Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 2. Band, (Jahrgang 1849)

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dass in der gesammten Welt bloss das Individuum sammt sei 
ner Persönlichkeit wirkt und überhaupt allein zum Vorschein 
kommen kann , wenn man auch genau weiss , dass das Allge 
meine nie etwas Reales, Seiendes, sondern nichts als etwas 
Gedachtes ist, so muss man doch nach dem angegebenen Dog 
ma eiusehen, dass Jeder, der seine Handlungen dialektisch 
prüft, sich immer rechtfertigen könne, er möge nur einsehen, 
dass Recht und Unrecht dasselbe und nicht dasselbe sind, dass 
Recht nothwendig in Unrecht umschlage , dass überall nur die 
Bewegung der Geist sei; in diesem Gedanken ruht seine Ent- 
sündigung, die Befreiung von aller Schuld der grössten Misse- 
that. Was werden die Religionslehrer zu dieser Darstellung 
der nothwendig werdenden Folgerungen sagen? Ist mit einer 
solchen Lehre Sittlichkeit, Recht und Religion gefördert? Aller 
Spinozismus , daher auch der Hegelianismus wird nun und nim 
mer eine reine Sittenlehre zu liefern im Stande sein, und trotz 
der reichen Literatur ist die Ethik bei den Hegelianern bei 
nahe unberücksichtigt. Dies hat den im Systeme offenbar lie 
genden Grund gerade darin, dass man meint, alle sittlichen 
Ansichten, Grundsätze, Maximen, die Pflicht, Recht, Verdienst 
und Schuld seien nur verschwindende Momente in dem Entwick 
lungsgänge des Geistes, über welche er dann, wenn er höhere 
Stufen erreicht, ohnedies heraus ist; die Reden von einem 
bleibenden Unterschied des Rechtes und Unrechtes, des Guten 
und Bösen, bezeugen den Standpunkt der Weltansicht des ge 
wöhnlichen Verstandes «in der Unvollkommenheit seiner Entwick 
lung. Eben dies ist einer der schwächsten Punkte des Systems; 
denn das tägliche Leben fordert beständig bei der wirklichen 
Beurtheilung der Thaten der Einzelnen und der geschichtlichen 
Begebenheiten die werthbestimmenden Begriffe des Rechtes und 
Unrechtes, des Löblichen und Schändlichen und eine Wissen 
schaft von dem, was unwandelbar gut oder böse ist bei allem 
sonstigen irdischen Wechsel im Kleinen und Grossen. Ein Sy 
stem , das uns nicht sagen kann, was gut und böse ist, ver 
dient nicht den Namen einer absoluten Wissenschaft. 
Sitzb. d. pbilosoph. Ir. tor. CI. Jahi’g. 1849.111. Heft. 
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