Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 77. Band, (Jahrgang 1874)

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Werner. Zur Metaphysik des Schönen. 
hältniss absoluter Dienstbarkeit zu der mittelst seiner zu ver 
wirklichenden Form gesetzt ist, und nichts anderes als die im 
Schöpfergeiste präconcipirten Formen darzustellen vermag, diese 
aber in allen Arten und Wandlungen ihrer selbst zur Erschei 
nung bringt. Darum ist der sichtbare Kosmos schon in seiner 
zeitlich noch unvollendeten Erscheinung ein wahrhaft gött 
liches Kunstwerk, die Wunder seiner vollendeten Ausgestal 
tung aber sind für uns Zeitmenschen nur Gegenstand sinnen 
den Ahndens, in dessen Tiefen jede ächte Künstlerseele sich 
versenkt. 
Alle ächte Kunst ist von dichterischem Geiste angeweht, 
und ihre Hervorbringungen sind dichtende Vergegenwärtigun 
gen einer höheren idealen Wirklichkeit, die hinter und über 
der erfahrungsmässigen Wirklichkeit des irdischen Zeitdaseins 
steht. So setzt sich die Architektur edlen, grossen Stils in 
ihren erhabensten Hervorbringungen keine geringere Aufgabe 
als jene, die Architektonik des Weltbaues und die Fassung 
des Endlichen im Göttlich-Unendlichen symbolisch zur An 
schauung zu bringen; die Plastik will die reinen Formen der 
Gestaltungen des Sichtbaren an’s Licht ziehen, die Historien 
malerei hohen Stiles das Göttliche in der Geschichte offen 
baren, und die grossen, bedeutungvollen Momente des Drama 
der Weltgeschichte in ausdrucksvollen Scenen lebendig ver 
anschaulichen. Die Tonkunst ist eine Verlautbarung der dem 
LTniversiun eingeschaffenen Harmonien, der demselben einge- 
geisteten Zahl- und Massverhältnisse für das menschliche Ohr; 
die in Worte gefasste Dichtung eine seherische Offenbarung, 
eine Aufdeckung der in’s zeitliche Weltdasein hineingesproche 
nen Worte des Ewigen. Die absolute Bedeutung des kunst 
schöpferischen Wirkens ist, Denkmale des Ewigen und Gött 
lichen in’s irdische Zeitdasein zu setzen; die vom mensch 
lichen Kunstschaffen angestrebte schöne Wirklichkeit des Zeit 
daseins wird jene sein, die mit Erinnerungen und ausdrucks 
vollen Vergegenwärtigungen des Hohen, Ewigen, Göttlichen 
geschmückt ist.
	        
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