Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 95. Band, (Jahrgang 1879)

Voltaire-Studien. 
ll 
treffe. 1 Da schreibt der Abbe Fleury eine Kirchengeschichte, 
welche selbst Voltaire Worte der Achtung abnöthigt. Und 
so fort. Eines aber fehlte dieser Gruppe von Hofsc.ribenten, 
ein Ding, das freilich für einen Historiker so wichtig ist, wie für 
eine Frau der Ruf der Keuschheit, nämlich aller und jeder 
kritische Sinn. Unter den geistreichsten Reflexionen tummeln 
sich im Schmucke pompösester Diction die abgeschmacktesten 
Fabeln, Anekdoten, Erdichtungen. Im Ganzen betrachtet fehlt 
allerdings dem Zeitalter die Kritik nicht; aber es ist schade, 
dass die Historiker keine Kritiker waren, und die Kritiker 
keine Historiker. Für sich betrachtet sind die Kritiker des ludo- 
viciauischen Zeitalters von höchster Achtbarkeit; sie machen 
in vieler Beziehung Epoche. Da ist es nun eigentliümlich zu 
beobachten, dass es wiederum die Geistlichen sind, welche diese 
kritische Richtung vertreten. Noch eigenthümlicher aber ge 
staltet sich das Verhältniss der verschiedenen Orden zu ihrem 
kritischen Geschäft. Die Weltgeistlichcn spielen als Kritiker 
keine hervorragende Rolle. Die Jesuiten sind in allen Sätteln 
fest; sie produciren reine Hofhistoriographen, die, wenn es 
sich gerade schickt, nebst dem König auch den Zwecken ihres 
Ordens dienen, wie z. B. Daniel; wir finden unter ihnen Sammler, 
Kritiker, Editoren wie Sirmond, Labbe, Bolland; einen Chrono 
logen ersten Ranges und zugleich Universalhistoriker im alten, 
nicht gallicanisirten Stile, wie Petau ; Fabulisten mindester 
Qualität und einen fast wahnwitzigen Skeptiker, wie Hardouin, 
welcher den Quintilian und den Gregor von Tours zu Schrift 
stellern des vierzehnten Jahrhunderts p. Chr. n. macht, den 
Karl Marteil für ein Hirngespinst erklärt und nur den Münzen 
unbedingten Glauben schenkt. 2 
Dagegen treten die Benedictiner als eine geschlossene, 
einheitlich arbeitende, wohl disciplinirte Corporation auf, deren 
kritische Leistungen wahrhaft epochal genannt zu werden ver 
dienen. Die Namen Mabillon, Montfaucon ehren ihren Orden, 
1 Revue historique I, p. 18. — Uebrigens besitzen wir eine noch unmittel 
barer mit dem Hofe zusammenhängende Geschichte Frankreichs, nämlich 
aus der Feder des Dauphin, welcher sie unter der Leitung Bossuet’s 
schrieb. 
2 Wuttke, Ueber die Gewissheit der Geschichte (Festschrift zu Wachs- 
muth’s 101. Docentensemester, Leipzig 1865) p. 5 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.