Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 178. Band, (Jahrgang 1916)

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L. Kadermacher. 
mannsdichtung verzichten müssen, wenn wir über die motivi 
sche Komposition der Odyssee und ihren ursprünglichen Zu 
sammenhang etwas erfahren wollen, weil jene Dichtung allzü 
komplizierte Spuren von Beeinflussung auf weist. 1 So inter 
essant die literarhistorischen Zusammenhänge sind, so sind doch 
für die Erkenntnis des Ursprungs der in der Odyssee ver 
wendeten Motive die primitiven Erzählungsformen viel wich 
tiger. Wäre der Orendel im vollen Sinne des Wortes selb 
ständig, so würde damit erwiesen sein, daß der Stoff der 
Heimkehrnovellen mit dem anderen von der Fahrt nach der 
Wunderinsel auch außerhalb der Odyssee frei verknüpft worden 
ist, und diese Verknüpfung könnte sehr alt sein, älter als das 
homerische Epos. Aber leider ist mit dem Orendel kein 
sicheres Resultat zu gewinnen, und so müssen wir uns mit der 
früheren Feststellung begnügen, daß Phaiakis und Heimkehr 
des Odysseus sich stofflich deutlich scheiden lassen. Wann 
aber die erste Verbindung der beiden Stoffkreise geschaffen 
worden ist, vermag die motivische Analyse nicht zu lehren. 
Die Untersuchung der Entstehung des homerischen Epos be 
findet sich jedoch hier vor einem Hauptproblem, dessen Lösung 
zu fördern unbedingt eine Aufgabe der philologischen Kritik 
sein muß. 
Nicht ganz sichere Anklänge an die Phaiakis sind von 
Jülg und Bender (Märchenhafte Bestandteile der homerischen 
Gedichte 26) auch im mongolischen Epos nachgewiesen worden. 
Wie Weher (siehe oben S. 8 Anm. 2) vermutet, ist der Weg 
der Vermittlung über Indien gegangen. Auch diese Beziehun 
gen, falls man an sie glauben darf, sind literarisch sehr inter 
essant, aber für die Beurteilung der Qualität des Stoffes im 
griechischen Epos von nebensächlicher Bedeutung. Wenn wir 
nun noch einmal die Frage aufwerfen, ob man recht daran 
tut, die Odyssee eine Märchendichtung zu nennen, so können 
wir schon mit mehr Kühnheit antworten, daß diese Bezeich 
nung den Reichtum des Gedichtes doch wohl zu einseitig faßt. 
Sie gibt uns allerdings die Möglichkeit, den Gegensatz zwischen 
1 Die eingehenden Analysen der Germanisten machen das in viel weiterem 
Sinn klar, als in unserem Zusammenhänge auch nur angedeutet werden 
konnte.
	        
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