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Massstabe zu fest verrannt, als dass er für die Kritik im Einzelnen
sich hinreichend freien Blick zu wahren vermocht hätte: und so fand
jüngst Bursian in seinen schätzbaren Beiträgen zur Kritik der
Poetik (in Fleckeisen’s Jahrbüchern 18S9) noch reichliche Gele
genheit, Aldinische Lesarten zu verurtheilen und den verderbten
Zügen der Handschriften Besseres zu entlocken.
Aldus’ Recension muss aufgegeben und die Kritik auf die Über
lieferung der Handschriften allein zurückgeführt werden. Diese aber
ist eine wesentlich einfache; denn alle uns bekannten Handschriften
sind Abschriften ein und desselben Exemplars, die sich nur durch
das Mehr oder Weniger von Sorgfalt oder Einsicht der Abschreiber
unterscheiden. Bekker hat mit sicherem Tact aus der nicht kleinen
Zahl drei bewährte Repräsentanten herausgegriffen, unter denen
wiederum demselben Pariser Codex, dem wir die Rhetorik in der
verhältnissmässig reinsten Gestalt verdanken (A c n. 1741), ein be
vorzugter Platz gebührt. Jenes gemeinsame Stammexemplar enthielt
aber die Poetik bereits in der verstümmelten, am Ende und in der
Mitte um grosse Partien gekürzten Form und in der Zertrümme
rung der ursprünglichen Ordnung, in der wir sie heute lesen. Sieht
man ah von dieser weit hinter der Quelle unserer Handschriften
zurück liegenden Gestaltung, über welche Spengel’s und Bernays'
Untersuchungen Licht verbreitet haben, so ist im Übrigen dieTextes-
überlieferung der Poetik in nichts verschieden von dem, was uns in
der Mehrzahl Aristotelischer Schriften entgegentritt. Um von gewöhn
lichen Buchstabenverirrungen zu schweigen, kleine Lücken, welche
der Gleichklang der Worte oder, obwohl nicht so häufig wie Bursian
meint, die Unleserlichkeit des Archetypons veranlasst hat, in den
Text gedrungene Marginalnoten emsiger aber unachtsamer Leser,
worauf sich im Wesentlichen das Gebiet der Interpolation auch hier
beschränkt, Verstellungen und Wiederholungen von Wörtern und
Wortverbindungen, dies und Ähnliches sind die Gebrechen dieser
Überlieferung, auf welche die kritische Heilmethode zu diagnosti-
ciren hat.
I 9. S. 1447 b 20.
Gleich im ersten Capitel begegnen wir einer Stelle, in welcher
ein eigenmächtiger Zusatz des Aldus in den meisten Texten, auch in
dem neuesten von Bekker noch steht, obwohl derselbe dem Ge
danken des Aristoteles schnurstracks zuwiderläuft. 'Op.otw? ds y.äv d