Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 172. Band, (Jahrgang 1913)

Studien zur Vorgeschichte einer romanischen Tempuslehre. 49 
Dieser Wechselwirkung zwischen dem literarischen und 
dem Umgangslatein schreibe ich auch die wichtigsten Änderun 
gen in der Syntax des Verbums zu. So hat wohl die literarische 
Sprache den Konjunktiv im Temporalsatz und Konsekutivsatz 
eingeführt, ursprünglich mit einer besonderen Färbung im Aus 
druck des Verbums. Die Volkssprache griff die literarische 
Mode auf und verallgemeinerte sie wahllos (§5f.). Später erfolgte 
eine Reaktion gegen das Eindringen der -ss-Formen in jede 
Art von untergeordnetem Satze; die Volkssprache überschreitet 
wieder die Grenzen und führt nun auch den Indik. Plusqu. in 
den innerlich abhängigen Nebensatz ein, wie wir noch sehen 
werden. Charakteristischerweise sind es gerade die Provinzen 
mit der stärksten literarischen Bildung wie Südfrankreich und 
die iberische Halbinsel, welche das unliterarische Ubergreifen 
der Literärsprache auf das Volksidiom am stärksten zeigen; 
Nordfrankreich und die Alpengegenden mit einer ausgesprochen 
bäuerlichen Bevölkerung sind viel konservativer und literarischen 
Einflüssen gegenüber ablehnend. Das will aber nicht sagen, 
daß hier alle Entwicklung sich ohne Einwirkung von außen 
abgespielt hat. Aber hier erfolgt die Beeinflussung auf geogra 
phischem Wege, in der Form der wellenförmigen Fortpflanzung. 
Während bis jetzt psychologische Momente in der Aus 
bildung des Verbalsystems innerhalb der Schriftsprache kon 
statiert werden konnten, werden wir von dem Momente an, wo 
das Einwirken eines literarischen Idioms aufhört, nichts Ähn 
liches mehr finden. Lautliche Entwicklung und daraus sich 
ergebende Homonymität ursprünglich verschiedener Verbal 
formen werden von nun an die einzigen Kräfte in der Aus 
bildung syntaktischer Verschiebungen sein. 
34. So ergibt sich mit dem beginnenden Mittelalter das 
folgende Verbalformenschema der Umgangssprache: 
Selbständig 
Abhängig 
liabeo 
habebam 1 
liabiii > 
licibueram ) 
habuero (Fut.) 
habeam, höherem 
habuissem 
— urus sim, — essem, bzw. 
habere habeam, h. höherem 
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 172. Bd. 6. Abb.
	        
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