Graf Rudolf Chotek, k. k. österr. Staats- und Conferenz-Minister. 4S9
Im Ganzen zeigt die Denkschrift seinen staatsmännisclien Sinn,
der in der entschiedenen Anerkennung dessen, was veränderte staat
liche und Culturzustände erheischen, niemals die Kraft und Natur des
Gegebenen übersieht. Chotek war durchaus ein conservativer Staats
mann voll ritterlicher Hingebung an seinen Monarchen und sein Vater
land. Als er jene Schrift schrieb, war er Oberstburggraf von Böhmen
und Staatsminister, wozu ihn Kaiser Franz 1802 ernannt hatte. Er
bewährte sich auch in dieser Sphäre als ein Mann der That. Er besass
die Eigenschaften, womit man Handel und Verkehr befördert, dem
gesellschaftlichen Wohle auf Jahrzehente hinaus Stoffe zuführt, jeder
nützbaren gewinnbringenden Thätigkeit ihren Impuls gibt. Die Er
richtung neuer Kunststrassen, das Emporkommen von neuen Manu-
facturen und Fabriken, die Einführung englischer Webe- und Spinn
maschinen , die mannigfaltigen Bauten und Verschönerungen in und
um Prag lassen noch heute seinen Namen in Böhmen fortleben.
Mancher Plan blieb unausgeführt. Nach drei Jahren 1805 berief ihn
der Kaiser in das Conferenz-Ministerium. ln jener Zeit war an eine
Durchführung einer neuen Organisirung nach dem grossen Mass-
stabe, wie ihn Graf Chotek anzulegen wünschte, nicht zu denken.
Die ganze Spannkraft der Begierung richtete sich nur gegen den
äusseren Feind. So war auch die Thätigkeit des Grafen Chotek
gehemmt. Die Landescommissärstelle, welche ihm der Kaiser über
trug, als Wien 1809 bedroht wurde, gab ihm nur eine vorüber
gehende Wirksamkeit, der Gram um seinen Sohn, der als Oberster
des Dragonerregiments Rosenberg bei Wagram gefallen war, drückte
ihn nieder. Nach dem Frieden wurde das Conferenz-Ministerium auf
gelöst, alle die grossen Pläne des Kaisers mussten für eine Zeit aufge
schoben werden, wo eine ruhige Lage der Dinge die Veränderung der
staatlichen Form begünstigen konnte. Graf Chotek wurde zum Präses
der Normalien - Hofcommission ernannt. Die Wirksamkeit, welche
einst sein schöpferischer belebender Geist angestrebt hatte, war
dadurch beschränkt. Er blieb ein ruhiger Beobachter des wechselnden
strömenden Lebens. Die Cultur seiner Güter, der Umgang mit den Glie
dern seiner Familie, seinen Freunden beschäftigten seinen Geist, der
niemals müde war. Die Empfänglichkeit für Wissenschaft und Kunst
verliess ihn nie; auch das Gr eisenalter vermochte sein Interesse für die
geistigen Kräfte, auf welchem Felde sie sich immer zeigen mochten,
nicht abzustumpfen. Die böhmische Gesellschaft der Wissenschaften
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