Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 93. Band, (Jahrgang 1879)

Die Psychologie, Iirkenntniss- und Wissenschaftslehre des Roger Baco. 575 
des Alterthums hierüber als beglaubigte Geschichte nehmen zu 
wollen; er traut der Musik die Eigenschaft zu, nicht bloss die 
Leidenschaften der Menschen zu besänftigen, sondern auch die 
Bestien zu zähmen; sie soll ein Mittel sein, lasterhaften Hand 
lungen Einhalt zu thun, die Uebung des Gesanges eines der 
vorzüglichsten Gesundheitsmittel sein. Er hofft von einem zu 
künftigen tiefsten Eindringen in die Geheimnisse der Musik 
kunde und von der Erfindung der solchen Einblicken ent 
sprechenden Musikinstrumente Erfolge, in welchen geradezu die 
Zustände der verlorenen Paradieseswelt wiederhergestellt er 
scheinen würden. 1 Baco fasst übrigens Poesie und Musik in 
unzertrennlicher Einheit, und erkennt nur in demjenigen einen 
wahrhaften Musiker, welcher sich zugleich exact auf die Gesetze 
der Metrik und Rhythmik versteht. Daneben verlauten wieder 
die üblichen Klagen über den in letzterer Zeit eingerissenen 
Verfall der kirchlichen Poesie und Musik; die Kenntniss der 
Gesetze der Metrik und Rhythmik sei den heutigen Hymnologen 
und kirchlichen Dichtern unbekannt, an die Stelle der aus der 
Kirche überkommenen Harmonia enharmonica, welche die schöne 
Mitte zwischen der rauhen, abgerissenen Harmonia diatonica 
und der verweichlichten schnörkelhaften Harmonia chromatica 
einhalte, sei das ungeordnete Gefallen an letzterer getreten, der 
Gesang werde durch geschmacklose Künsteleien zur Unnatur 
verzerrt, man vernehme widerliche Falsetstimmen. Auch hierin 
sei also der kirchlichen Reformarbeit reichlicher Stoff geboten. 
Baco lässt alle höheren geistigen Bestrebungen in der Musik 
als schlechthin Höchstem gipfeln, welches über alles mensch 
liche Denken und Selbstthun hinausgreifend 2 den Menschen 
mit göttlicher Gewalt ergreife und über sich selbst erhebe, um 
ihn der Macht des Göttlichen vollkommen dienstbar zu machen. 3 
1 Certe raperentur bruta in omnem voluntatem nostram . . . similiter animi 
in quemlibet gradum devotionis raperentur, et in plenum enjuslibet vir- 
tutis amorem excitarentur et in omnem sanitatem et vigorem. Op. tert., e. 73. 
2 Mira musicae super omnes scientias spbctanda potestas. Nam, ut ait 
Boetius, aliae scientiae veritatis investigatione laborant; liaec vero non 
solummodo speculationi sed moralitati conjuncta est, et naturam permutat 
universam. 1. c. 
3 Sie beatus Fanciscus jussit fratri eytharistae ut dulcius personaret, qua- 
tenus mens excitaretur ad harmonias coelestes, quas pluries audivit. 1. c.
	        
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