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Prof. Dr. Grysar.
darin seinen Grund mag gehabt haben, dass von den vielen römischen
Tragödien welche bis in die Augustische Zeit hinein gedichtet
worden, nicht eine einzige sich erhalten hat, und nur Titel und spär
liche Fragmente derselben übrig geblieben sind, so dass auch nur eine
vollständige Probe von den in Rede stehenden Bestandteilen vorzu
legen unmöglich ist. Niemand hat sich zu berufen gewagt auf die
freilich noch vorhandenen vollständigen zehn Tragödien die den Namen
des Seneca tragen und, möge es mit dem Verfasser stehen wie es will,
jedenfalls in das erste Jahrhundert der Kaiserzeit gehören; obgleich
in denselben nicht nur mehrere cantica, sondern auch in jeder einige
und sogar grössere Chorgesänge enthalten sind. Diese Stücke seien
nicht — so hat es Einer dem Andern nachgesagt — für die Auf
führung auf der Bühne, sondern für Recitationen in engeren Hörer
kreisen bestimmt gewesen. Fragt man nach dem Grunde dieser
Annahme, so wird geantwortet einmal: dass diese Stücke durch
ihren declamatorischen Ton und durch den Mangel an dramatischem
Gehalt sich für die Bühne weniger geeignet hätten; dann ergebe sich
dies auch aus den eingeflochtenen, dem griechischen Chore nach
gebildeten Cborgesängen; denn Chöre seien auf der römischen Bühne
nie aufgeführt worden. Aber für diese letztere Behauptung ist bis
zur Stunde der Beweis nicht geliefert worden, und was das erstere
betrifft, so hat man übersehen, dass, was alles in dem ersten Jahr
hundert in der schönen Literatur geleistet wurde — und die drama
tischen Produetionen machten am wenigsten eine Ausnahme — mehr
oder minder den Charakter des Declamatorischen an sich trug. So
erklärt es sich, warum sogar die Diverbien in Seneca's Tragödien,
die, wenn man sie mit denen in den Komödien des Plautus undTerenz
vergleicht, eine auffallend kleine Zahl ausmachen, sehr gedehnt und in
einer ganz oratorischen Form gehalten sind; denn so wollte es ja der
damalige Zeitgeschmack. Dass aber trotzdem Seneca’s Tragödien
noch bühnengerecht genug sind, dafür dürfte schon der eine Umstand
hinreichend sprechen, dass die grössten Meister der französischen
Tragödie, Corneille und Racine, seine Stücke mehr als selbst die
II, 3, S. 1368 Chorlieder in einigen Tragödien vorauszusetzen, bespricht die
Sache aber im Allgemeinen nicht. Der erste welcher auf das Vorhandensein eines
tragischen Chores hinwies, war Lange, in den vindic. trag. Rom. p. 22. Alles aber,
was er darüber sagt, ist mit einer kurzen Note abgethan. Eben so wenig bietet
Regel in den Abhandl. de trag. Rom. iudicia p. 5, Not. 3 und 4.