Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 5. Band, (Jahrgang 1850)

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die ganze Thatkraft der Heldenjugend in Anspruch nehmenden 
Kriegszüge des zehnten Jahrhunderts in den Hintergrund gedrängt, 
endlich aus der Erinnerung des Volkes verschwand. An ihre Stelle 
trat also ein zweiter Sagenkreis: die altungrische Helden 
sage, die nebst der Hunensage, an welche sie sich anschloss, 
noch in die christliche Zeit hereinragte, sicli im Munde des Volkes 
und seiner Sänger lange erhielt, endlich jedoch ohne Spur unter 
gegangen wäre, wenn sie nicht durch die Chronisten des eilften 
und zwölften Jahrhunderts aufgezeichnet, und nachdem mit Aus 
nahme von König Bela’s Kanzler auch diese verloren gingen, durch 
Kezai und die Wiener Bilderchronik benützt worden wären. Von 
den genannten Chronisten ist für die alte Heldenzeit der berühmte 
Anonymus Belae Regis Notarius ohne Zweifel der reichste und zu 
gleich der wichtigste, da er, wie es aus seiner ganzen Weise 
nicht weniger als aus seinen oftmaligen Aeusserungen mit Be 
stimmtheit hervorgeht, grösstentheils unmittelbar aus dem Munde 
des Volkes und der Sänger seine Geschichte schöpfte. Minder 
reich und mannigfaltig ergänzt ihn mitunter dennoch der anonyme 
Compilator der Bilderchronik, übertrifft ihn aber als Sagener 
zähler vollends in den Sagen von der Eroberung Ungerns durch 
Ärpad, von Lehel und Bölcs’s Tode, und von Botonds Abenteuer 
vor Constantinopel, welche durch die wahrhaft poetische Anschau 
lichkeit, durch eine liebliche Naivetät, und das echt ungrische 
Wesen unendlich anziehend sind. Als Sagen-Erzähler dem Werthe 
nach der geringste ist Kezai (aus dem dreizehnten Jahrhunderte, 
und somit der jüngste von Allen), dem für die altungrische Hel 
densage abweichende und dürftigere Aufzeichnungen, und zwar, 
wie es scheint, in einem fehlerhaften Codex, Vorgelegen hatten, 
und der mit weniger Sinn für die Sage begabt, sie auch trockener 
als die eben genannten mitgetheilt hat. Ausführlicher ist er bloss 
in der Botond-Sage, aber auch da unklar und ohne Reiz. — Wie 
wenig ist demnach das auf diesem Wege Gerettete im Vergleiche 
mit dem, was das zehnte Jahrhundert für die Sage bringen musste! 
Viele Theile dieser vielgliederigen Heldensage hatten zur Zeit des 
Anonymus Belae Regis Notarius schon ihre ursprünglich poetische 
Form abgestreift; manche hatten sie aber noch erhalten, wie diess 
aus mehren Stellen seines Werkes hervorgeht, wo er der Lieder 
der Joculatoren, wie sie die zünftigen Sänger hiessen, gedenkt.
	        
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