Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 154. Band, (Jahrgang 1907)

Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt. 
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sehen Boten entnehmen läßt. Vielleicht darf man den Aufbau 
dieser so erfolgreichen, lange und stark nachwirkenden Predigt 
auch mit Schöpfungen der Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts 
in Bezug bringen, wahrscheinlicher noch mit dem geistlichen 
Schauspiel. Interessant scheint mir, daß Bertholds Sermon 
noch für ein ziemlich spätes Produkt volkstümlicher Dichtung 
das Vorbild abgegeben hat. Simrock hat in seinen Volks 
büchern 12, 1—26 ein Reim werk abgedruckt: , Wahrhaftige 
Beschreibung des jüngsten Gerichtes im Tal Josaphat ‘, 
darin ist die populäre Fassung der Predigt Bertholds zugrunde 
gelegt. Leider weiß ich über die Provenienz dieses Volksbuches 
zurzeit gar nichts Näheres und behalte mir vor, darauf zurück 
zukommen. Die Schilderung (ausgehend von Joel 3, besonders 
2. 12 ff.) ist dort in Rollen aufgeteilt, die Propheten- und Väter 
stellen werden von ihren Verfassern gesprochen, auch in dem 
sonstigen Ablauf der Szenen gibt es nur direkte Reden. Das 
Ganze wird abgeschlossen durch ein paar Stücke, welche der 
volkstümlichen Erbauungsliteratur des 15. Jahrhunderts ent 
nommen sind. An sich wäre es gar nicht unmöglich, daß 
schon Berthold selbst einmal die Schrift- und Väterzitate seiner 
Predigt in erster Person aus dem Munde der Zitierten ge 
sprochen hätte, wenigstens hat er noch sonst verschiedene 
Male Ähnliches unternommen. Jedesfalls ist auch diese zweite 
große Predigt über das jüngste Gericht eine sehr bedeutende 
oratorische Leistung und es wird auch an sie noch Melchior 
Ambach angeknüpft haben, der in seiner Schrift ,vom Ende 
der Welt und Zukunfft des Endtchrist etc. in rheumen gestelt 1 
(Frankfurt 1544) eine Weissagung dem Bruder Berthold in 
den Mund legte (Hermann Leyser, Vorrede zu den deutschen 
Predigten des 13. und 14. Jahrhunderts, S. XVII Anm.). Diese 
beiden Reden Bertholds vom besonderen und vom allgemeinen 
Gericht haben jedesfalls die Auszeichnung besser verdient, 
die Salimbene (Studien 4, 3) den Antichristpredigten ange 
deihen ließ. Freilich lehrt uns gerade das Beispiel des Ver 
hältnisses zwischen Bertholds eigenem Texte und der verbrei 
teten Ausarbeitung seiner gesprochenen Rede, wie wenig wir 
eigentlich aus der authentischen Überlieferung der Rusticani 
auf die wirklich gehaltenen Predigten und auf ihren Effekt 
schließen dürfen.
	        
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