Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 144. Band, (Jahrgang 1902)

Studien zur Erzälilungsliteratur des Mittelalters. 
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legende finden. Es besteht aber noch eine sehr wesentliche 
Differenz: der Erzbischof der Schöppenchronik, der nur wegen 
schlechter Verwaltung des Kirchengutes vor Gottes Gericht ge 
fordert wird, nicht wegen anderer Untaten, ist noch der histori 
sche Hartwig; dort handelt es sich um den unhistorischen, 
lasterbeladenen Udo. Nun wissen wir aber schon, dass die 
Ueberlieferung der Udolegende bis ans 12. Jahrhundert heran 
reicht, dass also Hinrik von Lammespringe nicht erst aus einer 
Mirakelgeschichte des 14. Jahrhunderts das Mehr an Kundschaft 
dem Visionsberichte der Gesta entnommen zu haben braucht. 
Es hat somit die höchste Wahrscheinlichkeit, dass der Schöppen 
chronik hier eine Fassung der Gesta vorlag, die in Bezug auf 
diese Erzählung reichlicher war als die uns bekannte; diese 
könnte demnach wirklich gekürzt haben, wie icb oben (S. 38) 
vermutete. 
Noch eins. Es ist doch recht merkwürdig, an welcher 
Stelle die Schöppenchronik die Vision vom Tode Hartwig’s 
erzählt. Sie berichtet nach der Notiz über sein Ende von 
der Wahl des Nachfolgers, führt ferner die Belagerung von 
Alsleben durch die Sachsen an aus dem nächsten Jahre 1103, 
und dann erst besinnt sie sich auf das Gesicht von Gottes 
Urteil über Hartwig. Nun scheint es mir beachtenswert, dass 
die Belagerung von Alsleben im Zusammenhänge des Krieges 
der Sachsen wider den Markgrafen Udo geschah (Sohöppen- 
chronik 106, 17); wie denn, wenn dieser Name den Chronisten 
an die Vision vom Tode Hartwig’s erinnert und veranlasst 
hätte, die Erzählung aus seinem Exemplar der Gesta vorzu 
bringen? Daraus ergäbe sich zugleich, dass dem Chronisten 
ein Verhältniss zwischen Hartwig und Udo bekannt war: galt 
ihm Udo, wie er auch sonst vorkommt, als ein Beiname 
Hartwig’s? 
Das Mindeste, was wir aus dem Zeugniss der Schöppen 
chronik entnehmen dürfen, ist, dass die darin erzählte Legende 
bereits eine Fortbildung der Hartwigvision darstellt, die wir 
aus unseren Fassungen der Gesta kennen, und zwar in der 
Richtung auf die Geschichte von Udo hin, jedoch so, dass 
dieser Name noch nicht genannt, sondern der des Erzbischofs 
Hartwig beibehalten wird. Allem Vermuten nach hat sich 
diese weitere Entwicklung schon in jener Gestalt der Gesta voll-
	        
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