Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 63. Band, (Jahrgang 1869)

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V o f t 
aller zugleich schwach ■), dabei leichtsinng a ), suchte sie den Jüng 
ling vollständig an sich zu fesseln s). Der Ehrgeiz mochte das Übrige 
tbun, um die Verbindung mit einem solchen Manne innig zu machen; 
denn durch ihre Bildung und ihren schnellen Frauenblick batte sie 
sich längst über das abfällige Urtheil von Verwandten und Bekann 
ten 4 ) hinwegzusetzen gewusst und mit Rousseau’s Zukunft grosse 
Pläne zu verknüpfen sich gewöhnt 5). Die Veränderung dieses Ver 
hältnisses war bei einem Manne etwas Natürliches, welcher, der 
natürlichen Entwicklung überhaupt vollständig preisgegeben, den 
stärksten Eindrücken zu folgen sich gewöhnt. Und die stärksten Ein 
drücke sind bekanntlich nicht immer die besten. Leider sollte die 
ses veränderte Verhältnis aufseine Denkungs- und Handlungsweise 
auch in viel späterer Zeit eine nicht gerade günstige Nachwirkung 
ausüben. Die Weise des gegenseitigen Entgegenkommens und zum 
Theil auch der Behandlung blieb gerade wie vordem 6 ). Für das 
*) Sie hatte, was auch Rousseau aufbieten mag 1 , um ihren Charakter schön zu malen, 
einen Mann nach dem andern, mit dem sie einen unehelichen Umgang pflegte, und 
im Anfang ihres Umgangs mit Rousseau zu gleicher Zeit noch einen zweiten Vgl. 
weiter nnten. 
2 ) Von der Menge ihrer Projeete (z. ß. in Chambery einen königlichen Pflanzengarten 
in Verbindung mit einem pharmaceutischen Cursus anzulegen, I. p. 105), welche 
sie in immer grössere Schulden und im Alter in’s Elend stürzten, spricht Rousseau 
wiederholt. 
8 ) Rousseau schreibt sicli bei dieser Gelegenheit in den Bekenntnissen die Rolle der 
blöden Schüchternheit zu. Allerdings war die um 12 Jahre ältere Frau nach allem, 
was Rousseau von ihr mittheilt, so weit einancipirt, dass es von seiner Seite über 
flüssig war, den ersten Schritt zu thun. 
4 ) Siehe 2. Capitel . I. p. 96. 
5 ) Er sagt geradezu (a. a. 0.): (eile) ne formoit qne des projets magniliques. Auch 
jene Kaufmannsfrau in Turin hatte geäussert, es wäre sehr Schade, wenn er hei 
so vielem Geiste nichts weiter als ein Commis würde. I. p. 39. 
®) Vgl. oben das 2. Capitel. Rousseau sagt bei dieser Gelegenheit, 1. p. 101: La 
longue hahitude de vivre ensemble et d’y vivre innocemment, loin d’affoiblir mes 
sentimens pour eile, les avöit renforces, mais leur avoit en mdme temps donne un 
autre tournure qui les rendoit plus affectueux, plus tendres peutetre, mais moins 
sensuels. A force de l'appeler maman, A force d 1 user avec eile de Ia familiarite 
d’un Als, je m’etois accoutume A me regarder comme tel. Auch in seinen Briefen 
aus den vierziger Jahren, d. h. aus einer Zeit, da er sich längst von ihr getrennt 
hatte, ist „mainan“ stehender Ausdruck. Diese Vermengung trägt übrigens dazu bei, 
dass die Lectiire gerade des 5. Buches der Confessious einen widerwärtigen Ein 
druck machen kann.
	        
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