzt
Die Bargen uucl Schlösser Südarabiena uacli dem Iklil des Ilamdänl. II. 1013
regiert Waqah’il Rijäm allein, welche Tliatsaclie für die Reihen
folge der Inschriften von nicht zu unterschätzendem Werthe
ist. Vielleicht gelingt es uns auch aus einer Combination fol
gender Stellen den Vater oder wenigstens den Vorgänger des
’Abjada' Jati' zu ermitteln. Aus Hai. 193, 1—4 Ma'in geht
unzweifelhaft hervor, dass ,. . . . karib, König von Hadramaut*,
ein Bruder des ’Abjada' Jati', des Königs von Ma'in, war. Auf
diese höchst interessante Thatsache, dass ein ma'inäischer Prinz
in Hadramaut regiert hat, ist zuerst von Mordtmann, (Zeitschrift
d. D. M. G., Bd. 31. S. 79) hingewiesen worden. Halten wir
damit zusammen Hai. 535, 3 (18), wo es heisst:
,Bei 'Attar, dem östlichen, und bei 'Attar von Qabd
und bei Wadd“ und Nikräh“ und bei 'Attar von Juhriq und
bei der Göttin von Nasq“ und bei den Göttern von
Ma'in und Jatil und bei ’Abjada' Jati', König von
Ma'in, und bei den Söhnen des Ma'dikarib, des
Sohnes des Iljafa' etc/
ferner Hai. 520, 3—4 Baräqis:
,die Söhne des Ma'dikarib, Sohn des J . . .
ljafa Jati', des Königs von Ma'in“ . . /,
so scheint daraus zu folgen, dass ’Abjada' Jati' ein Bruder des
Ma'dikarib ist. Dieser Ma'dikarib aber ist wahrscheinlich identisch
mit dem König von Hadramaut, dem Bruder des ’Abjada' Jati',
dessen Namen auf , .. . karib* auslautet und dessen Söhne, viel
leicht als dem Throne am nächsten stehend, ebenfalls bei der
Weihung des Denksteines angerufen worden sind. Dagegen
lässt sich allerdings einwenden, dass einerseits Hai. 535 nur
Iljafa' steht, ohne den Beinamen Jati', andererseits die Inschrift
Hai. 520 möglicherweise .auf der rechten Seite beschädigt ist
und vielleicht einige Buchstaben ausgefallen sind. Für die Rich
tigkeit meiner Annahme spricht aber Folgendes: ,Die Wei
henden, in Hai. 520,1, der Inschrift wo Iljafa' Jati' als König figu-
rirt, sind,'Ammjada' und'Ammkarib, die Söhne des Ham'att von
Jaf'än*; der Weihende aber in Hai. 535, wo der König Abjada'
Jati' vorkommt, heisst ,'Amsadiq, Sohn des Ilamatt von
Jaf'än 1 , also augenscheinlich ein Bruder der Vorigen. Es müssen
folglich die beiden angeführten Könige im Verhältniss von Vater
und Sohn, oder wenigstens von Vorgänger und Nachfolger zu
einander stehen. Da wir den Nachfolger von ’Abjada' Jati'
1014
D. H. Müller.
kennen — es ist dies Waqah’il Rijäm — so ist es nahezu ge
wiss, dass Iljafa' Jati' der Vorgänger oder der Vater von ’Abjada'
Jati' war.
3) ’Abjada' Rijäm (der Erhabene) SIT) I °l>l?ni 3 v
Kommt nur einmal in den Inschriften vor; Hai. 221, 3,
Ma'in: ,’Abjada' Rijäm, König von Ma'in'.
B. Könige mit Namen Iljafa' oOTIrh-
1) Iljafa' (ohne jeden Beinamen).
Hai. 255, 1. Ma'in: ,Waqah’il Sadiq, Sohn des Iljafa',
König von Ma'in'.
Hai. 383, 2. Es-Soud: ,l]ljafa' und Waqab’il [Sadiq, die
beiden Könige von Ma'in]'.
Hai. 469, 3. Baräqis: ,I|ljafa' und YVaqah’il [Sadiq, die
beiden Könige von Ma'in]'.
2) Iljafa' Jafis (der Hochmüthige oder Ruhmreiche) |°QT1h
BOT-
Hai. 487, 1. Baräqis: ,Iljafa' Jaf[i&]‘.
Hai. 178. El-IIazm Ilamdän: ,IIafn Sadiq und Iljafa'
Jafis'.
Hafn Sadiq ist ohne Zweifel der Vater des Iljafa' Jafis.
3) Iljafa' Jäsir (der Glückliche) |)£?|°0?1h-
IJal. 504, 3 (10). Baräqis: ,Am Tage ihres Fürsten Wa-
qah’il Jati' und seines Sohnes Iljafa' Jäsir, des Königs
von Ma'in, und im Schutze seines Fürsten Sahar Jalil
Juhargib, des Königs von Katabän'.
Hai. 237, 1. Ma'in: ,Iljafa' Jäsir, König von Ma'in'.
Hai. 353, 9—10 (18). Es-Soud: ,Am Tage des Ilja[fa'
Jä]sir, des Königs von M[a'in]'.
Hai. 534, 12. Baräqis: ,Iljafa' J]äsir und sein Sohn Hafn
Rijäm, die beiden Könige von Ma'in'.
Hai. 478, 2. Baräqis: ,Iljafa' Jäsir und Soh[n desselben
Hafn Rijäm]'.
Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass Iljafa'
Jäsir, Sohn des Waqah’il Jati', von diesem als Mitregent
angenommen wurde. Nach dem Tode des Vaters regierte Iljafa'
Jäsir allein, nahm aber später seinen Sohn Hafn Rijäm als
Mitregenten an. Zugleich erfahren wir aus Hai. 504, 4 (12),
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil dee Hamdäui. II. 1015
dass der König von Katabän, der Zeitgenosse des Ujafa' Jäsir,
den Namen Sakar Jalil führte. Merkwürdig ist es auch, dass
der Weihende zu beiden Königen im Verhältnisse eines Vasallen
stand.
4) Iljafa' Jati' (Soter) |°S?l°0?1h-
Hai. 520, 3—4. Baraqis: Ma'dikarib, Sohn des Iljafa'
Jati', König von Ma'in'.
Vgl. über ihn oben A, 2.
5) Iljafa' Rijäm (der Erhabene), ] I °0?1rY
Hai. 229, 1. Ma'in: , und Iljafa' Rijamh
Hai. 191, 1. Ma'in: ,Il]jafa' Riäm, König von Ma'in und
Fürst (mizwad) von Ma'in'.
Hai. 445. Baräqis: ,Unter dem Schutz des Iljafa' Ri-
jä[m . . . .] und der Götter von Ma'in und Jatil'.
Hai. 187, 2 (4). Ma'in: ,Sa'd’il und Jadkur’il und Jasma'il,
das Geschlecht von Gaba’än, die Freunde des Iljafa'
Rijäm und seines Sohnes Haufa'att, der beiden Könige
von Ma'in'.
Aus diesen Stellen ergibt sich, dass Iljafa' Rijam zuerst
Mitregent eines anonymen Königs war (Hai. 229, 1), dann eine
Zeit lang allein regierte, später aber seinen Sohn Haufa'att
als Mitregenten angenommen hat, ferner dass Sa'd’il und
Jadkur’il und Jasma'il aus dem Geschleckte der Gaba’än
(Gebanitae) seine Zeitgenossen waren. Vergleichen wir damit
Hai. 192, 1 Ma'in:
,'Almän, Sohn des 'Ammkarib von Hadär, Vater des
Ja’üs’il und Jadkur’il und Sa'd’il und Waliab’il und
Jasma'il, aus dem Geschlechte der Gaba’än, die Freunde
des Abjada' Jati', des Königs von Ma'in/
so wird man sicher erkennen, dass die Söhne des 'Almän, des
Vasallen und Verbündeten des ’Abjada' Jati', Zeitgenossen des
Iljafa' Rijam waren. Daraus geht aber unzweifelhaft hervor,
dass dieser der mittelbare oder unmittelbare Nachfolger von
jenem, vielleicht sogar sein Sohn gewesen sei.
C. Könige mit Namen Waqah’il, 'IhY'r’®-
1) Waqah’il Jati' (Soter), 1 °8T 1lhY‘1’®-
Hai. 463, 1. Baraqis: ,Jata'il [Sajdiq [und] Waqah[’il Jati']'.
1016
D. H. Müller.
Hai. 527, 2. Baräqis: ,Jata'il Sadiq and sein Sohn Waqa
h’il Jati', die beiden Könige von Ma'in m '.
Dieser Waqah’il Jati' ist der Vater des Iljafa' Jäsir. Die
darauf bezughabenden Belegstellen sind oben sub B, 3 ange
führt worden.
2) Waqah’il Habit | ölflh I 1h
Hai. 501, 2. Baräqis: ,Wa]qah’il Nabit'.
3) Waqah’il Sadiq (der Wahrhafte), | j’lHh I IhY'l’®-
Hai. 255, 1. Ma'in: ,Waqah’il Sadiq, Sohn des Iljafa',
König von Ma'in'.
Hai. 383, 2. Es-Soud und Hai. 469, 3. Baräqis ist ohne
Zweifel zu lesen: ,Iljafa' und Waqah’il [Sadiq . . .'.
Vgl. oben B, 1.
4) Waqah’il Rijäm (der Erhabene), | | IhY'!’®
ist der Sohn des ’Abjada' Jati' und Vater des Iljafa''.
Vgl. die Belegstellen sub A, 2 und folgende zwei Frag
mente :
Hai. 553, 2—3. Baräqis: ,Waqah’il Rijäm und Sohn [des
selben, Iljafa]', die beiden Könige von Ma'in'.
Hai. 571, 2. Baräqis: ,Waqa]h’il Rijäm, Sohn des 'Afbjada'
Jati', König von Ma'in.
D. Könige mit Namen Hafn
1) Hafn . . ., Sohn des Abjada'.
Ilal. 565. Baräqis: ,Ab]jada' und sein Sohn Haf[n . . .‘
Wegen des fi-agmentarischen Charakters der Inschrift lässt
sich nicht bestimmen, ob dieser Hafn einen Beinamen hatte
und welchen.
2) Hafn, Sohn des [’Abjada'] Rijäm.
Hai. 568. Baräqis: ,Unter dem Schutz des [’Abjada'] Ri
jäm und seines [Sohnes] Haf[n . .‘.
Von diesem Hafn gilt dasselbe was vom Vorigen. Auch
ist der Name des Vaters zweifelhaft, da vier Könige den Bei
namen ,Rijäm' führten. Da jedoch die Söhne der drei andern
Könige (Iljafa', Waqah’il und Jata'il) in den Inschriften Vor
kommen, so darf man mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen,
dass es sich hier um einen Sohn des ’Abjada' Rijäm handelt.
Dagegen lässt sich durchaus nicht bestimmen von welchem
Die Burgen und Schlösser SüdurabienB nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1017
Hafn in den Inschriften Hai. 450, 3 Baräqis und Hai. 225,
1 Ma'in die Rode ist.
3) Hafn“ Sadiq (der Wahrliafte) | ‘{’H A 1 ^HOT-
Hal. 374, 1—2 und 401, 1—2 (Es-Soud): ,Hafn"‘ Sadiq,
der König, Sohn des Jata'karib'.
