Voltaire-Studien.
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der politischen Theorie) kreuzten sich zu Ende des sechzehnten
Jahrhunderts in den Erscheinungen der historischen Literatur.
Es ist die Zeit Bodin’s, Popeliniere’s, Hotman’s u. A. Aber
dieser freien, theoretisirenden, dabei nicht allzu kritischen
Geschichtschreibung machten die ungünstigen Verhältnisse ein
Ende; das siegreiche Königthum liess dann nichts Wider
strebendes mehr aufkommen. Auch die Philosophie erweckte
zunächst kein höheres Interesse für die Geschichte. Vom
Scholasticismus ganz zu schweigen, so standen sowohl Cartesius
wie Malebranche der historischen Welt vollkommen fremd, ja
ahnungslos gegenüber. Sie liess sich nicht construiren und in
die Formeln des Calculs zwängen; sie war ihnen kein Gegen
stand des Nachdenkens, sie galt als Zeitverlust. 1
Wenn aber auch das Königthum alle spontanen Regungen
unterdrückte, so war es doch aus Gründen der Selbsterhaltung
getrieben, seinen Gedankeninhalt und sein Interesse voll und
nach allen Seiten zu entfalten, das voll und imposant Entfaltete
aber den Geistern mit allen Mitteln, von der einschmeichelnden
Ueberredung angefangen bis zur Dragonadenwirthschaft, aufzu-
nöthigen. Der Ruhm der Vergangenheit, die Einsicht in die
historische Nothwendigkeit, die Reflexion auf den Zusammen
hang des irdischen mit dem überirdischen Königthume sollte den
Lustre der Monarchie vermehren helfen. Sie bedurfte einer
historischen Rechtfertigung; das ihr entsprechende Gedanken
system wäre unvollständig gewesen ohne die Heranziehung der
Geschichte. Ja, in dem Maasse als infolge des Systemes geistige
Kraft überschüssig wurde, musste dafür gesorgt werden, dass
diese nicht in feindliche Spannung gerathe. Jedes Machtsystem
sucht die Geister zu binden, und bevor nicht die constitutionellen,
demokratischen oder socialistischen Systeme darauf feierlichst
Verzieht leisten, dürfen sie es, mindestens dem Principe nach, den
theokratisehen, monarchischen oder oligarehisehen Herrschaft-
Vereinigungen nicht übel nehmen. Eine besondere, ausnahms
weise Schurkerei oder Servilität war es daher von den Zeit
genossen Ludwig XIV. nicht, wenn sie die Geschichte dem
1 YgL H. Taine, Entstehung des modernen Frankreichs (übersetzt von
Kätscher) I. p. 188. — Und wenn es erlanbt ist. sich selbst zu eitiren,
meine .Geschichtsauffassung der Neuzeit* 6. Cap.