Emerico Amari in seinem Verhältniss zu G. B. Vico.
63
abschliessenden Forschung liegen aber entschieden und einge-
standenermassen ausserhalb seines Gesichtskreises. Er scheint
sie sogar direct auszuschliessen, wenn er unter Anschluss an
Quetelet’s statistische Forschungen und Vergleichungen von
einem sogenannten socialen Durchschnittsmenschen (uomo medio)
und von constanten Grössen des gemeinmenschlichen socialen
Lebensprocesses spricht, 1 und die Wissenschaft der verglei
chenden Gesetzeskunde auf eine Art socialer Physik gestellt
sehen will. Die sociale Physik ist auf die nicht zu leugnende
Gleichartigkeit und Dieselbigkeit der allgemeinen Menschen
natur in allen einzelnen Menschenindividuen gegründet. Sie
lässt sich aber eben nur auf den Durchschnittsmenschen an
wenden ; und unter diesem hat man die, allerdings überwie
gende Mehrheit derjenigen Menschen zu verstehen, in welchen
die Hervorbildung und Entwickelung der selbstigen persön
lichen Eigenart durch die factische Incongruenz zwischen der
Idee des Menschen und dem wirklichen Menschen, so wie
durch die gegebenen gemeinsamen Lebensbedingungen des Zeit
menschen mehr oder weniger gehemmt und beschränkt ist.
Gleichwie aber originale Menschen sich der gewöhnlichen Be
rechnung entziehen, so täuscht sich diese auch oft genug selbst
an denjenigen Menschen, in welchen der Engel oder der Dämon
durch die niederhaltenden, einschränkenden und uniformiren-
den Verhältnisse und Einflüsse des allgemeinen Gesellschafts
zustandes niedergehalten und gehemmt ist; die Gesellschafts
lehre lässt sich nicht auf den Standpunkt einer physikalischen
Dynamik oder Mechanik herabdrücken, weil eben der Mensch
nicht blosses Naturwesen, sondern ein personhaftes Wesen ist,
wie denn auch die gesammte sociale Ordnung als geistig-sitt
liche Ordnung die wahrhafte und vollkommene Personwerdung
aller ihrer lebendigen Constituenten zu ihrem letzten und höchsten
Zwecke hat. Die Application eines physikalischen Dynanismus
auf die Betrachtung der menschlichen Societät, ihrer Gestaltung
und Gliederung ist bereits von Schelling abgewiesen worden,
wenn er die Menschheitsgeschichte, die allerdings etwas von
der Menschengeschichte Verschiedenes ist, als ein Gedicht des
göttlichen Verstandes auffassen lehrte; eine ähnliche Auffassung
1 Critica, p. 242 ff.