Hai. 574, 2. Baräqis: ,Jata'karib und] Hafn Sadiq, die
beiden Könige von Ma'in'.
Hai. 178. El-Hazm Hamdän: ,I4afn m Sadiq und Iljafa'
Jafis'.
Wir sehen wieder zuerst Jata'karib mit seinem Sohne
Hafn Sadiq gemeinsam regieren, später Hafn Sadiq allein,
zuletzt Hafn Sadiq mit seinem Sohne Iljafa' Jafis.
4) Hafn Rijäm (der Erhabene), £]?) I SihOY; ist c ^ er Sohn
des Iljafa' Jäsir. Vgl. oben sub B, 3.
E. Könige mit Namen Jata'il jh°S?-
1) Jata'il (ohne Beinamen), Bruder des ’Abjada'. Vgl. oben
A, 1.
2) Jata'il Sadiq (der Wahrhafte) | IHi 2 ! 11h°S?-
Hai. 476, 1. Baräqis: ,Jata'il Sadiq, der König ‘
Dieser Jata'il ist der Vater des Waqah’il Jati'. Vgl. die
Belegstellen oben sub C, 1.
3) Jata'il Rijäm (der Erhabene)
Hai. 485, 5 (9). Baräqis: ,Am Tage des Jata'il Rijäm
und seines Sohnes Tobba'karib, der beiden Könige
von Ma'in'.
Welcher von diesen drei Königen, Hai. 536, 2. Baräqis:
,am Tage des Jata'ii' gemeint ist, lässt sich bei dem fragmen
tarischen Charakter der Inschrift nicht bestimmen.
F. Könige verschiedenen Namens.
1) Chälkarib Sadiq (der Wahrhafte).
Hai. 257, 1. Ma'in: ,Chälkarib Sadiq, Sohn des ’Abjada',
König von Ma'in'. Vgl. oben A, 1.
Hai. 195, 10. Ma'in: ,Chä]lkarib Sa[di]q, König von Ma'in'.
Hai. 243, 17—18. Ma'in: ,1m Schutze des Chälkarib
[Sadiq], des Königs von Ma'in'.
Hai. 242, 7—8. Ma'in: ,1m Schutze des Chälkarib Sadiq,
des Kö[ni]gs von Ma'in'.
1018
D. H. Müller.
2) Haufa'att, Söhn des Iljafa' Rijäm. Vgl. oben B, 5.
3) Ma'dikarib, Sohn des Iljafa' Jati'. Vgl. oben B, 4 u. A, 2.
4) Tobba'karib, Sohn des Jata'il Rijäm. Vgl. oben E, 3.
5) und 6) 'Ammjata' Nabit und Abükarib.
Hai. 484, 1—2. Baräqis: ,'Ammjata' Nabit, [Sohn des]
Abükarib, König von Mfa'inb
Hai. 479, 1—2. Baräqis: ,Am Tage des [Abükarib und
'Ammjata'] Nabit, der beiden Könige von Ma'inh
7) Jata'karib. Vgl. oben D, 3.
Wir erhalten also folgende Uebersicht:
A. Könige mit Namen ’Abjada'.
1) ’Abjada' (ohne jeden Beinamen).
2) ’Abjada' Jati' (Soter).
3) ’Abjada' Rijäm (der Erhabene).
B. Könige mit Namen Iljafa'.
1) Iljafa' (ohne jeden Beinamen).
2) Iljafa' Jafis (der Ruhmreiche).
3) Iljafa' Jäsir (der Glückliche).
4) Iljafa' Jati' (Soter).
5) Iljafa' Rijäm (der Erhabene).
C. Könige mit Namen Waqah’il.
1) Waqah’il Jati' (Soter).
2) Waqah’il Nabit.
3) Waqah’il Sadiq (der Wahrhafte).
4) Waqah’il Rijäm (der Erhabene).
D. Könige mit Namen Hafn.
1) Hafn . . ., Sohn des Abjada'.
2) Hafn . . ., Sohn des [Abjada'] Rijäm.
3) Hafn Sadiq (der Wahrhafte), Sohn des Jata'karib.
4) Hafn Rijäm (der Erhabene), Sohn des Iljafa' Jäsir.
E. Könige mit Namen Jata'il.
1) Jata'il (ohne Beinamen).
Die Burgen und Schlösser Sudarabiens nach dem Iklil des Haindäni. II. 1019
2) Jata'il Sadiq (der Wahrhafte).
3) Jata'il Rijäm (der Erhabene).
F. Könige mit verschiedenen Namen.
1) Chälkarib Sadiq (der Wahrhafte).
2) Haufa'att, Sohn des Iljafa' Rijäm.
3) Ma'dikarib, Sohn des Iljafa' Jati'.
4) Tobba'karib, Sohn des Jata'il Rijäm.
5) Ammjata' Sohn des Abukarib
6) Abukarib.
7) Jata'karib.
Im ganzen also 26 Könige. Gruppiren wir dieselben, so
weit es möglich ist, nach den verwandtschaftlichen Beziehungen,
so ergeben sich folgende drei grössere Gruppen:
I.
Jata'il Sadiq
Waqah’il Jati'
Iljafa' Jäsir
Hafn Rijäm
II.
Iljafa' Jati'
’Abjada' Jati' König v. Ma'in Ma'dijkarib
Waqah’il RijanT'“iljafa' Rijäm (Sohn?) K - v - Hadramaut
Iljafä' Haufa'att
Waqah’il Sadiq
III.
Jata'karib
Hafn Sadiq
Iljafa' Jafis.
Die Reihenfolge der Gruppen, wie ich sie hier gegeben,
ist keine zufällige, vielmehr glaube ich, dass sie so, wenn auch
nicht unmittelbar auf einander gefolgt sind. Hierzu bestimmt
mich nachstehende Betrachtung. Wir lesen Hai. 534 Baräqis:
(1) ,Zajd’il und Zajd und Aus, Söhne des Ildara’
von Sa't m , baute 1 und gründete und (2) erneuete dem 'Attar
1 Der Singular steht in der Inschrift.
1020
D. II. Müller.
von Qabd“ und dem Wadd“ und [Nikrah . . . den
Bau der Tkürme (3) Bajr’än und Ridwän und Rabqän
und Jabin und Lab’an und Sarbän (8) und es
stellte das Geschlecht von Sa't“ ihre Stiftungen [und
Bauten] . . . in den Schutz des .... [und des Iljafa'
Jäjsir und seines Sohnes l.Iafn“ Rijäm, der beiden
Könige von Ma'in'.
Es sind also die beiden Thürme Lab’än und Sarbän
unter den erwähnten beiden Königen der ersten Gruppe er
baut worden. Vergleichen wir damit Hai. 535 Baräqis:
,'Ammsadiq, Sohn des Ham'att von Jaf'än etc. . . .
stiftete und baute und weihte dem 'Attar von Qabd" die
Warte (?) Tin'am, deren Vorderseite wohlgeformt war aus
Holz und Balken, von den Grundfesten bis zu den Späh
luken (oder: Consolen) und deren Schutzwehr aus Steinen;
alle Wachthäuser zwischen den beiden Thürmen Sarbän
und Lab’än Bei 'Attar des Ostens und 'Attar
von Qabd bei Wadd m und Nikrah“ und bei 'Attar von
Juhriq und bei der Göttin von Nasq“ und den Göttern
von Ma'in und Jatil und bei 'Abjada' Jati', König von
Ma'in . . J,
so geht daraus hervor, dass unter dem König'Abjada' Jati',
welcher der zweiten Gruppe angehört, die beiden Thürme
Lab’än und Sarbän schon längst erbaut waren, zugleich aber
auch, dass die Könige der Gruppe I vor denen der Gruppe n
regiert haben müssen.
Die Könige der dritten Gruppe halte ich desswegen als
der spätesten Zeit der minäischen Geschichte angehörig, weil
keiner von ihnen in den Inschriften des alten Ma'in vorkommt.
Der späteren Forschung muss es überlassen bleiben diese
Königslisten zu ergänzen und zu verbessern. Neu aufzufindende
Inschriften und insbesondere Münzen, die jetzt in grosser Zahl
auftauchen, dürften weitere Aufschlüsse gewähren. So viel steht
aber schon jetzt fest, dass die Minäer der klassischen Schrift
steller kein anderes Volk sein können, als die Einwohner von
Ma'in und der damit verbundenen Städte; denn es wäre ge
radezu beispiellos, dass ein Volk, welches nachweisbar 26 Herr
scher hatte, die, wie aus den öfter sich wiederholenden Namen
und Beinamen hervorgeht, einer grossen Dynastie angehört
Die Burgen und Schlösser Südavabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1021
haben, den klassischen Schriftstellern nicht bekannt gewesen
wäre und dass wir ihre Minder anderwärts zu suchen hätten.
Die Nachrichten, die uns die griechischen Geographen erhalten
haben, bestätigen vollständig unsere Behauptung. Wenn Plinius
6, 155 sagt: ,Atramitis in mediterranen iunguntur Minaei/ so
geht daraus mit Evidenz hervor, dass die Minder die Grenz-
nachbaren der Hadramautiten waren; 1 die Gemeinschaftlichkeit
der Sprache und die Thatsache, dass ein ma'inäischer Prinz König
von Hadramaut war, beweisen die Richtigkeit dieser Angabe.
Aus dieser Stelle ist aber auch zu ersehen, dass die Minder
ein Binnenvolk waren und nicht an der Küste wohnten. Das
selbe geht auch aus Plinius VI, 154 hervor, wo er den Namen
Sabäer im weitesten Sinne des Wortes fasst und darunter auch
Minder und Hadramautiten versteht: Sabaei Arabum propter
tura clarissimi ad utraque maria porrectis gentibus . oppida
eorum in rubro litore .... intus Nascus, Cardava, Carnus
et quo merces odorum deferunt Thomala . pars eorum Atra-
mitae, quorum caput Sabota LX templa muris includens.
Der Umstand, dass Carnus neben Naskus (Nasq der
Inschriften) erwähnt wird, macht es zweifellos, dass unter Car
nus das ©lq)<]> der Inschriften, eine der Städte des minäischen
Reiches gemeint sei, die unweit von Nasq liegt, wie ja auch
die arabischen Geographen beide, al-Baidä und as-Saudä, zu
sammen nennen. An einer anderen Stelle bezeichnet Plinius
Hadramiten und Minder als ,pagi‘ der Sabäer 2 , was jedenfalls
auch die Annahme ausschliesst, dass die Minder in der Gegend
von Mekka gewohnt haben. Der Ansicht Sprengers widerspricht
ferner die Angabe des Eratosthenes bei Strabo 768: ,Die Weih
rauchhändler kommen zu den Kattabanen und Chatramiten von
1 Wir müssen also entweder annehmen, dass das Reich der Minder in alter
Zeit thatsäehlich bis nach Hadramaut reichte, oder dass sie wenigstens
die Etapponstrasse zwischen Ma'in und faabwa besetzt hielten.
