IV. Abh.: Berlcowicz. Der Strophenbau in den Psalmen etc.
IV.
Der Strophenbau in den Psalmen und seine
äußeren Kennzeichen.
Von
Dr. Michael Berkowiez.
(Vorgelegt in der Sitzung am 15. Juni 1910.)
Strophenbau und Responsion.
Tn keinem Zweige der alttestamentlichen Forschung hat
der Ausspruch ,quot capita tot sententiae* in dem Maße Geltung
erlangt wie auf dem Gebiete der biblischen Prosodie. Die
zahlreichen Versuche, in der hebräischen Poesie ein den alten
griechisch-römischen Metren verwandtes oder ähnliches System
nachzuweisen, gehen, obwohl auf dieselben alten Zeugnisse 1
gestützt, so weit auseinander, widersprechen einander in ihren
grundsätzlichen Voraussetzungen so sehr, daß es nicht leicht
wird, auch nur ein System aufzuweisen, das mehr als einen
Vertreter hätte, denjenigen nämlich, der es erfunden. Und so
ist es nicht zu verwundern, wenn die überwiegende Zahl her
vorragender alttestamentlicher Forscher es aufgegeben zu haben
scheint, in der biblischen Poesie Metra, die auf Silbenzahl und
Tonfall beruhen, zu suchen und sich mit der Konstatierung der
von Lowth erkannten und seither fast widerspruchslos aner
kannten Erscheinungsform der hebräischen Poesie, des ,Paralle
lismus membrorum/, begnügt. Wohl hat man dieser Erschei
nungsform auch andere Termini 3 zu geben versucht, in der Sache
1 Besonders auf Josephus und Philo. Vgl. sämtliche Einleitungsschriften,
besonders Knenen-Miiller, Hist.-krit. Einleitung in die Bücher des
A. T. III. 1, S. 14; Sehloegl, De re metrica etc., Wien 1890, S. 2 und
Döller: Rhythmus, Metrik und Strophik etc., Paderborn 1899, S. 21.
Ewald: Die poetischen Bücher d. a. B.I S. 68 zieht die einfache Benen
nung: ,Versrhythmus‘ vor, Olshausen dagegen bezeichnet sie als ,Ent-
Sitzungsber. d. pliil.-hist. Kl. 165. Bd. 4. Abh. 1