Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 172. Band, (Jahrgang 1913)

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VI. Abhandlung: Gamillscheg. 
22, 10, 4 gaudebam plane praa meque ferebam, si ab Ms 
laudarer, guos; etc. 
Diese Beispiele sind nicht alle auf gleiche Art zu be 
urteilen. In der älteren Zeit handelt es sich um eine Erschei 
nung der Stilistik, die dem Eintreten des Ind. Plusqu. im 
Nachsatz der präteritalen Periode entspricht. Die ersten zwei 
zitiei’ten Belege sind daher auch rein irreal zu übersetzen. 
Später aber, als diese stilistische Form des Bedingungs 
satzes in die Volkssprache drang wie die entsprechende prä- 
teritale Periode, wurde in der Formel si halberem, dabam das 
Imperfekt nicht irreal, sondern potential gefühlt, wie schon 
lange die Imperfekta der Verba des ,Sollens‘ und ,Müssens‘. 
Jetzt ist habebam nur eine Variante von liaberem. Das zeigt 
sich auch sofort darin, daß nun, in der Volkssprache, die indi 
kativische Ausdrucksweise nicht auf den Nachsatz beschränkt 
bleibt wie in den literarischen Belegen, sondern sie wandert 
auch in den Vordersatz; und hier erst faßte sie endgültig 
Wurzel. Von nun an wird si habebam weder präterital noch 
rein irreal, sondern potential, mit Beziehung auf die Gegenwart 
gefühlt, vgl. Scriptores rer. Merov. Bd. II p. 73, 20 petens 
auxilium contra Gothis, gut Gallias conabant invadere: si prae- 
valebant Chuni haec contra Gothis defendere, medietatem Gal- 
liae ab Agecio perciperint ,sollte den Ch. es gelingen, so sollten 
sie erhalten 1 ; 73, 17 si praevalebat resistere, mediam partem 
Galliae Gothis daret ebenso. 
33. Das Bild von der Syntax des Verbums, das sich uns 
zur Zeit des Zusammenfalls des Römischen Reichs darstellt, ist 
weit davon entfernt, einheitlich zu sein. Die Schriftsprache hat 
sich schon weit von der lebenden Sprache entfernt, aber die 
gegenseitige Beeinflussung des literarischen Lateins und der 
Umgangssprache ist darum nicht erloschen. Volkstümliche Strö 
mungen erscheinen in der Schriftsprache, literarische Stilmittel 
werden von der Umgangssprache aufgegriffen und weitergebildet. 
Syntaktische Verschiebungen, die durch die lautgesetzliche Ent 
wicklung der Umgangssprache hervorgebracht werden, äußern 
ihre Wirkung auch in der Literatur, so beispielsweise beim 
Übergang der Formel si amarem, darem zu rein potentialer 
Bedeutung, die durch den Zusammenfall von amaret und amant 
bedingt wurde.
	        
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