Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 2. Band, (Jahrgang 1849)

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seins. Die Natur hat der Jugend das Ideelle zur Entwicklung 
zugedacht. Ohne ein hohes Bild in der Seele würde dem Jüng 
linge die Ehrfurcht mangeln, „die den Menschen erst zum 
Menschen macht,” — und verarmt am geistigen Besitze, würde 
sein Leben und seine Bildung nutzlos hinschwinden. Und wo 
her soll jenes Bild ihm entstehen, als aus dem untergegange 
nen Grossen, das durch Überlieferung in den gebildetsten aller 
Sprachen, durch das Wegfallen aller alltäglichen Beziehungen, 
an Zauber nur gewonnen hat ? Allein nicht im Buchstaben 
fliesst diese Quelle, sondern im Geiste. Weil man den tödten- 
den Buchstaben des Alterthums festgehalten, aber den beleben 
den Geist verbannt hat, darum ist die Klage gegen den Huma 
nismus laut geworden. Man hat dem Jünglinge den Born, aus 
dem er Begeisterung schöpfen konnte, mit Schulstaub verleidet, 
und die Art, in der man die Classiker lehrte, schien fast dazu 
erfunden, von ihrem Studium für immer abzuschrecken. Und 
doch bleibt der Geist und Sinn, in welchem die Alten lebten 
und schrieben, für immer das Palladium der Bildung gegen 
die Barbarei. Ein zweiter Grund für die frühe Benützung des 
Humanismus zur allgemeinen Vorbildung liegt in dir Aufgabe 
der Mittelschulen, die Seite des Unterrichtes nahe im Auge zu 
behalten, die der Erziehung mit angehört, — eine Rücksicht, 
welche beim Fakultätsstudium, das, mit seinem Principe der 
Lernfreiheit, auf Erzogene berechnet ist, wegfällt. Erziehung 
verhält sich zum puren Unterrichte, wie Moral zur Politik. In 
jener muss diese ihre Grundlage und ihr Endziel finden. In den 
Werken der Alten liegt dieses Erziehende in der bildendsten 
Form, — und ein wahrhaft humanistischer Unterricht in die 
sem Sinne würde uns eine Jugend heranreifen, der man mit 
Vertrauen jene Freiheit gewähren kann. 
Hat sich uns so die Geltung des Humanismus als unabweis- 
liche Berechtigung der Menschheit herausgestellt, so können wir 
den lauten Anforderungen der Zeit und des Staatslebens unser 
Ohr nicht verschliessen. Das in ihnen wurzelnde Princip des 
Realismus hat, wenn das erstere befriedigt ist, sein unüberhörba 
res Recht, und die ihm seit Jahrhunderten vorenthaltene Schuld 
muss endlich abgetragen werden. Vereinigung, Versöhnung ist 
also die Antwort auf die Frage vom Humanismus und Realismus. 
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