16
die ganze Thatkraft der Heldenjugend in Anspruch nehmenden
Kriegszüge des zehnten Jahrhunderts in den Hintergrund gedrängt,
endlich aus der Erinnerung des Volkes verschwand. An ihre Stelle
trat also ein zweiter Sagenkreis: die altungrische Helden
sage, die nebst der Hunensage, an welche sie sich anschloss,
noch in die christliche Zeit hereinragte, sicli im Munde des Volkes
und seiner Sänger lange erhielt, endlich jedoch ohne Spur unter
gegangen wäre, wenn sie nicht durch die Chronisten des eilften
und zwölften Jahrhunderts aufgezeichnet, und nachdem mit Aus
nahme von König Bela’s Kanzler auch diese verloren gingen, durch
Kezai und die Wiener Bilderchronik benützt worden wären. Von
den genannten Chronisten ist für die alte Heldenzeit der berühmte
Anonymus Belae Regis Notarius ohne Zweifel der reichste und zu
gleich der wichtigste, da er, wie es aus seiner ganzen Weise
nicht weniger als aus seinen oftmaligen Aeusserungen mit Be
stimmtheit hervorgeht, grösstentheils unmittelbar aus dem Munde
des Volkes und der Sänger seine Geschichte schöpfte. Minder
reich und mannigfaltig ergänzt ihn mitunter dennoch der anonyme
Compilator der Bilderchronik, übertrifft ihn aber als Sagener
zähler vollends in den Sagen von der Eroberung Ungerns durch
Ärpad, von Lehel und Bölcs’s Tode, und von Botonds Abenteuer
vor Constantinopel, welche durch die wahrhaft poetische Anschau
lichkeit, durch eine liebliche Naivetät, und das echt ungrische
Wesen unendlich anziehend sind. Als Sagen-Erzähler dem Werthe
nach der geringste ist Kezai (aus dem dreizehnten Jahrhunderte,
und somit der jüngste von Allen), dem für die altungrische Hel
densage abweichende und dürftigere Aufzeichnungen, und zwar,
wie es scheint, in einem fehlerhaften Codex, Vorgelegen hatten,
und der mit weniger Sinn für die Sage begabt, sie auch trockener
als die eben genannten mitgetheilt hat. Ausführlicher ist er bloss
in der Botond-Sage, aber auch da unklar und ohne Reiz. — Wie
wenig ist demnach das auf diesem Wege Gerettete im Vergleiche
mit dem, was das zehnte Jahrhundert für die Sage bringen musste!
Viele Theile dieser vielgliederigen Heldensage hatten zur Zeit des
Anonymus Belae Regis Notarius schon ihre ursprünglich poetische
Form abgestreift; manche hatten sie aber noch erhalten, wie diess
aus mehren Stellen seines Werkes hervorgeht, wo er der Lieder
der Joculatoren, wie sie die zünftigen Sänger hiessen, gedenkt.