576 Werner. Die Psychologie, Erkenntniss- u. Wissenschaftslehre d. Roger Baco.
Diese Auffassung steht in vollkommenem Einklänge mit Baco’s
philosophischer Gesammtanschauung, mit seiner Vorliebe für
die Mathematik, mit- seiner Betonung der moralisch-praktischen
Zwecke aller Bildung und Cultur, mit seiner Ansicht von der
gleichsam theoleptischen Natur alles höheren Denkens und
Erkennens, und seiner Abneigung gegen die auf die meta
physische Wahrheit und Geltung des Allgemeingedankens ge
gründete Vernunftwissenschaft der Scholastik. An die Stelle
der geistigen Apprehension der göttlichen Allgemeingedanken
als des wesenhaften Geistgehaltes der Dinge, tritt hei ihm die
Apperception von Harmonien, deren tönende Componenten die
singulären Dinge als solche sind, und gemäss der. göttlichen
Weltconception zu einem planvoll gedachten Ganzen sich zu
sammenfügend eine wundervolle Tonschöpfung, ein Gedicht
ewiger göttlicher Gedanken darstellen. Baco entdeckte jedoch
nicht den Zauberstab, der die wirklichen Dinge geistig berührend
in Offenbarungen schöpferischer göttlicher Gedanken sich ver
wandeln macht; für ihn, den grundsätzlichen Empiristen blieb
jene wundervolle Harmonie ein blosses Postulat, eine blosse
Denkahnung, die erst dem ideal durchgeisteten Vernunftdenken
sich in eine lebendige Denkerfahrung, in eine wirkliche Appre
hension der dem sichtbaren Weltganzen und der gesammten
Schöpfung eingegeisteten göttlichen Harmonien umzusetzen ver
mag. Ihm fallen göttliche Inspiration und menschliche ireyyr]
unvermittelt auseinander; und so kam es gewissermaassen von
selbst, dass sein geistiges Beginnen, so gross es angelegt war,
von der auf die Selbstmacht des scholastischen Vernunftdenkens
sich stützenden Albert’schen Schule zurückgedrängt wurde, in
einem späteren Jahrhundert aber, wo die von ihm synticipirten
Gedanken mächtig wieder auflebten, bereits von der vorge
schrittenen Zeitrichtung überholt erschien. An Bewunderern
und an Gläubigen hat es ihm in den auf das Mittelalter nächst
folgenden Jahrhunderten nicht gefehlt; das wahrhafte und
bleibende Interesse an ihm kann jedoch nur das historische
sein, welchem gemäss seine geschichtliche Erscheinung aus den
Zuständen des Zeitlebens seines Jahrhunderts verstanden wird.