2 XII, 51 ff. tura praeter Arabiam nullis, ac ne Arabiae quidem universae.
In medio ejus fere sunt Atramitae, pagus Sabaeorum, capite regni
Sabota in monte excellso, a quo octo mansionibus distat regio eorum
turifera Saba appelata — hoc significari Gracci mysterium dicunt — Ibid.
54: Attingunt et Minaei, pagus alius, per quos evehitur uno tramite an-
gusto . hi primum commercium t.uris fecere maxume exercent, a quibus
et Minaeum dictum est,.
1022
D. H. Müller.
Aelana bis Minäa in siebzig Tagen'. Wir seben aus dieser Stelle
erstens, dass die Waaren von Hadramaut und die der Katta
banen ihren Stapelplatz im Lande der Minäer hatten; zweitens,
dass die Entfernung von.Aelana bis in das Land der Minder
70 Tage betrug, was jedoch für die Gegend von Mekka durch
aus nicht passt, da kaum die Hälfte der Zeit nöthig ist dort
hin zu gelangen. Die Stelle endlich, Plinius 6, 157: Minaei
... quorum Charmaei, oppidum XIV mill. pass. Mariaba Bara-
malacum et ipsum non spernendum, item Carnon, worin Spren
ger Mekka selber und zwei in der Nähe von Mekka gelegene
Ortschaften erkennen will 1 , deute ich anders. Wir wissen,
dass die Haramier eine sabäische Enclave im Gebiete der
Minäer bildeten; dies sagt uns Plinius: ,Die Minäer zu denen
die Haramier gehören. Ihre Stadt ist Marjaba Baramalacum,
die 14 Meilen im Umfang hat und nicht zu verachten ist und
auch Carnon.' Was unter Marjaba Baramalacum gemeint sei,
ist ungewiss, vielleicht das Marib der Sabäer; denn wie oben
Carnus als eine sabäische Stadt und die Minäer als ein ,pagus‘
Sabaeorum bezeichnet worden sind, so ist es sehr wohl mög
lich, dass hier Marjaba die Hauptstadt der Minäer genannt wird.
In Baramalacum steckt vielleicht dLCo ,Residenz des Reiches'
(ohne Artikel cd, der im Sabäischen nicht gebräuchlich ist) oder
etwas Aehnliches. Dass aber unter Charmaei ,die Haramier'
und nicht ,Binät-IJarb', unter Carnon das der Inschriften
(= as-Saudä) und nicht Qarn al-Manäzil zu verstehen sei, kann
nach dem Gesagten, wie ich glaube, nicht bezweifelt werden.
Ob die Minäer einige Küstenplätze besetzt hielten, ist für die
alte Zeit nicht ganz sicher, aber sehr wahrscheinlich 2 . Die
1 Alte Geographie Arabiens §. 347: ,Ihre Stadt ist Benät Harb, hat 14 Mei
len im Umfang, ihnen gehört Makka, das auch nicht zu verachten ist,
wie auch Qarn-al-Manäzil‘.
2 Nachträglich bemerke ich, dass die Inschrift BM 31 = Os. 28, auf rothem
Sandstein, gefunden in der Umgegend von Ta'izz, in minäischem Dialect
abgefasst ist (vgl. rSHI®! Z. 4). In Ta'izz erkannte Botta ,das Schloss
als ein entschieden vorislamitisches 1 (Vgl. Osiander, Zeitschrift d. D. M.
G. XIX, 79 ff.). Ebenso ist die Inschrift BM 35 = Os. 37, die aus Abjan
stammen soll, minäisch (Z. 3, r^ir^OS)- Diese Spuren weisen jedenfalls
darauf hin, dass die Minäer längere Zeit auch einige Küstenplätze im
Süden besetzt hielten. Die Inschriften BM 31 halte ich aus paläogra-
phischen Gründen für älter als BM 35.
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1023
eigentlichen Wohnsitze jedocli der Minäer waren die drei oben
beschriebenen Städte und nicht die Küstenplätze. Wenn
Eratosthenes bei Strabo die Minäer, den ,am rothen Meer
gelegenen Theil“ (Südarabiens) bewohnen lässt, so soll das
wohl nur ein Gegensatz zu dem ,am persischen Meerbusen
gelegenen' ausdriicken, und nur durch Missverständnis dieser
oder einer ähnlichen Angabe sagt Stepli. Byz. MtvaTot eOvo? iv rij
irapaXta vf\c, epuOp»; öaXaac-qq.
Die Geharnten und Kattahanen.
Indem ich mit Vergnügen auf die bahnbrechenden und
gründlichen Erörterungen A. Sprenger’s verweise, die erst die
Bedeutung der Gebaniten und Kattabanen in Südarabien in’s
rechte Licht setzten, will ich hier in aller Kürze mit Zuhülfe-
nahme der Inschriften das Verhältnis der Gebaniten zu den
Mindern genauer zu bestimmen suchen und die Behauptung
Sprenger’s, dass die Kattabanen mit den Qudä'a identisch
seien, vom Standpunkte der Inschriften einer Prüfung unter
ziehen.
Plinius 12, 69 heisst es: Genera (murrae) complura: Tro-
glodytica silvestrium prima, sequens Minaea, in qua Atramitica
est, et Gebanitica et Ausaritis Gebanitarum regno. Das will
sagen, dass die minäische Myrrhe eigentlich atramitisches und
gebanitisches Product sei. Aber nicht nur die Myrrhe, sondern
auch der Weihrauch kam ausschliesslich durch die Geba
niten in den Handel, 1 und da die Minäer, wie wir aus Plinius
12, 53 ersehen, den Weihrauchhandel im grossen Style be
trieben, so ist es natürlich, dass sich zwischen Mindern und
Gebaniten Beziehungen herausbilden mussten, die den Handel
ermöglichten. Die Stellung der Gebaniten scheint in verschie
denen Zeiten eine verschiedene gewesen zu sein. Sie haben
jedoch schon in alter Zeit eine ziemlich bedeutende Vermittler
rolle gespielt; denn wir finden sie in den Inschriften als
,Freunde“ der Könige von Ma'in, denen zu Ehren sie
sich an den Staatsbauten der Minäer betheiligten. Ich lasse
1 Plinius, 12, 63: Evelii non potest (sc. tus) nisi per Gebanitas, itaque et
liorum regi penditur vectigal.
1024
D. II. Müller.
hier einige Inschriften, in denen der Gebaniten Erwähnung
geschieht, folgen:
Hai. 187. Ma'in: 1. ,'Ammjada' und Ma'dikarib und
Hajw" und Basil” und Jahm’il, die Söhne des 'Ammsadiq,
mit [ihren] Oheimen, den Vätern von . . . s und ’Ab’amar
und ’Aus'att und Chäljada' und Wadd’il und Sa'd'fl
2. und Jadkur’il und Jasma'il, das Geschlecht Gaba’än,
die Freunde des Iljafa' Kijam und seines Sohnes Hauf'att,
der beiden Könige von Ma'in, stifteten dem 'Attar von
Qabd m den ganzen Bau des Thurmes Jahar
3. Stein und Holz bis zu den Consolen 1 als Ehren
bezeugungen 2 , womit geehrt hat 'Ammjada' den 'Attar von
Qabd, (er und) das Geschlecht )) f| r) ? und als Hebe und
Zehnten, die er ihm darbrachte 3 am Tage . . .
Hai. 478. Baräqis: ,Dahamil und sein Sohn Badijat, von
der Genossenschaft des 'Attar von Jtihriq, und BXY1?>
von dem Geschlechte Zaluman, aus dem Geschlechte
1 Oder: ,Luckscharten‘, die an dem obern Theil des Thurmes für den
Wächter angebracht waren. Der Ausdruck ist übrigens verkürzt aus dem
häufig vorkommenden | | I rh)^r^i | S [~1 ? von deu Grundfesten
bis zu den Consolen*.
halte ich für einen Plural der Form ebenso ist das häufig
dabei stehende hlDflh (z- B. Hai. 353, 13. 432, 2. 474, 4. 535, G. 9)
Plural, nicht IV. Form = (^1^51 (wie man bis jetzt allgemein angenommen
hat), weil die IV. Form f]) laufen müsste. Es ist vielmehr zu
^o s> ,o ^ *
sprechen V/I oder | (gleich arab. und bedeutet,Ehren
bezeugungen 1 . In gleicher Weise bedeutet B. M. 16, 10 (= Os. 27),
20, 7 (= Os. 16), 23, 1. 4 (= Os. 25), 37, 7 (= 36) und Müller, Z. M. G.
-
XXIX, 591 ,Erfüllungen 1 und ist gleich nicht , !; ferner
hlJBh (Huf 535, 11) (sprich: ,Heere 1 oder ,Eaubzüge‘. Ebenso
ist Reh. 6, 1 = -1 , V1 nicht .I ,^t u. s. w. Somit verschwindet
) ) E
der Infinitiv JLa.il, den man im Sabiiischen zu finden vermeinte.
3 Wir wissen aus Plinius, dass eine bestimmte Abgabe von dem Weih
rauch und andern Gewürzen an die Götter entrichtet worden ist. Diese
Gelder sind wohl zu Tempelbauten und zur Aufführung anderer Baulich
keiten zu Ehren der Götter verwendet worden. Das besagt dieser Aus
druck, der häufig in den Inschriften wiederkehrt.
Die Bürgen und Schlosser Südarabiens nach dem Ihlil des Hamdanl. II. 1025
[Gajba’än, 1 die Freunde des Iljafa' Jäsir und seines
So[hnes ITafn Rijäm, stifteten dem Wadd] und Niqräh
und 'Attar von Juhriq und 'Attar [von Qabd] den ganzen
Bau des Thurmes Rabqän als eine Hebe, die ent
richtet haben Gadan und Dahamil dem 'Attar von Qabd 1 "
und den Göttern . . /
Ganz besonders charakteristisch für das Verhältniss der
Gaba’än zu den Minäern ist die Inschrift Ilal. 192, Ma'in 6,
die, wie es scheint, auf der Mauer von Ma'in vorkommt, ob
wohl Halevy hierzu nur ,trois lignes tres-longues' bemerkt, da
die Länge der Zeilen es kaum möglich erscheinen lässt, dass
sie auf einer Stele geschrieben sei. Ich theile sie hier in Text
und Uebersetzung mit:
1. °B®l'lh)BHT®l1hB®h?inhl)hBYmn)B$°IBniBN1°
l°N?nhlXNN®NIBhnni]1Yhl1B°NB?®l1hnY®®nhN
INBn*HI)X[SMI?]B*B®ITBn®IB13 I B°N I B1NI°ST
I X8NB® I NOYB IBNB I )®TX® I ?1°X 1161NY)B B® 1NN®®
OlYlBBiniXNOYN
2. i bos \m i ?Bn inoyni sn i ®3N)H°n)?Yi°n i®b>*i b
• • - ® I SD^X® I N[B]° 1TUN I ?11°® I TBriH I B)1Y I §°1£ I N°
TN i XHmm B)** I N° I BNN^I TBI1N I Bm NBY)H° • • X
I NBN I Hü® IBX1B1BB |o)01 TY°))01 n® I an^H I )XS° I BB
= ®T IBYNTI Bn
3. Yhn i NYnNh i n®®i sn^N i )xmi YjntN® i tkni n;iY® i n
IB°NIN®£N®IB°NIB1NKTI°N?nBinSBIN®t®lY°IN)B
hrnl Y)h I XMn I °)£B® IBNBXI BN1°B IB°BNIN®8NIhn
IBBYNB® IN1B® I )Bn I BYn°£® IBYB1N® IBYNT2® IBY1
TBnIB)B
Die Uebersetzung dieser Inschrift lautet:
1. ,'Almän, Sohn des 'Ammkarib von )hBY; Vater des
Ja’üs’il und Jadkur’il und Sa'd’il und Wahab’il und Jas-
ma'il, das Geschlecht Gaba’än, die Freunde des ’Abjada'
Jati', des Königs von Ma'in, stiftete 2 und baute und
1 Wörtlich: ,das Geschlecht Z., das Geschlecht G.‘ in Apposition.
2 Der Singular bezieht sich auf 'Alman, die Hauptperson, wie häufig iu
den Inschriften.
