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Werner.
die Stelle der Natur tritt als philosophisches Betrachtungsobject
unmittelbar der Mensch selber. Gemeinsam ist beiden differenten
Richtungen und Anschairungsweisen die Beziehung ihres specifi-
schen Betrachtungsobjectes auf die allwirkende göttliche Causali-
tät; wie der Cartesischen Weltlehre die Kenntniss der imma
nenten Bewegungs- und Gestaltungsprincipien der Körperwelt
noch völlig fehlte, ermangelte auch Vico’s Geschichtsphilosophie
noch völlig der Advertenz auf die in vielfältigster Diversität
gegebenen selbstigen Principien der individuellen Gestaltungen
des geschichtlichen Zeitlebens der Menschheit. Darin tritt aber
ein bedeutsamer Unterschied zwischen Yico und der Cartesi
schen Doctrin hervor, dass er gegenüber der in den Gedanken
einer kosmischen Unendlichkeit sich verlierenden Cartesischen
Weltlehre das Bedürfniss einer Sammlung und Concentrirung
der philosophischen Weltbetrachtung in der Idee des Menschen
zur energischen Geltung brachte. Darum zwecken auch alle
seine methodologischen Anweisungen auf Menschenbildung ab;
Regeln zur Auffindung des Wahren, wie Fardella sie zu ent
wickeln versuchte, scheinen ihm überflüssig, da, wie es ihn
bedünken will, der geistig geweckte Mensch, wofern ihm die
Richtung auf die wahren Ziele eines menschenwürdigen Strebens
gegeben worden, in der Anstrebung derselben sich von sich
selbst zurechtzufinden wissen werde. Nicht Regeln zur Auf
findung der im Menschheitsdasein allgegenwärtigen Wahrheit,
sondern zur fruchtbaren Erweiterung des Wissens, d. i. der
Erkenntniss der vielfältigsten Wechselbezüge des Wahren er
scheinen ihm als ein Bedürfniss, welchem aber gerade die über
der Kritik die Topik vernachlässigende Cartesische Doctrin
nicht gerecht zu werden gewusst habe.
Obschon Yico nirgends Fardella namentlich vorführt, darf
man doch immerhin annehmen, dass seine Polemik gegen den
Cartesianismus zum nicht geringen Theile Fardella galt, sofern
dieser einer der ersten und namhaftesten Vertreter des
Cartesianismus in Italien und für die Verbreitung desselben
als öffentlicher Lehrer und als Schriftsteller thätig war. Ob
Fardella von aussen gehemmt, oder weil er zu keinem förm
lichen Abschlüsse seiner philosophischen Bestrebungen kam,
seine beiden am weitesten ausgreifenden Werke unvollendet
Hess, lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden; vielleicht hatte