31
Aber auch dem Interesse der Akademie selbst entspricht
die Wahl dieser Preis-Aufgabe. Es liegt ja in ihrem Interesse,
sich als eine wahrhaft kaiserliche, der ganzen Monarchie ange-
liörende wissenschaftliche Central-Behörde zu zeigen; den auch
durch ihre Stiftung objectivirten grossen Gedanken von der
höheren Einheit des Kaiserstaates den Völkern ins Bewusstsein
zu rufen; durch ihre Acte zu beweisen, dass sie ihre Stellung
verstanden, und selbst den Schein zu vermeiden, als halte sie .
sich mehr für eine provinziell-österreichische oder auch nur
für eine vorzugsweise deutsche, während doch der Allerhöchste
Wille ihres erhabenen Stifters durch die Beigesellung von sla
wischen, italienischen und magyarischen Gelehrten zu der Zahl
ihrer wirklichen Mitglieder sich klar genug ausgesprochen hat.
Sie kann daher auch von diesem Standpuncte aus wohl
kaum eine klügere Wahl treffen, als wenn sie die für den
grössten Tlieil der Bevölkerung der Monarchie wichtigste philo
logische Aufgabe zu ihrer ersten macht; dadurch von vorne-
herein kundgibt, dass sie hei ihren Preis-Aufgaben auch immer
den möglich grössten Nutzen bezwecken, diesem jedes Sonder
interesse unterordnen und keine Nation auf Kosten der anderen
bevorzugen werde.
Endlich hilft die Akademie durch diese Wahl zugleich einem
der dringendsten Bedürfnisse der philologischen Wissenschaft
überhaupt ah; sie erfüllt dadurch den ausgesprochenen Wunsch
der grössten Kenner dieser Wissenschaft, und nicht bloss der
am meisten dabei interessirten slawischen, sondern auch der
deutschen, der Begründer und Meister der historisch-verglei
chenden Philologie, eines Jakob Grimm, Bopp, Lassen, Pott,
Haupt u. A.
So gewichtige, so unbefangene Stimmen haben in der That
wiederholt aufgefordert, zur Ausfüllung dieser so fühlbaren
Lücke, zur Ausarbeitung einer historisch-vergleichenden Gram
matik der sechsten Hauptfamilie des indo-europäischen Sprach-
stammes, der litauisch-slawischen, einer Sprachfamilie „die
von SO—60 Millionen in verschiedenen Mundarten gesprochen,
vom adriatischen bis an die Küste des Eismeeres, von der
schwarzen Elster am rechten Elbe-Ufer bis hin nach Kamt
schatka, ja bis hinüber an die Nordwest-Küste von Amerika