Sitzungsfcer. d- phil.-liigt. CI. XCVII. Bd. III. Hft. 65
1026
D. H. Müller.
weihte dem ‘Attar von Qabd“ und dem Wadd"’ und Nikräh“
die ganze Aufführung und Ausschmückung von sechs Wacht-
häusern 1 und sechs Thürmen an der Mauer der Stadt
2. Qarnu . . . von dem Thurm, den erbaut haben seine
Leibwächter, 2 bis zu dem 8°']^ der Stadt, welchen erbaute
und aufführte (und) welchen bedeckte mit Holz und Balken 3
. . . . ihre Schutzmauer, von dem Grundbau bis zu den
Consolen (oder: Luckscharten) als Zeichen der Verehrung
für seinen Herrn (wörtlich: Richter = ^bo) ‘Attar von
Qabd und für diejenigen, welche Hebe darbringen den
Göttern. 4 Wer zerstören wird (diese Baulichkeiten) von
ihrer Stelle. 5
3. An (jenem) Tage brachte er [Gaben] 6 und schlachtete
dem ‘Attar von Qabd und Wadd Schlachtopfer in den
Höfen (der Tempel) 15 (an Zahl) und an (jenem) Tage
sprach ’Abjada' Jati' König von Ma'in und Fürst
(mizwad) von Ma'in und (?) Fürst von Man'an seinen
Dank aus dem 'Almän für seine Treue und seinen Wandel
nach dem was festgestellt worden (?) seinem Gotte und
1 So nach Praetorius. Die Bedeutung- ist jedoch nicht ganz sicher. Vgl.
erstes Heft S. 357.
2 So gegen Praetoris Beitr. III, 25 und Mordtmann Z. M. G. XXX, 3.
rh 0 11 j’OT ist gleich (jwjjj ibULa. ,die Wächter (seiner) Person“, d. h.
die Leibgarde. So ist auch H. 255, 1 für (hOSTOf® zu lesen und voll
ständiger H. 237, 2: | tf] OYSÜ I (MO] h I T Y C?]01® =
läÄ^sj Man erinnert sich an dieser Stelle der Mittheilung des
Eratosthenes bei Strabo 778, wonach der sabäische König in seiner Burg
scharf bewacht, weil er, wenn er sie verliess, vom Volke gesteinigt
wurde.
3 Man vergleiche zu ^X® I SIE] 0 I 1 j den analogen hebräischen Aus
druck \-nip bx
4 Vielleicht sind damit ,die Priester“ gemeint.
6 Man muss hier ergänzen: ,den treffe Unglück“ oder dergleichen; es ist
die verkürzte Fluchformel am Ende der Bauinschriften, die so häufig vor
kommt. Vgl. Müller Z. d. D. M. G. XXX, 69G ff.
6 Die Ergänzung | < j’|°$S|in|Y®l 51®? ® ist durch Hai. 188, 5. 19G, 7.
224, 3. 390. 450, 1. 478, 13. 506, 2 und 542, 1 gesichert.
Die Borgen und Schlösser Südnrahiens nach dem Iklil des Hamdänt. II. 1027
seinem Patrone und seinem Könige und seinem Stamm
im Krieg und im Frieden . . . .' 1
Aus diesen Inschriften ist zu ersehen, dass die Gaba’än
ganz besonders hoch in der Gunst der Könige von Ma'in ge
standen sind. Sie waren aber keine politische Gemeinschaft,
sondern ein 'lYfr, das heisst eine ,Familie', an deren Spitze
ein Oberhaupt stand, wie in der Inschrift H. 192 z. B. das
Oberhaupt 'Almän war. Sie werden als ,Familie' nicht sehr
zahlreich gewesen sein, ihre Macht bestand vielmehr, wie es
scheint, in ihrer privilegirten Stellung. Dass gewisse Familien
beim Weihrauchsammeln eine bevorzugte Stellung einnahmen
sagt Plinius 12, 54 ausdrücklich: Nee praeterea Arabum alii
turis arborem vident, ac ne horum quidem omnes, feruntque
III M non amplius esse familiarvm, quae ius per successiones
id sibi vindicent, scicros 2 vocari ob id, nec ullo congressu femi-
narum funerumque, cum incidant eas arbores aut metant, pol-
lui, atque ita religionem mercis augeri. Vielleicht ist der Name
Gaba’än ursprünglich kein Familiennamen, sondern bezeichnet
ihren dienstlichen Character. hm = 44 heisst ,sammeln',
nämlich den Weihrauch.
In späterer Zeit treten uns die Gaba’än als ,Gebanitae'
entgegen, und zwar unter einem Könige, der nicht nur das
Weihrauchmonopol in Händen hatte, sondern auch von dem
Zirnmt und der Myrrhe, die von der afrikanischen Küste ein
geführt worden sind, Steuern einhob. 3 Sie besassen nämlich
um diese Zeit den Hafen Okelis, wohin die gegenüberliegenden
Küstenbewohner den Zirnmt zu bringen pflegten.- 1
> Die Gaba’än kommen ferner vor H. 190, 11. 208, 1. 224. 232. 233, 11.
234, 8. 11. 453. 465, 1. 474, 2 und 569, 1, wobei ich jedoch bemerke,
dass öfters S h I”! 1 für H h fl verselirieben stellt.
2 Vielleicht heissen sie desswegen ))nr^l I 1Yh >das Geschlecht der
Frommen 1 , wenn Praetorius’ Auffassung dieses Ausdruckes richtig ist.
3 Plinius 12, 68: non dant ex murra portiones deo, qnoniam et apud alios
nascitur, regi tarnen Gebauitarum quartas partis eius pendnnt. Ferner
12, 93: Jus eins (sc. cinnami) a Gebanitarum rege solo proficiscitur . is
edicto mercatu vendit.
* Plinius 12, 88: Hi (sc. Aethiopes) reeto cursu per sinus impellunt atque
a promontori ambitu argeste (cinnamonum) deferunt in portum Gebani-
tarum qni voeatur Ocilia.
G5*
1028
1). H. Müller.
Vor den Gebaniten aber haben — wie Sprenger, Alte
Geographie Arabiens 386 aus Eratostlienes bei Strabo 768 nacli-
gewiesen — die Kattabanen ,die Enge und die Durchfahrt
des arabischen Busens' bewohnt. Nachdem wir auch aus einer
Aeusserung des Eratosthenes wissen, dass ,Kattabania Weih
rauch lieferte', so schliesst Sprenger mit Recht daraus, dass
die Kattabanen unter der Oberherrschaft ihres zu Thumna
residirenden Königs in Muza und Okelis etwa 200 Jahre
v. Chr. das Regiment führten. ,Zur Zeit JubaV — fährt Sprenger
fort — ,war ein Dynastiewechsel eingetreten und die Gebaniten
hatten die Kattabanen verdrängt und sich in alle Rechte und
Vortheile ihrer Vorgänger gesetzt .... Es folgte also auf die
kattabanische. eine gebanitische Periode, welche zur Zeit des
Periplus schon der homeritischen gewichen war.' Allein nicht
nur in Okelis erscheinen uns die Gebaniten als die Nachfolger
der Kattabanen, sondern auch in Thumna; 1 denn bei Erato
sthenes erscheint Thumna als die Residenz der Kattabanen,
während sie von Plinius schon den Gebaniten zugeschrieben
wird. So weit stimme ich den Ausführungen Sprenger’s voll
ständig bei. Wenn er aber die Kattabanen mit den Qudä'a
identificirt und den Körper ihres Reiches weit nach Osten an
das Kaurgebirge verlegt, so muss ich dieser Behauptung aus
verschiedenen Gründen widersprechen. In den Inschriften
kommen die Kattabanen vor u. zw., wie schon Halevy und
Mordtmann bemerkt haben, in der Form L 1 nX'r’> die bald neben
den Sabäern, bald neben den Minäern genannt werden. So
heisst es in der oben S. 971 übersetzten Inschrift Fr. 56: ,und
es kamen nach Marjab in Frieden (oder: im Monate Salärn)
Saba’ und Qataban.' Auch H. 233, 2 kommt hriX'l’ ,Qatabän‘
vor, was desswegen merkwürdig ist, weil die Inschriften II.
231—234 von Gebaniten gesetzt sind und die Shfll ,Gaba’än'
öfters in denselben Vorkommen. Es bestanden also schon in
ziemlich alter Zeit Beziehungen zwischen Gebaniten und Kat
tabanen. In der Inschrift H. 151, 14—15. (Haram) ist von
IXflXmriYH >den Goldmünzen (?) Qatabaniens' die Rede.
Endlich heisst es IT. 504, 10 ff.: ,am Tage ihrer Fürsten
1 Zu ,Thumna 1 möchte ich auf Hai. 147, 1 Haram: L lX?*~l5l$ verweisen,
das möglicher Weise die ,Einwohner von Thumna' heisst.
\
Die Burgen und Schlösser Südiirakiens nach dem lklil des Hamddni. II. 1029
Waqah’il Jati' und seines Sohnes Iljafa' Jäsir, des Königs von
Ma'in, und zu Ehren seines Fürsten Sahar Jälil Juhargib (des
Furchtbaren), des Königs von Qatabän.* Aus dem Beinamen
des Königs ,Juhargib* kann man mit Gewissheit schliessen,
dass die Qatabän sabäischen und nicht minäischen Ursprungs
waren. Dagegen scheinen die Gaba’än den minäischen Dialect
gesprochen zu haben, weil alle ihre Inschriften im minäischen
Dialect abgefasst waren. Namen wie Haufa’il und
XS°0®V Haufa'att darf man jedoch nicht als Beweis für ihren
sabäischen Ursprung anführen, da auch ein König von Ma'in
den letztem Namen führte, und wir schon constatirt haben
(oben S. 1009), dass im minäischen Dialect keine einzige Cau-
sativform joOrh ,saf'al* von den Verben primae w und j vor
kommt.
Nach dem Gesagten wird man nicht zweifeln dürfen, dass
i—i f]X*r > der Inschriften den ,Kattabani* der griechischen Geo
graphen entspricht; diese Form aber schliesst lautlich die
Identificirung mit dem Qudä'a vollständig aus.
