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III. Abhandlung: J. Müller.
Das Missverständniss wäre unmöglich gewesen, wenn das
Gedankenverhältniss: ,der (zwar) des Einen mehr, des Anderen
weniger sich annimmt, (aber) jeglichen Theil des Gemeinwesens
wie seinen eigenen pflegt' auch äusserlich angezeigt wäre durch
sed, oder wenn auch nur beide Satzglieder unter einem Verbum
vereint wären, also tuetuv fehlte. Aber nicht selten unterlässt
es Seneca dem Verständnisse des Lesers durch Partikeln ent
gegen zu kommen und besonders sind es die Adversativpartikeln,
die er gerne erübrigt, auch wo sie nicht ersetzt werden durch
einigermassen scharf hervortretende Antithesen. So Dial. 4, 3, 4
Putavit se ciliquis laesum, voluit ulcisci, dissuadente cdiqua causa
statim resedit: hanc iram non voco etc. Vor dissuadente wäre sed
ganz wohl am Platz. 3, 10, 2 Non potest hie animus fidele otiurn
capere, quatiatur necesse est fluctueturque, qui malis suis tutus
est, qui fortis esse nisi irascitur non potest. Wenn sed vor qua
tiatur stünde, würde die Beziehung des Relativums qui auf hic
animus klarer sein. 1, 2, 4 Scias licet idem (sc. quod athletae
faciunt) viris bonis esse faciendum, ut dura ac difficilia non re
formident nec de fato querantur, quidquid acciclit boni consulant,
in bonum vertant. Koch wollte sed vor quidquid einschieben.
II, 7, 1: ,At quare non ignoscetP Vacuam constituamus
nunc quoque, quid sit venia, et sciemus dari illam a sapiente
non debere. Dass sich dieser Anfang eines neuen Capitels auf
Cap. 5, 2 beziehe und hier die Behandlung des zweiten Punktes
obicitur illi (sectae Stoicorum), quod sapientem negat ignoscere
beginne, hat Gertz p. 283 richtig auseinandergesetzt und damit
nicht blos die Verbesserungsversuche der älteren Editoren als
missglückt erwiesen, sondern auch Madvigs (Adv. crit.II, p. 431)
Zweifel über die Beziehung von quoque gelöst. Aber was Gertz
für das verdorbene uaeuä vorschlägt: vagam rem, ist, abgesehen
von der ungehörigen Stellung, sachlich nicht zutreffend; denn
die sofort folgende Definition ist höchst einfach: Venia est poenae
nieritae remissio und § 3 venia debitae poenae remissio est.
Hält man sich gegenwärtig, dass die Schrift nicht bloss
dem Nero gewidmet ist, sondern dass Seneca seine Erörterungen
auch durchweg an die Person Neros richtet, 1 und erinnert
1 So I, 5, 1; 6, 1; 8, t; 9, 1 ; 10, 1; 11, 1-3; 19, 9; 21, 4; 23, 1—2; 24, 1.
II, 1, 1; 2, 1—3; 6, 4.