Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 8. Band, (Jahrgang 1852)

Über die Philosoph : e des Card : nals Cusanus. 
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in den Grundzügen darzuthun und den Ausspruch zu rechtfertigen, 
den der Titel gegenwärtigen Vortrages thut, dass Nicolausvon 
Cusa wahrhaft als geistiger Vorläufer Leibnitzens dürfte ange 
sehen werden. Schwerer wird es zu sagen, ob die innere Verwandt 
schaft der Lehre ohne äussere Belege uns das Recht gebe, auf eine 
stattgefundene Entlehnung gewisser Lehrsätze aus des Cusaners 
Werken, ja auch nur auf eine Kenntniss der letzteren von Seite 
Leib nitzens zu schliessen. Es ist längst bekannt, dass Leibnitz 
Vieles seinem Vorgänger verdankte, und H. Ritter, dieser gründ 
lichste der jetzt lebenden Kenner der Geschichte der Philosophie, 
hat erst vor kurzem in der Anzeige einer Schrift des Referenten 
(Gott. Gel. Anz. Nr. 21 u. 22 v. 3. Febr. 1882) mit Recht auf das 
Verhältniss hingewiesen, das zwischen Leih nitzens und den Lehren 
des Thomas vonAquin herrscht. Von einer directen Beziehung 
Leibnitzens auf die Werke des Cardinais von Cusa ist uns je 
doch wenigstens nichts bekannt. In seinen philosophischen Schriften 
haben wir den Namen des Cardinais nicht angetroffen, wohl aber in 
seinen historischen. IndemWerke: Scriptores Brunswicensia illu- 
strantes berichtet L eib n i tz von unserem Cusa zwar nicht als Philo 
sophen, wohl aber als Reformator der Klöster und päpstlichen Legaten. 
Nichts desto weniger ist es ausser Zweifel, dass ihm der wesent 
lichste Inhalt der Cusan’schen Lehre, wenn auch vielleicht aus 
zweiter Hand, nicht fremd geblieben sein kann. Clemens hat dar- 
gethan, dass der Hauptkern der Schriften und Lehre des Giordano 
Bruno, aus dem wieder Spätere, wie Vanini und Campanella, 
schöpften, aus den Werken des Nicolaus Cusanus genommen 
sei. Den Jordanus Brunus hat aber Leibnitz nicht nur ge 
kannt, sondern auch häufig im Munde geführt, und Carriere 
(a. a. 0. S. 471 u. ff.) hat mit Erfolg auf die innere Ähnlichkeit 
hingewiesen, welche Leibnitzens Philosophie mit jener Bruno’s 
zeigt. Der Punct aber, den er als entscheidend für die Verwandt 
schaft beider hervorhebt, „dass Gott als Einheit sich offenbart in 
einem System unendlicher Einheiten, die nicht qualitätslose Atome, 
sondern von so unendlicher Lebensfülle sind , dass Alles in Allem 
!st,” gehört, wie wir gesehen haben, unserem Cusanus zu. So 
haben wir denn, wenn keinen directen, doch einen indirecten Beweis, 
dass die grossartige Weltansicht des Cardinais nicht ohne nach 
haltigen Einfluss auf seinen um dritthalb Jahrhunderte späteren und
	        
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