Was ihre Wohnsitze betrifft, so bemerke ich, dass sich
in der Nähe von Zafär, der spätem Residenz der Himjaren,
eine Ebene Qatäb d>Ä=>-) findet, die lautlich identisch
ist mit dem , f] X,Qatabän* der Inschriften und den Katta-
bani des Strabo und Plinius. Liegt es nicht nahe anzu
nehmen, dass die Kattabanen an derselben Stelle ihre Macht
ausgeübt haben, wo noch Spuren ihres Daseins in dem Namen
des Ortes geblieben sind und wo diejenigen, die ihnen in der
Herrschaft folgten, ihren Sitz hatten? — Dafür spricht auch
folgender Umstand. Eratosthenes zählt die Kattabanen zu den
vier grossen Völkern, die Südarabien bewohnten. Dagegen
heisst es in dem Bericht über den Zug des Aelius Gallus bei
Plinius VI, 161: cetera explorata retulit: numerosissi-
mos esse Homeritas, Minaeos fertiles agros palmetis arbus-
toque, in pecore divitias. Gerbanos et Agraeos armis praestare,
maxime Chatramotitas.. .Sabaeos dittissimos silvarum fertili-
tate odorifera, auri metallis, agrorum riguis, mellis ceraeque pro-
ventu. Von den vier grossen Völkern des Eratosthenes finden
wir hier nur drei erwähnt: die Minäer, Chatramiten und Sa
bäer. Anstatt der Kattabanen werden hier die Himjaren zum
ersten Male erwähnt und zugleich als sehr zahlreich be-
1030
D. H. Müller.
zeichnet, die Kattabanen aber sind für immer vom Schauplatze
Siidarabiens verschwunden. Wie ist diese merkwürdige Erschei
nung zu erklären? Ich glaube am besten dadurch, dass man
annimmt, dass die Kattabanen nicht ein Volk, sondern eine
mächtige sabäische (wie die Gebaniten eine minäische) Familie
waren, die aus dem Norden in die Gegend von Zafär, also in
das Land der Himjaren einwanderte und den Handel und die
Herrschaft an sich riss. Sie standen unter der Oberherrschaft
der Sabäer, wie das Pilgern der Qataban nach Marjab beweist;
die Sabäer aber hatten zu Zeiten gewiss kaum mehr als eine
Scheinherrschaft über die mächtigen Handelsfürsten des Südens
ausgeübt. Der eine oder der andere ihrer Häupter mag sich
von der Herrschaft der Sabäer ganz befreit haben, indem er
sich mit ihren mächtigen Ilivalen, den Minäern, verband. Das
scheint bei dem König Juhargib, der neben einem minäischen
König auf einer minäischen Inschrift vorkommt, der Fall gewesen
zu sein. Als die nördlichen Gegenden in Folge der Ereignisse,
die wir oben geschildert haben, an Macht verloren und der
Handel immer mehr nach dem Süden verlegt werden musste,
da mögen die Gebaniten, die mächtige Handelsfamilie in der
Nähe von Ma'in, die bis dahin den Landhandel beherrschten
und sich in ihren vitalsten Interessen jetzt bedroht sahen, die
Kattabanen aus ihren wichtigsten Positionen verdrängt haben.
Später verlegten auch die Könige von Saba’ ihre Residenz
nach dem Süden. Es wird gewiss ihr Bestreben gewesen sein,
dem fremden Stamm den Handel zu entreissen und wieder an
sich zu bringen, was ihnen auch gelungen ist; denn der Ver
fasser des Periplus kennt schon die vereinigten Reiche der
Homeriten und Sabäer, deren Fürst Charibael in Saphar resi-
dirte und mehrere Küstenplätze besetzt hielt.
Saba’ und Ma'in.
Wir haben im Verlaufe dieser Abhandlung gesehen, dass
die beiden mächtigsten und bedeutendsten Völker Südarabiens
die Sabäer und Minäer waren. Die Kattabanen erwiesen sich
als ein sabäisches Geschlecht, wie die Gebaniten als ein
minäisches. In Hadramaut herrschte zeitweilig ein Prinz ans
dem Königshause der Minäer, und die Fürsten der später in
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1031
den Vordergrund tretenden Himjaren waren Sabäer. Verschie
dene Dynastien regierten in den beiden aneinander grenzenden
Reichen, deren Sprache dialektisch scharf von einander abwich.
Nach dem Berichte Josef Halevy’s zu schliessen, scheint der
Charakter der minäischen Schrift sich so wenig wie der Styl der
Inschriften von dem der sabäischen zu unterscheiden. Es waren
also, wie man vorab vermuthen darf, stete Berührungen und Be
ziehungen zwischen den beiden Reichen, die eine gleichmässige
Entwicklung erzeugten. In der Gleichmässigkeit tritt uns aber
eine gewissermassen absichtliche Verschiedenheit entgegen, die
aus der Rivalität der beiden Völker hervorgegangen zu sein
scheint. Denn, dass die beiden durch Abstammung und Sprache
gesonderten Stämme mit einander stark rivalisirten und dass
jeder derselben den Handel und die Oberherrschaft über die
kleinen Völkerschaften an sich zu reissen suchte, ist gewiss
und wird durch die Denkmäler bestätigt. Eine sorgfältige
Prüfung der Inschriften ergibt nämlich, dass das Verhältniss
der beiden Reiche zu einander ein keineswegs freundliches war,
dass man vielmehr von beiden Seiten streng vermieden hatte
in den Weih- und Denkinschriften den Namen des Nachbar
reiches zu erwähnen. Kein König der Minäer wird in sabäi
schen, kein sabäischer auf echt minäischen Inschriften erwähnt,
während die kleinen Reiche und deren Könige hier wie dort
angeführt werden, wahrscheinlich je nachdem sie den Schutz
des einen oder andern Reiches genossen. 1 Die scheinbaren
Ausnahmen von dieser Regel bestätigen gerade unsere Behaup
tung. So wird auf einer Inschrift von Es-Soud (Hai. 359, 4) der
König von Saba' erwähnt; die Inschrift ist aber auch im sa
bäischen Dialect abgefasst und wurde, wie ich schon oben S. 1010
bemerkt, wahrscheinlich von Ilaramiern gesetzt, einer sabäischen
Enclave mitten im minäischen Gebiet. In einer andern, echt-
minäischen Inschrift (Hai. 535) kommt auch Saba’ vor, aber
ausdrücklich als im Kampf gegen Ma'in. Diese Stelle lautet:
,An jenem Tage schützte sie und ihren Besitz 'Attar
von Qabd"' und Nikräh und ihr Fürst vor den Heeren,
mit denen Saba’ und Chaulän sie, ihren Besitz und ihr
Vieh überfallen haben an der Caravanenstation 1 zwischen
i Vgl. oben S. 1004, Ainn. 1 und S. 1028.
1032
D. H. Müller.
Ma'in und Ragmat, und vor dem Feind, der zwischen
Norden und Süden sieh befand/
Diese Stelle, richtig verstanden, erzählt uns von einem
combinirten Angriff auf die Minder. Bekanntlich liegt Saba’
(Ma’rib) südlich, Chaulan nördlich von Ma'in. Beide machten
einen Angriff auf eine minäische Caravane; ihnen schlossen
sich die dazwischen liegenden kleinen Völkerschaften an, d. i.
,der Feind zwischen Norden und Süden'.
Allein nicht nur in politischer Beziehung, sondern auch in
religiöser zeigen beide Völkerschaften nebst vielem Aehnlicheu
und Gemeinsamen auch grosse Verschiedenheiten. Aehnlich ist
der Styl der Weihinschriften. Ganz besonders lehrreich hierfür
ist die Vergleichung der Inschrift am ’Almaqah-Tempel in Sir-
wäh mit der des 'Attar-Tempels in al-Mihyar, die beide oben
übersetzt worden sind; ferner ist zu bemerken, dass es bei
Sabäern, wie bei Mindern Sitte gewesen zu sein scheint, den
Haupttempel ausserhalb der Stadt, und zwar im Osten der
selben, zu errichten. Der Tempel in al-Mihyar ist östlich von
Ma'in, wie das Haram Bilqis östlich von Ma’rib gelegen. Ob
wohl jedoch diese Thatsache auf den Sonnencultus zu deuten
scheint, so finden wir diesen nur bei den Sabäern, nicht aber
bei den Mindern. 2 Ferner war in Saba’ der ’Almaqah-Cultus
sehr verbreitet. In späterer Zeit scheint er fast die ausschliess
liche Herrschaft eidangt zu haben; denn die grossen Tempel bei
Ma’rib und Sirwäh sind ’Almaqah-Tempel. Auch von diesem
Cultus ist keine Spur in den minäischen Inschriften. Nur in
denjenigen Denkmälern, wo der König von Saba’ vorkommt,
1 Das dunkle Wort rbflr 1 !^ habe ich durch ,Carawane‘ oder ,Handels-
Station* übersetzt; ich bin nämlich der Ansicht, dass es mit hm zu-
sammenhängt und dass dieses Wort wie JJ"52 ,Kaufleute 1 bezeichnet. Im
^ ^ s
Arabischen heisst bekanntlich LLw ,Wein verkaufen 1 , ebenso wie
Vgl. eine andere Erklärung dieses Wortes Z. M. 6. 30, 122.
2 Die Sonuengöttin kommt vor B. M. 5, 12, 32, 2. 6; Hai. 8, 1.
'686, 5, sämmtlich im sabäischen Dialekt. Auch die | XH)
WIIXH, S)niXtf, h)BTllXHund|^mXM(Hal.l77,
178, 465, 535), die J. H. Mordtmann (Zeitschrift d. D. M. G., XXXI, 81)
mit feinem Scharfblick als Permutative des erkannt hat, kommen
entweder nur in Inschriften sabäischen Dialekts vor oder sind wie die
S^hlXH von den Nasq in den Cultus der Minäer eingeführt worden.
Die Burgen und Schlösser Südiirahiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1033
Hai. 372 (Es-Soud), treffen wir auch den ’AImaqah. Wir haben
schon oben darauf hingewiesen, dass diese Inschriften von
Haramiern herrührten, die von Sabäern abstammten und im
Gebiete der Minder wohnten, wesshalb wir bei ihnen eine
zwitterhafte politische Stellung, wie einen gemischten Cultus
finden. 1
Die Hauptgottheit der Minder ist 'Attar, der, wie wir
oben ausgesprochen haben, in alter Zeit auch bei den Sabäern
die Hauptgottheit war. Während aber bei den letzteren 'Attar
ohne jedes Epitheton vorkommt und am meisten noch in der
Form des ’AImaqah verehrt wird, kommt 'Attar in den mi-
näischen Inschriften in doppelter Form vor, als I )X§°
und d- h. als ,'Attar der Aufgehende' und als
,'Attar des Unterganges'. 2 Wir wissen, dass auch bei den
Assyrern Istar in doppelter Form verehrt worden ist, als auf-
und untergehender Venusstern, und dass dieser den Gott des
Krieges, jener den Gott der Liebe vorstellte. Merkwürdiger
weise kommen auch in den minäischen Inschriften neben den
beiden 'Attar die Gottheiten jOfoh® | SIN® jWadd 1 “ und Nikräh'
vor. In ,Wadd m ' erkennen wir den ,Gott der Liebe', wie die
Bedeutung des Wortes ,Wadd' unzweifelhaft macht. Was ist
aber Nikräh? Ich stelle es ohne Bedenken mit arabisch iS
,Widerwillen empfinden, hassen' zusammen 3 und übersetze es
,Gott des Hasses' oder ,des Krieges'.
