Gian Vincenzo Gravina als Äesthetiker.
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Empfehlungsbriefe an Serafino Biseardi mitgegeben, welcher
nunmehr die Leitung des vielversprechenden Landsmannes
(Biseardi stammte aus Cosenza) übernahm. Biseardi war ein
hervorragender Jurist, wie Fabroni 1 bezeugt, der geradezu
meint ,in neapolitano foro jureconsultorum princeps nv/merabatnr*,
aber er besass überdies das lebhafteste Interesse für die
,schönen Wissenschaften*. Dies war der rechte Mann, welchen
Gravina brauchte, der sich zwar dem Rechtsstudium widmen
sollte, aber mehr Neigung für die schönen Künste besass.
Ihm verdankte er es, dass er sich zunächst dem weiteren
Studium der griechischen und der lateinischen Literatur, sowie
der Redekunst zuwenden durfte, wobei es sich glücklich traf,
dass eben einer der tüchtigsten italienischen Philologen, Gregorio
Messeri, griechische Literatur vortrug. Ebenfalls Biseardi Wal
es zu danken, dass Gravina späterhin seinen anfänglichen
Widerwillen gegen das Rechtsstudium überwinden lernte,
nachdem ihm sein Meister gezeigt hatte, wie diese Wissenschaft
neben dem toclten Formelkram und öden Wust, in welchen
sie versunken war, auch eine lichte und herrliche Seite besitze
und mit dem Blick des Philosophen betrachtet sich wertli
zeige, dass die edelsten Geister ihr dienten. Mit demselben
glühenden Eifer betrieb er nun die Rechtswissenschaft, sowie
auch Theologie und canonisches Recht. Er hatte es nie zu
bedauern, den Jugendträumen von Dichterruhm, welche ihn
damals erfüllten, entsagt zu haben, denn während er als Jurist
zu den höchsten Triumphen gelangte und seinen Namen —
mindestens in Italien — unsterblich machte, bilden seine im
späteren Alter wieder aufgenommenen poetischen Versuche die
schwächste Seite seiner Leistungen und trugen ihm nur Spott
und Hohn ein. Hier jedoch haben wir es weder mit Gravina
dem Juristen, noch mit Gravina dem Poeten, sondern nur
mit Gravina dem philosophischen Kunstkritiker zu thun. Für
diesen war der Einfluss jener drei Männer (Caloprese, Biseardi,
Messeri) von so grosser, Richtung gebender Bedeutung, dass
ihrer, wenn auch kurz, Erwähnung geschehen musste. In
dieser Zeit lernte Gravina jene Fünfzahl am höchsten stellen,
1 Vitae italorum doctrina excellentium qui saeculo XVIII floruerant
auctore Angelo Fabronio, Romae 1769.
1*