Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 67. Band, (Jahrgang 1871)

Ueber Kaufs mathematisches Vorurthoil und dessen Folgen. 
39 
flüssig. Die transcendentale Aesthetik ist die Basis der Kritik. 
Und da der obige Bew.eis ohne die Annahme, die mathema 
tischen Urtheile seien synthetisch, unmöglich wäre, so erhellt 
hier von neuem die Tragweite von Kant’s ,mathematischem 
Vorurtheik. 
Bezüglich desselben verweisen wir auf das Vorhergegangene. 
Klar ist, dass dieses ,Vorurtheil‘ das Resultat der Kritik schon 
vorwegnimmt; denn, sind die mathematischen Urtheile synthe 
tisch und apriorisch zugleich, so setzen sie reine Anschauun 
gen voraus. Sie existiren selbst nur, weil es ein a priori 
giebt; darum lässt sich aus ihrem Dasein das des letzteren 
erschliessen. Wären sie analytisch, so könnten sie immerhin 
zugleich apriorisch sein; die reine Anschauung zur Vermittlung 
zwischen Subject und Prädicat wäre nicht weiter nöthig. 
Es wird wohl nicht zu viel gesagt sein, wenn man be 
hauptet, dass der, die synthetische Natur der mathematischen 
Urtheile einmal zugegeben, unwidersprechliche Erfolg der trans- 
cendentalen Deduction der reinen Anschauungen Kant’s Ver 
trauen in diese ,seine' Beweisart wesentlich befestigt habe. 
Leicht konnte, wie Fischer’s Beispiel zeigt, darüber übersehen 
werden, dass der Erfolg in diesem Fall einem Zusammenfluss 
günstiger Besonderheiten, keineswegs der Methode im Allge 
meinen zuzuschreiben sei. Die mathematischen Urtheile, gleich 
viel ob synthetisch oder analytisch, werden von niemandem 
bezweifelt, von jedermann als apriorisch anerkannt. Wenn 
sie das Dasein apriorischer Elemente der Sinnlichkeit zu ver 
bürgen unternehmen, so schlüpft man leicht darüber hinweg, 
dass sie dies nicht als mathematische, in ihrer jedermann 
geläufigen, sondern eben nur in ihrer synthetischen (erst 
von Kant ihnen verliehenen) Eigenschaft vermögen. Mit dem 
Credit, welchen ihre mathematische Natur ihnen verleiht, statt 
mit demjenigen, welchen nur Kant’s synthetische Neuerung ihnen 
gewähren dürfte, decken sie die fragliche Annahme reiner 
Anschauungen der Sinnlichkeit. Da Mathematik einmal mög 
lich sein musste, ging man ohne sonderliches Aufmerken dar 
über hinaus, dass sie durch Kant’s viel weiter als Hume's aus 
greifende Skepsis dies von nun an nur mehr unter Voraussetzung 
reiner Anschauungen sein durfte, und liess sich ihre synthe 
tische Natur stillschweigend gefallen. Die Sache derselben
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.