So sehen wir, dass der gemeinsame Cultus der Sabäer
und Minäer ursprünglich der 'Attar-Cultus war, der wahrschein
lich von den Assyrern entlehnt worden ist, dass derselbe aber
im Laufe der Zeit bei beiden Völkern eine verschiedene Form
annahm, wozu die politische Rivalität nicht wenig beigetragen
haben mochte.
1 Saba’ und Ma'in kommen noch vor auf Hai. 354 in fragmentarischem Zu-
sammenhang“.
2 Zu BIH* jUntergehen 4 vergl. hebr. OIU3 'SDK D'SSDHl Joel 2, 10. 4, 15.
In den Inschriften II. 413, 2 und 414, 2 kommt jl) 0 ®I°1 B ll'l'H I )XS°
vor; ebenso II. 419: n) 0 ®IBF"l < ! > ®> ™ darauf hindeutet, dass BB^
synonym mit [ | j) ° sei.
3 Im Aram. lautet bekanntlich diese Wurzel t"HD mit fl.
1034
D. H. Müller.
Mit dem Untergange des sabäischen Reiches, ist aus den
selben Ursachen auch das minäische verschwunden. Ueber die
Schicksale der Minäer in späterer Zeit sind wir nicht unter
richtet. Aber fern von dem Heimatsland, ostwärts von Aden
an der Bai Qubbat al 'Ain erhebt sich die Burg Ilisn Ghuräb,
wo Himjaren ein Denkmal setzten zur Erinnerung eines
Kampfes mit den Aethiopen. Etwa zwei Tagreisen nördlich
davon, fand Wrede eine Mauer quer durch das Thal Ohne
gezogen, die einen festungsartigen Zweck hatte. Am Thorwege
derselben befindet sich eine Inschrift in minäischem Dialekt,
die besagt, dass die Mauer erbaut worden ist ,als man sich
zu schützen suchte gegen die Himjaren 4 . Die Nachkommen
der Sabäer und Minäer standen einander nach Jahrhunderten
auch hier feindlich gegenüber.
Die Burgen
und Schlosser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1035
Textbeilagen aus dem Iklil des Hamdäni.
I.
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JU‘ ‘ J^aaÜI (^5<Xsl (3=»t>j!
xs- £- Xi y
cX.s jÜji £lXä. lij wl^l t£ ^^*5
1 Qorän Sure 34 v. 14.
2 Cod. y)l*Jf. jjliyole. Vgl. Pilgerqaside Strophe 34 und Commentar:
Ls-.a’Lw,. ^./oLs tjLüj ^ÜL 1 ^ yiLJI f•
‘ Lffv/;Lc^ Lotete JLüj L^ajLc.«
3 Cod.'will ii is.^öJ! ulsäPl £. ,In gleichem Sinne gebrauchen die
Notare das Wort ^_«Lw bei Verkauf der Grundstücke und der dazu
gehörigen Heide. 1 Diese Emendation, wie noch manche andere weiter
unten mitzutheilende, verdanke ich der Güte des Herrn Prof, de Goeje
in Leiden. Auch Herrn Prof. Fleischer verdanke ich einige textkritische
Verbesserungen. Dass trotzdem noch manche Stelle dunkel bleibt, wird
man bei der eigentümlichen Sprache Hamdänis, wie bei der Beschaffen
heit der einzigen vorhandenen Handschrift erklärlich finden.
1036
D. H. Müller.
ij~* -i ^ is** eA Ij^ 0 LNix -' *ajIj cu«j/
l^cXiiJ! (JäxÜ ^wC xj I v^A.w.Ä.I lx>j ^.AXxit L>LftJ
&4-5L&3 ^Lx^.J| ^+^3 cXaa\JI ^.ih-lcXx ^»x> ^ L+Jf ^.^uLüx
Os ^ Cu . *T . ■» 0^ ^
^wolX^oj! 4X^1 ^-Läj £ (j^woillj Lg.A^.£. ^yi L^JüLö
L_x (Jjöjf xJlsi ll+jli* ^L*J| 2c0o ^cXJI y&) LXs>Lj
i yM+£i I ^ ( -^T*'^ j"^ ^ L—CO iH yA.3LAJ üsfj \j^
(J,L*aj l+x 3 r-^xo i^jlII ^»/o ^äj iXSy |»^jtJl
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l—XJj CJ^L_k\5 J Lr U K O y*Ü,£. xXßwWjj ^jOy£.
u "T.» ,. C* 0 ''*•'' Ox-C5 ^ o> x? C5 ^ ^ f»o "Ox- q ^ o sv't- s
^.aJCÄ^». jv^.XAA^ P L_X„ lXo^ |*j.äJ | (^A»u; L^Lu^Li
JaliLl J^ji ‘ ’J-aXs yX^ ^.ja g^^-CO.' Jo!^ la+ia- Ji I
X - X +T‘} y£. (?) _^j.*J| oj^jl*JI ^X-w.. 1 !j 'XI jjiaJ!
<X=*j.JI ji, i_jj.jt.JI Jl Xol ^jjo^ klLc. k_)^J.£
[*jOJI vä. jw.o. xXj? 7 i_äXsij !sf^ xaXc jol-o y J.=>^ y°
1 Cod. (jwaiJI.
2 Bekri 502 nach Hamdäni: tX^-l cülj; JUi el+JI jv^lü/o uajKj
&l + £ i^j-vo p^.i (Xi - xib" Lo (Jj^l J-c LajLj ^«ö(X.taJI
£ (j*yo^l Lj
3 Cod. lui.
4 So Cod. Hamdäni gebraucht ^Ijö sehr oft masc. Vgl. I. Heft 388, Anm.
5 und 6. 394, Anm. 1 und weiter unten.
5 Qorän Sure 34 v. 15.
6 Cod. OjiaJt.
1 i—äXsLj = i_iX^; die gewöhnliche Form des Proverbs ist jj-SAj |
Cod. ^__3J„SO.
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1037
j-- ,
t\J-AJ ^w.aJ La' Jipil ^VA' t-CJ • 1 . 'La.CJ t • (^jLaJ! \.Lc..
iJ-AaLI 1 &ÄAC.JI ^v-^ 1 L ^5, ^»bdl
w ^
^Iau-LI £0 Iffiljj.S'ö lVc. j^^+aJLj X.+C» £acI «X. Sj.Aa5^ ^Ix! ^/O
^jAb-cStt Jyü Lg-xi^ 1 Iäaä5^ (_kL*J £ üLJI
pv-*iT 1 ^.aLc OjLoj » .aJ (5 _a*a_j|._ + _.U dt 0 "’ c5 ^
^ ß ^Uo 5 ,u tSt ^_LU 4 Lj »Lid |Ll_^
8 0 ’jl - '\ ' \ ' 1 O ’ -I " “7 ' ” l7 “f "
^-aaaäAJ aJ^'Lo ä._cLa |*~g~3l A_C.lj Ojvit 9
l»j.gÄjo o^l c. |i_gj s? X—Lac. ^ dL-JtXj l^_AAil_*_i
Hamdäni meint hier die von Belm S. 82 angeführte Stelle: ItXXd äo3i
jt, „
^oLl t_^Lo y^i JLs ^ilcLgJI (ä, ^t
jflSlj JLs |**JlJI J-AAU JaaJ! LgAJ (fg L ^1 SjO.y) » Ia+J
'/ 0 P- J & 9
^loöj
dsv^ij “ttj
4 \i .
uV-
ai und
2 Jacut IV, 387 und Zamachschari Lex. geograph. S. 7: ^
o
H^awI*
3 Zamach. &a-Lc ljuI+S*; Ihn Hischäm S. 9: ^ 0;L-,.
> OA,
4 Jacut und Ibn Hi sch am: SJÜO.
6 Jacut: ^b U 161.
c Ibn Iliscbam: S J .x.
7 Jacut: LgjoLc! , ; Ibn Iliscbam: LgJ LacI• £^yJI.
8 Jacut: |VA«Aj’ : Ibn Hischäm: k*..w und jAaaaS öl.
9 Jacut: kAÄC* dJüjo
m Cod,
. ^_s^L. |V^.i^Ls?v Jacut: Jl+i für ^Ls£ und |»ö-g.ÄX!.
1038
/). H. Müller.
^ *3 ^ ^ ^ ^ Q ^ ^ ^ '
1 |iiaJ l -g.xi fl—4J.AJ 1 l g—f I Ä_j'^ J v_a_Ü_)I y Lli
yilj ia_jl—=* Jj ItXlw! I ^6^ UjI+aY. Jj-üLM ^lie«
a' ^X 1 wJ^Ljt+J 5 ^vi>.lcNx*-JLj ^
^ 0 5 w ^ 0 f
i>Lc ^U-äJ x-yl? (jl il+J.*JI (jä*j { ^träft!La u-Lwill
^ye »yül ,jj y+y yQI (j-?l
^ ^ ' o **
'’ i_j)Lo ^IäsIsJI vjI JLs . ^jiLgS
ul-^5 yy***' i^S. y^ ^15^ L* ^ f
<( aU.iLl.£ JUj
o f ^ . o . ? 9 ^ o. | —ff > ' f ** u '
«wj^l—*• d^_A_^c tX—*j ,2)1—icXil ^—* l—j
^cXJl^ ^jt <J^* 'waa^JÜI« jsq3
« Cod. J^aäJI ; Jacut: LgJlIij JyjJiJI,
3 Cod. L_)I^mC0 und Z. 2. fiir ^jI+aS^.
3 Bekri ^_il • • Zum Folgenden vergleiche oben l*Ai JLuJI ^..i-lcXx ji
plAAäJI ^aj, wofür möglicher Weise hier öLc~_C verschrieben ist;
vgl. jedoch die Uebersetzung. Die ganze Stelle lautet bei Bekri 502:
iJjwi/JI £ jyS'lXjl y&j LJjL-J p^*-l <^j‘* ^IfV+g- 1 ! Jl-i'
^issJ! ^ye cJLüc yj^Ls y\j JajLs. ItxLw*^
^ÜftJLj (j^LwÜl X t -jf x p.1 för Der Zusatz tlJlÄiC yaä scheint eine
Erfindung Bekri’s zu sein; das Wort ^.jl • (oder ^j’l.) ist Adjectiv zu
iaSL^. oder Name der an den Damm anstossenden Mauer. Vgl. )2®Y der
Inschriften.
4 Lies vielleicht . ,zwischen der Sichelmauer und den Reser
voiren“. oLö_C ist Name der Mauer, daher ohne Artikel.
5 Vgl. Jacut IV, 388 7. 3. Mas'üdi III, 374 und Ihn Badrfin 98.
6 Vgl. erstes Heft S. 398.
HBB
Die Bürgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1039
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Cod. k+jlVo. j^cö ^.J. Vgl. Naschwan 102" n. s. v. v_*A*iJ> 1
^_>X*w..ä.H &LäJ ^4-wWwO yG-3 v_AA^aJ!^
' yj~ts^- cJ^-Lo ^yjo >iLLo ^£Ö ^yi. Vgl. auch Jacut IV, 104:
vi ^«#jJLj ^oj i_*a»£»A-Mj
(vgi. nBTTimih) y&Q^ 1 O"* s ^
' $>
^ejjt Xxi ^iy'iSLx vixaJ! ^.J Xjl^t iJOJIJ £ (jlS".
