Deutsche Studien. II.
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deutsam, und vollends die Art des gebrauchten Tones gemahnt
an das Vorbild: 16 Reimzeilen, paarweise gebunden, vier
Hebungen stumpf oder drei Hebungen klingend, allerdings
nach dem System des dreitheiligen Baues regelmässig geordnet,
der Abgesang in folgender Weise gestaltet:
4 Heb. stumpf a.
3 Heb. klingend Waise. 4 Heb. stumpf a.
3 Heb. klingend b.
4 Heb. stumpf Waise. 3 Heb. klingend b.
Die natürliche Entsprechung: stumpfer Reim, klingende
Waise; klingender Reim, stumpfe Waise — ist, wie man
sieht, bewahrt.
37, 18. ,$ö we dir, sumerwunne!
Zwölfzeilige Strophe in Reimpaaren, jede Zeile zu vier
Hebungen. Kein zweisilbiger Auftact überliefert; kein Hiatus. —
Ein ähnliches Motiv wie im vorigen: Mahnung des treulosen
Geliebten, den andere Frauen abziehen. Aber Liebesschmerz
combinirt mit Trauer der Natur, mit herbstlichen Erscheinun
gen : dies in der formelhaften Weise vermuthlich des volks-
thümlichen Tanzliedes nach Liliencron bei Haupt 6, 73 ff.
(Doch kennt auch die französische Poesie jener Zeit den
form eihaften Natur eingang.)
Hier zweifle ich nicht an der weiblichen Autorschaft.
Freilich, wenn man die wol stenden ougen als ,schöne Augen'
versteht (vergl. MF. 56, 22), so wäre es recht unpassend, dass
die Frau ihre körperlichen Vorzüge selber lobte. Aber man
wird wie MF. 186, 1. 2 (est nu lanc daz mir diu ougen min
ze fröweden nie gestuonden wol) an den hellen, ungetrübten
Blick der Freude denken dürfen, den auch der Gegensatz
truobent verlangt.
3, 1. ,Du bist min, ich bin dm.
In diesem sechszeiligen Liede redet eine vornehme Dame,
gleichviel ob es von ihr herrührt, oder ob sie es bloss citirt.
Das letztere nimmt wohl Schmeller an, wenn er (Bayer.
Wb. 3, 500) das Gedichtchen unter die Improvisationen des
Volkes rechnet und mit den Schnadahipfeln vergleicht. Die
Dame schreibt an einen geistlichen Lehrer (MF. 8. 222, 4
u t per te didici) und Liebhaber, grossentheils in Reimprosa.