Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 73. Band, (Jahrgang 1873)

Die Psj'chologie des Wilhelm von Auvergne. 
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Besser und treffender als von Wilhelm, wird bei Albertus 
Magnus 1 die Unsterblichkeitsfrage mit der Lehre von der Gott 
ebenbildlichkeit der Menschenseele in Verbindung gebracht. 
Die intellective Seele, die dem von den Eltern gezeugten leben 
digen Plasma des Kindesleibes eingesenkt wird — lehrt Al 
bertus M. — ist unmittelbar durch Gott selber gesetzt, da sich 
ihre Entstellung durch das Wirken der bei der Zeugung con- 
currirenden natürlichen Kräfte durchaus nicht erklären liesse. 
Da nun unmittelbar Gott selber die intellective Seele hervor 
bringt, und zwar auf eine vom Wirken der physischen Kräfte 
völlig verschiedene Art, so bleibt nichts übrig als anzunehmen, 
dass er sie ad modum et similitudinem suam propriam hervor 
bringe. Eben daraus aber, dass Gott unmittelbar selber sie 
setzen muss, folgt die über den Bereich der corruptiblen Kör 
per erhabene Incorruptibilität ihres Wesens; 2 darum haben — 
fährt Albertus weiter fort — nach Alfarabi’s Bemerkung ein 
stimmig alle Denker die Wurzel der Unsterblichkeit im in- 
tellectus adeptus gesucht, sofern eben in diesem die Unab 
hängigkeit des Intelloctus vom Körperlichen und Corruptiblen 
quoad esse, agere et pati sich bekundet. Auf der durch Al 
bertus M. geschaffenen Grundlage eines speculativen christ 
lichen Peripatetismus hat Thomas Aquinas in möglichster Voll 
ständigkeit die Beweise für die Seelenunsterblichkeit entwickelt; 3 
Duns Scotus bestritt die zwingende Ueberzeugungskraft dieser 
Argumentationen, und fand einzig in der christlichen Hoffnung 
des seligen Lebens eine vollkommene Verbürgung der Gewiss 
heit der Seelenunsterblichkeit. Darin ist er nun offenbar viel 
zu weit gegangen, und ist namentlich dem von der peripateti 
schen Einkleidung unabhängigen speculativen Gehalt der von 
Thomas entwickelten Hauptgründe nicht gerecht geworden; 
seine Haltung in dieser Frage stellt indess gerade nur das 
jenige ins Licht, was sich uns als eigentliches Ergebniss der 
von Wilhelm versuchten Beweisführung aufgewiesen hat — 
dass nämlich ein unspeculativer oder antispeculativer Christianis- 
1 Summ, tlieol. P. II, tract. 12, qu. 73. mbr. 2. 
2 InteÜectus — sagt Albert 1. c. — est incorruptibilis secundum esse et 
secundum agere et secundum pati. 
3 Vgl. insbesondere des Thomas Aq. Summa contr. gent. II, c. 79.
	        
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