(1. ^ = )Tr L |) 1^ (>• ±?f$ = 1hn®S) Joö- y^iül IJüB
‘ Lgjsl^xit^ kxiLgj - . L-U/ iLLo J.AA=»j-w SeLUj l+SCyol
So Bekri 502; Cod. ^_ZxJf. Vgl. weiter unten S. 1040, Z. 3.
Nach Jacut IV, 38S ist der Dichter dieser Verse Galim ihn Chalf.
Jacut a. a. O. und ^ Cod. cP-
Cod. ^jLo und Vgl. Jacut V, 410 und 411 ob.
■
1040
D. II. Müller.
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R+Ä-L JLi' Rj^lxil i_>^*Jt ^Lau yjj.*’. i_>^Lo ^1 JLäj^
}+*-* f- ^—ä. Ja4J g^i 35^ 1—x> ; !
4 [^5 jSh y!ti jb-,j
I x "J ) 5 i " 0 ' Ü' - ^ J Qg ^ ^ Ci ^ ^
OjLäj v^j-x? Lo JoL*i
1 Der erste dieser beiden Verse findet sicli auch Naswän II. 102 u. s. v.
2 Vgl. Bargen und Schlösser erstes Heft S. 387 und 398.
3 Cod. yJLiiJI.
* Ergänzt nach Bekrl ed. Wüstenfeld 502.
6 So Bekrl a. a. 0; Cod.
1
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdani. II. 1041
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^aaj y> Uät, y+5* uöjuJ p^LCJI lt\sc 1+3ü ‘ joo^L^ ^y.JL
.. .f 9 . .... 5 . . 8 \
y-?} ijy^} \jy+?
boifjt 0^,!^ bi}^!^ ,j^£ jj^-Uj Läaaj *Jy> Jy£j ln üiflL=.y
1 Vgl. Koran Sur 6, 70. 26, 210 und 221.
2 Vgl. I. Heft S. 411 u. 420 und Tabari ed. Barth I. S. 5S2.
3 Cod. jj.A.^+0 ^ÄJ.
4 Cod. ^.aä^vaJ^ Xäav.j .
5 Cod. Ohne diakritische Punkte. Vor xiclsy ist wahrscheinlich „j.a.0 •
^.+i! ausgefallen. Vgl. I 420, 9—10.
o Cod. l+idö.. Vgl. I 411, 10.
^ Cod. Lj Ly (1. L$y).
9 Cod. ^AAJy ^.si»
9 Cod. \ yjjjy Das vorangehende ^jjuSj-wu ist durch die Hss. beglau
bigt. Vgl. I. Heft, 420, 9. Herr Prof, de Goeje macht mich jedoch mit
Recht aufmerksam, dass Hamdani ^j.AAi j*m gelesen haben muss, wie
aus der darauffolgenden Erklärung hervorgeht. Merkwürdiger Weise
finde ich an einer anderen Stelle, dass y»j = ^aä. ist. Iklil S. 5 wird
eine himjarische Phrase angeführt: £«o yw ^<3
wozu Hamdäni erklärend beifügt: (1. y^j) y^J ^ ^5+x+j . t>
Y^yji+j. Vgl. auch meine Südar. Stud. S. 121.
•o Cod.
iul=.y.
Wahrscheinlich ist nach diesem Worte
<X>t
aus-
gefallen. Hamdfini scheint aLöbsy (= xiljwJb) gelesen zu haben.
Sitzungsbcr. d. phil.-hist. CI. XCV1I. Bd. III. Hft. CG
1042
D. H. Müller.
v»a^aJI ^LxaJ! 1 iLsw Iaaaj^ : * : y J $* (£***
w . M c- &
ItXÄ v^aaä^ ^4-1 ^1 ,j-C.J ^ ^.jj l_s£yol_i v__A.Ä.xJ f
[ , &*Aaa] ^A^vAtJ I vjO jV^-3^ 1^5 |V^jf 2 L.jMtX=*| ^J.Aj;Xaj
j*^au a0 &A-C (Jjj.AäJ.J ^cX..vä^ ^jL*aXa« ^Jyc ^yAJ ^.Xj 4.J • &AMI
k/’L^I ^jjo jV^JtXjf ^j-4-l oJii) iöyo J~ac. vaX+.'I Jy4 ^aAw
•’fc &4.äAä xa^UÜI^ H^i£\JI vil^Uo
^il ’S LäjAJ
41^1 "°f 9 I 55 iT* 90 ' ' °" \t ö cj ^ -r. | ^ o^-®-
UL^I jjwLlJ! ^jlaj Jcäj ^S\ ^
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^.AJ, L^AAJ ^>Jt i_^Lx) J.y! jVAli'iH ia-UJ, (JJ.vA4J.lAJ Jlä 5
lji^oj £aj Jüj J.a.tjX ^.*Lt ^ajJ ^j(Xt
tX_j(XÄ_ifl J>-Ä_S JJ== üJ^Jjo ii) vJ+it ’^ÄJtXJjl
? ? O ß. - 0 ^ O ^ ? - | - / J | ' , ^
<3 » lV^»- ^.x L^j ^$1 • ^ja*. x_Ä_A_A.f~*r >*11) L—2>^.aX ‘£ \ .w.3 ^
^ 0 ? ° 9 U ''s'
i\—J lX ^ (^JA i jjl_3 Ix Lc ^jjaA.&A.J ^.^.A^Cjtx
■T- -" ü " ’ o -r f ' | ^ ?I"a8 6 .i x I^* ox
jSbj.—^ &_a_a._A._.xl_~ L—£-L_j L. ^1 aV<^.^
1 Cod. itau (3^ JLwAj,.
2 Fehlt im Cod.
2 Cod. Uo^jAj.
4 Vgl. Jacut, I 801, III 315, 812, Bekri 855 und erstes Heft S. 420.
5 A. v. Kremer Altarabische Gedichte VII, 1 und Naschwan s. v. t\j{XLo ’
6 Kremer: (JM.X4J für Lg«?
7 Cod. Glosse:
' S o
8 Kremer und Naschwän s. v.
Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des H'amdäui. II. 1043
7 \ ' o / „ y
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OjcXa-^JI l_io<Xw.j t^U j La—ac L—a^.aä*»*j j L ää=* i—
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’oj-Lil J-®! I £^+=» I Is^ HJc.J.jc 1 Jl— + j . I
l.ÄA3»j 11 Läaä I—^.aXIwJ * oJj-UJI jLf cXi L jj.j tX+js? JLj’j
Iäa=»j jL+jjij («j^Lä+Jt JJ IS 4-Iil! IjOlJ !l> jj fliA^o
t-
Ij^ybz. p-AJj-Ld. ool^. tili jJ-a.S'—uj J c_5jl*J jj.ij.Xj
0 ' £■ V
jljöj J jliidj jjijXj Iäa=.j ljjUc 7 jIlX+x J, OjLX+il JJ JUX!
S> ^ ^ ^ Q -&
* 8 jU.wiH <w5^j.si J&b \y& jV^-3^^ tili
auij J.A2.Ä. (j*.|j j'jj y£LS 11 tX^dljl cXAdi.il I g.i.^0 JJjClÜ J-Xii
J.AÄt> Jjdj
1 Kremer: cJjuUbj.
2 Kleiner: ä cXa-j.
3 Kremer: J-^«w »l~» cjl-
4 Kremer: J-yAA.il.
5 Die letzten zwei Verse stehen auch Naschwän s. v. Ojl^.
6 Fehlt im Cod.
7 Cod. jlcX+£. Vgl. jedoch Jacut s. v. und Bekri S. 669 und 698.
8 Die letzten zwei Worte scheinen verderbt zu sein. Eine ähnliche Stelle
findet sich im Commentar der Kala’i’schen Qaside zu V. 310: IXj
LJjlo jjaäJ J jjÄ XdJj (sc. jtJ-I.£ j) JÜAi CjLuflj’ tiJjXo
jj-Uaj jjjjü^j j liidj jj*AJvJj. Vielleicht Ist danach hier
zu lesen: XXau J.X* i_fl.Jj.ia. J, oder etwas Aehnliches.
a Cod. beide Mal cXA-cä-ÜI. Ob an-Nadad in der Nähe von Ma’rib liegt
und L^Xao auf Ma’rib zu beziehen ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit
sagen. Im Iklil folgt diese Stelle der Beschreibung Ma’ribs.
66*
1044
D. FI. Müller.
V /• ^ ^ ^^ ^ j5 »o ^ o ? w °'"° ? ^
vd-Lfl I ) Lft£li 1-4-5 lX^lJ I . ^3! LV4.i 1 fjtj | J •} U
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er? y*
ii.
J.äav! ijFj^ ejjLs« ■ 0^4-1 ^j.+aJI iXil^? (jü^^
■’^CO-Ä löt Lfc? ^^ÄÄ+JI 1 sj^I*x> ^JJC i_)vM £ p.Aiir 3 Ijä*»
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t^^-Äi! LJ jU/o tX*J J«.^ |vö (3&j Jil Ir Io
'ii-0 o^.4^-? (jl^+r JJ i^jLai ‘ ol^l «6 c I»Ij4»
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^l«.Ü J Ö^r. ^Ji,w. j ^-Aj L» sJ^-ÄJ
“’...T ' 10 ’.’.“- 1 - . 1 a"' 05 « - . d .. “ «|. 9 5 f ? -r '
s vJ 1 --iüUA« ^L—'«^.j lAar ^iLÄ-UI joLc ^
1 Jacut III. 812 ^4l.
2 Cod. (jö^4-l. Vgl. Bekri ed. Wüstenfeld 429 tXiLrf ^.aj
jya.id I lV-:1^xJI • l_^Lo« A_5^4l
3 (ja+s- (Var. (ja+r») ist nach Gazlrat al-Arab 206 ein Ort im unteren
Gauf.
4 Cod. &j^Lä.vo 0 . Vgl. oben S. 1037, Z. 1. ejjJW scheint
Quaderstein zu bedeuten, womit IHN 0 der Inschriften verglichen werden
kann. Auch sonst scheint die Stelle verderbt zu sein.
5 Vgl. oben S. 1036, Anm. 4.
6 Cod. 1+jd.ACa.^ I^JvÄil.
7 So Naswän; Cod. und Iklil X
8 Diese Verse kommen auch Iklil X S. 79 vor.
0 Cod. xAa£ jüu.
"> Iklil X: xäju«.
