Haupt. Bruder Philipps Marienleben.
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Bruder Philipps Marienleben
von
Joseph Haupt.
.Zu den beliebtesten Büchern des XIV. und XV. Jahr
hunderts gehörte in Deutschland das Marienleben des Car-
thäusers Philipp. Das geht schon aus der Zahl der uns ent
weder vollständig oder in grösseren und kleineren Trümmern
verbliebenen Hss. hervor. Zu den bisher bekannten fünfund
zwanzig treten in den folgenden Blättern fünf, von denen zwei
bisher zwar bekannt aber nicht erkannt waren, die andern drei
jetzt erst aus der Verborgenheit ans Licht gezogen werden.
Mit der Zahl von dreissig Hss. tritt Philipp zunächst den
Werken Wolframs. 1
H. Rückert hat dieses Reimwerk 1853 als den XXXV.
Bd. der Quedlinburger Bibliothek der deutschen National-Lite-
ratur veröffentlicht und keinen Anstand genommen, den Text
in die gemeine mhd. Sprache umzuschreiben. Die Fülle von
Reimen, die laut gegen jede mhd. Mundart schreien, hat er
zwar nicht überhört, sie aber als österreichische zu rechtfer
tigen gesucht. In allen Fällen, wo ihm dies unmöglich war,
musste entweder der Archaismus herhalten oder die Verwilde
rung der Sprache im XIV. Jahrhundert Schuld tragen.
1 Fr. Pfeiffer, Quellenmaterial zu altdeutschen Dichtungen (Denkschriften
der k. Akademie. Bd. XVII.) zählt S. 36 vom Parzival 43, S. 38 vom
Willehalm 35 Hss. auf; Zahlen, die von keinem anderen mittelhoch
deutschen Dichtwerk erreicht werden. Von den Nibelungen sind alles in
allem nur 28 Hss. aufgefunden, s. Bartsch, Der Nibelunge Not, Leipzig
1870 S. XV.