IJelier (len Einfluss der Tonlelire auf Herhart’s Philosophie.
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meinen, dass selbst der offenste Blick in die Seele, wie sie
es macht, gewisseHarmonieen richtig, andere unrichtig zu finden,
ihrer Uebcrzeugung von dieser Richtigkeit oder Unrichtigkeit
selbst nur den geringsten Zusatz geben könne'. Ebensowenig
darf ,der Unterschied zwischen Ehre und Schande, Recht und
Unrecht, Tugend und Laster so lange zweifelhaft bleiben', bis
die Psychologie etwa ,den Ursprung der Gemüthshandlungen
nachgewiesen hätte, welche in uns Vorgehen, indem wir das
Sittliche beurtheilen und beschliessen'. Was die Psycho
logie leistet und leisten kann, ist in beiden Fällen, bei der
Tonlehre nicht weniger wie bei der Ethik, Theorie; und selbst
diese ,bleibt demjenigen unverständlich, der nicht zuvor das kennt,
wovon sie redet', in einem Fall die ursprünglichen musikalisch
ästhetischen, im andern die ebenso ,ursprünglichen praktischen'
Ideen, deren Giltigkeit beide, die Harmonielehre wie die Sitten
lehre, voraussetzen, ohne sie beweisen zu können'. So fest
wie die Ueberzeugung des Musikers von der harmonischen
oder disharmonischen Natur gewisser Ton Verhältnisse steht, als
,ein streng absolutes Wissen, fest als ein ursprünglich mannig
faltiges Wissen; fest ohne Princip und ohne Einheit, aber
zugleich als eine Summe von Principien, die zur Vereinigung
in ein einziges Kunstwerk fähig sind' — so fest, darf man in
Herbart’s Geist suppliren, muss auch die Ueberzeugung des
Ethikers von der absoluten, mannigfaltigen, principiellen Natur
seines praktischen Wissens, von der unbedingt lobens- oder
tadelnswerthen Natur gewisser Willensverhältnisse stehen.
Die ,nützliche Vergleichung' der Tonlelire mit den Grund
lehren der praktischen Philosophie, von der wir Herbart sprechen
hörten, hat wie wir sehen den Zweck, dem ,Vorurtheil, welches
theoretische und praktische Philosophie in einander mengt',
ein Ende zu machen. Die fundamentale Trennung der prakti
schen von der theoretischen Philosophie, der Lebensnerv seines
Philosophirens, soll durch das ,Gleichniss' der ersteren, die
Tonlehre, zur Evidenz erhoben werden. Durch die empirische
Bestätigung, welche sie durch ihr Zusammentreffen mit den
Ergebnissen mathematisch-psychologischer Speculation gewissen