Die Burgen und Schlösser Südarabions nach dem lldil des Hamdäni. II. 1045
S^l MJJ sUlIjl (i, ^..g.j,
^ 3^44f
jöI 1 IääJU
0 « . j» ‘/-o Q ^ 0 * j —
*511 v^ ; ! Ak. ; t kJ
7 ü viÜJCi ° L^cXxj
y+AÜ !<3 1^3^
^ , 0 t ^ < "’° w ^
1 In einem Gedichte Iklil X, 50 heisst es: ö\yc 3.^0 !^
£j-§- ä^^ÄJl 0^.2» Lg.-' * Lo lLä.' wozu Hamdäni bemerkt:
o_j «.i^. O !wo '—S^?- ^£<Jo. Daselbst 136; vJt-J! ^4-w.i
o^=»j i^loXsäJt Ä+xiäJ! ^ x*xj Jjs.0. 8«^vJI o^=£ jU*5fl aJj
Ol^jo |fj iuifljJiJli I vüJ Li ^1-Xw.j Auch an
unserer Stelle fordert das Metrum Üjy^s.Jl. Danach ist Jacut II, 158
zu verbessern: O^Lo S^^sJt o^=* Oy4^ y^ JLi‘.
2 Cod. 2CC0.
3 Iklil X:
•; L '-
4 Cod. u. Iklil X: ^.-yaj; es ist aber sicher ^yo! zu lesen, weil nach Iklil
X 131 der Sohn des ^SLtÄ ’Amir heisst.
5 Cod. u. Iklil X: U& lL-oLsj.
0 Cod. JcLo.
7 Iklil X: ziyXi.
s Cod.
S. 1048 und die Note 4.
9 Diese Stelle steht Iklil X, S. 79. Die Genealogie des (Jj-w.j ist: (3*0.j
8^.jl^ ■ Iklil X: Sjjl^ y&. Vgl. weiter
unten
30 )y± 3-? oVj\ 3J 3^*0 3J 3“? 3" 1
4 3? 3^°> < ^ > 3-? 3^ (^d) y 5 })
>» Cod.
11 Cod. ^4-wt Die ricllti & e Leseart g ellt aus der weiteren Ent
wickelung der Genealogie hervor.
1046
D. H. Müller.
yyj£LZ \y^ <hjL)^»CC »w^Aj
^X3i\s> “. . . (3**^ tl^JUw ^x)JLäa>o (jdjtj Jl$j o^LL
. p- 1
i*-$4>l ^ JLs 3 ^LXJ! ^ <xi3?
. o w
*& ^LäJäj ^.x> ^JLco»xJ!
£ &AaaS Jk5^ ^aXaaäxj ^Jljö 5 £ l^iKi JjUwt ^j.X>
&JLfj'iLj IsCp j*~£xX) &AjUJ> \jQj& ^A-Lö^il L^f •
O^amJÜ ^j UJI ^.^>f ^.X) yjix.2
^.XJ v/» t^MÜ LaJCj ^wLaIÜ S UooLä [VJ 8s.=>jj-i oLc |VJ s V=»ji
^äj j*.$ä4 15^^ u !^jLäj kxääJ! oJlsj! I—*,i ^..J^ll
ö
l?5^U*lj ^jl-yLc ^j-J tXA£ ^o J,! tX^sJ o^JL+i |fj
äl$” £ l,^Lo Uli j.^aJ! |v4« j»-gi y<xJI ^ i^i^Li^
I “ r=- y. y V »
jv^.Ä^o iH 1^-la.Lj ■—*^1 äJ^La^o t_>LaL| cXaä
(V-g-i^o xiy ' oJjiit, üjji' J,! Lgj jv^Jj ’oyXj-äA. ü
1 Cod. l^^+a^.
2 Hier sind die eben angeführten vier Verse weggelassen.
Cod. ^L*JI, aber ^^LvÖt ^j.J tX+^ wird öfters von
Hamdfini als Gewährsmann angeführt.
Ohne diakritische Punkte, ebenso weiter unten stets v i/i ,».
Vgl. Neswän s. v. der dieses also umschreibt: ol^..w£ J.^-1
^! )\& ij^- (Vgx^o Jäj.
6 Neswän lyj'Läj' unrichtig.
7 Vgl. Gazirat 151, wo Hamdäni die Bewohner Hadramauts aufzählt und
sagt: ^5j> ^j.j0 JaIäJI jv^J JlÄJ ^ItX+JO { jj0 Xs^ij
8 Cod.
Die Bergen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1047
' <S' 0 Ua*J (*^JI JJ Lgj OOj-u,
90 ' ^ k'' \ t • O —0? 1*2'°'' 0 c i» ? | Ü -r o ^-7
O y LxXAA^'O^i^iX-’1 jvJ
y=*l Jläj
’ 0 9 ^ ^ 0 ^ ^ 3 . 5^0? > 0^ 2 0
ÖÖy*n% ^yj^5 V.AW ^yjO y/£L^. Li ^m^BySiS
y=>-l JU,
\S)\^9 iS~^°9 15^*7^^ ^yixJ! ^AÄvJI j.^JÜ! l_il
; LiÜL* r ^Jl «LLlJUa*
1 v—slyil (JoL^vit
III.
^jLÜ.aäÜa’ oys- (3~ä-wLj l+®^ ^aixi. ^5Io tXiL^ 1
(JJU.J »-0 (J! ^sOyjQ äL2 js.Xü , '^\3 . .,AJ * XolXc ^yAJ ^.AA+J
L^AJ^ XJjli. Ljtya. iMyO (Xa*av
’^j^JJl jvJ^=- l> ^-? 'iUL« Jyü
ll5l^._C. «._i_jl RA) &_I_jLwl 3 ^AiA OJoliS Lo R_Sy£l ^4-sJ.
co^ üa»v+J. ys^ J.A=. J~o! 3 ^yc. jUSliü (jiyly L*l^
. /.X-üj 4—' ^jiÄsly ^ LajlX* i ■? ^ ^Xa«_; Axau ^cX«£
1 Dieser und der nächstfolgende Vers steht auch Neswän I, 270, wo JU,
wäJ fehlt, was möglicher Weise richtiger ist.
' . > o ’
2 Neswän a. a. 0. j*..£i<X£i dagegen s. v. ööy+t richtig
3 Cod. ^jLw-5. Vgl. h^S der Inschriften H. 395, 1.
4 Cod.
5 Danach ist mein Bericlit über eine Reise nach Constautinopel S. 321 zu
verbessern. Vgl. auch Bekri 550 und Hamäsa 520.
1048
D. H. Müller.
v t.xS' ^•*'°
"vlLyl^o J^Jü L$Ai^ Ot^jo^
HaaaJI ^aj vijJL*JI '* LLäaL.^ ^5Jo* Jo*l
| / ^ / ü . 7 ^0* -j Ü^ < J • Zl" Gl *? £" T ’
L__Ä_A_J I —AJ ^ |^JtJI ^ 1 ^ ^ ^ v^ L__A_Ai«.«li —
,* s- ° s
&+jLLc. Jli’j
.t f .. " -r. ? - 8 1 "f r.. t — I -f ® r.-
^._A_j| K-vu AAX^ R_X_Ji_A_A_J l^-u/f !«.aw‘ La-S^
OM M
—J! U—- i l^._X_2» ^y^.X/0 t^-U*j
jütjl^Uj
1 Vgl. Xklil X, Uji«w t\alö L—ä. ^v-5 |Va1ä^ ^V--J ^oj5^tfcX-Ä^o cXi^l^
^./o ^lXä o.*U |vJ ^<Xä d-ai' t-^Ajl-J ^.jt>* (jiaJ
J.Q IlXJO Jjj äJajO a;Kj 5 Jc.+J (jLo^L*, Ua^LÜ^JI J.S?
\£^ "r^*"" ^tXc ^’U Jjjj-
2 Bekri 151 Mitte unrichtig: 7^1-
2 Die fünf folgenden Verse werden auch Jacut I, öllö angeführt.
m y £- W P-
4 Jacut falsch :^=»Ui JtÄ-l. Cod. ^jUi J.^1. Vgl. Ihn Duraid Kitab-al-
Istiq&q: J*i xiit \S\yjd UjI^ Ol^xi * vii.JLo ^v- y-■
y^*jLj i>»+j’ dagegen daselbst 24G: i>!^/0 j&. ^jlUi
S \jJ.=i ^»=* ^.jLii.. Siehe auch Wüstenfeld Keg. s. v.
5 So Cod. und Gazirat 16G: ^_.o jvJ 0 U« [?• iULo
u»IL«l.
0 So vocalisirt die 11s.
,
7
J O v . |
Jacut: ^jü!j. Vgl. Mukaddasi ed. de Goeje 89 und Gazirat 1G8: |V*jI
Olyo (j^o.
y ^ 0 j; „„£
8 Jacut: jjCj-wl i_Uj •
A
Die Burgen und Schlosser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni. II. 1049
:1 jvJLl.it
w p- C
l—g.j| »L-Ul (jäJU JUj (jSä&Lj Lj-U 4 o».J5 JjiJi
< LgJ d»g.AX 51 ^L~» »aj (jäjSl^-? J.ss5l oöb”
[?»a£..S? “ tX-£ L^-aXc: J Li -> ^_ä&j L^aJ£ ,j./ArLl ^.x
P
(J-jI (J-« 51 y 5 } pU 8^1x0.^ Jlki »Ul
(jä*j bclji G £iJ| £ ^aU-I Jj&5I &jJS oJyi (S ää. ^j^j^-cco
P .
juyi Jj-ili (jüas-I
^+AU^ 8^Äij JkAi ^j.X l^_Ufti ‘ (J.ÄAJI ^j.X 1^-üa.tX.i
LJj.*-l| ^X y& (JJJ.U JU'j kxJXJI (VAuLs (jÜ'Lj 1 _^aU-I
vj «-A-U _LuJ jj^A-UlJ Lx (JAXJ JUJI <i, JtXAAul
I „ c „ »
xil^Ai ^51 U^JaJI Jl i«_>jü| IlU. Jls j£J>Lj LgJ JLüj
^5j-J 51 L_£Ü ^.AAA+is. 1_s&j..ajj (ji-i Lj ^x
•p »
i^Aoilj l.^5^3 ^ÄlJl 7 U' s <-U Uj ^1 5H Sji.A.'l ^.x IscSLx
1 So Jacut und Neävvftn s. v. .^..o und ^)5U®; Cod. Oj.xajLa ^.+j.
2 So auch Bekri 151 (nach den Anm. zu Jacut; im lithograpfa. Text.
Jacut: £jU
3 Jacut und Bekri: (JUl.
4 Cod. ^Iij. Vgl. Bekri v. s. 51 ^aJI ^.J£, xa-U |*a*iI—J oaa+a^j
0*
(h <5^0 Uxi
5 So Bekri; Cod. ^.äJ.
6 Cod. £&i'
dJ|. Var. Brit. Mus. ^.xaUI.
2 Cod.
8 Cod. Sj.äaJI.
1050 D. II. Müller. Dio Burgen n. Schlösser Südar. n. d. Iklil d. Ilamdäm. II.
6 *Ul cB>
y~»\ jytiS) ; ÜI l-t-g-Ai ^jLiyj'Lo t(Sy»!Ij *“L*2laJ! ^yx/!y
^\^*-äJf - »jockif Lg-*./' ^LäJ! 1 *—j^-41
c ^yO Lg-yLc |S^.AjljOj
1 Cod. \(\x~3. Zu ^ vgl. Lane 8. v. Vielleicht ist jedoch ^.ÄtO zu lesen.
West