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VIII. Abhandlung: v. Krem er.
ältesten, vorgeschichtlichen Zeit, wo Araber und Hebräer noch
in derselben Uncultur lebten, wo ihre religiösen Hebungen in
der Verehrung gottbeseelter Steine, heiliger Bäume bestand,
wo sie Menschenopfer brachten und das Blut auf die heiligen
Steine gossen, waren die Kähins gewiss bei den Einen und
bei den Andern nur Wärter der heiligen Stellen, sie mögen
die Opferceremonien geleitet, die Orakelsprechung vermittelt,
Schicksalswinke und Zeichen gedeutet, die Weihgeschenke
entgegengenommen und behütet, auch Streitigkeiten geschlichtet
und bei Eidesschwüren oder Bündnissen die Vermittler gemacht
haben. Dass sie bei Heiraten die priesterliche Weihe ertheilt
hätten, ist gänzlich ausgeschlossen, denn hiebei war im arabi
schen Alterthum keine religiöse oder priesterliche Mitwirkung
üblich. 1 Aber die Stämme Israels traten bald in eine höhere
Culturepoche ein; die Berührung mit den höher gebildeten
Nachbarvölkern, mit den Aegyptern vorerst, dann mit den
Syrern und Babyloniern, rissen sie aus der alten Rohheit des
Nomadenlebens und förderten eine selbstständige nationale
Cultur. Hiemit gestaltete sich auch der alte Kali in zum Priester
um und es entstand ein förmlicher Priesterstand, der bald die
herrschende Classe war, die Führung des Volkes übernahm
und schliesslich eine Theokratie gründete, die den Staat ins
Verderben stürzte. Bei den Arabern aber blieb alles unver
ändert, der alte Cult der heiligen Steine bestand fort und
auch die Kähins blieben, was sie von Anfang gewesen, sie
waren: Wahrsager und Orakelpriester.
Im Laufe der Zeiten ward aus dem alten Fetischmann
ein berufsmässiger Prophet. Die von Vater auf Sohn über
tragenen Erfahrungen, die hiedurch gewonnene geschäftsmässige
Fertigkeit im Rechtsprechen, im Wahrsagen, im Zeichendeuten
und Traumauslegen verschaffte Einzelnen grösseren Ruf zuerst
unter den zunächstwohnenden, allmälig auch bei entfernteren
Stämmen. Immer aber ist das Bild des altarabischen Kähin,
wie es in den alten Sagen gegeben wird, ungleich wilder, archai
stischer geformt als das des hebräischen Kfdien, des geschulten
Tempelpriesters.
1 Wellhausen, S. 155, behauptet ohne genügende Beweise das Gegentheil.
Vgl. Agäny XIX, 121. (Heirat ohne priesterliche Weihe.)