Studien zur Erzälilungsliteratur des Mittelalters.
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legende finden. Es besteht aber noch eine sehr wesentliche
Differenz: der Erzbischof der Schöppenchronik, der nur wegen
schlechter Verwaltung des Kirchengutes vor Gottes Gericht ge
fordert wird, nicht wegen anderer Untaten, ist noch der histori
sche Hartwig; dort handelt es sich um den unhistorischen,
lasterbeladenen Udo. Nun wissen wir aber schon, dass die
Ueberlieferung der Udolegende bis ans 12. Jahrhundert heran
reicht, dass also Hinrik von Lammespringe nicht erst aus einer
Mirakelgeschichte des 14. Jahrhunderts das Mehr an Kundschaft
dem Visionsberichte der Gesta entnommen zu haben braucht.
Es hat somit die höchste Wahrscheinlichkeit, dass der Schöppen
chronik hier eine Fassung der Gesta vorlag, die in Bezug auf
diese Erzählung reichlicher war als die uns bekannte; diese
könnte demnach wirklich gekürzt haben, wie icb oben (S. 38)
vermutete.
Noch eins. Es ist doch recht merkwürdig, an welcher
Stelle die Schöppenchronik die Vision vom Tode Hartwig’s
erzählt. Sie berichtet nach der Notiz über sein Ende von
der Wahl des Nachfolgers, führt ferner die Belagerung von
Alsleben durch die Sachsen an aus dem nächsten Jahre 1103,
und dann erst besinnt sie sich auf das Gesicht von Gottes
Urteil über Hartwig. Nun scheint es mir beachtenswert, dass
die Belagerung von Alsleben im Zusammenhänge des Krieges
der Sachsen wider den Markgrafen Udo geschah (Sohöppen-
chronik 106, 17); wie denn, wenn dieser Name den Chronisten
an die Vision vom Tode Hartwig’s erinnert und veranlasst
hätte, die Erzählung aus seinem Exemplar der Gesta vorzu
bringen? Daraus ergäbe sich zugleich, dass dem Chronisten
ein Verhältniss zwischen Hartwig und Udo bekannt war: galt
ihm Udo, wie er auch sonst vorkommt, als ein Beiname
Hartwig’s?
Das Mindeste, was wir aus dem Zeugniss der Schöppen
chronik entnehmen dürfen, ist, dass die darin erzählte Legende
bereits eine Fortbildung der Hartwigvision darstellt, die wir
aus unseren Fassungen der Gesta kennen, und zwar in der
Richtung auf die Geschichte von Udo hin, jedoch so, dass
dieser Name noch nicht genannt, sondern der des Erzbischofs
Hartwig beibehalten wird. Allem Vermuten nach hat sich
diese weitere Entwicklung schon in jener Gestalt der Gesta voll-