Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 68. Band, (Jahrgang 1871)

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H a r t e 1. 
(vergl. Brücke, Grundzüge der Physiologie und Systematik 
der Sprachlaute, S. 30). Nun aber setzt sich der prosodische 
Werth einer Silbe aus dem Vocal- und Consonantengehalt 
derselben zusammen; denn jeder Consonant beansprucht zu 
seiner Bildung einige Zeit und verlängert die Dauer des 
Vocals, auf welchen er folgt, um eben diese Zeit. Da nun die 
verschiedenen Arten der Consonanten und vor allen die Con- 
sonantengruppen nicht eine gleiche Zeit, um gebildet zu werden, 
erfordern, ist es von wesentlicher Bedeutung, ob auf einen 
Vocal ein oder zwei Consonanten folgen und welche, und es 
ist leicht denkbar, dass ein kurzer Vocal mit einem voller 
articulirten Dauerlaut eine Silbendauer ergab, die über das 
Normalmass der kurzen Silbe hinausging und die metrische 
Verwendung als Länge unter besonderen Umständen, z. B. 
wenn die Arsis nachhalf, gestattete. 
Um dies glaubhaft zu finden, muss man eine Grund 
ansicht, welche die Theorie der quantitirenden Metrik auf 
stellt, nicht unrichtig deuten. Diese glaubt die Silbe aus dem 
festen Bau des Verses loslösen und je in einem der mit ,lang' 
und ,kurz' iiberschriebenen uniformen Fächer unterbringen zu 
dürfen. In das eine Fach gehören die Silben mit naturkurzem 
Vocal und einem oder höchstens zwei Consonanten, von denen 
der zweite ein liquider ist; in das andere jene mit naturlangem 
Vocal oder mit naturkurzem Vocal, auf welchen zwei in der 
Regel nichtliquide Consonanten folgen, und die jj.ay.pd aukkaßv) 
hat die doppelte Dauer der ßpaysta. Die Zeitverschiedenheiten 
der natürlichen Silben sind hiedurch nicht erschöpft noch 
fixirt, wie schon daraus hervorgeht, dass kurzer Vocal mit 
gewissen Consonantengruppen bald in die eine, bald in die 
andere Kategorie hinüberspielt. Die alten Rhythmiker ver- 
muthlich, welche den prosodischen Lautwerth der Silben, wie 
er in der Sprache zur Erscheinung kam, ohne Rücksicht auf 
das rhythmische Maass ixntersuchten, hörten mit feinem Sinne, 
ob auf den von Natur kurzen oder langen Vocal ein Conso 
nant oder zwei oder mehrere folgten, und stuften so die Silben 
nach ihrer 1-, l'/ 2 -, 2-, 2'/ 2 - und 3-zeitigen Dauer ab. ,Wer 
möchte in Abrede stellen, dass sich in dieser Docti’in der 
alten Rhythmiker eine liebevolle und eingehende Betrachtung 
der Sprache kundgibt?' bemerkt Westphal (A. G. M. 283),
	        
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