Scherer. DeutscheStudien.il.
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Deutsche Studien.
II.
Die Anfänge des Minnesanges.
Von
Wilhelm Scherer,
correspondirendem Mitgliede der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
§• l.
Namenlose Lieder.
Indem ich die älteste deutsche Liebeslyrik im Anschluss
an Lachmanns und Haupts ,Minnesangs Frühling' einer näheren
Betrachtung unterwerfe, beginne ich mit den namenlosen
Liedern. Ueber diese kann ich nicht sprechen, ohne zum
Theil die Erörterungen der folgenden Paragraphen voraus
zusetzen. Ich darf den Leser wohl bitten, hierauf einige
Rücksicht zu nehmen und auch den Aufsatz über den Kiiren-
berger in der Zeitschrift 17, 561—581 zu vergleichen.
Die ältesten namenlosen Liebeslieder, die wir besitzen,
sind, glaube ich, die beiden Strophen MF. 37, 4 und MF. 37, 18.
Sie müssen hinter einander auf einem Blatte gestanden haben,
das in der Quelle von C in das erste Liederbuch Dietmars
von Aist eingelegt wurde; s. § 7.
37, 4. Ez stuont ein frouwe alleine.
Vierzehnzeilige Strophe in Reimpaaren, jede Zeile zu
vier Hebungen, nur die letzte auf 5 verlängert. Lachmann
hat die zweisilbigen Auftacte Z. 11 einen, Z. 13 ich er | kos
mir selbe einen man, Z. 14 den er | weiten mvniu ougen hinweg
geschafft, ich zweifle, ob mit Rocht. — Die Frau, blickt über
die Heide aus nach dem Geliebten. Sie leidet durch den
Neid anderer Frauen, sie ist im Besitze des theuren Mannes
bedroht. Ist das Lied von ihr selbst oder ist es ihr bloss in