58 L. Kadermacher. mannsdichtung verzichten müssen, wenn wir über die motivi sche Komposition der Odyssee und ihren ursprünglichen Zu sammenhang etwas erfahren wollen, weil jene Dichtung allzü komplizierte Spuren von Beeinflussung auf weist. 1 So inter essant die literarhistorischen Zusammenhänge sind, so sind doch für die Erkenntnis des Ursprungs der in der Odyssee ver wendeten Motive die primitiven Erzählungsformen viel wich tiger. Wäre der Orendel im vollen Sinne des Wortes selb ständig, so würde damit erwiesen sein, daß der Stoff der Heimkehrnovellen mit dem anderen von der Fahrt nach der Wunderinsel auch außerhalb der Odyssee frei verknüpft worden ist, und diese Verknüpfung könnte sehr alt sein, älter als das homerische Epos. Aber leider ist mit dem Orendel kein sicheres Resultat zu gewinnen, und so müssen wir uns mit der früheren Feststellung begnügen, daß Phaiakis und Heimkehr des Odysseus sich stofflich deutlich scheiden lassen. Wann aber die erste Verbindung der beiden Stoffkreise geschaffen worden ist, vermag die motivische Analyse nicht zu lehren. Die Untersuchung der Entstehung des homerischen Epos be findet sich jedoch hier vor einem Hauptproblem, dessen Lösung zu fördern unbedingt eine Aufgabe der philologischen Kritik sein muß. Nicht ganz sichere Anklänge an die Phaiakis sind von Jülg und Bender (Märchenhafte Bestandteile der homerischen Gedichte 26) auch im mongolischen Epos nachgewiesen worden. Wie Weher (siehe oben S. 8 Anm. 2) vermutet, ist der Weg der Vermittlung über Indien gegangen. Auch diese Beziehun gen, falls man an sie glauben darf, sind literarisch sehr inter essant, aber für die Beurteilung der Qualität des Stoffes im griechischen Epos von nebensächlicher Bedeutung. Wenn wir nun noch einmal die Frage aufwerfen, ob man recht daran tut, die Odyssee eine Märchendichtung zu nennen, so können wir schon mit mehr Kühnheit antworten, daß diese Bezeich nung den Reichtum des Gedichtes doch wohl zu einseitig faßt. Sie gibt uns allerdings die Möglichkeit, den Gegensatz zwischen 1 Die eingehenden Analysen der Germanisten machen das in viel weiterem Sinn klar, als in unserem Zusammenhänge auch nur angedeutet werden konnte.